Deepening Friendships von Ninjagirl (Auf einem Ausflug der jungen Pros bilden und vertiefen sich Freundschaften [HikaAki]) ================================================================================ Kapitel 9: Der fünfte Mai ------------------------- Als Hikaru das nächste Mal die Augen öffnete, standen sie vor Touyas Haus und seine Mutter rüttelte an seiner Schulter. "Hikaru! Hilf Touya-kun mit seinen Sachen." Er gähnte ausgiebig und stieg dann aus dem Auto, Hände in seine Hosentaschen gestopft. Aus dem Kofferraum nahm er Touyas Reisetasche, der andere Junge trug einen kleinen Koffer und gemeinsam gingen sie ins Haus. Hikaru stellte die Tasche ab und wandte sich zur Tür, doch Touya hielt ihn auf. "Ich hole dich um zehn ab." Ach, fast hatte er vergessen, dass er Touya den nächsten Tag versprochen hatte. Hikaru seufzte. "Du brauchst mich doch nicht abholen! Ich weiß, wo du wohnst!" Touya verdrehte die Augen. "Ja, und das letzte Mal, als du da warst, bist du den halben Abend mit Yashiro durch die Gegend geirrt." Daran erinnerte er sich nur allzu gut, das war in der Woche vor dem Hokutopokal gewesen. Touya hatte ihnen zwar eine Karte aufgemalt, aber Hikaru war überzeugt gewesen, er würde das auch ohne schaffen. "Jetzt weiß ich es ja!" Touya griff ihn am Handgelenk und zog ihn näher. "Lass mich einfach. Das würde ich bei einem Date auch machen." Er griff auch noch Hikarus andere Hand und zog den Jungen zu sich. Ihre Lippen trafen sich für Sekunden. "Touya!" rief Hikaru entsetzt. "Wir sind nicht mehr in Itou und die anderen sind jetzt weg. Die Schonzeit ist vorbei." Hikaru sah ihn aus wütenden Augen an, sagte jedoch nichts. "Morgen um zehn", sagte Touya nochmal und schob ihn dann aus der Tür, beides verbesserte nicht unbedingt Hikarus Stimmung. Doch weil er wusste, dass seine Mutter ihn vermutlich vom Auto aus sah, widerstand er dem Drang, Touya die Tür vor der Nase zuzuschlagen, sondern ging einfach grußlos. Sie brauchten nicht mehr lange, bis sie zu Hause waren. Hikarus Mutter ließ ihm seine Ruhe und beschränkte sich darauf, ihm etwas Essen zu bringen und ein Bad für ihn einzulassen. Als er schließlich gesättigt und gebadet auf seinem Bett lag, konnte er kaum noch die Augen offen halten. Es reichte gerade dazu, sich einmal im Zimmer umzusehen und lächelnd den vergessenen, auf dem Tisch liegenden Fächer zu entdecken, dann schlief er auch schon. Einschlafprobleme würden wohl nie Hikarus Art von Problemen sein. ~x~ "Hikaru, wach auf." Seine Mutter hockte vor seinem Bett und langsam ging ihr die Geduld aus. Er hatte seit gestern Abend um sieben geschlafen und nun war es schon zehn Uhr früh, wie konnte er immer noch so müde sein? "Hikaru, Touya-kun wartet auf dich." Schlagartig öffnete er seine Augen. "Wieso hast du mich nicht eher geweckt?" Er setzte sich auf und rieb sich die Schläfen. "Ich wusste nicht, dass ihr euch heute trefft, du hast nichts gesagt." Hm, das stimmte wohl. Eigentlich hatte er gut Lust, Touya noch eine Stunde warten zu lassen, aber seine Mutter würde ihm das sowieso nicht erlauben. "Soll ich dir Sachen rauslegen?" "Ma, ich bin kein kleines Kind mehr!" "Okay, dann gehe ich zu Touya-kun." Sie nahm noch etwas aus seinem Kleiderschrank und ging dann nach unten, wo sie es in einen Beutel steckte und Touya reichte. Hikaru stapfte zum Schrank, der noch offen stand, und fragte sich, was er tragen sollte. Was Touya wohl anhatte? Normalerweise trug er ja irgendwelche strengen Hosen und komische Pullis oder Hemden, wenn er nicht gerade wieder im Anzug rumlief. Hikaru entschied sich für seine üblichen Jeans, dazu allerdings ein dunkelgrünes Hemd. Beim Zähneputzen richtete er seine Haare, die vom Schlafen noch wild abgestanden hatten. Er wusch sich das Gesicht und ging schließlich nach unten. Touya stand noch im Flur, in perfekter Haltung, wie immer. Er trug hellgrüne Khakis und ein weißes Hemd. Für Touya sah es ungewohnt leger aus. Hikaru verzog den Mund, als er dachte, dass Touya tatsächlich schwul aussah. "Morgen, Shindo", begrüßte Touya ihn, nachdem sie sich kurz gegenseitig gescannt hatten. Hikarus Mutter kam herbei und bat Touya in die Küche. "Hikaru, du solltest noch etwas essen. Touya-kun, möchtest du auch Frühstück?" "Nein danke, ich esse früh ungern." Während die Frau begann, über die Wichtigkeit von Frühstück zu reden, aß Hikaru seines lustlos. Er trank ein Glas Eistee dazu und sprang schließlich vom Tisch auf. "Lass uns gehen, Touya. Danke für das Frühstück, Mama!" Touya hing sich den Beutel, den Hikarus Mutter ihm gegeben hatte, über die Schulter und ging dann an Hikarus Seite aus dem Haus. Er schlug den Weg zur Bahn ein. "Was machen wir heute?" wollte Hikaru wissen. Touya lächelte geheimnisvoll. "Du wirst schon sehen." Hikaru schmollte leicht, stocherte aber nicht weiter. Nebeneinander spazierten sie die leicht engen Straßen der Wohngegend entlang und Hikaru begann zu denken, dass der Tag noch nicht schlecht begonnen hatte. Die Bahn war recht voll, kein Wunder an einem Feiertag, viele wollten am Kindertag mit ihrer Familie Ausflüge machen oder in die großen Parks gehen. Als sie einstiegen sahen die beiden einen freien Platz. Touya schob Hikaru in die Richtung. Der Blonde wollte protestieren, doch Touya drückte ihn bestimmend hinunter auf den Sitz und lehnte sich an die Seite. "Wir fahren eine Weile, also sitz du. Ich weiß, dass du ungern zwischen den Menschen stehst." Hikaru lehnte den Kopf zurück und fragte sich, ob widersprechen etwas bringen würde. Touya würde vermutlich wieder etwas Peinliches sagen, sowas wie 'als mein Freund würde ich dir immer den Vortritt lassen'. Er verdrehte die Augen und sagte schließlich doch nichts. Nach einer Weile erkannte er den Weg zum Go-Institut und fragte sich, ob Touya an diesem Tag, der ganz seiner sein sollte, tatsächlich mit ihm zum Institut wollte. Die Haltestelle kam und Touya zupfte an seinem Ärmel. "Wir sind da." Hikaru schaute ihn ungläubig an, als er ihm aus der vollen Bahn folgte. "Bei dir geht es wirklich nur um Go, Touya", sagte er kopfschüttelnd. Dieser sah ihn überrascht an, wandte den Kopf nach vorne und dann zurück zu ihm, mit einem leichten Lächeln. "Denkst du wirklich, so einen Tag möchte ich mit dir im Institut verbringen?" Er schüttelte amüsiert den Kopf und hinterließ Hikaru mit etlichen Fragen. Die er mal wieder nicht beantworten würde. Sie passierten das Institut und warfen nur einen flüchtigen Blick darauf, unverkennbar sehnsüchtig. Schließlich leitete Touya ihn zu einem Gebäude in der Nähe. "Hier." Hikaru blieb stehen und sah nach oben. Aquarium. Er schaute Touya wieder überrascht an. "Aquarium?" "Bravo, du hast offiziell die Leseprüfung bestanden." Hikaru stieß ihn in die Rippen und ging dann zum Eingang. Touya folgte ihm zur Kasse, an der er den Blonden hinter sich schob. "Ein Schülerticket bitte." Hikaru war überrascht, dass Touya nicht darauf bestand, für ihn zu bezahlen, doch er sagte nichts. Ihm war es nur recht, ihm nicht zu viel schuldig zu sein. Er sah sich die Preise an und kramte 500 Yen aus der Tasche. Für viel mehr würde sein Bares wohl nicht mehr reichen. Warum hatte er daran nicht gedacht, als er am Morgen losgegangen war? Nachdem Touya das Ticket hatte zog er Hikaru in Richtung Eingang. Der andere wollte protestieren, doch wieder bekam er keine Erklärung. Touya reichte dem Kontrolleur das gekaufte Ticket und zog eine Karte aus seinem Portmonnaie, die er vorzeigte. Hikaru stolperte hinter ihm her und kam sich wie ein Kind vor. "Was hast du da?" fragte er Touya, nachdem sie den Eingang passiert hatten. Touya zeigte ihm die Karte, die wie eine EC-Karte mit einem Rochen darauf aussah, auf der Rückseite ein Passbild Touyas. Als Hikaru offensichtlich nicht verstand, setzte Touya hinzu: "Eine Jahreskarte." "Ahh." Warum hatte Touya eine Jahreskarte für das Aquarium? Die Frage schien Hikaru ins Gesicht geschrieben, denn Touya beantwortete sie nach kurzem Blickkontakt. "Naja... ich mag es hier. Die Ruhe, die Akustik, die Becken, die Farben. Ich kann hier gut entspannen. Nicht zu vergessen die unverkennbare Nähe zum Institut. Vor meinen Spielen komme ich oft hierher, um mich zu konzentrieren. Auch wenn mich etwas aus dem Takt bringt. Ich zeige dir nachher, wo ich dann bin." Hikaru betrachtete Touyas Profil verwundert. Hatte Touya tatsächlich mehr als nur Go im Sinn? Er fand es seltsam, etwas kennenzulernen, was Touya am Herzen lag und von dem er vorher nichts gewusst hatte. Hikaru war wieder stehen geblieben und Touya drehte sich auf den Hacken zu ihm um. Es sah geschmeidig und seltsam fehl am Platz aus. "Komm schon, Shindo! Wenn du immer so lange brauchst, dann werden wir gar nichts sehen!" Er ließ sich von Touya am Ärmel mitziehen. Irgendwie ließ er sich heute zu viel herumzerren, dachte er flüchtig. Sie liefen durch schwarze Gänge, die mit blauen Lichtern am Boden erleuchtet waren. Schließlich kamen die ersten Aquarien. Auch die Sonnenstrahlen, die durch das Wasser gefiltert wurden, schienen blau zu sein. Hikaru verstand, warum Touya es so beruhigend fand. Im Hintergrund lief leise Klassikmusik, die zu der Ruhe der Fische wunderbar passte. Im Becken vor sich erkannte Hikaru einen großen Schwarm gleichartiger Fische, die sich im Einklang miteinander bewegten und fast wie eine homogene Masse wirkten. "Sardinen", kommentierte Touya, der so nah bei Hikaru stand, dass dieser den Stoff seines Hemdes an den feinen Härchen auf den Armen spürte. "Beeindruckend, wie sie sich aufeinander abstimmen, so ganz anders als Menschen, die alle nebeneinander her leben." "Das klingt ganz schön zynisch, Touya", grinste Hikaru, doch er bekam nicht einmal ein Lächeln als Antwort. "Ich meine es ernst", sagte der andere schließlich. "Wieviel weiß man schon über die Menschen, mit denen man lebt? Wer macht sich noch die Mühe, andere wirklich von Grund auf kennenzulernen?" Er sah Hikaru ernst an. "Ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber du bist es, den ich kennen möchte. Von Grund auf, in- und auswendig, am allerbesten von allen." Touya hatte Hikarus Hand genommen und hielt sie nun in seiner. Der Blonde wollte sie wegziehen, doch Touya sagte: "Das ist mein Tag, du hast es versprochen. Also lass mir das." Er seufzte und ließ Touya gewähren. Schließlich wurde er zum nächsten Becken gezogen. Er hörte, dass mit ihnen auch ein oder zwei Familien im Aquarium waren, ihre Stimmen waren durch die Gänge leise zu vernehmen. Im nächsten Becken sah er langsame Eminenzen mit Gesichtern wie die von Greisen. Ihre Zähne wirkten klein und zerbrechlich, doch Hikaru wusste, dass es sich um Piranhas handelte. "Sie sehen so friedlich aus", wunderte er sich. Das blaue Licht schimmerte auf ihren glatten Körpern und ließ sie wie surreale Taucher wirken. "Sie sind sehr aggressive Tiere. Aber diese hier sind schon etwas älter. Im Zoo können sie doppelt so alt werden wie in der Natur - bis zu dreißig Jahre, und die meisten von diesen haben schon über zwanzig Jahre auf dem Buckel. Vielleicht macht das Alter sie träge." Hikaru merkte nicht, dass Touya seine Hand, die er immer noch hielt, nutzte um ihn näher zu sich zu ziehen. Er staunte die Fische mit großen Augen an. "Woher weißt du das?" "Einer der Mitarbeiter hat es mir erzählt, als ich vor einer Weile hier stand. Ich habe das gleiche gesagt wie du." Hikaru sah Touyas lächelndes Profil. Auch auf Touyas Haut schien das blaue Licht und färbte sie melancholisch. Die grünen Augen spiegelten das Becken vor ihnen. Nach einigen Minuten gingen sie weiter. Ein langer schwarzer Gang führte sie in einen Raum, dessen eine Wand eine riesige Plexiglasscheibe bildete. Touya deutete auf die gegenüberliegende Seite, auf der große schwarze Kissen lagen. Sie legten sich in die Kissen und Hikaru beobachtete das Treiben im Becken, während Touya es sich neben ihm noch bequem machte, bevor er sich schließlich zu ihm beugte und mit dem Finger auf verschiedene Fische zeigte. "Der Kleine dort ist ein Katzenhai, der mit den dunklen Flecken. Und der, der gerade ins Bullauge schwimmt ist ein Ammenhai." Im Aquarium war ein kleines Piratenschiff als Deko aufgestellt, an dem sich verschiedene Moose, Schnecken und Anemonen festgesetzt hatten. "Ist das da ein Hammerhai?" "Jap." "Cool", staunte Hikaru. Diese markanten Tiere hatte er bisher nur aus dem Fernsehen gekannt. "Haie scheinen immer in sich zu ruhen, ich finde sie faszinierend. Hier bin ich, wenn ich nachdenken möchte, oder wenn ich nervös bin." Hikaru grinste. "Du bist mal nervös, Touya?" Es blieb unkommentiert, wie so vieles. Er fragte sich, warum Touya dazu nichts sagte. Eigentlich konnte es dann nur mit ihm zu tun haben. Hikaru dachte den nächsten Schritt weiter und sah den anderen überrascht an. War er jetzt gerade nervös? Er sah nicht so aus, aber hatte er ihn je bewusst nervös gesehen? Wenn er so darüber nachdachte, würde ihn die Situation vermutlich auch stressen - mit seinem Herzblatt, das nicht an ihm interessiert war, auf einem Date, das man sich erpresst hatte. Er würde kein Mitgefühl für Touya haben, schärfte er sich ein. Schließlich stand Touya auf und bot Hikaru seine Hand zum aufstehen an. Dieser lachte und schlug die Hand aus mit den Worten: "Als ob du Hungerhaken mich hochkriegen würdest." Touya schürzte beleidigt die Lippen und ging vor, während Hikaru hinter ihm her schlenderte und sich die kleinen Becken am Rand ansah. In einem erkannte er winzige Seepferdchen, die laut Aufschrift gerade in der Aufzucht waren. Im nächsten waren Seesterne, ziemlich langweilig, befand Hikaru. Eins weiter sah er Garnelen, die ihn mit ihren langen Beinen sehr an Spinnen erinnerten. Sie flogen fast über den sandigen Boden in ihrem Becken, Beinchen kaum sichtbar. Hikaru sah nach vorne und erkannte, dass Touya ihn beobachtete. Seine schlanke Gestalt zeichnete sich in dem weißen Hemd vom dunklen Gang ab, sein Lächeln wurde von dem blauen Licht erhellt. "Gefällt es dir?" Sein erster Impuls war, den Kopf zu schütteln, doch warum sollte er lügen? Also nickte er. Touyas Lächeln wurde breiter, ein echtes Lächeln. Hikaru hatte so eines erst selten gesehen, er erinnerte sich an ein Mal, als er Touya mit seinem Vater beobachtet hatte, da hatte er genauso ausgesehen. Sie setzten die Besichtigung zusammen fort. Langsam fühlte Hikaru sich tatsächlich wie auf einem Date, zumindest ließ Touya nichts unversucht, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Trotzdem fand er es befremdlich, mit einem Jungen eine Verabredung zu verbringen. Nicht, dass er je eine mit einem Mädchen gehabt hatte, musste er sich seufzend eingestehen. Seine einzigen festen Treffen hatten dem Go gegolten. Als nächstes standen sie vor einer großen Plexiglaswand, hinter der belebtes Treiben herrschte. Hikaru ging nah heran und beobachtete die Fische, die dahinter umher trieben. Er spürte Druck auf seiner Schulter und sah zur Seite. Touyas Gesicht, und zwar viel zu nah. "Äh..." "Das hier ist mein Tag -" "Jaja, ich weiß", murrte Hikaru. Seine Nackenhaare standen aufrecht und er spürte, wie eine Gänsehaut sich über seinen ganzen Körper ausbreitete. Touyas Hand erschien auf der anderen Seite neben seinem Gesicht. Er zeigte auf einen Fisch, der vor ihren Augen vorbeischwamm. Er sah aus wie eine gelbe aufrechte Scheibe mit feinen perlmuttfarbenen, roten und blauen Streifen an der Rückenflosse und am Kopf. "Das ist ein Diskusfisch. Wie der Piranha lebt er im Amazonas." Hikaru folgte dem Tier mit seinen Augen, bis es gemächlich hinter einen Stein schwamm. Der nächste Fisch präsentierte sich hinter der Scheibe. "Ein Skalar. Die gibt es auch in Heimaquarien öfter." Hikaru nickte. Er kannte diesen Fisch aus seinen früheren gelegentlichen Besuchen in Zoohandlungen. Auch ihn verfolgte er durchs Becken, die Schönheit schien sich gerne ansehen zu lassen, denn bald schwamm sie wieder vor ihnen entlang. Hikaru versuchte, sich nicht auf die halb angenehme Nähe zu konzentrieren, die zwischen ihm und Touya herrschte. Er konnte zumindest vorgeben, es sei eine freundschaftliche Berührung, mit Waya oder Yashiro hatte er sicher auch schon so zusammengestanden. Wenn er genau aufpasste konnte er Touyas Atem an seinem Ohr spüren. Hikaru deutete ein Kopfschütteln an. Hatte er sich nicht gerade eingeschärft, eben nicht genau aufzupassen? Touyas Arme ruhten auf seinen Schultern. Er fragte sich, ob der Junge auf den Zehenspitzen stand, doch die ein, zwei Zentimeter machten vermutlich keinen allzu großen Unterschied aus. "Siehst du die große Muschel da unten?" Touyas Stimme war leise, weil er nah genug an Hikarus Ohr war. Der Blonde nickte. "In ihr ist ein Einsiedlerkrebs. Er hält sich eine Seeanemone auf seinem Haus." Wieder konnte er nur staunen. Dieses Aquarium war wirklich verwunderlich. Neben ihnen sprang ein Kind an die Scheibe und drückte seine Nase dagegen. "Mama, guck mal!" Nun drückte es auch seine Hand gegen die Scheibe, um auf einen der Fische zu zeigen. Hikaru schüttelte Touya ab und ging den Gang weiter. Hatte die Familie sie so gesehen? Er seufzte und hoffte, dass dem nicht so war. Der nächste Raum war zur Hälfte mit einem brusthohen Becken ausgefüllt. Es war groß und der Gang führte in einem Bogen daran vorbei. Hikaru hockte sich hin und suchte nach den Bewohnern, die nicht lange auf sich warten ließen. Ein großer Rochen kam langsam in seine Richtung geschwebt. Sein Kopf hob sich aus dem Wasser und es sah fast aus, als sähe er Touya an. Während seine Mundöffnung sich aus dem Wasser hob entstand ein seltsames schmatzendes Geräusch, das Hikaru zum Lachen brachte. Er tauchte wieder unter und schwamm langsam davon. Ein weiterer Rochen kam und steckte den Kopf nach draußen. "Ob man die streicheln kann?" fragte Hikaru sich, doch Touya schüttelte den Kopf. "Lieber nicht, glaub mir." Er zuckte die Schultern und ging an Touyas Seite am Plexiglas entlang. In diesem Becken war der Boden mit hellen Steinen geschmückt, auch an diesen wohnten wabernde Seeanemonen. Nach diesem Raum strahlte ihnen die Sonne plötzlich entgegen. Hikaru schirmte seine schmerzenden Augen ab und sah sich um. Vor ihnen lagen verschiedene kleine und mittlere Teiche, Brücken, wenige Pflanzen. "Komm, gleich werden die Kois gefüttert." Touyas Hand war schon wieder in seiner. Er verdrehte die Augen. Musste das sein? Naja, er würde Touya seinen Spaß lassen, schließlich war es seine einzige Gelegenheit. Also ließ er sich mitziehen, der andere schien sich bestens mit den Becken auszukennen und schließlich standen sie an einem kleinen Teich, zu dem auch gerade einer der Pfleger kam. Weit und breit war sonst niemand zu sehen. "Wollt ihr sie auch füttern?" Hikaru schüttelte gerade den Kopf als Touya sagte: "Gern, dankeschön." Er erhaschte einen verblüfften Blick, als er etwas von dem körnigen Fischfutter in Hikarus Hand füllte. Dann schloss er sie zu einer Faust und zeigte ihm, dass zwischen Daumen und den anderen Fingern eine Art Loch sein sollte, aus dem die Fische das Futter fressen konnten. Hikaru hockte sich an den Teich und hielt die Hand ins Wasser, wie es ihm gezeigt wurde. Er schrie auf, als plötzlich ein ganzer Fischschwarm an seiner Faust war. Nach dem ersten Schock tauchte er sie wieder ins Wasser und merkte, wie die Kois zu der improvisierten Futterhöhle, die seine Hand war, schwammen und das Futter mit schmatzenden Geräuschen heraus saugten. Er kicherte leise, denn die Fischmäuler kitzelten. Sie saugten gierig an seinen Fingern und als sie schließlich alles Futter erbeutet hatten verlangte Hikaru nach mehr. Der Pfleger gab es ihm lächelnd - diese Reaktion zeigten alle kleinen Kinder, die sonst die Fische fütterten. Touya kniete sich neben Hikaru und hielt ebenfalls seine Faust ins Wasser. Sie wiederholten die Prozedur einige Male, bis die Kois schließlich kein Interesse mehr an ihnen hatten. Der Tierpfleger überließ sie wieder sich selbst und ging zu den nächsten Becken, die er fachmännisch überprüfte. Hikaru saß vor dem Teich, rückwärts auf die Hände gestützt, Touya saß im Schneidersitz und mit geradem Rücken neben ihm. "Wie oft kommst du hierher?" Der Gefragte überlegte. "Einmal pro Woche vielleicht. Kommt immer darauf an, was so passiert ist." Sie saßen lange dort und sahen zu, wie die japanischen Kois immer wieder ihre Runden im Wasser drehten, ohne System, ohne Ziel. Manchmal kam Hikaru sich auch so vor: zwischen anderen treibend, ohne festes Ziel, aber sich trotzdem weiter bewegend. Weil Stillstand nicht infrage kam. "Was hast du noch geplant für heute?" "Lass dich doch überraschen." Hikaru verzog den Mund. Überraschungen waren nicht sein Ding, er wollte lieber alles sofort wissen. "Was hat dir meine Mutter mitgegeben?" Er deutete auf den Beutel, der neben Touya lag. "Das merkst du noch früh genug." Ob der andere es ihm übel nahm, wenn er begann, ihn zu schütteln? Ob er es ihm dann überhaupt verraten würde? Vermutlich nicht... Hikaru seufzte. "So macht das keinen Spaß." "Entschuldige, dass ich dir nicht unterhaltsam genug bin." "So habe ich das doch gar nicht gemeint!" Mit Touya war es wirklich fast immer zum Haare raufen. Warum konnte er die Dinge nicht so verstehen, wie Hikaru sie meinte? "Ich weiß." Touya lächelte? Ob er ihn nur hatte ärgern wollen? Hikaru wusste längst nicht mehr, was er über diesen Tag denken sollte. Vermutlich sollte er das Denken einfach lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)