Perlmutt von Hepho ================================================================================ LEUCHTEN (IV): »Wo bleiben Ihr Fingerspitzengefühl und Ihre Gastfreundschaft?« ------------------------------------------------------------------------------ Als der Mann die Küchentür hinter sich zuzog, sah Breca Furlong die undeutliche Ausbeulung im Stoff, wo die Schusswaffe im Mantelfutter ruhte. Der Kunde – Breca war dazu übergegangen, ihn im Geiste als solchen zu bezeichnen – überflog die hochwertige Kücheneinrichtung mit einem raschen Blick, ohne viel dafür übrig zu haben. »Hübsch haben Sie es hier«, stellte er beiläufig fest und klopfte auf die Granitarbeitsplatte. »Wer hat Sie geschickt?«, fragte Breca. Seine Stimme klang nicht so sicher wie er gewollt hatte. Der Kunde lachte. »Nicht so störrisch, Sie sind der Hausherr! Wo bleiben Ihr Fingerspitzengefühl und Ihre Gastfreundschaft? Gegen einen Tee hätte ich wirklich nichts einzuwenden«, lud er sich selbst ein und studierte die Etiketten verschiedener Mischungen, die auf einem Regalbrett neben der Theke aufgereiht waren. »Das lockert die Anspannung. Mr Furlong?« Er hielt Breca ebenfalls eine Tasse hin. Breca hob abwehrend die Hand. »Bitte, bedienen Sie Sich.« »Vielen Dank.« Der Kunde überhörte Brecas Schnauben und strich sich über die Narben am Kinn. »Ich arbeite für die weltweit größte Gegeninstanz der magischen Behörden«, sagte er verschmitzt. Dann wandte er sich ab, um an einigen Mischungen zu riechen, schließlich eine gläserne Tasse, das Teeei und, zu Brecas Verdruss, Charlottes Lieblingssorte auszuwählen. Der Kunde verfiel in Schweigen, während er das Wasser aufsetzte und aus der Innentasche seines Mantels eine Taschenuhr aus dunklem Metall zückte. Breca dämmerte, dass er nichts erfahren würde, ehe der Tee nicht fertig war. Vom Flur drangen die Stimmen seiner Tochter und seines Enkels dumpf unter der Tür hindurch. Er konzentrierte sich auf ihren Klang, unfähig, die einzelnen Worte zu verstehen. Eine dumpfe Angst kroch ihm in die Knochen, als er seine Aufregung nicht niederkämpfen konnte. »Ich bedaure Ihre Abneigung«, sagte der Kunde plötzlich. Breca starrte ihn erschrocken an. Die Taschenuhr schnappte klickend zu. Der Kunde wog sie noch einen Moment in den Händen, ehe er sie wieder in die Tasche gleiten ließ. »Ich vertrete eine Vereinigung von internationaler Bedeutung. Sie sollten Sich geehrt fühlen, dass ich Sie in Auftrag nehme«, erklärte er und entsorgte den Teebeutel nach einem kurzen suchenden Blick und einem Wink vonseiten Brecas im Müll. »Ich fühle mich beleidigt«, erwiderte Breca trocken. »Natürlich.« Der Kunde lächelte nach wie vor. »Es ist nur ein Anraten: Sie sollten umdenken.« Plötzlich verengte er die Augen zu Schlitzen, als störe ihn irgendetwas. Er pochte vernehmlich gegen die Küchentür und sagte zu ihr: »Das gehört sich nicht.« Brecas ängstlichem Blick begegnete er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. »In alten Häusern haben Türen und Wände Ohren.« Seine Finger kreisten über den Tassenrand und erzeugten einen summenden Ton, der die Küche erfüllte. Es erschien Breca, als vibriere die Luft unter einer plötzlichen Spannung. Der Kunde fuhr unbeirrt laut zu reden fort: »Sehen Sie, dass wir ausgerechnet Sie ausgesucht haben, dient einem reinen Demonstrationszweck. Da Charlotte mich durchschaut hat, kann sie sich das mittlerweile wahrscheinlich denken.« »Sie durchschaut?«, wiederholte Breca argwöhnisch. Der Kunde bleckte die Zähne zu einem Grinsen. Das Geräusch, das seine Finger auf dem Tassenrand erzeugten, schwoll weiter an. Breca hatte Mühe, sich zu konzentrieren; der Ton surrte in seinen Ohren wie ein Mückenschwarm. »Würden Sie das bitte unterlassen!« »Entschuldigen Sie.« Der Kunde tat wie geheißen. Das Summen erstarb, doch die Spannung hüllte die beiden Männer unverändert ein. »Es wäre zuvorkommend, wenn Sie uns ein wenig unterstützen könnten«, fuhr der Kunde unbekümmert fort. Breca runzelte die Stirn. »Die ganze Maloche, um der Congregatio ein Bein zu stellen? Ich dachte, Atlantis hätte höhere Ziele.« »Wie findig, Mr Furlong!« »Das soll vorkommen«, schnaubte Breca. »Wir haben leider nicht mehr besonders viele Möglichkeiten, unsere Ideen öffentlich kundzutun.« Der Blick des Kunden wurde für einen Augenblick weich. »Leider steht uns die Congregatio im Weg. Sie hat etwas, das wir brauchen, das ist unser Problem.« »Anteil an der Regierung?«, schlug Breca vor. Der Kunde lachte auf. »Verschriftlichtes magisches Wissen!«, sagte er gewichtig. »Wenn Sie, Mr Furlong, für uns den Schlüssel schmieden, können wir den Senat getrost umgehen. Und damit die gesamte Congregatio.« »Sie dürfen gern ein wenig deutlicher werden.« Erneut klang Brecas Stimme nicht so scharf wie geplant. Der Kunde nippte an seinem Tee. Sein Gesicht nahm einen fast angeekelten Ausdruck an. »Es ist widerwärtig, wie instabil solche Organisationen sind, nicht wahr, Mr Furlong? Vergiftet vom Zahn der Zeit, vernichten sich die zukünftigen Größen gegenseitig, wie frisch geschlüpfte Bienenköniginnen. Sie versuchen die anderen auszustechen, solange diese schwächer sind, bis nur noch sie selbst übrig bleiben. Und der ganze vermaledeite Schwarm legt seine gesamten Hoffnungen auf diese eine Biene. Schicke eine Wespe hinzu, die einmal gezielt zusticht, und sofort herrscht heilloses Durcheinander.« Einen Moment lang schwieg der Kunde versonnen. Breca biss die Zähne zusammen. »Es ist ein Jammer, dass dabei die Wespe meistens wie ihr Opfer enden muss.« Dieser Gedanke schien den Kunden zu faszinieren. Er schwelgte einen Moment lang in seiner Vorstellung, als hätte er vergessen, dass Breca sich im selben Raum befand. Dann, als würde er sich der Wirkung seines Verhaltens plötzlich bewusst, schenkte er Breca ein gewinnendes Lächeln. »Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Seien Sie versichert, dass Ihr Verdienst an unserem Plan reich entlohnt wird.« Breca verlagerte sein Gewicht auf sein anderes Bein. »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, worin der Plan eigentlich besteht.« »Sie kennen Ihren Anteil«, erwiderte der Kunde. »Das sollte genügen.« Breca fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er musste diesen Mann hinhalten, bis die Behörden anrückten. Gewiss würden seine Tochter und sein Enkel irgendwie die Gelegenheit nutzen. »Wie viele haben Sie vor mir schon gefragt?« »Präzise?« Der Kunde prostete ihm zu. »Sie sind der Einzige.« Breca schluckte hart. »Und wie komme ich zu der Ehre?« Der Kunde lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete ihn. »Bitte verstehen Sie mich strategisch. Die Congregatio Magica unterschätzt Atlantis. Unser Wissen kann ihr das Genick brechen, doch solange wir nichts beweisen können, glaubt sie sich sicher. Wir brauchen den Schlüssel bloß, um diesen einen Beweis erbringen zu können.« »Das Wissen worum?« Der Narbige zwinkerte ihm zu. »Genau davor hat die Congregatio Angst. Dass wir es ausplaudern.« Breca atmete tief durch. Das war doch alles heiße Luft! Wenn er weiter Zeit schindete, bekam er vielleicht das eine oder andere aus dem Kunden heraus. »Sie sind bewaffnet. Welche Gefahr droht Ihnen durch mich?« Der Narbige lächelte freudlos und legte den Kopf schief. »Nun, in Anbetracht dessen, dass Ihre Tochter eine ausgebildete Spitzenagentin ist, die nur ihrer Familie zuliebe den direkten Senatsdienst quittieren musste, lassen Sie mich bitte kurz überlegen.« Verwirrt schüttelte Breca den Kopf. Wie kam es diesem Mann in den Sinn, zu spotten und zugleich die eigene Schwäche einzuräumen? »Wie heißen Sie?« Der Narbige schaute interessiert auf. »Was tut das zur Sache?«, erkundigte er sich spielerisch. »Ich weiß gerne, mit wem ich Geschäfte mache.« »Also ziehen Sie es in Erwägung.« Breca schwieg. Der Narbige spielte gelassen mit seiner Tasse. »Die Congregatio kennt mich bereits«, sagte er beiläufig. »Sie übrigens auch.« Breca verschränkte die Arme. »Das bezweifle ich.« »Nur, weil Sie nicht genau hinsehen.« »Um ehrlich zu sein, wünschte ich, Sie würden sich auf der Stelle umdrehen und verschwinden.« »Ich bin kein guter Umgang für Ihre Tochter«, erwiderte der Narbige. »Ich weiß. Das haben Sie damals auch gesagt.« Breca hatte schon zu einer Erwiderung angesetzt, als ein Gedanke ihn stocken ließ. Bilder aus seiner Erinnerung blitzten auf. Holzfronten. Charlotte, in der offenen Tür stehend. Ein zertrümmerter Rahmen. Scherben eines Spiegels. Statt des beabsichtigten Donnerwetters brachte Breca nur ein gehaltloses Stammeln hervor. Wütend auf sich selbst, zwang er sich zum Durchatmen. »In zwölf Jahren ändert sich Einiges.« Der Kunde fuhr versonnen die Konturen seiner Narben entlang. »Lestard dürfte genügen.« Breca zuckte zurück. Er kannte den Namen. »Lestard« tauchte regelmäßig in den Medienberichten auf. Fernsehen und Zeitungen erhoben jedes Gerücht über ihn zur Legende und ihn selbst zum wandelnden Mysterium. Es gab keine scharfen Bilder von ihm; keine offiziellen zumindest. Mit einem gesichtslosen Dämon, der England aus dem Schatten heraus tyrannisierte, ließ sich anscheinend der größere Profit machen. Aber Breca brauchte weder Medienfotografien, noch Schlagzeilen. In seiner Erinnerung flackerten die Spiegelscherben im Lichtschein auf, wie eine Pfütze über den Boden gebreitet. »Du bist Lestard Calhoun«, murmelte er heiser. »Dann gibt es dich wirklich noch. Dass du dich hierher traust ...« Der Narbige lächelte. »Ja, der Lestard. Der von Hausdach zu Hausdach fliegen kann und in einem Gefecht am helllichten Tage zwanzig Spitzenagenten der Congregatio mit einem Augenaufschlag ausgeschaltet hat. Der Neulinge für Atlantis rekrutiert, indem er sie im Vorübergehen anhaucht und sich somit untertan macht. Der Flugblätter mit seinem eigenen Blut geschrieben und die Taubenschwärme Londons verhext hat, sodass sie sie in jeden Winkel der Stadt trugen und ihren Inhalt von allen Dächern gurrten, damit auch der letzte seine Botschaft verstand.« Er lachte schallend. »Genau genommen, war es das Blut der zwanzig Agenten, aber erzählen Sie es nicht weiter.« Breca schüttelte den Kopf. »Der Lestard, der sich hinstellt und seinen Vertrauten eine Waffe unter die Nase hält. Charlotte hat mir damals gesagt, dass du dich verändert hättest. Nicht nur äußerlich, wie ich sehe. War es das wert?« »Das wird sich zeigen.« Der Narbige tippte mit den Fingerspitzen gegen die Tasse. »Damals haben wir unsere Entscheidungen getroffen, Charlotte und ich. Und bisher stehen wir beide ganz gut dazu.« Breca schluckte; in seinem Mund sammelte sich Gallegeschmack. »Gut. Hören Sie, Lestard.« Es war ein Name, den man hörte und benutzte. Aber nun sprach er den Menschen an, über den man sonst nur im Kreis mit anderen redete – zum ersten Mal seit Jahren. Der Kunde streckte sich. »Gehen wir wieder zur offiziellen Form über?« Es war eher eine amüsierte Feststellung denn eine Frage. Breca überging den Einwurf. »Wenn das für Sie ein Geschäft ist ...« »Nicht mehr und nicht weniger.« »Dann sind wir nicht gerade vielversprechende Partner. Wie Sie bereits bemerkt haben, hat sich Charlotte vom Senatsdienst zurückgezogen. Wir können Ihnen nicht helfen.« »Seit wann geht die Aufgabe eines Berufes mit der Aufgabe einer Berufung einher?«, entgegnete der Narbige amüsiert. Breca stutzte. »Haben Sie diese Phrasen etwa einstudiert!? Ich für meine Begriffe bin nicht bereit, als Wespe zu enden.« »Sie wissen sehr gut, wie ich zu dieser ›Phrase‹ stehe.« Lestards Blick schnitt wie ein Messer in den seinen. Breca zwang sich, standzuhalten. »Sicherlich stehen Sie deshalb jetzt vor mir.« Lestard kniff die Augen zusammen. »Es geht mir nicht um Charlotte«, sagte er. »Mich interessiert der Schlüssel und dass Sie ihn schmieden können. Ich ziele auf Kooperation ab, Mr Furlong. Ich lasse Ihnen bei diesem Vorhaben die Sicherheit des Opfers zukommen. Aber diesen Luxus wissen Sie nicht zu schätzen.« Breca richtete sich gerade auf. Seine Taktik funktionierte vielleicht doch. »Lebensgefahr betrachte ich nicht als Luxus. Wir haben keine Verbindungen mehr, die nützlich für Sie wären. Suchen Sie sich einen anderen Schmied.« Lestard schüttelte ausdruckslos den Kopf. »Und woher haben Sie die Alarmanlage? Woher wussten Sie, dass wir jemanden schicken werden?« »Woher wussten Sie, dass wir die Anlage haben?«, erwiderte Breca trocken. »Darauf wollte ich hinaus. Wir haben unsere Augen und Ohren überall, das wissen Sie. Sie scheinen sie zumindest in einigen Ecken zu haben.« Ein kalter Zug an Lestards Lächeln ließ Breca frösteln, doch er schüttelte den Schauer ab. »Ihre Standhaftigkeit ist bemerkenswert, Mr Furlong. Ich sehe, durch die Blume verstehen Sie es nicht.« Lestard wog die Tasse in den Händen. Seine raue Stimme hatte ihre Leichtigkeit verloren. »Ich habe mich mit diesen Floskeln aufgehalten, weil ich davon ausgegangen bin, Sie erkennen Ihre Lage von selbst. Sie sind beileibe nicht in der Position der freien Wahl.« Einen Moment starrte Breca ihn unschlüssig an. Dann zeigte sich Begreifen auf seinen Gesichtszügen. »Was passiert da draußen mit meiner Familie?«, stieß er entsetzt hervor und ließ sich auch von Lestards beschwichtigend gehobener Hand nicht abwürgen. »Das allgemeine Bild von mir macht es schwer glaubhaft, aber das würde ich nicht wagen. Soweit sieht der Plan vor, dass Sie drei unangetastet bleiben.« Der Narbige nickte verständnisvoll. »Das ist alles etwas viel auf einmal, ich weiß. Sie werden die Congregatio bitte über unser Vorhaben informieren. Mein Kollege ist gerade draußen und erklärt Charlotte, wie sie vorzugehen hat.« »Ihr Kollege«, echote Breca. »Sie sehen doch, dass ich nicht zu ihr durchdringe.« Breca zwang sich, ruhig zu atmen. »Auch ein ...« »Princeps«, führte Lestard den Satz zu Ende, als Brecas Stimme brach. »Selbstredend. Sehen Sie jetzt, von welcher Bedeutung ihr Mitwirken ist? Für Ihre Dienste ist uns nichts zu schade.« Breca ballte die Hände zu Fäusten. »Hatten Sie die Idee?« Der Narbige warf einen nachdenklichen Blick in seine Tasse. »Reden Sie!«, fauchte Breca ungehalten. Lestard wandte sich ihm wieder zu. »Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit. Der Hauptköder sind gar nicht Sie, Mr Furlong. Auch nicht Charlotte. Ich genieße einen Bekanntheitsbonus, von dem die meisten anderen nicht einmal träumen. Sie sollen den Hund zum Anschlagen bringen, mehr nicht.« Breca schnappte nach Luft. »Sie verlangen also allen Ernstes von mir, dass ich Atlantis helfe, die Congregatio zu stürzen?« Vor Lachen verschüttete Lestard beinahe seinen Tee. »Stürzen! Wer wird denn gleich größenwahnsinnig werden? Nein, Mr Furlong, Sie sollen uns nur helfen, sie zu umgehen«, korrigierte der Narbige ihn geduldig. »Schmieden Sie den Schlüssel. Sie können Sich entscheiden, ob Sie es lieber hier tun und die Congregatio informieren wollen – sie wird die Herausforderung annehmen, dessen bin ich mir sicher – oder ob mein Kollege und ich Sie drei an einem Ort unterbringen sollen, an dem Sie ungestört arbeiten können. Natürlich nicht auf Dauer.« Breca machte einen Schritt auf ihn zu. »Sie rühren weder Charlotte, noch Yuriy an.« Lestard schüttelte den Kopf, als hätte er ein trotziges Kind vor sich. »Das ist der Plan, Mr Furlong. Sie würden es gut haben, glauben Sie mir. Aber ich will Sie als Mittelsmann. Wenn ich Sie in meine Obhut nehmen würde –« »Obhut!«, fauchte Breca. »Obhut«, beharrte Lestard. »Dann müssten Sie Sich im Anschluss ganz auf sich gestellt mit der Neugier der Congregatio herumschlagen, während wir wieder in der Versenkung verschwänden. Ich bin nicht bereit, jemanden mit durchzuziehen, der sich nach Kräften wehrt.« Breca starrte ihn an. »Ja, das leuchtet Ihnen ein«, sagte der Narbige langsam. Breca fühlte sich unter Lestards eindringlichen Blick schrumpfen. Er wollte etwas erwidern, aber ihm versagte die Stimme. »Da wir entgegenkommend sind, empfehle ich Ihnen, die erste Möglichkeit zu wählen«, half Lestard nach. »Sie sollen die Congregatio nur auf die richtige Spur führen. Das macht es für uns alle einfacher.« Er verzog die Lippen zu etwas, das vielleicht als Lächeln geplant gewesen war, das in der Ausführung jedoch gründlich misslang. Breca konnte nur den Kopf schütteln. »Lestard, hören Sie Sich denn selbst nicht reden?« Lestard spülte die Tasse unter fließendem Wasser aus und trocknete sie sorgfältig ab. Breca beobachtete, wie er sie an ihren Platz zurückstellte und behutsam zurechtrückte, bis es schien, als wäre sie nie benutzt worden. »Meine Prioritäten stehen fest, Mr Furlong«, sagte er nachdrücklich, als er sein Gegenüber wieder ins Auge fasste. »›Die Sicherheit des Opfers‹ nennen Sie das.« Breca holte tief Luft. Er würde zu diesem Mann nicht durchdringen. Jedenfalls nicht so. »Wenn ich den Schlüssel schmieden soll«, sagte er, »werde ich seine Zielorte erfahren. Das ist unvermeidlich. Sie können mir keine Sicherheit garantieren.« Lestards Blick wurde fast weich. »Die Zielorte erfahren? Tja, und das war es dann. Sie dürfen der Congregatio alles erzählen, was ich Ihnen erzähle. Glauben Sie mir, Sie werden nichts zu befürchten haben. Letztendlich sind Sie wahrscheinlich sogar nur der Botenjunge und nicht einmal der Schmied.« Breca sog scharf die Luft ein. »Sie meinen …« »Die Congregatio wird kein Risiko eingehen. Man wird Ihnen die Zügel aus der Hand nehmen wollen. Das kann doch nur in Ihrem Interesse sein, wenn Sie erlauben. Im Übrigen kennen Sie die Zielorte längst.« Breca riss die Augen auf. »Dann sagen Sie mir, wohin es geht«, erwiderte er herausfordernd. »Haben Sie Blut geleckt?« Lestard zeigte ihm die gebleckten Zähne. »Ich habe Ihnen gesagt, dass es mir um das Wissen geht. Ich möchte, dass Sie mir einen winzigen Gefallen tun, sobald die Congregatio den Schlüssel für sich beansprucht.« Breca wartete ab, doch statt weiterer Ausführungen kleidete sich Lestard in verheißungsvolles Schweigen. Also gab er sich einen Ruck. Vielleicht erfuhr er mehr, wenn er dem Narbigen ein Stück weit entgegenkam. »Hinter dem Rücken der Congregatio soll ich Ihr fleißiges Bienchen spielen, was?« Lestards Gesicht erstrahlte in einem breiten Lächeln. »Nur einen Augenaufschlag lang, wenn die Congregatio längst von Ihnen abgelassen hat. Das werden sie gar nicht mehr mitbekommen. Ich weiß meine Spuren zu verwischen.« »Allerdings«, murmelte Breca steif. Lestard lehnte sich wieder gegen die Arbeitsplatte und kreuzte die Beine übereinander. »Gefällt Ihnen Ihr Anteil am Plan?« Breca fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Hieb ins Kreuz erteilt. Er hatte tatsächlich Hoffnungen gehegt, diesen Mann unbehelligt abweisen zu können. Den alten Ärger hatten er und Charlotte hinter sich gelassen. Er wollte keinen neuen. Er bezweifelte, dass Lestard bei der Erwähnung seines Amtsbruders gelogen hatte. Wenn der Schlüssel für Atlantis tatsächlich eine so gewichtige Bedeutung hatte, wäre es dumm gewesen, mit seinem Anliegen allein herzukommen. Lestard hatte ihm soeben frei heraus einen Putschversuch angekündigt, auch wenn er es abzustreiten versuchte. Breca konnte sich nur schwer vorstellen, dass die Congregatio seine Familie übergehen würde. Nun, zumindest würde er nachweisen müssen, dass er wirklich nicht mehr wusste als das, was Lestard selbst preisgegeben hatte. Charlotte würde sich der Prozedur ebenfalls unterwerfen müssen. Aber sie wusste, was sie erwartete. Yuriy war die ganze Zeit über bei ihr gewesen. Also hatte er keinen gänzlich neuen Blickwinkel beizusteuern und würde unangetastet bleiben. Und damit wäre die Sache im Kasten. Vielleicht ging es ja schnell. Breca ächzte über seine eigenen Gedanken. »Was Sie tun, tun sie allein für die Sicherheit Ihrer Familie«, sagte Lestard. »Für die Congregatio sind Sie beliebig austauschbar.« »Und warum dann nicht für Sie!?«, fuhr Breca ihn an. »Weil die Congregatio aufhorcht, wenn der Name Ihrer Tochter, Atlantis und meine Wenigkeit in einem Atemzug genannt werden. Und weil Sie einen Tag lang für mich arbeiten sollen. Das Werkzeug wird natürlich gestellt.« Damit förderte Lestard aus einer Innentasche seines Mantels ein langes, schmales Lederetui zutage. Brecas Augen weiteten sich. Die Form war ihm nur allzu vertraut. »Memorien?«, entfuhr es ihm. Lestard grinste. »Memorien«, erwiderte er und öffnete das Etui. Zum Vorschein kam eine Reihe murmelgroßer Kugeln, eingebettet in weiches Futter. Im Licht der Küchenlampen schimmerten sie, als hätte man sie mit Öl übergossen. Für die Öffentlichkeit waren sie nicht zugänglich, die einzige Instanz, die überhaupt damit arbeiten durfte, war der Congregatio angegliedert. Einen Augenblick lang betrachtete Breca die Kugeln, Verzücken auf dem Gesicht. Dann riss er sich zusammen. »Woher haben Sie die?« Lestard zuckte schelmisch die Achseln. »Es sammelt sich Einiges an, wenn man herumkommt.« Breca stieß die Luft aus. »Ich nehme an, davon soll ich der Congregatio auch erzählen?« »Natürlich. Ich sagte ja, ich brauche nur einen Schmied mit dem nötigen Fachwissen.« »Damit meinen Sie die Zielorte«, erwiderte Breca. Lestard breitete die Arme vor ihm aus. »Ich dachte, jemand, der die Zielorte bereits kennt, ist der geeignetste Kandidat. Und damit kommen wir zu dem eigentlichen Gefallen, um den ich Sie bitte. Ich will Sie nicht als Schmied für den Schlüssel. Ich will nur eine Erinnerung.« »Nur eine Erinnerung«, wiederholte Breca ironisch. »Eine geografische, um genau zu sein.« Breca lächelte dünn und zwang sich, von den schimmernden Kugeln aufzusehen. »Die gleiche wie die für die Congregatio, nehme ich an.« Lestard lachte. »Oh, wenn Sie mir schon anbieten, zwei zu schöpfen ...« Breca schnaubte. »Was missfällt Ihnen, mein lieber Mr Furlong?« Breca schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich sehe klarer.« Lestard blinzelte ihm zu. »Ich bin gespannt.« »Sie haben einen anderen Schmied für den Schlüssel, richtig? Sie brauchen nur die Zielorte von mir.« Lestard nickte zufrieden.. »Und das ist die einzige Information, die Sie der Congregatio nicht geben sollten. Zu Ihrer eigenen Sicherheit.« Breca widerstand dem Impuls, sich durchs Haar zu fahren. Im nächsten Moment fragte er sich, weshalb er noch den Schein wahren wollte. Einen größeren Dämpfer hätte Lestard ihm nicht versetzen können. Seine Hilflosigkeit lag offen. Er hatte nichts zu verbergen. Ein offenes Lächeln legte sich auf Lestards Züge. »Sorgen Sie dafür, dass Sie an die richtigen Leute geraten. Sie werden nicht mehr tun müssen als eine Alibifunktion bei der Übergabe auszuführen, damit der Plan stimmig bleibt. Mit dem ganzen Rest haben Sie nichts zu tun. Sobald die Congregatio auf den Weg gebracht ist und ich meine Erinnerung habe, sind Sie fein raus, das versichere ich Ihnen.« Er lehnte sich zurück. »Und jetzt sind Sie an der Reihe.« Breca sank gegen die Küchenzeile. »Warum gehen Sie das Risiko ein?« Lestard zuckte die Achseln. »Aus demselben Grund wie Sie und Charlotte damals.« »Das will ich kaum glauben«, murmelte er. »Meine Schäfchen sind bloß ungleich vielzähliger.« Breca sackte auf einem Hocker an der Theke zusammen, grub die Hände in sein schütteres Haar und atmete tief durch, Lestards geduldigen, eindringlichen Blick im Nacken. Atlantis oder die Congregatio allein waren gefährlich, die Opferrolle die Alternative. So sehr er sich gegen Lestards Idee wehren wollte, so schlüssig erschien sie ihm. Aber sie war so abhängig von der Reaktion der Behörden. Konnte er sich auf Lestards Erfahrung verlassen? Und überhaupt – auf sein Wort? Der Gram über seine eigene Ohnmacht entrang ihm einen gequälten Seufzer. Ausgerechnet das Wort von Lestard Calhoun. Breca richtete sich auf. »Habe ich Ihr Wort, dass Sie wissen, was Sie tun?« »So wahr ich als Princeps vor Ihnen stehe«, erwiderte Lestard und streckte die Hand aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)