Wetteifer von Zyra (Der Auslöser war das Pfirsichsorbet ...) ================================================================================ Kapitel 1: Wetteinsatz ---------------------- Hallo! Hier kommt nun meine neue Story. Eine Kurzgeschichte, die drei Kapitel umfassen wird. Ich hoffe, es gefällt euch! Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra --- Kapitel 1: Wetteinsatz Im Grunde genommen hasste ich junge, angergierte Lehrer. Ständig wollten sie mich zum Mitmachen bewegen und mir zeigen, dass ich immer noch etwas dazulernen konnte. Aber das Exemplar vor mir konnte ich nicht mit Verachtung strafen. Auch nach den Entwicklungen der letzten Wochen war Aaran Lennox mir nicht lästig. Und das lag mit Sicherheit nicht daran, dass er erst Referendar war. Als er den Klassenraum zum ersten Mal betreten hatte, war schon eine gewisse Anziehung von ihm ausgegangen. Dazu hatte sein Aussehen einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Er war äußerst attraktiv. Seine weißblonden Haare boten einen angenehmen Kontrast zur sonnengebräunten Haut. Blaue, intelligente Augen und ein Körper, der an einen Surfer erinnerten, rundeten das Bild ab. Mit der Zeit hatte sich gezeigt, dass nicht nur sein Anblick angenehm war. Sein Charakter war es ebenso – sogar in meinen Augen. Er war selbstbewusst und durchsetzungsstark. Aus der Ruhe bringen, ließ er sich selten, im Gegenzug schaffte er es, anderen die ihre zu nehmen. Bei den „Auseinandersetzungen“ war er genauso höflich wie provokant. Es war immer wieder interessant und amüsant, ihn dabei zu beobachten. Ich mochte seine Besonnenheit und begann, die absolut nicht oberflächlichen Unterrichtsgespräche zu genießen. Im Ganzen lud Mister Lennox geradezu dazu ein, wie Duke es formuliert hatte, ihn in die nächste Abstellkammer zu schleppen und sich dort zu vergnügen. Das entsprach natürlich nicht meinem Stil, generell war ich Sex allerdings nicht abgeneigt. Im Allgemeinen war ich dem Menschen Aaran Lennox nicht abgeneigt, wie ich hatte mit Erschrecken feststellen müssen. Wo meine Gedanken erneut bei einem Teil des momentanen Problems angelangt waren. Ich hatte einen Fehler gemacht. Zu definieren, was es genau gewesen war, war ich nicht im Stande. Es schien mehrere Fehlerquellen zu geben. Eine nicht gerade geringe Schuld traf – ohne Zweifel – die Person neben mir. Duke Devlin. Ich wendete den Blick ab, begann äußerlich desinteressiert aus dem Fenster zu starren. Wahrscheinlich hatte der ganze Schlamassel schon in dem Moment angefangen, als wir keine rein geschäftliche Beziehung mehr mit einander führten. Aus irgendeinem Grund war Duke so etwas wie ein Freund für mich geworden. Ohne dass ich es verhindern konnte, hatte er immer mehr über mich erfahren. Es hatte mich im Grunde nicht einmal groß gestört. Duke plauderte nichts Privates aus – etwas, was ich sehr an ihm schätze, auch wenn ich ihm trotzdem nichts freiwillig anvertrauen würde. Einen Umstand hatte ich dabei allerdings nicht bedacht: Duke musste nichts verraten. Er hatte es auch so brillant verstanden, mich in Schwierigkeiten zu bringen. Obwohl er das natürlich ganz anders sah. Für ihn war das alles nur eine kleine, private Wette. Ich wusste wie gerne Duke wettete, ebenso wie mir bekannt war, dass die Wetteinsätze immer brisant waren. Unter normalen Umständen wäre ich nie auf die Idee gekommen, mit Duke zu wetten. Betrunken – von Pfirsichsorbet – hatte die Sache etwas anders ausgesehen. Sich mit Sorbet zu betrinken, klang auf andere Art und Weise genauso dämlich, wie die Rosinen einer Bowle zu essen, und sich dann später zu wundern, dass man plötzlich betrunken war. Aber es war passiert, anlässlich einer kleinen, privaten Feier zu einem gelungenen Vertragsabschluss. Duke war so provokant gewesen, dass ich nicht hatte widerstehen können. Sein gelalltes „Aber hallo, der steht hundert pro auf dich“ tauchte auch jetzt noch regelmäßig in meinen Gedanken auf. „Der“ war Aaran Lennox, zu dem ich mich schon damals hingezogen gefühlt hatte. Wie Duke dieses und andere pikante Details meines Lebens herausgefunden hatte, war mir noch immer schleierhaft. Für diese Situation war es inzwischen egal. Wetten waren Ehrensache. Einmal geschlossen, verweigerte man sie nicht einfach – die Ausführung der Wette vielleicht, aber nicht die Schulden. Und in diesem Fall würde mich sehr wahrscheinlich beides in vergleichbar prekäre Lagen bringen. Ich hatte mit Duke darum gewettet, ob er es schaffen würde, Mister Lennox dazu zu bringen, mich zu ihm nach Hause einzuladen. Danach würde erst mein Teil der Wette kommen. Also wäre die Situation unter normalen Umständen völlig unproblematisch gewesen, ... aber Duke kannte Aaran Lennox aus Amerika. Sie schienen sogar sehr gut miteinander befreundet zu sein. Deshalb lag die Sache anders. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wie Duke ihn überreden wollte, aber er hatte schon immer mit verrückten Ideen aufgetrumpft. Sollte er es wirklich schaffen, hatte ich ein ernsthaftes Problem. Entweder ich würde die Einladung annehmen und versuchen ihn ins Bett zu kriegen oder ich würde die Wettschuld so hinnehmen. Für was ich mich entscheiden sollte, wusste ich nicht. Momentan hoffte ich immer noch, dass Duke es in seiner zwei Wochen Frist vermasseln würde. Dann wäre ich fein aus der Sache raus. Doch das sah ich noch nicht. Während ich aus dem Fenster starrte und damit Duke ignorierte, blieb der nicht untätig. Ich hatte es nicht anders erwartet. Er war penetrant. Das Ergebnis seiner Bemühungen um meine Aufmerksamkeit landete jetzt auf meinem Pult. Eine kleine Papierkugel. Na riesig. Sowas Kindisches. Einen Moment war ich versucht, sie einfach von meinem Tisch zu schnipsen. Aber wer wusste schon, was der Verrückte wieder geschrieben hatte. Na Seto, denkst du wieder an die Abstellkammer? ;) Es war wohl keine schlechte Idee gewesen, sie zu öffnen. Dieser Idiot. Das einzig Positive an der ganzen Nachricht war, dass wohl nur wir beide verstanden, worum es ging. Trotzdem, was sollte der Unsinn? Was willst du? Ich warf sie möglichst unauffällig zurück. Ich war weder darauf erpicht, dass irgendwer den Zettel fand und die Spekulationen begannen, noch darauf von Mister Lennox erwischt zu werden. Na, eine Antwort auf meine Frage. Duke war die Unauffälligkeit anscheinend egal. Absolut nachlässig schoss er die Kugel zurück. Wollte er etwa, dass wir bemerkt wurden? Worum – geht – es? Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich dir glaube, dass du nur die Antwort auf so eine läppische Frage willst. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Duke lächelte, als er den Text las. Schön, dass sich wenigstens einer amüsiert, dachte ich sarkastisch. Ertappt. Ich wollte fragen, ob du dich schon auf deinen Teil freust? Als ob das ein großer Unterschied wäre. Aber so etwas hatte ja kommen müssen. Weitere Sticheleien. Duke zog mich schon die ganzen letzten Tage damit auf, dass ich es angeblich ja so sehr nötig hatte. Ganz unrecht hatte er nicht, aber im Maß irrte er sich gewaltig. Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich mehr fürchten soll. Meinen Einsatz oder deine Schulden. Aber der Meister der Wetten scheint sich ja sehr sicher zu sein. Wann ist denn dein mit Sicherheit grandioser Gewinn zu erwarten? Die Nachricht triefte nur so vor Sarkasmus. Wäre nicht Duke mein „Gesprächspartner“ gewesen, hätte ich dieses sprachliche Mittel niemals benutzt. Bei ihm konnte ich mir sicher sein, dass er es richtig verstand. Mach dich nur lustig über mich. Ich arbeite dran und werde es auf jeden Fall in der nächsten Woche schaffen. Rate mal, wer diesen Samstag bei wem auf ein Bier eingeladen wurde. :) Na riesig. Das klang ja nach einer guten Basis für ihn. Aber ich konnte mir immer noch keine Möglichkeit vorstellen, wie Duke es schaffen wollte, einen Lehrer dazu zu bewegen, einen seiner Schüler zu sich nach Hause einzuladen. Er hatte immerhin eine Pflicht allen Schülern gegenüber. Bevorzugung konnte einen schnell in Teufels Küche bringen – ganz zu schweigen von dem, was ich vorhatte ... vorausgesetzt ich würde mich dafür entscheiden. Wie willst du es denn anstellen? Duke grinste in sich hinein. Er schien sich seiner Sache wirklich sicher zu sein. Verdammt. Mit dem Klingeln landete der Zettel auf meinem Tisch. Ich überflog ihn, während ich die gerade gegebenen Hausaufgaben aufschrieb. Das konnte ja noch heiter werden. Als ob ich dir das verraten würde ... Vielleicht sag ich es dir nächste Woche. ^^ „Dann bis nächste Woche, Seto“, sagte Duke augenzwinkernd und verschwand in Rekordgeschwindigkeit aus dem Klassenraum. Ich hingegen ließ mir Zeit. Ich hatte es nicht eilig. Weder war ich erpicht darauf, in das Gedränge der schnellstmöglich ins Wochenende strömenden Schüler zu geraten, noch wollte ich draußen in der Kälte auf Mokuba warten. Der trödelte immer, also packte ich gemächlich ein. Noch während ich damit beschäftig war, erschien Mister Lennox vor meinem Pult. Allerdings schien er mich nicht zu beachten: Sein Blick war nachdenklich nach draußen gerichtet. Als ich mit einem gemurmelten „Bis Dienstag“ gehen wollte, hielt er mich zurück. „Warte einen Moment, Seto“, sagte er. „Erklär mir doch bitte, warum diese triste, graue Aussicht interessanter ist als mein Unterricht.“ Ach das noch. Ich konnte mit Fug und Recht behaupten, dass ich ein guter Lügner war, beziehungsweise dass man es mir nicht anmerkte, wenn ich einen Teil der Wahrheit verschwieg. Aber Aaran Lennox hatte ein Gespür dafür, wenn jemand versuchte, ihn zu täuschen. Und zurzeit konnte ich es nun wirklich nicht gebrauchen, ihm gegenüber negativ aufzufallen. Wer wusste schon, wie ich mich letztendlich entschiede. Also würde ich jetzt, soweit ich es für richtig hielt, die Wahrheit sagen – natürlich nur umrissen. „Das war kein Desinteresse. Ich habe in der letzten Zeit sehr viel im Kopf“, erklärte ich und beobachtete Mister Lennox Reaktion. Er hob skeptisch eine Augenbraue. „Und das lässt sich im Englischunterricht nicht ignorieren?“, fragte er. Ich erwiderte nichts. Es war sowieso eine rhetorische Frage gewesen. Dass ich es nicht vermochte, hatte ich schließlich eindrucksvoll bewiesen. „Und die Zettelchen, die du dir mit Duke geschrieben hast, waren was?“ Dass der auch alles mitbekommen muss, fluchte ich innerlich. „Sie wissen, wie hartnäckig Duke ist“, meinte ich. Wenn das so weiter ging, würde ich nicht mehr lange mitmachen. Ich war niemand, der sich gerne die Kontrolle aus der Hand nehmen ließ. „Ebenso weiß ich, wie gut du jemanden ignorieren kannst.“ Während er sprach, funkelten seine Augen vor Belustigung. Wahrscheinlich hatte er eine bestimmte Situation im Kopf – Wheeler, der Verwünschungen ausstoßend durch den halben Klassen sprang, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen, dass ich ihn nicht beachtete. „Es war wichtig“, sagte ich schließlich und fügte nach kurzem Überlegen noch hinzu: „Geschäftlich.“ Es war nicht gelogen, auch wenn er meine Antwort wahrscheinlich etwas anders verstand. So war es von mir beabsichtigt. Ich hoffte, dass er nicht weiter nachhaken würde. Dann wäre die Situation bereinigt. „Du willst mir ernsthaft erzählen, dass ihr euch über Angelegenheiten eurer Firmen auf einem kleinen Zettel in der Schule austauscht. Ich kenne Duke gut genug, um zu wissen, dass er das niemals machen würde. Und dich schätze ich als viel zu professionell ein, um das zu tun. Also, was war los?“ Verdammt. Das gibt’s doch nicht, dachte ich missmutig. Langsam drohte mir der Geduldspfaden zu reißen. Gäbe er nicht bald nach, würde ich die Führung in dem Gespräch übernehmen. Es entsprach nicht meiner Natur, mich in die Defensive drängen zu lassen. „Meine Geschäfte betreffend“, detaillierte ich zähneknirschend. Mister Lennox seufzte. Er wirkte enttäuscht, beinahe eine Spur traurig. „Warum lügst du mich an? Wenn du etwas zu kritisieren hast, dann sag es bitte. Sonst kann ich aus meinen Fehlern nicht lernen.“ „Ich muss Ihnen keine Rechenschaft ablegen“, erklärte ich frostig, „also hab ich es nicht einmal nötig zu lügen!“ Der verbale Schlag schien zu sitzen. Körperlich nahm er eine zurückhaltendere Position ein, in dem er sich an die Fensterbank hinter sich lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Gewillt zu kapitulieren war er allerdings noch nicht, das verrieten seine Augen. „Nein, das musst du natürlich nicht“, gestand er ein und seufzte abgrundtief. „Es geht mich wahrscheinlich nichts an, aber wenn ich dir in irgendeiner Weise helfen kann, dann sag mir einfach Bescheid.“ Ich blickte ihn skeptisch an. „Sie glauben mir nicht“, stellte ich fest. „Es fällt mir schwer.“ Er lächelte schwach. „Ich vertraue sehr auf meine Menschenkenntnis.“ Es wäre am besten, jetzt zu verschwinden. Ihm entgegen zu schleudern, dass er sich irrte und einfach zu gehen. Aber die Wette hielt mich zurück. Ich wollte mir nicht schon jetzt einen Weg verbauen. „Es ist eine Wette“, sagte ich ruhig, „mit wahrscheinlich negativen Auswirkungen auf das Geschäft.“ Mister Lennox hob abermals eine Augenbraue. Jetzt wirkte es verwundert. „Mit Duke?“, fragte er. „Korrekt.“ „Oh je“, erwiderte er und verzog das Gesicht. Er schien ganz genau zu wissen, wie schwierig es war, eine Wette gegen Duke zu gewinnen. Wenn der erst einmal mit vollem Eifer dabei war, scheute er kaum eine Situation. „Warum sprichst du nicht einfach mit ihm? Er hat doch auch eine Firma, da wird er deine Zweifel sicherlich nachempfinden können.“ „Wetten sind Ehrensache“, erklärte ich nur, woraufhin er die Augen verdrehte. Seiner Meinung nach hatten wohl auch Wetten ihre Grenzen. Vielleicht hielt er es aber auch für schwachsinnig, überhaupt zu wetten. „Es spricht ja niemand davon, dass du dich weigern sollst. Es geht doch nur darum, etwas andere Bedingungen auszuhandeln, die dir nicht schaden. Duke hat sicherlich noch andere Einfälle“, meinte er beschwichtigend. „Duke wird nicht mit mir übereinstimmen“, bestimmte ich. Er hatte Vorstellungen von Japan, die sich einfach nicht in der Realität wiederspiegelten. Er überschätzte die japanische Gesellschaft in ihrer Akzeptanz bestimmter Verhaltensweisen und Neigungen. Auf eine gewisse Art war Japan genauso prüde und konservativ wie Amerika. „Wenn du wirklich deine Zweifel hast, solltest du es zumindest versuchen“, antwortete er optimistisch und lächelte mich zuversichtlich an. „Vielleicht“, sagte ich vage und verabschiedete mich. Erst einmal würde ich abwarten und so gering die Chance auch war, darauf hoffen, dass Duke seinen Teil nicht bewältigen konnte. Ich streckte meine Hand gerade nach der Tür aus, als wieder mein Name erklang. „Seto!“ Ich drehte mich um, und beinahe wäre mir der Atem gestockt. Die Wolkendecke war aufgerissen und schwaches Sonnenlicht brach sich in seinen blonden Haaren und hob ihren Glanz besonders hervor. Schatten tauchten sein Gesicht zum Teil in Dunkelheit. Es gab ihm etwas Verwegenes. Im diesem Augenblick wirkte er wie Engel und Teufel zugleich. Ich verstand nicht, warum er diesen Eindruck vermittelte. Ebenso wenig wusste ich, was meine Reaktion zu bedeuten hatte. „Ich fände es schön, wenn du mich einmal zu Hause besuchen würdest.“ Nein! Das war doch wohl nicht war. Verdammter Würfelfreak! Kapitel 2: Wettstreit --------------------- Hallo! So, das nächste Kapitel ist fertig. Und es hat sich mal wieder gezeigt, dass ich aufhören sollte, den Inhalt bestimmten Kapiteln zuzuordnen. Klappt sowieso nicht. Lange Rede kurzer Sinn: Inhaltliche Planung top, Kapiteleinteilung flop. Also wird der Inhalt jetzt auf mehr Kapitel aufgeteilt. Jedenfalls wünsche ich viel Spaß mit diesem Kapitel! Ich hoffe, es gefällt! LG Kyra --- Kapitel 2: Wettstreit Ich benötigte dringend einen Plan. Irgendwie musste diese Situation doch zu entschärfen sein. Vielleicht sollte ich wirklich noch einmal mit Duke sprechen. Immerhin war der mit Mister Lennox gut befreundet und dieser würde wahrscheinlich seinen Job verlieren, wenn herauskäme, dass er mit einem Schüler geschlafen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Duke wollte, dass es soweit kam. Diese Art von Zweifeln passte nicht zu mir. Normalerweise kümmerte es mich keinen Deut, wenn ich anderen Leuten Probleme einheimste, solange ich mich damit aus der Affäre ziehen konnte. In diesem Fall war das anders. Ich bekam schon allein beim Gedanken, dass er meinetwegen den Job verlieren konnte, einen Anflug von einem schlechten Gewissen. Wenn es sich vermeiden ließ, wollte ich dieses Risiko nicht eingehen. Zumal für mich daraus auch größere Probleme erwachsen konnten, würde ich es nicht schaffen, meinen Namen aus der Sache rauszuhalten. „Seto ... du kannst den Läufer nicht horizontal ziehen“, riss Mokubas ungläubige Stimme mich in die Realität zurück. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die Figur wirklich drei Felder nach rechts rücken wollte. Als ich mir die Positionen der Figuren auf dem Schachbrett ansah, fiel mir auf, dass ich eine ganze Weile nur noch unbewusst gespielt haben musste. Ich gestattete mir einen Seufzer. Mokuba anzulügen oder ihm etwas vorzumachen, hatte sowieso keinen Zweck. Der würde so lange weiter bohren, bis er herausgefunden hatte, was er wissen wollte. „Tut mir leid, Mokuba“, sagte ich schließlich. „Ich denke, wir beenden das Spiel lieber. Ich bin nicht mehr bei der Sache. Außerdem ist es schon spät.“ Mokuba sah mich aus besorgten Augen an. Das hatte ja passieren müssen. „Was ist denn los?“ Na prima. Ich konnte meinem zwölfjährigen Bruder ja schlecht erzählen, dass ich mit Duke gewettet hatte, einen meiner Lehrer ins Bett zu kriegen. Mokubas Welt würde Kopfstehen. Also versuchte ich es – wie so oft – damit, es herunterzuspielen. „Nichts, worüber du dir den Kopf zerbrechen musst“, sagte ich und half ihm, das Schachspiel wegzuräumen. „Aber du bist besorgt“, bestimmte er, „und ich möchte dir helfen!“ „Ich meine es ernst, Mokuba. Es ist nichts Schlimmes!“ „Du machst dir aber trotzdem Sorgen!“, beharrte er und fügte im feinsten Moralapostelton hinzu: „Über seine Probleme sollte man reden, großer Bruder, bevor sie einen erdrücken.“ Ich kam nicht umher zu schmunzeln. Mein kleiner Bruder. Manchmal fragte ich mich wirklich, wer von uns beiden der Ältere war. In bestimmten Dingen hatte Mokuba eine beachtliche Durchsetzungskraft entwickelt. Gesundheit zum Bespiel. „Es ist wirklich nichts Besorgniserregendes“, sagte ich beschwichtigend. „Nur eine Wette, die ich ungern verlieren möchte.“ „Was denn für eine?“, fragte er nun neugierig. „Wettgeheimnis“, erklärte ich ein wenig belustig. „Ach man, Seto“, maulte Mokuba, „das ist gemein!“ *** Ich hatte Mokuba gerade ins Bett gebracht, als mein Handy klingelt. Verwundert blickte ich auf das Display. Was wollte Duke denn so spät noch? Das konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten. „Hallo Seto“, tönte es mir gutgelaunt entgegen. Die Art von guter Laune, die wirklich Böses ahnen ließ. „Kann ich noch vorbei kommen?“ „Was ist denn so wichtig, dass sich das nicht auf morgen verschieben lässt?“, fragte ich. „Oh, ich dachte mir, dass ich mit den Kleidern lieber vorbeikomme, wenn Mokuba schon im Bett ist.“ Ich hörte regelrecht, dass er grinste. Das ließ mich immer mehr daran zweifeln, dass ich halbwegs aus der Sache herauskommen würde. „Okay“, sagte ich wiederstrebend. „Dann komm noch vorbei!“ „Bis gleich!“ Duke zog das letzte Wort fröhlich in die Länge. Ich glaube, ich wollte gar nicht wissen, was er sich ausgedacht hatte. Eine viertel Stunde später war das eine Tatsache. Ich hätte es solange wie möglich hinauszögern sollen. „Willst du mich ruinieren?“, zischte ich. Eisern ignorierte ich die große, weiße Schachtel, die zwischen uns auf dem Couchtisch stand und in der das abscheuliche Etwas lag, dass ich bei Wettverlust am letzten Schultag vor den Winterferien tragen sollte. „Du siehst bestimmt toll darin aus“, antwortete Duke nur lachend und lehnte sich gemütlich in seinem Sessel zurück. Ich hingegen fixierte ihn angespannt. „Duke, das ist mein Ernst!“, sagte ich und ignorierte seine Ausspruch – es stand außer Frage, dass ich in dem Ding absolut lächerlich aussehen würde. „Wie denkst du dir das eigentlich?“ „Du ziehst es an und gehst zur Schule“, erwiderte er schulterzuckend. Er nahm es wirklich nicht ernst. „Wo ist das Problem?“ „Es war ja klar, dass du nur bis dahin denkst. Das Problem ist das, was danach kommt. Ich kann es mir nicht leisten, zum Gespött zu werden.“ „Jetzt übertreibst du aber. Du erklärst einfach, dass es eine Wette war und damit ist die Sache nach ein paar Tagen gegessen.“ Was hatte der eigentlich für eine Vorstellung von der japanischen Presse? Ganz davon abgesehen, dass es dabei wahrscheinlich nicht bleiben würde. Es würde international die Runde machen. Vielleicht nicht in der Presse, aber auf jeden Fall unter meinen Geschäftspartnern. Und das war etwas, was ich mir absolut nicht leisten konnte. Mein Ansehen würde in einer Geschwindigkeit fallen, die ich noch nicht einmal erfassen konnte. „Wenn du in dem Teil zur Schule gehen würdest, wäre das vielleicht so. Aber ich spiele in einer anderen Liga. Außerdem habe ich ein ganz anderes Image als du. Mit der Kleidung torpediere ich es. Und du solltest eigentlich wissen, wie wichtig der Ruf in unserem Geschäft ist.“ „Du siehst das viel zu pessimistisch“, beharrte Duke. „Das ist doch nur ein kleiner Spaß. Es wird es dir schon niemand übel nehmen, wenn du einmal etwas menschlicher wirkst. “ Spaß. Ich konnte es langsam nicht mehr hören. Würde er nicht bald damit aufhören, hätte er ein gewaltiges Problem. Wahrscheinlich vergleichbar mit dem, das ich bekäme, wenn man mich als „menschlicher“ ansehen würde. In diesem Fall bedeutete das, weich zu sein. Und das war eine Schwäche, die ich mich ruinieren konnte. „In deinen Augen vielleicht. Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass du von denjenigen, die von der Wette betroffen sind, am wenigsten zu verlieren hast? Du hast auf dich bezogen mit deiner Einschätzung wahrscheinlich sogar recht. Egal, was ich mir ausdenke, über dich wird man ein paar Tage lachen – wenn überhaupt – und die Aktion, als eine deiner Verrücktheiten abtun. Für Mister Lennox und mich steht viel mehr auf dem Spiel!“, erwiderte ich. Langsam hatte ich genug von so viel Kurzsichtigkeit und so vielen Fehleinschätzungen. Duke runzelte die Stirn. „Kann es sein, dass du dich drücken willst?“, fragte er grinsend. „Zu viel Ehrverlust?“ Jetzt warf ich tatsächlichen einen Blick in die Schachtel. Demütigend, aber Wetten waren ebenso Ehrensache. Also hätte ich es allein unter diesem Gesichtspunkt sicherlich getan. Mit anderen weniger lächerlichen Kleidern würde ich auch unter diesen Bedingungen in die Schule gehen. Das würde mein Stolz schon verkraften. Wenn ich wollte, konnte ich das schlucken. Aber dieses Ding ... nein, das konnte ich mir nicht erlauben. „Wenn es nur um meine Stolz gehen würde, dann würde ich auch das anziehen.“ Ich zeigte wütend hinüber zur Pappschachtel, vermied es allerdings wieder, sie zu betrachten. Ein Blick hatte genügt, um sich das Grauen noch einmal zu vergegenwärtigen. „Aber die Situation ist eine andere. Das würde meine Firma in eine kleine Krise stürzen. Ich würde dadurch mehrere gute Geschäftspartner verlieren. Meine Glaubwürdigkeit wäre danach dezimiert.“ Als er etwas einwenden wollte, hob ich die Hand. „Lassen wir mich mal einen Moment außen vor: Du gehörst doch zu den großen Freundschaftspredigern. Warum schließt du eine Wette ab bei der ein Freund seinen Job verlieren kann?“ Eigentlich hatte ich diesen Punkt nicht einbringen wollen. Es passte nicht zu mir. Aber ich konnte nicht leugnen, dass mir dieses Risiko etwas ausmachte. Duke lächelte. Es hatte etwas Wissendes. „Du bist verliebt“, sprach er genüsslich. „Du weichst vom Thema ab“, zischte ich. In dem Augenblick, in dem er das aussprach, gegen das ich mich schon längere Zeit sperrte, fühlte ich mich innerlich nackt. Ich hasste es, durchschaubar zu sein. „Nein, Seto, das tue ich nicht“, sagte er Kopfschüttelnd, dann seufzte er. „Du solltest inzwischen begriffen haben, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt als die Arbeit. Liebe ist eine davon.“ Ich verstand es nicht. Dass er der Liebe eine nicht geringe Bedeutung bemaß, das konnte ich begreifen, auch wenn es in meinen Augen eine zu große war. Aber so war Duke eben. Hingegen konnte ich nicht nachvollziehen, warum er in einer solchen Situation ein dermaßen großes Risiko für angemessen hielt. Im Grunde gab es kein entweder „Liebe“ oder „Beruf“. Es gäbe tauschende Wege, wie wir zusammen kommen könnten – natürlich rein hypothetisch betrachtet. „Die Wettbedingungen bleiben so wie sie sind“, erklärte Duke, bevor ich ihm widersprechen konnte. „Entweder man verliert oder man gewinnt. Du brauchst also gar nicht zu versuchen, irgendetwas zu finden, womit du dich aus der Affäre ziehen kannst.“ Es klang endgültig. Er würde von seiner irrsinnigen Position nicht abweichen. Na riesig. Das konnte ja noch heiter werden. „Was stellst du dich eigentlich so an?“, fragte Duke stirnrunzelnd. „Du sollst den Mann verführen, in den du verliebt bist und der dich –da bin ich mir sehr sicher – ebenfalls liebt. Wo liegt da das Problem? Wenn du die Wette gewinnst, können dir die Schulden doch egal sein. Außerdem steht doch noch nicht einmal fest, ob du deinen Teil überhaupt erfüllen musst ... obwohl ich wirklich davon ausgehe, dass ich es schaffen werde.“ Ich hob eine Augenbraue. Er ging davon aus, dass er es schaffen würde. Aber Mister Lennox hatte mich doch schon eingeladen ... das bedeutete ... er hatte es aus eigenem Antrieb getan, ohne dass Duke davon wusste, noch großartig etwas dazu beigetragen hatte. Ich konnte mir das diabolische Grinsen kaum verkneifen. Duke hatte seinen Teil der Wette verloren. Das war doch zumindest ein wenig befriedigend. „Ach ja?“, fragte ich. Ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass er sich noch herausreden konnte. „Was genau hast du bisher gemacht?“ „Warum sollte ich dir das verraten?“, fragte er neckisch und legte ein Bein über das andere. „Du kannst keine Erfolge lange für dich behalten, Duke“, sprach ich eine Tatsache aus, der wir uns beide sehr deutlich bewusst waren. „Du hast recht“, stimmte er lachend zu. Dann zuckte er mit den Schultern: „Na ja, was soll’s? Es bringt dir ja keine Vorteile, wenn ich es dir erzähle. Im Grunde haben sich bis jetzt auch nur Vermutungen bestätigt und ich habe weitere Information gesammelt.“ Duke lächelte schelmisch. „Du solltest dich glücklich schätzen: So wie ich das sehe, ist Aaran ohne wenn und aber in dich verliebt!“ Sollte ich das? Eigentlich wusste ich doch gar nichts über ihn. Wahrscheinlich nur das, was so gut wie jeder wusste, mit dem er in etwas näherem Kontakt stand. Und er konnte mich nicht richtig kennen – ich gab nur wenig von mir preis. Dennoch sollte er mich lieben ... bedingungslos? Das klang anormal, ... außer man glaubte an so einen Unsinn wie „Liebe auf den ersten Blick“, was ich mit Sicherheit nicht tat. „Versteh ich das richtig: Du hast bisher noch nichts gemacht, bist dir aber trotzdem sicher, dass du ihn überzeugen kannst?“, fragte ich. „Absolut korrekt!“ „Tja, Duke“, sagte ich und konnte das Grinsen nicht mehr länger unterdrücken. „Du hast die Wette aber schon verloren!“ Seine Gesichtszüge entgleisten. „Wie kommst du denn darauf? Ich habe noch eine Woche!“, erwiderte er energisch. „Du hast verloren“, widerholte ich und ließ mir jedes Wort auf der Zunge zergehen. Sein Anblick war ein einziger Triumpf. „Heute Mittag.“ „Ich kann noch nicht verloren haben“, sagte er – jetzt nicht mehr so überzeugt. Im Augenblick wirkte er eher verwirrt. „Natürlich kannst du!“ Ich war wahrlich in meinem Element. „Du hast eine Möglichkeit nicht bedacht: Nämlich, dass er dir zuvor kommen kann.“ „Nein!“, entfuhr es ihm. Anscheinend hatte ich gerade den Grund dafür gefunden, warum Duke sich so in Wetten hineinsteigern konnte: Er verlor nicht gern. Es dauerte einige Minuten, bis er seine Niederlage verdaut hatte. Als er sich anscheinend damit abgefunden hatte, bildete sich ein typisch tiefgründiges Grinsen um seine Mundwinkel. „Tja, scheint so, als hätte ich wirklich verloren.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das heißt, du hast jetzt bis Freitagabend in zwei Wochen Zeit, deinen Teil zu erfüllen.“ „So sieht es aus“, erwiderte ich. Das war die unangenehme Kehrseite der Medaille. Duke hatte zwar verloren, aber damit war die Situation für mich nicht bereinigt. Mister Lennox hatte mich eingeladen, so dass es jetzt trotzdem zu meinem Wettabschnitt kam. Bitter. Duke streckte sich und gähnte. „War eine anstrengende Woche“, murmelte er, während er aufstand. „Ich verschwinde dann mal lieber.“ „Wir sehen uns Montag in der Schule“, sagte ich, als wir uns in der Eingangshalle verabschiedeten. „Jupp, schönes Wochenende!“, antwortete er und wendete sich zum Gehen. „Ach eins noch: Unter einer Bedingung erlasse ich dir deine Wettschulden.“ „Die da wäre?“ „Das wirst du in dem Fall schon sehen.“ Duke grinste mich an und verschwand in der Dunkelheit. Na riesig. Wenn ich nicht wusste, was es war, konnte ich auch nicht auf diesen Ausweg hinarbeiten. Also hatte ich immer noch meine bekannten zwei Möglichkeiten. Inzwischen tendierte ich dazu, es zu versuchen. Danach schrie es zumindest in mir beim Anblick der weißen Schachtel auf meinem Couchtisch. Energisch drückte ich den Deckel auf den Karton und verbannte das unliebsame Stück samt den zwei Schmuckdosen in die hinterste und am schlechtesten einsehbare Ecke meines begehbaren Kleiderschrankes. Wenn es nach mir ging, konnten sie da vergammeln. Zurück in meinem Zimmer nahm ich meinen Terminplaner zur Hand, um nach einem geeigneten Tag zu suchen, an dem ich die Wette angehen konnte. Wie schon fast zu erwarten gewesen war, fand ich keinen. Jede Stunde der nächsten zwei Wochen schien mit irgendetwas verplant zu sein. Nur die letzten Tagen waren relativ terminfrei, aber diese lagen mitten in der Woche lagen, was extrem ungünstig war. Das Risiko erhöhte sich, ... aber was blieb mir anderes übrig, wenn ich die Wette gewinnen wollte? Kapitel 3: Wettkampf -------------------- Hallo! Trotz Krankheit hab ich das Kapitel noch zum Wochenende fertig bekommen. Ich hoffe, es gefällt! Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra --- Kapitel 3: Wettkampf Ich hatte es wirklich nicht geschafft, der Einladung nachzukommen. Bis jetzt – drei Tage vor Ablauf meiner Frist. Und das hatte ich auch nur unglücklichen Umständen zu verdanken. Während ich in den USA eine Spielemesse besucht hatte, war in Domino ein Schneechaos ausgebrochen. Die Schule fiel aus. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren nur noch eingeschränkt nutzbar. Als ich wieder zurückkam, fuhr in der Stadt gar nichts mehr. Kein Bus. Kein Taxi. Keine U- oder S-Bahn. Privatleuten war dringend davon abgeraten worden, das Auto zu benutzen. Also war ich vom Flughafen nicht nach Hause gekommen. Als ich mein Handy aus der Tasche gezogen hatte und den darin integrierten Stadtplan aufgerufen hatte, um ein Hotel zu wählen, war mir der kleine leuchtende Punkt am Bildrand aufgefallen. Einer der Punkte, die den Wohnort der Leute markierten, deren Adressen in meinem Handy eingespeichert waren. Dieser Punkt gehörte zu Aaran Lennox. Ich hatte zwar gewusst, dass er etwas außerhalb von Domino wohnte, aber wo genau hatte mich nicht interessiert. Als ich mir den Weg hatte berechnen lassen, war herausgekommen, dass ich es zu Fuß problemlos schaffen konnte. Er wohnte nicht in direkter Nähe zum Flughafen, aber die Strecke zu laufen war machbar. Damit hatte meine Entscheidung festgestanden. Jetzt stapfte ich durch den Schnee. Auch hier lag er bestimmt 15 cm hoch. Ich hatte für solch ein Wetter nicht die richtigen Schuhe an. Generell war ich nicht warm genug angezogen. Auf diese Temperaturen hatte ich mich nicht vorbereiten können. Als ich meine Sachen gepackt hatte, war dieser Wintereinbruch noch nicht vorhersehbar gewesen. Ich stellte meinen Mantelkragen ganz auf, damit meine Ohren zumindest etwas Windgeschützt waren. Ich kränkelte so oder so schon. Da musste nicht noch eine Ohrenentzündung dazukommen. Auch wenn ich die nächsten Tage, so wie ich meinen Körper kannte, wohl im Bett verbringen würde. Das war einer der zwei Gründe, warum ich mich entschlossen hatte, diesen Fußmarsch durch die Kälte auf mich zu nehmen. Wenn ich schon krank im Bett lag, brauchte ich wenigstens jemanden, den ich herumkommandieren konnte, damit ich bekam, was ich wollte. Und da bot sich Mister Lennox eher an als irgendwelches Hotelpersonal. Der zweite Grund war die Wette. Die Bedingungen waren recht gut. Die Schule fiel aus. Er wohnte relativ abgelegen und der Schnee tat das Restliche. Das Risiko, dass jemand etwas von dem, was wir taten, erfuhr, beschränkte sich auf ein Minimum. Die Frage war nur, ob er wirklich mit mir schlafen wollte. Es würde sich zeigen. Nach einer weiteren halben Stunde erblickte ich sein Haus. Er wohnte wirklich abgelegen. Soweit ich das beurteilen konnte, hatte er auf einem Kilometer Umfeld keine Nachbarn. Wirklich gut. Das kleine Haus, in dem er wohnte, war eher im westlichen Stil erbaut worden. Es gab nur wenige japanische Elemente. Ich drückte die Klingel und stellte dann erst einmal meine Reisetasche und meine Laptoptasche auf den schneefreien Weg. Meine Arme und Schultern taten mir schon weh. Ich wartete, aber nichts passierte. Ich klingelte noch einmal und trat währenddessen von einem Bein aufs andere, um mich etwas warm zu halten. Wieder kam niemand. Verdammt. Zu Hause war er, schließlich drang leise Musik an meine Ohren. Ich seufzte und zog mein Handy aus der Tasche. Die Musik war wahrscheinlich nur hier draußen nicht so laut. Hoffentlich hörte er wenigstens das Telefon. „Aaran Lennox“, meldete er sich relativ schnell. Kurz davor war die Musik ausgegangen. „Hier ist Seto Kaiba“, sagte ich. „Öffnen Sie ihre Haustür!“ „Seto“, erwiderte er verwundert, aber ich hörte, dass er sich freute. „Warum soll ich die Tür aufmachen? Draußen ist es kalt.“ „Da haben Sie allerdings recht“, antwortete ich und konnte kaum das Zähneklappern unterdrücken. „Öffnen Sie schon die Tür!“ „Geht’s dir nicht gut?“, fragte er. Im Hintergrund hörte ich, dass er sich bewegte. Na, geht doch! „Du sprichst durch die Nase.“ „Erkältung“, sagte ich nur, obwohl ich wusste, dass es bald wohl etwas mehr sein würde. „Oh“, klang es aus dem Telefon. Einen Moment später öffnete sich die Tür und er blickte mich verwundert an. Wieder kam ein „Oh“ über seine Lippen. Er sah mich sprachlos aus großen Augen an. „Kann ich reinkommen?“, fragte ich ein wenig genervt. „Oh ... Entschuldigung. Klar, komm rein.“ Mister Lennox machte den Weg frei und ich beeilte mich, schnellstmöglich ins Warme zu kommen. „Was machst du hier?“, fragte er. Es klang erfreut. „Ich saß am Flughafen fest und habe bemerkt, dass Sie in der Nähe wohnen.“ „Und da hast du dich an meine Einladung erinnert?“ Es klang mehr wie eine Feststellung als eine Frage. „So in der Art“, erwiderte ich ungenau. Meine Beweggründe wollte ich ihm lieber nicht offen legen. Meine Antwort schien er als Bestätigung zu sehen, denn er ging nicht weiter darauf ein, sondern fragte: „Ich war gerade dabei, etwas zu Essen zu machen. Willst du auch?“ „Vorher würde ich gerne duschen“, sagte ich. „Ja, klar. Komm mit. Du siehst echt durchgefroren aus.“ Mister Lennox ging den Flur entlang und wenig später die Treppe hinauf. Ich nahm meine Reisetasche und folgte ihm auf tauben Füßen. Es wurde Zeit, dass ich mich wieder aufwärmte. Im Bad gab er mir zwei Handtücher und erklärte mir den Weg in die Küche. Dann ließ er mich allein in dem geräumigen Raum zurück. Ich entledigte mich meiner nassen Kleidung und stieg in die Dusche. Bestimmt fünf Minuten ließ ich das heiße Wasser nur auf meinen Körper prasseln. Danach waren selbst meine Füße warm, auch wenn sie jetzt kribbelten, als stände ich in einem Ameisenhaufen. Ich wusch mich schnell, trocknete mich ab und zog mich an. Gut, dass ich immer mehr Kleidung mitnahm, als ich normalerweise brauchte. Als ich die Küche betrat, roch es dort schon nicht schlecht. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Kein Wunder, dass ich hungrig war. Ich hatte seit heute Morgen nichts mehr gegessen. „Es gibt Sahnekartoffelauflauf mit Steak. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass es nichts Japanisches ist“, sagte er und warf mir einen kurzen Blick über die Schulter zu. „Nein, das ist schon in Ordnung“, antwortete ich und musste kurz darauf niesen. Na prima. Langsam hatte ich wirklich genug davon. Und der Gedanke, dass es noch schlimmer werden würde, war alles andere als aufbauend. Ich setzte mich an den Küchentisch – auf den Stuhl nahe dem Mülleimer – und blickte mich um. Ebenso wie das Bad war die Küche gut eingerichtet. Geschmackvoll und wie ich schätze relativ hochwertig. Ich musterte ihn. Wie hatte er sich dieses Haus samt Einrichtung leisten können? Er musste sich ziemlich verschuldet haben. Seltsam, dachte ich, das sieht ihm gar nicht ähnlich. Direkt wollte ich nichts dazu sagen. Im Grunde ging es mich nichts an, aber es interessierte mich, weil es nicht ins Bild passte. Dank der Wette wusste ich nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Bisher hatte ich mir nicht überlegt, wie ich ihn rumkriegen wollte. Aber es erschien gar nicht so dumm, eine geringere Distanz zuzulassen. Außerdem musste ich mehr über ihn erfahren. Je besser ich ihn kannte, desto leichter würde es sein, ihn zu verführen. „Wie haben Sie dieses Haus gefunden?“, fragte ich und musste schon wieder niesen. Meine Nase begann zu laufen. Geistesgegenwärtig warf Mister Lennox mir eine Packung Taschentücher zu. Ich hatte es inzwischen wirklich satt. Seit mehreren Tagen musste ich mir ständig die Nase putzen und ohne Nasenspray war ich gar nicht erst irgendwo hingegangen. „Das hab ich meiner Schwester zu verdanken“, sagte er und grinste mich über die Schulter an. „Keine Ahnung, wie und wo sie es aus den Immobilienangeboten ausgegraben hat. Ich bekam nur irgendwann das Angebot vor die Nase gehalten.“ Mister Lennox lachte. Er stellte den Herd ab, und begann den Tisch zu decken. „Es war auf jeden Fall typisch für sie – etwas zu finden, was sehr genau meinen Geschmack traf, aber viel zu teuer war. Wäre sie nicht gewesen hätte ich es weder gefunden noch gekauft.“ Seine Schwester unterstützte ihn also. Damit lag die Sache etwas anders. „Was ist mit Ihren Eltern?“, fragte ich. „Haben sie nichts dagegen gesagt? Das ist doch für Sie und Ihre Schwester mit Sicherheit ein nicht geringes Risiko.“ Während er die Auflaufform auf den Tisch stellte, seufzte er. Da war irgendetwas an dem Thema über das er nicht gerne sprach. „Nein und nein“, sagte er schließlich und reichte mir einen Teller, auf dem schon ein Steak lag. „Tu mir den Gefallen und hör bei mir zu Hause mit diesem albernen ‚Sie‘ auf. In der Schule mag das ja angebracht sein, aber hier kommt es mir absolut lächerlich vor.“ „Wenn du meinst“, sagte ich nur und er lächelte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mir das „Du“ anbieten würde, aber es war ein gutes Zeichen. „Es ist kein Risiko für uns“, erklärte er dann. „Und selbst wenn es eins gewesen wäre und unsere Eltern protestiert hätten, wäre es meiner Schwester ziemlich egal gewesen. Sie hat schon früh gegen unsere Eltern rebelliert. Ich war zwar auch irgendwann mit ihren Wertvorstellungen und Erziehungsidealen nicht mehr einverstanden, aber ich hielt es für klüger, es nicht offen mit ihnen auszutragen. Letztendlich war ich aber doch derjenige, der den Vogel abgeschossen hat.“ Er lächelte leicht. „Meine Eltern sind abgedreht, als ich ihnen erzählt habe, dass ich schwul bin. Ich habe danach erst einmal das Weite zu meiner Schwester gesucht. Sie meinte nur, dass ich ab jetzt bei ihr wohnen würde. Bevor sie in nächster Zeit noch auf meine Beerdigung müsste, würde sie mir lieber dabei helfen, meinen Kram aus unserem Elternhaus zu holen.“ „Und eure Eltern haben nichts dagegen gehabt?“, fragte ich, während ich mir Mineralwasser einschenkte. „Nein. Sie haben ihre staatlichen Verpflichtungen erfüllt und damit war’s erledigt. Ich glaub, ich war für sie in dem Moment gestorben, als sie bemerkt haben, dass ich nicht der Mustersohn war, den sie wollten. Seit dem Tag haben wir kaum miteinander gesprochen. Nur auf der Beerdigung und Testamentseröffnung meiner Oma haben wir uns noch einmal gesehen. Da kam es auch prompt zu einem Streit über das Erbe“, erwiderte er. Der Tod seiner Großmutter schien ihn trauriger zu stimmen, als das Zerwürfnis mit seinen Eltern. Aber das Erbe war eine Erklärung dafür, warum er sich dieses Haus leisten konnte, auch wenn seine Schwester ihn noch dabei unterstützen musste. „Und das Zusammenleben mit deiner Schwester war unproblematisch?“, fragte ich zwischen zwei Bissen Kartoffelauflauf – der nebenbei erwähnt wirklich gut war. „Na ja, am Anfang hat es schon öfter mal gekracht. Mel, also meine Schwester, war 19 und ich war 16, als wir zusammenzogen. Wir waren beide ziemlich selbstständig und beide relativ risikoreich – frei nach dem Motto ‚Wer nicht wagt, der nicht gewinnt‘ –, aber in unterschiedlichen Bereichen und dadurch wirkten wir regulierend aufeinander. Als wir das erst einmal eingesehen hatten, gab’s seltener Streit, auch wenn wir es bei bestimmten Dingen nicht gerne sahen, wenn uns der andere reingeredet hat. Aber im Grunde war das Zusammenleben klasse. Als ich dann ausgezogen bin, war das in der ersten Zeit echt hart für uns. Wir hatten uns ziemlich daran gewöhnt, dass der andere da war“, erklärte er, während ich ein weiteres Taschentuch aus der Packung zog. Meine Nase lief schon wieder. „Dich hat es aber ziemlich erwischt“, stellte Aaran fest. „Wo hast du dir das eingefangen?“ „Wahrscheinlich draußen beim Badminton spielen mit meinem Bruder“, erwiderte ich relativ offen. Zumindest was seine Frage anging. Dass der Spaß vermutlich gerade erst richtig los ging, verschwieg ich. Wenn es so war, würde er das noch früh genug merken. „Du spielst Badminton?“, fragte er überrascht nach. „Sagen wir mal so: Ich kann Badminton spielen. Das ist für meinen Bruder gleichbedeutet mit: Ich habe jemanden mit dem ich Badminton spielen kann. Und das wiederum heißt für ihn, wenn er an irgendetwas Spaß gefunden hat, dass er sich sofort einige Angestellte schnappt und mit ihnen das einkauft, was er haben will. Ich werde dann vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Ich hielt inne, drehte mich vom Tisch weg und nieste. „Im Grunde warte ich nur auf den Tag, an dem er sich über mein Verbot hinwegsetzt und mein Garten sich, wenn ich nach Hause komme, in ein Fußballfeld verwandelt hat.“ Aaran lachte. „Scheint so, als ob dein Bruder sportlich ziemlich aktiv wäre.“ „Er hat viel Energie“, erwiderte ich erst ausweichend, dann erinnerte ich mich daran, dass ich etwas offener hatte sein wollen. Kurz dachte ich darüber nach, ob es mir schaden konnte, kam aber zu dem Schluss, dass er es ruhig wissen konnte. „Nur leider hat er noch nichts gefunden, woran er dauerhaft Spaß hat. Und ich bin meistens der Leidtragende.“ Aaran legte fragend den Kopf schief. Als ich nicht fortfuhr, sagte er: „Aber du machst es gern für ihn.“ „Bis zu einem bestimmten Grad schon.“ Ich hatte selten Zeit für Mokuba, da machte ich ihm in den seltenen Fällen mit Vergnügen die Freude und spielte, was auch immer es gerade war, mit ihm. Und es wäre eine Lüge, wenn ich es als lästig betiteln würde. Ich machte gern etwas mit Mokuba zusammen und bestimmte Dinge waren sogar ganz spaßig, aber irgendwann war auch Schluss. „Du denkst an etwas Bestimmtes“, sagte er und lächelte. Da hatte er allerdings recht. Das Stichwort war der letzte Urlaub. „Im Urlaub ist es am Schlimmsten. Skifahren, snowboarden, rodeln, Schlittschuhlaufen. Wandern, klettern, Mountainbiking, Paragliding. Paddeln, rudern, segeln, Wasserskifahren. Er will immer alles ausprobieren und dabei übernimmt er sich gerne. Derjenige, der das jedes Mal ausbaden darf, bin ich.“ „Du denkst an etwas Bestimmtes“, wiederholte er grinsend. „Du bist auch überhaupt nicht neugierig“, sagte ich. In meiner jetzigen Situation erschien es mir angemessen. Es war etwas, das eine gewisse Nähe vermittelte. So wie es von mir erwünscht war. „Absolut nicht!“ Das Grinsen hielt sich hartnäckig in seinem Gesicht. Aber irgendwie störte es mich nicht so, wie es vielleicht sollte. „Letztes Jahr im Sommer. Mokuba wollte unbedingt zu einer Insel hinaus paddeln. Auf dem Rückweg war er schließlich mehr damit beschäftig die Landschaft zu bestaunen, als zu paddeln. Und dann musste ich mir auch noch allen Ernstes anhören, dass ich mich doch mehr anstrengen sollte, wir führen ja so schief.“ Aaran lachte. „Und was ist für den nächsten Urlaub geplant?“ „Tretbootfahren und surfen“, sagte ich nur. Wäre es nicht Mokuba, hätte ich mir mit Sicherheit schon einen Plan überlegt, den Urlaub zu umgehen. „Surfen ist echt spaßig!“, erklärte er und ich konnte einen freudigen Glanz in seinen Augen erkennen. „Dann siehst du also nicht nur aus wie ein Surfer.“ Aaran blinzelte. „Was für ein Aussehen ist denn deiner Meinung nach typisch einen Surfer?“ „Groß, athletisch, braungebrannt“, zählte ich auf und fügte im Hintergedanken an die Wette hinzu: „Selbst wenn man das amerikanische Soup-Klischeé – blond und gutaussehend – noch dazu nimmt, trifft es immer noch exakt auf dich zu.“ Ich hatte erwartete, dass er grinsen würde. Aber im ersten Moment wurde er nur etwas rot um die Nase und schaute auf seinen Teller. Er wirkte ein wenig verlegen, aber ebenso geschmeichelt. Das war doch schon einmal ein gutes Zeichen. „Hm“, meinte er und blickte mich, den Kopf auf einer Hand abgestützt, lächelnd an. „Wenn du das sagst.“ „Ist Surfen bei euch in der Gegend Usus?“ „Na ja, es gibt in Miami schon viele Surfer, aber als Brauch oder so würde ich es nicht bezeichnen. Wassersport bietet sich eben an und da macht jeder das, was ihm Spaß macht.“ Für mich würde es wahrscheinlich kein Spaß werden. Da konnte ich mir sehr sicher sein. Ich würde immer ein wachsames Auge auf Mokuba haben müssen. „An deiner Stelle würde ich mir nicht so viele Gedanken machen. Ich bin mir sicher, du bekommst das hin! Wenn man keine verrückte Schwester hat, kann da nicht allzu viel danebengehen.“ Er grinste und ich erkannte, dass er eine ganz bestimmte Situation im Kopf hatte. Dieses Mal war ich es, der nachbohrte, was ihn zum Lachen brachte. „Mel hat es nicht so mit dem Surfen und da nimmt sie mich gerne mal auf die Schüppe“, sagte er und grinste schief. „Aber das ist nach der Situation, an die ich gerade denken musste, auch besser geworden. Damals hat sie „AARAN, ATTENTION. WAVE. WOOH. BIG WAVE“ über den halben Strand geschrien. Im ersten Moment war ich total verdutzt und musste dann so lachen, dass mich die Welle natürlich prompt erwischt hat. Und Lachen unter Wasser kann ich dir wirklich nicht empfehlen. Ich hab danach ne Weile gehustet, bis ich das ganze Wasser wieder ausgespuckt hatte, und das war Mel wohl ne Lehre, mich nicht unbedingt dann zu verarschen, wenn ich surfe.“ „Aber du nimmst es mit Humor“, stellte ich fest. Eine Bemerkung, die ich normalerweise nicht gemacht hätte. Aber unter diesen Bedingungen konnte es nur förderlich sein. „Na ja, es ist platt – wirklich platt, aber in dem Moment kam es echt gut“, sagte er schulterzuckend. Es war erstaunlich, wie einfach es war, Aaran gegenüber offener zu sein. Wir sprachen über alles Mögliche: unsere Interessen, unsere Berufe, unsere Ausbildung und nicht zu knapp über unsere Familie. Vieles davon waren Dinge, über die ich sonst nie sprach, es nun zu tun, verbreitete mir seltsamerweise kein Unbehagen. Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, sagte Aaran: „Ich hoffe, du willst keinen Film gucken oder Musik hören. Meine Geräte sind nämlich noch nicht angeschlossen.“ „Du hast vorhin Musik gehört“, erwiderte ich. Und zwar so laut, dass du die Klingel nicht gehört hast, fügte ich in Gedanken missmutig hinzu. Er zeigte auf ein kleines Radio auf einem Schrank hinter mir. „Für die Küche ist es okay, da hab ich nicht ganz so große Ansprüche an den Sound.“ Ich hob eine Augenbraue. Er legte Wert auf guten Klang einer Musikanlage. Damit hatte ich nicht gerechnet. Im Grunde hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht. Aber viele Leute hörten inzwischen nur noch über MP3-Player oder den Computer Musik. Davon abgesehen hatte die Allgemeinheit auch früher nicht sehr große Ansprüche an den Klang gestellt. Hauptsache Musik schien das Motto zu lauten. Etwas, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. „Warum hast du deine Anlage dann noch nicht angeschlossen?“, fragte ich. Aaran lächelte verlegen. „Mel ist der Technikfreak. Bisher konnte ich mich immer auf sie verlassen. Aber wir hatten hier im Haus so viel zu tun, dass am Ende ihres Urlaubs noch gar nicht daran zu denken war, irgendwelche technischen Geräte auszupacken. Tja, ich hab sie zwar inzwischen an ihren Platz gestellt, aber ich fühlte mich schon überfordert, als ich nur in die Kiste mit den Anschlusskabeln gesehen hab.“ Er kratzte sich am Kopf. „Soll ich mir das mal ansehen?“, bot ich an. „Öhm ... gern“, erwiderte er etwas überrumpelt, „wenn es dir keine Umstände macht.“ Ich schüttelte den Kopf und er führte mich begeistert ins Wohnzimmer. Er hatte wirklich gute Geräte, stellte ich anerkennt fest. Zumindest für das Geld, das ihm wohl zur Verfügung stand. Für Technik galt das gleiche, wie für alles andere auch: Nach oben gab es preislich kaum ein Limit. Die nächste Zeit verbrachte ich damit auf dem Boden herumzukriechen, und mir die Anschlüsse seiner Geräte anzusehen, um mir dann die richtigen Kabel zu suchen. Auch hier war kein Schund gekauft worden. Seine Schwester schien wirklich etwas davon zu verstehen. Dass Aaran das nicht tat, zeigte sich schnell. Liebhaber guten Klangs, aber keine Ahnung von der Technik. Ts. Zumindest gab er das offen zu. Als ich endlich fertig war, streckte ich mich erst einmal auf dem Sofa aus. Das hatte länger gedauert, als gedacht ... was vermutlich daran lag, dass ich mir alle paar Minuten die Nase putzen musste. Nervig. Ich seufzte leise. Mir war warm, wärmer, als mir eigentlich sein sollte. Na riesig. Wahrscheinlich hatte ich Fieber. Selbst brauchte ich gar nicht zu versuchen, zu fühlen, ob ich recht hatte ... aber Aaran war schließlich auch noch da. Ich glaube, das kann ich wagen, dachte ich und konnte mir das Grinsen kaum verkneifen. Er bedankte sich bei mir und ließ mich dann die Musik auswählen. Einen Moment überlegte ich, abzulehnen, einfach um nicht aufstehen zu müssen, aber es schien ihm auf irgendeine Art etwas zu bedeuten, mich entscheiden zu lassen, so dass ich es für unklug hielt, Nein zu sagen. Ich wählte eine Platte von Elton John und eine Weile lauschten wir nur stillschweigend der Musik. Irgendwann fragte er, ob ich noch etwas trinken wollte. „Wasser“, sagte ich, wohlwissend, dass er am Sofa vorbei musste, wenn er in die Küche wollte. Als er bei mir war, hielt ich ihn am Arm fest und schob seinen Pullover ein Stück nach oben. Aaran blickte mich verwundert an und ich sah, wie sich eine leichte Röte auf seine Wangen legte. Prima. Ich zog sein Unterarm zu mir hinunter, strich mit ihm meinen Pony zur Seite und legte ihn auf meine Stirn. Überrumpelt ließ er alles geschehen. Einen Moment nach dem sein Arm meinen Kopf berührte, wurde sein Blick besorgt. „Du hast Fieber“, sagte er. „Dachte ich mir“, erwiderte ich leise und ließ seinen Arm los. Als er ihn zurückzog, fuhr seine Hand wie zufällig durch mein Haar. Allerdings hatte ich die Vermutung, dass es unter voller Berechnung geschah. Das stimmte mich zufrieden, zumal mir die Berührung, so einfach sie war, gefiel. „Vielleicht solltest du dich schlafen legen“, meinte ich, obwohl wir noch gar nicht darüber gesprochen hatte, wo ich schlafen sollte. „Vielleicht“, antwortete ich vage. Vielleicht solltest du mir Gesellschaft leisten, lag mir auf der Zunge, doch es war noch nicht angebracht. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht nachvollziehen konnte, gefiel mir allerdings der Gedanke, dass er das tun würde. „Na ja, ich hol dir erst einmal das Wasser“, murmelte er und fuhr sich durch die Haare. Es schien so, als hätte er Schwierigkeiten, von mir los zu kommen. Ich grinste leicht, als er ging. Anscheinend hatte Duke recht: Aaran Lennox war in mich verliebt. Nachdem Aaran weg war, wurde mir langsam schlecht. Ich atmete tief durch und versuchte die wachsende Übelkeit zu unterdrücken. Es gelang mir nicht. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie von einer Krankheit kam. Auch das noch, dachte ich und rannte zur Toilette. Gut, dass ich Aaran vorhin schon gefragt hatte, ob es im Erdgeschoss ein Badezimmer gab. Dort kam ich gerade noch rechtzeitig an. Ich erbrach mich. Mehrmals. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Mein Hals brannte. Ich drückte die Spülung. „Da hast du dir aber etwas eingefangen“, sagte Aaran, was mich zusammen zucken ließ. Ich hatte ihn vorher gar nicht bemerkt. Mühsam wand ich den Kopf. Er sah besorgt aus. In einer Hand hielt er ein Glas Wasser. „Willst du dir den Mund ausspülen?“ Ich vertraute meiner Stimme nicht und nickte daher nur. Er reichte mir das Glas und ich nahm zittrig einen Schluck und befreite meinen Mund soweit es ging vom widerlichen Geschmack nach Erbrochenem. Aber ich merkte, dass das wohl nur von kurzer Dauer sein würde. Mit wurde wieder flau im Magen und wenig später hing ich abermals würgend über der Toilette. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte Aaran. „Nein“, brachte ich hervor. Meine Stimme war total kratzig. Die gesamte Situation war erbärmlich. „Okay“, murmelte er und ich konnte hören, wie schwer es ihm fiel. Aber er schien zu begreifen, dass es für meinen Stolz nicht im Geringsten förderlich war, wenn mir jemand beim Übergeben zusah. Er ging. Es dauerte eine Weile bis ich meinen gesamten Mageninhalt in die Kanalisation befördert hatte. Inzwischen lag ich auf dem Boden vor der Toilette. Ich wusste nicht, ob ich die kühlen Fliesen als Wohltat bezeichnen sollte. Mal war mir zu warm, kurz darauf fror ich. Das Glas war leer. Der Geschmack in meinem Mund regte schon fast dazu an, sich noch einmal zu erbrechen. Aber mein Magen hatte sich beruhigt. Trotzdem fühlte ich elend. Schwach. Meine Glieder waren schwer – schmerzten. Meine Nase war verstopft und rief Kopfschmerzen hervor. Ich schloss die Augen. Ich hatte das Gefühl, mich keinen Millimeter bewegen zu können. Einmal davon abgesehen, dass ich das gar nicht wollte. Schlafen, ich wollte einfach nur schlafen. „Seto“, hörte ich im Halbschlaf. Nur am Rande realisierte ich, dass es Aaran war. Eine Bewegung ging durch meinen Körper. Eine Seite berührte etwas Warmes. Träge blinzelte ich und bemerkte, dass er mich trug. „Schlaf ruhig“, sagte er sanft, während er mich auf etwas Weichem – einem Bett – ablegte. „Ich kümmere mich um dich!“ Es beruhigte mich. Irgendwie. Ich schloss wieder die Augen. Meine Lieder waren so schwer. „Schlaf, das wird dir gut tun!“, hörte ich von weit weg und ich glaubte eine sachte Berührung an meiner linken Wange zu spüren. So wie ... ein hauchzarter Kuss. Kapitel 4: Wettskandal ---------------------- Hallo! Ja, es geht endlich weiter! Sorry, dass es so lange gedauert hat, aber irgendwie kam ich an einem Punkt nicht mehr weiter. Ich hoffe, das Kapitel gefällt euch! Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra --- Kapitel 4: Wettskandal Rasende Kopfschmerzen weckten mich. Ich wollte meine Augen öffnen, aber die Lider schienen bleischwer zu sein. Bei einem Versuch bemerkte ich, dass sie zudem ein wenig verklebt waren. So wie meistens, wenn ich aufwachte. Nur dieses Mal behinderte es mich. Ich zog meine Hand unter der Decke hervor und stellte erst in diesem Moment fest, dass ich mich nicht recht erinnern konnte, wie ich ins Bett gekommen war. Während ich mir träge den Schlaf aus den Augen rieb, dachte ich nach. Es dauerte einen Moment, bis mir wieder bewusst wurde, dass Aaran mich aus dem Bad getragen hatte ... mit dem Versprechen sich um mich zu kümmern. Letztendlich gelang es mir doch die Lider zu heben. Ich musste blinzeln. Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an das – zugegebenermaßen schwache – Licht. Als ich endlich klar sehen konnte, blickte ich auf ein kleines Nachtschränkchen, auf dem mehrere Tablettenschachteln, mein Nasenspray und ein Glas sowie eine Karaffe Wasser standen. Ich setzte mich auf, wobei mir deutlich vor Augen geführt wurde, warum ich im Bett lag. Diese einfache Bewegung bedurfte einer enormen Kraftanstrengen, da sowohl Muskeln und Kreislauf protestierten. Ich fühlte mich elendig schwach. Aus dem Tablettenaufgebot suchte ich mir die Paracetamol heraus. Gegen Kopfschmerzen, Fieber und wer weiß, was sonst noch alles, was mich gerade belästigte. Ich spülte sie mit einem großen Schluck Wasser hinunter und leerte das restliche Glas. Das half ein wenig gegen den fürchterlichen Geschmack, den ich bis dato im Mund gehabt hatte. Danach ließ ich mich kraftlos zurück in das Kissen sinken, ... obwohl es fast so war, als gäbe es kein Kissen. Ich seufzte. Ich hasste diese labberigen Dinger, die mehr Luft als Federn zu beinhalten schienen. Das wird Nackenschmerzen geben, dachte ich und mühte mich ab, dass Kissen in eine halbwegs kompakte Form zu bringen, um nicht allzu große Verspannungen zu bekommen. Allerdings musste ich feststellen, dass es nicht sonderlich viel brachte. Statt einem Zentimeter Kissen lagen jetzt vielleicht sechs zwischen meinem Kopf und der Matratze. Umwerfend. Ich verstand wirklich nicht, was so viele Leute diesen Teilen abgewinnen konnte. Genervt drehte ich mich um. Vielleicht half es etwas, wenn ich versuchte beide Seiten abwechselnd zu belasten. Erst jetzt wurde ich mir der Ausmaße des Bettes bewusst – 1,40 Meter war es bestimmt breit. Jedenfalls hatte Aaran die ganze Zeit neben mir gesessen, ohne dass ich ihn bemerkt hatte. Er schlief – in der Ecke des Bettes mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Auf den ausgestreckten Beinen lag ein Buch, das er immer noch locker in den Händen hielt, und auf das eine kleine Lampe gerichtet war, die auf der Fensterbank stand. Sie war die einzige Lichtquelle im Raum. Da ich im Moment so oder so nicht wieder einschlafen würde, also nichts Besseres zu tun hatte, nutzte ich die Möglichkeit, ihn einmal gründlich zu mustern. Er trug eine Brille. Ich hatte nicht gewusst, dass er zum Lesen eine brauchte. In der Schule hatte er nie eine aufgehabt. Sie war ihm bis auf die Nasenspitze hinuntergerutscht und verlieh ihm etwas Belesenes, auch wenn die Position seine Nase unvorteilhaft betonte. Diese war, auch ohne Brille die sie platt drückte, ein wenig zu klein für sein Gesicht. Aber wahrscheinlich hätte sie selbst wenn sie größer gewesen wäre, ebenso deplatziert gewirkt, eine Stupsnase passte nicht so recht in ein sonst absolut männliches Gesicht. Sein widerspenstiges Haar stand ihm noch unordentlicher vom Kopf ab als sonst auch schon. Er trug ein helles, knitteriges Hemd und eine wohl schon etwas ältere Jogginghose. Insgesamt vermittelte er ein wenig Ähnlichkeit mit einem verrückten Professor. Letztendlich blieb mein Blick an seinen Beinen hängen. Lang und kräftig. Ich könnte ... aber durfte ich mir das schon erlauben? Nicht, dass ich jetzt schon eine Grenze überschritt. Mein Nacken spannte und mein Kopf tat weh. Entgegen meiner Natur hatte ich keine Lust, weiter darüber nachzudenken. Was soll’s, dachte ich, es wird schon schief gehen. Kurzentschlossen griff ich das labberige Kissen und knüllte es in Aarans Schoß zusammen. Nachdem ich mich mühsam aufgerichtet hatte und die Lampe ausgeknipst hatte, bettete ich meinen Kopf in eine Kombination aus Kissen und Aarans Bein. Das war doch eindeutig besser. Auch wenn ich schon in wesentlich bequemeren und komfortablen Betten geschlafen hatte. Obwohl mein Geruchssinn durch die Erkältung eindeutig eingeschränkt war, stieg mir ein schwacher Pfirsichduft in die Nase. Ich drehte mich und schnupperte an Aarans Arm, der halb über meinem Kopf lag. Seine Haut verströmte den angenehmen Geruch. Es passte zu ihm, auch wenn ich nicht genau erklären konnte warum. Ich mochte Pfirsich. Korrektur: Ich hatte Pfirsich gemocht. Bis zu dem unsäglichen Abend, als ich mir mit Pfirsichsorbet einen angetrunken hatte. Allein der Gedanke daran verbreitete noch einen bitteren Nachgeschmack. Solch einen Fehltritt hatte ich mir lange nicht geleistet. Und wenn es nach mir ging, dann war es der letzte gewesen. So einen Schlamassel, wie den, in dem ich jetzt steckte, konnte ich wirklich nicht noch einmal gebrauchen. Aber war es nicht eine Ironie, dass der inzwischen verhasste Pfirsich nun wieder mit etwas Positiven belegt wurde? *** Ich hatte eine Weile gedöst und hätte es wohl noch ein wenig länger getan, wenn Aaran sich nicht zu regen begonnen hätte. Vielleicht war es das Gewicht auf seinem Bein, das in aufweckte. Jedenfalls erklang ein verschlafendes und verwundertes „Seto“. „Hm“, gab ich nur brummig von mir. Ich hatte keine Lust auf irgendeine Konversation. Ausruhen und schlafen, so hieß meine Devise. „Was tust du da?“ „Ich versuche zu schlafen“, erklärte ich, obwohl er das wahrscheinlich schon selbst erkannt hatte. Aber zu einer tiefergehenden Antwort schien ich im Moment nicht fähig zu sein ... und willens erst recht nicht. „Auf meinem Bein?!“ Er klang ein wenig angespannt. Vielleicht war ich ihm wirklich zu nahe gekommen. Aber ich sah keinen Anreiz darin, mich nur mit dem Kissen zu begnügen. Ich fühlte mich auch ohne Nackenschmerzen schaurig genug. „Mhm.“ Ich wollte mich darauf beschränken, doch dann kam mir in den Sinn, dass es wahrscheinlich helfen würde, die Situation etwas aufzulockern. „Wann hast du Geburtstag?“ „Äh ... erster Juli“, erklärte er verdattert. „Dann schenk ich dir zu Weihnachten ein neues Kopfkissen.“ Einen Augenblick herrschte Schweigen. Aaran schien zu begreifen, wo mein Problem lag. „Du hast also Schwierigkeiten mit dem Kissen. Ich kann mal gucken, ob ich ein anderes finde.“ Er wollte die Beine zu sich heranziehen und ich ahnte, dass er im Begriff war aufzustehen. Also schlang ich instinktiv meine Arme um eins seiner Beine. Das kam überhaupt nicht in Frage. „Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist“, sagte Aaran sanft. Ich hörte, dass er über meinen Unmut lächelte. „Es ist gut so!“, versicherte ich. „Seto“, meinte er eindringlich, „ich bin schwul!“ „Ja und?“ Nicht, dass ich nicht wusste, worauf er hinaus wollte. Nur war es mir egal. Es war schlicht und ergreifend nicht von Belang. „Siehst du eigentlich mal in den Spiegel. Wenn ja, sollte dir aufgefallen sein, wie gut aussehend und anziehend du bist.“ „Ja und?“ Ich seufzte innerlich. Warum begriff er nicht, dass ich auch auf Männer stand und es mir, davon mal abgesehen, im Moment eh nur darum ging, angenehm schlafen zu können. „Ich denke, ich bekomm ein kleines Problem!“ Da sah also er die Problematik. Tja, dann sollte ich wohl mit dem Laternenmast winken. „Glaub ich nicht! Und wenn, dann kümmere ich mich darum.“ „Seto! Weißt du überhaupt, was du da redest?“ Verstand er es nicht oder wollte er es nicht verstehen? Den richtigen Schluss zu ziehen, war so schwierig nun auch wieder nicht. „Du bist nicht der Einzige.“ Ich seufzte innerlich. Musste ich denn so deutlich werden? „Der Einzige?“, fragte er verwirrt. ... Sag mal, sprech ich Spanisch? Willst du mich verhöhnen?, war ich versucht zu fragen, hielt es allerdings für kontraproduktiv. „Du bist nicht der Einzige, der mich attraktiv findet. Der mich begehrenswert findet. Der schwul ist.“ „Oh“, kam daraufhin nur über seine Lippen. Er schien es endlich begriffen zu haben. Wurde aber auch Zeit. Damit war die Sache für mich geklärt und ich machte es mir demonstrativ auf seinem Bein gemütlich. „Seto“, sagte er resigniert und seufzte, „hab ich denn wenigstens die Erlaubnis, mich kurz frisch zu machen und mir etwas zum Frühstück zu holen?“ Da konnte ich ja wohl schlecht Nein sagen, auch wenn ich mich am liebsten nicht mehr vom Fleck bewegen wollte. Ich rückte wieder ein Stück von ihm weg und knautschte missmutig das Kissen zusammen. Viel brachte es nicht. Aaran lachte leise. Schön, dass sich wenigstens einer amüsiert, dachte ich sarkastisch und warf ihm einen kalten Blick zu, der ... sein Ziel jämmerlich verfehlte. Aaran lachte nur noch mehr. „Soll ich nicht doch mal gucken, ob ich nicht noch ein anderes Kissen finde?“, fragte er und strich mir liebevoll – wie kam ich denn darauf? – über die Wange. Ich nickte nur und er kletterte über mich hinweg aus dem Bett. Jedoch machte er sich nicht gleich auf die Suche nach einem Kissen, sondern zog erst einmal den Rollladen hoch und stellte das Fenster auf kipp. Licht und vor allen Dingen kalte Luft strömten ins Zimmer. Ich zog automatisch die Decke noch etwas enger um mich. „Es schneit schon wieder“, stellte Aaran etwas besorgt fest. „Es wird Zeit, dass wieder Frühling wird!“, erwiderte ich nur. Da wurde ich zumindest nicht so schnell krank und konnte mich ohne vom Wetter diktierte Einschränkungen bewegen. „Für Manche ist jetzt schon Frühling!“, sagte Aaran und lächelte hintergründig. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er nicht andere Regionen der Erde meinte. Ich schnaubte. „So verliebt, dass einen dieses Wetter nicht tangiert, kann man nicht sein!“ „Meinst du?“, fragte er und ging aus dem Zimmer. Ich runzelte die Stirn. War das eine Andeutung? ... Ich wollte nicht darüber nachdenken, dazu waren die Kopfschmerzen zu stark. Auf Negatives deutete es jedenfalls nicht hin. Eine viertel Stunde später hatte ich zumindest ein halbwegs akzeptables Kissen – nicht, dass ich vorhatte es zu benutzen, wenn Aaran da war – und außerdem wurde mir ein Becher dampfenden Tees vor die Nase gehalten. Ich schnupperte, war aber nicht in der Lage zu erkennen, was für einer es war. „Du musst viel trinken“, meinte Aaran nur. Ich setze mich mühsam auf und nahm ihm den Becher ab. Ich pustete mehrmals über das heiße Gebräu und trank dann vorsichtig. Selbst schmecken konnte ich nicht, was für eine Sorte es war. Während ich Schluck für Schluck den Tee trank, aß Aaran sein Frühstück. Ich schielte auf das Essen, wusste aber genau, dass ich lieber bei Flüssigem blieb. Ich hatte nicht das Bedürfnis, noch einmal über der Kloschüssel zu hängen. „Sag mal“, sagte Aaran irgendwann und es fiel mir schwer, seinen Ton zuzuordnen, „läuft da etwas zwischen dir und Duke?“ Überrascht blickte ich zu ihm hinüber. Mit der Frage hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Mir war nicht einmal in den Sinn gekommen, dass man unser Verhalten im Umgang miteinander so interpretieren konnte. „Wie kommst du denn auf die Idee?“, fragte ich deshalb. „Heißt das ‚Nein‘?“, stellte er die Gegenfrage. Sollte das bedeuten, dass er herausfinden wollte, ob ich vergeben war? „Es impliziert ‚Nein‘“, erwiderte ich und beobachtete seine Reaktion. Er schien erleichtert. Das war eindeutig ein gutes Zeichen. Vielleicht sollte ich es erwidern. Von Nachteil konnte es nicht sein. „Und hast du einen Freund?“, fragte ich also, obwohl ich die Antwort kannte. „Nein“, antwortete Aaran. In seiner Stimme klang etwas Sehnsüchtiges mit. „Aber einen in Aussicht?“, hakte ich nach. „Schwer zu sagen“, erwiderte er lachend, anscheinend über meine Formulierung. „Und kannst du die Frage mit Ja beantworten?“ „Natürlich“, meinte ich nur und er sah mich ungläubig an. Gleichzeitig war da eine gewisse Niedergeschlagenheit. „Es gibt immer jemanden, der mit mir zusammen sein will!“, setzte ich erklärend hinzu. Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. „Das zählt nicht“, bestimmte er und schob sein Frühstücksgeschirr auf die Fensterbank. Darauf hatte ich gewartet. Ehe Aaran widersprechen konnte, hatte ich sein Bein wieder zum Kopfkissenersatz degradiert. Ich hörte ihn seufzen, aber ansonsten war kein Protest zu vernehmen. Auch wenn ich es nicht gerne sah und mich jedes Mal wieder darüber ärgerte, ich konnte mein Verhalten kaum ändern. Wenn ich krank war, benahm ich mich wie ein trotziges, mürrisches Kind. Ich hasste es wirklich. Aber genau wie gegen die Krankheit selbst, schien es mir nicht möglich etwas dagegen zu tun. Wahrscheinlich lag es am Kontrollverlust ... und der körperlichen Schwäche. Zwei Dinge, die ich absolut verabscheute. Aaran ertrug mich erstaunlich gut – mit einer Gutmütigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte. Wiederholt konnte ich erkennen, dass er in mich verliebt war. Eine gute Basis, aber auch jetzt, nachdem ich zwei Tage im Bett verbracht hatte, fühlte ich mich immer noch nicht wesentlich besser und schien körperlich nicht zu irgendwelchen „sportlichen Aktivitäten“ in der Lage zu sein. Inzwischen war Donnerstagabend. Mit anderen Worten: Ich hatte nur noch bis morgen Abend Zeit. Seufzend ließ ich mich noch tiefer in das warme Wasser gleiten. Um in Ruhe über die Problematik nachdenken zu können, hatte ich mich vor einer guten Viertelstunde entschuldigt, ein Bad nehmen zu wollen ... was auch wirklich angebracht war. Nachdem ich mich zwei Tage lang nur aus der Horizontalen begeben hatte, um zur Toilette zu wanken, war ich verschwitz, roch dementsprechend und meine Haare begannen fettig zu werden, was meine leicht juckende Kopfhaut eindeutig bewies. So gesehen war nicht einmal eine Ausrede. Aber zurück zu meinem Problem. Obwohl ich Dukes Formulierung des Wettinhalts in den letzten Wochen – in Hoffnung auf einen Ausweg – zur Genüge analysiert hatte, ging ich sie jetzt noch einmal durch. Und wieder kam ich zum selben Ergebnis: Um die Wette zu gewinnen, musste ich mit Aaran schlafen. Und ich war mir sicher, dass in meiner jetzigen körperlichen Verfassung allein der Versuch, nur mit einer Blamage enden konnte. Unwillkürlich knirschte ich mit den Zähnen. So schnell würde ich nicht aufgeben. Synonyme, dachte ich. Vielleicht fand ich darüber einen Ansatzpunkt, egal wie vulgär sie waren. Ficken, flachlegen, bumsen ... Ich stutzte, als mir plötzlich das Wort „aktiv“ in den Kopf schoss. Alle Wörter standen im Aktiv. ... So wie ich, sinnierte ich. Ich machte auch alle Dinge selbst oder wirkte zumindest aktiv an Prozessen mit. Nie ließ ich mir die Kontrolle aus der Hand nehmen. Passivität war schlecht. Automatisch bildete ich Passivkonstruktion zu den Wörtern ... ficken lassen, flachlegen lassen, bumsen lassen ... Ich rieb mir meine müden Augen und dachte mit gemischten Gefühlen an die entdeckte Möglichkeit. Es war ein Mittel, um die Wette zu gewinnen, aber es gefiel mir nicht. Es passte nicht zu mir. Absolut nicht. Deswegen hatte ich wohl bisher nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet. Die Entscheidung war eine Frage des Stolzes, stellte ich dämmrig fest. Worunter litt mein Stolz am wenigsten? Ich hatte drei Optionen. Nein, es waren zwei. Ihn zu dominieren hatte ich bereits ausgeschlossen. Also entweder nahm ich selbst den passiven Part ein oder ich trug in aller Öffentlichkeit meine „Wettschulden“? Tolle Entscheidungsmöglichkeiten, Seto, dachte ich sarkastisch und fragte mich gleichzeitig, wie ich in so einer brisanten Situation nicht hellwach sein konnte. Ich fühlte regelrecht, dass mir gleich die Augen zufallen würden. *** „Seto, Seto“, drang es aufgebracht an meine Ohren, gefolgt von einem Platschen. Ich spürte warme Hände an Schultern und Beinen, dann wurde es kalt. Verwirrt blinzelte ich und blickte in das besorgte Gesicht von Aaran. „Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt“, brachte er erleichtert hervor und strich mir über die Wange. Während ich noch registrierte, dass ich wohl in der Badewanne eingeschlafen war, hatte Aaran sich schon einen Bademantel vom Haken geangelt und begonnen ihn mir, erstaunlich geschickt, anzuziehen. Mir kam überhaupt nicht in den Sinn, dass er äußerst angebracht wäre, zu protestieren. In diesem Moment, stellte ich fest, war ich mir zum ersten Mal in den letzten Tagen wirklich Aarans Nähe bewusst. Seiner körperlichen Anziehung bewusst. Und das obwohl ich ihn schon eine Weile begehrenswert fand. Vielleicht war es die Krankheit, die mich abgelenkt hatte. Außer Frage stand, dass ich ihn jetzt, wo ich in sein liebevolles, besorgtes Gesicht blickte und gleichzeitig seine warmen Hände auf meiner Haut spürte, wollte. Aaran setzte mich auf der Toilette ab, zog den Stöpsel aus der Wanne und begann das übergelaufene Wasser vom Bode aufzuwischen. Ich beobachtete die flüssigen Bewegungen und sah zu, wie sich die Muskeln unter seiner Haut spannten und entspannten. Dieser Anblick sagte mir das gleiche, wie mein Körper, der an den Stellen, an denen er mich berührt hatte, zu brennen schien. Ich wollte ihn, egal wie. „Aaran“, flüsterte ich und bemerkte erst, als er zusammenzuckte, wie rau meine Stimme geklungen hatte. Ein wenig unsicher legte er das nasse Handtuch über den Badewannenrand und kam die paar Schritte zu mir hinüber. „Was ist?“, fragte er und begann, als ich nicht antwortete, vorsichtig, mit der Kapuze des Bademantels meine Haare trocken zu rubbeln. „Aaran“, flüsterte ich wieder und stellte zufrieden fest, dass sich auf seinen Armen Gänsehaut bildete. Ich versuch es, dachte ich, blickte in sein Gesicht und sah die Unsicherheit ... und die Lust. Ich legte meine Arme um seinen Nacken, zog ihn zu mir hinunter und küsste ihn. Seine Lippen waren warm und unerwartet weich, im Gegensatz zu meinen, die sich rau anfühlen mussten, so kaputt, wie sie waren. Entschlossen bewegte ich sie gegen die seinen und Aaran erwiderte den Kuss fast sofort. Nach kurzer erster Unsicherheit war sein Kuss sanft ... und absolut dominant. Wie auch immer er das machte, es ließ meinen Atem stocken. Doch dann löste er sich plötzlich von meinem Mund und richtete sich auf. Er schien Abstand gewinnen zu wollen, aber da meine Arme immer noch fest um seinen Nacken geschlungen waren, zog er mich nur mit. Ich lehnte mich gegen ihn und begann meine Hüfte an seiner zu reiben. Beide stöhnten wir auf. Meine Güte, fühlte sich das gut an. Ich spürte wie erregt er war. Es kam einem Wunder gleich, dass er es überhaupt geschafft hatte, kurz von mir wegzukommen. „Seto“, sagte Aaran und auch seine Stimme verriet, wie sehr er mich wollte. „Wenn jemand davon erfährt, bin ich meinen Job los“, brachte er mühsam hervor. Ich intensivierte meine Hüftbewegungen, blickte ihn aus halbgeschlossenen Augen an und leckte mir vorm Sprechen kurz über die zu einem lasziven Grinsen verzogenen Lippen. Allein das brachte seinen Widerstand augenscheinlich zum Bröckeln. „Wer soll das denn sein?“, fragte ich lustvoll. Die Bewegungen hinterließen auch bei mir ihre Spuren. Meine Lenden zogen beinahe schmerzhaft. Ich musste ihn so schnell wie möglich haben, sonst würde ich vor Hitze vergehen. „Hier mitten im Nirgendwo, während eines Schneesturms.“ Seine Augen verdunkelten sich, sein Blick war lustverschleiert. „Okay“, murmelte er und drückte mich gegen die nächstgelegene Wand. „Unter einer Bedingung.“ Ich nickte fahrig. Jede Bedingung war mir recht, solange er mich nur befriedigte. Aarans Hände wanderten unter den Bademantel, mein Oberschenkel hinauf und übten etwas unterhalb meines Pos sanften Druck aus. Ich verstand und schlang meine Beine um seine Hüfte. Unweigerlich musste ich stöhnen. Aarans Hände fuhren inzwischen über meinen Hintern und sandten damit heiße Schauer mein Rückgrat hinauf. Dann drückte er wieder zärtlich zu. Ich kippte meine Hüfte geradezu folgsam und schob sie noch ein Stückchen weiter hoch, sodass nun mein Po an seiner Erektion lag. Wieder stöhnten wir gleichzeitig auf. Scheiße, ist das gut, dachte ich und hatte das Gefühl mein Körper würde teilweise in Flamen stehen. „Warum bewegst du nicht wieder deine Hüfte?“, fragte Aaran rau, aber es war ganz eindeutig eine Aufforderung. Ich kam ihr gerne nach und setzte die Bewegungen, die ich, als er mich gegen die Wand gedrückt hatte, unterbrochen hatte, lustvoll stöhnend fort. Heiße Schauer jagten von meinem Hinterteil aus durch meinen ganzen Körper. Wie musste es erst sein, wenn er in mir war, dachte ich und klammerte mich an ihm fest. Ich hatte Schwierigkeiten meinen Rhythmus beizubehalten, so sehr brachte er mich um den Verstand. Aaran lachte leise. „Das gefällt dir ganz eindeutig“, flüsterte er mir ins Ohr und leckte einmal darüber, bevor er seine Arme um meinen Rücken schlang und uns in sein Schlafzimmer bugsierte. Er drückte mich in die Laken und befreite mich vom Bademantel. Und während er begann meinen ganzen Körper zu küssen, diktierten seine Hände meiner Hüfte einen langsamen Rhythmus. Scheiß drauf, dachte ich, selbst wenn ich morgen nicht sitzen können werde, das hier ist es wert. *** Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich immer noch erschöpft ... und unglaublich entspannt. Mein Kopf ruhte auf einer Kombination aus Kissen und Aarans Arm. Erstaunlich bequem. Er lag hinter mir, sein Kopf zwischen meinen Schulterblättern und sein Atem jagte mir warme und kalte Schauer über den Rücken. Seine Beine waren mit meinen verschränkt und sein anderer Arm lag über meinem Bauch und drückte mich besitzergreifend an ihn. Besitzergreifend klang miserabel, aber es fühlte sich bemerkenswert gut an. Sein warmer Körper an meinem. Aus einem plötzlichen Impuls heraus rückte ich noch näher zu ihm. Aaran quittierte das mit einem zufriedenen Brummen und strich federleicht über meinem Bauch. Abgesehen von der Erschöpfung fühlte ich mich gut. Auch wenn mir etwas sagte, dass ich mich für die letzte Nacht hassen sollte, konnte ich es nicht. Dazu hatte ich es zu sehr gemocht. Und Aaran schätzte ich auch nicht so ein, dass er mir daraus einen Strick drehen würde. Zugegebenermaßen, es klang erniedrigend. Aaran hatte mich absolut dominiert und mir hatte es gefallen, wie kaum etwas anderes in meinem Leben. Okay, ich fühlte mich ein wenig in meinem Stolz gekränkt. Aber immerhin hatte ich es so gewollt und immerhin hatte ich meinen Teil der Wette gewonnen. Und ich fühlte mich gut. Da konnte ich mich später mit der Aufarbeitung der Situation beschäftigen. Ich spürte wie sich Aarans Atemrhythmus veränderte. Anscheinend wachte er auf. Ich blieb ruhig liegen, wusste nicht, wie ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten sollte. Nach einem Moment hob er den Kopf, dann ließ er ihn wieder sinken und schmiegte sich an mich. Wahrscheinlich hatte er nur auf die Uhr gesehen. Es war schon nach elf, aber er schien noch nicht aufstehen zu wollen. „Seto“, meinte er irgendwann, „bist du wach?“ „Ja“, erwiderte ich nur. „Wie geht’s dir?“ „Gemessen an den Umständen, gut“, antwortete ich, konnte nicht ganz einordnen, was er mit der Frage bezweckte. „Welche Umstände?“, fragte er ein wenig unsicher. „Ich habe eine Grippe“, sagte ich nur. Ich verstand nicht, was das sollte. Es war ja offensichtlich. Erst als ich ihn aufatmen hörte, wurde mir klar, dass er gedacht hatte, ich könnte mögliche Folgen der letzten Nacht meinen. „Wird es denn schon besser?“, fragte er besorgt und hauchte einen sanften Kuss auf meinen Rücken. „Ja.“ Das stimmte glücklicherweise sogar. Trotzdem würde ich wohl noch mehrere Tage das Bett hüten dürfen. „Dann ist ja gu...“ Aaran brach ab, als ein „Dingdong“ durchs Haus hallte. Wir erstarrten beide. Das war die Klingel. „Scheiße“, fluchte Aaran nach dem dritten Klingeln. „Wer ist das denn?“ Ich spürte, dass er sich aufsetzte und anscheinend aufstehen wollte. Ich packte ihn am Handgelenkt. „Ignorier es!“, forderte ich. „Du riechst hundertprozentig nach Sex.“ „Auch wieder wahr“, murmelte er und ließ sich zurück neben mich sinken. Während das Klingeln immer schneller auf einander folgte, begann Aaran durch meine Haare zu kraulen. Trotz der beruhigenden Geste schlug mein Herz immer noch viel zu schnell. Wer war da so penetrant? Ein „Dingdong“ folgte auf das nächste und ich begann schon einmal mehrere Auswegmöglichkeiten durchzugehen. Viel fiel mir nicht ein. Mein Kopf war wie leergefegt. Aber was sollte schon passieren, wenn niemand aufmachte. Selbst wenn wir darauf später angesprochen wurden, konnten wir einfach behaupten, wir hätten geschlafen. Irgendwann war es dann wieder still. Aaran seufzte erleichtert und zog mich in seine Arme. Ich protestierte nicht. So hatte ich zumindest ein halbwegs akzeptables Kissen. Müde war ich schließlich immer noch. Ich hatte gerade die Augen geschlossen, da knarrte plötzlich die Schlafzimmertür. „Aaran?“, erklang eine weibliche Stimme. Es folgte eine kurze Pause. „Das ist ja interessant!“ Kapitel 5: Wettschuld --------------------- Hallo! Ja, mich gibt es noch. ^^ Tut mir Leid, dass es wieder so lange gedauert hat mit dem neuen Kapitel. Aber ich war fast meine gesamten Sommerferien weg, hatte also kaum Zeit zum Schreiben. Ich kann leider nicht garantieren, dass ich jetzt wieder schneller bin, da ich nun in meinem letzten Schuljahr bin und wohl einige Ziet mehr mit Lernen verbringen muss. Na ja, jetzt ist erst mal wieder ein Kapitel da! Und ich hoffe, es gefällt euch! LG Kyra --- Kapitel 5: Wettschuld „Mel“, rief Aaran erstaunt aus und setzte sich halb auf. Dabei zog er mich unweigerlich mit. „Was tust du denn hier?“ Mel? Seine Schwester? Ich musterte die Frau kritisch. Sie war relativ klein – vielleicht 1,65 m – und hatte schulterlange, braune Haare. Sie hatte mit Aaran kaum Ähnlichkeit. Nur an den blauen Augen und der Stupsnase – die weitaus mehr in ihr Gesicht passte, als in das ihres Bruders – konnte man die Verwandtschaft erkennen. Unwillkürlich atmete ich auf. Nach allen, was Aaran mir über sie und seine Beziehung zu ihr erzählt hatte, würde sie ihn mit Sicherheit nicht verraten. Und damit bestand auch für mich keine Gefahr. So zumindest meine Theorie. Es dauerte einen Moment bis sie antwortete. Sie musterte erst mich, dann ihren Bruder. Kurz darauf grinste sie breit. „Hier riecht es, als hättet ihr heute Nacht viel Spaß gehabt.“ Aaran nickte nur. Er schien immer noch nicht ganz zu begreifen, dass seine Schwester hier war. Anscheinend war seine Frage nicht rhetorisch gemeint gewesen. Und Mel würde sie wohl in der nächsten Zeit auch nicht beantworten. Sie kam zum Bett hinüber. „Melanie Lennox, Aarans Schwester“, stellte sie sich vor und hielt mir die Hand hin. Automatisch ergriff ich sie und beschränkt mich auf ein einfaches „Seto Kaiba“ als Erwiderung. „Wusst‘ ich’s doch!“, meinte sie triumphierend. Das Grinsen auf ihrem Gesicht wurde noch eine Spur breiter, auch wenn ich das für unmöglich gehalten hatte. Sie beugte sich über mich hinweg und zerzauste Aarans Haare endgültig. „Ich glaub’s nicht. Mein kleiner Bruder hat sich seinen langjährigen Schwarm geangelt. Wenn ich das meinen Freundinnen erzähle, …“ Aaran war erst rot geworden, dann bleich. „Dann bin ich meinen Job los“, beendete er trocken ihren Satz. Melanie blinzelte. Ihr Blick schwang zwischen Aarans und meinem Gesicht hin und her. Ich seufzte innerlich. Ich sollte mich wohl aus dieser Position befreien. Aber ich konnte nicht. Aarans Arm hielt mich an ihn gedrückt. „Er ist einer deiner Schüler“, realisierte Melanie entsetzt. „Warum hast du mir davon nichts erzählt?“ Aaran zuckte mit den Schultern, antwortete, als seine Schwester fragend den Kopf schieflegte, aber doch noch: „Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Und da es so schon schwer genug war, wollte ich nicht noch irgendwie unter Druck geraten.“ „Hm“, meinte sie nur, schien ihm allerdings nicht böse zu sein. Zumindest, was das Nicht-Erzählen anging. Über die Situation, in die sich ihr Bruder manövriert hatte, war sie augenscheinlich alles andere als glücklich. „Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte sie um Ruhe bemüht. Aarans Arm drückte mich noch etwas fester an ihn. Melanie hob die Hand, als er zum Sprechen ansetzte. „Okay, dumme Frage, sag nichts, ist schon klar.“ Entweder handelte es sich bei dieser Überzeugung um etwas, wovon ich keine Ahnung hatte oder sie legte den im Allgemeinen gültigen Grundsatz „Wenn der Schwanz steht, ist der Kopf im Arsch“ an. „Mel, lass uns das in Ruhe besprechen“, erwiderte Aaran ruhig. „Machst du Tee und deckst zum Frühstück auf? Ich spring kurz unter die Dusche und komm danach runter.“ Er hielt inne. „Möchtest du auch etwas?“, wendete er sich an mich. Eigentlich wollte ich nur schlafen. Obwohl Duschen wirklich verlockend klang, aber ich fühlte mich immer noch ziemlich kraftlos. Und Essen … eine Kleinigkeit wäre vielleicht ganz angebracht. „Ich komm dann in die Küche“, murmelte ich, ließ mich aber erst mal, nachdem Aarans Arm verschwunden war, in die Laken sinken. Ich musste meine Gedanken ordnen. „Okay“, sagte Aaran und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Er deckte mich ordentlich zu und öffnete kurz darauf Rollladen und Fenster. Meine Gedanken standen Kopf. Sie waren wirr und sprunghaft. Ich zwang mich, die Situation chronologisch durchzugehen. Angefangen mit dem plötzlichen Auftauchen von Melanie Lennox. Alles was davor kam, war viel zu kompliziert. Ich verstand mich nicht. Weder warum ich die Geschehnisse der Nacht so hingenommen und mehr noch so sehr genossen hatte, noch warum ich mich jetzt an diesem Morgen im Bezug darauf so wohl fühlte. Es war konfus und nicht konform. Also würde ich mich jetzt erst mal mit Dingen beschäftigen, die ich begreifen konnte. Und die nicht minder wichtig waren. Es galt die Situation zu analysieren … mit möglichen Risiken. Melanie Lennox war Aaran besuchen gekommen, aus welchem Grund wusste ich nicht, und hatte uns im Bett erwischt. Sie war von der Tatsache, dass ihr Bruder mit einem seiner Schüler geschlafen hatte, nicht angetan. Soweit das, was ich wusste. Anzunehmen war, dass sie ihn und somit mich, nicht verraten würde. Aber sie hatte zweifellos einen großen Einfluss auf Aaran und wovon sie ihn überzeugen wollte, konnte ich nicht einschätzen. Im Großen und Ganzen war die Situation keine Gefahr für die Firma und mein Image, aber was die weitere Beziehung zu Aaran anging, konnte ich nur abwarten. Unwillkürlich kamen mir Melanies Worte in den Sinn. Sie hatte mich als „langjährigen Schwarm“ bezeichnet. Aber Aaran war nicht einmal ein Jahr an der Schule. Das bedeutete, dass er schon für mich geschwärmt haben musste, bevor wir uns überhaupt kennen gelernt hatten. Ich erinnerte mich daran, dass Duke irgendwann mal gesagt hatte, dass Aaran mich besser kennen und mehr über mich wissen würde, als ich dächte. Vielleicht hatte Duke schon in der Zeit, in der er noch in Amerika gelebt hatte, von mir erzählt. Was ich aber von dieser Konstellation halten sollte, wusste ich nicht. Ich seufzte und rappelte mich mühsam auf, um duschen zu gehen. Vielleicht würde ich davon einen klaren Kopf bekommen. Das dem nicht so sein würde, war klar, als ich ins Bad kam und Aaran noch unter der Dusche stand. Immerhin war er Teil des Problems – soweit ich das Problem überhaupt definieren konnte. Als er mich erblickte, lächelte er mich an und meinte: „Komm doch her!“ Skeptisch hob ich eine Augenbraue. War das jetzt eine Aufforderung zum Sex? Bevor seine Schwester begann, mit ihm darüber zu diskutieren, ob es richtig gewesen war, mit mir zu schlafen und es ihm möglicherweise ausreden würde? Ich wusste es nicht. Aber allein der Gedanke an die letzte Nacht jagte mir einen warmen Schauer über den Rücken. „Na komm schon her!“, forderte mich Aaran erneut sanft auf. „Die Dusche ist groß genug für zwei. Ich kann dir den Rücken einseifen.“ Ich seufzte. Was grübelte ich eigentlich die ganze Zeit? Ich war so oder so nicht in der Lage für eine Wiederholung der letzten Nacht, da konnte mir egal sein, was Aaran vielleicht implizierte. Er würde schnell merken, wie ausgelaugt ich war. Die Erschöpfung allein war eine Sache, aber dass man sie mir so deutlich ansehen musste, stieß mir noch mehr auf. Wie ich diese Schwäche hasste! Sie zwang mir Grenzen auf, insbesondere körperliche. Wenn Aaran mich also waschen wollte … bitte. Er wusste schließlich von der Krankheit. Davon einmal abgesehen war die Situation zwischen uns unleugbar außergewöhnlich. Und da ich mich für diese Tage später wahrscheinlich so oder so verabscheuen würde, was machte da eine Tat mehr oder weniger schon aus. Also schlüpfte ich aus dem Bademantel, den ich mir aufgrund der Kälte in Aarans Zimmer übergezogen hatte, und stieg zu ihm unter die Dusche. Das heiße Wasser war eine Wohltat. Es schien innerhalb von Sekunden die Kälte aus meinem Körper zu vertreiben. Aaran lächelte glücklich und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich genoss seinen warmen Mund und ließ mich bereitwillig in seine Arme schließen, schmiegte mich regelrecht an ihn, um die Wärme seiner Haut und die darunter spüren zu können. Oh ja, dafür würde ich mich später wirklich hassen. Aber im Moment war ich viel zu träge, um auch nur daran zu denken, die Situation in eine andere Richtung zu lenken. Aarans Hände verteilten mit sanftem Druck das Duschgel auf meinem Rücken. In großen Kreisen fuhren seine Finger über meine Haut. Ich genoss die Berührungen und Aarans Nähe. Die Situation war auf eine Weise intim, die ich nicht kannte. Ich seufzte leise, als er ebenso gefühlvoll meinen Po einseifte und begann spielerisch an meinem Hals zu knabbern. Während seine Hände meine Oberschenkel hinunter wanderten, suchten seine Lippen die meinen. Er küsste mich zärtlich, aber nachdrücklich. Ich seufzte leise, woraufhin er den Kuss und die Handbewegungen intensivierte. Als seine Zunge begann über meine Lippen zu streichen und sie bittend anzustupsen, löste ich mich widerstrebend von ihm. Es war nicht mein Risiko. Schließlich war ich schon krank, dennoch beendete ich den Kuss. Ich wollte nicht, dass er auch eine Grippe bekam. Sie war lästig genug, um nicht zu wollen, dass er sich ausgerechnet daran erinnerte, wenn er später einmal an diese Tage zurückdachte. Warum auch immer, mir das so wichtig war. Aber mein Kopf schien während einer Krankheit nie so zu funktionieren, wie er sollte. „Du bist gerade dabei, die nächste große Dummheit zu begehen“, murmelte ich gegen seine Lippen. Aaran legte den Kopf schief und blickte mich fragend an. Wassertropfen schimmerten in seinen Wimpern. „Die Wahrscheinlichkeit, dass du eine Grippe bekommst, steigt rasant, je länger du mich küsst.“ „Ich hab gute Abwehrkräfte“, bestimmte Aaran grinsend und fragte: „Was war denn meine letzte große Dummheit?“ „Mit mir zu schlafen“, erwiderte ich ernst. Eigentlich hatte ich es nicht direkt ansprechen wollen, bis ich mich entschieden hatte, wie ich mich weiter ihm gegenüber verhalten wollte. Aber wenn er fragte … Aaran blinzelte. Er schien verwirrt und besorgt. „Hat es dir denn nicht gefallen?“ Er begriff anscheinend nicht, dass Gefallen nicht gleichbedeutend mit Richtigkeit war. Es stand viel zu viel auf dem Spiel, als dass nur Gefühle über richtig oder falsch entscheiden konnten. „Nur weil es uns gefallen hat, ändert es nichts daran, dass es rational betrachtet eine Dummheit war.“ „Meinst du?“, fragte er, ließ mir aber nicht die Möglichkeit zu antworten. Seinen Mund pressten sich auf meinen, seine Zunge strich verlangend über meine Lippen und stieß gegen sie. Dieses Mal gewehrte ich ihm den gewünschten Einlass. Seine Zunge fuhr über meine Zähne, meinen Gaumen entlang und stupste dann auffordernd meine an. Ich war gerne bereit, auf sein Spiel einzugehen. Damit war endgültig bewiesen, dass sich mein rationales Denkvermögen in Sekundenschnelle abschaltete, wenn Aaran mir zu nahe kam. Und ich wusste nicht, ob es mich beruhigen oder eher beunruhigen sollte, dass es ihm mit mir offenbar genauso ging. *** Das Frühstück war eine Farce. Mehrmals war ich versucht voller Sarkasmus zu sagen: „Ja, ignoriert mich ruhig. Ich hab ja nichts damit zu tun.“ Aaran und Melanie diskutierten über Aarans Verhalten und seine Entscheidung, mit mir zu schlafen, als wäre ich nicht anwesend. In manchem Moment war ich für sie wahrscheinlich auch nicht anwesend. Einen entschiedenen Vorteil hatte es allerdings, nicht beachtet zu werden: Mir wurde nicht die Schuld gegeben und somit musste ich keine Stellung beziehen. Das wäre zweifelsohne schwierig geworden. Schließlich war ich mir selbst nicht bewusst, wie ich zu bestimmten Dingen stand. Zumindest der Schlamassel blieb mir so erspart. Ich aß eine Kleinigkeit, für dessen Wahl Aaran die Diskussion mit seiner Schwester sogar unterbrochen hatte, und verschwand danach wieder ins Bett. Trotz des immer noch nicht sonderlich guten Kopfkissens war das Liegen eine Wohltat. Mich zu bewegen war doch reichlich anstrengend gewesen. Ich dämmerte langsam ein, hörte aber immer noch die gedämpften Stimmen von unten. Obwohl ich eigentlich nur in der Lage war, zu unterscheiden, wer gerade sprach und vage die Stimmung einschätzen konnte. Blieb abzuwarten, was dabei herauskam. *** „Mister Kaiba“, drang leise die Stimme von Melanie Lennox an mein Ohr. „Sind Sie wach?“ Träge schlug ich die Augen auf. Sie stand in der geöffneten Tür und blickte besorgt drein. „Kann ich kurz mit Ihnen sprechen?“ Ich nickte fahrig und fragte mich im nächsten Moment, ob das so eine gute Idee gewesen war. Vielleicht hatte ich mich damit genau in die Situation gebracht, die mir bisher erspart geblieben war. Jetzt ließ es sich nicht mehr ändern. Sie zog sich einen kleinen Sessel ans Bett. „Ist es auch wirklich okay?“, fragte sie besorgt. „Aaran hat mir erzählt, dass Sie …“ Sie machte eine wegwerfende Geste. Anscheinend hatte sie begriffen, dass die Krankheit kein gutes Thema war, sondern mich eher noch im Stolz kränken würde. „Keine Ahnung, was sie nach der Sache geradeeben von mir denken“, begann sie von neuem und fuhr sich seufzend durchs Haar. „Ich hab wohl ziemlich tyrannisch gewirkt. Aber ich mach mir einfach Sorgen, um meinen kleinen Bruder.“ Sie lächelte leicht. „Er ist solange ich denken kann das Wichtigste für mich. Mein Gott, ich hab sogar schon in der Grundschule mehrmals meine mürrische Lehrerin überredet, dass er auf einen meiner Schulausflüge mit durfte, weil ich genau wusste, dass er traurig sein würde, wenn er erfährt, wo ich hinfahre.“ „Das kommt mir bekannt vor!“ Mokuba war für mich auch immer der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen. Ich hatte schon so manches Mal Kopf gestanden, damit er etwas bekam, das er haben wollte. An Melanie Lennox Beweggründen hatte ich nie gezweifelt, nach alldem, was Aaran mir über sie erzählt hatte. Es war von Anfang an klar gewesen, dass sie sich Sorgen machte. „Sie haben Ihren Bruder auch auf Ihre Schulausflüge mitgenommen?“, fragte sie und mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich wohl laut gesprochen hatte. So ein Mist. Verdammte Krankheit! Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nur etwas Ähnliches“, erwiderte ich. Als ich in der zweiten Klasse gewesen war, hatte der Verlag, der die Leselernbücher herstellte, einen limitierten Becher herausgebracht. Nur für den einen Jahrgang von Schülern. Ich konnte schon lesen, als ich in die Schule kam und die Texte des Buches waren für mich sehr einfach gewesen, aber die Geschichten an sich, die hatte ich geliebt. Genauso wie Mokuba. Und da hatten eben zwei Becher hergemusst, was mein Lehrer erst nicht ganz einsehen wollte. Melanie lächelte Kopfschüttelnd. „Was ich mir damit schon für Ärger eingefangen hab. Besonders mit unseren Eltern. Aber mir war’s immer egal. Dann ging eben mein Taschengeld drauf“, meinte sie schulterzuckend. „Ja, das kann ich nachvollziehen“, sagte ich. Ich hatte im Waisenhaus und während der Zeit bei Gozaboru so manchen Schlag weggesteckt. Sie lächelte erleichtert. „Aber warum sagen Sie mir das?“ „Ich habe Aaran das Versprechen abgerungen, verdammt vorsichtig bei dem zu sein, das er tut, aber …“, erklärte sie. „ … aber Sie zweifeln, ob er sich daran halten wird“, vollendete ich ihren Satz. „Ich kenne meinen Bruder“, sagte sie seufzend. „Ich weiß, dass er niemals absichtlich ein Versprechen brechen würde, aber ich bin mir durchaus darüber im Klaren, was er für Sie empfindet und dass er da schon mal leichtsinnig werden kann.“ „Sie denken, ich bin das nicht“, begriff ich. Aber seit heute Vormittag war ich mir da gar nicht mehr so sicher. Aarans Nähe hatte Auswirkungen auf mich, die ich nicht vollständig einschätzen konnte. „Zumindest nicht so wie Aaran“, erwiderte Melanie. „Ich werde ihn etwas auf Abstand halten“, erklärte ich, „aber ich weiß nicht, was das für Auswirkungen haben wird.“ „Um mehr wollte ich sie gar nicht bitten“, sagte sie glücklich und zog dann eine Visitenkarte aus der Tasche, die sie mir augenzwinkernd reichte. „Falls Sie irgendwann mal das Bedürfnis haben, über die kleine Nervensäge zu reden!“ Ich nickte und schob sie in meine Reisetasche, die unter Aarans Bett stand. Ich bezweifelte, dass ich sie brauchen würde. „So, ich hab dir das zweite Schlafzimmer halbwegs freigeräumt“, erklang wenig später Aarans Stimme von der Tür. „Ist zwar immer noch nicht richtig gemütlich mit den vielen Kartons, aber zum Schlafen wird es wohl gehen.“ „Dass du dir sicherlich heute mit mir teilen wirst“, äußerte Melanie provokant. „Wenn das eine offizielle Frag ist, ja“, erwiderte Aaran grinsend, dann legte er fragend den Kopf schief. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du überhaupt hier in Japan bist?“ Dieses Mal begann sie, bei der Frage zu strahlen. „Ich wollt’s dir persönlich sagen“, rief sie freudig aus. „Sean hat mir einen Antrag gemacht. Wir werden heiraten.“ Und in der hintersten und am schlechtesten einsehbarsten Ecke meines begehbaren Kleiderschranks liegt ein Hochzeitskleid, dachte ich, das dort vergammeln kann, samt Schmuck. *** Am Samstagmorgen war das Wetter wieder so gut, dass ich problemlos wieder nach Hause kam. Wie Melanie es zuvor geschafft hatte, unversehrt vom Flughafen zu Aaran zu kommen, war mir schleierhaft. Ihr, wie sich schnell herausgestellt hatte, auch. Damit war mir klar, was Aaran mit der Risikobereitschaft in unterschiedlichen Bereichen gemeint hatte. Im Gegensatz zu seiner Schwester wäre er nie auf so eine waghalsige Idee gekommen. Trotz Geländewagen mit Schneeketten. Die Zeit mit den Geschwistern empfand ich als erstaunlich angenehm. So manches Mal erinnerten die beiden mich an meine Beziehung zu Mokuba. Nur dass sie ständig über Aarans und meine gemeinsame Nacht diskutieren mussten, nervte mich. Von der Grippe einmal abgesehen. Diese sorgte dafür, dass ich noch eine Weile das Bett hüten musste. Ich versuchte die Zeit sinnvoll zu nutzen. Mit Arbeiten und dem Aussuchen von Dukes Wettschulden. Die Kleider bestellte ich übers Internet und schickte sie ihm direkt nach Hause ... samt Rechnung. Dafür, dass er vorgehabt hatte, mich in einem Hochzeitskleid in die Schule zu zwingen, hatte er es verdient. Wenn ich gerade nichts zu tun hatte, von Mokuba belagert wurde oder schlief, wanderten meine Gedanken zu Aaran. Langsam begann ich zu begreifen, was mich so hatte handeln lassen, wie ich es getan hatte. Es war mitnichten nur die Wette gewesen. Auch wenn mir diese Erkenntnis widerstrebte und ich es auch jetzt noch nicht wahr haben wollte, schien ich mich wirklich in ihn verliebt zu haben. Anders waren diese absurden Gefühle nicht zu erklären. Richtig akzeptieren konnte ich es noch nicht. Und so leugnete ich es ein ums andere Mal vor mir selbst. Die Zeit verging schnell. Und es machte mir wegen meines vollen Terminplans auch keinerlei Probleme, einen guten Grund zu finden, Aarans Einladungen auszuschlagen. Viele waren es ohnehin nicht, Melanies Warnung, nicht allzu viel zu riskieren, nahm er sich anscheinend zu Herzen. In der Schule blieb alles beim Alten: Die typische Aaran-Seto-Lehrer-Schüler-Beziehung. Nur, dass man beim Frotzeln darauf achten musste, was man sagte. Nach meiner Einschätzung hatte uns beiden schon mehrmals etwas auf der Zunge gelegen, dass sich auf meinen Aufenthalt bei ihm zu Hause bezog. Bisher war es aber nur dann und wann bei amüsierten Blicken und Gesten geblieben, die für Außenstehende nicht als etwas Besonderes zu identifizieren waren. Es sah ganz so aus, als ob meine Tage bei Aaran keine Konsequenzen haben würden. Aber solange ich meinen Abschluss nicht hatte, war Aaran gegenüber höchste Vorsicht angeraten. Nicht, das es am Ende doch noch in einem Skandal gipfelte. Außerdem stand noch Dukes Wettschuld aus und ich hatte ihm bisher nicht gesagt, dass ich meinen Teil gewonnen hatte. Ich spielte mit dem Gedanken, ob ich es ihn einfach selbst herausfinden lassen sollte, in dem er es erst sah, wenn ich am letzten Schultag vor den Ferien, sprich nächste Woche Mittwoch, in Schuluniform kam. Ich überlegte gerade, wie groß das Risiko war, dass ihm zu viel über die Wette herausrutschte, als das Telefon klingelte – Dukes Nummer leuchtete auf dem Anzeigefeld auf. Ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Was konnte er an einem Sonntagnachmittag von mir wollen? „Hallo, Duke“, meldete ich mich. „Was gibt es?“ „Hi, Seto“, ertönte es alles andere als munter aus dem Hörer. Anscheinend war er erkältet, da er durch die Nase sprach. „Es geht um die Wette.“ „Was ist damit?“, fragte ich, ahnte jedoch, dass er den Termin verschieben wollte. „Ich komm gerade vom Notdienst. Ich hab ne Blasenentzündung und ne leichte Erkältung und bin bis zu den Ferien krankgeschrieben.“ „Ja und?“, fragte ich. Natürlich hatte ich nicht vor, ihn krank in die Schule zu schicken. Aber wenn ich ihn zappeln ließ, bekam ich vielleicht die Chance, aus der Situation etwas herauszuschlagen. Schließlich brachte es mir keinen Profit, wenn Duke sich lächerlich machte. „Ich bin kurz vor Ablauf meiner Frist krank geworden.“ „Ja, ich weiß. Es war wohl nicht besonders fair von mir, dir die Tage nicht gut zu sprechen“, lenkte er prompt ein. „Meinetwegen kannst du sie jetzt noch haben.“ Ich lächelte diabolisch. Das lief ganz nach meinem Geschmack. „Wozu denn?“, fragte ich. „Jetzt brauch ich sie nicht mehr.“ Einen langen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. „Du hast mit ihm geschlafen?“, brach es ungläubig aus ihm hervor. „Warum weiß ich das nicht?“ „Richtig, trotz meiner Krankheit hab ich gewonnen“, rief ich ihm noch einmal deutlich vor Augen. „Es dir zu sagen, hat sich einfach nicht ergeben. In aller Öffentlichkeit war mir das zu riskant.“ „Seid ihr zusammen?“, fragte er, ohne weiter auf das einzugehen, was ich gesagt hatte. Diese Frage hatte ja kommen müssen. Inzwischen war mir klar geworden, dass es Dukes Ziel war uns zu verkuppeln. „Nein“, erwiderte ich nur und während ich sprach, kam in mir ein Gefühl der Unzufriedenheit auf. „Mann, was seid ihr zu geknöpft. Als ob es so schwierig wäre, jemandem seine Liebe zu gestehen“, schimpfte Duke. Das war typisch für ihn. Er hatte damit wirklich keine Probleme. Er dachte fortwährend nur an Liebe. Äußere Umstände oder die Gefahr, verletzbar zu werden, interessierten ihn nicht. „Es steht viel zu viel auf dem Spiel“, sagte ich bestimmt und fragte mich, warum ich nicht abstritt, Aaran zu lieben. Weil Duke es mir so oder so nicht abnehmen würde, gab ich mir selbst die Antwort, ob es nun der Wahrheit entsprach oder nicht. „So ein Unsinn. Ihr liebt euch, alles andere ist egal.“ „Beantworte mir eine Frage: Warum siehst du immer nur ein ‚entweder oder‘?“, knurrte ich ins Telefon. Es war wieder einmal der Punkt erreicht, an dem seine Einstellung begann, mich zu reißen. „Liebe ist das Wichtigste im Leben. Mit einem Geliebten an der Seite kann man alles meistern“, behauptete er. „Selbst wenn“, sagte ich und ließ keinen Zweifel daran, wie sehr ich mit seiner Meinung übereinstimmte. „Warum sollte ich für die kurze Zeit, dieses große Risiko eingehen, wenn ich mit etwas Geduld beides haben kann?“ Wieder war es einen Moment ruhig, dann seufzte Duke. „Warum fang ich nur immer wieder damit an“, sagte er wie zu sich selbst. „Ich sollte inzwischen begriffen haben, wie wichtig dir deine Arbeit ist.“ Ganz recht, dachte ich, das solltest du. Genauso wie das Warum. Arbeit schaffte meine und vor allen Dingen Mokubas Lebensgrundlage. Arbeit machte das Leben so viel einfacher. Ich konnte mir Wünsche erfüllen – ich konnte Mokuba seine Wünsche erfüllen. Es gab für mich nichts wichtiges, als dass es ihm gut ging ... dass er eine gute Kindheit hatte. „Okay, zurück zu eigentlichem Thema“, sagte Duke, als ich weiterhin schwieg. „Wie stellst du dir das ganze denn vor?“ Ich überlegte einen Moment, aber spontan fiel mir nichts ein, was ich von Duke verlangen konnte, dass mir hilfreich war. Also musste ich meine Entscheidung etwas aufschieben. Ich dachte daran, dass es nicht seine Absicht war, seiner Wettschuld zu entgehen und es im Grunde auf den Tag auch nicht ankam. Ich wollte meinen Profit, genauso wie ich ihm den Schlamassel, in den er mich reingeritten hatte, heimzahlen wollte. Plötzlich kam mir eine Idee. „Du kannst deinen Aufschub haben“, beschloss ich, „aber nur unter einer Bedingung: Eine weitere Wette. Wenn du gewinnst, bleibt es bei deinen Wettschulden. Alles Weitere überleg ich mir über die Ferien.“ „Hm“, meinte er. „Das klingt fair.“ Damit war das Gespräch so gut wie beendet. Vage verabredeten wir noch, uns in den Ferien mal zu treffen. Ich beeilte mich, die Unterlagen für die Konferenz am morgigen Nachmittag durchzugehen, um den restlichen Tag mit Mokuba verbringen zu können, so wie ich es ihm versprochen hatte. *** Dass etwas nicht in Ordnung war, ahnte ich, als ich am Montagmorgen in mein Büro kam, um die Unterlagen für die Sitzung am frühen Nachmittag zu holen. Nach Hause kam ich vorher schließlich nicht mehr. Während ich die Hefter in der Aktentasche verstaute, fiel mein Blick auf das Telefon. „14 entgangene Anrufe“ informierte mich das Anzeigefeld. Verwundert ließ ich mir genauere Informationen geben. Immer wieder leuchtete Dukes Nummer auf. Was hatte der nur gewollt? Ich überlegte kurz, ihn zurückzurufen, verwarf den Gedanken aber sofort. Ich hatte keine Zeit dazu. Davon einmal abgesehen war es um diese Uhrzeit – unter den gegebenen Bedingungen – so oder so eher unwahrscheinlich, Duke zu erreichen. Was nicht stimmte, wurde mir vor Augen geführt, als ich auf dem schuleigenem Parkplatz aus dem Auto stieg und Aaran sah, der keine 50 Meter von mir entfernt sein Auto abschloss. Im ersten Moment dachte ich, er hätte mich nicht bemerkt, da mir kein fröhliches „Guten Morgen, Seto! Wie war dein Wochenende?“ oder etwas ähnliches entgegentönte. Doch dann begegneten sich unsere Blicke: Ekel stand in seinen Augen. Gleich darauf wendete er sich wieder ab und strafte mich durch Nichtbeachtung mit Verachtung. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Dieser Ausdruck. Das tat wirklich weh, auch wenn ich es mir nur ungern eingestand. Ich schaute ihm hinterher und bemerkte seinen Schmerz. Sofort war mir bewusst, dass er von Duke von der Wette erfahren haben musste. Während ich meine Schultasche aus dem Kofferraum holte, zog ich mein Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein. Gestern hatte ich mir nicht den Nachtmittag mit Mokuba verderben lassen wollen, deshalb hatte ich es kurzerhand ausgemacht. In dieser Zeit hatte Duke sicherlich auch auf dem Anschluss versucht, mich zu erreichen. Als ich meine Mailbox abfragte, erklang wie erwartet seine Stimme. Kleinlaut und deprimiert. Er erklärte, dass er Aaran, noch bevor wir miteinander gesprochen hatten, darum gebeten hatte, ihm am Flughafen einige Dinge zu besorgen, die er wegen seiner Krankheit brauchte. Bei seinem Besuch war ihm, im Ärger über „meine Engstirnigkeit“, wie er sich ausdrückte, dann zu viel über die Wette herausgerutscht. Er hatte zwar versucht, die Situation noch halbwegs zu retten, aber es war ihm nicht gelungen. Was mich betraf: Mir fiel auch nichts Gescheites ein, wie ich Aaran beruhigen konnte. Dass ich das wollte, stand außer Frage. Denn dass die Wette nicht alles gewesen war, gab ich inzwischen zu. Aber selbst wenn ich ihm die Wahrheit sagen konnte – daran, dass ich dazu in der Lage war, zweifelte ich allein deswegen stark, weil ich kaum definieren konnte, was die Wahrheit war –, würde ich damit alles wegschmeißen, was ich bisher erreicht hatte. Schließlich war ich ehrlich genug zu mir, um zu wissen, dass ich ihm nicht widerstehen können würde. *** Für Dienstagvormittag hatte ich eine Vorstandssitzung angesetzt. Im Stress des Weihnachtsgeschäfts war kein anderer Termin zu finden gewesen. Inzwischen kam mir das zugute. Es bedeutete, dass ich vor den Ferien keinen Unterricht mehr bei Aaran hatte. Was definitiv besser war. Den ganzen Mittwochvormittag hoffte ich darauf, dass es zu keiner Auseinandersetzung zwischen uns beiden kommen würde. Wenn es so weit kam, wäre es wohl gleich bedeutet mit einem Zettel am Schwarzen Brett mit der Aufschrift „Ich habe mit Aaran Lennox geschlafen! gez. Seto Kaiba“. Als ich am Mittag die Schule verließ, schien es, als hätte ich es geschafft. Aber dann erblickte ich Aaran auf dem Schulparkplatz. Er lehnte über der geöffneten Motorhaube seines Kleinwagens und seinem Gesichtsausdruck nach würde sich das Auto in nächster Zeit keine Millimeter vom Fleck bewegen. Ich wusste, dass er über die Ferien zu seiner Schwester nach Amerika fliegen wollte und dass der Flug heute am frühen Nachmittag ging. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er ihn also verpassen, wenn er hier nicht bald wegkam. Einen Moment blieb ich unschlüssig stehen. Ich konnte ihn sicherlich zum Flughafen bringen, ohne Aufsehen zu erregen. Auf dem Weg dorthin hätte Aaran genug Zeit, mir das zu sagen, was sich seit Sonntag in ihm angestaut hatte. Und ich bekam vielleicht die Möglichkeit, ihm einen kleinen Denkanstoß zu geben. Damit war die Sache klar. Ein Blick über seine Schulter zeigte, dass Teile des Motors wohl eingefroren waren. „Scheint so, als ob der Wagen die anhaltenden tiefen Temperaturen nicht verträgt“, machte ich mich bemerkbar. Aaran zuckte zusammen. „Was du nicht sagst“, blaffte er mich an. „Ich kann dich zum Flughafen bringen“, sagte ich und hielt mit meinem typischen eisigen Blick seinem verachtenden stand. „Verzichte!“, knurrte er und langsam aber sicher wurde ich mir wirklich bewusst, wie sehr die Wette ihn verletzt hatte. „Du willst also nicht mehrere hundert Dollar sparen und nicht die Chance nutzen, mir die Meinung zu sagen?“, fragte ich gelassen. Ich war mir sicher, dass er darauf anspringen würde. „Verdammt noch eins“, murmelte Aaran und knallte härter als nötig die Motorhaube zu. Während er sein Reisegepäck aus dem Auto lud, holte ich meinen Mercedes. Kaum hatten wir alles im Kofferraum verstaut, saß er schon auf dem Beifahrersitz und begann mit einer Schimpftriade, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Ich ließ ihn die ganze Fahrt reden. Es schien ihm gut zu tun, mir all seinen Ärger, seine Wut und seinen Schmerz wörtlich um die Ohren zu hauen. Mit jedem Satz, den er sprach, wurde mir klarer, wie sehr ihn mein Verhalten verletzt hatte. Er schien wirklich davon auszugehen, dass ich nur mit ihm gespielt hatte. Von all den unschönen Dingen, die er mir äußerst vulgär vorwarf, brannte sich ein Satz am meisten in mein Gedächtnis ein. „Das hätte ich wirklich nicht von dir erwartet.“ Er bewies ganz eindeutig, dass es Aaran gelungen war, hinter meine eisige Fassade zu schauen – nur dass er es nun für einen Irrtum hielt. Ich war mit Sicherheit zu vielen fähig, aber ich würde niemals leichtfertig mit der Zuneigung anderer Menschen umgehen. Dazu war ich selbst zu oft verletzt worden. „Aaran“, sagte ich, als ich den Wagen in eine Parklücke des Flughafenparkhauses gelenkt hatte und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Ich weiß, dass du wütend auf mich bist. Du hast auch alles Recht dazu, aber lass dir sagen: Wäre es nur die Wette gewesen, hätte ich nicht mit dir geschlafen.“ Aaran blinzelte. Sein Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. Unglaube und Unsicherheit ersetzten Wut und Schmerz. Es schien so, als würde ihn das wirklich zum Nachdenken anregen. „Definier das genauer“, forderte er. „Nicht zu diesem Zeitpunkt“, erklärte ich, gab ihm damit Absage und Denkanstoß zu gleich und wechselte dann das Thema. „Wenn du mir die Autoschlüssel gibst, kümmere ich mich um deinen Wagen. Sollte er zu retten sein, lass ich ihn dir hierher bringen und den Schlüssel samt Stellplatznummer an der Information hinterlegen.“ Ich öffnete den Kofferraum und stieg aus. Aaran folgte mir langsam. Er musterte mich kritisch – auch die ganze Zeit, während wir sein Gepäck ausluden. „Was ist nun?“, fragte ich. „Du machst mich echt fertig!“, brachte er seufzend hervor, löste aber den Autoschlüssel vom Bund und drückte ihn mir in die Hand. „Das ist nicht meine Absicht“, erwiderte ich nach kurzem Zögern. Damit sollte ich ihm genug zum Nachdenken gegeben haben. Ich blickte dem missmutig davon stapfendem Aaran hinterher und merkte, warum ich mir überhaupt die Mühe machte. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal klar, wie viel er mir überhaupt bedeutete. Kapitel 6: Wetteifer -------------------- Hallo! Ich hoffe, die nächsten Kapitel kommen jetzt wieder etwas schneller. Ich werde mich auf jeden Fall bemühen! ^^ Ich hoffe, es gefällt euch! Lg Kyra --- Kapitel 6: Wetteifer Obwohl ich schon mehr gesagt hatte, als geplant gewesen war, beschlich mich die ganze Zeit das ungute Gefühl, dass es nicht genug sein würde. Schließlich begann ich zu grübeln, was ich noch tun konnte, ohne meinen Beschluss, Aaran auf Abstand zu halten, zu unterminieren. Beim Mittagessen kam mir dann eine Idee. Die Frage war nur, ob ich soweit gehen wollte. Im Regelfall war es unter meiner Würde und meines Verstandes nicht angemessen, mir Rat zu holen. Doch diese Situation war nicht normal und – auch wenn ich es mir nicht gern eingestand – ich schien mit meinem Latein am Ende zu sein. Ich war unschlüssig. Nachdem ich Melanie Lennox Visitenkarte endlich in meiner Reisetasche gefunden hatte, starrte ich sie etliche Minuten an. Als ich letzten Endes zum Hörer griff und wählte, kannte ich die Nummer auswendig. Mir behagte es zwar immer noch nicht, aber ich sagte mir, dass wir danach nur Quitt wären. Sie hatte mich, damals um Hilfe gebeten – ich würde es jetzt tun … vielleicht. Als munter ihre Stimme aus dem Hörer ertönte, war ich mir da nicht mehr so sicher. „Seto Kaiba hier“, meldete ich mich, nachdem ich einen Moment lang überlegt hatte, einfach wieder aufzulegen. „Oh, hi“, sagte sie überrascht. Sie schien genauso wenig wie ich damit gerechnet zu haben, dass ich ihre Karte irgendwann wirklich gebrauchen würde. „Sie klingen etwas deprimiert. Ist was passiert?“ „Ja“, erwiderte ich langsam. Ich hatte keine Ahnung, wie genau ich sie über die derzeitige Lage informieren sollte. „Das könnte man so sagen.“ „Ist Aaran etwas passiert?“, sprudelte es beinahe panisch aus ihr heraus. „Er sitzt wie geplant im Flugzeug nach Amerika“, antwortete ich, dem eigentlichen Problem ausweichend. Andererseits schien es, ihrem erleichterten Aufatmen zu entnehmen, genau das zu sein, was sie hatte hören wollen. „Was ist es dann?“ Ich schwieg einen Moment. Zum wiederholten Male fragte ich mich, ob ich sie wirklich einweihen und um Rat bitten sollte. Erfahren würde sie es so oder so. Zumindest von der Wette. Nur, dass es subjektiv aus Aarans Sicht eingefärbt sein würde. Und das, nahm ich an, würde für mich und meine weitere Beziehung zu Aaran, weitaus unangenehmer sein, als wenn ich es ihr selbst erzählte. Also beschloss ich mich zusammen zu reißen und einfach – typisch amerikanisch – direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. „Aaran denkt, das zwischen uns wäre nur eine Wette gewesen“, sagte ich schließlich. Daraufhin herrschte am anderen Ende der Leitung erst einmal Stille. Kurz fragte ich mich, ob sie aufgelegt hatte, doch einen Augenblick später vernahm ich wieder ihren leisen Atem. Ich wartete. Auf die eine Frage, die sie gewiss stellen würde – „War es das denn?“. Als sie letztendlich sprach, kam etwas gänzlich Unerwartetes: „Das ist dumm!“ Sie machte eine Pause und bat mich danach darum, ihr zu erklären, wie es dazu gekommen war. Kurz hielt ich verwundert inne, fing mich aber schnell wieder. Wahrscheinlich wollte sie erst wissen, was überhaupt vorgefallen war, um mich dann mit Fragen über meine Gefühle für ihren Bruder zu löchern. Ich erläuterte ihr, was sie wissen wollte. Wie es zu der Wette gekommen war. Worum es dabei ging – Aufgaben und Schulden. Wie Aaran davon erfahren hatte und was ich unternommen hatte, um ihm etwas nachdenklich zu stimmen. „Okay“, sagte sich schließlich nachdenklich. „Ich denke, das ist eine Grundlage, auf der man aufbauen kann.“ Abermals wurde es still. „Ein Sache würde ich gern noch wissen: Warum haben Sie Aaran nicht gesagt, dass Sie ihn lieben?“ Ich stutzte. Das klang so, als zweifele sie nicht daran, dass ich ihn liebte. War mein Verhalten etwa so eindeutig? Dass nur ich selbst nicht sehe wollte, dass ich verliebt war? Ich schob den Gedanken beiseite. Bevor ich es verhindern konnte, war mir schon die Wahrheit herausgerutscht. Die Wahrheit, die besagte, dass ich Aaran Lennox kaum wiederstehen konnte. „Ach ja“, klang es fröhlich aus dem Telefon. Schön, dass wenigstens einer wieder gute Laune hat, dachte ich ironisch. Aber vielleicht war es ein gar nicht so schlechtes Zeichen, dass es sie zum Lachen brachte. Demnach konnten meine Chancen, in ihren Augen, nicht so niederschmettern sein, wie ich es annahm. „Also“, sagte Melanie in einem Ton, der beinahe verschwörerisch zu nennen war, „so sehr wie mein Bruder Sie liebt, müssten Sie sich schon richtig trottelig anstellen, um ihn bis zu ihrem Abschluss zu verlieren. Solange müssen Sie ihm immer wieder kleine Denkanstöße geben. Wichtig dabei ist, dass sie ein wenig persönlich sind und dabei nicht übermäßig sexuell – zumindest nicht im Regelfall. Es muss etwas sein, das die Möglichkeit zu erkennen gibt, dass Sie ihn schätzen, aber dennoch nicht zu eindeutig ist.“ Na, wenn es sonst nichts weiter ist, dachte ich sarkastisch, dann wird das ja das reinste Kinderspiel. „Natürlich muss nicht jeder Denkanstoß alle Kriterien erfüllen, aber im Ganzen sollte es sich die Waage halten.“ Das klang schon etwas besser. „Wird er denn wirklich darüber nachdenken?“, fragte ich, und wollte hören, dass sie ihn sich in den Ferien dahingehend einmal zur Brust nahm. „Oh, glauben Sie mir, dazu bekomm ich ihn schon!“, erklärte sie zuversichtlich. „Aber jetzt sollten wir überlegen, wie wir seinen Kopf auf Trab halten. Denken Sie, sein Auto ist noch zu retten?“ „Das ist unwahrscheinlich“, äußerte ich meine Meinung. Ich hatte auch schon daran gedacht, Aaran zu einem neuen zu verhelfen, aber ich musste dabei sehr vorsichtig sein. Schließlich war er mein Lehrer und wenn herauskam, dass ich ihm ein neues Auto „geschenkt“ hatte, war das sicherlich nicht in unser beider Interesse. „Okay, ich erkläre den Toyota für schrottreif“, sagte Melanie munter. „Er hasst die Karre. Besonders seitdem ich ihn damit aufgezogen hab, dass sie beinahe rosa wäre.“ Sie kicherte. „Wie groß muss der Wagen ungefähr sein?“, fragte ich. „Klein“, antwortete sie prompt. „Er muss damit ja nicht groß etwas transportieren. Nur mal nen paar Koffer und Einkäufe.“ Das war gut. Damit hielt sich das preislich in Grenzen. „Ich denke, da lässt sich was machen. Sofern ein VW Fox nicht zu klein ist.“ „Ein VW Fox?“, fragte sie entgeistert. „Sind Sie wahnsinnig?! Der ist doch viel zu teuer! Wo wollen Sie das Geld hernehmen?“ Das sollte nicht das Problem sein. Der Automechaniker, zu dem ich meine Wagen immer zur Reparatur brachte, war ein leidenschaftlicher Tüftler. Zudem verkaufte er allerlei Autoteile an andere Bastler. Wenn ich ihn Aarans Toyota ausnehmen ließ, sollte das genügend Geld für einen gebrauchten Fox einbringen. Dass ich einen VW Fox in gutem Zustand bekommen würde, stand außer Frage. Die Firmenwagen, die ich meinen Mitarbeitern für Dienstreisen zur Verfügung stellte, würden Ende dieses Jahres durch neue ersetzt werden. Da würde ich mit Sicherheit einen Fox für Aaran abgreifen können. Melanie war nicht sofort überzeugt, als ich sie darüber aufklärte. „Aber sind die Autos nicht immer noch recht teuer?“, fragte sie. „Nein, für einen 3-jährigen Firmenwagen bekommt man nicht unbedingt viel“, erwiderte ich. Darüber, dass das so war, hatte ich mich schon so manches Mal geärgert. „Okay. Gut, dann verlass ich mich da mal auf Ihr Urteil“, stimmte sie letztendlich zu. „Haben Sie sich schon etwas für Weihnachten überlegte?“ Ein Weihnachtsgeschenk? Im Grunde keine dumme Idee. Nur, dass ich dabei wieder aufpassen musste, dass niemand es als Bestechung deutete. Allerdings sollte das in diesem Fall nicht weiter schwer sein, überlegte ich. Wer sollte schon davon erfahren, wenn ich es im Kofferraum seines neuen Wagens hinterlegte. Die Frage war nur, was ich ihm schenken sollte. Während ich noch nachdachte, kam mir in den Sinn, dass ich Aaran mehr oder weniger schon ein Kopfkissen zu Weihnachten versprochen hatte. Als ich Melanie davon erzählte, war sie sofort begeistert. „Das ist brillant!“, rief sie aus. „Dazu kaufen Sie noch Bettwäsche. Zwei Kopfkissenbezüge, ein Deckenbezug.“ Ich begriff umgehend, worauf sie hinaus wollte. Wenn ich zwei Kissenbezüge schenkte, dann reservierte ich das Kissen automatisch für mich. Natürlich müsste ihm auch so klar sein, dass ich wusste, dass er mit seinem Schlabberkissen voll und ganz zufrieden war. Aber auf diese Art und Weise ließ ich keinen anderen Schluss zu. „Welche Farbwahl können Sie mir empfehlen?“, fragte ich und mir behagte es immer noch nicht, sie um Rat zu fragen, obwohl es bisher ganz glimpflich abgelaufen war. „Hm, eigentlich ist Aaran nicht auf bestimmte Farben fixiert, aber wenn sie etwas mit Braun und Blau finden würden, gefällt es ihm mit Sicherheit. Die Maße der Decke haben Sie ja, oder?“ „Gut!“, sagte ich. „Das sollte fürs erste reichen, meinen Sie nicht auch?“ „Denken Sie daran, dass es sich die Waage halten muss. Also muss noch ein umsichtiger Plan her, wie sie ihn ins Bett kriegen!“, verkündete sie guter Dinge. Einen Moment glaubte ich meine Gesichtszüge würden entgleisen. Sie forderte mich auf, den Abstand, um den sie mich gebeten hatte, absichtlich nicht einzuhalten. Und dann auch noch auf so eine riskante Weise. „Wie bitte?“, fragte ich perplex. „Sie haben mich schon verstanden“, meinte Melanie ungerührt. „Natürlich müssen Sie vorsichtig sein, aber es ist die einfachste Variante den Ausgleich herzustellen. Und versuchen Sie erst gar nicht, mir weiß zu machen, diese Vorstellungen würde Ihnen nicht gefallen!“ Ich seufzte innerlich. Meine Güte war die Frau schlagfertig … und hinterhältig. Einen Augenblick dachte ich darüber nach und mir kamen prompt ein paar Ansätze, wie ich für ein relativ sicheres Ungestörtsein sorgen konnte. Allein beim Gedanken daran, jagten mir warmen Schauer über den Rücken. Es war wirklich unleugbar, dass mir diese Entwicklung gefiel. „Ich denke, da kann ich etwas einfädeln“, sagte ich schließlich und hatte das ungute Gefühl, dass meine Stimme nicht ganz so klang, wie sie sollte. „Darauf wette ich, so wie Sie das sagen!“, kicherte Melanie wenig später meine Bestätigung. So ein Mist! *** Die Ferien nutzte ich dazu, alles vorzubereiten. Ich setzte mich mit dem Mechaniker in Verbindung, der seinen Winterurlaub sogar freiwillig um eine Woche verschob, als er erfuhr, dass er für mich ein komplettes Auto auseinandernehmen sollte. Das Geld, das ich für die Teile bekam, war mehr als genug, um einen meiner VW Fox zu finanzieren. Für den kleinen Restbetrag stellte ich einen Scheck aus. Diesen steckte ich mit den Fahrzeugpapieren, den Abrechnungen der Werkstatt und des VW-Händlers sowie einem kurzen Brief mit Erläuterungen in einen Umschlag, den ich Roland – samt Autoschlüssel und Parkmarke – am Flughafen hinterlegen ließ. Vorher verstaute ich das Packet mit Aarans Weihnachtsgeschenk im Kofferraum. Die Entscheidung, welches Kopfkissen ich nehmen sollte, war schnell getroffen: Mit dem, das ich täglich benutzte, war ich schließlich rundum zufrieden. Passende Bettwäsche zu finden war mir bedeutet schwerer gefallen. Letztendlich hatte ich eine weiße Garnitur mit verschieden breiten hellblauen, hellbraunen und schwarzen Streifen gewählt. Selbstredend aus Seide. Dazu legte ich noch eine Weihnachtskarte. Zu den gedruckten Floskeln schrieb ich: Wenn ich wieder bei dir strande … SK Während dem mit Duke vereinbarten Treffen wurde schnell klar, dass er alles tun würde, um mich zu unterstützen. Er sagte, er wollte seine Fehler wieder gutmachen. Aber natürlich wusste ich, dass er am Verkuppeln eine ebenso immense Freude hatte. Entscheidend jedoch war, dass ich mich auf ihn verlassen können würde. Für den hoffentlich nicht eintretenden Fall, dass es nötig ein sollte. Nur fiel mir keine gute Möglichkeit ein, Aaran in naher Zukunft zu treffen. Zwar wusste ich von Duke, dass Aaran plante unsere Klasse vor unserem Abschluss einmal zu einer Fete zu sich einzuladen, aber es stand zu befürchten, dass er damit bis zum Frühjahr warten würde. Sein Garten eignete sich schließlich wesentlich besser für eine Klassenfeier, als sein Wohnzimmer. Wenn sie stattfand, hatte ich mir mit Duke allerdings schon einen guten Grund überlegt, dort anwesend zu sein und etwas länger zu bleiben, als der Rest der Klasse. Manchmal war Dukes augenscheinlicher Einfluss auf mich gar nicht so schlecht. Die Lösung für das Problem lieferte mir letztendlich Mokuba. Wenige Tage vor Ferienende war er in meinem Büro aufgetaucht. Mit den Bechern, die ich in der Grundschule für uns erkämpf hatte. Sie hatten sowohl das Waisenhaus als auch die Zeit bei Gozaboru überstanden. Und wann immer sie seitdem beide vor meiner Nase auftauchten, war ein unangenehmes Gespräch mit Mokuba auf dem Fuße gefolgt. „Was brütest du in letzter Zeit aus?“, fragte er, während er sorgfältig den Becher Kaffee vor mir auf dem Schreibtisch absetzte. Als er aufblickte, wurde mir sofort bewusst, dass er ein Abstreiten nicht akzeptieren würde, weil er ganz genau wusste, dass etwas vorging. Ich seufzte leise, speicherte meine Arbeit und lehnte mich in meinem bequemen Sessel zurück. Eine Weile hüllte ich mich in Schweigen. Ich beobachtete ihn und wusste, dass er über den Rand seines Bechers mit Kakao hinweg, jede meiner Bewegungen verfolgte. Das übliche Spielchen eben. „Das ist nicht ganz einfach zu erklären“, sagte ich schließlich. Das war ebenfalls schon fast ein Ritual, genau wie Mokubas: „Lass dir ruhig Zeit.“ Bisher hatte ich in jeder dieser Situationen gedacht, dass ich ihm den Tatbestand unmöglich verständlich machen und nahe bringen konnte. Dieses Mal war das Gefühl besonders stark. Wie sollte – konnte – ich ihm sagen, dass ich quasi versuchte etwas mit meinem Englischlehrer am Laufen zu halten. Natürlich war ich mir darüber bewusst, dass Mokuba lange nicht mehr das Kind war, als das ich ihn häufig noch sah. Aber das … „Erinnerst du dich noch daran, dass ich dir von dem neuen Referendar erzählt hab?“, fragte ich und nippte an meinem Kaffee. „Der, der angeblich so guten Englischunterricht macht?“, fragte Mokuba. Er sagte das, als wäre es ein Ding der Unmöglichkeit. Mit seinen Englischlehrern hatte er aber auch immer Pech gehabt. Ich nickte zur Bestätigung und beschloss wieder einmal mit der Tür ins Haus zu fallen. Vielleicht hatte ich in letzter Zeit mit zu vielen Amerikanern zu tun … „Ich hab mit ihm geschlafen!“, erklärte ich ruhig. Mokuba reagierte, indem er sich beinahe an seinem Kakao verschluckte. Er sah mich ungläubig an. „Du machst Witze“, brachte er schließlich hervor. „Du hast mit einem deiner Lehrer geschlafen … quasi?“ „Das sagte ich doch!“, erwiderte ich nur, unwillig noch mehr darüber zu erzählen, obwohl ich wusste, dass ich es tun sollte. „Und weiter?“, hakte Mokuba weiter nach. Neugier stand in seinen Augen geschrieben. Ich schwieg weiterhin. In der Lage zuzugeben, dass ich ihn liebte, war ich so oder so nicht. „Du liebst ihn?!“, entfuhr es ihm kurz darauf breit grinsend. Damit traf er den Nagel mal wieder auf den Kopf. „Das erklärt natürlich auch, warum du behauptest, dass er ein guter Englischlehrer ist.“ „Wieso?“, fragte ich scheinheilig, nahm den Aufhänger gerne an. „Behaupte ich etwa, du wärst ein Ass in Chinesisch?“ Daraufhin verzog er das Gesicht – halb beleidigt, halb in Gedanken an das ungeliebte Fach. „Und wo liegt jetzt das Problem?“, lenkte er schnell von dem Thema ab. „Er denkt, ich hab nur mit ihm gespielt und ich muss mir jetzt Dinge überlegen, die ihm bis zu meinem Abschluss am Nachdenken halten“, umriss ich die Situation und kratzte damit mehrere Schwierigkeiten an. Ich vertraute darauf, dass Mokuba mich gut genug kannte, um zu wissen, warum ich es ihm nicht einfach sagte. Sein Kichern bestätigte mir, dass er es begriffen hatte. „Wie süß!“, sagte er und grinste mich neckend an. „Ich muss ihn unbedingt mal kennen lernen, wenn er dich so um den Verstand bringt.“ Ich schwieg … und fragte mich, ob seine Auffassungsgabe nun ein Segen oder doch eher ein Fluch war. Eins stand damit auf jeden Fall fest: Mokuba war ziemlich aufgeklärt. „Warum denkt er denn, dass du nur mit ihm gespielt hast?“, hakte er weiter nach. Mit schiefgelegtem Kopf musterte er mich neugierig. Beinahe so, als könnte er mir die Antwort ansehen. „Die Wette wegen der ich so besorgt war. Ein Versuch von Duke, uns zu verkuppeln. Er hat sich verplappert“, erläuterte ich so kurz wie möglich. Er nickte langsam. „Und worüber brütest du jetzt genau?“ „Einen Grund, mich mit ihm alleine zu treffen.“ So, dachte ich erleichtert, damit sollte das Gröbste hinter mir liegen. „Das ist natürlich schwierig“, sprach Mokuba das aus, was ich schon von Anfang an wusste. Danach kehrte wieder Stille ein. Ich trank noch einen Schluck Kaffee und er starrte angestrengt vor sich hin. „Sag mal“, begann er irgendwann. „Wie läuft das eigentlich mit deiner Unterstützung der Renovierung der Schule ab?“ Ich folgte seinem Blick und erkannte den Vertrag auf meinem Schreibtisch. Worauf er hinaus wollte, war mir schleierhaft. „Unter den im Vertrag festgelegten Bedingungen unterstütze ich das Bauvorhaben mit einer festgelegten Summe. Das weißt du doch!“ „Ich meinte von Terminplan her. Wann musst du das Ding abgeben und bis wann muss der Auftrag von der Schule erteilt werden?“ „Die Frist für den Auftrag läuft am Ende der erste Schulwoche ab, bis dahin sollte ich ihn selbstverständlich abgegeben haben“, gab ich die gewünschte Information. Immer noch inakzeptabel planlos. „Ab Freitag bist du auf Geschäftsreise und am Mittwochnachmittag ist doch diese große Schulkonferenz, wo eigentlich die gesamte Lehrerschaft, sowie Sekretäre anwesend sein sollen. Richtig?“ „Richtig“, bestätigte ich. Langsam dämmerte mir, was sein Plan war. „Das Problem dabei ist, dass ich am Mittwoch ein neues Exemplar anfordern könnte und es dann am Donnerstag noch unterschreibe. Am Nachmittag noch jemanden zu mir zu beordern, könnte ich nur, wenn ich am nächsten Tag nicht da wäre. Aber ich habe mit dem Direktor schon abgesprochen, dass ich nur von Freitag bis Montag fehle. Er murrt jetzt schon wegen der vielen Fehltage, die ich in den letzten beiden Jahren angesammelt habe. Da ist kein Toleranzbereich mehr.“ „Ich dachte auch eher, dass ich hingehe und um ein neues Exemplar bitte. Ich behaupte einfach, ich hätte über die erste Ausgabe Kaffee geschüttet und bitte darum, dass am Nachmittag noch jemand vorbeikommt, um mir die neue bringt, weil ich nicht möchte, dass du von meinem Missgeschick erfährst.“ Er grinste mich an. „Wenn ich ganz kleinlaut und lieb bitte, machen sie das bestimmt. Und da die Konferenz ist, wo sie eigentlich alle hinmüssen, nehme ich an, dass sie denjenigen schicken werden, den die Konferenz am wenigsten betrifft: den Referendar.“ Inzwischen strahlte er über das ganze Gesicht. Für einen Moment war ich sprachlos. Mein kleiner Bruder war wirklich durchtrieben. Aber so sollte es funktionieren. Die Sekretärin würde ihm den Wunsch niemals abschlagen. Sie mochte mich nicht. Außerdem war Mokuba ein Kaiba. Und als Kaiba bekam man immer, was man wollte. Für den Fall, dass der Direktor mich auf den Vertrag ansprach, würde ich einfach sagen, dass ich ihn mir noch einmal durchsehen würde – ob auch alles stimmt – und ihn am Tag vor meiner Abreise abgeben würde. „Der Plan ist gut“, lobte ich ihn. Er grinste. „Ich würde darauf wetten, dass es klappt. Am Nachmittag werde ich natürlich zufälligerweise nicht da sein. Ihr könnt also machen, was immer ihr wollt“, sagte er schelmisch und schnappte sich, bevor ich überhaupt reagieren konnte, den Vertrag und meinen Kaffeebecher und verschwand damit ins Bad. … Am Abend lag das kaffeedurchtränkte Papier immer noch im Waschbecken. Mit den eingetrockneten Flecken würde die Reinigungskraft ihre Freude haben … *** Am Dienstagmorgen verlief alles normal. Aaran verhielt sich mir gegenüber wie immer. Von der Wut und Enttäuschung spürte ich kaum noch etwas. Nur in den Stillarbeitsphasen merkte ich, dass sein Blick hin und wieder kurz nachdenklich an mir hängen blieb. Auf Melanie Lennox war anscheinend Verlass. „Seto, bleibst du bitte noch einen Moment“, sagte er überraschend zu mir, als es klingelte. Einen Moment läuteten bei mir sämtliche Alarmglocken, aber er hatte einen für die Klasse nachvollziehbaren Grund. „Ich möchte mit dir über den Unterrichtsstoff für Freitag sprechen, damit du nächste Woche auf dem Laufenden bist.“ Während die restlichen Schüler in die Pause strömten, begann Aaran mir zu erklären, was er für die nächste Stunde plante und was ich selbstständig erarbeiten sollte. Letztendlich notierte ich mir noch die Hausaufgaben. „Ich möchte mich bei dir bedanken!“, sagte er und lächelte aufrichtig. „Das Auto ist klasse. Auf eine solche Idee wäre ich niemals gekommen. Danke, dass du dich darum gekümmert hast!“ „Das hat überhaupt keine Umstände gemacht“, log ich. Einige Stunden Arbeitszeit waren es schon gewesen, obwohl das Geschenk mehr Zeit in Anspruch genommen hatte. „Ich nehme an, das Ummelden des Wagens hat problemlos geklappt?!“ „Ja, obwohl ich am Anfang etwas skeptisch war“, erwiderte er und lächelte neckisch. „Was Vitamin ‚B‘ alles bewirken kann.“ Meine Mundwinkel zuckten leicht. Vitamin „B“ – Beziehungen. Tja, Kontakte zu einflussreichen Personen waren wirklich etwas Feines. So hatten wir das Auto nicht gemeinsam ummelden müssen. „Allerdings!“, stimmte ich zu. „Den Fahrzeugbrief gebe ich Ihnen bei einer geeigneten Gelegenheit. Ich denke, in der Schule hat er besser nichts zu suchen.“ „Ja, das ist vermutlich richtig so, auch wenn der Wagen dann genau genommen noch etwas länger dein Eigentum ist.“ Ich nickte nur. Dass diese geeignete Gelegenheit wahrscheinlich morgen war, erwähnte ich selbstverständlich nicht. *** „Hallo Aaran“, sagte ich am nächsten Nachmittag und tat milde überrascht. Ich grinste innerlich, als ich sah, dass er mich aus großen Augen anstarrte und mich musterte. Damit wurde ich darin bestätigt, dass es eine gute Idee gewesen war, den Anzug gegen Poloshirt und Freizeithose zu tauschen. „Kann ich dir helfen?“, fragte ich süffisant. „Ähm ja … äh nein …“, stotterte er kurz, dann brachte er einen vollständigen Satz hervor. „Ich wollte zu deinem Bruder. Er hat im Sekretariat um einige Dokumente gebeten.“ Ich hob eine Augenbraue und senkte den Blick auf die Mappe in seiner linken Hand. „Er hat heute Mittag übereilt das Haus verlassen.“ „Oh“, sagte er und wirkte einen Moment ratlos. „Komm erst einmal rein“, schlug ich vor und machte den Weg ins Haus frei. Kurz zögerte er, trat dann aber ein. „Ich nehme an, dass ist der Vertrag.“ Aaran blinzelte. „Du weißt davon?“ „Natürlich. Du denkst doch nicht ernsthaft, ich würde es nicht merken, wenn mir plötzlich ein Vertrag fehlt?!“, antwortete ich und führte ihn durch die Gänge der Villa. „Bist du böse?“, fragte er. „Nein. Warum auch? Mokuba hat sich schließlich darum gekümmert, dass alles wieder ins Lot kommt.“ „Aber der Sekretärin hat er erzählt, du würdest echt wütend werden, wenn du sein Missgeschick mitbekämest.“ Ich blieb abrupt stehen. Als ich mich umdrehte, berührten sich unsere Körper beinahe. Er hat erstaunlich schnell reagiert, dachte ich. Eigentlich hatte ich erwartet, ihn zumindest zu streifen. „Ich sag dir jetzt mal etwas über meinen Bruder: Wenn er die Möglichkeit sieht, nicht selber zu laufen, dann läuft er nicht selbst. In diesem Fall bedeutet das, dass er den Vertrag einfach nicht selbst abholen wollte.“ „Ah ja“, sagte Aaran langsam. Ich stellte zufrieden fest, dass meine Nähe bei ihm ihre Spuren hinterließ. Ohne ein weiteres Wort setzte ich mich wieder in Bewegung. In meinem Büro angekommen bot ich ihm einen Platz an, ließ mich in meinen großen Sessel hinter dem Schreibtisch sinken und streckte fordernd die Hand aus. Er sah mich einen Moment fragend an und reichte mir schließlich die Vertragsmappe. „Dann kann ich ja jetzt gehen“, meinte er. Es klang mehr nach einer unsicheren Frage. „Nein“, sagte ich, während ich begann den Vertrag noch einmal durchzugehen. „Du kannst die Mappe, nachdem ich unterschrieben habe, wieder mitnehmen.“ „Warum? Du bist doch morgen noch in der Schule“, erwiderte er skeptisch. Als ich aufblickte, sah ich eine unterschwellige Freude in seinen Augen. Vielleicht, weil ich ihn nicht sofort wieder wegschickte? „Das ist richtig“, sagte ich und gestattete mir ein feines Lächeln. „Aber was glaubst du, von wem mein Bruder die Angewohnheit hat, nach Möglichkeit andere laufen zu lassen?“ Aaran seufzte. „Hab schon verstanden. Ich wurde zum Laufburschen der Familie Kaiba degradiert.“ „Du solltest es positiv betrachten: Du musst nicht an der mit Sicherheit absolut langwierigen Schulkonferenz teilnehmen und außerdem bin ich davon überzeugt, dir wesentlich besseren Kaffee anbieten zu können“, sagte ich innerlich grinsend. Mal sehen, wie lange er brauchen würde, um zu begreifen, worauf ich hinaus wollte. „Natürlich kann man das auch von der Seite betrachten“, antwortete er und hielt einen Moment überlegend inne. Ernst fuhr er fort: „Und ich bin mir sicher, du kannst mir wesentlich interessantere Fragen beantworten. Zum Beispiel die indirekte, die ich dir vor den Ferien gestellt habe.“ Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, obwohl es logisch betrachtet zu erwarten gewesen war. Warum sollte er in diesem Punkt auch locker lassen? „Du bekommst deine Antwort“, sagte ich letztendlich, „aber wie ich bereits erwähnt zu einem späteren Zeitpunkt.“ Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde Aaran es so nicht akzeptieren, aber dann entspannten sich seine Gesichtszüge. „Also gut“, meinte er beherrscht. „Eine andere Frage, aus reiner Neugier. Wie machen es deine Angestellten so unbemerkt zu bleiben? Ich hab noch niemanden gesehen.“ „Das liegt daran, dass niemand da ist“, erläuterte ich, „so wie eigentlich immer, wenn ich mich zu Hause auf eine Geschäftsreise vorbereite.“ In diesem Fall hatte es selbstverständlich noch einen weiteren Grund: Ich wollte ungestört mit Aaran sein. „Oh“, brachte er hervor. „Das erklärt natürlich alles.“ „Also“, sagte ich schließlich, „kann ich dir einen Kaffee anbieten, oder nicht?“ Aaran blinzelte. Kurz darauf legte er seine Stirn in Falten. „Kaffee im wörtlichen oder übertragenen Sinne?“ Ich lächelte. Na also. „Ganz wie du möchtest!“ Kapitel 7: Wettfreizeit ----------------------- Hallo! Ha, geschafft! Diese Kapitel ist schneller gekommen. Das nächste und letzte werde ich wohl Ende September hochladen. Bald also! ^^ Ich hoffe, es gefällt euch! LG Kyra --- Kapitel 7: Wettfreizeit „Okay“, sagte Aaran nach einem Augenblick langsam, abwägend, „wo steht denn die Kaffeemaschine?“ Es fehlte nicht viel und mir wären die Gesichtszüge entgleist. Mit einem Schlag wallte Enttäuschung in mir auf. „Nebenan“, antwortete ich, darum bemüht, mir nicht anmerken zu lassen, was ich von seiner Entscheidung hielt. „Und was ist nebenan sonst so?“, fragte er weiter. Seine Miene hatte etwas Nachdenkliches. Ich überlegte kurz. Sonst so? Was meinte er damit? Letztendlich entschied ich mich dafür, in seine Frage nichts hineinzuinterpretieren, und beschrieb ihm die Ausstattung des Raumes: „Eine kleine Küchenzeile, ein Konferenztisch mit sechs Sesseln, ein Computer, Aktenschränke, mein Schlafsofa ...“ Ich zuckte mit den Schultern, um ihm zu zeigen, dass ich nicht wusste, was das mit der Frage nach Kaffee oder „Kaffee“ zu tun hatte. „Ein Schlafsofa?“, wiederholte er fragend. „Wozu?“ „Zu Hause arbeite ich meistens drüben. Da habe ich mehr Platz. Wenn ich viel zu tun habe, lege ich mich dort manchmal aufs Ohr“, erklärte ich. Genau genommen kam „manchmal“ ziemlich oft vor. Immer dann, wenn ich so fertig war, dass ich mich nicht mehr in der Lage sah, mich in mein Schlafzimmer zu schleppen. Ich schlug die Vertragsmappe zu, nahm sie und stand auf. Dabei war ich mir die ganze Zeit Aarans musternden Blicken bewusst. „Komm einfach mit rüber“, forderte ich ihn auf und ging los, ohne ihn anzusehen. „Wenn du danach noch Fragen hast, kannst du sie stellen.“ Ich hörte, dass Aaran mir folgte. In meinem eigentlichen Arbeitszimmer setzte ich mich an den Tisch und schlug den Vertrag wieder auf. Während ich begann ihn zu überfliegen, konnte er sich umsehen. Das ich weit kommen würde, bezweifelte ich stark, so viele Frage, wie er zu haben schien. Zunächst jedoch nahm er nur das Zimmer unter die Lupe, öffnete die Türen der Küchenschränke, besah sich deren Inhalt, bestaunte meine Kaffeemaschine, gab aber nur hin und wieder Laute der Verwunderung oder der Begeisterung von sich. „Nett“, sagte er schließlich und als ich aufblickte, sah ich ihn auf meinem Sofa liegen. Auf der Seite. Den Kopf auf einem Arm abgestützt. Ein Bein angewinkelt. Einladend, schoss mir durch den Kopf und irgendetwas setzte bei mir aus. „Du schläfst öfter hier, oder?!“ Ich starrte ihn an und nickte. Der Mann sah wirklich verboten gut aus. Bevor ich meine Gedanken wieder geordnet hatte, stand ich auf und lief zu ihm hinüber. Ich ließ mich auf der Sofakante nieder und zwang ihn damit, sich auf den Rücken zu legte, wollte er sich nicht den Nacken verrenken, um mich anzusehen. Wie erwartete, drehte er sich. Das eine Bein blieb angewinkelt. Die Arme verschränkte er hinter dem Kopf. Bei der Bewegung rutschten sein Pullover sowie das Shirt darunter ein Stück nach oben. Ein Streifen sonnengebräunter Haut wurde sichtbar. Ohne nachzudenken, streckte ich eine Hand aus und fuhr unter den Stoff. Aaran zuckte kurz zusammen und sah mich ein wenig überrascht an. Als meine Finger begannen über seinen Bauch zu streicheln, lächelte er leicht und seufzte entspannt. Ich genoss die Wärme, die in meine Finger strömte. So wie ich sie bisher immer genossen hatte. „Also?“, fragte ich schließlich. „Hast du dich entschieden, welcher Kaffee es sein darf?“ Entgegen meiner Erwartung bekam ich wieder nicht die gewünschte Antwort. Seine Gesichtszüge wurden ernst und der Blick aus seinen klaren, blauen Augen lag musternd auf mir. Schließlich verschwand ebenfalls eine seiner Hände unter seinen Shirts. Ich rechnete schon damit, dass er meine entfernen wollte, aber als sich seine Finger um meinen Handrücken schlossen, schob er sie in die andere Richtung – weiter seine Brust hinauf. Irritiert ließ ich es geschehen. Als ich unter meinen Fingern kräftig Aarans Herzschlag spürte, hielt er in der Bewegung inne. „Du weißt, dass er dir gehört“, sagte er bedächtig, „aber ich weiß nicht mehr, ob es so gut war, es an dich zu verlieren. Ich möchte glauben, dass du das Richtige tust. Ich möchte dir vertrauen. Aber dein Handeln hält mich in einem Zustand zwischen Hoffen und Zweifeln. Und ich weiß nicht, ob ich das durchstehen kann, bis zu diesem Irgendwann an dem du mir Irgendwas erklären willst, von dem ich noch nicht einmal weiß, ob ich es überhaupt hören will. Solange ich es nicht halbwegs einschätzen kann, werde ich nichts tun, von dem ich ausgehe, dass ich mich hinterher noch mieser fühle, als es ohnehin schon der Fall sein würde.“ Ich nickte und gestattete mir ein Seufzen. Was hatte ich auch erwartet? Im Grunde war es klar gewesen, dass ich ihn damit in eine verzwickte Lage brachte. Aber wie es aussah hatten Melanie und ich uns ein wenig verschätzt. Das war allerdings kein Argument, um von meinem Plan abzulassen. Es musste eine andere Möglichkeit geben, ihm ein wenig Sicherheit zu geben. Meine Finger strichen über seine Brust, spürten bei jeder Bewegung seinen Herzschlag. Plötzlich kam mir eine Idee. Sie war zwar alles andere als optimal, aber sie würde ihren Zweck erfüllen: ein halbwegs faires Verhältnis zu schaffen. Behagen tat es mir nicht. So wie jedes Mal, wenn ich die Kontrolle nicht hatte. Aber Aaran hatte gezeigt, wie sehr er mich liebte, und ich bezweifelte, dass er mich verletzten würde. Und wenn ich dadurch meine intimen Momente mit ihm bekam, sollte mir dieser Schritt möglich sein. … Zumal ich bisher so oder so beim Sex nicht viel zu sagen gehabt hatte. „Ich verstehe“, erwiderte ich, „allerdings sehe ich mich nicht in der Lage, dir die Informationen zu geben, die du möchtest. Aber vielleicht kann ich dir auf andere Art und Weise mehr Sicherheit geben.“ Ich merkte, dass er im Begriff war etwas zu sagen, und legte ihm eine Finger an die Lippen. „Frag nicht nach dem Warum. Ich werde es dir nicht sagen. Was ich dir jedoch sagen kann, ist, dass es sich bei dem Zeitraum um Monate handelt.“ „Sehr detailliert, Seto“, murmelte er gegen meinen Finger. „Detaillierter als Irgendwann“, entgegnete ich. Ich zog meine Hände zurück und zupfte Aarans Shirts wieder etwas zurecht. „Außerdem versichere ich dir, dass ich ab ungefähr elf Monaten von ungefähr einem Jahr und bei ungefähr einem Monat von Wochen sprechen würde.“ „Okay“, sagte er seufzend. „Mach deinen Vorschlag.“ „Ich dachte an ein Pfand“, klärte ich ihn auf und er runzelte die Stirn. „Du willst darauf vertrauen können, dass ich keinen Schabernack mit dir treibe. Deine Sicherheit wäre, dass auch ich darauf vertrauen müsste, dass du mit mir keinen Schabernack treibst.“ „Du könntest mir dein Herz geben“, sagte Aaran und grinste leicht. „Das fänd ich fair!“ „Ich dachte eher an Herz gegen Körper – um auf der metaphorischen Ebene zu bleiben.“ Er legte die Stirn in Falten und wies mich mit einem Blick an, weiter zu erklären. „Du überlässt mir die Kontrolle über unsere außerschulischen Angelegenheiten. Ich sichere dir für jeden Monat zwei Treffen zu und überlasse dir, im Rahmen des Treffpunkts, die Kontrolle über das, was wir machen, beziehungsweise was du mit mir machst.“ Aaran blickte mich nachdenklich an, vielleicht sah er aber auch nur durch mich hindurch. „Lass mich noch mal wiederholen, was das für mich bedeutet“, sagte er schließlich. „Dafür, dass ich warte, darf ich also während unserer Treffen über dich verfügen?“ Ich nickte. „Du machst, was ich sage?“ Wieder nickte ich. „Du gehorchst mir aufs Wort? Egal was?“ „Wie du es für angemessen hältst.“ Langsam wunderte ich mich, warum er immer und immer wieder nach derselben Sache fragte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er es noch nicht so ganz begreifen zu können. Vielleicht klang es ihm zu paradox, dass ich mich freiwillig herumkommandieren ließ. „Das heißt, um es ganz platt zu formulieren: Solange du nett zu mir bist, bin ich nett zu dir?“, fragte er grinsend. „Ja.“ Ich war mir nicht sicher, ob mir sein Gesichtsausdruck zusagte. Er fand ohne Zweifeln Gefallen an der Situation. Die Frage war nur, ob es ihm nicht zu sehr gefiel. Hoffentlich bereu ich das nicht noch irgendwann, dachte ich, während Aaran zustimmte. „Bei deinem Stolz beruhigt mich das tatsächlich“, meinte er lächelnd, „und am Ende kann ich auf jeden Fall behaupten, Seto Kaiba hätte mal nach meiner Pfeife getanzt.“ Er setzte sich auf und strich mir, wie so oft, sanft über die Wange. „Du kommst auf erstaunlich gute Ideen!“, murmelte er und gab mir dann den langersehnten Kuss. Automatisch schloss ich die Augen und genoss das Gefühl der sich gegen meine bewegenden Lippen. „Ich glaub, ich nehm den „Seto-Kaffee“, hauchte Aaran mir ins Gesicht. Er schlang die Arme um mich und küsste mich kurz. „Ja, definitiv“, bestätigte er grinsend und während er sich zurücklehnte und mich mit in eine liegende Position zog, murmelte er: „Außerdem hätte ich gern ein Kostprobe deiner ‚Gehorsamkeit‘!“ Ich lag halb auf Aarans Burst und halb auf dem Sofa und blickte in sein grinsendes Gesicht. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen. Aber zumindest konnte ich mir sicher sein, alle Proteste über Unzufriedenheit abblocken zu können. „Es gibt keine Kostprobe“, sagte ich mit Bestimmtheit. „Das ist unser erstes Treffen im Januar!“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Warum wundert mich das jetzt überhaupt nicht?!“ „Tja, wenn du das schon nicht weißt“, sagte ich leicht ironisch. Ein fragender Blick, der eine Erklärung verlangte, traf mich. Sofort war mir klar, dass er wissen wollte, wie ich das eingefädelt hatte. „Das hat sich so ergeben“, log ich. „Na dann …“, sagte Aaran und ich spürte deutlich, dass die Antwort ihm nicht genügte. Umso mehr überraschte es mich, dass er nicht weiter nachfragte. „Zum ursprünglichen Thema zurück: Wenn das hier unser erstes Januartreffen ist, tust du ja trotzdem, was ich möchte.“ „Was möchtest du denn?“, fragte ich rau und leckte mir lasziv über die Lippen. Aaran lächelte zufrieden und äußerst „angeregt“. „Als erstes hilf mir doch mal auf meinem Pullover und T-Shirt“, sagte er. Der Aufforderung kam ich gerne nach. Für Aaran anscheinend überraschend. Als ich ihm die Shirts über den Kopf zog, unterbrach ich ihn mitten im Satz: „Und dann …“ Ich schaute in sein verdutztes Gesicht. „Ja?“, fragte ich provokant unschuldig. Das hier machte mir ganz eindeutig Spaß. Als er nicht sofort antwortete, wanderte mein Blick nach unten über seine Brust und seinen Bauch. Seine Muskeln zeichneten sich unter seiner Haut ab. Aarans Antwort war nonverbal. Er zog mein rechtes Bein über seinen Körper, sodass ich mich nicht mehr schief über ihn beugte. Seine andere Hand vergrub sich in meinen Haaren und übte sachten Druck nach unten aus. Erregung wallte in mir auf, als ich der Bewegung folgte und meine Lippen auf sein Schlüsselbein legte. Ich küsste kurz die Stelle und ließ meinen Mund weiter über die warme Haut wandern. Unter mir stöhnte wohlig Aaran auf. „Du kannst ja tatsächlich tun, was man dir sagt!“ *** Seit dem Tag war mir klar, dass Aaran Lennox zu den Leuten gehörte, die nicht zwischen zwei Dingen wählten, die sie haben wollten, sondern sich einfach beide nahmen. In diesem Falle mich und meinen besten Kaffee … Träge blinzelte ich und vertriebt den Tagtraum. Ich rieb mir die müden Augen. 0:34 zeigte die Uhr. Zeit langsam ins Bett zu gehen, dachte ich, während ich mich aus dem Sessel erhob, in dem ich die letzten Minuten gesessen und ins Leere gestarrt hatte. Ich trottete ins Bad und stellte zum wiederholten Male fest, dass es mir zu pompös gestaltet war. Bei meinem nächsten New York Besuch würde ich auf mein übliches Hotel mit meiner üblichen Suite bestehen. Sobald ich im Bett lag und die Augen schloss, tauchten wieder Bilder von meinem letzten Treffen mit Aaran in meinem Kopf auf. Es verfolgte mich schon die ganzen vergangenen Tage. Sorgen, dass Aaran vielleicht etwas von mir verlangen würde, dass ich nicht wollte, machte ich mir immer weniger. Wenn ich jetzt an unsere Abmachung – und deren Umsetzung – am Mittwoch dachte, kam entweder ein Gefühl des Gefallens oder der Beschämung in mir auf. Mir hatte gefallen, was wir taten – was er von mir wollte – und es hatte mich unglaublich erregt. Es hatte mich erregt, ihm zu gehorchen. Wie erniedrigend. Und immer wenn ich soweit dachte – nicht auf der Ebene des Geschehens verweilte, sondern auch reflektierte –, war ich beschämt. So etwas Erbärmliches passte nicht zu mir. Genau genommen passte einiges an meinem Verhalten Aaran gegenüber nicht zu mir. Aber da ich so bekam, was ich wollte, waren mir diese Mittel recht. Dass dieses Verhalten auch etwas mit meiner Verliebtheit zu tun hatte, ignorierte ich beflissen. Ich öffnete die Augen, um den Gedanken zu vertreiben, begann wie schon früher am Abend ins Leere zu starren. Andere Erinnerungen wurden wachgerufen. Natürlich auch an Mittwoch. *** „Haben alle Bürokraten eine solche Ausdauer?“, fragte Aaran mich ruhig, während ich noch um Atem rang. Wie es schien seit einer Ewigkeit. Ich lag in seinen Armen – nackt, ebenso wie er – und genoss seine Nähe genauso wie die „Nachwehen“ der Orgasmus. „Ich bin kein Bürokrat … zumindest nicht im eigentlichen Sinne“, brachte ich schließlich halbwegs flüssig heraus. „Ich bin nur der Trottel, der die ganzen Bestimmungen einhalten muss.“ Aaran lachte auf. „Du bist wirklich zu bedauern“, sagte er. Ich hörte regelrecht, dass er grinste. Ein Finger strich federleicht einen Teil meiner Wirbelsäule auf und ab. „Aber ich dachte eher an die Bedeutung: Schreibtischathlet.“ „Hast du etwa ein Problem mit meiner Kondition?“, murrte ich, zugegebenermaßen ein wenig in meinem Stolz gekränkt. Das hatte wirklich noch niemand zu mir gesagt. Wozu verschlang Sport denn ein Viertel meiner Freizeit, wenn er ausgerechnet dabei etwas zu bemängeln hatte? Hatte er überhaupt eine Ahnung wie fordernd er war? „Kein Problem. Eher im Gegenteil“, murmelte Aaran und kraulte mir durchs Haar. „Wie lange kann ich denn bleiben?“ Einen Moment schwankte ich zwischen geschmeichelt und überrascht sein. Dann schaffte ich es, mich auf die Frage zu konzentrieren. „Bis heute Abend. Ungefähr acht.“ Kurz hielten seine Hände inne. „Solange?“, fragte er verdutzt, begann aber, das Streicheln fortzusetzen. „Dein Bruder kehrt nicht früher zurück? Und was soll ich in der Schule erzählen, wenn jemand fragt, warum ich nicht wiedergekommen bin?“ Mit der Frage hatte ich gerechnet. Ich lächelte innerlich. „Wenn mein Bruder mit Freunden am Videospielen ist, kommt er erst wieder nach Hause, wenn ich anrufe und ihn daran erinnere, wie spät es bereits ist. Für den Fall, dass in der Schule jemand Fragen stellt, sagst du einfach, ich hätte darauf bestanden, dass du den Vertrag wieder mitnimmst und hätte dich warten lassen. Danach hätte es sich nicht mehr gelohnt, zu kommen. Das glauben sie dir.“ „Da hast du wahrscheinlich recht“, bestätigte er mir. „Darf ich denn wenigstens behaupten, ich hätte in der Zeit deinen Kaffeevorrat dezimiert?“ „Möchtest du das denn wahrheitsgemäß äußern?“, fragte ich schelmisch, als ich endlich begriffen hatte, dass er jetzt vom Getränk sprach. „Ja, ich hätte gern eine Tasse … auch mehrere“, erwiderte Aaran grinsend. „Wärst du so nett? Ich bezweifele, dass ich dieses ominöse Monstrum bedienen kann.“ Ich seufzte. Warum meinten eigentlich alle Leute, mit meiner Kaffeemaschine nicht umgehen zu können? Aber wahrscheinlich war es besser so. Nicht, dass irgendein Trottel sie noch kaputt machte. Eigentlich hatte ich keine Lust, mich zu erheben. In seinen Armen zu liegen, war erstaunlich komfortabel. „Ja natürlich“, sagte ich letztendlich, nicht zuletzt, weil ich ihm ja versprochen hatte, das zu tun, was er wollte. Ich setzte mich auf und Aaran nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte mir einen Kuss auf. Im Gegensatz zu den letzten war dieser erstaunlich sanft. „Was denn jetzt?“, fragte ich leicht spöttelnd. Er küsste mich noch einmal neckend und schob mich dann in Richtung Sofakante. Ich fügte mich murrend und bahnte mir einen Weg über die am Boden verstreut liegenden Kleidungsstücke. Erleichtert stellte ich fest, dass mir das Laufen keine Probleme bereitete. … Wie auch immer Aaran das immer anstellte. Wenig später kehrte ich mit einer Thermoskanne voll Kaffe und zwei Tassen zum Sofa zurück. Ich stellte alles auf der kleinen Kommode ab, die hinter der Lehne stand, an der Aaran immer noch saß. Er zog mich sofort wieder in seine Arme. Ich zögerte kurz, lehnte mich dann aber an ihn. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre es mir wohl nicht möglich gewesen, zu leugnen, dass ich mich in seiner Gegenwart wohlfühlte. „Hier“, sagte Aaran, reichte mir eine gefüllte Tasse und zog eine meiner Wolldecken über unsere Beine. Während ich schon begann, meinen Kaffee zu trinken, schnupperte er erst einmal ausgiebig. Wahrscheinlich war das der aromatischste Kaffee, den er jemals gerochen hatte. Als endlich Bewegung in ihn kam, lag mir schon die Aufforderung, mir nachzuschenken, auf den Lippen. Ich hielt inne, während er sich vorbeugte und sein Gesicht in meinen Haaren vergrub. Was soll das jetzt, fragte ich mich und spürte seine Nase an meinem Hinterkopf. Der warme Lufthauch seiner Atemzüge ließ mich schaudern. „Ich mag deinen Geruch“, murmelte er schließlich in mein Ohr. „Besonders nachdem ich mit dir geschlafen habe. Und den hätt‘ ich auch gern in meiner neuen Bettwäsche!“ Ehe ich darauf reagieren konnte – vielleicht war es auch ganz gut, dass ich keine Zeit für eine Erwiderung hatte –, küsste Aaran meinen Nacken. Feuchtwarm fühlte ich seine Zunge auf meiner Haut. Ich lehnte mich noch weiter zurück, drückte mich regelrecht an ihn, um mehr von seinen Berührungen zu bekommen. Die Frage nach dem Heißgetränk war erst einmal vergessen. „Ich denke, da lässt sich etwas machen“, sagte ich und schluckte. In der Richtung fädelte ich doch gern etwas ein. „Ja?“, hauchte er neckend gegen meine Schultern. Er legte seinen Kopf an meinen und hob die Tasse an die Lippen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie er genießerisch das Gesicht verzog. Nachdem auch er seine Tasse geleert hatte, nahm er mir meine aus der Hand und stellte beide hinter sich auf die Kommode. „So gut der Kaffee auch ist“, flüsterte er, während seine Finger wieder begannen, meinen Körper zu liebkosen, „dich ziehe ich immer vor.“ *** Ich war gerade dabei mich endgültig in meinen Erinnerungen zu verlieren, als mein Handy klingelte. Widerwillig öffnete ich die Augen und zog ebenso ungern eine Hand unter der warmen Bettdecke hervor, um nach dem Störenfried zu tasten. Welcher Trottel hatte denn jetzt schon wieder die Zeitverschiebung vergessen? „Kaiba“, grummelte ich in den Hörer. Kurz hatte ich überlegt, es einfach klingeln zu lassen, aber als ich Dukes Nummer gesehen hatte, war mir die Lust darauf vergangen. Dem traute ich es ohne weiteres zu, mich mit Anrufversuchen die ganze Nacht wachzuhalten. „Hallo Seto“, ertönte es munter. Reue, mich mitten in der Nacht zu stören, war nicht einmal ansatzweise zu vernehmen. Duke eben. „Sag bloß ich hab dich geweckt?! Ich dachte, du wärst noch wach.“ „Es ist halb zwei“, knurrte ich ein wenig ungehalten. „Was willst du?“ „Ist ja schon gut. Nicht so aggressiv. Tut mir ja leid“, versuchte er mich zu beschwichtigen, aber sein Tonfall sagte etwas anderes. „Ich hab gute Nachrichten und dachte mir, sie würden dich sicher freuen.“ „Aha“, erwiderte ich desinteressiert. Das war kein Grund, mich zu stören. „Wir wichteln in der Klasse …“, sagte Duke und ich konnte sein breites Grinse förmlich hören. Oje, was hatte der nur wieder angezettelt. „Erspar mir die Erklärung, warum man nach Weihnachten wichtelt“, forderte ich. Ich wollte es wirklich nicht wissen. Wahrscheinlich war das wieder irgendein verrückte Auswuchs von Fantasie einer meiner pubertierenden Klassenkameraden. „Aaran macht mit“, sagte Duke. Der süffisante Unterton entging mir nicht, aber Aarans Name weckte meine Neugierde. Wehe der Kerl wollte mich nur ärgern. „Ja und?“, fragte ich, bemüht möglichst nicht zu interessiert zu klingen. „Du auch“, ergänzte Duke mit diebischer Freude. „Und ich hab ausgewürfelt, wer etwas für wen besorgen muss.“ So wie das klang, hatte er dabei geschummelt. Und da es im Moment sein Ziel war, mich und Aaran zu verkuppeln, musste man kein Genie sein, um zu wissen, wen er mir „zu gelost“ hatte. Dummerweise hatte ich keine originelle Idee. „Ich nehme an, dass bedeutet, dass ich für Aaran ein Geschenk kaufen soll“, sagte ich seufzend, um auf Nummer sicher zu gehen. „Und er für dich“, fügte Duke hinzu. Na da hatte aber jemand Spaß gehabt. „Gibt es irgendwelche Bedingungen?“, fragte ich weiter, in der Hoffnung dadurch vielleicht einen Denkanstoß zu bekommen. „Als Betitelung des Geschenks fielen ‚persönlich und/oder bezeichnend‘.“ Keine Ahnung, was „bezeichnend“ implizierte. Bei „persönlich“ kam mir sofort eine Idee. „Duke, mag Aaran Katzen?“, fragte ich, bevor ich richtig darüber nachgedacht hatte. „Ja, sehr sogar. Aber du willst ihm doch wohl kaum eine Katze schenken“, meinte Duke und ich wusste, dass er jetzt die Stirn runzelte. „So in der Art“, formulierte ich vage. Ich lächelte. Es würde ihn ärgern, nicht zu wissen, was ich meinte. „Och komm schon“, schmollte er. „Vergiss es!“, bestimmte ich, kaum dass er geendet hatte. „Das ist gemein“, sagte er beleidigt. Dann schlug seine Stimmung um und er lachte fröhlich. „Ach ja, ich wollte mich noch mal nach unserer neuen Wette erkundigen.“ „Nicht jetzt. Es ist spät“, sagte ich und verabschiedete mich. Das letzte, was ich jetzt wollte, war eine weitere Wette. Immerhin schien ich alles fürs erste wieder ins Lot gebracht zu haben. Kapitel 8: Wettgewinn --------------------- Hallo! Ja, ich weiß, dass ich mich ein wenig im Monat geirrt haben, um es freundlich auszudrücken. Es tut mir Leid! Ich will euch gar nicht erst mit meinen Entschuldigungen langweilen. Stattdessen viel Spaß mit dem letzten Kapitel! HAPPY BIRTHDAY, SETO! ^______^ LG Kyra PS: Wer sich weitere Storys der etwas *hust* unzuverlässigen Autorin lesen will, findet am Ende des Kapitels einen entsprechenden Hinweis. --- Kapitel 8: Wettgewinn Um am Dienstagmorgen rechtzeitig in der Schule zu sein, war ich am frühen Nachmittag in New York abgeflogen. Meine Planung war knapp bemessen, aber ich betrat pünktlich mit dem Klingeln den Klassenraum. Gut kalkuliert, Seto, dachte ich, wusste aber natürlich, dass ich keinen Spielraum für irgendwelche Pannen gehabt hatte. Müde ließ ich mich auf meinen Platz sinken, packte meine Unterlagen aus und war im Begriff für unbestimmte Zeit erst einmal abzuschalten. Deswegen würde ich mir nach der Stunde wahrscheinlich eine Standpauke von Aaran anhören dürfen, aber das nahm ich in Kauf. Ich hatte Termine für fünf Tage in drei quetschen müssen und aufgrund der Anstrengungen forderte auch der Jetlag einen erhöhten Tribut. Ich war erschöpft – auch wenn ich es nicht gerne zugab. Am liebsten wäre es mir, die Schule abzusitzen und mich danach in mein Bett zu verkriechen. Natürlich würde ich das nicht tun. Ich hatte nach der Geschäftsreise genügend zu erledigen. Außerdem war ich mir bewusst, dass eine solche Handlung absolut destruktiv wäre. Den Jetlag würde ich dadurch nur verschleppen. Also würde ich in den nächsten Tagen den Abend herbeisehnen und schlafen wie ein Stein. Mein Vorhaben wurde vereitelt. Ein mittelgroßes Päckchen landete mit einem Rums auf meinem Tisch. Nur meine gute Selbstbeherrschung verhinderte, dass ich zusammenzuckte. Ich starrte auf die Hände, die auf dem Packet lagen – es auf meinen Tisch drückten. Gebräunte Haut, lange, schlanke Finger. Ich kannte diese Hände sehr genau. Ich wusste, wie sie sich an meinem Körper anfühlte. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf meinem Rücken und ich musste mich zwingen, die Gedanken – Erinnerungen – an die Berührungen zu verdrängen. Aaran, war mir sofort klar. Nur warum stand er vor meinem Pult und was sollte dieses Päckchen? Langsam sah ich auf und blickte in das inzwischen so vertraute Gesicht. Belustigung und Besorgnis standen in den blauen Augen. „Aaran Lennox an Seto Kaiba“, erklang seine Stimme. Ich stellte überrascht fest, dass ich sie ein wenig vermisst hatte. Gleich darauf strafte ich mich für den Gedanken. „Jemand zu Hause?“ Gelächter brach in der Klasse aus. Na prima. „Möchten Sie sich beschweren?“, stellte ich eine Gegenfrage. „Ja, ich denke, das steht mir zu“, antwortete Aaran schließlich, nachdem er kurz die Stirn gerunzelt hat. „Ich nehme an, Sie wissen wo sich das Büro des Direktors befindet“, fragte ich rhetorisch. Natürlich war das provokant … und vielleicht auch ein wenig gewagt. Schließlich waren meine Geschäfte in Übersee in einem bestimmten Maß von dieser Person abhängig. Drei Monate noch. „Allerdings bezweifele ich, dass es ihn groß tangieren wird, dass Sie der Meinung sind seine Einschränkungen für meine Geschäftsreisen würden meine Leistungen mindern.“ Aaran blickte mich einen Moment lang besorgt an, dann schlich sich ein Lächeln in seine Züge. „Ich bezweifele eher, dass es sich für die drei Monate lohnt, sich mit dem Chef anzulegen“, sagte er. „Um dich auf den neusten Stand zu bringen: Während du geistig geschlafen hast, haben wir schon mit dem Austauschen der Wichtelgeschenke begonnen.“ Er zeigte auf das Päckchen auf meinem Tisch. Heute sollten wir die schon mitbringen? Als ich nicht reagierte, fuhr Aaran fort: „Duke sagte mir, er hätte dir Bescheid gegeben.“ „Dabei hat er allerdings vergessen, zu erwähnen, dass der Austausch heute ist.“ „Ich dachte, das wäre klar. Sonst hätte es ja Zeit gehabt, bis du wieder da bist.“ Seinen Formulierungen nach war es ganz eindeutig nicht klar gewesen. Schließlich hatte er von „Neuigkeiten, die mich bestimmt interessierten“ gesprochen. „Wenn du mich mitten in der Nacht anrufst, ist für mich nur eins klar …“, begann ich. „Ja?“, fragte er herausfordernd. „Du störst!“, beendete ich meinen Satz. „Wobei denn?“ Duke kicherte. „Das war jetzt echt zweideutig, Seto.“ Auf den schnellen Schlagabtausch folgte ein Moment, in dem wir uns einfach nur anfunkelten – er belustigt, ich genervt. Mir lag schon eine eindeutig unschöne Bemerkung auf der Zunge, als Aaran sich einmischte. „Hättet ihr beide die Freundlichkeit – wenn ihr euch schon anzicken müsst wie zwei kleine Kinder –, das wenigstens, auf nach den Unterricht zu verschieben?!“ Er warf uns einen ebenso tadelnden wie ermahnenden Blick zu und verschwand mit dem Päckchen – meinem Geschenk – nach vorne an den Lehrertisch. Meine Augen folgten ihm, beobachteten jede seiner Bewegungen, und fragte mich, wann ich endlich wieder das Vergnügen hätte, allein mit ihm zu sein … obwohl das letzte Mal noch gar nicht in weiter Ferne lag. Ich schielte erst wieder zu Duke hinüber, als Aaran ihn auf Englisch zurechtwies, dass der Unterricht bereits begonnen hatte. Allein die Sprache war dafür Beweis genug. Zudem teilte Aaran ihm noch den Vortrag des schwersten Teils der Hausaufgabe zu. Voller Schadenfreude grinste ich in mich hinein, hütete mich jedoch davor, diese offen zu zeigen. Aaran gehörte zu den Leuten, die denen, die sich über das „Unglück“ anderer lustig machten, ebenfalls eine saftige Aufgabe auftrugen. Und heute war ich einfach viel zu müde und träge, um mich ernsthaft mit Schule zu beschäftigen. Der Vormittag zog langsam an mir vorbei, ohne dass ich später hätte sagen können, was wir am heutigen Tag besprochen hatten. Als ich zum Parkplatz kam, wartete Duke schon auf mich. „Lass uns, unsere Auseinandersetzung klären“, sagte er, sobald ich in Hörweite war. „Da gibt es nichts zu klären, Duke“, erwiderte ich. Ich hatte absolut keine Lust, mich weiter über dieses Thema zu streiten, obwohl ich ganz genau wusste, dass ich recht hatte. „Wir wissen beide, dass deine Worte nicht darauf abzielten, mir zu vermitteln, dass das Geschenk so bald fällig war.“ „Touché!“ Duke grinste. Er schien sich wieder einmal köstlich zu amüsieren. „Ich dachte, ich könnte dich ein wenig reizen. Für mein eigentliches Anliegen.“ „Das da wäre?“, fragte ich und war mir ziemlich sicher, dass es wieder einmal ein Spaß auf meine Kosten sein sollte. „Es steht noch eine Wette aus. Und da du bisher noch keinen Vorschlag gemacht hast, ist hier meiner: Wir wetten darum, ob du es schaffst, ihm bis Ende April deine Liebe zu gestehen. Ich sage, du traust dich nicht.“ Duke grinste hinterhältig. „Wenn ich Recht habe, dann bleibt es bei unseren Wettschulden. Nur, dass wir sie in der Firma tragen.“ So etwas hatte ja kommen müssen. Warum dachte er, ich ließe mich darauf ein? „Das kommt nicht in Frage!“, bestimmte ich. „Du scheinst vergessen zu haben, dass das deine zweite Chance ist. Ich lege fest, worum wir wetten.“ „Eigentlich sollte ich die Wette jetzt schon gewinnen.“ Er lachte aufgesetzt, sich dessen bewusst, wie sehr es mir auf die Nerven ging. „Ich sag ja, du traust dich nicht, es ihm zu sagen.“ Okay, wenn er es so wollte. Dem würde sein Lachen gleich vergehen. Ich grinste diabolisch. „Du verstehst mich nicht richtig. Mit der Wette an sich bin ich einverstanden“, sagte ich selbstsicher, „aber die Einsätze sind inakzeptabel.“ Duke blickte mich einen Moment schweigend an, dann fing er sich wieder. „Du bluffst. Es widerspricht deiner Art, es ihm zu sagen!“ Er kannte mich inzwischen erstaunlich gut. Es stimmte, wie er argumentierte. Es widerstrebte mir zutiefst, diese Schwäche einzugehen. Aber ich wusste mittlerweile, dass Aaran das war, was ich wollte. Also würde ich das Risiko hinnehmen. „Sagen“ würde ich es ihm allerdings nicht, da hatte Duke vollkommen recht. Soweit war ich noch nicht. Dafür hatte ich mir einen anderen Plan überlegt: Ein Brief, den nur Aaran verstehen würde. Und davon hatte mein Gegenüber glücklicherweise keine Ahnung. Ich antwortete nicht verbal, stattdessen blickte ich ihn nur herausfordernd an. Ich spürte, dass Duke eine bissige Erwiderung auf der Zunge lag. Aus dem Augenwinkel sah ich eine nur zu bekannte Gestalt über den Parkplatz laufen. Aaran. „Halt die Klappe!“, zischte ich Duke zu und rollte mit den Augen in Aarans Richtung, der keine fünf Meter mehr von uns entfernt war. Duke sah mich fragend an. In dem Moment, in dem er den Mund öffnete, erlang Aarans Stimme: „Streitet ihr schon wieder?“ Duke hielt in der Bewegung inne. Kurz darauf schnitt er eine Grimasse, um keine zwei Sekunden danach auf einem Bein herumzuwirbeln und Aaran freundlich mitzuteilen: „Nein, wir hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Außerdem wollte ich sowieso gerade gehen. Muss mich noch auf ein Meeting vorbereiten. Tschüss!“ Damit schritt er eilig über den Parkplatz davon. Aaran und ich schaute ihm Kopfschüttelnd hinterher. Dieser Idiot. Konnte er nicht einfach aufhören, zu versuchen, uns zu verkuppeln? Duke war schon fast um die nächste Straßenecke verschwunden, da drehte er sich noch einmal um und rief quer über den Parkplatz: „Ich ruf dich heute Abend an, Seto!“ „Was war das?“, fragte Aaran nach einem Moment. „Duke eben.“ „Das war selbst für Dukes Verhältnisse merkwürdig!“ „Für den Duke, der mir die ganzen letzten Monate auf die Nerven geht, war das ganz normal“, bestimmte ich. Das war zwar meilenweit von einer Erklärung entfernt, aber es war die Wahrheit. Seitdem er seinen Beschluss getroffen hatte, benahm er sich immer öfter so. „Hm, wenn du meinst“, sagte Aaran vage. Er sah mich unschlüssig an. Ich spürte, dass er nicht gehen wollte. Auch sah ich ihm an, dass da etwas war, das er mir sagen wollte, aber anscheinend zweifelte er, dass hier der richtige Ort dafür war. „Ach ja“, sagte ich schließlich, als ich mein Päckchen in seiner Tasche entdeckte. Unter seinem aufmerksamen Blick ging ich zum Kofferraum. „Dein Wichtelgeschenk“, meinte ich, während ich es ihm hinhielt. Noch ehe Aaran seine Hand danach ausgestreckt hatte, war ein „plopp“ zu hören, als ein Hagelkorn auf dem Plastik unter dem Geschenkpapier landete. Kurz darauf folgten weitere. Von einem Moment auf den anderen brach ein Hagelschauer los. „Verdammt“, murmelte ich, als ich die hintere Tür meines Mercedes aufriss und schleunigst auf die Rückbank rutschte. Ebenso fluchend folgte Aaran meinem Beispiel. „Verfluchtes, unberechenbares Scheißwetter!“, schimpfte er, schloss mit einem Ruck die Tür und rieb sich den Kopf. „Man bin ich glücklich, wenn erst einmal Sommer ist. Mit plötzlichen Regengüssen komm ich klar.“ Ich grinste über seinen Unmut und reichte ihm das mit feuchten Punkten gesprenkelte Packet. „Vielleicht heitert das dich etwas auf“, sagte ich aus einem Impuls heraus, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob er sich darüber freuen würde. „Aus Amerika?“ „Ja.“ „Dann hoffe ich, dass eine Packung ‚Laines Brownies‘ drin ist. Die heben meine Stimmung mit Sicherheit“, grinste er. „Damit kann ich nicht dienen“, erwiderte ich und fragte mich, warum so viele Leute auf dieses klebrige, süße Zeug abfuhren. Duke schien regelrecht besessen davon. Amerikaner litten eindeutig unter geistiger Umnachtung wenn es ums Essen ging. Aaran ließ seine Tasche auf den Boden zwischen uns gleiten und begann, das Papier aufzureißen. Sein Mund klappte auf, als er die zusammengerollte Katze – eher gesagt den Kater – im Inneren des Kunststoffbehälters erblickte. Hellbraunes Fell, verhältnismäßig große, blauen Augen, eine mürrischer „Gesichtsausdruck“, braune Haare, langer blauer Mantel, dunkelgrünes Hemd, schwarze Hose. Kurzum: Meine Wenigkeit als Plüschkater. „Kann man die öffnen?“, fragte Aaran. Er schien aus dem Staunen gar nicht mehr hinauszukommen. „Klar“, antwortete ich und nahm ihm die Box aus der Hand, um ihm zu zeigen, wie man das schwarze Unterteil vom durchsichtigen Deckel trennen konnte. „Wenn du den Kater ganz rausbekommen willst, musst du die Bänder lösen“, erklärte ich und wies auf die Unterseite. „Okay“, erwiderte er immer noch fasziniert und tippte mit dem Finger auf den Kopf des Katers, der der Bewegung folgte und auf und ab wippte. Dann entdeckte er die Plakette auf dem Boden und las flüsternd: Duel Monsters Spieler Edition Catboy „Seto Kaiba“ Vertragsexemplar „Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt“, murmelte er erstaunt. „Es ist das erste. Wie gesagt, das ‚Vertragsexemplar‘“, erklärte ich und freute mich innerlich darüber, dass mein Geschenk ihm gefiel. „Das erste Exemplar“, widerholte Aaran, als könnte er es nicht begreifen. Oder zumindest irgendetwas daran nicht begreifen. „Ja. Maximilian Pegasus plant eine ganze Reihe von Duellanten als Plüschtiere herauszugeben. Das hier ist sozusagen ein Prototyp auf dessen Grundlage die Verhandlungen geführt werden.“ „Hast du der Produktion zugestimmt?“, fragte er neugierig. „Ich bin mit Pegasus so verblieben, dass er sich bei mir meldet, wenn er die Zustimmung der restlichen Top 10 hat. Sollte er das schaffen, gebe ich dem Ding, so wie es ist, mein Einverständnis und unterschreibe den ausgehandelten Vertrag.“ Ich fand Pegasus Idee lächerlich. Allerdings musste ich zugeben, dass sie recht profitbringend klang. Fans waren begeistert von so einem Tand. Ich sah mich zwar nicht gern als Plüschkater, aber wenn die anderen Duellanten zustimmten, nahm ich lieber den Gewinn mit, als meine Zeit in endlosen Pressenkonferenzen damit zu verbringen, zu begründen, warum ich dieser Idee widersprochen hatte. „Und warum schenkst du ihn ausgerechnet mir?“, hakte Aaran weiter nach. Ich war versucht zu sagen: „Weil er bei dir gut aufgehoben ist!“ oder etwas ähnlich Sentimentales. Ich schluckte es hinunter. „Ich hab in der nächsten Zeit viel zu viel zu tun, um mir ständig von Mokuba mit dem Ding vor der Nase herum wedeln und mir erzählen zu lassen, wie toll er wäre.“ „Du magst ihn nicht“, stellte Aaran richtig fest, dann grinste er, „dabei ist er doch so niedlich.“ „Genau das meine ich!“, brummte ich misslaunig, obwohl ich wusste, dass solche eine Reaktion seine Absicht gewesen war. Er lachte leise. „Ich werde ihn in Ehren halten. Versprochen!“ „Ich weiß“, murmelte ich mehr zu mir selbst, aber er schmunzelte glücklich. Wenig später reichte er mir mein Geschenk. „Es ist nicht so exklusiv“, sagte er und lächelte verlegen, „aber als ich es sah, musste ich an dich denken.“ Innerlich schüttelte ich den Kopf. Das war so typisch. Sofort machte er sich Sorgen, mir nichts Gleichwertiges bieten zu können. Dabei wäre das, das letzte, was ich von ihm erwarte würde. Unter dem Geschenkpapier kam ein Postpacket zum Vorschein. Der Stempel zeigte, dass es aus Miami stammte. Als Absender war Melanie Lennox angeben. Er hatte seine Schwester extra für das Geschenk gebeten, ihm etwas aus Amerika zu schicken. An Mühe mangelte es ganz bestimmt nicht. Im Inneren stieß ich auf Unmengen von Zeitungspapier und nach etwas Suchen auf ein kleines Päckchen – dem Aufkleber nach von einem Juwelier. Ein Ring, mutmaßte ich überrascht. „Du kannst deiner Schwester ausrichten, dass sie froh sein soll, nichts verpacken zu müssen, um Geld zu verdienen. Sie würde im Handumdrehen gefeuert werden“, sagte ich zu Aaran, der sofort in schallendes Gelächter ausbrach. „Lieber nicht. Dass du dich ärgerst, war vermutlich ihr Ziel“, antwortete er immer noch glucksend, während ich es endlich schaffte, die Schleife und das Papier zu entfernen. Als ich das Döschen schließlich öffnete, kam tatsächlich ein Ring zum Vorschein. Fasziniert stellte ich fest, dass der Körper des Weißen Drachen den Ring bildete. Blaue Steine formten die Augen. Nach kurzem Abschätzen der Größe, schob ich ihn auf meinem linken Ringfinger. Er passte perfekt. Erst später wurde mir bewusst, dass dies der Finger war, an dem man üblicherweise Verlobungsringe trug. Aaran beobachte mich aufmerksam. Ich war mir bewusst, dass er eine Reaktion erwartete. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte, das einerseits nicht zu gefühlsduselig war und andererseits nicht zu grob klang. Letztendlich brachte ich ein leises „Er gefällt mir“ hervor, über das ich mich sofort ärgerte, obwohl es seinen Zweck erfüllte. Als ich das Zeitungs- und Geschenkpapier in den Karton gestopft hatte und den nach vorn auf den Beifahrersitz verfrachtet hatte, damit ich ihn später nicht im Auto vergaß, hagelte es immer noch heftig. „Ich setzt dich bei deinem Auto ab“, schlug ich Aaran vor, als ich sein Widerstreben, nach draußen zu gehen, sah. „Das wäre echt nett“, antwortete er und verschloss die Box mit dem Kater wieder, um ihn vor dem Hagel zu schützen. „Da wäre noch etwas, das dich vielleicht interessiert“, fuhr er fort, während ich nach vorne kletterte und losfuhr. „Ich hatte heute ein Gespräch mit dem Direx. Dabei kamen wir auch auf deine Geschäftsreisen zu sprechen. Er hat sich erkundigt, wie du mitgearbeitet hättest. Ich hab ihm die Wahrheit gesagt und meine Meinung dazu. Wenn er dir eine Alternative anbietet, solltest du vielleicht nicht kategorisch ablehnen.“ Nachdem ich Aarans Weg durch den Hagel von fünfzig auf zwei Meter verkürzt hatte, sprang er mit einem „Wir sehen uns!“ aus dem Wagen und hastete zu seinem eigenem hinüber. Weitere Ausführungen gab er nicht, allerdings sah ich ihn mir zuzwinkern, als er hinterm Steuer Platz genommen hatte. Auf dem Weg zur Firma rätselte ich, was er gemeint haben könnte. Ich fand keine Antwort und beschloss letztendlich, seinen Ratschlag im Hinterkopf zu behalten für den Fall, dass der Direktor mich wirklich zu sich bestellen sollte. Ob ich ihn beherzigte, würde sich zeigen. *** Am Abend rief – wie versprochen – Duke an. Und nach einigem hin und her einigten wir uns auf Wette und Wetteinsätze. Wir wetteten darum, ob ich es schaffen würde, Aaran bis Ende April meine Liebe zu gestehen. Sollte Duke Recht haben – was natürlich nicht passieren würde –, blieb es bei seinen Wettschulden und ich musste Aaran öffentlich, also per Pressekonferenz, meine Liebe gestehen. Mit dieser Regelung hatte Duke sich letztendlich zufrieden gegeben. Wahrscheinlich nur, weil er damit sein Ziel erreicht sah. Die Chance, dass Aaran mir einen Korb gäbe, sah er bei null. Sollte ich gewinnen – was der Fall sein würde – musste Duke nicht nur seine alten Schulden ableisten, sondern darüber hinaus etwas, das Aaran bestimmte. Die Idee war mir spontan gekommen. Ich dachte mir, als mir selbst nichts Gescheites einfiel, Aaran hätte bestimmte eine gute Idee, um sich für den Ärger der ersten Wette zu revanchieren. Duke davon zu überzeugen, war nicht ganz einfach. Im Endeffekt überredete ich ihn mit der Begründung, wenn er schon wiederholt auf Aarans Kosten wetten wollte, dann wäre es nur fair, wenn dieser im Rahmen der Wette zumindest etwas bestimmen konnte. Mit „Fairness“ brachte man Duke erstaunlich oft zum Einlenken. *** Donnerstagmorgen wurde ich dann tatsächlich zum Direktor zitiert. Und wie Aaran erwähnt hatte, schlug er mir wirklich eine Alternative vor. Mister Lennox hätte ihm berichtete, dass längeres Fehlen mir anscheinend weniger Probleme bereitete, als eine anstrengende Reise. Logisch betrachtet müsste er dem zustimmen, da man fit bekanntlich im Stande war mehr zu lernen. Deswegen wäre er zu dem Schluss gekommen, mir meine Geschäftsreisen, in dem Umfang zu erlauben, wie ich es für angemessen hielt, wenn ich im Gegenzug andere schulische Extraaufgaben übernehmen würde. Im ersten Moment war ich versucht, einfach abzulehnen, aber Aarans Ratschlag hatte ich nicht vergessen. Also fragte ich, wie diese Extraaufgaben aussehen würden. Nein sagen, konnte ich danach immer noch. Der Schulleiter erklärte, er hätte dabei an etwas gedacht, das meine Begabungen in Umgang mit Computern nutzen würde. Es wäre geplant, mehrere neue Programme in der Schule einzuführen, und ich sollte die Lehrkräfte damit vertraut machen. Nach diesem Vorschlag verbrachten wir eine knappe Viertelstunde damit, darüber zu diskutieren, ob ich die Zeit hatte, einen Kurs für alle Lehrer zu veranstalten, die logischerweise alle eine unterschiedlich schnelle Auffassungsgabe hatten. Erst als ich sarkastisch bemerkte, dass er ja schon einmal ein unglaubliches Geschick an den Tag gelegt hatte, was meine Terminplanung anging, lenkte der Direktor ein, dass ich nur einen Lehrer, jung und mit Computern vertraut, in die Programme einführen sollte. Zu meinem Glück lief es bei dieser Person auf Aaran hinaus. Damit schlug ich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Ich konnte meine restliche Schulzeit über meine Geschäftsreise verfügen, wie ich es wollte und außerdem musste ich mir keine Sorgen mehr über das Organisieren der Treffen mit Aaran machen. Mit dieser Vereinbarung hatte ich eine Begründung für zwei Treffen im Monat gesichert. *** Während der Treffen musste ich darauf achten, dass die Einführung in die Computerprogramme nicht in den Hintergrund geriet. Auch wenn ich mich lieber anderweitig mit Aaran beschäftigte, musste ich Sorge dafür tragen, dass der am Ende jedes Treffens einiges dazugelernt hatte, was nicht gerade mich und meinem Körper betraf. Ansonsten würde es bei einer möglichen Befragung nach Fortschritten durch den Direktor nur Schwierigkeiten geben. Wir trafen uns mal bei mir zu Hause, mal bei ihm und ansonsten in der Kaiba Corporation. Das Verhältnis zwischen Aaran und mir hatte sich, wenn man das so sagen konnte, normalisiert. Wir gingen miteinander um, wie an dem Wochenende, als ich das erste Mal bei ihm gewesen war. Beim zweiten Mal hatte ich festgestellt, dass er tatsächlich die von mir geschenkte Bettwäsche aufgezogen hatte, mein Kopfkissen neben seinem lag und der Seto-Kater darauf thronte und eindeutig nach Aaran roch. Bis Anfang April hatte ich festgestellt, dass die Abschlussprüfungen noch einfacher waren, als ich immer gedacht hatte, Mokuba immer noch mit jedem Tag, den die Ferien näher rückten, aufgedrehter wurde und Aaran ein besserer Liebhaber war, als alle bisherigen, die ich gehabt hatte, seit ich mit 16 einem Impuls folgend mit einem Hotelangestellten geschlafen hatte. Außerdem war mir klar geworden, dass es gar nicht so einfach war, den Brief an Aaran zu schreiben. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich eigentlich nur geschäftliche Briefe verfasst. Als ich nach Stunden mit dem unsäglichen Ding fertig war, hatte ich mich entschieden, die entscheidenden Worte, dem eigentlichen Brieftext vorzustellen. Auch wenn draußen tiefster Winter war, in meinem Herzen herrschte Frühling. Manchmal gewinnt man, ohne zu wagen, in dem man wartet ... wenn der Gewinn denn später noch einer ist. Erst danach folgte die Anrede und ein knapper Text, in dem ich mich für den endlich mal nicht langweiligen Englischunterricht bedankte und ihn einlud die Osterferien mit Mokuba und mir zu verbringen, um meinem Bruder das Surfen beizubringen. Zufrieden mit dem Brief, den nur Aaran verstehen würde, da ich mich auf Sätze bezog, die wir bei unserem Zusammentreffen bei ihm zu Hause gesprochen hatten, klebte ich den Umschlag zu und schob ihn in einen weiteren, größeren, in dem schon sämtliche Tickets lagen, die Aaran brauchte, um zu unserer Privatinsel zu kommen. Ich gab Aaran den Umschlag bei unserem ersten Treffen im April. Dem letzten bevor ich von der Schule ging. Wieder einmal lagen wir gemeinsam auf meinem Schlafsofa und Aaran strich wie so oft federleicht über meinen Rücken. „Was ist das?“, fragte er, nachdem ich den Umschlag aus der Kommode hervorgezogen hatte. „Bei uns an der Schule gibt es die Tradition, dass die Schüler zu ihrem Abschluss Lehrern einen Brief schreiben können. Als Dank, Abrechnung, wie auch immer. Der hier ist von mir an dich. Der einzige wohlgemerkt. Ich bitte dich, ihn erst zu öffnen, wenn ich wirklich offiziell die Schule beendet habe. Sonst verfehlt der Brief ja seinen Zweck“, erklärte ich wie ich es mir überlegt hatte. Bisher hatte ich diesen Brauch immer für schwachsinnig befunden, was vielleicht auch daran lag, dass ich täglich mit den Lehrkräften abrechnete, wenn es denn sein musste. Jetzt kam er mir gelegen. Der ideale Grund Aaran einen Brief zu geben, den er erst nach meinem Weggang von der Schule öffnen durfte. „Ach, was steht denn da so brisantes drin, das ich erst nach deinem Abschluss erfahren darf? Hast du etwa Angst, ich könnte ihn dir noch vermasseln?“, fragte er neckend und zog mich, bevor ich antworten konnten, in einen sanften Kuss. Es war beinahe erstaunlich, wie gut Aaran mich inzwischen kannte. Warum ich ihm diesen Brief schon jetzt gab, fragte er erst gar nicht. Ihm war bewusst, dass es eine Privatsache war und damit nur ihn und mich etwas anging. „Oh, Konsequenzen würde es sicherlich haben“, murmelte ich und versuchte hinterlistig zu grinsen, um zu verbergen, dass ich über sie keinesfalls erfreut sein würde, „aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie unbedingt für mich negativ ausfallen würden.“ „Okay, schon verstanden“, erwiderte er lachend. Er schob den Umschlag auf die Kommode, schlang seine Arme um mich und verwickelte mich abermals in einen Kuss – nun allerdings verlangender. „Sonst noch etwas, dass ich wissen sollte?“, fragte er grinsend, während wir uns wieder anzogen. „Ich habe wieder ein Wette mit Duke am Laufen“, antwortete ich. Auf einen solchen Moment wartete ich schon länger. Mir war bewusst, dass es besser war, Aaran über die Wette reinen Wein einzuschenken. Falls sich wieder jemand – mit anderen Worten Duke – verplapperte, war der Schaden vielleicht begrenzt, wenn ich ihn über ein paar Dinge vorher informiert hatte. „Warum, wenn ich fragen darf?“ Er klang verärgert. Sein Blick war tadelnd. „Am Tag als er seine Wettschulden einlösen sollte, war er krank. Also hab ich ihm eine zweite Wette unter meinen Konditionen angeboten, dafür, dass er die Schulden später tilgen kann.“ „Du wettest noch einmal mit ihm, obwohl du beim letzten Mal solche Bedenken hattest?!“ Er sagte nicht, dass ich ihn damit zutiefst verletzt hatte. „Unter meinen Bedingungen. Sozusagen als Revanche für den Ärger, den er mir mit der letzten bereitet hat. Aaran, ich hab mit ihm, um etwas gewettet, dass ich sowieso tun wollte. Meinen Einsatz fürchte ich nicht. Früher oder später läuft es vielleicht so oder so darauf hinaus.“ Ich hoffte, dass ich irgendwann einmal meine Beziehung zu Aaran den Medien bestätigen könnte. Ansonsten gäbe es wohl keine Beziehung. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mit einer Geheimbeziehung einverstanden war. Das passte nicht zu ihm. „Und Dukes Einsatz?“, fragte er nicht mehr so verärgert. „Bestimmst du. Für den Fall, dass du dich für die erste Wette revanchieren willst“, sagte ich und er sah mich ungläubig ab. „Aber was ist dann deine Rache?“ „Erstens verlass ich mich darauf, dass ich an deiner Rache auch meinen Spaß haben werde und zweitens ist es schon ein Triumpf, wenn ich die Wette gewinne und ihm beweise, dass er Unrecht hat.“ Es würde Duke Meinung mich in und auswendig zu kennen, einen gehörigen Dämpfer verpassen. Vielleicht würde es sein Anmaßen mich zu irgendwelchen Dingen zu bewegen, auch ein wenig mindern. Ich würde es sehen. „Okay“, sagte Aaran schließlich lächelnd. „Ich werde mir etwas überlegen.“ „Gut, dann wieder an die Arbeit“, bestimmte ich und reichte ihm ein Buch. „Seite 24. Wenn du Probleme hast, etwas zu verstehen, frag einfach.“ „Und was machst du?“, fragte er stirnrunzelnd. „Kaffee. Erst einmal. Danach hab ich genügend eigene Arbeit“, erklärte ich und wies auf einen kleinen Stapel Unterlagen. Aaran seufzte, ließ sich in einen der Sessel sinken und schlug das Buch auf. „Warum genau hab ich mich noch mal bereit erklärt, das hier zu machen?“ Ich nickte nur zum Schlafsofa hinüber. Grinsend setzte er seine Brille auf. „Ach ja, da war was.“ „Hier“, sagte ich wenig später und stellte eine Tasse Kaffee neben dem Buch auf dem Tisch ab. „Danke“, murmelte Aaran. Er griff nach dem Becher und hielt inne. Dann nahm er die Brille wieder ab und sah mich fragend an. „Entschuldige, aber ich bin neugierig. Warum hast du dich vor den Konsequenzen deines Wetteinsatzes so gefürchtet? Dass die Auswirkungen der Ausführung der Wette negativ sein konnten, das verstehe ich ja. Aber was war an deinem Einsatz so … brisant?“ Ich schwieg. Das war eine der letzten Fragen, die ich beantworten wollte. Es wäre erbärmlich. „Ach komm schon, so schlimm kann es doch nicht sein, es mir zu verraten“, bohrte Aaran weiter. Dabei wirkte er nur neugierig. Ich blickte in sein Gesicht und las darin den Wunsch nach etwas Vertrauen. Ich erinnerte mich wieder an Melanies Worte, die Ausgewogenheit bei meiner Hinhaltetaktik predigten. In der letzten Zeit hatte ich eigentlich nur mit ihm geschlafen. Auch wenn wir mit jedem Treffen vertrauter miteinander umgegangen waren, die Gegenseite hatte ich dabei kaum bedient. Ich presste die Lippen aufeinander. Aaran hatte in den letzten Monaten einiges ohne großes Murren akzeptiert. Er vertraute mir. Vielleicht war es da angebracht einmal über meinen Schatten – in diesem Fall einen sehr großen – zu springen und ihm dieses Vertrauen zurückzugeben. Ich seufzte. „Okay“, sagte ich resignierte und Aaran strahlte. „Unter zwei Bedingungen: Es bleibt unter uns und du lachst nicht!“ Er schaute mich fragend an, als ich jedoch nicht reagierte, meinte er schließlich: „Einverstanden. Ich versprech es dir!“ „Gut, kann einen Moment dauern. Warte hier und lies weiter.“ Aaran zog eine Augenbraue hoch. „Ich zeig es dir“, fügte ich als Erklärung hinzu. Ich ging in mein Zimmer und holte aus der hintersten Ecke meines Kleiderschranks die Schachteln hervor. Nur den Schuhkarton mit den weißen High-Heels beließ ich, wo er war. Ich hatte nicht vor, mir bei dieser lächerlichen Aktion die Füße zu brechen. Mit dem Rest unter dem Arm marschierte ich schleunigst zurück in mein Arbeitszimmer, das ich, sobald ich die Tür geschlossen hatte, erst einmal abschloss. Leise ging ich in mein kleines Badezimmer und schloss auch die Tür ab. Warum genau mache ich das noch mal, fragte ich mich, während ich die Kartons auf der Toilette abstellte. Aus irgendeinem irrwitzigen Grund hatte ich das Gefühl, dass er sich darüber freuen würde. Warum auch immer er das tun sollte. Seufzend knöpfte ich mein Hemd auf und ließ es achtlos auf den Boden fallen. Meine Schuhe, Socken und Hose folgte sekundenspäter. Ich fegte den Deckel des Kleiderkartons mit einer Handbewegung weg. Das einzige, was ich Duke zugutehalten konnte, war, dass das verdammte Ding schlicht gehalten war. Keine albernen Rüschen oder sonstige kitschige Spielereien. Ich schlüpfte in das trägerlose Kleid – dem entsprechend eng lag es um die Brust auch an – und schloss mühsam den Reißverschluss. Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass man unter dem aus mehreren Lagen bestehenden, weitfallenden Rock zumindest meine dunklen Boxershorts nicht sah. Ich zog die weißen, langen Handschuhe an und legte das goldene Kollier um. Nach einem weiteren Blick in den Spiegel befand ich mich für verrückt. Ich sah lächerlich aus. Diesen Aufzug zu tragen war erniedrigend. Doch anstatt mich zu fragen, ob Aaran das wert war, atmete ich tief durch, entriegelte die Tür und schritt quer durch mein Arbeitszimmer auf meinen privaten Konferenzraum zu. Die Seide fühlte sich gut auf meiner Haut an, … so wie Seide das nun mal tat. Ich sollte aufhören zu versuchen, positives an der Situation zu finden. Es gab nichts. Der Stoff raschelte bei jedem Schritt und das Geräusch war absolut befremdlich. Leise öffnete ich die Tür und fand Aaran tatsächlich über das Buch gebeugt vor. Wieder einmal stellte ich fest, dass die Brille ihm einen belesenen Ausdruck verlieh. Als er mich hörte, drehte er sich um und … blinzelte. Sein Mund klappte auf. Er rückte die Brille zurecht und blinzelte wieder. Dann schob er sie auf seine Nasenspitze und schaute mich über die Gläser hinweg ungläubig an. Ich blieb auf der Türschwelle stehen und wartete auf irgendeine verwertbare Reaktion, die mir Aufschluss darüber geben würde, wie er letztendlich zu diesem erbärmlichen Aufzug stand. Allerdings blieb es erst einmal bei dem relativ neutralen Erstaunen. Nach einem Moment kann Leben in Aaran. Er legte die Brille weg, ohne genau hinzusehen wohin und kam langsam auf mich zu. Seine Hände fuhren über den Stoff, zupften am Rock und strichen über meinen Oberkörper, bis sie sich schließlich um Taille und Hüfte schlangen und Aaran mich lächelnd in einen Kuss zog. „Hast du Schuhe mit Absatz an?“, fragte er irritiert. „Nein“, antwortete ich, ohne mir anmerken zu lassen, dass ich aufgrund der fehlenden „richtigen“ Reaktion noch unruhiger wurde, als ich es eh schon war. „Warum bist du dann plötzlich größer als ich?“, fragte er verwirrt. Erst nach diesem Hinweis fiel mir überhaupt auf, dass ich ein ganz klein wenig auf ihn hinunterschaute. „Ich steh auf der Türschwelle“, erwiderte ich und tippte mit dem Fuß auf das altmodische, mehrere Zentimeter dicke Holz, das den Renovierungsarbeiten nicht zum Opfer gefallen war. „Oh“, murmelte Aaran und zog mich gleich darauf grinsend weiter in den Raum hinein. „Jetzt ist es besser!“ Ich sah ihn nur unbewegt an. Inzwischen fühlte ich mich richtig unbehaglich. Normalerweise benutzte ich das Wort nicht, aber das hier war peinlich. Ich hätte diese debile Idee nicht einmal im Traum in Betracht ziehen sollen. Aaran seufzte und bugsierte mich in einen der Sessel. Er nahm mir gegenüber Platz. „Du findest das schrecklich, oder?“ „Das ist wohl eine rhetorische Frage“, erwiderte ich kalt. Am besten ließ ich mir einen Plan einfallen, wie ich aus dieser Situation schnellstmöglich wieder rauskam, ohne meinen Stolz noch weiter zu dezimieren. „Ich hingegen überlege mir, wie lange ich wohl brauche, um eine Trauung zu organisieren.“ „Auf jeden Fall länger, als ich benötige, um dieses Kleid auszuziehen und wenn nötig zu vernichten“, gab ich beinahe giftig zurück. Ich fühlte mich unkomfortabel, obwohl er mir gerade gestanden hatte, dass ich ihm so sehr gefiel, dass er mich am liebsten sofort zum Standesamt geschleppt hätte. Aber irgendwie war selbst die Tatsache erniedrigend. „Danke, dass du meinetwegen deinen Stolz überwunden hast“, sagte er, während er sich zu mir hinüber beugte. „Das ist süß!“ Damit gab er meinem Stolz endgültig den Rest. Ich war sicherlich vieles. Aber ganz bestimmt nicht süß. Ehe ich widersprechen konnte, hatte er sich ganz zu mir herüber gebeugt und küsste mich sanft. So wie er mich immer küsste, wenn er einfach nur mit mir kuscheln wollte – ich konnte immer noch nicht ganz fassen, dass ich mich darauf einließ – oder mir nah sein wollte. Automatisch fielen mir die Augen zu und ich konzentrierte mich ganz auf die warmen Lippen, die leichten Druck ausübten. Ich seufzte wohlig auf und entspannte mich wieder. So schlimm war das alles letztendlich dann doch nicht. Nach einem langen Kuss schaute Aaran mich fasziniert an. Seine Augen wanderten über meinen ganzen Körper. Es wollte nicht in meinen Kopf, was ihm an dem Anblick so gefiel. Als es mir endlich gelang, meine Gedanken wieder zu ordnen, fragte ich: „Wie weit bist du?“ Kurz schaute er mich irritiert an, dann schielte er zu dem Buch hinüber. „Ich hab es durchgelesen, aber einige Stellen verstehe ich nicht ganz.“ „Gut, fang schon mal mit der praktischen Anwendung an“, sagte ich und schob ihm meinen Laptop niederüber. „Ich ziehe mich um und helf dir bei den Unklarheiten.“ Aaran zog demonstrativ einen Schmollmund und fragte: „Kann ich dich gleich wenigstens auf den Schoss nehmen?“ „Nein“, entschied ich sofort. Jedes Mal, wenn ich bisher bei ihm im Stuhl gesessen hatte, um ihm am PC etwas zu erklären, hatte es mit Kuscheln und Küssen geendet. Und das war nicht von mir ausgegangen. „Du kannst dich dabei nicht konzentrieren.“ „Ich beweis dir, dass ich es doch kann.“ „Beweis es mir einander mal, wenn ich mehr Zeit habe.“ *** Die Tage bis zu den Ferien verliefen gewohnt stressig. Ich würde es wohl nie erleben, dass ich entspannt in den Urlaub gehen konnte. Der Trubel um die Abschlussfeier ging allerdings vollkommen an mir vorbei. Ich kam, holte mir mein Zeugnis ab – wie zu erwarten gewesen war, das beste, das jemals jemand an der Schule gemacht hatte – und ging nach ein paar oberflächlichen Gesprächen mit einigen Lehrern wieder. Das Beste an dem Tag war die kleine Unterredung mit Aaran, die wir im Beisein von Mokuba führten. Sie war zwar beinahe so oberflächlich wie alle anderen Gespräche, aber das war wahrscheinlich auch gut so. Nicht, dass an meinem letzten Schultag noch etwas außerplanmäßig verlief. Mokuba und ich flogen noch am Vormittag meiner Verabschiedung los. Aarans Tickets hatte ich für Samstag gebucht, da ich wusste, dass er bevor er in die Ferien ging, für die Schule noch einiges zu erledigen hatte. Es blieben also zweieinhalb Tage der Ungewissheit. Ich konnte wirklich nicht einschätzen, ob er kommen würde. Melanie und Duke zu Folge kam er auf jeden Fall. Aber ich war mir nicht sicher, ob ihn meine Hinhaltetaktik nicht doch zu sehr kränkte. Auch wenn ich es mir nicht gerne eingestand, ich war angespannt – richtiggehend angespannt. Und wenn es mir nicht gelang, die Frage zurückzudrängen, dann verspürte ich sogar eine kleine – verhasste – Angst, dass er nicht kommen würde. Damit, dass Aaran anrufen würde, um Bescheid zu geben, rechnete ich nicht. Wenn er kam, dann erfuhr ich es erst, wenn er da war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich für das Warten, dass ich ihm aufgezwungen hatte, nicht auch im Ungewissen ließ. Mokuba hielt mich so auf Trab, dass ich eigentlich keine Zeit hatte, viel nachzudenken. Wie jeden Urlaub hatte er so viel Energie, dass auf ihn aufzupassen ungefähr so war, wie einen Sack Flöhe zu hüten. „Seto, was ist los?“, fragte er mich am Freitagmorgen und musterte mich kritisch. Ich seufzte. „Ich hab Aaran eingeladen“, gestand ich ihm schließlich. Es zu verschweigen, war sinnlos. Bei dem Blick würde Mokuba nicht so schnell lockerlassen und heute konnte ich am allerwenigsten einen bohrenden, kleinen Bruder gebrauchen. „Oh toll!“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „Wann kommt er denn?“ „Wenn er kommt, dann heute Nachmittag gegen vier.“ Meine Betonung lag auf dem ersten Wort. Mokuba sah mich fragend an, dann legte sich ein breites Grinsen um seine Mundwinkel. „So wie er dich angesehen hat, als er dir schöne Ferien gewünscht hat, kommt er mit Sicherheit!“ Am Vormittag gingen wir schnorcheln. Die prachtvolle Unterwasserwelt und die Tatsache, dass ich ständig Mokuba im Auge behalten musste, lenkten mich erstaunlich gut ab. Bis zum Mittag hatte ich kaum an Aaran gedacht. Als wir aus dem Wasser kamen, wartete unsere Köchin schon mit dem Essen auf uns. Kurzdarauf schlug das Wetter um. Wolken zogen auf und es sah nach Regen aus. Ich nahm Mokuba das Versprechen ab, den Nachmittag im Haus zu verbringen und zog mich auf mein Zimmer zurück. Ich war erschöpft. Mehr oder weniger 24 Stunden mit einem energiegeladenen kleinen Bruder zu verbringen, war auf eine andere Art anstrengend als ein Tag im Büro. Nachdem ich geduscht hatte, legte ich mich ins Bett, um mich ein wenig auszuruhen. Ich war so müde, dass ich nach wenigen Minuten eingeschlafen war, trotz der inneren Unruhe, die mich in den letzten Tagen befallen hatte. *** Das Schlagen des Glockenturms auf der Nachbarinsel weckte mich. Sechs Uhr schon, stellte ich dämmrig fest. Ein Hauch von Pfirsichgeruch lag in der Luft. Das war das nächste, was mir auffiel. Ich lächelte automatisch. Er war gekommen. „Aaran“, sagte ich in den Raum hinein. Ein Geräusch war aus dem Bad zu vernehmen. Als ich aufblickte, erschien Aaran in der Tür. Er lächelte. Er war wirklich gekommen. „Hi“, murmelte er und kam zu mir hinüber. Er trug Boxershorts und ein offenes Hemd. Seine Haare waren feucht. „Warum hast du mich nicht geweckt?“, fragte ich, war aber immer noch so träge, dass ich zu ihm hinaufschaute, anstatt mich aufzusetzen. „Mokuba meinte, du wärst ziemlich müde gewesen. Außerdem sahst du so friedlich aus. Und solange bin ich ja auch noch nicht hier.“ Ich sah ihn fragend an. Es war schließlich schon sechs. „Aufgrund von technischen Problemen wurde der Abflug von Domino verlegt. Dadurch hat sich alles noch hinten verschoben.“ Gut, dass ich geschlafen hatte. Ansonsten hätte ich mir nur unnötige Gedanken gemacht. „Schade eigentlich, dass du den ganzen Nachmittag geschlafen hast“, fuhr Aaran neckend fort. „Dabei hätte ich mich so gerne revanchiert und dich zappeln lassen.“ „Keine Sorge, das ist dir auch so gelungen“, gestand ich ein. Anscheinend war mein Denkvermögen noch nicht ganz wach. Aaran lächelte nachdenklich. „Ich wusste gar nicht, dass du so metaphorisch schreiben kannst“, meinte er und strich mir zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Tja, das hatte ich vor diesen Zeilen an ihn ebenso wenig gewusst, aber allem Anschein nach hatten sie ihren Zweck erfüllt. „Ich liebe dich auch“, murmelte er gegen meine Lippen und küsste mich sanft. Glücksgefühle überrannten mich und breiteten sich in jedem Winkel meines Körpers aus. „Ich weiß gar nicht, wie ich so trottelig sein konnte, es nicht zu sehen.“ Ich zuckte mit den Schultern und zog ihn zu mir ins Bett. „Hat Mokuba gesagt, wann es Essen gibt?“, fragte ich, während er es sich neben mir bequem machte und die Arme um mich legte. „Er meinte nur, dass ich dich gegen acht auf jeden Fall mit nach unten schleppen sollte. Ich glaube, er will einen Film mit uns gucken“, antwortete er und vergrub kurz seine Gesicht in meinen Haaren. „Hm.“ Ich rückte noch ein Stückchen näher zu ihm und legte meinen Kopf an seine Brust. Ruhig hörte ich sein Herz schlagen. Ich hatte nicht vor, in nächster Zeit auf seine Nähe zu verzichten. „Du wolltest mir doch beweisen, dass du dich mit mir auf dem Schoss konzentrieren kannst.“ Aaran stützte sich auf einem Arm ab und schaute grinsend auf mich hinunter. „Wenn ich die knapp zwei Stunden vorher mit dir kuscheln darf, schaff ich das vielleicht sogar.“ „Ach ja?“, fragte ich provokant. „Ja!“, bestätigte er, drückte mich an seinen Brust und schmiegte sich an mich. Egal, was ich früher übers Kuscheln gesagt haben mochte, ich revidierte es. Es war tatsächlich ganz angenehm. „Sag mal“, meinte Aaran plötzlich und hob einen meiner Arme auf seine Augenhöhe, „bist du schon ein bisschen braun geworden?“ „Kann sein“, erwiderte ich, während ich meinen anderen Arm betrachtete. „Warum?“ „Ich steh auf Braun. Wenn neben deinen Haaren auch noch deine Haut braun ist, dann kann ich mit Sicherheit gar nicht mehr von dir ablassen“, erklärte er und legte meine Hand an seine Wange. Als ob du das jetzt auch schon nicht könntest, dachte ich bei mir und küsste ihn – ebenso zärtlich wie er mich gerne küsste. --- Da diese FF jetzt abgeschlossen ist, werde ich ein anderes „größeres" Projekt angfangen. Diejenigen, die „Liebe ist tödlich" gelesen haben, wird es freuen, dass ich in den letzten Wochen zumindest die Storyline für die Fortsetzung fertig bekommen habe. So „lange" wird die neue FF also nicht auf sich warten lassen. Ich werde sie unter dem Titel „Liebe ist quallvoll" hochladen. Wer möchte, kann also Seto und Tsuki auf Klassenfahrt erleben. ^^ Ich würd' mich freuen. ^___^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)