Wenn der Mond fällt von Fuega (Die Freiheit der Wölfe) ================================================================================ Kapitel 13: Wenn Wölfe träumen ------------------------------ „Oh, nein, bitte nicht…“, fiepte Nori und sah zu dem Tunnel, den sie mit ihren Pfoten gegraben hatte. „Die Menschen werden ihn noch nicht gefunden haben, dafür hat Tarr sicher gesorgt, wo bleibt er denn?“, fiepte Mara und sah wie die kleine graue Wölfin auf die Pfoten kam und zu dem Tunnel schritt. „Ich möchte nach ihm sehen.“ „Noch einmal darein?“ „Ohne ihn werde ich auch nicht hier draußen leben können.“ Mit einem nachdenklichen Nicken trabte dann auch Mara zu dem Tunnel und Nori grub sie hinein. Er war bis oben mit dreckigem Wasser gefüllt, dass in ihre Augen, in ihre empfindliche Nase lief. Sie kroch durch den Schlamm, kroch durch den Tunnel und am Ende riss sie das Maul auf um nach Luft zu schnappen. Kurz vor dem Tunnel lag der schwarze Wolf, völlig apathisch. Und obwohl seine Augen geöffnet waren, schien er zu Schlafen. Die Menschen und ihre Stöcke. Nori schauderte. Hier war keiner mehr, von den Menschen fehlte jede Spur und doch würden sie wiederkommen. „Los, steh auf.“, fiepte sie und hörte das Rascheln im Gebüsch als auch Mara erschien. Nun stieß sie ihm die Pfote in die Seite. „Komm schon, du musst kommen.“, sagte sie mit verzweifelter Dringlichkeit. „Verdammt, STEH AUF.“, knurrte sie nun noch verzweifelter, geblendet von Regen- und Schmutzwasser in ihren Augen. „Du musst doch nach Hause. In das Eisland.“, sagte sie dann leise – Immer noch keine Reaktion, und doch war da die leichte, kaum wahrnehmbare Bewegung. Er atmete, ganz sicher. Nun würde es alles umsonst sein – Nein. „Nach Hause, in die Freiheit.“ Kräftig schlug Nori dem Wolf die Zähne in den Nacken. Und dieser reagierte, mit einem wilden Knurren bäumte er sich auf und warf Nori ab, dann sah er verwirrt in den Regen – Wo war er? Wieso… Dann kam die Erinnerung. „Nori.“, rief er die Wölfin die sich erneut erhob – wie an diesem Tag schon recht häufig, nachdem sie gewaltsam zu Boden gegangen war – und trotz allem leicht mit dem Schweif wedelte. „Durch den Tunnel.“, sagte sie leise und der russische Wolf nickte und kroch unter die Erde. Nori sah ihrer Freundin noch einmal in die Augen, es waren keine Worte mehr nötig, legte ihren Kopf über ihren Nacken, sog noch einmal ihren Geruch ein. Diesmal konnte sie immerhin „Lebewohl“ sagen. Ein letztes, sanftes Wilfern, ein freundliches Fiepen, dann glitt sie erneut unter die Erde, in das Schmutzwasser und nach außen. Des russische Wolf nickte der ehemals weißen Wölfin zu und schritt vorwärts, Nori presste noch kurz ihre Nase an den Maschendrahtzaun, der sie von ihrer Freundin trennte. Und sie dachten beide genau dasselbe, in diesem flüchtigen Moment, der so schnell verging: An Noris Versprechen. „Ich komme für dich zurück.“, sagte sie, dann schwand sie und hinterließ keinen Geruch mehr im Regen, wie ein Geist. Dann rollte der letzte Donner über die Ebene, und so plötzlich wie er angefangen hatte, endete der Sturm. Mara stand noch lange an diesem Zaun. Sie würde zurückkommen und sie würde sie erwarten. Langsam drehte sie sich um und lief zu den anderen Wölfen, die unruhig aneinander gedrängt lagen. Die schmutzige Wölfin ließ sich neben Tarr nieder, der die Augen müde geschlossen hatte. „Eines Tages kommen wir hier auch heraus, Tarr.“, sagte Mara sanft, um ihn nicht zu grob aus dem erschöpften Schlaf zu reißen, doch im nächsten Moment wurde ihr auch schon klar dass der Wolf gar nicht geschlafen hatte. Tarr hatte ein Auge geöffnet und musterte sie. „Du – vielleicht. Ich nicht.“, sagte er trocken. „Aber für dich hoffe ich es.“, fügte er dann doch freundlicher hinzu. „Ja.“, sagte sie und legte den Kopf auf die Pfoten. Wo ihre Freundin jetzt wohl war? Noch nicht weit, aber sie kannte nichts außerhalb des Geheges, deshalb kam Mara es alles wild und fremd und großartig vor. Und frei. Sie stupste den Wolf neben sich an, freundlich. Obwohl er den größten Teil der Zeit geheimnisvoll oder schweigsam – oder eher noch beides zugleich – war, war sie froh einen Freund im Gehege zu haben bis in einigen Wochen. Sie säuberte noch ihr Fell, sorgsam, damit die Menschen keinen Verdacht hegten und legte sich dann wieder neben Tarr, rollte sie zusammen und versteckte sich vor der Kälte, dem Wind. Und sie musste an Welpen denken, an ihre ersten, allerersten Gefühle. Geborgenheit und Wärme, Milch und Gedränge am Bauch ihrer Mutter, so viele neue fremde Gerüche – Dieses Wissen, dass ihr an diesem Ort niemals etwas Böses passieren könnte. Langsam atmete sie aus und die Anspannung wich aus ihren Läufen. Sie wusste ganz genau, dass sie in dieser Nacht die richtige Entscheidung getroffen hatte. Tarr blieb noch länger wach, als die weiße Wölfin neben ihm, sein Geist wanderte weit, weit über die Maschendrahtzäune des Geheges hinaus. Er wünschte den beiden Glück, weil sie es brauchten. ‚Keine Welt mehr für uns’, dachte er traurig. Die Welt war vergiftet, im 24. Jahrhundert der Menschheitsgeschichte. Die eisigen Länder waren eines der letzten Rückzugsgebiete in denen das Leben in der Freiheit noch möglich war, weil die Welt dort so groß, so uninteressant für die Menschen war. Die Wolken waren verschwunden, und die Sterne zeigten sich und einer leuchtete besonders hell – Es brachte Tarr zum Schmunzeln. Ein Geist wandelte wieder über die Erde, zurück in seine Heimat. Es gab noch so viel lernen. Und auf einmal, gestand sich der Wolf, machte er sich in dem Aufblitzen eines Augenblickes wieder Hoffnung. Hoffnung auf ein anderes Leben und sogar Hoffnung auf die Zukunft. Dann schlief er doch noch ein und begann zu Träumen, von den Geistern, von Stürmen und von wilden Wölfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)