Perlmutt von Hepho ================================================================================ LESTARD (VI): »Ihr Galgenhumor ist bewundernswert.« --------------------------------------------------- Urian Adlard gehörte zu den Menschen, die beim Nachdenken nicht stillsitzen können. Dass man seine Handgelenke an die Stuhllehne geschnallt hatte, machte den Bewegungsdrang nur umso schlimmer. Von der unbequemen Haltung waren seine Schultern steif geworden und ein unangenehmes Ziehen in den Muskeln wetteiferte nun mit seinen Kopfschmerzen darum, sich als lästigste Nebenwirkung zu behaupten. Die zwei Gardisten in seinem Rücken schienen zu beiden Seiten der Stahltür eingefroren zu sein, denn sie gaben keinen Laut von sich. Kein Räuspern, kein Schaben von Schuhsohlen bei Gewichtsverlagerung. Nicht einmal ein Stoffrascheln. Urian war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt direkt im Blick behielten. Es gab nicht gerade viel her, sich über Menschen Gedanken zu machen, die man weder hören, noch beobachten konnte. Zumindest, wenn man nicht vor Nervosität verrückt werden wollte. Darüber hinaus hatte er auch nichts anzusehen als die graue Putzwand, die im Licht der Neonröhren grünlich wirkte, und die Tischplatte direkt vor sich. Einundvierzig Kratzer in der Plastikbeschichtung. Er hatte dreimal nachgezählt und sich für jeden einzelnen einen Grund einfallen lassen, wie er dort hingekommen war. Mittlerweile begann die Wirkung der Tablette nachzulassen; Urian spürte, wie seine Sinne zurückkehrten und sich im Raum ausdehnten. Dort, wo die beiden Gardisten standen, gähnten ihm zwei tote Flecken entgegen. Sie mussten sich abgeschirmt haben. Hätte Urian es darauf angelegt, hätte er ihren Widerstand vielleicht überwinden können, aber das Risiko ging er lieber nicht ein. Er ertastete die magische Barriere in den Wänden und der Stahltür. Darüber hinaus kam er nicht. Ihm blieb nichts Anderes übrig, als zu warten, bis Eustace Belzac endlich erscheinen würde, um ihn blank zu schälen. Das neue Jahr war kaum zehn Stunden alt und er hatte es bereits geschafft, einen atlantinischen Princeps und den Ersten Sekretär der britischen Congregatio gegen sich aufzubringen. Im Geiste spielte er die Ereignisse der letzten Stunden wieder und wieder durch und kam zu dem Schluss, dass seine Situation im Grunde nur noch zum Lachen war. Die entsprechende Reaktion folgte auf dem Fuße. Es sollte auch just dieser Moment sein, da Lord Belzac den Raum betrat. Der Erste Sekretär legte die Stirn in Falten, als er den ramponierten Kerl ins Auge fasste, den er an den Stuhl hatte ketten lassen, und der nichts besseres mit sich anzufangen wusste als sich darüber halbtotzulachen. Urian war sich der befremdlichen Wirkung seines Benehmens durchaus bewusst, was es ihm ungleich erschwerte, damit aufzuhören. Jetzt war es so oder so zu spät. »Mensch, Belzac, altes Haus!«, stieß er hervor. Der Sekretär nahm ihm gegenüber Platz und schob wortlos einen Papierfetzen über den Tisch, den Blick auf Urian gerichtet. Der Zettel erstickte Urians Hochgefühl; er verschluckte sich an seinem eigenen Gelächter. Du bist unverbesserlich. Welch Ironie. Lord Belzac wartete mit ineinander gefalteten Händen ab, bis Urian sich wieder gefangen hatte. »Ihr Galgenhumor ist bewundernswert.« Urian bleckte die Zähne zu einem Lächeln. »Ich hatte zehn Jahre, um mich auf ein zweites Treffen dieser Art vorzubereiten.« Lord Belzac nickte. »Ich bin gespannt, was ich dieses Mal zu hören bekomme.« Urian streckte den Rücken gegen die Schulterschmerzen. »Sie wollen wissen, woher ich die Platzwunde habe?«, erwiderte er. Lord Belzac blickte ihn mit gerunzelter Stirn an, den Mund leicht geöffnet. Als er begriff, spielte ein dünnes Lächeln um seine Lippen. »Ich bin ganz Ohr, Mr Adlard.« Urian verdrängte das Bedürfnis, die Arme vor der Brust zu verschränken. »Wo haben Sie den Inquisitor gelassen? Heute keine Memorien?« »Ob ich Mr Park dazu hole, mache ich von Ihrer Geschichte abhängig.« Urians Grinsen wurde noch breiter. »Ist er Ihnen schon ein Klotz am Bein?« »Er begleitet Mrs Furlong zum Arzt«, erklärte der Sekretär. »Er hat etwas von einem Antidot gehört, das jemand ihrem Sohn zugesteckt hat. Sie werden also noch Gelegenheit haben, ihn wiederzusehen.« Urian spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Lord Belzac erlaubte sich die Andeutung eines triumphierenden Lächelns. »Heute sind Sie in der Bringpflicht. Ich warte.« Urians Nasenflügel blähten sich. »Rufen Sie Park an«, sagte er schroff. »Wenn ich fertig bin, stehen Ihnen die Haare zu Berge.« Lord Belzac lächelte unverändert. »Und das können Sie mir garantieren?« Einen Moment lang musterte Urian den Sekretär. »Ich bin nicht mit leeren Händen hier«, sagte er schließlich. Die Augen des Sekretärs blitzten auf. »Ich habe Besuch bekommen. Und Post«, fuhr Urian fort. »Ein Brief liegt noch bei mir zu Hause.« Lord Belzac schnalzte mit der Zunge. »Ich nehme an, da Sie jetzt die Zeit gefunden haben, mich davon in Kenntnis zu setzen, werden Sie ihn mir mit Freuden aushändigen.« Urian zuckte die Achseln. Dass der Sekretär so schnell auf ihn eingehen würde, hatte er nicht gedacht. Vielleicht sollte er vorsichtiger sein. Lord Belzac schaute ihm prüfend ins Gesicht. Als Urian seinem Blick standhielt, wandte er sich an die Gardisten, die bisher unbeweglich neben der Tür verharrt hatten. »Holen Sie den Inquisitor zurück«, befahl er. »Und geben Sie mir Jorrin de Rijk.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)