Perlmutt von Hepho ================================================================================ LESTARD (III): »Sie haben Ihren eigenen Kopf, wie ich sehe.« ------------------------------------------------------------ Mums Erscheinung brach sich vielfach in den Scherben des Mosaikspiegels. Sie saß mit ausgestreckten Beinen am Fußende meines Bettes und hatte noch nicht bemerkt, dass ich ihr Spiegelbild zwischen Decke und Kissen hindurch seit einer ganzen Weile beobachtete. Ich wusste nicht, wann sie zurückgekehrt war. Die weiße Dämmerung hatte ihrem Gesicht alle Schatten genommen und tauchte es stattdessen in ein diffuses Leuchten. Ihre Augen waren blutunterlaufen, als hätte sie schon wieder kein Auge zugetan. Lange würde sie das nicht mehr durchhalten. Ihr Blick glitt zwischen dem Spiegel und meinem Skizzenbuch hin und her, während sie es mit einer Vorsicht durchblätterte, die eher an den Umgang mit einem seltenen Almanach gemahnte als an den mit einer zerfledderten Kladde. Denn mehr war mein Skizzenbuch im Endeffekt nicht: ein wirrer Sammelband, in dem mehrere Seiten durchgestrichen oder zum Verschenken herausgetrennt und andere Blätter lose hineingesteckt waren. Man sah den Seiten genau an, wie weit ich das Buch schon gefüllt hatte. Zwar achtete ich darauf, dass ich es beim Ein- und Auspacken nicht zerknickte, aber ich schleppte es ständig mit mir herum. Man sah die Gebrauchsspuren, und das benutzte Papier wellte sich zusätzlich vom zahlreichen Aufschlagen und Radieren. Zwischenzeitlich verharrten Mums Finger auf den Seiten und folgten den Linien, die ich mit dem Bleistift gezogen hatte. Ab und zu glitt die Andeutung eines Grinsens oder eines Stirnrunzelns über ihr Gesicht. Ich spürte ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Es war lange her, seit sie sich meine Zeichnungen zuletzt so genau angesehen hatte. Sie musste fast auf der letzten benutzten Seite angekommen sein, als sie plötzlich mitten im Blättern stockte. Ein Zittern überlief ihren Körper. Ich konnte im Spiegelbild nicht sehen, bei welcher Zeichnung sie angelangt war, aber ich wagte nicht, den Hals zu recken, um sie direkt anzusehen. Ich spürte, wie die Stimmung kippte; Mum sank in sich zusammen. Ihre Finger verloren die Spannung und das Skizzenbuch sank auf ihre Oberschenkel hinunter. Im Spiegelbild konnte ich jetzt die Karikatur erkennen, die ich in der letzten Physikstunde von Mr Cobbald angefertigt hatte. Als ich sie gezeichnet hatte, war ich so stolz darauf gewesen. Jetzt kam sie mir uralt vor, und fast ein bisschen kindisch. Was aber Mum daran so verstörte, war nicht die Zeichnung selbst. Es war meine Signatur. Ich hatte sie vor Jahren von meinem Vater übernommen. Mum hatte mir damals die Briefe gezeigt, die sie einander geschrieben hatten, wenn sie dienstlich verhindert gewesen waren und sich nach einander gesehnt hatten. Mein Vater hatte ein reines Schriftbild gehabt. Mum sagte immer, dass ich ihm in der Hinsicht sehr ähnlich war. Er habe die Schrift und das Wort gebraucht, um auszudrücken, was ich in meine Zeichnungen legte. Damals hatte ich nicht alles aus seinen Briefen verstanden. Aber ich hatte seine Wortgewalt bewundert und den kalligraphischen Strich. Ich hatte mir beides aneignen wollen. Zumindest Letzteres war mir mit meiner Unterschrift gelungen. Normalerweise signierte ich meine Skizzen nicht. Aber Solweig hatte mich gefragt, ob sie die Zeichnung von Mr Cobbald haben dürfe. Also hatte ich sie in der U-Bahn auf dem Weg zum Augenarzt ausgearbeitet und, wie bei allen Bildern, die ich weggab, mein Kürzel hinzugesetzt. Ich hatte über die letzten zwei Tage ganz vergessen, es zu ihr mitzunehmen, obwohl ich Gelegenheit genug gehabt hätte. Jetzt wünschte ich, ich hätte meine Sinne besser beisammen gehabt. Mums Hände zitterten, als sie mein Skizzenbuch beiseitelegte. Das Haar war ihr übers Gesicht gefallen. Ich hörte sie einmal rasselnd einatmen, dann warf sie den Kopf in den Nacken, schluckte hart und starrte aus aufgerissenen, feuchten Augen zur Zimmerdecke, als suche sie dort etwas. Mir war nie bewusst gewesen, wie sehr sie ihn immer noch vermisste. Ein sachtes Klopfen an der Zimmertür ließ sie und mich jäh zusammenfahren. Mum sprang beinahe vom Bett auf. Ich drückte das Gesicht ins Kissen. Gleich darauf hörte ich, wie die Tür ein Stück weit aufgeschoben wurde. »Charlotte«, sagte Brecas Stimme. Er klang zur Hälfte betreten und zur Hälfte tadelnd, als sei das, was er vorfand, anders als geplant. »Entschuldige«, erwiderte Mum fahrig. Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Ich spürte, wie sich ihre Hand neben meinem Bein in die Bettdecke krallte. »Ich habe die Zeit vergessen.« Der Türknauf schnappte mit einem leisen Klicken in seine Ausgangsposition zurück, als Breca ihn losließ. Schritte erklangen, zuerst leise schabend auf dem Dielenboden an meiner Tür, dann dumpf auf dem Teppich vor meinem Bett. Ich stellte mir vor, dass Breca Mum am Arm berührte, so wie er es früher oft getan hatte. »Wir sind gleich soweit«, versicherte Mum ihm, und mir dämmerte, dass sie mit »wir« auch mich meinte. Hatte sie mich wecken wollen? Falls ja, so war es ihr heute unangenehm, obwohl sie mich sonst aus dem Bett zu treten pflegte, wenn ich den Wecker überhörte. Breca hätte es übernehmen können, aber sie hatte ihn augenscheinlich nicht gelassen. Plötzlich kam mir die heiße Atemluft, die sich zwischen dem Kissenstoff und meinem Gesicht sammelte, unerträglich stickig vor. »Bereit wofür?«, fragte ich und drehte mich so weit herum, dass ich sie beide ansehen konnte. Breca zwinkerte mir zu. »Guten Morgen, herzallerliebster Enkelsohn.« Mum erwiderte meinen Blick überrascht, blieb aber stumm. Brecas Miene verdüsterte sich schlagartig. »Lord Belzac und Mr Park haben sich angekündigt«, antwortete er an ihrer statt. »Und Adlard?«, hakte ich sofort nach. Ein Blick in Mums Gesicht sagte mir, dass dies die falsche Frage gewesen war. »Ich weiß es nicht«, sagte sie matt. Ich kam um ein Stirnrunzeln nicht herum, verkniff mir jedoch jede weitere Bemerkung über ihn. Was auch immer ihre Unterhaltung in der letzten Nacht ergeben haben mochte, Mum schien alles andere als zufrieden damit zu sein. Ich setzte mich auf. »Und jetzt?« Mum strich mit den Fingerkuppen über meine Bettdecke. »Mach dich fertig«, erwiderte sie und rang sich ein Lächeln ab. »Und dann sehen wir zu, dass wir deine Magie in den Griff bekommen.« Breca runzelte tadelnd die Stirn. »Ihr solltet auf Lord Belzac warten.« »Dafür wird der Sekretär Verständnis aufbringen müssen«, erklärte Mum resolut und erhob sich von meinem Bett. »Ich glaube, er wird vor allem wenig Verständnis für deine Alleingänge aufbringen«, entgegnete Breca nüchtern. »Darüber kann ich ihm reinen Gewissens Rechenschaft ablegen«, erwiderte sie. »Ich lasse mich nicht herumschubsen. Nicht von Lestard und nicht von ihm.« Breca blieb gelassen. »Und du hältst das für klug? Das hier ist keine Frage des Stolzes, Charlotte.« Mum funkelte ihn an. »Wenn es mir um meine Eitelkeit ginge, würde ich ganz andere Dinge tun«, gab sie zurück und heftete den Blick auf mich. Ich zögerte einen Moment, noch unentschlossen, wem ich nun beipflichten sollte. Aber Mum erwartete gar keine Meinungsäußerung von mir. »Steh auf«, sagte sie. Fordernd, aber nicht unfreundlich. Ich nickte schweigend und sah ihr nach, als sie mein Zimmer verließ. Breca schüttelte nur den Kopf. Er warf mir einen kurzen, bedauernden Blick zu, dann folgte er ihr hinaus. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, robbte ich vor und langte nach dem Skizzenbuch, das Mum auf der Kommode am Fußende meines Bettes abgelegt hatte. Mit zittrigen Händen schlug ich die Skizze von Mr Cobbald auf; mein Blick sog sich an der Signatur fest. Langsam strich ich mit dem Finger darüber und rieb mit dem Daumen das Graphit ab, das an meiner Haut haften geblieben war. Ich würde herausfinden, was mein Vater mit Atlantis zu tun gehabt hatte. Irgendwie. Ich wusste nicht, wie Lord Belzac es fertigbrachte, aber er schien die Eigenschaft zu besitzen, immer dann aufzutauchen, wenn er am wenigsten erwünscht war. Mum wollte gerade in den Wagen steigen, als das schwere Automobil des Ersten Sekretärs auf dem Hinterhof vorfuhr. Die Scheiben waren getönt, sodass man nicht ins Innere hineinsehen konnte, aber dass es sich um Lord Belzac handeln musste, sagte mir Mums Reaktion. Ich sah, wie sie bei dem Anblick gequält das Gesicht verzog und einen stummen Fluch ausstieß. So entschlossen sie zuvor Breca abgefertigt hatte, so betreten wirkte sie jetzt. Egal, wie gut sie sich auf die erneute Konfrontation mit dem Sekretär vorbereitet haben mochte: Es handelte sich um ein Treffen, das sie am liebsten so lange wie möglich hinausgezögert hätte. Ich verharrte reglos neben unserem Wagen, die Hand am Griff der Beifahrertür. Liebend gerne hätte ich mich einfach hineingesetzt und die Tür zugeschlagen, aber ich wollte Mum nicht allein draußen stehen lassen. Als Lord Belzac die Fahrertür aufstieß, klappte mir die Kinnlade herunter. Ich hatte angenommen, dass ein Mann seines Kalibers nicht selbst fuhr, sondern chauffiert und von ausgebildetem Wachpersonal eskortiert wurde. Was die Anwesenheit letzterer betraf, so war ich überzeugt, dass sie irgendwo außerhalb meines Blickfeldes alles beobachteten. Park, der Inquisitor, stieg auf der Beifahrerseite aus. Sein Blick wanderte erst über unsere Gesichter und dann weiter zu Lord Belzac, als wollte er ausloten, was der Sekretär von dem Bild hielt, das wir abgaben. Lord Belzac erwiderte den Augenkontakt mit ihm nicht; er hatte den Blick fest auf Mum geheftet und trug eine ausdruckslose Miene zur Schau. Gemessenen Schrittes trat er auf uns zu. Mum begrüßte beide Männer mit ihren Amtstiteln. Ihre Stimme klang beinahe gelassen, aber als sie die Hand ausstreckte, um sie dem Sekretär zu geben, sah ich, dass Venen und Fingerknöchel deutlich hervortraten. »Sie haben Ihren eigenen Kopf, wie ich sehe «, stellte Lord Belzac fest. »Ich meine, wir hätten ausgemacht, dass Sie die Wohnung nicht verlassen. Denken Sie nicht, dass ein Verstoß genügt?« Ich konnte sie nur anstarren. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass der Sekretär meine Reaktion mit einem freudlosen Lächeln quittierte. Mum setzte zu einer Antwort an, doch er hob gebieterisch die Hand. »Ich weiß, Mrs Furlong«, sagte er. »Nichtsdestotrotz ziehe ich eine gemeinsame Absprache vor.« Ich spürte, wie sich meine Faust fest um den Griff der Beifahrertür schloss. Die Sender. Natürlich wusste er Bescheid. »Hören Sie uns auch beim Furzen zu?«, fauchte ich. Die erste Antwort war vollkommene Stille. Mum starrte mich geschockt an. Der Sekretär legte verblüfft den Kopf schief, die Hand in der Luft erstarrt. Ich ignorierte den Gallegeschmack, der sich in meinem Mund sammelte, und hielt ihren Blicken trotzig stand. Als niemand etwas auf meine Bemerkung erwiderte, brach Park in schallendes Gelächter aus. Es fing sich zwischen den Häuserwänden und hallte noch nach, als der Inquisitor längst zum Atemschöpfen innegehalten hatte. Lord Belzac ließ sich zu einem schiefen Lächeln hinreißen. »Dafür haben wir unsere loyalen Schergen«, sagte er glatt. Ich war mir nicht sicher, ob er mich einfach nicht ernst nahm, oder ob genau das Gegenteil der Fall war und er sich schlichtweg keine Blöße geben wollte. Deshalb sagte ich nichts weiter. Mir war klar, dass ich damit die Auseinandersetzung verlor. Aber das war mir lieber, als blind in mein Verderben zu rennen, indem ich jetzt eine falsche Bemerkung machte. Park wandte sich Mum zu. »Wie hat Ihr Vater das Schöpfen gemeistert?« Sie leckte sich über die Lippen. »Es hat an ihm gezehrt«, sagte sie kühl. »Danke der Nachfrage.« Jetzt verstand ich, dass der Inquisitor von dem Memorium sprechen musste. Ich gab mir keine Mühe, meine Abneigung zu verbergen. Was für ein Gewäsch! Er wusste doch, wie schwach Breca gewesen war. Er hatte alles mitangehört. Park lupfte über unsere Ablehnung die Augenbrauen, als sei er tatsächlich überrascht. Lord Belzac hakte die Arme locker vor der Brust ineinander. »Mrs Furlong, die Bänder werden vorrangig von meiner Garde abgehört, nicht von der Inquisition.« Ich wollte dazu eine Bemerkung machen, aber diesmal kam mir Mum zuvor. »Ich kenne Ihre Vollmachten, Sekretär«, entgegnete sie, in einem Tonfall, als sei das letzte Wort darüber noch nicht gesprochen. Lord Belzac hob den Zeigefinger zum Kinn. »Haben Sie Mr Adlard heute Nacht angetroffen?« Mum schüttelte mit bemerkenswerter Ruhe den Kopf. »Seitdem er gestern Abend gegangen ist, nicht. Er hat mir heute Nacht nicht aufgemacht.« Ich musste schlucken. Deshalb hatte sie auf meine Frage nach ihm so unterkühlt reagiert. »Dann werde ich sehen, wo er zu finden ist.« Lord Belzac nickte ihr knapp zu und wandte sich ab. Für ihn schien das Gespräch beendet zu sein. »Sekretär, ich denke nicht, dass er etwas mit Lestard zu tun hat«, sprang Mum in die Bresche. »Sie wissen, dass ich ihn gebeten habe, die Augen offen zu halten.« Lord Belzac drehte sich noch einmal zu uns um. »Nun, dann hat er bestimmt Einiges zu erzählen«, erwiderte er. Mum und ich trugen einen gleichsam verwirrten Gesichtsausdruck zur Schau. »Sie dürfen jetzt fahren«, fügte er hinzu und entließ uns mit einem Handwink. »Lassen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Machen Sie Ihre Besorgungen. Aber Mr Park wird Sie begleiten.« Mum versteifte sich merklich. Der Inquisitor zeigte keine Regung. Offenbar hatte Lord Belzac sich diesen Schachzug nicht spontan einfallen lassen. Mum und ich wechselten einen Blick miteinander. »Wie Sie wünschen, Sekretär«, sagte sie. Lord Belzac bedachte sie mit einem undeutbaren Blick. Dann wandte er sich endgültig ab und trat flink den Weg durch die Unterführung an, um zur Haustür zu kommen. Zumindest nahm ich an, dass er dorthin wollte; ins Haus, um meinen Großvater auseinanderzunehmen. Ich sagte gar nichts mehr. Meine Verwirrung war in der Tat perfekt. Parks Blick wanderte zwischen uns und dem sich entfernenden Sekretär hin und her. »Mr Adlard wird sich außerdem vor der Inquisition für das Antidot verantworten müssen, das er Ihrem Sohn zugesteckt hat«, erklärte er nüchtern. Mum verdrehte mit einem entwaffneten Seufzer die Augen. Ich glaube, beides galt Adlard. Ich wollte fragen, was dieses Antidot eigentlich bewirkte, biss mir aber auf die Zunge. Nachher konnte ich immer noch den Arzt damit löchern. Der wäre die bessere Adresse, sowohl die Kompetenz, als auch die Neutralität betreffend. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie amüsant Park meine Verwirrung über das Memorium gefunden hatte. »Haben Sie das Medikament da?«, fragte der Inquisitor in dem Moment. »Ich wollte es Faraday zeigen«, antwortete Mum und kramte die beiden Kapseln aus ihrer Jackentasche. Ich horchte auf. Hatte Breca ihr den Brief gezeigt, den mir der Augenarzt mitgegeben hatte? Vielleicht, dachte ich dann in einem Anflug von Sarkasmus, ist Faraday aber auch bloß noch ein weiterer alter Bekannter von ihr. Vielleicht würde er sogar alle anderen Termine umlegen, nur um Mum einen Gefallen zu tun? Ich verlor mich für einen Moment in meiner stillen Gehässigkeit. Das tat ungemein gut. »Eine Verpackung haben Sie nicht?«, hörte ich Park sagen. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu, wie er die Kapseln begutachtete. »Er hat Yuriy nur die zwei Tabletten gegeben«, erwiderte Mum. Parks Blick flackerte kurz zu mir herüber und ich nickte bekräftigend. Von der dritten, die ich verloren hatte, sollte er besser nichts erfahren. Ich hielt es für klüger, erst einmal den Mund zu halten und Mum das Feld zu überlassen. »Wenn Sie gestatten, wäre ich bei der Untersuchung gern dabei.« Der Inquisitor wartete Mums Nicken ab, dann warf er einen Blick auf seine Uhr. »Ich nehme an, sie haben einen Termin?« Mum bedachte mich mit einem kurzen Blick. »Nicht sofort«, erwiderte sie. Ein lauernder Ausdruck mischte sich in Parks aufmerksame Miene. »Ich hatte vor, im Deutschen Viertel Informationen zusammenzutragen«, räumte Mum ein. Ich musste aussehen, als hätte ich überraschend eine Ohrfeige bekommen. Park blickte skeptisch zwischen mir und Mum hin und her. »Mit dem Jungen im Schlepptau, meinen Sie?« Mums Züge verhärteten sich. Sie hatte mich sicherlich zum Warten im Auto verdammen wollen. Meine Fäuste öffneten und schlossen sich, und ich konzentrierte mich auf die Bewegung, bis ich spürte, dass ich ruhiger wurde. »Wird Mr Belzac denn nichts dazu sagen, Mr Park?«, fragte ich süßlich. »Die Inquisition ist Sekretär Belzac keine Rechenschaft schuldig«, antwortete er gelassen. »Dann jagen Sie beide Lestard?«, bohrte ich weiter. »Für Lestard ist die Garde zuständig«, entgegnete er und wandte sich wieder Mum zu. Ich beobachtete sie, wie sie mit zusammengepressten Lippen auf weitere Worte von ihm wartete. »Sekretär Belzac hat mich Ihnen als Begleiter zugeteilt, nicht als Wächter«, sagte er. »Ich werde Sie zu Faraday fahren und auch zum Deutschen Viertel, aber ich habe dort eigenen Geschäften nachzugehen.« Mum bedachte ihn mit einem langen Blick. »Das vergesse ich Ihnen nicht«, sagte sie. Park runzelte die Stirn. »Ich wüsste nicht, dass ich Ihnen irgendeinen Gefallen getan hätte«, erwiderte er. »Tun Sie, was Sie für richtig halten, und tun Sie nichts, was meine Aufmerksamkeit als Inquisitor erregen muss. Was ich sehe, sehe ich. Was ich nicht sehe, sehe ich nicht. Aber sollte Lord Belzacs Garde mich im Anschluss befragen, bin ich zur Wahrheit verpflichtet. Ich kann nicht beeinflussen, welche Schlüsse er daraus ziehen wird.« Ich musterte ihn eingehend. Falls er das bemerkte, ignorierte er es gekonnt. Mir kamen Mr Pilgrims Worte vom Vortag in den Sinn, dass wir uns an den Inquisitor halten sollten. Wenn er nicht zu den Lakaien des Ersten Sekretärs gehörte, war das womöglich ein besserer Rat gewesen, als Belzacs Gardist beabsichtigt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)