Lebe, und du wirst gehasst und verletzt von Jason95 (Stirb, und du wirst geliebt und vermisst) ================================================================================ Kapitel 1: Lebe, und du wirst gehasst und verletzt -------------------------------------------------- „Joseph Wheeler! Wenn mein Unterricht so langweilig ist, dass du dabei einschläfst, dann solltest du vielleicht in eine andere Klasse wechseln.“ „Was?“ Verschlafen und etwas erschrocken schaute der Angesprochene den Lehrer an. „Nachsitzen. Eine Stunde, direkt nach Schulschluss.“ „Aber-“ „Nichts aber!“ „Ich kann dann nicht.“ „Ach, und warum nicht?“ „Ich muss nach Hause. Mein Vater hasst es wie die Pest wenn ich zu spät nach Hause komme.“ „Dann wird er dir hoffentlich eine ordentliche Strafpredigt halten.“ „Ich wünschte es wäre bloss das.“ Murmelte Joey leise. Keiner hatte es gehört und er war auch froh darüber. „Dann fahre ich jetzt mit dem Unterricht fort und diesmal will ich volle Konzentration, von allen. Jeder der noch irgendwas tut was nicht in den Unterricht gehört, sitzt zwei Stunden nach!“ Nach der letzten Schulstunde wurden die Schultaschen gepackt und alle ausser Joey verliessen das Klassenzimmer und dann die Schule. „Soll ich noch auf dich warten, Joey?“ „Lass nur Yugi. Du musst doch nach der Schule deinem Grossvater helfen, der wäre bestimmt nicht froh darüber, wenn du über ne Stunde später kommst.“ „Okay, dann bis morgen.“ „Ja, bis morgen.“ Der Lehrer, welcher bis jetzt die Tafel gesäubert hatte, drehte sich nun zu Joey um. „Joseph, es ist mir egal, was du nachts tust anstatt zu schlafen, nur hör auf damit. Du kannst es dir von allen am wenigsten leisten nicht aufzupassen. Und wenn du nicht schläfst, dann schaust du zum Fenster raus. Wenn du noch einmal in meinem Unterricht einschläfst, dann werde ich deinen Vater kontaktieren.“ „Ja. Es wird nicht wieder vorkommen.“ „Das hast du schon oft gesagt.“ „Es tut mir Leid, aber ich kann nichts dafür wenn ich müde bin.“ „Aber was treibst du denn nachts, dass du dann tagsüber in der Schule so müde bist?“ „Sie sagten doch vorhin es sei ihnen egal.“ „Ich meine es doch nur gut mit dir.“ „Wenn sie es unbedingt wissen wollen, ich kann nachts einfach nicht schlafen.“ „Das ist alles?“ „Jep, das ist alles.“ „Wenn du meinst. Ich lasse dich den Rest der Nachsitzzeit ohne Aufsicht, und wehe du gehst vorher, dann wird es noch ein Nachspiel haben.“ „Schon klar. Ich werde ganz brav hier warten, bis sie mich nach Hause schicken.“ Sagte Joey und lachte. Der Lehrer verliess das Zimmer leicht verärgert. Er würde hierbleiben. Und er würde auch wirklich nicht gehen, bevor der Lehrer es ihm erlaubte. Eine halbe Stunde war bereits vergangen, also würde er reichlich zu spät heimkommen und sein Vater rastete schon bei zehn Minuten aus. Er schaute auf die Uhr. Der Sekundenzeiger schien sich doppelt so schnell zu bewegen wie sonst. Eigentlich mochte er Nachsitzen nicht, wer tat das schon, aber wenn er schon mal beim Nachsitzen war, so ging es ihm viel zu schnell vorbei. Er war kein Angsthase und fürchtete sich selten, doch vor seinem Vater hatte er Angst. Wenn der wütend war – was meistens der Fall war – dann hatte er nichts mehr zu lachen. Eigentlich war ihm schon lange nicht mehr nach lachen zumute, doch da er schon früher immer als Sunnyboy gegolten hatte, musste er ein Lachen aufsetzen und den fröhlichen, frechen Spassvogel spielen. Niemand sollte sehen, dass sein wirkliches Lachen eingefroren war. Mit hängenden Schultern sass er weiter auf seinem Platz und beobachtete den Sekundenzeiger. Nur noch 15 Minuten. Er schwitzte. In den Klassenzimmern ihrer Schule war immer stark geheizt und er trug die Uniformjacke die ganze Zeit. Auch wenn sie Schuluniformen tragen mussten, durften sie im Klassenzimmer die Jacke ausziehen, doch Joey tat es nicht. Die Hemden waren kurzärmelig und er wollte so wenig Stellen seines Körpers zeigen wie möglich. Es reichte schon, dass er oft ein blaues Auge, oder geschwollene Lippen hatte, was sich beides schlecht verbergen liess. Der Lehrer betrat das Zimmer wieder. „Joseph du kannst gehen.“ „Aber die Stunde ist doch erst in zehn Minuten vorbei.“ „Ich weiss, aber da auch ich nicht besonders toll finde nach Schulschluss noch länger zu bleiben, habe ich dich mit der Absicht zehn Minuten vor Ende der zeit wiederzukommen alleingelassen. Wenn du nicht mehr da gewesen wärst, was ich eigentlich vermutet hatte, hättest du morgen eine weitere Stunde nachsitzen müssen, so aber haben wir beide etwas früher Feierabend.“ „Okay. Danke, das ist nett von ihnen.“ „Keine Ursache. Dann bis morgen.“ „Bis morgen.“ Joey stand auf und machte sich auf den Heimweg. Je näher er der Wohnung, die er zusammen mit seinem Vater bewohnte kam, desto langsamer wurde er. Vor der Wohnungstür blieb er stehen und zögerte die Klinke hinunterzudrücken. >Vielleicht schläft er ja schon.< Dachte er hoffnungsvoll, aber mit wenig Zuversicht. Kaum betrat er die Wohnung, hörte er auch schon die Stimme seines Vaters. „JOEY! Warum zum Teufel kommst du erst jetzt?!“ Schrie ihn sein Vater an. „Du bist über eine Stunde zu spät, was soll das? Antworte gefälligst, du verdammter Bastard!“ Schon sah Joey eine Hand auf sich zukommen, und spürte gleich darauf den Schmerz an seiner Wange, den die Ohrfeige hinterlassen hatte. Kaum hatte sein Vater die Hand wieder zurück genommen, holte er schon wieder aus. Joey dachte an nichts, versuchte den Schmerz und seine ganzen Empfindungen auszublenden. Er wusste, dass er sich wehren könnte, dass er stark genug war, doch konnte er die Hand nicht gegen seinen eigenen Vater erheben, egal was dieser mit ihm tat. Eine weitere Ohrfeige folgte, dann ballte sein Vater die Fäuste und schlug ihn härter. Es kam dem Jungen vor wie eine Ewigkeit, in der er von seinem Vater geschlagen und getreten wurde. Irgendwann sass er auf dem Boden, als die Schläge aufhörten. Er dachte es wäre nun endlich vorbei, doch sein Vater riss ihn am Kragen hoch, riss die Wohnungstür auf und stiess ihn grob an die Wand im Hausflur. „Wenn du schon so spät kommst, dann kannst du auch gleich draussen bleiben!“ Schrie ihn sein Vater an, dann knallte er die Tür zu. Joey war mit dem Kopf hart an die Wand geknallt, was ihm explosionsartig einen heftigen Schmerz durch den ganzen Körper jagte. Er sah für einen Moment Sterne, doch er zog sich an der Wand hoch und ging langsam nach draussen. Regen fiel auf ihn nieder und wusch das Blut aus seinem Gesicht und von seinem Hinterkopf. Seine ohnehin schon wirren und ins Gesicht hängenden Ponysträhnen klebten ihm nass über den Augen und versperrten ihm halb die Sicht. Er wischte sie nicht weg, denn er wollte nicht, dass irgendjemand seine Augen sah. Tränen liefen ihm über die Wangen und vermischten sich mit dem Regen. Er weinte sonst nie, doch er konnte nicht anders. Es waren nicht seine Verletzungen, die ihn zum Weinen brachten, sondern die Trauer und der Schmerz über den Hass, den sein Vater offenbar für ihn verspüren musste, dass er ihn täglich schlug, und oftmals so wie jetzt, oder noch schlimmer zurichtete. Bei einer schmalen Seitengasse bog er von der Strasse ab und verschwand in der Dunkelheit. Hier war er schon oft gewesen, wenn sein Vater ihn wieder mal vor die Tür gesetzt hatte. Die Gasse war so schmal und dunkel, dass sich kaum jemand durchtraute, und wenn doch, dann nahm er keine Notiz von einem ruhig dasitzenden Jungen. Meistens hatte sich sein Vater irgendwann beruhigt und ging schlafen, sodass Joey nach Hause gehen konnte. Aus Erfahrung liess er sein Fenster immer einen kleinen Spalt offen, dass er es ganz leicht aufdrücken und in sein Zimmer klettern konnte. Es war zwar ein Scheissgefühl, wenn man morgens um drei Uhr in sein eigenes Zimmer „einbrechen“ musste, weil der Vater einen vor die Tür gesetzt hatte, aber durch die Tür gehen konnte er nicht, das hätte zu viel Lärm gemacht. Morgens musste er dann nur immer aufpassen leise genug zu sein, damit sein Vater nicht wach wurde. Nun sass er da, die Knie angezogen, den Kopf darauf gelegt und weinte. Er fragte sich was er wohl getan hatte, dass sein Vater ihn so sehr hasste. Ein Schluchzen entwich ihm. Gleich drauf hörte er Schritte, die näher kamen und direkt vor ihm zum Stehen kamen. Eine Weile war es still, dann hörte er ein Rascheln und bemerkte gleich drauf wie es ein wenig heller wurde. „Wheeler? Sag mal heulst du? Und was machst du überhaupt hier? Ach ich vergass, du bist ja nur ein streunender Köter, und die haben kein Zuhause.“ „Lass mich einfach in Ruhe.“ >Warum muss ausgerechnet Kaiba dieser arrogante Eisklotz heute Nacht hier durchkommen. Und warum zum Teufel muss er mich auch noch bemerken. < „Du hast mir gar nichts zu sagen! Und was du wieder getrieben hast, dass du so zerschunden bist will ich auch nicht wissen.“ „Dann geh doch einfach und lass mich in Ruhe!“ „Sagte ich nicht, dass du mir keine Befehle zu erteilen hast, kleiner Köter.“ Keine Antwort. „Bist du jetzt etwa eingeschlafen?“ Er stupste ihn am Arm an. Er war zwar nicht gerade sanft gewesen, doch eine solche Reaktion hätte er nicht erwartet. Joey zuckte zusammen, riss denn Kopf hoch und sah ihn mit müden, aber dennoch zornigen Augen an. „Hau jetzt endlich ab Kaiba! Lass mich in Ruhe! Geh einfach und mach mich nicht noch mehr runter, hast dus kapiert?!“ „Irgendwas stimmt nicht mit dir.“ „Wie rührend. Du sorgst dich doch nicht etwa um mich? Geh jetzt einfach und lass mich allein!“ „Als ob ich mir um so was wie dich Sorgen machen würde. Ich-“ „Seto? Wo bleibst du?“ „Ich komme Mokuba!“ „Wir sehen uns morgen Wheeler, und glaub mir, ich finde raus, was hier gespielt wird.“ Er knipste die Taschenlampe, welche er bis jetzt eingeschaltet hatte um Joey Reaktion zu sehen aus, drehte sich um und schritt mit wehendem Mantel davon. >Dieser Mistkerl hat sich doch köstlich über mich amüsiert.< Langsam wurde er müde, doch nach Hause konnte er noch nicht, denn sein Vater war garantiert noch sauer auf ihn und schlief noch nicht. Er legte den Kopf wieder auf seine Knie und wartete. Irgendwann musste er wohl eingeschlafen sein, denn als er den Kopf nach einem gefühlten Moment wieder hob, war es schon einigermassen hell. Es musste wohl so gegen sieben Uhr sein. Kaum hatte er das gedacht, realisierte er, dass die Schule ja um 07:30 begann und er vorher noch nach Hause musste. Er war froh darüber, dass sie im Erdgeschoss wohnten, denn sonst würde sein „Fenstertrick“ nicht funktionieren. Als er nach fünf Minuten rennen unter seinem Fenster stand, schaute er erst hinein, um sich zu vergewissern, dass sein Vater nicht im Zimmer war. Dann kletterte er hinein und ging leise in den Flur. Am Boden neben der Tür lagen noch seine Schultasche und seine Schuluniformjacke. Beides hob er auf und verschwand damit wieder in seinem Zimmer. Schnell zog er die Jacke an, schulterte die Tasche und sprang aus dem Fenster. Sicher landete er auf dem Boden und lief zur Schule. Auf halbem Weg fiel ihm auf, dass er gar kein Lachen aufgesetzt hatte, was er schnell nachholte. Mittlerweile war er es sich schon so sehr gewohnt, dass er wie auf Kommando ein echt aussehendes Lachen aufsetzen konnte. Er war immer spät dran, also war es nichts Ungewöhnliches, wenn man ihn erst kurz vor Schulbeginn durch das Tor kommen sah. Yugi und seine anderen Freunde warteten dort immer auf ihn, ausser wenn er zu spät kam. So war es auch heute. „Hey Leute!“ „Joey, was ist denn mit dir passiert?“ Kam es sofort von Yugi. „Hast du dich wieder mal mit andern Jungs geprügelt?“ „Jep. Die haben mich so blöd angequatscht und glaubten wohl sie wären besonders toll.“ „Musst du dich immer auf die einlassen?“ „Ich hab auch meinen Stolz.“ „Alter, Yugi hat Recht, aber jetzt lasst uns erstmal reingehen, gleich beginnt die erste Stunde.“ Sagte Tristan und klopfte Joey auf die Schulter. Dieser zuckte kaum merklich zusammen. Sie betraten das Schulgebäude und setzten sich an ihre Plätze. Keinen Moment zu früh, denn schon kam der Lehrer hinein und warf einen prüfenden Blick über die Schülerreihen. Er duldete keinerlei Verspätungen, nicht mal ein paar Sekunden. Sie alle mochten diesen Lehrer am wenigsten von allen und auch bei seinen Kollegen war er nicht besonders beliebt. An Joey blieb sein Blick haften. „Mr. Wheeler“ Begann er, denn er pflegte seine Schüler stets mit ihren Nachnamen anzusprechen und zu siezen. „Ich hoffe ihnen ist bewusst, dass sie gegen die Kleiderordnung dieser Schule verstossen.“ „Wieso? Ich habe doch meine Uniform an.“ „Das wohl, aber ihr Hemd ist schmutzig und am Kragen sogar zerrissen, was ich nicht tolerieren kann und werde. In der Schulordnung steht klar und deutlich, dass jeder männliche Schüler in sauberem, sowie ordentlich angezogenem Hemd erscheinen muss.“ „Tut mir leid.“ „Das ist mir egal. Ich verwarne sie nur dieses eine Mal, sie können mir glauben, dass ich es nicht vergessen und sie das nächste Mal bestrafen werde.“ Er ging nach vorne, trat ans Lehrerpult und begann mit seinem Unterricht. Das zweite Fach war Sport. Kaiba nahm daran nie Teil, denn er empfand es als unter seiner Würde vor andern in Sportkleidung rumzurennen und sich einen Ball zuwerfen zu lassen. Er sass immer auf einer Bank am Rand der Sporthalle, seinen Laptop auf den Knien und arbeitete. Heute war es ein Wenig anders, er hatte zwar den Laptop aufgeklappt vor sich, doch beobachtete er mehr was Joey tat. Auch wenn der Blonde bei manchen Bewegungen oder Berührungen das Gesicht kurz schmerzhaft verzog, liess er sich sonst nichts von seinen Verletzungen anmerken. Er hatte sie gestern Abend gesehen. Zwar nur kurz, aber er hatte gesehen, dass Joey lauter blaue Flecken auf den Armen hatte. Joey war auch der Einzige, der langes Sportzeug hatte, allen anderen war es darin zu heiss, ihm scheinbar auch, doch seit etwas mehr als einem Jahr, hatte ihn Kaiba nie mehr in kurzer Kleidung gesehen, abgesehen von gestern Nacht. Irgendwas wollte er verstecken und er würde herausfinden was, schliesslich war er Seto Kaiba und der kriegte alles hin. Joey schien nervös zu sein und je näher das Ende der Stunde kam, desto schlimmer wurde es. Als dann die Klingel zu hören war, war er der Erste, welcher die Treppe zu der Jungen-Umkleide hochging, besser gesagt rannte. Er war schon am Anfang der Erste gewesen und jetzt schon wieder. Kaiba klappte den Laptop zu, erhob sich und ging aus der Halle. Was zerbrach er sich auch über Joey Wheeler den Kopf. Joey war zwar wie der Blitz als Erster die Treppe hinaufgerannt, doch er hatte erst seine gesamte Sportkleidung aus- und die Uniformhose angezogen, als die Anderen hereinkamen. „Warum rennst du nach dem Sport immer so schnell raus, Joey?“ Fragte ihn Yugi. „Keine Ahnung, hab ich mir einfach so angewöhnt.“ „Aha. Wartest du aber noch auf- dreh dich mal um!“ Joey tat aus Gewohnheit was von ihm verlangt wurde und ihm fiel erst beim erschrockenen Blick des kleineren Jungen vor sich wieder ein, dass er das nicht hätte tun sollen. Fast seine gesamte linke Seite war blau. „Was ist denn passiert? Das kann doch unmöglich nur einer gewesen sein, mit dem du dich geschlagen hast. Hatte der noch eine Stange oder so?“ Schnell drehte Joey sich wieder um und zog Hemd und Jacke an. Dann schaute er seinen besten Freund an. „Sieht schlimmer aus als es ist. Es tut fast gar nicht weh.“ Er lachte und Yugi glaubte ihm, sah aber dennoch besorgt drein. „Na wenn du meinst. Aber du solltest vielleicht doch zum Schularzt gehen.“ Der Junge war schon ein bisschen naiv und es tat Joey weh, dass er ihn belügen musste, doch es war besser so. „Nicht nötig. Ich warte draussen auf euch.“ Er verliess die Umkleide und lehnte sich draussen an die Mauer. Seine Lachmaske konnte er inzwischen ohne Probleme aufsetzen, doch er musste besser aufpassen, dass er möglichst keine Verletzungen zeigte. Nicht jeder glaubte ihm so leicht wie Yugi. „Wheeler, gestern, was war da mit dir los?“ > Muss jetzt ausgerechnet der kommen?< „Wovon sprichst du, Kaiba? Ich habe dich gestern das letzte Mal in der Schule gesehen.“ „Verarsch mich nicht. Was hattest du in der Gasse zu suchen und warum hast du geheult?“ „Was für eine Gasse? Und warum sollte ich heulen? Ich hab doch gar keinen Grund dazu.“ „Was soll der Scheiss, Köter!? Was hast du gestern getrieben?“ „Ich kann dir leider immer noch nicht folgen.“ Joey bemühte sich kühl und gelassen zu antworten. „Hör auf mich für dumm verkaufen zu wollen! Du willst mir doch nicht etwa wirklich erzählen, dich hätte niemand zusammengeschlagen.“ Joey krümmte sich zusammen. „Du verdammter Arsch!“ Kaiba hatte ihm die Faust in die Seite geschlagen, nicht hart, aber schmerzhaft. „Willst du etwa immer noch behaupten, ich hätte mir das gestern Nacht eingebildet? Dann würdest du wohl kaum bei so einem mickrigen Schlag vor Schmerz zittern. Und auch die blauen Flecken auf deinen Armen waren echt.“ „Schön, du hast Recht. Ich war gestern in der Gasse und ja, ich hab geheult. Zufrieden?“ „Nicht ganz. Wie kam es dazu?“ „Was interessiert dich das? Du willst das doch eh bloss wissen, weil du was brauchst, um mich auszulachen und runter zumachen.“ „Dafür braucht es nichts, deine blosse Erscheinung ist ein Grund dafür.“ „Halt endlich die Klappe und nerv jemand anderen!“ Joey war wütend. Schlimm genug, dass Kaiba ihn gestern gesehen und erkannt hatte, jetzt musste er heute auch noch darauf herumreiten. „Was willst du sonst tun, Köter? Wenn ich dich in die Seite treffe, kannst du dich eh nicht mehr wehren, also halt besser mal selbst die Klappe!“ „Du arroganter Geldsack! Was habe ich dir getan, dass du immer auf mir rumhacken musst?“ „Sagte ich doch schon, deine Erscheinung ist eine Beleidigung für mich, Köter.“ „Kannst du nicht endlich mit diesem Köter-Scheiss aufhören? Ich bin verdammt noch mal kein Hund!“ „Und ob du das bist, Wheeler. Sonst würdest du nicht nachts in verlassenen Gassen herumstreunen und winseln wie ein geschlagener Welpe!“ Bei dem Wort „geschlagen“ zuckte Joey heftig zusammen und ballte die Fäuste. Er trat auf Kaiba zu, doch gerade als er nah genug war um ihn zu erreichen, kam Yugi aus dem Sporthallengebäude und trat zwischen sie. „Müsst ihr euch immer streiten?“ >Wie ein altes Ehepaar.< Dachte er noch. „Komm wir gehen Yugi. Neben dem Eisklotz ist es mir zu kalt und ausserdem kommt Tristan auch gerade raus.“ Die drei Jugendlichen gingen wieder auf das Schulhaus zu. Einen etwas verwirrten Seto Kaiba zurücklassend. >Warum zum Teufel ist Wheeler so zusammengezuckt, als ich „geschlagen“ sagte? Wahrscheinlich weil er bei der Prügelei verloren hat und ich dann gesehen habe, wie erbärmlich er aussah, mit seinem verheulten Gesicht. Wieso zerbreche ich mir überhaupt den Kopf über diesen Köter? Was der so treibt kann mir doch egal sein, solange ich seine Anwesenheit nicht ertragen muss.< „Warum streitet ihr euch immer, Joey? Seitdem Kaiba in unsere Klasse gekommen ist, habt ihr kein Wort in einem normalen Tonfall gewechselt. Und jeden Tag giftet ihr euch an, streitet euch wegen nichts. Ihr kanntet euch noch nicht mal richtig, als ihr euch auch schon das erste Wortgefecht geliefert habt.“ „Was kann ich dafür, wenn mich der Kerl immer Köter nennt?“ „Lass ihn doch. Wenn du nicht darauf reagierst, dann wird er irgendwann damit aufhören, aber wenn du dich immer so darüber aufregst, dann hat er seinen Spass daran.“ „Ich weiss nicht wieso, aber auch mir macht das Streiten mit ihm Spass. Es gehört einfach zu meinem Tagesablauf. Und sonst ist er immer so kalt oder teilnahmslos, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, doch wenn wir streiten, wird er hitzig, und ich kann genau sehen was ihn wütend macht und was er nur spielt.“ Er war stehen geblieben und schaute in den Himmel. „Joey?“ „Was?“ Er schaute fragend in Yugis nachdenkliches Gesicht. Auch Tristan hatte einen seltsamen Gesichtsausdruck. „Ach nichts, vergiss es.“ „Okay…“ Im Japanischunterricht bekamen sie ein Diktat zurück. „Was soll denn das? Warum hab ich bitte so ne schlechte Note? Sind doch nur zwei Wörter falsch geschrieben. Der hat mir da Dinge angestrichen, die richtig waren.“ Beklagte sich Joey. „Kein Wunder, so hässlich wie du schreibst, kann das eh kein Mensch lesen.“ „Doch, ich!“ „Du bist ja auch kein Mensch, Köter!“ Der angesprochene drehte sich um. Kaiba, welcher direkt hinter ihm sass, sah ihn mit fiesem Grinsen an. Bis jetzt hatten sie leise gesprochen, doch ein wütender Joey konnte ganz schön laut werden. „Kaiba du Arsch! Hör endlich mit deinem blöden Köter-Geschwafel auf.“ Er war aufgestanden und stützte sich aufs Pult seines Gegenübers. „Du bist nämlich der Einzige, der es witzig findet.“ „Wheeler, setzen! Mässigen sie sich, oder sie und Mr. Kaiba werden nachsitzen. Zusammen.“ Joey setzte sich missmutig hin, sah aber zwischendurch nach hinten zu Kaiba, welcher mit gefalteten Händen dasass und ihn nachdenklich anschaute. Dann dachte er an sein Diktat. Er würde es auf keinen Fall seinem Vater zeigen. Der wusste noch nicht mal davon, dass sie eins gehabt hatten. Bei Schulschluss verliess er wie alle Anderen die Schule und ging nach Hause. Sein Vater war glücklicherweise nicht da, also konnte er sich gefahrlos etwas zu Essen machen und dann in seinem Zimmer einschliessen. Er hatte es sich angewöhnt, um vor seinem Vater für eine gewisse Zeit in Sicherheit zu sein. Die Schulbücher, welche er morgen nicht brauchte, nahm er aus der Schultasche, legte sie auf seinen Schreibtisch und packte stattdessen andere ein. Nachdem er gegessen hatte, zog er die Schuluniform aus und das erstbeste T-Shirt aus seinem Schrank an. Er legte sich aufs Bett und dachte nach. Mit 16 war es zwar kein Problem für sich selbst zu sorgen, aber dass er öfters arbeiten und Preisgelder von Turnieren ausgeben musste, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen, war hart. Und dann dankte dieser ihm auch noch damit, dass er ihn anschrie und verprügelte. Joey verstand das nicht. Klar, sein Vater trank viel Alkohol, weswegen er ständig betrunken war, aber er wusste doch wohl noch was er tat. Er vermisste die alten Zeiten, in denen er und seine Schwester noch Kinder waren und ihre Familie heil. Doch irgendwann hatte sein Vater begonnen zu trinken und seit dem, war nichts mehr wie früher. Er fragte sich nur, warum die Nachbarn nichts mitzubekommen schienen. Da sie in einem heruntergekommenen Viertel wohnten und die Häuser baufällig waren, waren die Wände nicht sehr dick. Die Schläge seines Vaters waren nicht nur hart, sondern auch nicht gerade leise, zumal er Joey auch öfters gegen Wände stiess und immer anschrie. Er hörte ein Poltern an der Tür und schnell sprang er auf. Er löschte das Licht in seinem Zimmer und legte sich ins Bett, in der Hoffnung, sein Vater würde ihn wenigstens in Ruhe lassen wenn er sich schlafend stellte. Dem war leider nicht so. „Joey! Bist du da?“ Ertönte die Stimme seines Vaters. Dann wurde an seine Tür geklopft, besser gesagt gehämmert. „Joey! Ich weiss dass du hier drin bist, also mach die Tür auf und komm raus!“ Der Junge dachte gar nicht daran. Er zog sich die Decke über den Kopf und wartete bis sein Vater endlich ging. Lange hörte er dann noch den Fernseher, bis es weit nach Mitternacht schliesslich still wurde und er unter der Decke hervorkam. Er hatte vor nichts Angst, auch nicht vor Kaiba, den so viele fürchteten, aber sein eigener Vater machte ihm solche Angst, dass er sich vor ihm versteckte. Er schlief nicht viel, wie jede Nacht. Und am Morgen war er wie immer spät dran um in die Schule zu gehen. Der Tag war wie immer gewesen. Er hatte sich zusammenreissen müssen, im Unterricht nicht einzuschlafen, hatte sich mindestens dreimal mit Kaiba gestritten und Yugi immer wieder versichern müssen, dass die Verletzungen, die er noch von vorgestern hatte wirklich nicht schlimm seien. Als er nun um kurz nach 16:00 Uhr nach Hause kam, wollte er eigentlich noch ein wenig rausgehen, vielleicht noch bei Yugi vorbei schauen, doch daraus wurde nichts. Sein Vater war zu Hause, dass wusste er, doch es war verdächtig still. Normalerweise lief um diese Zeit der Fernseher in voller Lautstärke. Mit einem unguten Gefühl betrat er die Wohnung und lief dabei fast in seinen Vater hinein, welcher schon vor der Tür stand. In seiner Hand hielt er ein liniertes Blatt, auf dem undeutliche Schriftzeichen, sowie rote Striche und Kreise waren. Es war das Japanischdiktat, welches sie am Vortag zurückbekommen hatten. > Scheisse! Das verdammte Teil muss zwischen den Büchern gelegen haben, die ich gestern aus meiner Schultasche genommen habe.< Er hatte nicht mal Zeit die Tür zu schliessen, da hing das Blatt schon vor seiner Nase. „So, du verdammter kleiner Scheisser“ Zischte sein Vater drohend „Du hältst es also nicht mal für nötig mich darüber zu informieren, wenn ihr ein Diktat oder einen Test schreibt und wenn du so schlecht warst, erfahr ich erst recht nichts davon.“ „Ich-“ „Schnauze!“ Eine Faust landete seitlich an seinem Mund und hinderte ihn am Weitersprechen. Er schmeckte den metallischen Geschmack von Blut. „Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen, kein Wunder, dass dich deine Mutter hiergelassen hat!“ Die nächste Faust traf ihn auf das rechte Auge. Er wollte das nicht schon wieder über sich ergehen lassen und versuchte rückwärts durch die noch immer offene Tür hinaus zu gehen, doch sein Vater riss ihn zurück. „Oh nein, du Bastard, du bleibst schön hier. Und weil du abhauen wolltest anstatt dich deiner Strafe zu stellen wie ein Mann, hast du dir noch mehr eingebrockt.“ Die Tür fiel ins Schloss, doch auf dem Hausflur hörte man trotzdem dumpfe Schläge, das Zersplittern von Glas und unterdrückte Schmerzensschreie. „Willst du nicht lauter schreien?“ Joey sah seinen Vater nur stumm an. Diesen Gefallen würde er ihm nicht tun, selbst wenn er ihm sämtliche Knochen brach. „Du hast wohl noch nicht genug. Dann mach dich auf was gefasst!“ Sein Vater schlug ihn erst so hart ins Gesicht, dass er auf die Knie sank, dann zog er ihn wieder hoch und rammte ihm das Knie in den Magen. Joey wünschte sich er könnte jetzt und hier einfach sterben. Er ertrug es nicht mehr, wie sein Vater ihn Misshandelte. „Warum?“ Fragte er leise. „Warum? Warum? WARUM?“ „ Du bist es nicht wert den Grund zu erfahren!“ Erneut spürte er das Knie seines Vaters im Magen und dann einen entsetzlichen Schmerz in der Brust. Er lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Sein Vater liess von ihm ab, nur um im Schlafzimmer zu verschwinden. Joey wusste genau was jetzt kam. Unter normalen Unständen wäre ein Mensch in seinem Zustand gar nicht mehr fähig überhaupt zu sitzen, doch er rappelte sich auf und schwankte die Hand auf die stechenden Rippen gepresst nach draussen. Er hörte die Schritte seines Vaters hinter sich, welcher mit einem Ledergürtel zurück kam. Ohne nachzudenken lief er so schnell er konnte zur Haustür raus und die paar Stufen zur Strasse runter. Er wandte sich nach links, wollte wegrennen, doch nur ein Paar Meter entfernt wurde er von einem heftigen Stechen in der Brust in die Knie gezwungen. Er hustete und ein Schwall Blut kam aus seinem Mund. Als er versuchte wieder aufzustehen, wurde ihm schwarz vor Augen und er brach vollends zusammen. Hier wohnt der Kerl also. Ziemlich schäbige Gegend, passt sehr gut zu so einem Streuner wie Wheeler. < Kaiba hatte es keine Ruhe gelassen. Er wollte unbedingt wissen, was mit Joey los war, also hatte er sich dessen Adresse besorgt. Natürlich würde er nicht einfach bei ihm klingeln. Sein Plan war einfach nur das Haus in dem Wheeler wohnte zu beobachten und falls dieser rauskäme, würde er ihm folgen. Doch als er jetzt in einem der Armenviertel Dominos stand und dabei war seinem grössten Feind nachzuspionieren, weil er sich Sorgen machte, kam ihm sein handeln reichlich dumm vor. > Sorgen? Ich mach mir Sorgen um den Köter? Das war einfach eine vollkommen falsche Entscheidung hierherzukommen, aber wo ich schon mal da bin, werde ich nun nicht unverrichteter Dinge wieder gehen. < Er ging weiter. Die nächste Strasse musste es sein. Als er in diese eingebogen war, sah er etwas nahe einem Hauseingang auf dem Boden liegen. Beim Näherkommen erkannte er, dass es eine Person war und er wusste auch gleich wer. Der blonde Haarschopf war unverwechselbar. Mit schnellen Schritten ging er auf ihn zu und liess sich auf die Knie sinken. Dann fasste er den kleineren an den Schultern und drehte ihn um. Kein schöner Anblick. Ein Veilchen zierte Joey rechtes Auge, die Lippen waren geschwollen und aufgeplatzt und aus seinem Mund kam eine dünne Linie Blut. „Joey? Hey, Joey!“ Er bekam keine Antwort. „Wenn das ein Scherz sein soll, ist er nicht komisch.“ Noch immer rührte sich der Blonde nicht. Kaiba hob ihn hoch. > Meine Güte, der wiegt ja fast nichts. < Schnell holte er sein Handy aus der Innentasche seines Mantels, rief seinen Chauffeur an und nannte ihm Joeys Adresse. „Nehmen sie das kleine Auto und beeilen sie sich, es ist dringend!“ „Sehr wohl, Master Kaiba.“ Er legte auf und liess das Handy wieder in der Tasche verschwinden. Der Fahrer würde auch wenn er sich beeilte noch mindestens zehn, wenn nicht sogar fünfzehn Minuten brauchen um hierher zu kommen, also setzte er sich an die Hauswand gelehnt auf den Boden und bettete Joeys Kopf in seinen Schoss. > Was tue ich hier eigentlich? Warum um alles in der Welt helfe ich dem Mistköter? Er ist doch selbst schuld, wenn er sich immer mit andern Jungs prügelt. Ausserdem hat er nichts getan, weswegen ich ihm etwas schulden sollte. < Gedankenverloren strich er mit der Hand sanft durch Joeys Haare, als dieser langsam die Augen öffnete. Verschwommen sah er das Gesicht über sich. Als sich sein Blick klärte, gab er ein ungläubiges „K-Kaiba?“ von sich. Der Angesprochene hatte seinen Namen wenn auch nur sehr leise gehört und sah auf den Blonden hinab. Joey versuchte sich aufzusetzen und begann wieder zu sprechen „Was-“ Weiter kam er nicht, denn erneut kam ihm ein Schwall Blut hoch, denn er hustend ausspuckte. „Scht! Nicht sprechen.“ Sagte Seto und drückte ihn sanft, aber bestimmt wieder in eine liegende Position. Der kleinere schloss die Augen, zu kraftlos um sich gegen Kaiba zu sträuben. „Braves Hündchen.“ Kaum hatte er das gesagt, bog ein schwarzes Auto in die Strasse ein und kam vor ihnen zum Stehen. Der Fahrer sprang heraus und öffnete die hintere Wagentür. Vorsichtig hob Seto Joey hoch, welcher seine Augen erneut öffnete, nur um sie gleich darauf wieder zu schliessen. Vorsichtig legte er den Blonden in den Wagen und schloss die Tür. Er bedeutete dem Fahrer wieder einzusteigen, während er selbst um das Auto herum ging und sich von der anderen Seite her auf die Rückbank setzte. Er rutschte näher zu Joey heran und legte dessen Kopf vorsichtig wieder auf seinen Schoss. „Fahren sie sofort nach Hause.“ „Ich…will nicht…nach…Hause…“ Hörte er ein schwaches flüstern von unten. „Mit bösem Blick, aber dennoch einem leichten lächeln auf dem Gesicht sagte er „Wir fahren in mein Haus, du Dummkopf. Und ausserdem sagte ich, du sollst nicht sprechen.“ Nun verzog sich auch Joeys Mund zu einem schwachen Lächeln, was aber durch die Schmerzen, die es dem Jungen bereitete eher wie eine Grimasse aussah. Der Fahrer lenkte den Wagen nach einer viertelstündigen Fahrt endlich in die Einfahrt der Kaibavilla. Kaum hatte er angehalten, stieg Seto auch schon aus und trug Joey ins Haus. Eines seiner Dienstmädchen, welches immer in der Eingangshalle war um jeden Befehl den der Herr hatte bei seinem Eintreffen sofort entgegenzunehmen trat auf sie zu. „Haben sie einen Wunsch, Master Kaiba?“ „Nein.“ War die knappe Antwort. Schnell schritt er zur Treppe, doch als er sah, wie sehr den blonden Jungen in seinen Armen jeder Schritt zu schmerzen schien, wünschte er sich, er hätte den Fahrstuhl genommen. Die Treppe lag direkt neben seinem Schlafzimmer, weswegen sie auch gleich dort ankamen und er Joey auf sein Bett legen konnte. Nun begann er vorsichtig, damit er Joey nicht noch mehr weh tat, dessen Schuluniform auszuziehen. „Halt! Was machst du da?“ Die Stimme des Blonden war noch immer schwach und leise, aber nicht minder entsetzt. Seto blickte in die schreckgeweiteten braunen Augen unter ihm und sagte mit ungewöhnlich sanfter Stimme. „Hab keine Angst, ich will mir nur deine Verletzungen ansehen.“ „Nein!“ Schrie Joey panisch. Ein Fehler, denn wieder hustete er Blut und krümmte sich zusammen. „Joey verdammt noch mal, leg dich hin und halt deine verfluchte Klappe!“ Seto raufte sich entnervt die Haare. „Ich will dir doch nur helfen.“ Sagte er in schon viel ruhigerem Ton, doch der kleinere hatte weder das, noch die groben Worte von vorhin gehört, denn er hatte das Bewusstsein erneut verloren. „Scheisse!“ Fluchte Kaiba und klingelte nach seinem Dienstmädchen. „Sie haben gerufen, Master Kaiba?“ „Ja. Rufen sie sofort einen Notarzt hierher. Und der Kerl soll sich ja beeilen.“ „Sehr wohl, Master Kaiba.“ Das Mädchen verschwand wieder und Seto wandte sich erneut seinem verletzten Hündchen zu. Da der Blonde bewusstlos war, konnte er sich wenigstens nicht mehr wehren. Schmerz spürte er so auch keinen, weswegen der Braunhaarige die sowieso schon zerrissene Uniform einfach von Joeys Körper riss. Was er da sah, erschreckte ihn noch mehr, als der Anblick von Joeys Gesicht. Die gesamte linke Seite war ein einziger blauer Fleck und auf Höhe der Rippen zierte beide Seiten ein grosser, violetter Bluterguss. Die Arme waren mit Striemen, blauen Flecken und Schnitten versehen. Getrocknetes Blut klebte an ihnen und kreuzte zahlreiche weissliche Narben. Er zögerte, bevor er auch die Hose vom Körper des Blonden zog. Die Beine sahen fast genauso aus, wie seine Arme, abgesehen davon, dass kaum Narben und keine Schnitte zu sehen waren. „Was haben die nur mit dir gemacht? Wenn ich die erwische, werden sie sich wünschen nie geboren worden zu sein.“ Flüsterte Seto leise. „Und was hat dich bloss dazu getrieben, den Verletzungen der Anderen noch mehr dazu zu fügen?“ Er sah auf seine Uhr. Mittlerweile müsste der Notarzt eigentlich da sein. „Verdammt, wo bleibt der Kerl bloss? Jade! Haben sie den Notarzt noch nicht angerufen?“ Das Dienstmädchen rannte hinauf. In der Hand hielt sie ein Telefon. „Doch, Master Kaiba, gleich nachdem sie es gesagt haben und er ist am Telefon, er braucht noch etwa zehn Minuten, sagt er.“ „Geben sie mir das Telefon!“ „Hier, Master Kaiba.“ Sie reichte ihm den Hörer und flüchtete dann aus dem Zimmer. Setos Stimme war noch im Stockwerk darunter laut und deutlich zu hören, und das obwohl die Wände hier recht dick waren. „Für was werden sie eigentlich bezahlt?! Wenn sie nicht in spätestens fünf Minuten hier auf der Matte stehen, dann werde ich sie verklagen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht, das schwöre ich!“ „Es tut mir ja Leid, Mr. Kaiba, aber ich kann nicht schneller kommen, ich stecke im Stau und die anderen Autos können nicht ausweichen.“ „Es ist mir scheissegal, warum sie so spät dran sind und was sie dagegen tun, aber ich werde meine Drohung nicht zurücknehmen! Ein Freund von mir ist verletzt, spuckt Blut, kann kaum atmen, ist bewusstlos und wenn sie ihn sehen würden, dann würden sie sich wünschen niemals Notarzt gelernt zu haben! Also schwingen sie ihren Doktorarsch hierher!“ Er knallte das Telefon gegen die Wand und es zerbrach in hunderte von Plastikstücken. > Habe ich Wheeler gerade wirklich als meinen Freund bezeichnet und wegen ihm vielleicht auch meinem Image geschadet? Was ist nur mit mir los?< Er schaute wieder auf Joey, der wohl langsam aus der Bewusstlosigkeit aufwachte und schmerzhaft das Gesicht verzog. Der Verletzte zitterte unkontrolliert und versuchte zu atmen. Ein Rinnsal aus Blut lief von seinem Mundwinkel aus den Hals hinunter. Seto setzte sich aufs Bett um den Kleineren im Auge zu behalten, da spürte er plötzlich etwas Kaltes an seiner Hand. Verwundert sah er hin. Joey hatte seine linke Hand soweit ausgestreckt, dass er die von Seto berühren konnte. Dieser ergriff sie vorsichtig und hielt sie sanft. „Geht es noch?“ „Hm.“ Joey versuchte ein Lächeln, verzog aber nur erneut das Gesicht. Schnelle Schritte näherten sich der Schlafzimmertür. Kaum war Seto aufgestanden und hatte sich ihr zugewandt, traten auch schon Jade und ein um Atem ringender Notarzt ein. „Da sind sie ja endlich!“ „Entschuldigung, es ging nicht schneller. Wo ist der Patient?“ „Da, auf dem Bett.“ Das Dienstmädchen verliess das Zimmer und schloss die Tür. „Um Himmels willen, was ist denn mit dem Jungen geschehen?“ „Er wurde vermutlich zusammengeschlagen.“ „Haben sie eine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?“ „Nein. Wir stehen uns nicht besonders nahe, also interessiert es mich nicht, mit welchen Leuten er sich in seiner Freizeit abgibt oder was er so treibt.“ „Aber sie sagten doch er wäre ein Freund von ihnen.“ „Das war eine Lüge.“ Sagte er so sachlich, als würde er dem Arzt gerade die Uhrzeit nennen. „Ich wollte nur dass sie sich beeilen. Wenn ich ihm nicht helfen würde, würde das meinem Ansehen schaden, man soll seinen Mitmenschen schliesslich stets hilfsbereit gegenübertreten.“ Der Arzt sah ihn nur mit grossen Augen an. „Sollten sie jetzt nicht langsam ihrer Arbeit nachgehen und den Jungen untersuchen?“ „Natürlich. Wären sie so freundlich in der Zwischenzeit das Krankenblatt auszufüllen, denn der Verletzte kann das schlecht selbst tun.“ „Geben sie schon her.“ Seto setzte sich auf die andere Seite des Bettes und begann die Felder auszufüllen. Ein Glück, dass er noch den Zettel mit Wheelers Adresse in der Tasche hatte. „Sind sie fertig?“ Fragte er den Notarzt. „Mit Untersuchen ja, aber ich muss ihn noch verbinden.“ „Und? Wie lautet ihre Diagnose?“ „Nun, der junge-“ er warf einen Blick auf den Krankenschein „Mr. Wheeler hat sechs Rippen gebrochen, vier auf der linken und zwei auf der rechten Seite. Dazu kommen etliche Prellungen an Armen und Beinen, Schnittwunden an den Armen, wahrscheinlich von Scherben und die Striemen, welche von einem Gegenstand, wie einer Peitsche, einem Gürtel oder ähnlichem kommen müssen. Die beiden Blutergüsse, sowie das Bluthusten kommen von den gebrochenen Rippen. Es war keine innere Verletzung, die geblutet hat, also ist es nicht schlimm. An seinem Hinterkopf habe ich noch eine Platzwunde festgestellt, die etwa ein bis zwei tage alt ist. Wissen sie, ob sich Mr. Wheeler öfters mit andern schlägt?“ „Laut seinen Freunden ist er früher ein ziemlicher Rowdy gewesen, aber als ich ihn kennen gelernt habe, hat er sich nur selten geschlagen.“ „Danke, dann wird es von so einer Schlägerei sein. Ich habe ihm jetzt einen elastischen Stützverband um die Brust und einen ganz normalen um den Kopf gemacht. Sie sollte den Kopfverband täglich und den Stützverband dreimal wöchentlich wechseln. Des weiteren braucht er Ruhe und muss im Bett bleiben.“ „Und wieso erzählen sie mir das alles?“ „Ich nehme mal stark an, dass sie das seinen Eltern mitteilen, wenn sie ihn zurückbringen.“ „Muss er etwa nicht ins Krankenhaus?“ „Nein. Wenn es keine weiteren Komplikationen gibt, dann ist das völlig überflüssig. Also dann, ich empfehle mich, auf Wiedersehen, Mr. Kaiba.“ Der Notarzt nahm seinen Koffer und das Krankenblatt, dann drehte er sich um und ging zur Tür hinaus. Seto schaute ihm etwas perplex nach. > Toll, jetzt hab ich den Köter also an der Backe. Warum hab ich ihn bloss mitgenommen? < Er seufzte und ging zum Bett, in dem Joey nun durch ein Beruhigungsmittel ruhiggestellt schlief. Er zweifelte stark an der Zuverlässigkeit des Arztes, der hatte ja nicht mal die noch offenen Schnittwunden desinfiziert. Mit einem erneuten Seufzen ging er ins Bad, wo er einen Hocker hinstellte und den Verbandskasten, einen Waschlappen und ein Handtuch hervorholte. Dann ging er zurück ins Zimmer, schloss die Tür, welche der Arzt unhöflicherweise offen gelassen hatte und setzte sich aufs Bett. Seinen Laptop auf dem Schoss, tippte er eifrig. Er hatte schon viel zu viel seiner kostbaren Zeit verbraucht. Ein Rascheln liess ihn innehalten und von seiner Arbeit aufsehen. „Na Köter, wieder wach.“ „Huh? Kaiba? Was machst denn du hier?“ „Was ich hier mache? Zufälligerweise ist das mein Haus.“ „Aber warum bin ich denn hier? Und warum tut mir alles weh?“ „Du hast wohl mal wieder dein loses Mundwerk nicht halten können, aber diesmal hast du dich übernommen.“ Joey nickte nur schwach. „Und was ist geschehen?“ „Du fragst vielleicht Sachen. Woher soll ich denn das wissen? Glaubst du etwa ich würde dich wie ein Stalker beschatten?“ „Du weißt was ich meine.“ „Ich hab dich zufällig gefunden, dann hat dich so ein unfähiger Arzt untersucht, wollte dich aber nicht ins Krankenhaus mitnehmen, obwohl du sechs gebrochene Rippen hast und hat dich mir überlassen.“ „Ach ja, jetzt weiss ich es wieder, du hast mich so besorgt angeschaut.“ Ein leichtes Grinsen schlich sich auf Joeys Lippen. „Träumst du noch? Hast wohl doch etwas mehr abbekommen. Da dein Gehirn – falls es denn existieren sollte – offenbar noch nicht ganz da ist, findest du bestimmt noch nicht mal dein eigenes Haus. Wenn du willst, kannst du heute hier bleiben.“ „Echt?“ „Ja, aber nur wenn du jetzt mitkommst.“ „Wohin denn?“ „Na ins Badezimmer. Du bist schmutzig und voller Blut, ausserdem riechst du nach Hafenkneipe.“ Er erhob sich und ging um das Bett herum. Bei Joey angekommen, schlug er die Decke zurück und hob den etwas kleinern auf seine Arme. „Ich kann selber gehen!“ Protestierte dieser jedoch sofort. „Gut.“ Seto setzte ihn auf dem Boden ab. Der Blonde kam nicht weit, denn schon beim ersten Schritt presste er sich die Hand auf die Rippen und kippte nach vorne. Seto konnte ihn mühelos auffangen, da er damit gerechnet hatte. „So, du kannst also selber gehen. Man siehts.“ Sagte er spöttisch, während er Joey wieder auf seine Arme hob. „Lach du nur, dir tut ja nicht schon beim Atmen alles weh.“ Grummelte der getragene. Er wurde auf einem Hocker abgesetzt und schaute sich um. „Wow! Dein Badezimmer ist ja grösser als mein Schlafzimmer.“ „Hättest wohl nicht gedacht, dass du jemals so etwas siehst.“ Joey war viel zu fasziniert, um sich auf Kaibas Sticheleien einzulassen. Der Brünette nahm den bereitgelegten Waschlappen, machte ihn nass und begann damit Joey den Schmutz und das ganze Blut abzuwaschen. „Kaiba?“ „Ja, Köter?“ „Warum tust du das?“ „Was?“ „Na das.“ „Weil du schmutzig bist, hab ich doch schon gesagt.“ „Nein, das meinte ich nicht, wieso kümmerst du dich um mich?“ „Ich konnte dich ja schlecht dort auf der Strasse liegen lassen. Das hätte als fahrlässige Tötung enden können.“ „Ja, aber du hättest auch einfach einen Krankenwagen rufen können und dann so tun, als hättest du nie etwas mit der Sache zu tun gehabt.“ „Lass die blöde Fragerei. Sei doch einfach dankbar, dass ich Mitleid mit einem verbeulten Strassenköter hatte.“ „Ich bin kein Hund!“ Joey war beleidigt und auch Seto sprach nicht mehr. Als Joey einigermassen sauber war, desinfizierte der Braunhaarige noch die Schnitte an dessen Armen. „Woher hast du die eigentlich?“ „Was?“ „Na die Schnitte.“ „Dort wo ich den Rest auch herhab, Prügeleien. Da waren so Kerle, die haben mit Flaschen geworfen.“ „Ach so.“ Seto glaubte ihm kein Wort, doch er hatte keine Lust darauf, den Kleineren vom Boden kratzen zu müssen, weil er aus lauter Dickköpfigkeit etwas angestellt hätte. „Warte kurz hier.“ Er erhob sich aus seiner knienden Position und ging in sein Zimmer, um etwas zum Anziehen für Joey zu holen. Dass er gekniet war, während Joey auf einem Hocker sass, war ihm gar nicht aufgefallen. „Hier.“ Sagte er und hielt Joey einen dunkelblauen Schlafanzug hin. Als er in Joeys fragende Augen sah, seufzte er resigniert auf. „Deine Sachen waren zerfetzt, als ich dich gefunden hab und da du eh Bettruhe verordnet bekommen hast, ist das doch die passende Kleidung.“ Joey nickte langsam und begann dann mit Setos Hilfe den Schlafanzug anzuziehen. „Der ist mir ja voll zu gross.“ Bemerkte Joey. „Wen wunderts, ist ja auch meiner.“ Er schüttelte den Kopf. So sehr in Joeys aufmüpfige Art immer nervte, so sehr amüsierte ihn wie dieser völlig von der Rolle irgendwelchen Müll laberte. Nicht dass er das sonst nicht tat, aber im Moment fand er es einfach nur niedlich. Und Joey sah in dem zu grossen Schlafanzug, wie er ihn mit seinen grossen braunen Augen ansah einfach mehr denn je wie ein verlorener Welpe aus. „Kannst du jetzt wieder gehen?“ „Ich denk schon.“ Langsam rutschte der Braunäugige vom Stuhl und ging einen Schritt. Auch diesmal machten ihm seine gebrochenen Rippen einen Strich durch die Rechnung. Schon beim Atmen taten sie weh, aber wenn er sich bewegte, war der Schmerz kaum zu ertragen. Er kniete zitternd auf dem Boden und versuchte seinen Atem zu beruhigen, was gar nicht so einfach war, da er bei tiefem Luftholen immer ein schmerzhaftes Stechen in der Brust spürte. Zwei starke Arme schoben sich unter seine eigenen und Seto zog ihn vorsichtig wieder auf die Beine. „Warum sagst du nicht, dass es nicht geht und du Schmerzen hast?“ „Weil das peinlich ist.“ Antwortete Joey und sah zu Boden, damit Seto nicht sah, wie sein Gesicht rot anlief. „Ach und wegen dem Schmerz fast zusammenzubrechen ist nicht peinlich?“ „Ist doch egal. Aber trag mich bitte nicht wieder, stützen reicht völlig.“ Seto musste sich ein Grinsen verkneifen. Joey war doch einfach ein sturer Dickkopf. Das Stützen erwies sich als schwierig, da Seto ein gutes Stück grösser als Joey war. Sie waren noch nicht mal ganz aus dem Badezimmer, als es dem Braunhaarigen zu blöd wurde und er den Blonden ohne viel Federlesen zum Bett zurück trug. Dass der kleinere dabei eine Schnute zog und ihm böse Blicke zuwarf, kümmerte ihn nicht im Geringsten. „Hast du Hunger?“ „Nein!“ antwortete Joey noch immer beleidigt, doch das laute Magenknurren strafte seine Worte Lügen. Jetzt lachte Seto und ging hinaus. >Was ist denn mit dem los? Er ist besorgt um mich, nimmt mich mit nach Hause und ruft einen Arzt. Ich darf hier schlafen, noch dazu in seinem Bett und hab sogar Kleidung von ihm gekriegt. Nett war er auch, er hat mich nicht ein einziges Mal Köter genannt oder wie einen Hund behandelt. Und sein Lächeln erst. Ich gäbe viel darum, ihn noch einmal so sanft lächeln zu sehen. Warum zeigt er diese Seite von sich nie? Sie passt so gut zu ihm.< Er hatte gar keine Zeit sich über seine eigenen Gedanken zu wundern, denn die Tür ging auf und Seto trat mit einer Schale Reis und einer Tasse Tee ins Zimmer. Er stellte die Sachen auf das kleine Nachtschränkchen. „Hier, dein Futter.“ Die Sorge war aus seinen Augen gewichen und die alte Emotionslosigkeit überzog sein Gesicht. „Wenn du fertig bist, schlaf. Es ist schon bald 22:00 Uhr.“ „Warum bist du jetzt wieder so?“ „Was meinst du, Köter?“ >Ich hab mich wohl zu früh gefreut.< Dachte Joey, bevor er antwortete. „Vorhin warst du so nett und jetzt so wie sonst.“ „Und was träumst du nachts?“ „Ach leck mich doch!“ „Wo hast dus am liebsten?“ „Kaiba! Ich hasse dich!“ „Gut, ich dich nämlich auch.“ Seto warf ihm einen eiskalten Blick zu, schnappte sich seinen Laptop und verliess das Zimmer. Die Tür knallte hinter ihm zu. Wütend schmiss Joey ein Kissen an die Wand. Für diese Tat wurde er sofort wieder mit Schmerzen bestraft. Als er sich davon erholt hatte, as er den Reis, den Kaiba ihm gebracht hatte, löschte das Licht und versuchte zu schlafen. Immer wieder schaute er auf Setos Wecker. Stunden vergingen und er war noch immer wach. Komischerweise kam der Brünette nicht wieder, obwohl das hier sein Zimmer war und die Uhr weit mehr als Mitternacht anzeigte. Joey erhob sich vorsichtig und ging langsam der Wand entlang aus dem Zimmer und dann durchs Haus. >Kaiba hat seinen Laptop mitgenommen, also wird er wohl irgendwo hier ein Büro haben und am Arbeiten sein. Warum muss dieses Haus eigentlich so riesig sein? Die zwei Kaiba-Brüder können unmöglich soviel Platz brauchen.< Irgendwann kam er an eine Tür, hinter der er leise Geräusche hörte, welche er als Tippen identifizierte. Er ging näher an die Tür, und gerade als er anklopfen wollte, hörte er Setos Stimme durch die Tür. „Wheeler, was zum Teufel tust du hier?“ „Ich…äh hab dich gesucht.“ Er hörte ein Seufzen, dann „Komm rein.“ Zögernd betrat er das Büro. „Woher wusstest du eigentlich dass ich vor der Tür stehe?“ „Kamera. Und jetzt sag mir was du hier willst.“ „Äh…also…ähm…“ „Könntest du dich etwas intelligenter ausdrücken? Ich verstehe keine Idiontensprachen.“ „Naja, ich hab dich gesucht, weil ich nicht schlafen konnte und-“ „Was willst du jetzt von mir? Soll ich dir eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, oder was? Für so was hab ich keine Zeit.“ „Ach halt doch die Klappe! Eigentlich dachte ich, wir könnten uns ein Wenig unterhalten.“ „Tun wir doch.“ „Ich meine normal, wie zwei“ er zögerte „Freunde?“ „Wir sind keine Freunde und wie du siehst, habe ich zu Arbeiten, also geh wieder ins Bett. Und komm ja nicht auf die Idee mich wegen so was noch mal zu stören.“ „Ich weiss den Weg aber nicht. Schon beim herkommen hab ich mich dauernd verlaufen. Dein Haus ist riesig und all die Gänge, für was brauchst du das?“ „Das braucht dich gar nicht zu interessieren. Benutz doch einfach deine Nase, ein Hund findet jede Spur.“ „Nenn mich nicht immer Hund, du Ekel!“ „Das ist immer noch mein Haus, Wheeler und wenn du dich nicht benimmst, schmeiss ich dich raus. Und jetzt schwing deinen Arsch aus meinem Büro.“ „Wenn ich doch den Weg in dein Zimmer nicht finde. Ich hab keine Lust die ganze Nacht durchs Haus zu latschen und mir einen abzufrieren.“ Seto seufzte genervt auf und massierte sich die Schläfen. „Okay, schliess die Tür, setz dich auf den Stuhl dort und sei still. Ich muss noch etwas fertig machen, dann zeig ich dir den Weg zurück in mein Zimmer.“ „Danke.“ Joey schloss wie geheissen die Tür und setzte sich hin, doch ruhig sein konnte er natürlich nicht. „Sag mal, Kaiba, warum-“ „Welchen Teil von “sei still“ hast du nicht verstanden?! Halt jetzt die Klappe, oder du kannst draussen vor der Tür warten!“ „Ist ja gut, bleib locker, Kumpel.“ „Ich bin weder dein Freund, noch dein Kumpel, also lass das!“ Seto wandte sich wieder seinem Laptop zu und arbeitete weiter. Er warf immer wieder einen kurzen Blick auf den Blonden, nur um festzustellen, dass ihm dieser die ganze Zeit zusah. „Wheeler dreh dich um.“ Sagte er ganz ruhig und ohne aufzusehen. „Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?“ „Du starrst mich die ganze Zeit an.“ „Tschuldigung.“ „Dreh dich einfach um.“ Nun war auch der Blonde genervt, aber er tat was Seto von ihm wollte, denn er hatte wirklich keine Lust vor der Tür zu warten. Der Braunhaarige schloss den Laptop und rieb sich die Augen. Endlich hatte er seine Arbeit beendet. „Hey Hündchen, ich bin fertig. Komm, dann zeig ich dir dein Körbchen.“ Keine Antwort. „Wheeler, sei nicht beleidigt, sondern komm!“ Er stand schon an der Tür, den Laptop in der umgehängten Tasche und verschränkte die Arme ungeduldig. Nun drehte er sich noch mal um, den Mund schon für eine bissige Bemerkung geöffnet. Beim Anblick des Blonden blieb ihm der Mund offen stehen. Die braunen Hundeaugen waren geschlossen und auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln. >Der pennt?!< „Wheeler wach auf.“ Er rüttelte ihn, erst leicht, dann stärker. „Wie kann man nur so tief schlafen? Wach gefälligst auf!“ Doch Joey schlief weiter. Seto stiess ein wütendes Knurren aus, bevor er den Blonden zum wiederholten Male hochhob und in sein Zimmer trug. Kaum hatte er ihn auf den Armen liegen, lehnte sich der Kleinere an seine Brust und ein Laut, der einem Schnurren glich, drang au seinem Mund. Etwas verwirrt Seto auf den schlafenden Jungen hinab, bevor er den Kopf schüttelte und mit einem Rotschimmer auf den Wangen weiterging. Erneut bemerkte der Grössere wie wenig Joey doch wog. Auch war er ziemlich dünn, was durch die weite Kleidung sonst nicht auffiel. Als Seto ihn auf dem Bett ablegen wollte, klammerte sich Joey im Schlaf an ihn. Nur mit Mühe konnte er die verkrampften Hände aus seinem Nacken lösen. Gleich nachdem er auf dem Bett abgelegt wurde, rollte sich der Blonde zusammen. „Joey?“ Fragte Seto, doch der Angesprochene schlief weiter. Sein Schlaf war unruhig und er drehte sich dauernd um. Seto ging ins angrenzende Badezimmer und machte sich bettfertig, bevor er aus einem Wandschrank in seinem Zimmer eine Decke holte und sich auf sein Sofa legte. Es war erniedrigend. Er, Seto Kaiba, der Besitzer dieses Hauses schlief auf dem Sofa, während der unbedeutende Köter Joey Wheeler in seinem Bett lag. Natürlich hätte er sich zu ihm ins Bett legen können, doch das war noch erniedrigender als diese Situation. Genervt drehte er den Kopf zum Bett, denn Joey war keineswegs ruhiger geworden, eher das Gegenteil war der Fall. „Wheeler verdammt noch mal schlaf ruhig!“ Der Brünette hatte nicht gerade leise gesprochen und jeder normale Mensch wäre davon aufgewacht, nur Joey schlief natürlich weiter. Fluchend erhob sich Seto und ging zum bett rüber. Er wollte schon die Arme des Blonden packen und ihn aus dem Bett ziehen, wohlweisslich, dass es diesen schmerzen würde, als er stutzte. Joeys Gesicht war gerötet, er war voller Schweiss und seine Hände hatte er seitlich in den Schlafanzug gekrallt. Der Braunhaarige zögerte, legte dann aber langsam seine Hand auf Joeys Stirn. Erschrocken zog er sie wieder zurück. Die Stirn des Blonden war glühend heiss und hatte ihm fast die Finger verbrannt. Schnell holte er einen nassen Lappen und legte ihn auf die Stirn des Schlafenden. Es war kein Wunder, dass er bei so vielen Verletzungen und dem mangelnden Schlaf Fieber bekam, doch Seto machte sich trotzdem Sorgen. >Schon wieder. Schon wieder mache ich mir Sorgen um diesen verfluchten Strassenköter. Der kann mir doch egal sein, ich bin schliesslich nicht für ihn verantwortlich. Am Besten hätte ich ihn gar nicht mit nach Hause genommen, sondern einen Krankenwagen gerufen, dann wäre er jetzt dort wo er hingehört, im Krankenhaus. Warum hab ich es eigentlich nicht so gemacht? Der macht mir doch nur Ärger.< Er wechselte den Lappen. Inzwischen hatte er eine Schüssel Eiswasser geholt, doch das Wasser war mittlerweile schon lauwarm. Egal wie oft Seto den Lappen wechselte, der nasse Stoff vermochte die glühende Haut nicht zu kühlen. Er liess sein Hausmädchen eine weitere Schüssel Eiswasser bringen und fuhr mit seiner Tätigkeit fort. „Gehen sie doch ins Bett, Master Kaiba. Ich kümmere mich um den Jungen.“ „Nein, schon gut Jade, geh schlafen.“ „In Ordnung. Kann ich vorher noch etwas für sie tun?“ „Vorher nicht, aber ruf morgen bevor die erste Stunde beginnt in der Schule an und teile ihnen mit, dass Joey Wheeler krank ist und deswegen nicht zum Unterricht erscheinen wird.“ „Er wohnt doch bei seinem Vater, also ist es seltsam, wenn eine Frau am Telefon ist. Soll ich sagen, dass ich für sie arbeite?“ „Bloss nicht! Erwähne auf keinen Fall meinen Namen. Sag du bist seine Nachbarin.“ „Werde ich tun. Gute Nacht, Master Kaiba.“ Nach einer weiteren Stunde, die Seto damit verbracht hatte Joeys Stirn zu kühlen, sank dessen Fieber endlich. Der Brünette schaute auf seinen Wecker und unterdrückte ein genervtes Seufzen. In zwei Stunden war sechs Uhr, das hiess er hatte kaum noch Zeit zum Schlafen. Nicht, dass er sonst viel Schlaf bekam, aber ein Bisschen mehr war normalerweise schon drin. „Hey Köter, aufstehen! Du hast lange genug geschlafen!“ Es raschelte und sofort wurde es hell im Zimmer. Joey schlug die Augen auf und war geblendet vom Sonnenlicht. „Dad? Was machst du in meinem Zimmer?“ Murmelte er verschlafen. „Und warum ist es so hell?“ „Ich bin nicht dein Vater und jetzt heb deinen Hintern aus meinem Bett und schwing dich ins Bad.“ Nun war Joey wach. „Kaiba?“ „Ja, du Blitzmerker.“ „Was mach ich hier?“ „Jetzt fragst du dass schon wieder. In meinem Bett rumliegen, anstatt zu gehorchen, was ein braves Hündchen tun sollte.“ „Haha, sehr witzig. Du weißt genau was ich meine.“ „Ich hab dich gefunden, darum bist du hier.“ „Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder.“ „Fein, dann kannst du ja jetzt machen was ich dir gesagt habe und dich waschen gehen.“ „Ich geh ja schon.“ Langsam und vorsichtig ging Joey ins Badezimmer, gefolgt von Seto. „Jade hat ein Bad für dich eingelassen. In dem Schrank rechts sind Handtücher und die Kleider die hier auf dem Hocker liegen, kannst du nachher anziehen.“ „Sind die von dir?“ „Von wem sollten sie sonst sein?“ „Ich hätte nie gedacht, dass du auch normale Klamotten trägst.“ Seto ignorierte den Kommentar. „In einer Halben Stunde komm ich wieder um dich zum Essen abzuholen, sieh also zu, dass du dann angezogen bist.“ Der Chef der Kaiba Corp. verliess das Bad und dann sein Zimmer. Braune Augen waren auf die Stelle gerichtet, an der er bis vorhin noch gestanden hatte. Joey war vom verhalten des Brünetten immer mehr verwirrt. Mit noch immer schmerzendem Körper zog er Setos Schlafanzug aus und liess sich ins warme Wasser gleiten. Die Wärme tat gut, doch sie machte ihn auch müde, weshalb er schnell wieder aus der Wanne stieg. Den Stützverband hatte er vor dem Baden von seiner Brust genommen und nun besah er sich die violetten Blutergüsse, die sich über seinen gebrochenen Rippen befanden. Die gestern noch blau angelaufene Seite war mittlerweile fast schwarz. Er seufzte traurig. Wenn das alles wirklich von einer Schlägerei kommen würde, täte es ihm nicht mal halb so weh und es würde ihn auch nicht so traurig machen. Ein Klopfen an der Tür ertönte. „Bist du fertig?“ „Gleich.“ Hastig begann er sich anzuziehen, wobei er immer kurz zuckte, wenn ihn ein Schmerz durchfuhr. Er stieg in die bereitgelegten Boxershorts >Seto trägt Shorts? Hätt ich nicht gedacht. Und warum nenn ich ihn in meinen Gedanken plötzlich bei seinem Vornamen?< und die Hose. Dann versuchte er den elastischen verband wieder um seine Brust zu wickeln, scheiterte aber. „Was machst du so lange?“ Seto klang nicht gerade freundlich. „Sorry, ich brauch noch nen Moment.“ Ein genervter Laut war zu hören, dann ging die Tür auf und der Hausherr kam herein. Obwohl er selbst nicht wusste warum, wurde Joey rot und sah verlegen zu Boden. „Du bist doch fast fertig.“ Der Blonde nahm ohne aufzusehen den Kapuzenpulli vom Hocker und wollte ihn anziehen, wurde aber von Seto daran gehindert. Der Blauäugige nahm ihm das Sweatshirt aus der Hand. „Du solltest erst das anziehen.“ Sagte er und hielt eine Art Weste aus festem, aber dennoch elastischem Stoff vor die Nase des Braunäugigen. Dieser sah ihn noch dümmer an als sonst und legte den Kopf schief. „Das ist ein Stützkorsett. Da man gebrochene Rippen nicht gipsen kann, ist es das einzige, was die Heilung ein wenig unterstützt.“ „Danke! Aber woher hast du so was?“ „Motorradunfall.“ Seto half ihm beim Anziehen der restlichen Kleidung, bevor beide nach unten in Richtung Esszimmer gingen. Mittlerweile konnte Joey auch wieder mehr oder weniger ohne Hilfe gehen. Er hielt sich nur manchmal an Setos Arm fest, was ihm jedes Mal einen eiskalten Blick von diesem einbrachte. Weil er aber keine Lust auf die Wut des Braunhaarigen hatte, nahm er wenn nötig die Wand zu Hilfe. „Sagst du mir jetzt endlich noch, warum du mich mitgenommen hast und dich um mich kümmerst, obwohl wir uns eigentlich hassen?“ „Nein. Du sagst mir ja schliesslich auch nicht die Wahrheit darüber, warum du überhaupt bewusstlos auf der Strasse gelegen bist.“ „Ich hab dir schon erzählt, dass ich in eine Schlägerei verwickelt war.“ Sagte der kleinere trotzig. „Eben. Und das ist nicht die Wahrheit.“ „Woher willst du das wissen?“ „Deine Arme.“ „Was ist damit?“ „Sie sind voller Schnitte und Narben.“ „Hörst du mir überhaupt zu, wenn ich dir was sage? Manche haben Glasflaschen nach mir geworfen. Ausserdem kommt es öfters vor, dass ich über Stacheldrahtzäune klettere.“ „Das kann nicht von so was sein. Es sind nur die Arme. Das warst du selbst, also muss es auch einen anderen Grund für deine restlichen Verletzungen geben.“ „Das ist nicht wahr!“ „Ach, und warum trägst du dann sogar bei grösster Hitze lange Sachen, obwohl du früher schon im Winter dauernd kurzärmlig durch die Gegend gerannt bist?“ „Es ist trotzdem nicht wahr!“ Joeys Stimme zitterte. Angst und trotz waren daraus zu hören. „Weißt du was? Geh nach Hause!“ „Aber-“ „Du sollst nach Hause gehen! Verpiss dich, Köter!“ Der Blonde stand wie angewurzelt da, seine braunen Augen weit aufgerissen. „Hast du nicht gehört?! Du sollst jetzt abhauen!“ Seto war mehr als wütend „Ach verdammt! Ich hasse dich, Seto Kaiba!“ Der Angesprochene trat einen Schritt näher. Sein eiskalter, stechender Blick wurde von warmen, braunen Augen erwidert. Sie starrten sich einfach an, bis sich der Brünette als erster wieder regte. Diese braunen Augen, die tiefe Trauer, Verzweiflung, Einsamkeit und zugleich auch Trotz widerspiegelten hielten ihn gefangen. Wie von einem Magneten angezogen, näherte sich sein Gesicht dem des Blonden. Diesem ging es nicht anders. Die sonst so eisblauen, kalten Augen waren auf einmal so sanft und wirkten wie warme, flüssige Saphire. Sie spürten den Atem des jeweils Anderen auf dem Gesicht, ihre Nasenspitzen berührten sich und sanft legte Seto seine Lippen auf Joeys. Wie von selbst schlossen sich die Augen der zwei küssenden Jungen. Joey mochte es, dass Setos Lippen nach Kaffee schmeckten, obwohl er den Geschmack sonst hasste. Auch der junge Firmenchef konnte vom süssen Geschmack, der nun auf seiner Zunge lag nicht genug bekommen. Ohne dass er es wirklich bemerkt hatte, hatte sich seine Zunge in Joeys Mund geschlichen und spielte nun mit dessen Mundbewohnerin. Es war wie ein Tanz, der in ihren Mündern stattfand. Seto legte seine Arme um Joey, während dieser seine Hände im Nacken des Grösseren mit dessen Haaren verschlang. Immer wilder und leidenschaftlicher wurde ihr Kuss. „Seto, ich bin wieder da!“ Mokubas Stimme hallte durch das Haus und schnelle Schritte auf der Treppe waren zu hören. Erschrocken öffnete Seto die Augen, liess Joey los und trat einen Schritt nach hinten. „Scheisse!“ Joey drehte sich auf der Stelle um und rannte die Treppe hinunter. Er stiess fast mit Mokuba zusammen, welcher gerade oben angekommen war und ihm nun verwirrt nachsah. Als er nach mehrmaligem Falschabbiegen endlich bei der Haustür angekommen war, riss er diese auf und rannte hinaus. Erst als er die Strasse in der die Villa der Kaibas stand verlassen hatte, verlangsamte er seine Schritte und machte sich auf die Suche nach einem Stadtteil den er kannte. Er wurde des Öfteren schief angesehen, denn er war blass, seine Augen waren immer noch vom Schreck den er bekommen hatte aufgerissen und die Kleidung die er trug, war ihm nicht gerade wenig zu gross. Als er seine Umgebung endlich wieder kannte, machte er sich sofort auf den Weg zu Yugis Haus. Nun sass er mit angezogenen Beinen auf Yugis Bett und trank den Tee, welchen ihm dieser gebracht hatte. „Was ist denn mit dir los, Joey? Du warst heute nicht in der Schule, krankgemeldet von einer Nachbarin und jetzt bist du so vor meiner Tür gestanden.“ „Naja, mir ging es wirklich nicht so gut und dann bin ich von zu Hause abgehauen, weil mein Vater mal wieder betrunken war.“ „Das tut mir Leid.“ „Muss es nicht, du kannst ja nichts dafür.“ Auch wenn er sich wegen dessen Naivität schon oft Sorgen um Yugi gemacht hatte, war er in solchen Fällen froh, darüber. Sein bester Freund stellte ihm keine einzige Frage zu der fremden Kleidung, obwohl es ihm bestimmt aufgefallen war, dass sie nicht ihm selbst gehörte. Die ganzen Verletzungen an seinem Körper waren von den Kleidern verdeckt, bis auf sein Gesicht und die Frage dazu kam auch gleich. „Was ist denn mit deinem Auge? Hast du dich wieder geprügelt? Und deine Lippe ist auch geschwollen.“ „Ja, hab ich.“ „Warum kannst du nicht einfach vorbei gehen, wenn sie dich blöd anquatschen?“ „Ich hab auch meinen Stolz.“ Ein Seufzen kam über die Lippen des kleinen Stachelkopfs. „Du bist immer noch der gute, alte Joey.“ Nun lachte er. „Komm, wir duellieren uns, das lenkt dich etwas von deinem Vater ab.“ Sie taten es dann auch und Yugi gewann natürlich. „Du Yugi, kann ich vielleicht heute bei dir pennen? Bis mein Vater wieder nüchtern ist, dauert es bestimmt noch eine Weile und ich hasse es ihn so zu sehen.“ „Klar, kein Problem.“ Joey hatte schon oft bei Yugi geschlafen, wenn sein Vater ihn wieder geschlagen hatte. Sein kleiner Freund dachte allerdings es läge lediglich am betrunkenen Zustand des Vaters, denn von den Schlägen wusste nicht mal er etwas. „Seto!“ Der schwarzhaarige Junge wedelte mit der Hand vor dem Gesicht seines grossen Bruders rum. „Hallo! Erde an Seto Kaiba!“ „Was?“ „Man Seto! Was ist denn mit dir los? Warum guckst du so verwirrt? Und war da Joey eben auf der Treppe? Ist er jetzt doch ein Freund von dir?“ Schnell versteckte der Braunhaarige seinen erschrockenen Gesichtsausdruck. „Frag doch nicht alles auf einmal. Es ist alles in Ordnung, Mokuba. Wheeler ist garantiert nicht mein Freund und so wird es auch bleiben. Er hat mir lediglich etwas wiedergebracht, das ich verloren habe.“ Seto wusste genau, dass ihm Mokuba nicht ein Wort glaubte, doch der kleine Junge liess sich nichts anmerken. Er lächelte Seto unschuldig an und ging dann. Sobald er sich umgedreht hatte, verschwand sein Lächeln. Er konnte nicht verstehen, wieso ihm sein Bruder nicht die Wahrheit sagte, denn sie hatten sonst keine Geheimnisse voreinander. Als Mokuba gegangen war, raufte sich Seto die Haare und stapfte dann die Treppe runter und zur Türe raus. Verdammt! Was hab ich mir nur dabei gedacht Wheeler zu küssen? Und warum zum Teufel hat er es zugelassen? Aber es hat mir nicht gefallen. Ok, ok, es hat mir gefallen, sogar sehr. Ach Scheisse! Warum ist der Kerl dann einfach abgehauen? Naja, vielleicht besser so, ich hätte sonst womöglich noch etwas viel Blöderes getan. Aber morgen in der Schule werde ich ihm wieder begegnen. Was soll ich dann zu ihm sagen? Das ist alles so eine verdammte Scheisse! Seto Kaiba, reichster Unternehmer der Welt, jüngster und begehrtester Firmenchef küsst seinen grössten Fein, Joey Wheeler, den dreckigen Strassenköter. Hoffentlich erfährt das niemand! < Sets Todesblick verschreckte alle Leute die ihm auf der Strasse begegneten und brachte so manches Kind zum weinen. Joey konnte nicht schlafen. Das was im Kaiba-Anwesen geschehen war liess ihm keine Ruhe. Dauernd fuhr seine Zunge über seine Lippen, denn er hatte das Gefühl dort noch immer den Geschmack von Setos Lippen zu spüren. Auch die Tatsache, dass ihn der Brünette wie einen Freund behandelt hatte, geisterte die ganze Zeit in seinem Kopf herum. Es passte schon gar nicht zu einem Seto Kaiba zu irgendjemandem andern als seinem Bruder Mokuba nett zu sein, aber nett zu ihm, war er doch am Allerwenigsten. Mit seinem ewigen Rumgedrehe und Geseufze weckte er Yugi. „Joey, was ist los? Warum schläfst du nicht?“ „Sorry, dass ich dich geweckt hab, Alter, ich kann nicht schlafen.“ „Schon okay, sei aber bitte ein Wenig leiser, ja?“ „Ist gut.“ Yugi schlief schnell wieder ein und auch Joey gelang es endlich. Sein Traum war wirr. Er war in einem ewig langen Gang. Seto rannte ihm hinterher und rief die ganze Zeit: „Warte, Schatz! Ich will doch nur einen Kuss!“ Plötzlich endete der Gang. Joey drehte sich um und sah direkt in die blauen Augen vor sich. Sie waren kalt, wie immer, doch trotzdem schienen sie die seinen einzufangen. Setos tiefe Stimme erklang. „Du warst unartig, Hündchen und musst dafür bestraft werden.“ Feine, warme Hände glitten über Joeys Körper. Eine Gänsehaut überzog seine Arme und ihm lief es heiss und kalt den Rücken runter. Noch lagen die Hände des Braunhaarigen auf seinem Oberkörper, doch sie wanderten immer tiefer, bis sie an einer bestimmten Stelle angekommen waren. Der Blonde versuchte sich zu wehren, doch er konnte sich nicht bewegen. Die sanften Berührungen, die ihn trafen, elektrisierten und lähmten ihn. Manchmal war der Blauäugige nicht mehr ganz so sanft und Joey wollte ihn wegstossen, doch noch immer ging es nicht. Sein Mund war zum Schreien geöffnet, aber kein Laut drang heraus. Immer weiter ging der Brünette, bis er plötzlich verschwand und an seiner Stelle ein verschwommener, kleiner Junge stand. Joeys Glieder waren wieder frei von den unsichtbaren Fesseln und auch das Bild vor seinen Augen wurde klarer. „Was ist mit dir los Joey? Du bist schon wieder so seltsam, ist etwas passiert?“ „Nein, mir geht es bestens.“ Mittlerweile hatte er den kleineren als Yugi identifiziert und war auch wieder einigermassen wach. „Komm steh auf, wir müssen zur Schule.“ „Schon?“ „Ja.“ „Aber ich hab doch meine Schuluniform nicht da.“ „Deswegen müssen wir ja auch früher gehen, damit wir noch bei dir zu Hause vorbei können.“ „Naja, sie ist auch nicht bei mir zu Hause.“ „Wo dann?“ „Das glaubst du mir eh nie.“ „Erzähls doch einfach, meinem besten Freund glaub ich, das weißt du.“ „Sie ist…also sie ist…bei…K-Kaiba.“ „Was?!“ „Ich hab ja gesagt, du glaubst mir nicht.“ „Doch, aber wieso?“ „Er hatte was verloren, was ich ihm wiedergebracht habe und sein Hausmädchen wollte mich mit der schmutzigen Uniform nicht reinlassen. Ich musste sie ausziehen und hab dafür diese Sachen gekriegt. Du weißt ja wie Kaiba ist, der hat mich danach einfach rausgeworfen, ohne Uniform.“ > Also die Geschichte ist auf keinen Fall wahr, aber weil er sich so Mühe gegeben hat, tu ich mal so als würd ich ihm glauben. Warum er gelogen hat, würde mich aber brennend interessieren. < „Ok, gehen wir halt so. Meine zweite passt dir ja leider auch nicht.“ Tea holte Yugi immer ab, so auch heute. Sie hatte sich schon oft gewundert, wenn der Blonde ebenfalls auf sie wartete, denn er wohnte auf der anderen Seite der Schule und hatte somit einen ganz anderen Weg. Auf ihr Nachfragen hin hatte Joey nur geantwortet, dass er es langweilig fände alleine zu gehen. Yugi hatte gar nichts gesagt. „Hey Yugi.“ „Hallo Tea.“ „Oh Joey, du bist ja auch wieder mal dabei, aber wo ist deine Uniform?“ „Bei nem Bekannten.“ „Und bei wem?“ „Kaiba.“ Sagte er knapp. „Wieso denn bei dem?“ „Hab ihm was zurückgebracht, durfte aber nicht schmutzig ins Haus.“ „Aha.“ „Last uns gehen, wir kommen sonst zu spät.“ Sagte der kleine Stachelkopf und ging los. Auf dem Schulhof angekommen, sahen alle zu Joey. Er war bekannt dafür, zu spät zu kommen und heute war er ausnahmsweise einmal pünktlich. Trotz seines ständigen zu spät Kommens hatte er allerdings noch nie seine Schuluniform vergessen. „Hey Köter, bei Fuss!“ Der Blonde drehte sich leicht erschrocken zu der Stimme, welche ihn noch in seinen Träumen und Gedanken verfolgte um. Seto stand ein Stück hinter ihm und sah ihn mit seinen Eisblauen Augen kalt an. >Gestern waren sie noch warm und ganz Saphirblau. < Schoss es ihm durch den Kopf. „Wheeler, jetzt komm hier her!“ „Warum sollte ich?“ Auch Yugi und Tea waren mittlerweile stehen geblieben. Tristan war zu ihnen gestossen und die drei schauten ihren Freund und seinen Kontrahenten an, wie sie sich gegenseitig mit Blicken ermordeten. „Ich hab was für dich, also komm her!“ Verwunderung trat an die Stelle der Wut in Joeys Augen. Eine Plastiktüte landete in seinem Gesicht. „Hier, kannst du behalten.“ Dann sah er nur noch die Rückseite des Brünetten, die immer kleiner wurde, während er sich in Richtung Schulgebäude entfernte. Nachdem er ihm eine Zeit lang nachgestarrt hatte, schaute der Blonde in die Tüte. Darin lagen ein weisses Hemd, blaue Stoffhosen und eine blaue Jacke; die Uniform ihrer Schule. Seine eigene konnte es allerdings nicht sein, denn die war zerrissen und schmutzig, diese aber war sauber und gebügelt. „Was ist denn da drin?“ rief Tristan „Meine Schuluniform.“ Joey ging wieder zu seinen Freunden zurück. „Der hat sie dir echt wieder gebracht?“ Fragte Tristan, der von den andern beiden inzwischen ins Bild gesetzt worden war ungläubig. „Ne, die ist von selbst her geflogen.“ Joey zog sich in der Toilette um, während seine Freunde schon ins Klassenzimmer gingen, dann kam auch er. Die Hemdärmel hatte er umgeschlagen, diejenigen der Jacke kamen ihm bis zu den Fingerspitzen und er trat fast auf die Hosenbeine. Setos Blick, der kurz auf ihm ruhte, war undefinierbar. Ausnahmsweise sass Joey schon auf seinem Platz, als der Lehrer eintrat. Der Blick des Lehrers wanderte gleich zu ihm. „Ah, du bist wieder gesund.“ „Ja, wie sie sehen.“ „Und eine saubere und ganze Uniform hast du zur Abwechslung auch mal an, auch wenn es nicht deine ist.“ Joey gab darauf keine Antwort und der Lehrer begann mit dem Unterricht. Natürlich passte der Blonde keine Minute auf. Seine braunen Augen wanderten dauernd zu dem Brünetten hinter ihm. Zu Beginn waren die blauen Augen Setos geschlossen, doch dann öffnete er sie langsam. Joeys blieben sofort daran kleben, während er – für ihn ganz unverständlicherweise – nicht ganz jugendfreie Gedanken über den hinter ihm sitzenden hatte. „Dreh dich um, Köter.“ Joey hörte gar nicht was Seto sagte, sondern schaute ihn nur weiter an. „Joseph!“ Die Stimme der Lehrers liess ihn zusammenfahren und sich gerade hinsetzen. „Es freut mich, dass dein Hintermann für dich so interessant ist, aber deine Augen sollten auf die Tafel gerichtet sein.“ Der Angesprochene wandte sich angesichts der etwas zweideutigen Aussage des Lehrers um und sah mit rotem Kopf auf seinen Tisch. „Mr. Kaiba, kommen sie bitte an die Tafel und rechnen vor.“ Wieder eine Person die Angst vor dem jungen Firmenchef hatte. Alle Schüler duzte er, nur Seto nicht. Der Brünette stand auf und ging an Joey Tisch vorbei. „Starr mich nicht dauernd an, Hundi!“ Zischte er ihm leise zu. Joey tat natürlich nicht was Seto von ihm wollte. Seine Augen folgten den grösseren. Kaum stand der Braunhaarige an der Tafel, sprang Joey auf und rannte ein leises „Scheisse!“ fluchend aus dem Klassenzimmer. Die Tür knallte zu und wurde von allen Schülern angestarrt. Sogar Seto liess die Kreide fallen und schaute mit einem komischen Blick dorthin, wo der Blonde eben verschwunden war. Er rannte in die Jungentoilette und schloss sich in einer Kabine ein. Tief durchatmend lehnte sich Joey an die Wand. Nachdem er Seto die ganze Zeit angeschaut hatte und dieser vor seinem Auge plötzlich ohne Kleidung aufgetaucht war, hatte er ein seltsames Gefühl im unteren Bereich seines Körpers gespürt. Er wusste ohne nachzusehen sofort was es war. >Scheisse, Scheisse und noch mal Scheisse! Warum passiert mir so was bei Kaiba? Bin ich krank, oder was?! Was soll das? Oder ist es etwa normal beim Anblick seines grössten Feindes einen Ständer zu kriegen? Das bezweifle ich. < Er hörte die immer quietschende Klotüre aufgehen. „Joey, bist du da?“ Der Angesprochene antwortete bewusst nicht, in der Hoffnung Yugi, denn es war unverkennbar er, würde dann wieder gehen. „Ich weiss, dass du es bist, ich sehe deine Schuhe. Geht’s dir nicht gut?“ „Alles bestens, mir war nur ein Bisschen schlecht. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ „Soll ich den Schularzt holen?“ „Nein, nicht nötig.“ „Aber du bist schon recht lange da drin und ich glaube sogar Kaiba ist ein wenig besorgt, er hat dir nämlich so seltsam nachgeschaut.“ „Erwähne ja nicht noch einmal den Namen von diesem arroganten Arschloch, oder mir wird gleich wieder schlecht!“ „Hey, irgendwas stimmt doch nicht mit dir. Ihr liegt euch zwar ständig in den Haaren, aber so hast du ihn noch nie bezeichnet, ausserdem hat er doch vorhin gar nichts getan.“ „Ach Scheisse! Bitte Yugi, geh und lass mich allein, ja? Ich brauch nur kurz einen Moment.“ „Na gut, aber komm noch vor Unterrichtsende zurück.“ Yugi verliess die Toiletten und Joey atmete auf. Er hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass jemand reinkommen würde, auch nicht sein bester Freund. > Na wenigstens steht mein Kumpel weiter unten nicht mehr.< „Joseph, was sollte das?“ „Entschuldigung, mir war schlecht.“ „Das hat dein kleiner Freund auch gesagt. Aber mal ehrlich, gestern warst du krank, heute ist dir schlecht…ich glaube einfach du solltest etwas an deinem Lebensstil ändern. Diese ewigen Schlägereien sind auf die Dauer schlecht für die Gesundheit.“ „Ja.“ Joey setzte sich hin und warf einen flüchtigen Blick zu Yugi, der ihn noch immer leicht besorgt ansah. Ein gefalteter Zettel landete auf dem Tisch des Braunäugigen. Verwundert faltete er ihn auseinander. „Was sollte das, Köter?“ Er schrieb eine Antwort: „Mir wurde von deinem Anblick schlecht! Und warum kümmert dich das überhaupt?“ Kurz schaute er nach hinten und warf den Zettel zurück. Seto: „Das Meinte ich nicht.“ Joey: „Was dann?“ Seto: „Das weißt du genau.“ Joey: „Nein!“ Seto: „Versuch nicht mich für dumm zu verkaufen, das was gestern passiert ist!“ Joey: „Was fragst du mich das? DU hast MICH geküsst, nicht umgekehrt!“ Seto: „Aber du bist einfach weggerannt, nachdem du es zugelassen hast!“ Joey: „Warum stört dich das? Hättest du etwa noch mehr tun wollen?“ Seto: „Auf keinen Fall! Aber warum hast du es einfach zugelassen?“ Joey: „Woher soll ich das wissen? Warum hast du denn damit angefangen? Und überhaupt, wie kommst du auf die Idee mir mitten im Unterricht so was auf einen Zettel zu schreiben? Ausgerechnet du. Ich würde das ganze lieber vergessen und ich dachte dir geht es auch so.“ Er wollte den Zettel gerade wieder nach hinten reichen, als er ihm vor der Nase weggeschnappt wurde. Erschrocken sah er zu seinem Lehrer hinauf, der im Begriff war das Geschriebene zu lesen. Blitzschnell riss ihm Joey den Zettel aus der Hand, zerfetzte ihn in kleine Stücke und stopfte diese in seine Hosentasche. Verwunderte Blicke lagen auf ihm. „Was wird denn das, wenns fertig ist?“ Der Lehrer schaffte es kaum seinen Zorn zu unterdrücken. „Das ist privat, es geht sie nichts an, was in meinen Nachrichten steht.“ „Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn du im Unterricht nicht aufpasst! Wenn du unbedingt mit Herrn Kaiba reden musst, dann tu das gefälligst in der Pause, so wichtig kann es schon nicht sein.“ Ein leichter Rotschimmer lag nun auf Joeys Wangen. Du warst ja noch nie ein Musterschüler, aber seit ein paar Tagen ist die Benehmen einfach inakzeptabel. Ob du gestern wirklich krank warst bezweifle ich. Auch dass dir schlecht war, als du vorhin rausgerannt bist und jetzt noch das. Die ganze Sache wird auf jeden Fall ein Nachspiel haben, denn du kannst dich jetzt auf einen sofortigen Besuch beim Direktor freuen.“ „Was?“ „Du hast mich schon verstanden.“ Der Lehrer wandte sich ab und liess Joey verdattert sitzen. „Hundi, ich würde an deiner Stelle tun was er sagt. Der Lehrer ist gleich an der Tafel, wo er sich umdrehen wird und wenn du dann noch hier sitzt, könnte es für dich noch unangenehmer werden als jetzt schon.“ „Halt deine verdammte Fresse! DU bist schliesslich daran Schuld!“ Der Blonde verliess das Klassenzimmer. Seto war für ihn einfach ein Rätsel. Sie hassten sich, was sie einander auch deutlich spüren liessen und doch war der Brünette plötzlich so nett zu ihm gewesen, kaum einen Atemzug später aber schon wieder nicht mehr. Unschlüssig stand er vor der schweren Holztür, die zum Büro des Rektors – Besser gesagt zum Raum der Sekretärin und dann zu seinem Büro – führte. Er klopfte an, worauf ihn die freundliche Sekretärin hereinbat. Ihr taten die Schüler immer leid, die schon wegen Kleinigkeiten dauernd zum Rektor geschickt wurden und zu diesen gehörte Joey voll und ganz. „Ah, Joseph. Was hast du denn nun wieder angestellt?“ Fragte sie ihn mit ihrer ruhigen Stimme. „Nichts besonderes, gestern war ich krank, heute bin ich aus dem Klassenzimmer gerannt und dann hat mich der Lehrer auch noch beim Zettelschreiben erwischt.“ „Aha. Und in welchem Fach?“ „Mathe.“ „Da hast du dir ja den besten Lehrer ausgesucht.“ Sagte sie mitfühlend. „Möchtest du etwas trinken? Der Direktor ist gerade noch in einer Besprechung, mit dem Schulrat.“ „Gerne, vielen Dank.“ Sie gab ihm einen Becher Limonade in die Hand und er setzte sich auf einen der vier Stühle, die in einer Reihe an der Wand standen, damit die wartenden Schüler nicht stehen mussten. „Und, für wen war denn dein Zettel? Es war doch bestimmt ein Liebesbrief, oder?“ „Nein!“ „Soso, und warum wirst du dann rot?“ Der neckische Unterton in ihrer Stimme, liess den Jungen noch verlegener werden. Normalerweise mochte er es, dass er stets warten musste und die Sekretärin ihn mit ihrer lockeren, lustigen Art vom bevorstehenden Ärger ablenkte, aber die Richtung in die das Gespräch lief, gefiel ihm gar nicht. „Tut mir Leid, ich bin einfach zu neugierig.“ „Schon okay.“ Den Rest der Wartezeit verbrachte er damit schweigend den Becher in seiner Hand anzustarren und dem steten Tippen zu lauschen, bei dem immer wieder das Bild, dass er des Nachts im Hause Kaiba gesehen hatte vor seinem inneren Auge erschien. Er schüttelte den Kopf um es loszuwerden, doch es war wie eingebrannt. „Ist was?“ Erschrocken darüber eine besorgte Frauenstimme und nicht die seines eiskalten Mitschülers zu hören hob er den Kopf und verneinte. Endlich öffnete sich die mit Stoff bezogene Türe, welche den Rektor vor lästigen Geräuschen schützte und der Schulrat trat heraus. Er verabschiedete sich von der Sekretärin, nickte Joey kurz zu und verschwand dann nach draussen. Die Sekretärin drückte auf einen Knopf und fragte durch das Sprachrohr: „Herr Direktor, Joseph Wheeler wartet bei mir, kann ich ihn herein schicken?“ Ein brummiges „Ja“ kam zurück und Joey trat in das Büro. Die Tür verschloss er leise hinter sich, dann setzte er sich in den Sessel, direkt vor dem Schreibtisch des Rektors. „Nun Joseph. Dein Lehrer hat mich kurz angerufen und erzählt, dass du dich daneben benommen hast. Du seiest im Unterricht einfach aus dem Zimmer gestürzt und hättest später Zettel durch die Klasse gehen lassen. Stimmt das alles?“ „Ja und nein. Ich bin wirklich aus dem Zimmer, aber nur weil mir schlecht war. Und Zettel durch die Klasse gehen lassen hab ich auch nicht, ich hab nur eine Frage die mir Kaiba aufgeschrieben hat beantwortet.“ „Willst du damit etwa sagen, Mr. Kaiba hätte mit diesem äusserst kindischen Zettel schreiben angefangen?“ „Ja, so ist es.“ „Diese lächerliche und beleidigende Behauptung wird deine Strafe noch vergrössern. Wie kommst du nur auf die absurde Idee, ich würde dir eine solche Lüge glauben?“ Joey sprang aufgebracht aus dem Sessel. „Diese ganze Schule kotzt mich an! Nicht nur die Schüler, auch alle Lehrer und sogar sie, Herr Direktor kriechen diesem aufgeblasenen Arschloch Kaiba in den Arsch, nur weil er Geld und damit Macht hat. Ein Rektor sollte fair und unparteiisch sein!“ Mit trotzigem Blick sah er in die Augen des Rektors, welche von Zorn nur so sprühten. „So, das ist also deine Meinung? Na wenn das so ist, kann ich dich ja getrost zwei Tage vom Unterricht suspendieren und uns allen damit eine Menge Ärger ersparen. Den verpassten Stoff wirst du alleine Nachholen müssen und jetzt mach das du raus kommst!“ Der Blonde ging aus dem Büro und knallte die Tür hinter sich zu. „Joseph, was ist passiert?“ „Sie werden zwei Tage Ruhe vor mir haben.“ Mit schnellen Schritten verliess er Schulhaus und Schulhof. Dass seine Sachen noch immer im Klassenzimmer waren, interessierte ihn nicht. Zu Hause schloss Joey seine Zimmertür ab, obwohl sein Vater das hasste. Wenn er erfahren würde, was an diesem Tag in der Schule geschehen war, dann hätte Joey einen guten Grund sich um sein Leben zu fürchten. Die Klasse war nicht über Joey Suspendierung informiert und die Lehrer sagten den Schülern auch kein Wort. Die Freunde des Blonden wollten ihn besuchen, doch da alle ausser Yugi noch etwas tun mussten, ging er alleine. Joeys Schultasche und die ganzen Schulbücher, welche sie heute gebraucht hatten, hatte er bei sich. Es klingelte und der Blonde öffnete die Tür. „Yugi? Was machst du denn hier?“ „Ich wollt sehen wies dir geht. Bist du schon wieder krank?“ „Krank? Wie kommst du darauf?“ „Na weil du nicht in der Schule warst. Die Lehrer wissen auch nichts davon.“ „Was? Komm erst mal rein.“ Yugi folgte der Bitte, zog die Schuhe aus und folgte Joey in sein Zimmer. „Setz dich irgendwo hin.“ Yugi setzte sich auf Joeys Schreibtischstuhl, während er selbst sich auf sein Bett pflanzte. „Ach ja, bevor ich’s vergesse: Ich hab deine Schultasche, die du liegen gelassen hast und alles was wir heute durchgenommen haben mitgebracht.“ „Danke Yugi, du bist echt ein Freund. Aber wieso dachtest du ich sei krank?“ „Na, du kamst heute nicht und auch die Lehrer haben nichts gesagt.“ „Ich wurde für zwei Tage suspendiert, weil ich den Rektor beleidigt habe.“ „Joey, ist das wahr?!“ „Ja.“ „Da kannst du froh sein, dass du nicht ganz von der Schule geflogen bist. Aber was hast du denn überhaupt gesagt?“ „Ich musste doch in sein Büro, wegen der Sache mit dem Zettel und weil ich aus dem Zimmer bin. Als ich sagte, dass Kaiba zuerst mir einen Zettel geschrieben hat, hat er mich als Lügner beschimpft. Und du kennst mich ja, ich hab halt ein starkes Temperament und hab gesagt er sei parteiisch und unfair. Dann hat er mich suspendiert und rausgeschmissen.“ „Aber dass die Lehrer uns nicht informiert haben, find ich schon seltsam.“ „Was solls, braucht ja nicht jeder zu wissen. Ist mir sogar lieber, als wenn die ganze Schule darüber im Bild ist.“ Dennoch seufzte er. „Danke noch mal, dass du mir die Schulsachen gebracht hast.“ „Keine Sache. Soll ich dir noch erklären was wir gemacht haben?“ „Wenn du Zeit hast gerne.“ Eine Stunde später verabschiedete sich Yugi. „Bis morgen.“ „Morgen? Ich darf doch erst übermorgen wieder kommen.“ „Aber was wir morgen im Unterricht machen, dürfte dich auch interessieren, also komm ich noch mal vorbei.“ „Danke, alter. Du hast echt noch was gut bei mir.“ „Ach quatsch, dafür sind Freunde da.“ Der Junge mit der Stachelfrisur lächelte ihn noch einmal an, dann drehte er sich um und verliess das Haus. Für den Rest des Tages machte Joey sich’s gemütlich, denn er wusste, dass sein Vater erst am folgenden Tag nach Hause kommen würde. Er schaute ein wenig fern, bevor er sich die Schuhe anzog und nach draussen ging, um einen Spaziergang zu machen. Im Park etwa 10 Minuten von seinem zu Hause entfernt, hielt er sich am liebsten auf. Da die Tage inzwischen warm und sonnig waren, spielten überall Kinder, während ihnen ihre Eltern und Grosseltern zusahen, oder sogar mitmachten. Ein wenig wehmütig schaute Joey zu einem Jungen, der mit seinem Vater Baseballübungen machte. Sein Vater hatte kaum einmal mit ihm gespielt. Gleich darauf lächelte er aber wieder, als er sah, wie ein anderer Junge ein Mädchen auf der Schaukel anstiess. „Höher, Bruder, höher!“ rief das Mädchen und quiekte vergnügt. Für einen kurzen Moment sah er anstelle dieser beiden sich selbst und seine Schwester Serenity, wie sie in dem alter zusammen auf der Schaukel gespielt hatten. Damals wollte auch Serenity immer stärker angeschubst werden, bis sie mit den Händen abrutschte und von der Schaukel fiel. Ihre Knie waren aufgeschürft und Joey trug sie den ganzen Weg nach Hause Huckepack. Seine Mutter war stolz auf ihn, dass er sie getragen und getröstet hatte, doch sein Vater hatte geschimpft, weil er gewissermassen Schuld war. Damals hatte er die erste Ohrfeige von seinem Vater eingefangen und ein paar Wochen später waren seine Mutter und seine Schwester ausgezogen. Kurz schüttelte er den Kopf und setzte sich dann auf seine Lieblingsbank unter der Trauerweide. Mit geschlossenen Augen und den Kopf in den Nacken geneigt dachte er noch mal über das nach, was in den letzten Tagen passiert war. „Sind sie verliebt, junger Mann?“ Erschrocken riss Joey die Augen auf und wandte seinen Kopf ruckartig nach links. Neben ihm sass eine alte Dame und schaute ihn entschuldigend an. „Oh Verzeihung, das war eine sehr indiskrete Frage, aber sie haben mit diesem Lächeln so verträumt ausgesehen, da dachte ich es müsse einfach an dem liegen.“ >Ich habe gelächelt?< „Schon in Ordnung. Und sie können mich ruhig duzen, ich geh noch zur Schule.“ „Wie ist denn dein Name?“ „Joey.“ „Ungewöhnlicher Name, aber hübsch. Meiner ist Kisawa.“ „Freut mich sehr sie kennen zulernen, Mrs. Kisawa.“ Er streckte ihr die Hand hin und sie ergriff sie freudig. „Die Freude ist ganz meinerseits. Das ist vielleicht schon wieder eine etwas indiskrete Frage, aber kann es sein, dass du Halbjapaner bist?“ „Ja, mein Vater ist aus Amerika. Deswegen auch der Name und die blonden Haare.“ „Meine zweitälteste Tochter hat auch einen Amerikaner geheiratet, ihr kleines Töchterchen hat ganz goldene Locken.“ Joey verdrehte die Augen. Er fand die alte Dame zwar nett, aber ein wenig nervig. Ausserdem hatte sie ihn aus seinen Gedanken gerissen, was wohl auch der Grund war, dass er ihr etwas erzählt hatte, was keinen Fremden etwas anging. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er langsam nach Hause gehen sollte, um sich ein Abendessen zu machen. Er stand auf. „Auf Wiedersehen, Mrs. Kisawa.“ „Auf Wiedersehen, mein Junge. Und viel Erfolg, beim Erobern des Herzen von dem Mädchen, an das du vorhin gedacht hast.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sich Joey um und machte sich auf den Heimweg. Sein Kopf glich einer Tomate. Er hatte vorhin an etwas ganz anderes als ein Mädchen gedacht. Der friedliche Tag, den er gänzlich ohne seinen Vater verbringen durfte, neigte sich dem Ende zu und er legte sich ins Bett. Das erste Mal seit langem konnte er wieder wirklich schlafen. Ausnahmsweise waren keine neuen Verletzungen zu den alten gekommen und Joey brauchte eine Nacht lang keine Angst zu haben plötzlich von seinem Vater unsanft geweckt und dann als Boxsack missbraucht zu werden. Joeys zweiter – unfreiwillig – schulfreier Tag hätte so schön werden können, jedenfalls bis zum Nachmittag, doch es sollte wohl nicht so sein. Yugi hatte ihn morgens noch vor der Schule angerufen und ihm gesagt, dass er seinem Grossvater helfen müsste und deswegen nicht kommen konnte. Also konnte er sich den ganzen Tag nur langweilen, da er keine Zeitvertreibenden Besitztümer hatte und es draussen in Strömen regnete und ziemlich kühl war. „Dabei war gestern noch so herrliches Wetter gewesen.“ Seufzte der Blonde und legte sich gelangweilt auf sein Bett. Er hätte wissen müssen, dass er so einschlafen würde. Gegen Mittag wurde Joey von lautem Poltern geweckt. Sein Vater war nach Hause gekommen und stand nun in seinem Zimmer. „JOEY!“ > Scheisse! Was hab ich vergessen? Abwaschen? Nein. Einkaufen war ich auch, der Müll ist draussen, was war es bloss? < Als Joey aufsah, war sein Vater schon bei seinem Bett und der Junge wünschte sich wie so oft nie geboren worden zu sein. „So, du bist also von der Schule suspendiert, weil du den Direktor und den einflussreichsten Mann des Landes beleidigt hast. Ich hätte dich gleich ganz rausgeschmissen! Und jetzt kriegst du deine Belohnung dafür.“ Irgendwann war Joeys Vater trotz der Aggressivität durch den Alkohol eingeschlafen. Joey sah auf seinen Wecker. Soweit er die rot leuchtenden Zahlen richtig lesen konnte, war es kurz vor drei Uhr nachmittags. Stöhnend und unter heftigen Schmerzen stand er auf, wofür er mehrere Versuche brauchte. Schwankend ging er auf die Haustür zu, wobei er an der Küche vorbei musste. Kurz zögerte er, dann betrat er den Raum, nahm sich ein kleines, aber scharfes Küchenmesser und steckte es sich in die Hosentasche. An der Tür schlüpfte er nur in seine Schuhe, die Jacke auch noch anzuziehen, daran dachte er gar nicht. Er lief stolpernd durch die Strassen. Seine Sicht war getrübt und er sah alles nur als verschwommene Farbflecke. Immer wieder viel er hin, doch jedes mal rappelte er sich wieder auf und ging weiter, bis er beim Park war. Er setzte sich auf die Bank, welche gestern und auch schon früher oft so etwas wie ein Zufluchtsort für ihn gewesen war. Ohne sich umzublicken zog er das Messer aus seiner Hose. Während er es mit der rechten Hand festhielt, sah er noch etwas zögernd auf seine Arme, die eine feine Gänsehaut überzog. Er hatte gar nicht bemerkt, dass es ziemlich kühl war und auch den Regen hatte er nicht gesehen. Erst jetzt, als ihm Wasser auf die Arme und Beine tropfte realisierte er es, doch war ihm das herzlich egal. Ohne einen weiteren Gedanken an das Wetter zu verschwenden, setzte er das Messer auf seinem linken Arm an und zog es langsam, aber fest darüber. Kurz verzerrte sich sein Gesicht durch den Schmerz, doch dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Er spürte wie der rote Lebenssaft aus ihm floss und einen Teil seiner seelischen Schmerzen mit sich nahm. Noch einmal fuhr er mit der scharfen Klinge über seinen Arm. Weiteres Blut floss darüber, tropfte auf seine Hose. Seit er hier sass, waren bestimmt schon mindestens zehn Leute an ihm vorbei gegangen. Sie alle hatten gesehen was er tat, doch niemand schritt ein. Noch ein Schnitt. Weiteres Blut, das sich mit dem Regen vermischte. Niemand interessierte sich für den Jungen, der dabei war sich die Arme aufzuschlitzen. Langsam begann ihm schon etwas schwindelig zu werden. Ein weiteres Mal setzte er das Messer an, doch bevor er es benutzen konnte, wurde es ihm grob aus der Hand gerissen und weggeworfen. „Warum tust du das?! Hör auf!“ Zwei Hände legten sich auf die schmalen Schultern des Blonden. Ihr Besitzer wollte den Jungen schütteln, doch in dem Moment hob Joey den Kopf und sah in die blauen Augen Seto Kaibas. Sofort erstarrte der Braunhaarige. Joeys Augen waren zu geschwollen, auch seine Lippen und Wangen waren geschwollen und rot. Überall an ihm klebte frisches und schon getrocknetes Blut, auch seine Haare waren damit beschmiert. Sein Hemd war so zerrissen, dass Seto nicht nur die Striemen und blauen Flecken auf Joeys Armen, sondern auch die auf seiner Brust und dem Bauch sehen konnte, es waren seit vor drei Tagen einige neue dazu gekommen. Seine linke Seite war noch dunkler als vorher und auch geschwollen. Noch einmal wanderten die blauen Augen zu Joeys Gesicht und entdeckten etwas, das ihnen bisher entgangen war. Fast das ganze Gesicht des verletzten Jungen war verbrannt, oder besser verbrüht. Es hätte schlimmer sein können, doch es bereitete ihm sicher grosse Schmerzen. Während der Kopf des Blondschopfs immer weiter nach unten sank, spürte Seto etwas warmes, dass sich an seinem Bein ausbreitete. Mit Schrecken fiel ihm ein, dass sich Joey ja die Pulsader aufgeschnitten hatte und das Blut ungehindert aus ihm hinaus floss. >Seto du Arschloch, wie konntest du so was wichtiges nur vergessen!< Rasch nahm er sein Taschentuch und drückte es auf die Schnitte. Joey war inzwischen bewusstlos und sein Kopf ganz an Setos Knie gesunken. Da der Firmenleiter einen Spaziergang gemacht hatte, stand sein Auto zu Hause vor der Villa, doch er konnte nicht auf einen Krankenwagen warten und so trug er Joey zum nächsten Krankenhaus, welches zum Glück ganz in der Nähe des Parks war. In der Notaufnahme wurde der Verletzte sofort untersucht, während Seto vor dem Behandlungsraum wartete. „Mr. Kaiba, sie waren es doch, der den schwerverletzten, blonden Jungen hergebracht hat, oder?“ Ein Arzt in weissem Kittel war auf ihn zugetreten. „Ja. Wie geht es ihm?“ „Den Umständen entsprechend gut, er ist auch wieder bei Bewusstsein. Wir haben ihn gefragt, woher diese ganzen Verletzungen kommen, aber er hat kein Wort zu uns gesagt. Vielleicht ist es bei ihnen anders, wären sie so nett mit ihm zu reden?“ „Ich kann es versuchen.“ Mit diesen Worten folgte Seto dem Arzt. Sie gingen bis zum Ende des Flurs. Im letzten Zimmer lag Joey mit trübem Blick auf dem Bett und starrte an die Decke, doch er schien nicht sehr viel zu sehen. Seine Wunden waren versorgt. Die Schnitte an seinem Arm waren genäht und verbunden. Auch seinen Kopf und den Oberkörper zierte ein weisser Verband. Auf allen anderen Verletzungen sah man Reste von Desinfektionsmittel. Das Gesicht war fast vollständig mit kühlenden Tüchern bedeckt und manchmal stöhnte Joey leise. „Scheinbar hatte er schon vorher gebrochene Rippen, welche noch nicht ganz verheilt waren. Die Verbrühung im Gesicht ist nicht weiter schlimm, auch wenn ich mir sicher bin, dass er dadurch starke Schmerzen hat. Die Schnitte an den Armen sind von einem Messer oder einer scharfen Glasscherbe, was darauf hindeutet, dass es ein Akt der Selbstverletzung, wenn nicht sogar ein Suizidversuch war. Gab es bei dem Jungen denn schon früher Anzeichen von Selbstverletzendem Verhalten, oder einer Suizidgefährdung?“ Seto überlegte kurz, ob er die Narben, welche mittlerweile fast vollständig von neuen Verletzungen überdeckt waren erwähnen sollte, entschied sich jedoch dagegen. „Nein. Ich kenne ihn zwar aus der Schule, aber wir waren keine Freunde, also hab ich mich nie für so etwas interessiert.“ „Und warum jetzt plötzlich?“ „Hätte ich ihn sterben lassen sollen?“ Setos Stimme war so kalt, dass der Arzt glaubte zu einer Eisskulptur zu erstarren und der Blick aus den blitzenden blauen Augen erdolchte ihn. „N-Natürlich nicht…I-ich meinte d-doch nur…Versuchen sie einfach mit ihm zu reden und sagen es mir, wenn sie etwas aus ihm heraus bekommen.“ So schnell wie möglich verliess der Mann das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Eine Sekunde länger in dem Zimmer und er hätte nicht daran gezweifelt es nie wieder lebend zu verlassen. Unschlüssig stand Seto vor Joeys Bett und sah auf ihn herab. Sollte er wirklich versuchen den Anderen aus diesem Zustand zu holen? Sie waren wirklich keine Freunde und nur weil er ihm zweimal geholfen hatte, hiess das noch lange nicht, dass er es ein drittes Mal tun musste. Doch das was man von den Augen des Blonden sehen konnte, hatte einen tief verletzten und traurigen Ausdruck, sodass nicht einmal Seto Kaiba sich abwenden und weggehen konnte. Er zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich darauf. Joey hatte sich immer noch nicht gerührt, also fragte Seto mit leiser und zu seinem Erstaunen sanfter Stimme „Hey Joey, warum sagst du nicht mal den Ärzten woher deine ganzen Verletzungen kommen? Sie wollen dir doch nur helfen – und ich auch.“ Den letzten Teil hatte er leicht zögernd gesagt. Langsam und vorsichtig drehte der Blonde seinen Kopf ein wenig zu Seto. „Wenn die wüssten was los ist, dann würden sie mich sofort in ein Heim stecken und zu einem Psychologen schicken. Da lass ich es doch lieber so wie es ist.“ „Das müsstest du doch gar nicht, soviel ich weiss, lebt deine Mutter noch.“ Statt eine Antwort darauf zu geben, drehte Joey seinen Kopf noch ein Bisschen mehr, sodass er dem Brünetten direkt in die Augen sehen konnte. „Warum hast du das getan? Was hast du dir dabei gedacht?“ „Nicht einmal ich bin so Gefühllos, dass ich jemanden einfach Selbstmord begehen lasse.“ „Doch nicht das. Warum hast du mich in deiner Villa geküsst? Darauf will ich viel dringender eine Antwort, als den Grund zu erfahren, warum du das für mich tust.“ „Warum fragst du mich das dauernd?“ Wenn Joeys Gesicht nicht zugedeckt wäre, hätte Seto genau gesehen, wie es rot anlief. „Weil- es- es hat mir gefallen. Irgendwie.“ „Bevor ich dir deine Frage beantworte, will ich von dir wissen, warum es dir gefallen hat?“ „Na warum wohl gefällt es einem Menschen geküsst zu werden?“ Seto liess einen deutlichen Seufzer vernehmen. „Joey, bilde dir bloss nichts darauf ein. Dieser Kuss hatte nichts mit Liebe zu tun und er ist ohne Bedeutung. Es ist einfach passiert.“ „Aber für mich hat er etwas bedeutet.“ Der Blonde traute seinen Ohren nicht. Hatte er eben tatsächlich gesagt, dass ihm der Kuss des Andern etwas bedeutete? „Joey, ich liebe dich nicht und das werde ich auch nie, also hör auf über diesen Kuss nachzudenken.“ Er stand auf und verliess mit schnellen Schritten das Zimmer. In dem Moment, in dem die Tür zuschlug, wusste Joey, wieso er sich bei Seto so sicher gefühlt hatte. Und er wusste auch, warum er die ganze Zeit darüber nachdachte und so oft nach dem Kuss gefragt hatte. Er liebte diesen Jungen. Nicht einfach wie einen Freund, sondern von ganzem Herzen. Diese kalte Zurückweisung war zuviel für ihn. Nicht einmal ansatzweise dachte er daran, dass der Andere seine Meinung jemals ändern würde. Entschlossen setzte er sich auf und zog die Fäden aus seinen Schnitten. Es tat weh, denn damit riss er Haut von den Rändern, doch kein Laut kam über seine Lippen. Was die Fäden nicht ganz zusammen gehalten hatten, war von einer Kruste gehalten worden, doch da nun beides fehlte, floss das Blut wieder ungehindert aus ihm heraus. Er tauchte den Zeigefinger in die kleine Pfütze, die sich am Boden gebildet hatte und malte damit ein Herz an die Wand. Langsam begann sich sein Kopf mit Nebel zu füllen und sein Körper wollte ihm nicht mehr ganz gehorchen, doch etwas musste er noch tun. Mit weiterem Blut schrieb er den Namen Seto Kaiba in das Herz. Noch während sein Finger das A vollendete sank Joey mit einem befreiten Lächeln zu Boden. Es war das erste ehrliche Lächeln, dass seit langem auf seinem Gesicht zu sehen war – und das letzte, denn als sein Arzt eine Stunde später das Zimmer betrat um nach ihm zu sehen, hatte er diese Welt bereits für immer verlassen. _________________________________________________________________________________ Das Ende ist ein Bisschen plötzlich und deswegen auch nicht so gut gelungen, aber als ich am schreiben war, habe ich gedacht, dass es schon so viele FFs über ide beiden in der Art gibt, dass ich einfach keine Lust mehr hatte sie weiter auszubauen. Da ich jedoch schon einiges an Zeit darin investiert habe, wollte ich sie trotzdem noch hochladen. Es wird noch ein kleiner Epilog zum besseren Verständnis der Titelwahl folgen. Danke auf jeden Fall fürs lesen und ich wäre sehr froh über Kritik, egal ob positiv, oder negativ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)