Unforgivable Sinner von xRajani (Remake) ================================================================================ Kapitel 5: Fluch und Segen -------------------------- Im nächsten Moment hüllte ein lodernder Flammenstrahl Aeropteryx ein. Zu hören war bloß sein durchdringender Schrei, als die plötzliche Helligkeit seine Augen blendete. Er ließ rasch von Libelldra ab und wich nach rechts aus, weg vom dem grellen Feuer. Shuu ballte die Faust und fühlte, wie er die Oberhand zu gewinnen schien. „Vulnona, Solarstrahl!“ „Zeitverschwendung!“, äußerte Aika sich spöttisch. Anmaßend grinste der Koordinator und wischte sich mit einer raschen Handbewegung eine störende Strähne aus dem Gesicht. „Ich sagte doch bereits, dass du mich nicht unterschätzen solltest.“ Seine Augen wanderten zu Vulnona, die ihr Maul geöffnet hatte, aus dem helles Licht drang und sich zu einer Kugel formte. So rasch wie noch nie war die Energie geladen, die sonst Sekunden, nein Minuten, benötigte. „Nur wenige Vulpix und Vulnona wissen, wie sie diese Fähigkeit nutzen können. Dürre nennt man sie“, belehrte Shuu triumphierend die Trainerin, die wie gelähmt ausgeharrt war. „Brauchst du ’ne Einladung, Vulnona?“ Erneut knurrte die Füchsin zurechtweisend und entlud diesen monströsen Strahl, geformt aus reinem Sonnenlicht. Aika gönnte Shuu diesen Moment des Triumphes nicht. „Rajani, Stromstoß, halt Vulnona auf!“ Erschöpft keuchte Rajani auf, wollte ihre Trainerin aber nicht enttäuschen. Energisch stampften die Hufe in den Boden, und sie wieherte schrill. Zudem verbot es ihr Stolz verlieren! Daher sammelte Rajani ihre verbliebene Kraft, die sich zuckend um ihren Leib legte. Donnernd galoppierte das Zebra auf Vulnona zu und rammte die Füchsin mit vollem, elektrisierenden Körpereinsatz zur Seite. Panisch jaulte Vulnona auf, als sie die Kontrolle über den Solarstrahl verlor. „Felsgrab, Akash!“ Unerwartet brach der Boden unter Vulnonas Pfoten und spitze Steine ragten in den Himmel auf. Sie schlossen Vulnona eines Gefängnisses gleich ein. Eng war der Platz zwischen dem kalten Gestein und schmal waren die Spalten zwischen ihnen, wenig Sauerstoff und noch weniger Platz zum Agieren. „Jetzt Steinkante, mein Hübscher!“ Natürlich verstand Shuu die Not, in der sein Pokémon steckte. Sekunden, höchstens eine Minute, blieben ihm noch, um Vulnonas Niedergang zu verhindern. Und plötzlich überkam ihn ein seltsames Gefühl, was Shuu nur selten empfand. Nur einmal konnte sich der Koordinator an jenen Moment erinnern, als er es das erste Mal so intensiv gespürt hatte: Im Halbfinale des Kanto-Festivals. Shuu stand mit dem Rücken zur Wand, fühlte sich bedrängt und wusste keinen Ausweg. Wie konnte er bloß Vulnonas blamierende Niederlage vereiteln? Sich in Bruchteilen von Sekunden zu klaren Gedanken zusammen rufend, entschied Shuu zu handeln. Viel Zeit hatte er nicht, um diesen Angriff zu kontern, ohne die Gesundheit seiner Gefährten zu riskieren, was ihm schier unmöglich erschien. Oder doch? Seine Blicke schossen zu Libelldra hinauf. Beseelt vom puren Kampfgeist, weigerte sich Shuu aufzugeben. „Libelldra, Drachenklaue, du musst Vulnona da raus holen!“ Die Erddrachin fühlte das endlose Vertrauen ihres Trainers, ja den Wunsch zu siegen. So stieß Libelldra pfeilschnell herab. Verbissen hieb sie auf die Felsen ein, die unter der Wucht der Schläge bröckelten. Nur schwache Risse bildeten sich in der Oberfläche. Langsam. Zu langsam! Die Steinspitzen kamen in rasender Geschwindigkeit auf Libelldra und Vulnona zu, welches sich beinahe verzweifelt aus dem Gefängnis befreien wollte. „Verdammt“, murrte Shuu leise und entschied sich einen ausweglosen Konter zu versuchen. „Hyperstrahl!“ Alles genau kalkuliert. Der Koordinator wusste, welche Zeit Libelldra benötigte, um Hyperstrahl vorzubereiten. Meist waren es zwanzig Sekunden, manchmal fünfzehn, kam aber nie unter jene kostbare Zeit. Doch dieses Mal wuchs die Erddrachin über sich selbst hinaus. Bereits nach drei Atemzügen entwich ihrem Maul ein gewaltiger Energiestrahl, dessen Lohe die Felsbrocken restlos pulversierten. Während Shuu irritiert sein keuchendes Pokémon beobachtete, hob Aika ihre Hände und begann zu applaudieren. Sie konnte einen anerkennenden Pfiff nicht unterdrücken. „Nicht schlecht. Deine Pokémon überraschen mich immer wieder.“ Ein Lob aus ihrem Munde hörte sich an wie eine Lüge. Nicht viel hatte gefehlt und Shuu hätte seinen Selbstvertrauen verloren. Doch nun trat er mit neu gewonnener Kraft aus jener Krise hervor. „Befrei Vulnona“, schickte er Libelldra an, das mit gezielten Hieben die Festung zum Einsturz brachte. Die Füchsin kroch unversehrt aus den Trümmern hervor, drückte ihren Leib sanft an den der Drachin und presste die Schnauze an ihren Hals. „Kuscheln könnt ihr später“, mahnte Shuu sein Pokémon, das nun lautlos von Libelldra weg schritt. Ihr Nackenfell sträubte sich, während sich die Lefzen zu einem bedrohlichen Knurren verzogen. Mit den Fingern fuhr sich Aika durch den Pony, der ihr ins Gesicht herab fiel. Sie blickte Shuu leicht lächelnd entgegen, der stets für eine Überraschung gut war. Nicht zu verleugnen war es, dass er trotz seiner Arroganz, ein hervorragender Koordinator war. Diesen Eindruck hatte Aika bereits gewonnen, als sie das erste Mal Zeugin seiner Vorführungen und Kämpfe geworden war. Beinahe mit mathematischer Genauigkeit kannte Shuu seine Pokémon. Jede Einzelheit, ja jeder Makel, war ihm bewusst und konnte sie im Kampf ver- oder abwenden. Trotzdem sollte Shuu niemals ihre wirkliche Anerkennung spüren. Für sie war dieser Bengel bloß ein aufgeblasenes Fasasnob, das die Hormone weiblicher Zuschauer in Aufruhr brachte. Er war ihr unsympathisch. Ganz einfach. „Bilde dir bloß nichts auf mein Kompliment ein.“ Shuus Mundwinkel verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln. „Ich brauche dein Lob nicht. Ich weiß, dass ich gut bin.“ Schallend lachte Aika auf, konnte sich vor Belustigung kaum bremsen, bis Rajani ihr einen zurechtweisenden Blick zu warf. „Schon gut, ich konzentrier mich ja wieder.“ Entrüstest schnaubte das Zebra. Und wenn nicht, wusste sie, welche Saiten sie aufziehen musste, um Aikas gänzliche Aufmerksamkeit zu haben! Verlegen räusperte sich die Blonde. „Nun ja, die Aufwärmphase ist jetzt vorbei!“, hielt Aika dem Koordinator vor Augen, der sie bloß nüchtern ansah. „Ach wirklich?“ „Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen. Schockwelle, Rajani!“ Erneut schwebten Funken um Zebritz’ Leib und je mehr Sekunden verstrichen, desto mehr glühten sie immer stärker, bis grelle Blitze entlang der Mähne zischten. Bloß einen Lidschlag später breiteten sie sich augenblicklich aus und trafen die Feuerfüchsin an ihrer ungeschützten Längsseite. Der Stromschlag fuhr durch Vulnonas Körper und ließ ihre Gliedmaßen unkontrolliert zuckten. Jaulend sank die Kitsune auf den Boden. „Reiß dich zusammen, nur noch ein bisschen!“, ermunterte Shuu sein Pokémon barsch. Jammernd kauerte Vulnona auf dem Boden, während ihr Körper von Muskelzittern heimgesucht wurde. Der Koordinator ballte ungeduldig die Faust, als sich Vulnona nicht zu rühren vermochte. „Los, steh auf, sofort!“ Demütig beugte Vulnona das Haupt, als ihre Blicke auf den harten Ausdruck in Shuus Augen traf. Sie wusste, dass ihr Trainer sie nicht mit Schlägen, sondern mit Verachtung bestrafte. Empört stieß die Blonde ein Schnauben aus. Bereits viele Menschen waren ihr in ihrem Leben begegnet, die ihre Pokémon ähnlich respektlos behandelt hatten. Für Aika war es stets ein Mysterium, warum sie trotzdem den Anweisungen ihrer Trainer folgten, anstatt jenen Ungehorsam und Hass zu zollen. Pokémon waren Freunde, keine Untergebenden. Sie waren fühlende Wesen, die sowohl Traurigkeit, Schmerz und Pech als auch Fröhlichkeit, Freude und Glück verspürten. „Ist es dir vollkommen egal, welche Schmerzen dein Pokémon hat? Man sagt nicht ‚Los, steh auf, sofort’, sondern man erkundigt sich nach dem Wohlbefinden seines Pokémons!“, herrschte Aika ihn erzürnt an, aber dieser Vorwurf ließ Shuu kalt. Sicher hatte Vulnona große Schmerzen, das wusste er. Doch all seine Pokémon, nicht nur Vulnona, ertrugen jenes Leid, um für Shuu zu siegen. „Ach was? Erzähl mir etwas Neues“, gab der Junge kühl zurück. „Kümmere dich um deine eigenen Pokémon und belehr mich nicht, wie ich meine Pokémon zu behandeln habe.“ Aika kannte seine Gefährten nicht. Daher war ihr ein Urteil untersagt. Nachtara, Roselia, Vulnona, Libelldra, Smettbo und Absol wussten schließlich um den Ehrgeiz des Koordinators Bescheid, der auch stets das innere Feuer in ihren Herzen entfachte. Sein Wille zu siegen, war auch ihr Wille, ganz gleich welch rüden Worte er an sie richtete. Dass Shuu sie liebte – auf seine Weise - war ihnen bewusst. Im ersten Moment lachte Aika höhnisch auf. Hernach verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem verächtlichen Grinsen, sie ärgerte sich aber weiterhin über die Arroganz und Engstirnigkeit des Koordinators. „Na, wenn du meinst. Es ist mir trotzdem ein Rätsel, dass deine Pokémon dir überhaupt folgen.“ Shuu schaute sich um und schnappte leise Worte der wenigen Schaulustigen auf, die sich ebenfalls in der Sandkuhle aufhielten, aber ihr Training pausieren ließen, um diesem Schauspiel – oder hitzigem Wortgefecht? - beizuwohnen. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Blonde, plötzlich das Gefühl habend, diesen Kampf rasch zu beenden, als bei diesem kalten Wetter Kaffeekränzchen zu halten. „Hast du nichts Besseres zutun, als mit mir Smalltalk zu führen?“ „Wozu die Eile? Ich habe dich schon Mal besiegt. Es dürfte also nicht so schwer sein, es wieder zu zutun.“ Eine Flamme, durchzogen von einem tiefen Blau, züngelte aus Libelldras Maul, und Shuu musste sich zusammenreißen, um nicht ähnlich zornig zu reagieren. „Kontern, Akash!“ Schillernde Energiekügelchen sammelten sich im Kreis um Aeropteryx, rotierten in der Luft, bis er die faustgroßen Sphären sodann auf eine Reise schickte. Manche von ihnen trafen auf Drachenpuls auf, und die Kräfte der Attacken rangen um den Sieg. Schließlich entschieden sie sich gleich stark zu sein und gingen in einer dröhnenden Explosion ineinander über. Viele von ihnen trafen Libelldra. Die Drachin aber schützte sich mit den Flügeln, wollte keinesfalls der Kraftreserve unterliegen. „Wehr den Rest mit Stahlflügel ab – und Irrlicht, Vulnona!“ So prallte die gleißende Energie an den stählernen Schutzschilden ihrer Schwingen ab und schickte sie gar auf einen erneuten Flug, erreichten jedoch Akash nicht. Dieses hatte sich mit geschmeidigen Flügelschlägen bereits höher in die Lüfte geschraubt. Hernach richtete sich die stolze Füchsin in einer fließenden Bewegung zu ihrer vollen Größe auf und reckte die neun Schwänze empor, an deren Spitzen sich kleine, blaue Flämmchen bildeten, die einen kalten, silbernen Schein auf die Umgebung warfen. Dann schoss Vulnona die Irrlichter ab, die nun Aeropteryx nachjagten, welches versuchte sich in luftigere Höhen in Sicherheit zu bringen. Die Flügel eng an den Leib gepresst, schnellte er zwischen den Irrlichtern umher. Viele von ihnen verfehlten den Urvogel knapp, manche von ihnen versengten Akashs Federn. Aika legte den Kopf in den Nacken und versuchte einen Blick auf ihn zu erhaschen. Rund zweitausend Fuß schwebten Aeropteryx und Libelldra über ihren Köpfen. Das Auf- und Abschlagen der Flügel erzeugte ein rhythmisches Geräusch. „Hitzewelle!“ Mit dem Aufblitzen ihrer klugen Augen löste Vulnona eine Welle rot glühender Flammen aus dem innersten Kern ihres Körpers, der heiß genug war, um Gold oder sogar Platin zu schmelzen. Jene Lohe entzündete das verdorrte Gras und brachte den Schnee und Sand zum Schmelzen, während Zebritz von flammenden Windböen gestreift wurde. Nur ein kurzer Triumphmoment blieb Vulnona. Unerwartet vermochten ihre Pfoten ihr Gewicht nicht mehr zu tragen, und da fühlte sie die plötzliche Erschöpfung. Die Füchsin ließ sich zuerst auf die Hinterläufe nieder, dann sank ihr Leib zu Boden und konnte nicht mehr die Kraft aufbringen, sich zu regen. „Anscheinend hast du etwas aufzuholen“, stellte Aika grinsend, „steht es Eins zu Null für mich.“ Widerwillig erlaubte sich Shuus Stolz Vulnonas Niederlage zu akzeptieren, auch wenn es eine Frage der Zeit gewesen war, bis seine Füchsin nicht mehr in der Lage war, zu kämpfen. Es entsprach zwar nicht den Leistungen, die sich Shuu erwünscht hatte, vor allem im Hinblick auf das Festival, dennoch lobte er sein Pokémon ausgiebig, auch um den Anschein zu wahren, dass er ein sorgender Trainer war. Folglich aber zwang er all seine Konzentration auf die entscheidenden Minuten. „Du brauchst mich nicht daran erinnern, dass ich dich noch immer besiegen kann“, sprach der Koordinator kühn aus. Natürlich waren seine Chancen nun geringer, weil er bereits eines seiner Pokémon verloren hatte. Trotzdem schmälerte dies nicht seinen Ehrgeiz. Noch immer war alles möglich - theoretisch. Praktisch gedacht musste seine folgende Strategie wohlbedacht gewählt sein, um keine Lücke in seiner Verteidigung zu zulassen. Shuu jubilierte innerlich. Jetzt aber brauchte er seine Gedanken nicht mehr länger abzuwägen und keine Rücksicht nehmen, sondern konnte nun auf Libelldras breit gefächertes Attackenarsenal zurückgreifen, ohne Vulnona zu gefährden. Noch aber gönnte sich der Koordinator mit seiner Gegnerin zu spielen, um auf einen günstigen Augenblick warten – der berühmt berüchtigten Überraschungsmoment. „Dafür, dass du mit dem Rücken zur Wand stehst, kannst du noch großspurige Sprüche klopfen“, amüsierte sich die Blonde. „Sonst ist das mein Part.“ Sie lachte kurz auf, merkte jedoch auf, als Zebritz ungeduldig und kampfeslustig den Boden aufscharrte. „Aber die werden dir auch noch im Hals stecken bleiben. Treib Libelldra zu Boden!“ Die Lefzen zurücklegend, stürzte sich Aeropteryx auf Libelldra, das einen erstickten Schrei ausstieß, als der Urvogel blitzschnell auf sie herab gefahren war. Um Aeropteryx zu entkommen, versuchte sie seitlich auszubrechen, doch dies gelang ihr nicht. Akash ließ ihr keine Gelegenheit dazu, denn immer weiter hetzte er die Erddrachin in die Tiefe. Während Shuu die erfahrene Trainerin mit seinen Blicken taxierte, ballten sich seine Hände zu Fäusten, und vermochte der angestauten Aggressionen nur mit Mühe zu verbergen. Angespannt beobachtete Shuu sein Libelldra, das sich wie ein ungeschicktes Junges durch die Luft treiben ließ. Es ergab keine logische Erklärung, welches Ziel sie verfolgte. Führte Aika mitten in einem Kampf etwa eines ihrer lästigen Spielchen? „Schüttel’ den lästigen Parasit ab!“, schrie Shuu schroff zu seinem Pokémon. Anstatt weiter vor Aeropteryx zu fliehen, wendete Libelldra schließlich und pöbelte den Kleineren fauchend an. So eine leichte Beute war sie nicht! Dann stürzte sich Libelldra brüllend auf ihren Kontrahenten und ging mit gefletschten Zähnen auf den Urvogel los. Wie zwei frontal kollidierende Meteoriten krachten Libelldra und Aeropteryx gegeneinander, traten sich mit den Hinterbeinen gegenseitig in den Bauch und schleiften ihre Klauen über den Leib des Anderen. Akashs Krallen verursachten ein scheußliches Quietschen, als sie über Libelldras Schuppen kratzten. Akash war deutlich kleiner als Libelldra, hatte aber kräftigere Hinterbeine und vermochte in den Lüften wendiger zu agieren. Es gelang ihm, sich Libelldra einen Augenblick auf Distanz zu halten. Dann aber umklammerten sich die Gegner erneut und rangen darum, wer zuerst den Hals des anderen zu fassen bekäme, während Libelldra und Aeropteryx weiter in die Tiefe trudelten. Voller Kampfeslust schlugen sie sich gegenseitig die Schwänze um die Ohren. Inzwischen waren sie durch eine niedrige Wolkendecke gebrochen und rasten in hohem Tempo auf den Boden zu. Shuu wurde unruhig. Sie schienen die Tatsache, dass sie kurz vor einem schmerzhaften, gar tödlichen, Aufprall waren, nicht zu bemerken. „Schnell, du musst sie auseinander bringen, Rajani“, sprach Aika rasch. „Ladestrahl!“ Shuu starrte zu dem erschöpften Zebra, das während des Luftkampfes einen Augenblick gefunden hatte, um wieder zu Atem zu kommen. Nun aber sammelten sich in Zebritz’ Fell knisternde Funken, die wie ein explodierender Lichtblitz der Energiestrahl die Umgebung plötzlich erstrahlen ließen. Tanzende Sterne sah Shuu kurzzeitig vor seinen Augen, und der Koordinator versuchte sie mit seiner Handfläche vor dem grellen Schnee zu schützen. Ebenfalls geblendet kreischte Aeropteryx panisch auf, ließ rasch von Libelldra ab, als Ladestrahl ihn nur knapp verfehlte, und landete, mit eng an den Leib gepressten Flügeln, auf einen erhöhten Felsvorsprung. Es dauerte einen Moment bis der Urvogel seine Orientierung zurück gewonnen hatte. Dann riss er ruckartig seinen Kopf zu seiner Trainerin herum. Die Pupillen seiner Reptilaugen waren zu dünnen Schlitzen verengt, als er sie mit lang gezogenen Klagelauten protestierend ausschimpfte. „Tut mir Leid, mein Schöner“, sagte sie zärtlich zu ihm, der wie eine Schlange wütend zischte. Mit aufgeplustertem Federfell wandte sich Akash beleidigt ab. Allmählich schwächte die Schneeblindheit ab, und Shuu ließ den Arm wieder sinken. Er beachtete Aika nicht. Sein Blick ruhte auf Libelldra, das mit mühseligen Flügelschlägen in der Luft ausgeharrt war. Durch die roten Augenklappen, die die Erddrachin in Wüsten vor Sand schützte, hatten sie nun Libelldra vor dem grellen Ladestrahl bewahrt. Trotzdem: Shuus abschätziger Blick verriet ihm, dass Libelldra ihren Grenzen nah war. Weitere heftige Schlagabtausche würde seine Niederlage bedeuten. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, schloss Shuu einen kurzen Moment die Augen und füllte seine Lungen mit eisiger Winterluft. Sie schärfte seinen Verstand, ließ ihn klar denken. „Libelldra, konzentriere dich“, tadelte der Koordinator sein Pokémon. Hätte die Erddrachin mehr Acht gegeben, wäre sie niemals die Gejagte gewesen! „Jetzt zeig uns Erdbeben!“ Einen beharrlichen Schrei stieß Libelldra aus ihrer Kehle, legte die Schwingen an den Körpern an und ließ sich wie ein Stein zu Boden fallen. Die von Eis überzogene Erde riss ächzend rund um die Drachin auf, die den langen Schweif auf den Grund krachen ließ und dabei einen Schneehaufen dem Erdboden gleich machte. Spitze Felsen ragten wie Reißzähne aus dem Boden, während sich eine Bruchlinie seinen Weg zu Zebritz suchte. „Pass auf, Rajani, weich aus!“, warnte Aika mit vor Anspannung zittriger Stimme. Zebritz bäumte sich auf und wollte ihnen leichtfüßig entfliehen. Doch da rumorte die Erde unter den Hufen und brach entzwei. Zebritz fand keinen Halt mehr und klemmte sich die Hinterläufe in einer klaffenden Felsspalte. Shuu fuhr sich lässig durch die Haare. „Zeige uns einen wunderschönen Stahlflügel und beende es!“ „Akash, halt es auf! Kraftreserve!“ Sich erneut in die Lüfte erhebend, wandelten sich Libelldras Flügel in glühendes Metall. Die Welt drehte sich, als die Drachin nach rechts rollte. Die Energien zischten an ihr vorbei, ohne Schaden anzurichten. Hernach sauste Libelldra im Tiefflug und streckte Zebritz mit metallenen Flügelklingen zu Boden. Stöhnend brach das Elektropokémon zusammen. Selbstbewusst starrte Shuu der Trainerin entgegen. Das Gefühl, einem unüberwindbaren Gegner gegenüber zu stehen, welcher bereits die diesjährige Meisterschaft siegreich für sich entschieden hatte, verschwand allmählich. Unterschätzen tat Shuu sie dennoch nicht und leugnete auch nicht, dass sie eine wahnsinnig talentierte Trainerin war, die bereits unzählige Auszeichnungen gewonnen hatte. Trotzdem vermochte Shuu nicht die Schadenfreude zu unterdrücken. „Na, vom Champ der Meisterschaft hätte ich etwas mehr erwartet“, provozierte der Koordinator bewusst. Er brauchte den Nervenkitzel. „Du lässt nach, was?“ Aikas Fingernägel bohrten sich in die Handfläche. Sie war von seinem triumphierenden Grinsen angewidert und es bedurfte ihre gänzliche Mühe ihn zu ignorieren. „Steinhagel!“, befahl sie knapp, dem Wunsch nachgebend, ihm endlich seine Grenzen aufzuzeigen! Aeropteryxs Krallen streckten sich einer senkrecht aufragenden Granitwand entgegen und suchten jede Unebenheit, um sich festzuhalten. Als die Klauen über die schroffe Oberfläche des nackten Felsen schleiften, erzeugten sie ein schabendes Geräusch. Sein Kopf fuhr herum, und der Reptilvogel stieß einen zügellosen Schrei aus. Kaum war dieser verklungen, dehnte sich Stille zwischen den Kämpfenden aus. Unwillkürlich spannten sich Shuus Muskeln an. Quälend langsam verstrichen die Sekunden. Bloß das Rauschen des Windes nahm er deutlich wahr. Alles anderen waren in den Hintergrund getreten und verloren an Bedeutung. Seine Nerven glichen einem stählernen Seil, welches in der Feuersbrunst eines Groudon allmählich dahin schmolz, und Shuu schnaubte missbilligend, während er das schleichende Bedürfnis, verächtlich zu lachen, mit einem höhnischen Grinsen, zu unterdrücken versuchte. Versuchte das Mädchen ihn lächerlich zu machen? Irgendwo grollte ein Donner und ließ Shuu aufmerken. Er hob den Blick zum klaren Himmel, der sich langsam mit grauen Wolkenschleiern wieder zu zog, nachdem Vulnonas Einfluss auf die Sonnenkraft stetig schwächer geworden war. Doch dann begriff der Koordinator schlagartig, dass es keine sich nähernde Gewitterfront war. Er schaute furchtsam zu seinen Füßen. Zunehmest geriet der Boden unter seinen Füßen in Aufruhr und rumorte, wie das wütende Brüllen eines Raikou. Die Erde erzitterte, bis sich zahlreiche, kantige Felstrümmer aus ihr gelöst hatten, die so groß und schwer wie Geowaz waren. Mit einem zischenden Fauchen schickte Akash die Steinbrocken nun auf eine Reise, und sie folgten gehorsam dem Ruf ihres Herrn. Shuu zögerte nicht. „Greif an! Stahlflügel!“ Wieder formten sich die Schwingen zu stählernen Klingen, während Libelldra einen Schwindel erregenden Sturz wagte, um dem Steinhagel die Stirn zu bieten. So leichtfertig wie ein Schwert die Metallringe eines Kettenhemdes durchtrennten, fuhren die eisernen Flügel durch die Felsen. Shuu und Aika mussten Acht geben, um nicht von den gespaltenen Brocken getroffen zu werden, und wichen ihnen geschickt aus. Die Trainerin hob den Kopf empor. „Steig über Libelldra und anschließend Steinkante!“, befahl sie rasch. Und so gehorchte Aeropteryx. Der Reptilvogel schraubte sich hoch empor und verweilte auf einer höheren Position als Libelldra. Da glomm erneut ein, aus dem sich binnen weniger Sekunden Gesteinsplitter lösten und auf die Erddrachin zu rasten. „Abtauchen!“, bellte Shuu barsch. „Und Stahlflügel!“ Libelldra zog den rechten Flügel an den Körper und rollte sich in einer eleganten Umdrehung zur Seite, bekam nur am Rande mit, wie Steinkante tiefe Krater in den Boden schlugen. Mit einem energischen Wutschrei stieg Libelldra in die Lüfte und schnellte flink auf Aeropteryx zu, während sich ihre Schwingen erneut in strahlendes Silber wandelten. Winselnd legte Akash den Kopf in den Nacken. Stahlflügel war unsanft auf seine rechte Federschwinge geprallt, und sein Klagen schlug in erschrockenes Jaulen um, als Aeropteryx ins Schlingern geriet und in die Tiefe stürzte. „Reiß dich zusammen, Akash, du schaffst es! Aero-Ass!“ Der Schreck ließ nach, und Akash fasste wieder Konzentration. Bevor Aeropteryx wie ein geölter Blitz erneut in die Luft raste, fauchte er keck die Erddrachin an, die ein tiefes Grollen aus ihrer Kehle aufsteigen ließ. Dass der Urvogel sie in wenigen Herzschlägen unerwartet rammen konnte, war Libelldra bewusst. Besonders wachsam beobachtete sie das freche Aeropteryx. Plötzlich beschleunigte Akash, und Libelldra spannte unwillkürlich die Muskeln an. Dann prallten Libelldra und Aeropteryx zusammen. Die Erddrachin erbebte, als Akash gegen ihren ungeschützten Bauch trat. Libelldra versuchte sich ihrer zu erwehren, indem sie mit ihrem Schweif nach ihm schlug. Sie schnappte nach seinem Hals, den der Urvogel blitzschnell zurückzog, dann kratzte sie über seinen Brustkorb und versetzte ihm mit den Flügel einen kraftvollen Schlag. „Drachenpuls!“ „Du auch, Libelldra!“ Aeropteryx krümmte den Hals, während er sein Maul aufklappte. In seinem Rachen glimmte es bläulich auf, indem es binnen weniger Sekunden brodelte und kochte. Fauchend erwiderte Libelldra den Flammenstoß. „Vorwärts, Libelldra, zeig ihnen deine wundervolle Drachenklaue!“, schrie Shuu an und beobachtete weiterhin den Himmel. Ruckartig zog Libelldra die Schwingen an den Leib, schloss das Maul und tauchte unter Aeropteryxs Drachenpuls hinweg. Kampfeslustig knurrend stürzte sich die Erddrachin auf den Gegner, die Krallen in blutiges Licht getaucht. „Wehr dich!“, befahl Aika. Die Hände hatte sie vor ihrem Mund zum Resonanzkörper geformt. Kreischend versuchte Aeropteryx Libelldra einzuschüchtern, doch der Drache ließ sich nicht beeindrucken. Mit scharfen Klauen hieb sie nach dem Urvogel und schleifte jene mit Genugtuung über seinen Körper. In fester Umklammerung trudelten sie in die Tiefe. Fauchend schaffte Akash, Libelldra sich einen Augenblick vom Leib zu halten und brachte sich in Sicherheit. Shuus Freude war bloß von kurzer Dauer, als er begriff, dass Libelldra nun dem Reptilvogel schutzlos ausgeliefert war. Aeropteryx schoss mit angelegten Flügeln auf die Drachin zu, drängte sie mal in diese, mal in jene Richtung. Auf den Befehl des Koordinators versuchte Libelldra mehrmals ihm zu entwischen, aber jedes Mal stieß Akash auf sie herab, schnappte oder schlug mit dem kraftvollen Schwanz nach ihr, damit Libelldra gezwungen war den Kurs wieder zu ändern. „Lass dir das nicht gefallen und gib dir Mühe, Libelldra!“, tadelte Shuu sein Pokémon. „Stahlflügel!“ Aika ballte die Faust und ein zorniges Funkeln legte sich in ihre Augen. „Wehr es mit Drachenklaue ab!“ Es glich einem Tanz aus Klauen und messerscharfen Stahlklingen, die beim Aufprall ein quietschendes, lang gezogenen Schleifen ertönen ließen, als Libelldra und Aeropteryx umeinander her jagten, bis ihnen die Zungen aus dem Maul hingen, die Schwänze erschlafften, die Flügelschläge erstarben, und sie nur noch durch die Luft segelten. Lange vermochten Libelldra und Aeropteryx diesen Kampf nicht mehr fortführen zu können, so warnte Shuus Verstand. Rasch musste er den Sieg – oder die Niederlage – herbeiführen. Auch wenn er es nicht zugeben mochte, die Trainerin war ein Fluch, wenn man ihr gegenüberstand. Nicht umsonst war sie Champion der Silberkonferenz und galt bei ihren Gegnern als selbstsicher und gewitzt. Aika war eine begnadete Trainerin, die seit ihrem dreizehnten Lebensjahr eigenständig war und mit ihren Pokémon zusammen lebte. Sie wusste, was sie tat, was sie ihren Gefährten abverlangen durfte und wie sie ihre Konkurrenz zum Verzweifeln brachte. Sie war Fluch und Segen zugleich. Trotz aller Geringschätzung, die auf Gegenseitigkeit beruhte, lernte der Koordinator in diesem Kampf sogar sie zu respektieren. Doch so ruhig und gelassen, egal in welcher Situation sie auch sein mochte, verlor Aika allmählich ebenfalls die Geduld. Auch ihr war bewusst, dass dieser Kampf langsam zu neige ging. „Verdammt! Kraftreserve!“ Shuus Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. „Wird da jemand etwa nervös?“, reizte der Koordinator die junge Frau, die seinen Blick kühl erwiderte. „Hyperstrahl!“, ergänzte er gelassen. Erneut züngelte ein mächtiger Energiestrahl aus Libelldras Maul und sprengte Aeropteryxs gesammelten Energien, ehe sie an Kontur gewannen. Dann erfasste die Druckwelle Libelldra und Akash. Angsterfüllt schrie Libelldra auf und vermochte sich dieser Kraft nicht zu erwehren. Der letzte Angriff lähmte ihren Leib. Ihre Glieder fühlten sich unsagbar schwer an. Shuus Herz pochte, das Blut dröhnte in seinen Ohren und das Adrenalin, welches durch seine Venen rann, hatte die Welt seltsam verzerrt. Da spürte er, wie sich seine Kiefermuskeln schmerzhaft verhärteten, seine Hände sich zu Fäusten ballten und Zorn ihn erfüllte. Jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen angespannt. Doch ihm blieb nur eines: Die Hoffnung nicht verlieren. Wieder fielen beide vom Himmel herab, traten und bissen sich, kratzten mit ihren Krallen über die Haut und Schuppen des Kontrahenten. Shuu atmete schwer. Alles deutete auf seine Niederlage hin, aber der Koordinator wollte dies nicht akzeptieren. „Drachenpuls auf seine Flügel!“ Wie Musik klang Aeropteryxs entsetzter Schrei, und es verlor an Bedeutung, dass beide Pokémon auf den Erdboden prallten und keine Kraft mehr fanden, sich aufzuraffen. Der Schrecken einer unerbittlichen Trainerin verrauschte, und auch der Ärger über all die Konflikte, die sie geführt hatten. Die Ohnmacht ihrer Partner war wie eine Befreiung aus eiskalten Ketten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)