Phönixasche von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Raclette & Sexappeal ------------------------------- Hallo, meine Lieben. Es geht endlich weiter. Ihr könnt euch bei der tollen bedanken, die mich gerade besucht und antreibt. Tut mir leid, dass es so lang gedauert hat, aber ich hatte sehr, sehr lange Zeit ein Tief und weder Zeit noch richtig Lust, daher hab ich mit dem Schreiben pausiert. Das Kapitel ist für Katja. Danke, mein Herz Viel Spaß beim Lesen. :) ______________________________________________________________________ RACLETTE & SEXAPPEAL Als Fernando im Internet fertig war, machten wir uns zusammen auf den Weg zu Christie. Es wurde draußen allmählich dunkel und es regnete immer noch. Die Tropfen prasselten beständig auf unsere Regenschirme, die wir aufgespannt hatten. Christie wohnte nicht weit entfernt, daher gingen Fernando und ich meistens zu Fuß zu ihr. Das heißt: Eigentlich war ich immer zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, wenn Fernando dabei war, sonst fuhr ich mit dem Fahrrad. Aber da er nie Fahrrad fahren gelernt hatte und sich strikt weigerte, es jetzt zu probieren, war ich sozial und passte mich Fernando dementsprechend an. »Wie war es denn eigentlich beim Streichen?«, fragte Fernando mich, während er mit der freien Hand gedankenverloren an einer seiner Locken herumzupfte. Ich runzelte die Stirn, als ich darüber nachdachte, wie man diesen Tag bisher am besten zusammenfassen konnte. »Interessant«, entschied ich schließlich, auch wenn es wohl nicht das idealste Adjektiv war. Fernando schaute mich neugierig an. Wir überquerten eine große Verkehrsstraße. Ich umrundete eine große Pfütze. »Wie darf ich das verstehen?«, hakte Fernando nach. Ich hatte fast vergessen, dass Fernando Raphael bis jetzt noch gar nicht begegnet war. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Dann kam mir wieder in den Sinn, dass ich selbst Raphael gerade mal eine Woche kannte. »Ach, weißt du, Raphael redet nicht sehr viel«, erklärte ich ihm. »Heute war er aber sehr … bereitwillig was das Beantworten von Fragen anging.« »Du wirst doch wohl nicht aufdringlich werden«, sagte Fernando mit einem nahezu dreckigen Grinsen, das jedem anderen gekonnt die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Glücklicherweise hatte ich diese Phase bereits hinter mir. Als ich Fernando kennengelernt hatte, war ich selbst jedes Mal peinlich berührt gewesen, wenn er wieder irgendwelche doppeldeutige Andeutungen gemacht hatte. »Blödsinn«, erwiderte ich schnaubend. Ich hatte auf einmal das wahnsinnig dringende Bedürfnis, mich zu rechtfertigen und Fernando lang und breit zu erklären, was es damit auf sich hatte, dass ich froh darüber war, dass Raphael mit mir geredet hatte. Aber ich verkniff es mir, sonst würde es für den Rest des Abends ununterbrochen zweideutige Kommentare hageln. »Was hast du denn so interessantes über ihn erfahren?«, fragte Fernando weiter. Ich warf ihm einen Blick zu, den er mit einem schelmischen Grinsen quittierte. Warum konnte man eigentlich selten ein Gespräch mit ihm führen, ohne dass er dabei in die FSK-18-Region rutschte? Die einzige, die auf dieser Ebene problemlos mit Fernando reden konnte, war Christie — und selbst, wenn sie sich mit perversem Unterton unterhielten, konnten sie ernste Unterhaltungen führen — und ich war bis jetzt noch nicht dahinter gestiegen, wie sie das machte. »Du kannst dir heute Abend selbst ein Bild machen«, meinte ich ausweichend. Ich wollte meine hart erarbeiteten Infos nicht sofort mit ihm teilen. Zumindest nicht, wenn Fernando mal wieder auf einer nicht jugendfreien Schiene fuhr. »Er wird auch da sein. Aber ich hoffe, dass du nicht aufdringlich wirst.« Fernando lachte sein dreckigstes Lachen und ich bereute es fast, das gesagt zu haben. Raphael wusste wahrscheinlich nicht, dass Fernando schwul war. Ich hatte schon oft Reaktionen auf Fernando erlebt, als Leute erfahren haben, dass er homosexuell ist. Mittlerweile verstand ich den ganzen Aufruhr nicht, weil ich wusste, dass Fernando nicht über irgendjemanden herfiel oder versuchte, irgendwelche Kerle umzudrehen. Trotzdem, es war eben auch nichts ungewöhnlich, wenn Fremde dann Scheuklappen aufstellten oder gleich die Flucht ergriffen. Irgendwie hoffte ich, dass Raphael das nicht so eng sah. »Ach, übrigens. Vergiss deinen Speed-Dating Termin morgen Abend nicht«, erinnerte Fernando mich. Ich stöhnte genervt auf und verdrehte die Augen. Warum hatte er mir diesen Graus wieder ins Gedächtnis gerufen? Ich hatte es schon erfolgreich verdrängt. Christie und Fernando hatten mich tatsächlich bei einem Speed-Dating angemeldet, weil sie der Meinung waren, es wäre witzig und für mich mal wieder an der Zeit, irgendjemanden aufzureißen. Allerdings konnte ich mir nichts Schlimmeres vorstellen. Ich hatte auch nie das Prinzip von Internetdating-Seiten verstanden. Was hatte ich denn davon, wenn so ein behämmerter Computer meine persönlichen Eigenschaften wissenschaftlich mit denen eines anderen Menschen verglich? Ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass Liebe so viel mit Wissenschaft zu tun hatte. Und ich wollte mir auch keine ›Partnervorschläge‹ geben lassen. Das war ja beinahe so, als würde man eine Miss-Wahl abhalten … »Warum gehst du nicht einfach für mich hin?«, fragte ich missmutig. Fernando tskte mich an und schüttelte dabei den Kopf mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er mich für dumm schelten. »Da sind Frauen«, sagte er und rollte mit den Augen. »Da werden auch Männer sein, wenn du es nicht wirklich fertig gebracht hast, mich bei einem Speed-Dating für Lesben anzumelden«, erwiderte ich trocken. Fernando lachte auf und klopfte mir auf die Schulter. Ich grummelte lautlos vor mich hin. »Aber die werden alle nach einem Weibchen Ausschau halten und nicht nach einem Alphawolf«, wiegelte er meinen Einwand ab. Grinsend schaute er mich an, während ich die Schultern hochzog und meine Hände in meine Jacke stopfte. »Alphawolf?«, echote ich sarkastisch und starrte Fernando ein wenig ungläubig an. In der Tat wirkte die Klarheit seines Verstandes hin und wieder sehr fragwürdig auf mich. Fernando schenkte mir ein versautes Lächeln, was mal wieder keine Zweifel darüber offen ließ, was gerade in seinem Kopf vor sich ging. Manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob sein Hirn jemals frei von irgendwelchen sexuellen Kurzfilmen war oder ob er gleichzeitig an biologische Prozesse und Pornos denken konnte. Das erschien mir sogar nicht mal abwegig. Fernando legte mir brüderlich den Arm um die Schultern, während wir nebeneinander herliefen. »Sieh mal, Adrian«, fing er an und schlug dabei wieder diesen Beraterton an, dass ich am liebsten schreiend davon gelaufen wäre. »So langsam wird es wieder Zeit, dass du zurück auf den Pferderücken steigst.« »Ah ja. Und was ist mit Christie? Sie hatte nicht mal einen Freund, als wir sie kennengelernt haben und hat bis jetzt auch keinen gehabt. Warum schickst du sie nicht zum Speed-Dating?«, fragte ich grummelig. »Weil die gute Christina mit ihrem Studium verheiratet ist«, antwortete Fernando sachlich. Ich schnaubte. Das sollte doch wohl ein Witz sein. Das war noch lange kein Grund, Christie von dieser ganzen Kupplungsgeschichte fernzuhalten. Außerdem mochte ich mein Studium auch sehr und das schien Fernando nicht im Geringsten daran zu stören, mich zu irgendeinem Schwachsinn zu schicken, damit ich mal wieder unter Frauen kam. »Und?«, meinte ich. »Und sie würde jeden Kerl wahrscheinlich eher skalpieren, als dass sie auch nur im Entferntesten an Sex denken würde«, sagte Fernando pragmatisch. Damit hatte er nicht mal ganz Unrecht. Trotzdem sah ich nicht ein, warum er nicht versuchen wollte, Christies Interesse an ihrem eigenen Sexleben zu wecken. »Ich gehe nur zu diesem Speed-Dating morgen, wenn du danach auch Christie mal zu einem Date bewegst«, sagte ich dann fest entschlossen und sah ihn an. Fernandos Stirn sah aus, als wäre man mit einem Mähdrescher durchgepflügt. »Einverstanden«, lenkte er dann aber ein und zog eine grüblerische Schnute. »Du hast vermutlich Recht. Christie kann sich nicht ewig davor drücken. Sie muss auch mal wieder unter Männer.« »Und was ist mit deinem Sexleben?«, fragte ich. Im nächsten Moment bereute ich die Frage schon, denn Fernando sah mich mit wippenden Augenbrauen an. »Ist das ein Angebot?«, wollte er wissen und fuhr sich mit der Zuge anzüglich über die Oberlippe. Ich wollte vor Scham im Boden versinken. Hin und wieder war ich gegen diese ›Attacken‹ doch nicht gewappnet. Trotzdem grinste ich leicht verschämt und legte ihm meine Hand über den Mund. Seine Zungenspitze berührte meine Handfläche. Inzwischen wunderte es mich nicht mehr, dass ich nichts gegen Fernandos Anschwulen hatte. Anfangs hatte ich damit nicht umgehen können, aber jetzt waren wir so gut befreundet, dass es mir nichts mehr ausmachte. Ich wusste, dass er sich nichts von mir erhoffte und abgesehen davon auch nie wirklich etwas tun würde, was ich nicht wollte. Abgesehen davon hatte ich mich früher mit meinen alten Freunden aus Schulzeiten gelegentlich auch angeschwult. Das hier war nichts anderes, nur dass Fernando tatsächlich schwul war. Als wir bei Christie ankamen, war Raphael schon da. Er saß im Wohnzimmer auf dem Boden und amüsierte sich wie ein kleines Kind, als er mit Christies unchihuahuahaften Chihuahua Ischias spielte. »Ihr seid zu spät«, sagte Christie, als sie Sekt aus der Küche holte. Fernando und ich verdrehten gleichzeitig die Augen. »Dreißig Sekunden«, ließ Fernando verlauten, bevor er sich an Raphael wandte und sich ihm vorstellte. Ischias kläffte kurz und wuselte um unsere Beine herum, bevor er wieder zu Raphael lief, um sich streicheln zu lassen. Ich musste immer aufpassen, dass ich Ischias nicht übersah. Er war so klein und schmal, ich hatte immer Angst, dass ich mal auf ihn versehentlich auf ihn drauftreten könnte. Raphael richtete sich auf, nachdem er einmal der Länge nach über Ischias’ Rücken gestreichelt hatte, und reichte mir seine Hand zum Gruß. Fernando und Christie tauschten ein paar irrelevanten Streitphasen über die dreißigsekündige Verspätung. Ischias war mittlerweile auf die Couch gesprungen und hatte es sich dort bequem gemacht. Während Christie und Fernando weiterhin wie ein Ehepaar im Wohnzimmer vor sich hin zeterten, ging ich zusammen mit Raphael in die Küche, um den Rest der Schälchen mit den leckeren Sachen für das Raclette zu holen. »Sind die beiden zusammen?«, fragte Raphael mich belustigt und deutete über seine Schulter. Ich grinste. Er war nicht der erste, der das fragte. Es amüsierte mich jedes Mal. »Nein«, erwiderte ich feixend. »Werden sie auch nie sein.« »Du sagst das so, als wäre es absolut endgültig«, stellte Raphael fest. Er nahm die Platte mit dem Schwarzwälder Schinken und schnupperte daran. Geübt legte er sich die Platte auf den Unterarm und nahm zwei weitere Teller. Vielleicht hatte er mal in einem Restaurant oder so gekellnert; es sah so gekonnt aus bei ihm. »Fernando ist schwul«, eröffnete ich ihm und wunderte mich fast ein wenig, dass Raphael es so früh erfuhr. Ich beobachtete ihn aufmerksam, als ich es ihm erzählte, aber er zuckte nicht mal mit der Wimper. »Tatsächlich«, meinte er nur und wirkte auf einmal kurz ein wenig nachdenklich. »Und du kommst gut mit ihm klar.« Ich war mir nicht sicher, ob der letzte Teil eine Frage oder eine Feststellung war. Raphael lächelte wieder sein kryptisches Lächeln, bevor er sich umwandte und die Teller ins Wohnzimmer trug. Ich fühlte mich erleichtert, weil Raphael ganz offensichtlich gar keine Probleme mit Homosexualität zu haben schien. Zumindest ging ich davon aus. Seine Mimik war vor Schreck und Schock nicht gefroren, er hatte nicht in einer dramatischen Geste das Geschirr fallen lassen oder etwas in der Art. »Kann man dich eigentlich mit gar nichts zufrieden stellen?«, hörte ich Fernando Christie fragen, während sie ihm mit hochgezogener Augenbraue den Rücken zuwandte. »Leute«, sagte ich kopfschüttelnd, als ich die Racletteplatte einschaltete. »Langsam ist’s genug mit dem Theater.« Christie hatte den Esstisch im Wohnzimmer, da ihre Küche zu klein war, als dass er dort hineinpasste. Ischias lag auf der Couch mit gekreuzten Vorderpfoten und betrachtete unser Treiben. Raphael setzte sich auf den Stuhl neben mir, Christie und Fernando nahmen uns gegenüber Platz. Während Christie anfing, Fleisch auf die Platte zu legen, griff ich nach der Sektflasche und begann, auszuschenken. Ich fragte nicht nach Raphaels Glas, doch Christie fiel auf, dass ich ihm nichts anbot. »Willste Raphael nich’ uch was eingießen?«, fragte sie ein wenig brüsk, als regte sie sich darüber auf, dass ich ihren Gast nicht entsprechend behandelte. Ich zuckte die Schultern, stellte die Sektflasche weg und setzte mich hin. »Raphael möchte nicht«, sagte ich überzeugt. Ich warf ihm einen Blick zu und konnte sehen, dass er ehrlich perplex aussah. Christie allerdings auch. »Du hast ihn doch gar nich’ erst gefragt«, widersprach sie mir. »Schon gut«, meldete Raphael sich dann zu Wort und schenkte Christie ein Lächeln. »Adrian hat Recht. Ich möchte nichts.« Dann feixte er kurz in meine Richtung, bevor er den Schinken auf der Racletteplatte wendete. Im Hintergrund lief der Fernseher mit Viva und wir wurden mit Musik versorgt, während wir aßen, tranken und uns unterhielten. Raphael erwähnte Fernando gegenüber nicht, dass er von seiner Homosexualität wusste — und selbst wenn, Fernando hätte es nicht gestört; er hielt sich damit nicht hinterm Berg —, aber für mich war das auch ein Zeichen dafür, dass es Raphael ziemlich egal sein musste, ob Fernando nun homo war oder nicht. »Und, Adrian, fieberst du dem morgigen Abend schon mit feuriger Vorfreude entgegen?«, fragte Christie mich irgendwann mit einem Ton in der Stimme, der mich sehr, sehr stark an eine Art Schadenfreude erinnerte. Ich kniff die Augen zusammen und starrte sie giftig an. »Du bist auch noch dran«, erwiderte ich schnaubend und pulte den Inhalt aus meinem Racletteschälchen auf meinen Teller. »Fernando und ich finden jemanden für dich, an dem du geschlechtliche Fortpflanzung praktisch üben wollen wirst, weil du so verrückt nach ihm sein wirst.« Fernando lachte laut auf, Raphael grinste still in sich hinein und Ischias saß unter dem Tisch vor meinen Beinen und schaute flehentlich zu mir hinauf, weil er etwas vom Fleisch abgreifen wollte. Ich rupfte ein kleines Stück von meinem Schinken ab und warf es ihm zu. Christie schaute mich an, als dachte sie, ich hätte völlig den Verstand verloren. »Das will ich sehen«, sagte sie und schob das Kinn vor. »Außerdem kann ich jeden haben, den ich will. Du ahnst gar nich’, wie viele Typen auf mich fliegen. Ich müsste nur mit den Fingern schnippen und — BÄM! — ich hätte gleich ’nen ganzen Harem.« »Ja, genau, weil du den Sexappeal einer Scheibe Brot hast«, korrigierte Fernando trocken, bevor er den Kopf in den Nacken legte und sich den Schinken von oben in den Mund schob. Christie starrte ihn an, mit einer Mischung aus Sprachlosigkeit und Ich-will-kontern-aber-mir-fällt-kein-guter-Spruch-ein-Mimik im Gesicht. Fernando grinste sie verwegen an. »Es gibt Leute, die stehen auf Brot«, brachte Christie irgendwann ziemlich kläglich zustande. Ich verschluckte mich fast an meinem mit Käse überzogenem Gemüse und auch Raphael hustete kurz. »Wie lautet denn da der klinische Fachbegriff für?«, fragte Fernando gespielt grüblerisch. »Brotphilie? Ich glaube, da wäre die Liebe sehr, sehr einseitig und vor allem … krümelig.« Raphael ruckte nach vorn und hielt sich die Hand vor den Mund. Ich klopfte ihm auf den Rücken, musste mich aber ebenfalls zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen. Christie wirkte, als stünde sie kurz davor, Fernando die Racletteplatte über die Birne ziehen. »Kein Bier für dich heute Abend. Und erst recht kein Tiramisu«, sagte sie dann nur und schien wieder ganz cool. Fernandos Mimik entgleiste ihm für wenige Augenblicke komplett. Er mochte Bier und er liebte Christies Kaffeetiramisu. Wahrscheinlich spielte er im Kopf gerade seine ganz eigene Version der Apokalypse durch. »Aber …« »Das Brot hat gesprochen«, fügte Christie hinzu und stach sich ein Stück Hähnchen auf die Gabel. Fernando lamentierte ein wenig weiter, bis wir satt waren und er Christie dabei half, die Schüsseln und Teller zurück in die Küche zu bringen. Er nutzte die Zeit nebenbei, um ihr einzureden, dass sie den Sexappeal von Angelina Jolie oder wahlweise auch Olivia Wilde hatte, um etwas Bier und Tiramisu zu bekommen (nicht in der Kombi, aber überhaupt). »Ich glaube, mit euch wird es echt nie langweilig«, meinte Raphael zu mir, ehe er einen Schluck von seinem Wasser nahm. Ich musste grinsen. Zum Glück nahm er diese Spielereien nicht so ernst. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass Leute, die Fernando und Christie nicht zusammen kannten, davon ausgegangen waren, dass sie sich tatsächlich beleidigten. »Nie«, versicherte ich ihm und zog die Augenbrauen hoch. »Mittlerweile müssen die beiden schon ein krasses Ding reißen, um mich rot werden zu lassen, aber manchmal … da erscheint mir der Gedanke, mir neue Freunde zu suchen sehr verlockend.« Raphael lachte leise und schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht. »Sag mal, was ist denn morgen Abend?« Ich kam nicht umhin, die Augen zu verdrehen. Zuerst überlegte ich, ob ich es ihm wirklich erzählen sollte. Es war mir fast peinlich. Aber eigentlich war es auch egal, immerhin hatte nicht ich das eingefädelt. »Fernando schleppt mich zum Speed-Dating«, gestand ich ihm. Raphael sah aus, als dächte er, ich würde ihn verarschen. Doch dann sickerte ihm wohl ein, dass das kein Scherz war und er glotzte mich an, als wäre ich ein Alien. »Speed-Dating«, murmelte er. »Wie nett.« »Ich bin ganz überwältigt von soviel freundschaftlicher Sorge um mein Liebesleben«, sagte ich sarkastisch. Raphael grinste wieder. Er schien das im Kopf durchzugehen und offenbar amüsierte ihn die Vorstellung, denn sein Grinsen wurde breiter. Na herrlich, wahrscheinlich würde mich das jetzt ewig verfolgen. Adrian, der liebeskranke Volltrottel, der es so nötig hatte, dass er sogar zum Speed-Dating ging. »Du scheinst ja nicht sehr überzeugt zu sein«, meinte Raphael schließlich und beugte sich hinunter, um Ischias wieder zu streicheln. »Ich bitte dich. Wirke ich auf dich wie jemand, der freiwillig aus innerer Überzeugung zum Speed-Dating gehen würde? Und wenn du ja sagst, dann breche ich jeden Kontakt zu dir ab!«, meinte ich und leerte danach mein Sektglas in einem Zug. Raphael sah einen Augenblick lang nachdenklich aus. »Das wäre schade, wenn du das machen würdest«, sagte er dann lächelnd. »Aber ich sage aus innerer Überzeugung, dass du nicht wie jemand auf mich wirkst, der freiwillig zum Speed-Dating gehen würde. Du wirkst auf mich eher wie jemand, der das seinen Freunden zuliebe macht. Auch wenn sie, und da bin ich mir sicher, selbst nicht wirklich davon ausgehen, dass du dort auf jemanden triffst. Aber ich denke, dass dich ihr Antrieb … freut.« Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Dann musste ich selbst lächeln. Ich schaute ihm schweigend dabei zu, wie er Ischias streichelte, der diese Aufmerksamkeit sehr zu genießen schien. »Ischias ist ein ungewöhnlicher Name, findest du nicht?«, fragte Raphael mich dann und schaute mich kurz an. Ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt und fand den Namen sogar ganz angenehm. »Das kommt vom Ischiasnerv«, erklärte ich ihm. »Nach dem ist Ischias benannt.« »Ischiasnerv?« Ich musste grinsen. »Der Ischiasnerv ist der längste periphere Nerv im menschlichen Körper. Er ist auch der dickste und größte und stammt aus dem Nervengeflecht, das Arsch und Bein versorgt. Aber das wirst du im Studium alles sicher noch genauer lernen.« Raphael grinste. »Du bist wohl bewandert in der Anatomie?« »Nö«, antwortete ich schulterzuckend. »Christie hat mir das damals, als sie Ischias bekommen und benannt hat, erklärt. Ich finde Medizin beziehungsweise Anatomie selbst recht spannend, deswegen konnte ich mir das merken. Aber sehr viel mehr weiß ich jetzt auch nicht darüber.« Wir schwiegen und ich wunderte mich kurz, ob Christie und Fernando in der Küche versuchten, sich gegenseitig zu ermorden, weil sie so lange brauchten. »Wann ist denn dein Speed-Dating morgen Abend?«, fragte Raphael. Er stand selbst auf und nahm ein paar übrig gebliebene Schalen vom Tisch. »Um acht«, erwiderte ich. »Im Kassa.« »Im Kassablanca? Gleis eins? Am Westbahnhof?«, meinte Raphael und wirkte ein wenig verwundert. »Ich wusste gar nicht, dass die da so was anbieten.« Ich schüttelte den Kopf und stand dann ebenfalls auf, um ein paar Sachen zu nehmen. »Lass mal, ich auch nicht. Warst du schon mal dort?« »Nein, aber ich hab von vielen gehört, dass es wohl der Club hier sein soll. Aber die Medizinleute feiern wohl eher in der Rose als im Kassa«, erzählte Raphael, als wir zusammen zur Küche gingen. Fernando und Christie spülten das Geschirr ab, deswegen dauerte es so lange. Raphael und ich stellten die Schüsseln ab und wickelten sie ein, bevor sie in den Kühlschrank schoben. »Du kannst mich morgen gern begleiten«, sagte ich zu Raphael, als wir wieder zurück ins Wohnzimmer gingen, nachdem sowohl Fernando als auch Christie Hilfe beim Spülen und Abtrocknen abgelehnt hatten. »Fernando wird mich dort nur abladen, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich hingehe. Es wird sich niemand aus seinem Beuteschema morgen da tummeln. Sonst wäre er vielleicht auch mitgekommen.« Raphael grinste amüsiert, während ich ihm das erzählte. Wir setzten uns auf die Couch und Ischias sprang zwischen uns. Während Raphael wieder wie automatisch anfing, den Hund zu streicheln, ließ er sich ein wenig tiefer gleiten. »Also, wenn du dich dann besser fühlst, dann komme ich morgen mit und passe auf, dass niemand dich unerwünscht angrapscht«, sagte er dann feixend, als seine Finger durch Ischias’ weiches Fell glitten. Ich starrte ihn an und erwartete fast, dass er anfing zu lachen und ›Verarscht!‹ rief, aber stattdessen schaute Raphael mich aufmerksam an. Ich hätte ihm die Füße für dieses Angebot knutschen können. »Wenn es dir nichts ausmacht. Ich würde mich freuen«, sagte ich langsam, als mir wieder eingefallen war, wie man spricht. Raphael lächelte versonnen und nickte. »Okay«, sagte er und nickte immer noch leicht. »Auf dem Holzmarkt morgen um halb acht?« »Klar. Du rettest mir gerade den morgigen Abend, weißt du das? Du hast echt was gut bei mir«, sagte ich und lehnte den Kopf nach hinten. Der Gedanke, nicht völlig allein dort bei diesem Speed-Dating-Scheiß zu sein, beruhigte mich irgendwie ungemein. »Du hast mir doch auch beim Streichen geholfen«, wandte Raphael ein. »Also morgen um halb acht. Auf dem Holzmarkt. Ich bin gespannt.« ____ tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)