Sommerregen von Alaiya (Digimon Alpha Generation - Prelude) ================================================================================ Kapitel 1: Der Tag, an dem wir uns beinahe trafen ------------------------------------------------- Sommerregen Der Tag, an dem wir uns beinahe trafen Digimon Alpha Generation ★ 2006 Wie ein nie enden wollender Trommelwirbel prasselten die Regentropfen gegen das Fenster der Nachhilfeschule, während einer der Jungen in dem kleinen Klassenraum gelangweilt hinausstarrte. Einmal wieder fragte er sich, was er hier überhaupt tat. Wofür brauchte er denn schon Englisch? Und warum konnte er nicht zumindest eine interessantere Nachhilfeschule besuchen, anstatt eine langweilige, altmodische, wie diese? Hier wartete er nur darauf, dass der Unterricht endlich vorbei war. Lernen tat er sicher nichts! Und draußen regnete es... Der Name des Jungen war Yuki Denrei. Er war fünfzehn Jahre alt und hatte einen rötlichen Stich in seinem ansonsten braunen Haar. Und er war sich sicher, dass er mit seinem Abend hätte etwas Besseres anfangen können. Doch stattdessen saß er hier und schrieb englische Konjugationen von der Tafel ab, weil sein Vater dies für nötig hielt, hatte er es doch nur auf eine Standartschule geschafft. Dabei wäre er viel lieber in Shibuya gewesen – trotz des Regens. Es gab neue Karten, es gab andere, gegen die er spielen konnte, es gab Interessanteres als englische Verben. Sein Blick wanderte vom Fenster zur Uhr, die neben der Tafel hing und anzeigte, dass es weitere sieben Minuten zu überstehen galt, ehe er sich auf den Weg nach Hause oder nach Shibuya machen konnte. Erneut starrte er desinteressiert aus dem Fenster, auf die Straße hinab, an deren Rand sich von bunten Schirmen bedeckte Massen langsam fortbewegten. Dann jedoch zog etwas anderes seinen Blick auf sich. Erst wusste er nicht, was es war. Irgendetwas hatte ihn von der Straße aufblicken lassen, irgendetwas neben dem gegenüberliegenden Hochhaus. Wie er schließlich erkannte war das, wasas seinen Blick auf sich gezogen hatte, nicht direkt neben dem Gebäude, sondern in einiger Entfernung dahinter. Es war eine Säule – eine Säule aus Licht, die von irgendwo aus dem Gebäudedschungel zum Himmel hinaufstieg. Und irgendwie hatte er das Gefühl so etwas schon einmal gesehen zu haben... Er sah erneut auf die Uhr: Noch weitere fünf Minuten. „Shuichon“, flüsterte ein vermeintliches Plüschtier mit langen schokoladenbraunen Ohren und drei Hörnern auf der Stirn, das auf der Schulter eines offenbar chinesischstämmigen Mädchens saß, und zeigte zum Himmel hinauf. Das Mädchen, offenbar nicht älter, als elf oder zwölf, und einer der wenigen Passanten ohne Schirm, folgte dem Wink und sah, wie sein Partner, die Lichtsäule, die die Ankunft eines wilden Digimon in dieser Welt ankündigte. Ein verspieltes Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Mädchens aus. „Sieht aus, als wäre es mal wieder Zeit auf Jagd zu gehen!“ Damit setzte sie sich auch schon laufend in Bewegung, auf eine Seitengasse ausweichend, um dem Strom der Menschen zu entgehen. „Willst du nicht deinen Bruder anrufen?“, fragte das langohrige Wesen auf der Schulter des Mädchens, welches offenbar Shuichon hieß, vorsichtig, woraufhin sie nur eine Schnute zog. „Wieso sollte ich? Damit kommen wir schon allein klar!“ Das Wesen seufzte nur. „Ich hoffe nur, dass du dieses Mal weißt, was du tust. Noch einmal so ein Chaos wie vor zwei Wochen...“ Ein weiteres Seufzen folgte. „Quatsch“, erwiderte Shuichon. „Wir kommen damit schon klar! Moumantai, Lopmon.“ „Ja, Moumantai“, echote das Wesen. „Moumantai.“ Nach diesen Worten beschleunigte das Mädchen schon seinen Schritt und rannte in die Richtung der Lichtsäule davon. Auch ein weiterer Junge sah den Strahl am Himmel, während er vor der Ichigaya Station stand und gedankenverloren in den Bewölkten Himmel starrte. Dieser Junge wirkte noch etwas jünger, als Denrei, jedoch war zumindest sein Blick nicht mehr der eines Kindes. Der Name diesen Jungens war Makuta Shoji, wie man, wenn man genauer hinsah, an der Tasche unter seinem Arm, genauer, an einem kleinen Schild, welche am Riemen der Tasche hing. Shoji hatte schwarzes Haar und trug noch immer seine Schuluniform, obwohl der Unterricht bereits vor guten vier Stunden geendet hatte. Jedoch war er nach der Schule noch am Grab seines Bruders gewesen, dass nicht weit von seiner Schule, der Azabu Highschool, entfernt war und hatte danach keine Lust verspürt, nach Hause zu fahren, obwohl seine Mutter sicher schon auf ihn wartete. Nun stand er hier, direkt am durch das Viertel führenden Kanal und starrte auf die Säule aus Licht. Sofort schossen ihm einige Fragen durch den Kopf, war es doch nicht das erste Mal, dass er so ein Licht sah. Vor fünf Jahren, in dem Jahr, in dem auch sein Bruder gestorben war, hatte man solche Säulen öfter in Tokyo gesehen, ehe sie Ende des Jahres verschwunden waren, ehe schließlich, ein knappes Jahr darauf, das Phänomen zwar wieder vorkam, jedoch wesentlich seltener war als zuvor. Sein Bruder, Kenji, hatte damals mit seinen Freunden einige Ideen gehabt, womit diese Säulen in Verbindung zu bringen seien, eine absonderlicher als die andere. Denn in jenem Jahr waren diese Lichtsäulen nicht das einzige seltsame Phänomen gewesen, dass in Tokyo gesichtet wurde. Kenji war davon überzeugt gewesen, dass die Digimon, die in der Region aufgetaucht waren, obwohl sie alle nur für eine Fantasie, ein Spiel, gehalten hattet, mit diesen Säulen zu tun hatten und mehr als einmal war er losgerannt, wenn eine Lichtsäule am Himmel zu sehen war. Ob Shoji daran glaubte? Er wusste es nicht. Trotz allem was in diesem Jahr geschehen war und letzten Endes vom Tod seines Bruders überschattet worden war, glaubte ein Teil von ihm noch immer nicht an die Existenz dieser Monster. Doch das hielt sein Herz nicht davon ab aufgeregt zu schlagen und ehe er sich überhaupt klar war, was er tat, rannte er los, über die Brücke des Kanals und so schnell er konnte in die Richtung des Lichtes. Derweil war das Mädchen, Shuichon, mit dem seltsamen Wesen auf der Schulter, das selbst ein Digimon war und auf den Namen Lopmon hörte, der Lichtsäule um einiges näher gekommen. Und sie konnte froh sein, dass durch den Regen weniger Menschen unterwegs waren, als normal, und dadurch die Seitengasse, in der sie lief, vollkommen ausgestorben war, denn sonst hätte sie im nächsten Moment einige Leute erschreckt. Aus der rechten Tasche ihres gelben Regenmantels zog sie ein weißes Gerät heraus, das an einem rosanen Band befestigt war, während sie aus der anderen Tasche eine Spielkarte des Digimon-Kartenspiels hervorholte. Im nächsten Moment zog sie ohne zu zögern die Karte durch den Schlitz am Rand des Gerätes. „Card Slash!“, rief sie dabei. „Shou Shinka – PlugIn S!“ Währenddessen war das Wesen – Lopmon – von ihrer Schulter gesprungen und wurde nun von einer Kugel aus Licht umgeben. „Lopmon – Shinka!“, war seine Stimme aus der Kugel heraus zu hören. „Wendimon!“ Im nächsten Moment lief anstelle des kleinen langohrigen Teddybären ein großes, affenartiges Wesen mit beeschem Fell und Armen, die zu den klauenartigen Händen hin immer breiter wurden. Mit einer dieser Klauen hob das Wesen nun Shuichon hoch, setzte sie auf seine Schulter, ehe es mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in die Richtung des Lichtes davonsprintete. Die wenigen Menschen, die es zwischen den Häusern sahen, beachtete es nicht. Die Häuser flogen an ihnen vorbei und in weniger als zwei Minuten hatten sie die Stelle schließlich erreicht, an der der Lichtstrahl auf einen Parkplatz hinter einem Bürogebäude traf. Hier war es nun unmöglich den Blicken der Menschen zu entgegen, da eine der größeren Straßen direkt neben dem Gebäude herführte, doch die meisten Menschen schenkten eher dem seltsam dichten Nebel Beachtung, in dem das Mädchen und ihr Monster nun verschwanden. Doch noch während sie sich in der seltsam schimmernden Umgebung umsahen, die sich unter dem Nebel, der die Digital Zone begrenzte, umsahen, sprang ihnen etwas entgegen. Dieses Etwas war etwa eineinhalb Meter groß, gelb und grün gefärbt und hatte, soviel wie sie erkennen konnten, die Gestalt eines Frosches. Im nächsten Moment jedoch, war dieser äußerst flinke Frosch bereits außerhalb des Nebels verschwunden und ein Kreischen verriet, dass er bereits auf die ersten Menschen getroffen war. Denrei lief immer schneller, obwohl er schon lange keine Puste mehr hatte. Aber er hatte dieses Gefühl… Dieses Gefühl, dass er unbedingt wissen musste, woher dieses Licht kam – als wäre dies wichtig für ihn. Kurz bleib er stehen, um sich erneut nach dem seltsamen Lichtstrahl umzuschauen, gerade noch rechtzeitig um zu sehen, dass der Strahl vom Himmel aus hinabschrumpfte und schließlich zwischen den Häusern verschwand. Was war passiert? Für einen Moment zögerte der Fünfzehnjährige, doch dann rannte er wieder los, bemüht sich zu erinnern, wo man die Lichtsäule sehen konnte, ehe sie verschwunden war. Seine T-Shirtärmel klebten bereits an seinem Körper und sein viel zu langer Pony auf seiner Stirn. Zwar hielt seine dunkle Weste, die er über dem T-Shirt trug, einen guten Teil des Regens von ihm ab, doch reichte dies kaum, so dass er sich bereits wie ein Schwamm fühlte. Er hätte einen Regenschirm nutzen können, doch hätte dieser das Laufen erschwert und die Kapuze seiner Weste war schon lange von seinem Kopf geweht worden. Vielleicht sollte er einfach aufgeben, überlegte er, aber etwas hielt ihn davon ab. Es war wichtig. Es musste wichtig sein. Für ihn? Da war er noch immer nicht sicher, aber er wusste irgendwie, dass dies mehr war, als ein Wetterphänomen. Und das Gefühl, dass er so eine Säule bereits gesehen hatte, ließ ihn noch immer nicht los. Er versuchte sich zu erinnern, wann es gewesen war. Ach, wieso hatte er ausgerechnet heute Nachhilfeschule haben müssen?! Ja, sicher, vielleicht hätte er die Säule ansonsten nie gesehen, aber dann wäre es ihm zumindest egal gewesen. So rannte er und rannte er in der Hoffnung das Geheimnis zu lösen. Wenn er doch nur früher hätte gehen können. Vielleicht war es jetzt schon zu spät. Warum war ihm dies so wichtig? Der andere Junge, dessen Haare ebenfalls ungewöhnlich lang waren, aber ordentlicher lagen, als die Denreis, rannte ebenfalls dem Licht entgegen und war diesem, obwohl er von größerer Entfernung aus losgelaufen war, mittlerweile schon näher als dieser. Shoji übte schon seid vier Jahren Karate und obwohl es bei dem Kampfsport viel mehr auf Geduld, innere Ruhe und Geschick ankam, hatte er dafür auch seine Ausdauer und Kraft trainiert. Deshalb fiel ihm das Rennen nicht so schwer, wie manch anderem und er bewegte sich trotz seines Regenschirms, den er schützend vor sich hielt, während sein Lauf etwas gebückt war, recht schnell vorwärts. Doch auch er sah, aus näherer Nähe, wie der Lichtstrahl verschwand. Im Gegensatz zu Denrei konnte er aber auch die Kuppel aus Nebel erahnen, denn diese ragte zwischen den recht flachen kleineren Bürogebäuden auf. Einen Weg direkt zu dem Platz zu kommen, fand er jedoch nicht. Dafür fegte, als er sein Tempo gerade verlangsamte, ein gelber Schatten an ihm vorbei, der vorher von einem der Gebäude gesprungen zu sein schien und nun in einer Gasse auf dieser Seite der breiten Straße verschwand. Während er dem Schatten etwas unschlüssig hinterherstarrte, unwissend, ob er nun folgen sollte oder nicht, stürzte ein weiteres Wesen auf die Straße, auf dessen Schulter ein rothaariges Mädchen saß. Einige Autos bremsten abrupt, als das Wesen, aus dessen gespenstischem Gesicht die zwei Knopfaugen, die es hatte, hervorstachen, lossprintete und ebenfalls in der Gasse verschwand. Einige weitere Sekunden starrte der total übertölpelte Junge dem Wesen hinterher, weiterhin unschlüssig. Dann nickte er jedoch, obwohl niemand da war, auf den er mit diesem Nicken hätte reagieren können, und lief dem Wesen hinterher. Erneut hatte Shuichon eine Karte in der Hand, auch wenn man es kaum für möglich gehalten hätte, dass sie diese erneut durch das Gerät in ihrer Hand würde ziehen können, ohne von ihrem Monster zu fallen. Doch dieses hob eine seiner Pranken und hielt sie fest. „Card Slash!“, rief sie erneut. „High Speed – PlugIn B!“ Im nächsten Moment wurden die Bewegungen des Monsters noch schneller als zuvor und für das menschliche Auge nahezu unsichtbar sprintete es los und holte rasch auf. Das andere Monster nahm derweil keine Rücksicht auf die Menschen und hüpfte direkt in eine kleinere Straße, in der einige Läden und damit verbunden auch Menschen waren. Erneut waren Schreie zu hören. Teilweise von erschrockenen Frauen, teilweise von Leuten, die dem Wesen auswichen und so auf dem nassen Boden fielen. Jedoch hatte auch der Partner des Mädchens keine beruhigende Wirkung auf die Menschen. Im Gegenteil. Als dieser durch die Masse der Menschen sprintete wurden die Schreie noch lauter und noch mehr Menschen mussten ausweichen, da es im Gegensatz zu dem anderen Monster nicht sprang, sondern durch die Menge lief. Ein zu Boden gefallener Schirm brach in der Mitte durch, als der große Affe versehentlich drauf trat, während das Mädchen auf seiner Schulter sich angestrengt umsah. „Wendimon!“, rief es auf einmal und zeigte auf eine weitere Seitengasse und ohne zu Fragen bog ihr skurriles Reittier in diese ab, weiterhin übermenschlich schnell. Wie sich herausstellte, machte diese Gasse einen leichten Bogen und traf dann erneut auf eine breitere, glücklicher Weise jedoch kaum befahrene Straße und tatsächlich erschien hier fast gleichzeitig mit ihnen das gelbliche Wesen. Ohne zu Zögern sprang das zu dem Mädchen gehörende Wesen – offenbar Wendimon – los, packte das andere und warf es auf das abgesperrte Gelände einer anliegenden Baustelle, ehe es sich selbst über deren Zaun schwang und auf dem leeren Platz landete. „Frogmon“, las Shuichon von dem Gerät in ihrer Hand ab, während sie sich zu Boden gleiten ließ. „Armorlevel.“ Dann grinste sie. „Das sollte kein Problem sein!“, meinte sie verschmitzt. Eigentlich hatte Denrei gedacht, er würde den Platz niemals finden, an dem die seltsame Lichtsäule aufgetroffen war, doch dann sah er etwas Seltsames. Mitten durch den Regen hüpfte ein gelber Schimmer. Erkennen, was es genau war, konnte er nicht, aber irgendwie wusste er, dass dieses – was auch immer es war – mit dem Lichtstrahl zu tun hatte, weshalb er, ohne zu überlegen, seine Richtung änderte und hinter dem seltsamen Wesen hinterherlief. Dieses bog von der kleinen Einkaufsstraße nun auf eine der weniger befahrenen Verkehrsstraßen ab. Doch gerade als der atemlose Denrei diese erreicht hatte, schoss ein weiteres Wesen aus einer Gasse und nahm den gelben Frosch – zumindest schien es Denrei in diesem Moment, als wäre es ein Frosch – und warf diesen auf ein Baustellengelände, wo es hinter den Planen der Absperrungszäune verstand. „Das…“, murmelte Denrei und fragte sich, ob er sich das nur eingebildet hatte. Das gelbe Wesen hatte wie ein Frogmon ausgesehen. Ein Digimon. Aber wie konnte das sein? Ein richtiges Digimon? Digimon konnten unmöglich real sein. Sie existierten in Spielen, Anime und Manga, aber nicht real. Das konnte nicht sein? Oder etwa schon…? Mittlerweile hatte auch Shoji Probleme mit den seltsamen Wesen Schritt zu halten und wahrscheinlich hätte er sie verloren, wären die beiden nicht in eine Einkaufsstraße abgebogen, wo die Spur der erschrockenen Menschen es ihm einfacher machte, ihnen zu folgen. Noch immer fragte er sich, was das für seltsame Monster waren, auch wenn er glaubte, dass er das eine, das von dem Mädchen begleitet worden war, schon einmal gesehen hatte. Über das andere konnte er kaum etwas sagen, hatte er es doch nur verschwommen gesehen. Aber er fragte sich gleichzeitig, wie überhaupt solche Wesen existieren konnten. Was waren sie? Und wo kamen sie her? Er sah, wie das größere der beiden, das Wesen mit dem Mädchen, in eine Seitengasse abbog und überlegte kurz ihm zu folgen. Doch das gelbe Monster folgte weiterhin dieser Straße und so folgte er diesem, auch wenn einige der ohnehin erschrockenen Menschen ihm misstrauische Blicke zuwarfen. Nun bog das gelbe Wesen auf die nächste Straße ab. Dort würden weniger Menschen sein und wenn er nicht aufpasste würde er sie verlieren. Konnte ihm dies eigentlich nicht egal sein? Er wusste es nicht, aber er hatte das Gefühl, dass dem nicht so sei. Ein entgegenkommender Windstoß wehte ihm seinen Schirm aus der Hand, doch er drehte sich nicht um, um diesen zurück zu holen, sondern lief weiter auf die Straße zu. Gerade noch sah er, wie das andere Wesen auf diese sprang, sich das gelbe Wesen schnappte und auf ein abgesperrtes Baustellengelände warf und selbst dorthin verschwand. Auf der anderen Seite der Straße. Atemlos blieb er stehen und überlegte, was er tun sollte, als sein Blick auf einen anderen Jungen fiel, der ebenfalls außer Atem zu sein schien, während sein rötliches Haar an seinem Kopf klebte, und der scheinbar auch das Geschehen verfolgt hatte. Dieser schien seinen Blick zu spüren und sah ihn ebenfalls an. Für einige Sekunden sahen sich die beiden an, doch dann wandte sich der andere Junge ab und lief über die Straße, wobei ein Autofahrer gerade noch im letzten Moment die Bremse durchdrücken konnte und so vermied, den Jungen anzufahren. War er denn vollkommen verrückt? Noch einmal wanderte Shojis Blick zu dem Baustellengelände, an dem der andere Junge nun angekommen war, doch dann seufzte er und wandte sich ab. Selbst wenn er ihm folgte, wie hoch standen seine Chancen, dass er erfuhr, was es mit den Monstern auf sich hatte. Seine Eltern machten sich sicher Sorgen. Mit diesem Gedanken hob er seinen Schirm auf, sah ein letztes Mal zu dem Gelände zurück und machte sich nachdenklich auf den Weg nach Hause. Derweil stand Wendimon nun dem gelben Frosch, der laut dem Gerät in Shuichons Hand den passenden Namen Frogmon trug, gegenüber, darauf gefasst, dass dieser erneut versuchte wegzulaufen. Und tatsächlich sprang das Frogmon einen Moment später in die Luft und versuchte über den von der Straße entfernten Zaun in die nächste Gasse zu fliehen, doch dieses Mal war Wendimon schnell genug, packte seinen Gegner am Froschschenkel und warf ihn wieder zurück auf den lehmigen Platz. Mit einem Quaken rollte sich das gelbe Monster wieder auf dem Bauch und beäugte Wendimon nun offenbar wütend. Dann sprang es erneut, jedoch ohne fliehen zu wollen. Aus der Luft schleuderte es einige scheinbar aus Blättern bestehenden Wurfsterne in Richtung des wesentlich größeren Wendimon. Dieses setzte jedoch nur seine Arme auf den Boden ab und heulte aus dieser hockenden Position. Jedoch war dies kein normales Geheul, denn der Schall alleine reichte, um das Frogmon aus der Luft zu holen und erneut unsanft im Dreck landen zu lassen. „Ich sagte ja, dass wir es allein schaffen“, meinte das Mädchen grinsend, doch diese kleine Unachtsamkeit nutzte das kleinere Monster aus, um nun doch über den nächsten Zaun zu entkommen. „Shuichon…“, murmelte Wendimon neben ihr entgeistert, ehe es dem Frosch nachsetzte. Denrei lief am Zaun entlang, nach einem Durchgang oder zumindest einem Loch in der Plane suchend, durch dass er den offenbar vor sich gehenden Kampf verfolgen konnte. Noch immer fragte er sich, ob er sich das nicht nur eingebildet hatte. Waren das wirkliche, echte, reale Digimon? Wenn das wirklich Digimon waren, konnte er dann vielleicht ein richtiger Tamer werden? Während er noch nach einem Durchlass suchte, sprang auf einmal das eine der beiden Wesen über den Zaun. Es blieb kurz stehen, sah sich um und hopste dann in Richtung der nächsten kleineren Gasse davon. Soweit Denrei es sagen konnte, immerhin waren alle Bilder die er kannte gezeichnet, war das Wesen wirklich ein Frogmon. Es hatte dieselbe Form, denselben roten Maschinenrucksack und wie die Bilder auf den Karten ein Blatt als Sichtschutz. Es war tatsächlich real. Ein reales Digimon! „Hey!“, rief Denrei, ohne zu überlegen, und tatsächlich drehte sich das Frogmon um. Doch ehe der Junge verstand was geschah, schwirrten auch schon drei weitere Blätterwurfsterne auf ihn zu. „Was…“, schoss es ihm durch den Kopf, ohne dass ihm bewusst wurde, dass er dieses Wort auch aussprach. Aber bevor die Wurfsterne ihn treffen und vielleicht sogar töten konnten, sprang das andere Wesen, das er zuvor gesehen hatte, ebenfalls über den Zaun, stürmte auf das Frogmon zu und zerquetschte es mit einem Armschlag, wodurch dieses sich wortwörtlich auflöste. „Was…“, stotterte Denrei noch einmal, während er merkte, dass seine Beine ihm nachzugeben drohten. Doch das andere Wesen, offenbar ebenfalls ein Digimon – wenn er nicht irrte ein seltsam gefärbtes Wendimon – sah sich jedoch nicht einmal nach ihm um, ehe es in dieselbe Gasse verschwand, in die zuvor das Frogmon hatte fliehen wollen. Epilog: Sommerabend ------------------- Der Regen hatte etwas nachgelassen, als Denrei erschöpft und pitschenass an der nächsten Straßenbahn-Station ankam. Zwar war es nicht weit von hier zu der Wohnung, in der er zusammen mit seinem Vater wohnte, aber aktuell zweifelte er daran mehr als hundert Meter laufen zu können. Zudem war er froh, dass er für eine Weile dem Regen entkam. Mittlerweile zweifelte er beinahe daran, dass das was er vor vielleicht zwanzig Minuten gesehen hatte, real gewesen war. Begann er vielleicht langsam zu halluzinieren? Sein Vater würde wahrscheinlich sagen, dass er jetzt schon ganz in seiner Welt versunken war und dringend einen Psychiater besuchen sollte. Er seufzte. Als würde er seinem Vater davon erzählen. Er würde ohnehin schon Ärger bekommen, wenn sein Vater sah, in welchem nass-dreckigen Zustand er nach Hause kam. Aber wenn er Glück hatte, war sein Vater noch nicht zuhause. Dann würde er duschen und seine Sachen waschen können, ohne viel zu erklären. Zumindest wärmte die wenngleich selbst etwas feuchte Kapuze etwas, auch wenn sie seine Haare nicht mehr trocknete. Er hätte nicht geglaubt, wie kalt so ein Sommertag sein konnte, wenn man komplett nasse Kleidung trug. Im Moment wirkte ein warmes Bad wirklich verlockend. Doch gerade als er darüber nachdachte, kam ein rothaariges Mädchen, kaum älter als zwölf oder dreizehn, an ihm vorbei, das warum auch immer seinen Blick auf sich zog. Erst bei genauerem Hinsehen, erkannte er etwas in ihren Armen. Sie hatte ein Lopmon an ihre Brust gedrückt, dessen lange Ohren über ihre Arme hingen. „Ein Plüschtier“, murmelte er. Natürlich war es ein Plüschtier. Wie konnte es auch ein reales Lopmon sein. „Ich bin kein Plüschtier“, hörte er eine Stimme, nicht sicher, ob er sich diese vielleicht einbildete. „Psst“, zischte das Mädchen und beschleunigte seinen Schritt. Er schüttelte den Kopf. Vielleicht wurde er wirklich verrückt. Müde saß Shoji am Abend an seinem Schreibtisch, den Blick auf sein Englischbuch gerichtet, aus dem er eigentlich gerade Vokabeln lernte. Er wusste noch immer nicht, wie er das, was er heute gesehen hatte, einordnen sollte. War es überhaupt echt gewesen? Wenn er nun darüber nachdachte, kam ihm das alles eher wie ein bunter, sehr verrückter Traum vor. Schließlich wandte er sich ganz von seinem Buch und den Vokabeln ab und sah auf ein älteres Foto, das im Regal neben seinem Schreibtisch stand. Es zeigte seinen Zwillingsbruder und ihn an ihrem Geburtstag vor fünf Jahren – den letzten Geburtstag, den sie zusammen gefeiert hatten. Und etwas an diesem Bild zog seinen Blick auf sich. Es war nicht sein Bruder, dessen Grab er heute besucht hatte, sondern die Geschenke, die hinter ihnen auf dem Küchentisch lagen. Zu den Geschenken seines Bruders gehörten unter anderem einige Karten. Mit einem Mal war er auf den Beinen und ging zu seinem Kleiderschrank an der anderen Seite des kleinen Raumes hinüber, öffnete ihn und holte einen kleinen Schuhkarton aus einem Fach oben im Schrank heraus. In diesem Karton waren die Karten, die seinem Bruder gehört hatten. Digimonkarten. Er leerte den Inhalt der kleinen Schachtel auf dem Boden aus und durchstöberte eine Karte, ehe er fand, wonach er suchte. Deswegen war ihm das Monster mit dem Mädchen so bekannt vorgekommen. In der Hand hielt er eine Karte, auf deren Rand in Katakana Uindimon stand. Wendimon. Zwar hatte das Wesen, auf dem das Mädchen geritten war eine andere Farbe gehabt, aber je länger er darüber nachdachte und je länger er das Bild betrachtete, desto mehr Ähnlichkeiten fand er zwischen dem Wesen, das er heute gesehen hatte, und dem Bild auf der Karte. Sein Bruder und dessen Freunde hatten immer gespielt Digimon Tamer zu sein. War das Mädchen vielleicht so ein Tamer gewesen? Doch dann schüttelte er den Kopf. So ein Unsinn. Digitale Monster. Wie könnten solche Wesen wirklich existieren? Aber trotzdem fragte eine Stimme in seinem Kopf, was es denn dann war, das er heute gesehen hatte. „Du hättest ruhig sein sollen“, murmelte Shuichon zum zehnten Mal an das kleine vermeintliche Plüschtier gewandt, das auf ihrem Bett saß. Sie trug mittlerweile einen Pyjama und ihre Haare lagen offen und nass über ihre Schultern, da sie gerade erst gebadet hatte. „Ach, hast du das Gesicht des Jungen gesehen?“, erwiderte Lopmon. „Er hält sich ohnehin für verrückt.“ „Umso mehr hättest du ruhig sein sollen“, erwiderte das Mädchen. „Der arme Junge.“ „Moumantai.“ Das Digimon ließ sich auf den Rücken fallen und rollte sich ein wenig auf ihrem Bett herum. Das Mädchen kicherte. „Du bist noch immer nicht Terriermon.“ „Na und?“ Lopmon sah sie an. „Moumantai. Man sollte sich nicht mehr Gedanken machen, als nötig.“ „Das solltest du dem Jungen sagen.“ Damit legte das Mädchen zu dem langohrigen Wesen ins Bett. Sie seufzte. „Aber pass auf, dass Jian-nii davon nichts erfährt.“ „Sicher“, erwiderte ihr Partner und legte einen kleinen Finger auf die Schnauze. „Psst!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)