Phönixasche von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Fragen & Antworten ----------------------------- Für . Weil sie weiß, wo die Geschichte spielt :) ________________________________________ FRAGEN & ANTWORTEN Mein Wecker schrillte gnadenlos. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich gerade mal fünf Minuten geschlafen, als ich mit der Hand nach dem nervigen Ding schlug, um es stumm zu stellen. Welcher verdammte Schwachmat hatte diese Vorlesung auf Montagmorgen acht Uhr gelegt? Den würde ich eigenhändig in die Hölle schicken. Murrend drehte ich mich auf die Seite, um meinen Schlaf so lange wie möglich in die Länge ziehen, bevor ich wirklich aufstehen musste. Auch wenn die kommende Stunde wohl nur aus Fünf-Minuten-Schlafphasen bestehen würde. Immerhin etwas. Als ich es endlich irgendwann schaffte, mich aus dem Bett zu wuchten, und routinemäßig einen Blick aus dem Fenster warf, stellte ich fest, dass es auch noch regnete. Na wunderbar. Ein Grund mehr, Montage zu hassen. Oder Regen. Oder Herbst. Oder generell, den frühen Morgen und Wecker und … ach, überhaupt, alles, was auch nur ansatzweise mit Aus-dem-Bett-aufstehen zu tun hatte. Es war eine lange Nacht gewesen. Nach dem Speed-Dating war ich mit Raphael kurzerhand noch ein paar Runden Billard spielen und danach waren wir noch in die Wagnergasse gegangen, um etwas zu trinken. Er hat, wie immer, nichts Alkoholisches gehabt. Es juckte mich immer noch, zu erfahren, woher diese Abstinenz kam. Aber ich fragte Leute, die ich nicht sehr gut kannte — und in Raphaels Fall lag es nicht unbedingt nur an mir, dass ich kaum etwas über ihn wusste; er hatte immer noch den Redecharakter eines Steins — nur sehr ungern nach privaten Dingen. Und dass er keinen Alkohol trank, erschien mir irgendwie privat. Ich meine … in unserer Gesellschaft und Zeit hatten die meisten schon einen triftigen Grund, warum sie niemals tranken. Zumindest ging ich davon aus. Außerdem wollte ich es mir nicht gleich am Anfang mit ihm versauen, indem ich ihm ungewollt auf den Schlips trat. In der WG war noch niemand wach, weil die anderen vier montags nicht vor zehn Vorlesungen hatten. Die Säcke. Ich schlurfte durch den Flur und ins Bad. Erst durch kaltes Wasser schaffte ich es, irgendwie aus meinem Halbschlaf zu erwachen. Meine Laune besserte sich allerdings nicht und ich fühlte mich nach wie vor ziemlich müde. Es war immer noch dunkel draußen. Regen und Dunkelheit. Das passte wunderbar in einen Horrorfilm. Ich schüttete mir großzügig Cornflakes in eine Schüssel in der Küche. Als ich danach feststellte, dass ich gar keine Milch mehr hatte, wäre ich am liebsten zum Berserker geworden, aber entschied mich dann um und nahm mir einfach dreist etwas von Fernando. Er würde es wahrscheinlich sowieso nicht merken; einmal abgesehen davon, was er sich so alles von mir nahm. Ich nahm die Schüssel und pendelte zurück in mein Zimmer, warf mich auf meinen Schreibtischstuhl und fuhr meinen Laptop hoch, um mir den Wetterbericht für heute anzusehen. Ich war gerade dabei, mir einen voll beladenen Löffel mit Cornflakes in den Mund zu schieben, als mir plötzlich siedend heiß einfiel, dass Fernando mich heute Abend unter Garantie tyrannisieren würde. Als ich nach Hause gekommen war, war er schon im Bett gewesen und hatte geschlafen. Er musste wohl denken, dass das Speed-Dating ein voller Erfolg gewesen war. Scheiße. Was zum Teufel sollte ich ihm erzählen? Er wusste schließlich nicht, dass Raphael mitgekommen war. Und wenn ich es ihm erzählt hätte, dann hätte er gedacht, ich würde einen Kerl einem Haufen Weiber vorziehen und dass das — in Fernandos Augen — eindeutig schwule Andeutungen wären. Ich verschluckte mich fast an den Cornflakes, die ich im Mund hatte. Doch dann fiel mir ein, was ich ihm sagen könnte: nämlich, dass ich Raphael nach dem Speed-Dating zufällig auf dem Nachhauseweg getroffen hatte und wir dann spontan beschlossen hatten, noch etwas zusammen zu machen. Ich nickte abwesend vor mich hin, begeistert von meinem eigenen Einfallsreichtum. Ich traf mich vor dem Hörsaal mit Simon, Kati und Lisa. Die drei wirkten wesentlicher frischer und weniger nass als ich. Weil ich spät dran gewesen war, musste ich mit dem Fahrrad zur Uni fahren, durch den Regen. Hurra. Lisa grinste, als sie mich sah. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte sie mich, während sie mir einen Kaffeebecher reichte. Dafür hätte ich sie knutschen können. Sie brachte mir hin und wieder einen Kaffee mit, wenn wir uns so früh zur Vorlesung trafen. Ich gähnte zur Antwort herzhaft. »Schlaflose Nacht mit einer heißen Schnitte gehabt?«, fuhr Lisa fort und wippte mit den Augenbrauen. Ich nahm einen Schluck von dem Kaffee und starrte sie über den Rand des Bechers hinweg an. Manchmal war sie mir gruselig. Es war unheimlich, wie ähnlich sie hin und wieder Fernando war. Seltsam, dass die beiden sich nicht kannten. »Nein, wenn er Sex gehabt hätte, wäre er gut gelaunt«, meinte Simon schulterzuckend. Ich zog kurz die Augenbrauen hoch. Auch wenn ich es nur ungern tat — ich musste ihm Recht geben. So falsch lag er da wahrscheinlich nicht. »Ich war erst spät im Bett«, antwortete ich schließlich. »Seit wann ist mein Sexleben für andere so interessant?« Lisa lachte, Simon grinste und Kati warf ungeduldig einen Blick auf ihre Uhr. Eigentlich hatte ich nicht viel mit Kati zu tun, sie war nur meistens dabei, weil sie gut mit Lisa befreundet war. Irgendwie wirkte sie ziemlich zugeknöpft auf mich, aber gut, nicht jeder hatte denselben schmutzigen Humor und konnte über versaute Dinge lachen. »Lasst uns reingehen. Es geht gleich los«, murmelte ich dann, ehe wir uns in Bewegung setzten und uns freie Plätze suchten. Simon packte sofort seinen Block mit den Kästchen für Schiffe versenken aus. Wie immer. Ich weiß, es war nicht sehr vorbildlich, aber es war die perfekte Ablenkung, um nicht direkt einzuschlafen. Nach der Vorlesung machte ich mich zusammen mit Simon auf zu unserem Seminar. Im Vergleich zur Vorlesung verflog hier die Zeit relativ schnell und ich war glücklich, dass ich jetzt Mittagessen konnte. Simon und ich blieben unten in der Mensa stehen und starrten auf die weißen Tafeln, auf denen stand, welche Menüs heute angerichtet waren. »Pommes«, grunzte Simon. Schon machte er sich auf den Weg zu der Treppe, die nach oben zur Essensausgabe und den Sitzplätzen führte. Ich musste in mich hineingrinsen. Wann immer es Pommes in der Mensa gab, er nahm sie immer, ganz egal, was es sonst noch dazu gab. Eigentlich ernährte er sich beinahe ausschließlich von Pommes, wie mir schien. Meistens hatte er auch eine Schale von FritzMitte bei sich. Ich folgte ihm schnell. Wir nahmen uns jeweils ein Tablett und Besteck und stellten uns in der Schlange an. Die Mensa war, wie immer um diese Uhrzeit, völlig überfüllt. Um uns herum drückten sich andere Studenten, um entweder zu einer anderen Schlange zu gelangen oder zur Kasse oder um sich Salat von der Salatbar zu holen. Als wir schließlich unser Essen hatten und bezahlt hatten, suchten wir uns einen freien Platz, was mal wieder gar nicht so leicht war. Es war ziemlich laut, überall standen andere Leute herum, die nach freien Plätzen suchten oder nach Freunden Ausschau hielten. Ich balancierte mein Tablett gekonnt zu einem freien Platz. Simon ließ sich mir gegenüber sinken. Hastig zog ich meine Jacke aus. »Und, was hast du so Spannendes gemacht gestern Abend?«, fragte Simon mich schließlich, bevor er sich genüsslich eine Pommes in den Mund schob. Ich krempelte die Ärmel meines Shirts hoch. »Hab mich mit einem Freund spontan zum Billard getroffen und dann sind wir noch was trinken gewesen«, sagte ich nur und zuckte die Achseln. Ich hoffte inständig, dass Simon vergessen hatte, dass ich dieses Speed-Dating gehabt hatte. Es war mir ihm gegenüber nämlich vor einiger Zeit herausgerutscht und er hatte mindestens eine Woche allein damit verbracht, mich damit aufzuziehen. Aber das war wohl die gängige Reaktion, wenn man erfuhr, dass der Kumpel zum Speed-Dating ging. Ich wollte gar nicht wissen, was Raphael durch den Kopf gegangen war, als ich es ihm erzählt hatte. Simon hob den Kopf und schaute mich kauend an. »War gestern nicht dieses Speed-Dating?« Ich wünschte, er wäre an seinen Pommes erstickt. Er hatte es also doch nicht vergessen, sehr zu meinem Verdruss. Mürrisch zerschnitt ich das Fleisch auf meinem Teller, während er, bestätigt durch meine Reaktion, wieder zu lachen anfing. Eines Tages würde ich es Fernando heimzahlen, dass er mir das angetan hatte. »War wohl nichts dabei, wenn du danach erst mal saufen gewesen bist, was?«, meinte Simon belustigt. »Na ja, ich meine, was erwartest du auch von einem Speed-Dating? Ich glaube, ich hätte mich schon vorher zugekippt, um das überhaupt zu überstehen.« Das hätte ich wahrscheinlich auch getan, wenn Raphael nicht mitgekommen wäre, dachte ich. Bevor ich aber irgendetwas erwidern konnte, setzte Simon ein leicht wehmütiges Lächeln auf. »Aber Mimi hat die Messlatte wohl auch ziemlich hochgelegt, oder?«, fügte er hinzu und schaute mich dabei aufmerksam an. Ich verschluckte mich fast an dem Bissen in meinem Mund. »Ehrlich, Adrian. Das ist schon so lange her. Langsam müsstest du doch darüber hinweg sein. Gib doch auch mal einem anderen Mädchen die Chance und hör auf, alle an Mimi zu messen.« Ich kramte die Wasserflasche aus meiner Tasche und spülte nach, bevor ich an dem Essen in meinem Hals noch erstickte. Simon hatte mal wieder ein sehr schlechtes Gespür für Themen, die er aufbringen konnte. Ich setzte die Flasche ab, wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. »Das war unangebracht, oder?«, fragte Simon mich, als ich ihn ansah. Ich nickte stumm. Er grinste mich entschuldigend an. »Sorry.« Eigentlich hatte ich wieder das dringende Bedürfnis mich zu erklären und zu rechtfertigen, aber ich schluckte es runter. Es hätte mir nichts gebracht. Und ich hatte sowieso die Schnauze voll davon, allen Leuten, die das Thema aufbrachten, meine Gefühlswelt zu erklären. Das hatte ich hinter mir. Ich hatte genug davon. Trotzdem war es wirklich nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, auf Mimi zu sprechen zu kommen. Seufzend schob ich das Thema gedanklich beiseite und konzentrierte mich auf die Pommes. »Und, was macht Christie so?«, wechselte Simon schließlich das Thema und schaute mich mit großen Augen an. Sehr subtil. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Simon war schon ewig in Christie verknallt, aber ich war mir nicht mal sicher, ob sie wusste, dass er existierte. Sie hatten sich schon ein paar Mal gesehen und unterhalten, aber hatte nie echtes Interesse an irgendjemandem geäußert. Simon grübelte immer noch, wie er bei ihr landen konnte. Ich zuckte die Schultern. »Das Übliche. Verheiratet mit der Medizin.« »Adrian, Alter«, brummte Simon, bevor er sich sichtlich missgelaunt drei Pommes zwischen die Lippen stopfte. »Fällt dir wirklich keine bessere Antwort ein? Kannst du mir zur Abwechslung nicht mal verklickern, was Christie so mag?« Ich ließ von meinem Mittagessen ab und lehnte mich im Stuhl zurück, während ich ihn betrachtete. »Lass mich nachdenken«, sagte ich und hob eine Hand. »Sie mag Medizin, ihr Studium, Medizin und ihr Studium und Medizin und ihr Studium und … hab ich schon Medizin und ihr Studium erwähnt?« Ich zählte es an meinen Fingern ab. Simon verdrehte die Augen und sah aus, als würde er darüber nachdenken, nicht mehr mit mir zu reden. Er kannte Christie jetzt schon seit mindestens zwei Jahren, himmelte sie seit ihrer ersten Begegnung an, als wäre sie das einzige weibliche Wesen in der gesamten Galaxie, und hatte sie bis jetzt kein einziges Mal nach einem Date gefragt. Vermutlich hatte er sowieso keine Chance mehr bei ihr, denn sie war ihrem Studium treu und ergeben. Ich verdrehte ebenfalls die Augen. »Mann, Simon, du kennst sie jetzt schon seit ’ner halben Ewigkeit. Warum fragst du sie nicht einfach mal, ob sie mit dir ausgeht? Das Schlimmste, das sie sagen könnte, ist nein. Außerdem denke ich, dass du besser dran bist, wenn du ohne Plan an deine Eroberungsgeschichte rangehst. Christie mag Geradlinigkeit und sture Pläne nur im Studium und nicht in ihrem Privatleben. Wickel sie einfach mit deinem Pommes-Charme um den Finger!«, sagte ich dann leicht angenervt. Ich hasste es, irgendwelche Liebesratschläge zu geben. Warum fragte man mich überhaupt? Weil ich ja auch so ein Experte war. Ich schüttelte innerlich den Kopf. »Was heißt denn hier bitte Pommes-Charme?«, fragte Simon mich aufbrausend, aber ich konnte ihm ansehen, dass er eigentlich lieber gelacht hätte. Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn jemand sagte neben mir meinen Namen. Ich schaute auf. Neben mir am Tisch stand eine braunhaarige, rehäugige Studentin und lächelte mich strahlend an. Es dauerte einen Moment, bis ich sie erkannte, und einen weiteren, bis mir ihr Name wieder einfiel. Amita. Eine meiner Speed-Dating-Partnerinnen von gestern. Die Biochemikerin mit der Serotonin-Kette. »Uh … hi«, sagte ich ein wenig verwundert. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie wiedersehen würde. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo die Biochemiker ihre Hörsäle hatten, aber ich bezweifelte irgendwie, dass es hier in der Gegend war, und bei einundzwanzigtausend Studenten in der Stadt war die Wahrscheinlichkeit wohl eher gering, dass man jemanden traf, den man nur zufällig irgendwo gesehen hatte. Dachte ich zumindest. Andererseits … das war eine Mensa und hier aßen hauptsächlich Studenten. Vielleicht war es doch nicht so unwahrscheinlich … »Ist hier noch frei?«, fragte Amita und deutete auf den Platz rechts von mir. Sie war allein und offenbar … freute sie sich, dass sie mich in der Menge gefunden hatte. »Klar«, sagte ich dann und nahm meine Tasche von dem Stuhl, damit sie sich setzen konnte. Amita strahlte, ging hinter meinem Stuhl vorbei und stellte ihr Tablett dann auf dem Tisch ab. Simon warf mir fragende Blicke zu, während Amita ihre Jacke auszog und über die Stuhllehne warf. »Simon das ist Amita. Amita — Simon«, stellte ich die beiden dann vor. Amita streckte die Hand über den Tisch, nachdem sie sich gesetzt hatte, und schüttelte die von Simon. »Hast du es gestern noch gut überstanden?«, fragte Amita mich dann. Ich sah Simon an und erkannte, dass es bei ihm klickte. Seine Mundwinkel zuckten verdächtig. Er wandte den Blick von mir ab, begann dann sein Mittagessen zu vernichten. »Mehr schlecht als recht«, gestand ich Amita, nachdem ich meine Aufmerksamkeit wieder auf sie gelenkt hatte. Sie hatte die Kette mit dem Anhänger um, so wie gestern Abend. Ich musste lächeln. »Und du?« Ich hatte keine Ahnung, wie es für die Mädels gestern gewesen sein musste, und was da sonst noch für Kerle gewesen waren. Amita zerteilte eine Pellkartoffel mit der Gabel, bevor sie mich anschaute. »Es war eigentlich ganz nett«, meinte sie nachdenklich, während sie die Kartoffelhälfte über den Teller in die Sauce schob. »Aber die meisten würden am ehesten als gute Freunde infrage kommen.« Na immerhin. Bei mir waren nicht einmal Mädchen mit Kumpelpotenzial dabei gewesen. Ich hatte wieder keine Ahnung, was ich sagen sollte. So war das meistens immer, wenn ich jemanden frisch kennenlernte. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich eigentlich mit Simon hier war und wir das Thema »Wie kriegt Simon Christie?« immer noch nicht abgeschlossen hatten. Aber das wollte ich vor Amita auch nicht unbedingt weiterführen. »Studiert ihr zusammen Psychologie?«, fragte Amita dann und schaute zwischen Simon und mir hin und her. Wir nickten ergeben. Und dann fiel mir etwas ein, dass Amita mir gestern Abend erzählt hatte. »Ach, Simon«, sagte ich heiter. »Wusstest du, dass es eine Parallele zwischen Verliebten und Neurotikern gibt? Amita hat mir das gestern erklärt.« Simon verschluckte sich an seinem Essen. Ich grinste breit. »Ja, das ist ziemlich interessant. Vielleicht haben wir das mal in Psychobiologie«, sinnierte ich und feixte. »Jedenfalls, wir sind wegen Amitas Kette drauf gekommen.« Ich deutete auf den Anhänger um ihren Hals. »Das ist die Strukturformel für Serotonin. Serotonin kennt man wohl auch als Glückshormon, aber es ist ein Botenstoff. Kommt sowohl bei Verliebten als auch bei Neurotikern vor.« »Schnall’ ich nicht«, sagte Simon und tat so, als würde ihn das auch gar nicht interessieren. Aber ich konnte ihm ansehen, dass das genaue Gegenteil der Fall war. »Glückshormon und Neurose?«, meinte ich. »Klingt das für dich, als würde es zusammenpassen?« »Neurotiker sind glücklich, dass sie Neurosen haben …?«, sagte Simon. Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. »Und du nennst dich Psychologiestudent«, murmelte ich kopfschüttelnd. Ich sah Amita aus den Augenwinkeln lächeln. Sie schraubte ihre Apfelschorleflasche auf und nahm einen Schluck. »Der Serotoninspiegel ist bei beiden Gruppen, also Verliebten und Neurotikern, gering. Aber wie bei Neurotikern sind auch Verliebte auf das Objekt ihrer … Begierde fixiert«, erklärte sie amüsiert. Simon starrte uns abwechselnd an und sah dabei aus wie eine Kuh, wenn es donnerte. Als sein Blick wieder an mir hängen blieb, wirkte er für einen Augenblick so, als wollte er sich auf mich stürzen. »Sind wir nicht alle ein bisschen neurotisch?«, meinte Simon dann schnaubend. »Adrian?« Er betonte meinen Namen. Ich wusste, worauf er anspielte. Ich formte ein »Fuck off« mit den Lippen, aber Simon grinste nur selbstgefällig. Er schob sich die letzte Pommes in den Mund. Das Fleisch hatte er nicht angerührt. Simon aß selten Fleisch, und nie das aus der Mensa. Er packte seinen Kram zusammen und erhob sich. »Ich werde dann mal meinem Neurotiker-Handwerk nachgehen«, meinte Simon, warf sich seine Tasche über die Schulter und die Jacke über den Arm, dann nahm er sein Tablett. Er lächelte Amita an. »Bis dann.« »Denk an das Experiment morgen!«, rief ich ihm nach. Simon formte einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger. Amita schaute mich ein wenig verwundert an. »Hab ich euch eigentlich bei etwas gestört?«, fragte sie mich schließlich. Wahrscheinlich hatte sie es eigenartig gefunden, dass ich Simon diese Serotonin-Geschichte erzählt hatte. »Nein, schon okay«, erwiderte ich abwinkend. »Er ist verknallt. Das ist alles.« Ich war mir nicht ganz sicher, ob das nicht schon zu viel Information war, immerhin kannte ich Amita kaum. Aber es wäre wohl auch ein wenig unfair gewesen, sie völlig im Unklaren zu lassen. »Oh. Deswegen dieser Serotonin-Seitenhieb«, stellte sie fest und grinste leicht. Sie fragte nicht weiter nach. Die nächsten paar Minuten waren wieder ziemlich schweigsam. Dann legte Amita ihr Besteck weg und drehte sich zu mir. Ich schaute sie verwundert an. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie holte tief Luft. »Hast du Lust, mal was zu machen?«, fragte sie mich. Amita starrte auf ihre Hände, mit denen sie am Saum ihres Shirts herumspielte. »Was machen?«, fragte ich stumpfsinnig zurück, bis mir langsam einsickerte, was sie meinte. Ich hätte meinen Kopf am liebsten gegen die Tischplatte geprügelt. »Oh«, machte ich dann, bevor sie noch etwas sagen konnte. »Oh! Klar. Ich meine … ja. Sicher. Warum nicht?« Amita schaute von ihren Händen auf zu mir und strahlte. Ich vergaß für einen Moment, dass ich mich wie der Volltrottel vom Dienst fühlte, und lächelte zurück. Irgendwie hatte ich nicht mit so einer Art Frage gerechnet, aber es überraschte mich, wie einfach es mir gefallen war, zuzusagen. Es war schon eine Weile her, dass ich mit jemandem ausgegangen war. Meine Laune war im Vergleich zu heute Morgen intergalaktisch gut, als ich die Mensa wieder verließ. Amita und ich hatten uns für Samstagnachmittag verabredet. Etwas Genaues hatten wir nicht ausgemacht, sondern beschlossen, spontan zu sein. Ich grinste vor mich her. Es war mir ein Rätsel, warum mich das so aus den Socken hob. Aber irgendwie … na ja. Ich freute mich darüber. Ich zog mein piependes Handy aus meiner Hosentasche und öffnete die eben eingegangene SMS. Sie war von Raphael. Er fragte, ob ich Lust hätte, am Samstag Billard spielen zu gehen. Ich war in so einer Hochstimmung, dass ich mit meinem Date nicht hinter dem Berg halten konnte. Sorry, tippte ich zurück. Am Samstag hab ich ein Date. ____ tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)