Lass deine Hand nicht zögern von Karopapier ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Er begann zu schreiben, vielmehr, er wollte es, doch bevor der Stift das Papier berührt hatte brach er ab, sah über seinen Schreibtisch und blickte in die Augen seines Freundes. "Ich sollte aufräumen, damit meine Gedanken fließen können, richtig?", fragte er unsicher. "In so einem Chaos lässt sich sicher keine gute Geschichte schreiben." Doch er lächelte nur und schüttelte den Kopf. "Du sollst nicht aufräumen, wenn du keine Lust darauf hast, lass es bleiben. Das Chaos hindert dich nicht, wenn du nur genug Platz zum Schreiben hast. Du sollst keine gute Geschichte schreiben. Selbst eine Geschichte sollst du nicht schreiben. Du sollst Worte auf das Papier bringen. Sie dürfen falsch sein. Sie dürfen der größte Schund sein, den du je geschrieben hast. Aber lass deine Hand nicht zögern, führe sie weiter. Korrigiere nichts. Lies nichts nach. Lass einfach deine gesammelten Worte auf das Papier fließen, als wäre egal was du schreibst, denn genau das ist es, was wichtig ist." Er setzte den Stift wieder auf das Papier, seufzte, zögerte und zog dann die Mine über die glatte Oberfläche. Ein Wort stand da, "als", und er fühlte, wie der Mut ihn wieder verließ. Doch der Freund lächelte ihm nur zu. "Als was?", fragte er. Er wusste nicht weiter. "Lass dich nicht täuschen", murmelte der Freund. "In diesem Wort steckt eine ungeheure Energie. Königreiche sind vergangen, Tiere sind ausgestorben, und all das leitet dieses kleine Wort ein. Schreib weiter." Er gehorchte, wenn auch zögerlich, zog den Stift weiter über das Papier. Nach und nach formten sich Bilder, Gespräche, Menschen, ganze Gebirge formten sich unter seiner Hand. Als er eine Sekunde Pause machte, um sich an der Nase zu kratzen, fiel sein Blick auf seine Umgebung und er bezog sie in sein rätselhaftes Textstück ein. Eigentlich sind Laien, Autodidakten und professionelle Autoren alle gleich. Sie unterscheiden sich selten in dem, warum sie schreiben, etwas häufiger in der Frage, wie sie schreiben, und die Themen sind meist auch nicht sehr verschieden. Er schrieb, bis seine Hand krampfte, seine Sinne stumpf waren gegenüber seiner Außenwelt, bis die Blätter voll waren und sein Freund kam, um ihm neue zu besorgen. Er schrieb ohne Unterlass, schlief nicht, aß kaum, folgte nur dem Weg seiner Schrift, der ihn in ferne Welten entführte und ihn noch weiter lenkte, und dann noch weiter. Er schrieb durch Tage und Nächte, bis seine Fingernägel vor Spannung abgekaut und seine Haare wirr waren vom vielen Gerauftwerden. Schließlich, als er zurück auf der Erde war und auf der chinesischen Mauer stand, holte er Luft, sah sich um und merkte, dass sein Stift leer war und er mit seinem Blut geschrieben hatte, das Papier nicht gereicht und er stattdessen seine Seele verwendet hatte, dass die Gebirge zusammengesunken und nicht wieder auferstanden waren. Er bemerkte auch, dass er ohne es zu merken oder von seiner Arbeit aufzublicken seinen Schreibtisch aufgeräumt hatte, der nun weit entfernt in Europa stand, und seine Flügel wehtaten von der Reise. Und als er das alles merkte, da lächelte er. ...und machte einen Punkt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)