Perlmutt von Hepho ================================================================================ LEUCHTEN (V): »Wir werden Ihnen das Telefon natürlich ersetzen.« ---------------------------------------------------------------- Der Mann vor der Wohnungstür schob mit den Fingerspitzen seine Melone aus der Stirn. Er war ein hübscher, groß gewachsener Kerl, vielleicht Ende Zwanzig. Seine Miene war freundlich, und dafür hasste ich ihn sofort. »Es wäre wirklich bedauerlich, wenn Sie die Tür auch noch reparieren lassen müssten«, sagte er, entsicherte seine Waffe und legte auf das Türschloss an. Einen Moment lang überlegte ich, wie er von dem Telefon wissen konnte. Dann dachte ich, dass er mit Sicherheit jeden Schritt seines Begleiters verfolgt hatte. Kurzentschlossen griff Mum nach dem Schlüssel und drehte ihn herum. »Was machst du da!?«, stieß ich hervor und fasste sie am Ärmel. Mum erwiderte nichts, doch mir schwante, dass der Kerl vielleicht leichter zu überwältigen wäre, wenn er sich in der Wohnung befand. Ich wich zurück, als sie die Tür aufzog und jeden Muskel anspannte. Der Schönling ging augenblicklich einige Schritte rückwärts, um Abstand zu gewinnen. Mum erschlaffte. »Vielen Dank«, sagte er. »Und nun bitte ich Sie, zurückzutreten.« Er richtete den Lauf seiner Waffe auf sie, als sie keine Anstalten machte, sich zu rühren. Während sie sich langsam rückwärts zu mir tastete, fuhr er zu reden fort. »Eine sehr schöne Idee, Ihr Plan, mich an der Tür zu überrumpeln. Was hätten Sie letzten Endes getan, sobald Sie gemerkt hätten, dass Sie mir nicht das Wasser reichen können? Mir das Ding vor der Nase wieder zugeschlagen? Sie sind schon lange Zeit nicht mehr bei der Elite, nicht wahr? Schade, eigentlich. Das wäre für unser Vorhaben noch besser gewesen.« Elite, hallte es in meinem Kopf nach. »Was meinen Sie?«, rutschte es mir heraus. Mum versteifte sich. Der Blonde beäugte sie herablassend. »Wie, weiß der Junge gar nichts davon? Aber Sie haben es verstanden, nicht wahr? Sie wissen, wer wir sind.« »Nur nicht, was Sie von uns wollen könnten«, erwiderte Mum düster. »Einen Botengang.« Mit einem Wink seiner Waffe trieb der Schönling uns ans hintere Ende des Flures, aus dem Sichtfeld des Bullauges, und warf dabei einen mitleidigen Blick auf das kaputte Telefon. »Konnte er sich nicht beherrschen, der gute Lestard?« Ich wich zurück, bis mein Rücken gegen die Küchentür stieß. Der Name war wie ein Signalfeuer. Lestard Calhoun war der Mann, von dem jeder schon einmal gehört, den aber niemand je mit Sicherheit gesehen hatte. Stoff für Geschichten, und von denen gab es genug. Meine Fingerspitzen berührten das glatte Holz der Küchentür. Die Stille dahinter war noch immer vollkommen. »Es tut mir Leid, aber das Risiko, gestört zu werden, können wir einfach nicht eingehen.« Der Schönling lächelte uns freimütig an. Ohne die Waffe im Anschlag hätte er richtig nett ausgesehen. »Wir werden Ihnen das Telefon zu gegebener Zeit natürlich ersetzen.« Mum legte mir die Hand auf die Schulter. »Das müssen Sie nicht.« »Doch, ich besteh' darauf. Anstandshalber.« »Sie können anstandshalber die Waffe wegstecken«, feilschte Mum ruhig. »Wegstecken?« Der Schönling blickte auf die Pistole in seiner Hand, als sähe er sie zum ersten Mal. »Halt: Ich will Ihnen etwas zeigen!« Er zielte auf die Decke und drückte ab. Aus Reflex zuckte ich zusammen. Doch der einzige Laut, der sich der Pistole entrang, war ein müdes Klicken. Mum schrumpfte zusammen. »Sie haben geblufft.« Der Schönling steckte die Waffe ein und zwinkerte. »Das war schon immer der beste Weg, mit der Congregatio zu verhandeln.« »Die Congregatio?«, echote ich. Mein Herz machte einen Satz. Mum mied meinen Blick und starrte den Schönling durchdringend an. Ich war ahnungslos. Und deshalb, das sah ich jetzt, war Mum in die Ecke gedrängt. Ich schluckte. Die Congregatio Magica war die internationale Vereinigung der regierenden magischen Behörden und Institutionen. Eine Organisation, die Mum und Breca sogar des Öfteren verpönt hatten. Sie entschied über die Geschicke des Magiergeschlechts; sie betreute, unterrichtete, verurteilte ihresgleichen. Und meine Mutter – Mum, deren Augen ich nicht anders kannte als blutunterlaufen und blitzend – Mum, die gerne mal laut wurde und doch niemals aus der Haut fuhr – Mum, deren Rückkehr vom Außendienst Breca allabendlich angespannt erwartet hatte – Mum, die seit mehreren Wochen den lieben langen Tag im Büro an einem Schreibtisch saß und für ihren Abteilungsleiter Akten wälzte – Mum, der mittlerweile abends die Glieder zu schmerzen begannen wie einem in die Jahre gekommenen Baumeister – meine Mutter hatte im Namen der Congregatio beim Streifendienst Magier gejagt? Der Schönling blickte zwischen Mum und mir hin und her. »Qui, das war lang«, tadelte er mich vergnügt. »Le grand Aha-Effekt. Wirklich ein schönes Gefühl. Steigert die Neugier ins Unermessliche.« Er unterbrach sich und fügte mit einem entschuldigenden Achselzucken hinzu: »Und augenscheinlich der wunde Punkt in der Erziehung. Verzeihen Sie, das konnte ich ja nicht wissen.« »Natürlich nicht«, sagte Mum stimmlos. Ich starrte eine Weile auf die Fliesen zu meinen Füßen, dann wanderten meine Augen an dem Mann hinauf. Zuerst dachte ich, er trage Galoschen, aber das Leder seiner Schuhe war bloß entsprechend schwarz-weiß gearbeitet. Seine Hose hatte Bügelfalten, sein offener, schwarzer Mantel war schmucklos, aber elegant geschnitten. Einer von diesen gut betuchten, modebewussten Pinkeln also. In seiner Erscheinung ganz anders als Lestard. Der hier war gestriegelt. Ein Paradetier. Über dem Leibkkoppel, an dem seine Waffe gehangen hatte, lag noch ein weiterer Gürtel, sodass sich beide auf Hüfthöhe überschnitten. Auf der oberen Gürtelschnalle waren ein Schlüssel und ein Dolch eingeprägt, die sich kreuzten. Bevor die Regierung die Pressefreiheit eingeschränkt hatte, hatte Atlantis regelmäßig Kommentare und Anzeigen drucken lassen. In den Straßen hingen immer noch ständig neue Plakate, die die Polizei auf Anordnung von oben hin rigoros abriss. Auf all ihren Schreiben war dieses Wappen die typische Signatur von Atlantis gewesen, im Internet ihr Benutzericon in zahlreichen Foren. Das wusste ich noch aus dem Referat eines Mitschülers von der Gordon Stout. Viel mehr Raum im Lehrplan gestand man Atlantis dort nicht zu. Der Schönling schnippte mit den Fingerspitzen an die Krempe seiner Melone und drehte sich ein wenig, damit ich ihn besser begutachten konnte. Mir schoss die Röte ins Gesicht. »Behalte uns gut in Erinnerung, das wird dir von Vorteil sein.« Er zog vor mir den Hut und streckte mir die Hand hin, so wie es Lestard bei Mum getan hatte. »Gestatten: Princeps Jean Laval.« Unwillkürlich verlagerte ich mein Gewicht nach hinten. »So prominent bin ich nun auch wieder nicht«, erwiderte der Schönling kopfschüttelnd. »Sie werden gesucht«, sagte ich mit Grabesstimme. Mit einem resignierenden Seufzer richtete der Schönling sich auf. »Oh, wenn sie wollten, hätten sie mich längst gefunden.« »Das lässt sich bestimmt einrichten«, knurrte Mum. Das Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück. »In der Tat ist das der Plan«, erwiderte er. In diesem Moment spürte ich, wie die Küchentür in meinem Rücken aus dem Schloss glitt, und trat einen Schritt zur Seite. Synchron drehten wir drei uns um. Lestard Calhoun stand im Türrahmen. Ich stolperte zurück, doch er hatte gar keine Augen für mich. Mit einem knappen Handzeichen begrüßte er seinen Mitstreiter und wartete neben der offenen Tür, um meinem Großvater den Vortritt zu lassen. »Es freut mich, dass wir ins Geschäft kommen konnten, Mr Furlong«, sagte er und schüttelte Breca die Hand, der es eher über sich ergehen ließ, anstatt an der Geste teilzunehmen. Mein Großvater legte eine Hand an den Türrahmen, als er über die Schwelle trat, dann richtete er sich auf. Neben mir zischte Mum unwillkürlich. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als Breca zwar erschöpft, aber unverletzt und völlig klar auf uns zukam. Als Lestard unsere Körpersprache deutete, schnalzte er missbilligend mit der Zunge. »Jean – du mühst dich vergeblich. Sie sind nicht mehr besonders offen für neue Bekanntschaften.« Ich bemerkte, dass ich ihn anstarrte, aber das war mir egal. Erneut fing er meinen Blick auf. Wir standen uns direkt gegenüber, getrennt nur durch die Türschwelle. In Gedanken testete ich den Klang seines Namens, während ich seinen Blick erwiderte. Ein Mann, der durch seine Taten die Fantasie so vieler Menschen entfachen konnte, ohne ein Gesicht gehabt zu haben. Wenn man die Medien hörte, trug die Inkarnation von Schrecken und Bewunderung seinen Namen. Ich wandte die Augen ab. »Ca alors«, ließ sich Jean Laval vernehmen. »Dein guter Ruf eilt selbst meinem Charme voraus, mein Freund. Ich nehme an, ich habe einen langen Weg vor mir.« Er bedachte zuerst Lestard, dann mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Daran solltest du arbeiten, mein Junge. Deine Mutter war auch nicht immer so verbohrt.« Ich zog es vor, zu schweigen, während Mum teils besitzergreifend, teils beschützend die Hände um mich legte. »Das reicht jetzt«, sagte sie schneidend. »Mrs Furlong.« Mit einer galanten Verbeugung händigte Lestard ihr das Mobiltelefon wieder aus. »Bitte sehr, jetzt dürfen Sie. Und richten Sie meine Grüße aus. Wenn nötig, auch über Dritte. Ich habe länger nichts von mir hören lassen.« Lestards Blick wanderte ein weiteres Mal zu mir. Ich versuchte, unbeeindruckt auszusehen, und wusste, dass ich unglaubwürdig war. Ein Lächeln huschte über das vernarbte Gesicht. In seinem gesunden Auge blitzte ein Licht auf. Für einen Moment wirkte es, als blickte ich auf zwei irisierende Stücke glänzenden Porzellans. Ich schluckte. In Erwartung der Kopfschmerzen ballte ich die Hände zu Fäusten, aber nichts geschah. Lestard schenkte mir ein verschwörerisches Grinsen. »Mein Auge hat schon wieder Recht gehabt«, murmelte er. Mums Griff verstärkte sich. Ihre Finger gruben sich schmerzhaft in meine Schultern. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, woher Lestard von meinen Beschwerden wissen konnte. Die beiden Atlantiner wechselten einen bedeutungsschweren Blick. Lestard schlug den Kragen seines Mantels auf, sodass sein Gesicht von der Seite nicht mehr zu sehen war, und wandte sich noch einmal an meinen Großvater. »Wir werden pünktlich sein und erwarten das auch von Ihnen. Bitte nutzen Sie die Zeit aus.« Breca brachte nur ein verhaltenes Grunzen zustande. Jean zwinkerte mir zu und verbeugte sich mit gezogenem Hut vor Mum und meinem Großvater. »Im Namen von Atlantis danken wir Ihnen für Ihre Hilfsbereitschaft, Mr Furlong. Und Mrs Furlong: Selbstverständlich kommen wir auf das Telefon zurück.« Damit fiel die Tür ins Schloss. Einige Sekunden standen wir wie versteinert da. Dann griff Mum zum Handy. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)