Das Neue Leben von Nightowl (Nach dem Erwachen) ================================================================================ Kapitel 4: ~ Hunger ~ --------------------- Wie lange er so durch den flüsternden Garten gestreift war, wusste er nicht. Sein Herz, das schon so lange nicht mehr schlug, bereitete ihm derart überwältigende Schmerzen, dass er es fast nicht mehr aushielt. Er hielt sie nur aus, weil ihm der Gedanke an Hizaki die Kraft dazu gab. Die Wege wurden immer verwachsener und dorniger, als wollten die Rosen verhindern, dass jemand zu tief in ihr Königreich eindrang. Doch immerhin hatte es vormals Kamijo gehört und deshalb bahnte er sich ungeachtet dieser Feindseligkeit geschickt seinen Weg durch die Ranken, die sich nicht nur über die steinernen Wege, sondern auch über Mauern, Brunnen und Skulpturen rankten. Mit jedem Schritt fühlte er, dass hier etwas nicht stimmte. Ihm dämmerte, dass er nicht der einzige war, der sich heimlich ins Reich der Rosen geschlichen hatte. Seine Sinne schärften sich und seine Augen durchdrangen mühelos die Dunkelheit. Angestrengt lauschte er in die Stille hinein, geräuschlos glitt er über den Boden. Angst verspürte er keine, jedoch wollte er alleine mit seinen Gedanken sein und durch nichts und niemanden dabei gestört werden. Ein fast unhörbares Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit. War es der Flügelschlag einer Fledermaus gewesen? Oder ein verhöhnendes Rascheln der Rosen oder ein Windstoß in den Blättern der Bäume hoch über dem Garten? Nein, Kamijo war sich sicher, dass es etwas anderes gewesen war. Oder vielmehr jemand anders. Langsam schritt er weiter, jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Er merkte, wie er sich der Quelle des Geräusches näherte, fühlte die Anweseinheit anderer. Nun hörte es sich so an, als würden sich zwei Stimmen miteinander unterhalten, ganz sachte und gedämpft. Eine Vorahnung beschlich Kamijo und er tastete sich weiter vor, ohne einen Laut von sich zu geben. Vor ihm tauchte ein marmorner Springbrunnen auf, dem natürlich schon seit Ewigkeiten kein frisches Wasser mehr entsprang. Kamijo blieb an dessen Rande stehen und blickte in das Wasser, welches trotz all den Jahren auf wundersame Weise glasklar geblieben war. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Diejenigen, die er suchte, befanden sich am gegenüberliegenden Rande des Brunnens, das wusste er mittlerweile. Doch dort war niemand zu sehen. Allein die fühlbare Anwesenheit und die verhaltenen Geräusche verrieten jene, die sich dort befanden. Kamijos Verdacht setzte sich immer mehr in ihm fest, langsam setzte er sich in Bewegung und ging den Brunnenrand entlang. Es tauchten zwei Gestalten in der Dunkelheit auf, die er nur zu gut kannte. Yuki saß dort auf dem Steinboden, seine ganze Aufmerksamkeit galt einer Person, die neben ihm kauerte, in einem langen, prachtvollen Kleid, in den Haaren trug sie aufwendigen Schmuck. Die beiden waren sich zugewandt, Yukis Hand strich sanft über das Gesicht von Jasmine You, in seiner anderen Hand hielt er zärtlich die des anderen. Als Kamijo das sah, gefror sein Inneres zu Eis. Er konnte ein Zittern nicht unterdrücken und dieser Moment der Unachtsamkeit verriet ihn. Die beiden blickten erschrocken auf und erkannten den, der vor ihnen stand. Nach einigen endlosen Momenten der Stille sagte Kamijo mit starrem Blick: „Wie ich sehe, bist auch du nun hier, Jasmine You. Zu viert sind wir jetzt also ... nur zu viert ...“. Die letzten Worte galten mehr ihm selbst als den beiden, sie drangen nur leise über seine Lippen. In ihm begann es zu brodeln, seine Gefühle züngelten wie Flammen in ihm empor. „Ich grüße Euch, Herr“, sagte Jasmine You, um die Form zu wahren, so gut es in dieser Situation eben ging. Kamijo ignorierte ihn, er hatte sich selbst fast nicht mehr unter Kontrolle. Was sollte er nur tun, er wollte irgendetwas tun, um seiner Gefühle Herr zu werden, doch er wusste nicht, was. „Ist Hizaki denn noch nicht gekommen?“, fragte Yuki mit einem Unterton in der Stimme, der Kamijo aus der Fassung brachte. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen, nicht auf diese Art und Weise. Mit einem Satz erhob er sich in die Luft, rauschte über die Rosen, die Mauern und die Dächer und verschwand in der Nacht, das schweigende Schloss hinter sich zurücklassend. Die Bäume zogen an ihm vorbei, aufgebracht hetzte Kamijo durch den Wald. In seiner Rage riss er einen Hirsch und obwohl das Blut eines Tieres an Abscheulichkeit keine Grenze kannte, trank er es doch in großen Zügen, ohne viel nachzudenken. Er wollte der Szene, die sich ihm eben geboten hatte, entfliehen und schon ging sein nächtlicher Flug durch die Nacht weiter. Seine Gefühle rasten durch seinen Körper, dass er sie gesondert gar nicht wahrnehmen konnte, er spürte nur einen einzigen übelkeiterregenden Wirbel in sich. Obwohl der Wald riesengroß war, erreichte er schnell das Ende und er jagte über eine leere Ebene, über der die Sterne wie Diamanten funkelten. Kamijo wusste, dass er eigentlich im Schloss bleiben sollte, denn dort war ihr ausgemachter Treffpunkt und zur Stunde war Hiazki vielleicht schon dort. Er stieß einen schmerzlichen Schrei aus und änderte doch nicht seine Richtung. Langsam tauchte eine Ortschaft vor ihm auf, er sah die Lichter der angezündeten Laternen in der Ferne deutlich flackern. Durst blitzte in Kamijos Augen auf, er wollte eine richtige Mahlzeit, der scheußliche Geschmack des Hirsches brannte ihm noch immer im Mund. Einen Menschen oder zwei würde er kosten, dann würde wieder in das Schloss zurückkehren, diesen Kompromiss schloss er mit sich selbst. Geräuschlos wie ein Schatten huschte er durch die Straßen und Gassen. Ratten tummelten sich in den dunklen Seitenstraßen, wo sie genau wie Kamijo nach Nahrung suchten. Niemand war unterwegs in der Stadt, gerade so, als ob die Einwohner wüssten, welch hungrige Kreaturen sich durch die Nacht trieben. Alle waren sie wohl in ihren Häusern geblieben, die Kamijo nicht betreten konnte. Denn solange man ihn nicht freiwillig hereinbat, war es ihm nicht möglich, einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Er versuchte, auf das kleinste, leiseste Geräusch zu achten, denn vielleicht trieb sich ja doch noch jemand herum zu so später Stunde. „Sind sie gewarnt worden?“, fragte sich Kamijo und lauschte. „Wissen die Leute, dass Vampire in der Gegend sind? Es sieht fast so aus ...“ Plötzlich vernahm er ein lautes Gejohle ein paar Straßen weiter. Er erhob sich auf die Dächer und erspähte von dort aus die Quelle des Geräusches. Es waren zwei Leute, die aus einem Wirtshaus getorkelt kamen, genauer gesagt, einer der beiden stützte den anderen, der offensichtlich einen oder auch mehrere über den Durst getrunken hatte. Er lallte vor sich hin und tat sich schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. „Mann, musste das wieder so weit kommen, Vlad?“, regte sich der Nüchterne auf und zerrte den Betrunkenen die Straße entlang. „Jetzt muss ich dich auch noch heimbringen. Ich sag dir, lang mach ich das nicht mehr mit.“ Vlad nuschelte unverständliche Wortfetzen. Kamijo verfolgte die beiden gestandenen Männer, bis sie zu dem Haus gelangte, in dem Vlad wohnen musste. Er wartete auf einem Dachsims gegenüber, bis der andere wieder hinauskam und sich auf seinen Heimweg machte. Kamijo leckte sich die Lippen. Er spürte, wie der Hunger ihn gierig machte. Das war seine Mahlzeit für heute Nacht, etwas besseres konnte er wohl nicht erwarten, dies war wohl seine einzige Gelegenheit. Als er einige Straßen weit gegangen war, stürzte sich der Vampir auf ihn und tötete den Mann ohne mit der Wimper zu zucken. Er war gerade nicht in der Stimmung, mit seinem Opfer zu spielen und wenn die Einwohner wirklich auf der Hut waren, musste auch er Acht geben. Er trank das Blut in großen Zügen und er spürte eine gewisse Genugtuung, als das rote Lebenselixier seine Kehle hinabrann. Nun war er bereit, ins Schloss zurückzukehren. Lautlos erhob er sich in die Luft und machte sich auf den Weg. Die Nacht war noch nicht gar so alt, Kamijo erreichte das Schloss mit der unvorstellbar großen Hoffnung, dass Hizaki bereits eingetroffen war. Er durchstreifte das Gemäuer, doch er fand niemanden. Enttäuschung und Furcht machten sich in ihm breit. Irgendetwas stimmte nicht, soviel war nun gewiss. „Was soll ich nur tun? Ich halte das nicht mehr aus ... mein Herz verzehrt sich vor Sehnsucht ... wie soll ich nur dahinter kommen, wo er ist? Ist er gefangen? Kann er vielleicht gar nicht zurückkommen? Wer weiß, was ihm gerade angetan wird?“ Solche Gedanken und ähnliche schossen ihm durch den Kopf, seine Befürchtungen schnürten ihm den Hals zu. Er hasste es, so hilf- und tatenlos zu sein, doch er wusste nicht, wo und wie er anfangen sollte, Hizaki zu suchen. Er hatte nicht den kleinsten Hinweis, wo er gerade sein konnte. „Kann ich Euch helfen, Herr?“ Als er gerade durch einen hohen Gang streifte, der mit einem verstaubten roten Teppich ausgelegt war, ließ ihn eine Stimme zusammenzucken. Er hielt inne und erblickte den Urheber. Es war Teru. ~ ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)