Die Hexe von Ricchan (~ Eine Kurzgeschichte ~) ================================================================================ Kapitel 2: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen ------------------------------------------------ Die Hexe – „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“ Der Eber rannte schneller auf den Jäger zu, als dieser seine Armbrust spannen konnte. Er musste sich beeilen, sonst wäre es sein Tod. Der Pfeil rutschte aus seiner Hand und landete zu seinen Füßen im Gras. Angsterfüllt konnte der Jäger gerade noch einmal das wilde Tier vor sich sehen, bevor er das Bewusstsein verlor. War er nun tot?, fragte er sich und schlug die Augen wieder auf. Er lag in einem weichen Bett, in einem warmen Raum und hatte ein Holzdach über sich. „Du bist wach?“, fragte ein heller Singsang neben ihn und der Jäger drehte den Kopf, nicht ohne dabei Schmerzen zu leiden. „Wo bin ich? Wer bist du?“ Die Frau mit den langen, schwarzen Haaren lächelte und half dem Jäger sich aufzusetzen. „Mein Name ist Galina und du bist in meiner Hütte.“ Der Jäger erschrak: „Galina? Die Hexe?“ Sofort keuchte er auf und hielt sich die Seite, wo ihm plötzlich einen Stich durch den Körper jagte. „Beweg dich nicht so viel, du bist noch immer schwer verwundet.“ Die Hexe reichte dem Mann eine Tasse wohlriechendem Tee und half ihm, ihn zu trinken. Er schmeckte nach Rosen und Sommer. „Warum hast du dich diesem Eber gestellt, obwohl du nur noch einen Pfeil hattest?“, fragte die Hexe besorgt und half dem Jäger sich wieder hinzulegen. „Als ich mich ihm gestellt hatte, hatte ich noch mehr als einen, aber das Tier war zäh. Es ist einfach weiter gestürmt, obwohl es verletzt war.“ „So, wie du.“, sprach sie nur. Niemals hätte der Jäger geglaubt, dass ihm eine Hexe das Leben retten würde und vor allem nicht eine, über die man so viel Schlechtes hörte. Das Mädchen, welches sie einst entführt haben sollte, soll stumm geworden sein, so erzählte man sich in seinem Dorf. Doch das alles zählte nun nicht, denn sie hatte ihn gerettet. Sie gab sich beim Wechseln seiner Verbände so viel Mühe, ihm keine überflüssigen Schmerzen zu bereiten, dass der Mann voller Dankbarkeit zu ihr aufblickte. „Ich heiße übrigens Andreas.“, stellte er sich vor und die Hexe lächelte, „Und ich danke dir, dass du mich gerettet hast.“ Die junge Frau brachte die blutigen Tücher zum Kamin und warf sie ins Feuer, während sie sprach: „Du solltest bald wieder aufstehen können, Andreas. Dein Wunde ist schon recht gut verheilt.“ Das Herz des Jägers lachte vor Freude und plötzlicher Liebe für die junge Frau, die sein Krankenbett hütete/ pflegte. „Ihr müsst nun wieder in euer Dorf zurückkehren.“, flüsterte die Hexe in den Armen des Mannes, den sie lieben gelernt hatte, als seine Wunden ganz verheilt waren und es für ihn nun keinen Grund mehr gab, noch weiter bei ihr zu bleiben. „Ich möchte dich nicht verlassen müssen, Galina.“, murmelte er in ihr Haar hinein, da er sein Gesicht darin versteckt hatte. Sie nah an sich haltend, musste die Hexe kämpfen, um ihn von sich zu lösen. „Du solltest gehen, bevor sie kommen, und dich mir wegnehmen.“ Eine Trauer lag in ihrer Stimme, die er nie zuvor gehört hatte. Woher kam sie nur? Langsam ließ er sie los und trat einen Schritt von ihr zurück: „Na gut. Aber ich werde wieder kommen, das verspreche ich dir, Galina.“ Und mit einem Kuss verschwand er und ließ ein leeres Herz in ihrer Brust zurück, das sich jetzt schon nach ihm sehnte. Klopfen. Ein plötzliches Klopfen riss die junge Hexe aus ihren Gedanken und sie stürmte voller Vorfreude zur Tür und riss sie auf. „Andreas!“, rief sie lachend und erstarrte im nächsten Augenblick. Die wütend funkelnden Augen ihrer Schwester starrten sie durch das Fackellicht des Mobs an. „Guten Abend, Galina.“ Die Hexe zuckte zurück, wollte die Tür schließen, doch zwei Männer packten schnell ihre Arme und hielten sie ab, bevor sie reagieren konnte. „Lasst mich los!“, fauchte sie, „Katharina! Warum tust du das?“ Die in einer Nonnentracht gehüllte Frau lächelte nur. Mit einem Kopfnicken wurde die Hexe aus ihrem Haus gezerrt und in Fesseln gelegt, aus dem Wald heraus gebracht, der ihr so viele Jahre ein Zuhause gewesen war. Der Dorfplatz war hell erleuchtet, auf dem sie an einen Pfahl gebunden wurde. Sie wagte es gar nicht erst in die Augen der Bürger zu schauen, die so hasserfüllt anblickten. „Galina, die Hexe.“, las ihre Schwester plötzlich ein Schreiben in ihren Händen herunter, „Ihr werdet hiermit der Hexerei und Gottesverleugnung verurteilt, die nur mit der höchsten Strafe zu verurteilen ist: Tod auf dem Scheiterhaufen.“ Die Hexe zitterte nicht, noch gab sie einen Ton von sich, als sie das Urteil über sich ergehen ließ. Sie blickte nur starr in das Gesicht ihrer Schwester und fragte: „Wieso?“ Die Nonne blickte sie voller Hass an. „Du hast meinen Verlobten verhext, und getötet! Du hast ein kleines Mädchen entführt und zum Krüppel gemacht! Reicht dir das nicht als Grund?!“, schrie sie und ballte dabei ihre Fäuste. „Was? Aber, ich habe doch nie-! Andreas ist doch-!“ „Er ist tot.“, es war nun mehr als ein Flüstern, das aus dem Mund der Nonne kam, „Er ist letzte Nacht an seinen inneren Blutungen gestorben.“ Der Hexe rannen die Tränen über das Gesicht, ohne dass sie sie stoppen konnte: „NEIN!“ Zwei Männer kamen zu ihr, zündeten die Scheiter rund um den Pfahl mit ihren Fackeln an und bald schon züngelten die Flammen lodernd hoch, steckten das Kleid und das Haar der weinenden Hexe an und ließen ihre letzten Gedanken rauchend hoch in die Luft steigen. Sie wollte den Menschen doch immer nur Gutes tun. Sie wollte doch immer nur helfen. Doch es war alles falsch gewesen. Das Feuer brannte noch immer nach, als der Jäger plötzlich neben der Nonne auftauchte und wie gebannt in das letzte Züngeln starrte. „Warum habt ihr einen Scheiterhaufen erzündet?“, fragte er. Er konnte sich nicht erklären, wo das klaffende Loch in seinem Herzen herkam oder warum er nicht anders konnte, als in die Flammen zu schauen und zu wissen, dass er etwas verloren hatte. „Wir haben die Hexe, Galina, verbrannt.“, sprach die Nonne tonlos und verschränkte die Arme vor der Brust. Des Jägers Seele zerbrach. „Sie hat dich verhext und versucht dich zu töten. Sie hat ein Mädchen entführt und verstümmelt. Es musste geschehen.“ Seine Kehle war trocken, die Tränen standen ihm in den Augen, als seine ganze Trauer aus ihm heraus platzte: „Sie hat mich gerettet! Sie hat meine Wunden versorgt, an denen ich sonst gestorben wäre! Sie hat dem Mädchen wichtige Rezepte für Heiltränke beigebracht!“ Die Dorfbewohner horchten auf und blickten ihn nun verwirrt an. „Die Hexe hat unsere Ernten vernichtet!“, rief ein alter Bauer ihm zu. Der Jäger schüttelte den Kopf. „Das schlechte Wetter hat eure Ernten vernichtet. Galina aber gab dir Körner, aus denen du Pflanzen ziehen konntest, die die Tiere am liebsten fraßen und durch die wir im Winter mehr Fleisch auf dem Tisch hatten, als jemals zuvor.“ Der Mann schwieg. „Die Hexe hat meine Kinder vergiftet!“ Der Jäger schüttelte den Kopf. „Die Vogelbären, von denen deine Kinder genascht haben, haben sie vergiftet. Galina aber gab dir einen Trank, von dem sie wieder gesund wurden und noch heute spielend über die Wiesen rennen.“ Die Frau schwieg und der Jäger weinte. „Ihr habt dem Engel die Flügel ausgerissen, in der Angst, er könnte zum Teufel werden.“, klagte er und ging. Das Dorf aber blieb zurück, die Schuld tragend, die sie selbst gesät hatten. [Ende] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)