The Bitter & the Sweet von Asketenherz ================================================================================ Kapitel 13: Die Unerträglichkeit. --------------------------------- Kapitel 13 – Die Unerträglichkeit – Rose drehte den Ring, den sie schon seit fünf Jahren um ihren Hals trug nachdenklich in den Fingern. Morgana hatte ihn ihr am Morgen zurückgegeben mit der Erklärung, dass Lucy ihn in ihrem Wahn an sich gerissen hatte. Sie war froh, dass sie ihn wieder hatte und zugleich bedrückte sie ihn, weil er sie an ihre Bestimmung erinnerte. Keine Bestimmung, die der Mensch nicht verstehen konnte – eine von Zauberern erschaffene Bestimmung, die sie als dummes Mädchen so hingenommen hatte, in der Hoffnung, ihrer Familie etwas Gutes damit zu tun. Das war ihr Fehler gewesen: Sie wollte es früher allen recht machen, besonders ihrer Familie. Und nun war sie der Grund, der sie in ihr Verderben stürzte. Familie. Rose hatte in der letzten Woche häufig darüber nachgedacht, was Familie eigentlich war. Sie hatte nun Scorpius' Familie kennen gelernt und wusste, wie man es von ihr erwartete. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, dass Astoria gesagt hatte, die Frauen der Familie hielten alles zusammen. Die Weasley wusste nicht, ob sie dieser Aufgabe schon gewachsen war. Sie war erst siebzehn. Auch wenn sie noch vor dieser Hochzeit ein Jahr älter wurde, fühlte sie sich nicht im Ansatz reifer oder auch nur bereit für das, was ihr diese neue Familie abverlangen würde. Was hieß es, eine Ehefrau zu sein? Niemand gab ihr eine Antwort darauf, wie sie sich mit dem Gedanken abfinden sollte, den Rest ihres Lebens an nur einen Mann und vor allem diesen Mann gebunden zu sein. „Rose? Träumst du schon wieder?“ Sie schüttelte den Kopf und besann sich auf die Gegenwart. Mit Erschrecken stellte sie fest, dass sie inmitten der Großen Halle saß und im ersten Moment nicht wusste, wann sie hergekommen war und wie lange sie schon geistesabwesend in ihrem Kartoffelpüree herumstocherte. Alice wirkte amüsiert – sie lächelte in der letzten Zeit selten, deswegen schindete es Eindruck. „Hast du dich endlich mit David getroffen oder gehst du diesem Problem immer noch aus dem Weg?“, wollte sie wissen. Ach ja, David. Sie war in der letzten Woche wie ein Phantom gewesen – durchsichtig und nicht zu fassen, allerdings nur für David Jordan, der irgendwann in der Mitte der Woche mit seinen Versuchen aufgehört hatte und sich darauf beschränkte, sie zu beobachten und abzuwarten, was passierte. „Ich gehe ihm immer noch aus dem Weg.“, gestand sie mit einem Seufzen. Der Rothaarigen war bewusst, dass es feige war. Im Moment hatte sie den Kopf so voll, dass sie sich nicht auch noch mit ihm beschäftigen konnte. Alice zog ihre Augenbrauen zusammen, weil sie sie nicht als Feigling kannte. Allerdings hatte ihre beste Freundin auch nie soviel mit dem anderen Geschlecht zu tun, wie in diesem Schuljahr. Woher sollte sie also wissen, wie Rose reagierte, sobald es etwas komplizierter wurde? Ihr Leben war eine einzige Charakterprobe geworden. „Es ist unfair, das ungeklärt zu lassen.“, meinte Alice schließlich, versuchte es mit einem Lächeln, aber scheiterte an Roses Blick, der mit einem Schlag eiskalt geworden war. „Das sagt die Richtige.“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ fluchtartig die Große Halle. Sie wollte damit nichts mehr zu tun haben. Hätte ihr jemand gesagt, wie kompliziert ihr Leben werden würde, hätte sie sich nie auf diesen Schwur eingelassen und ein glücklicheres Leben geführt, ohne Schuldgefühle und ohne Rechtfertigung. Auf dem Weg zum Kräuterkundeunterricht, für den sie viel zu früh war, lief sie Scorpius über den Weg. Sie hatten nicht mehr miteinander gesprochen, seit sie von Malfoy Manor abgereist waren und mieden auch sonst jeden Kontakt. Es war unnötig kompliziert geworden an seinem Geburtstag. Scorpius war unzufrieden damit, aber er konnte Rose nicht helfen, diese Sache zu überwinden. Er hatte es kommen sehen, dass er damit dieses zarte Band zerstören würde, hatte aber alle Bedanken in den Wind geschlagen und nun lag es vor ihm in Scherben. Vielleicht lag es in ihrer beider Natur unglücklich zu sein. Miteinander und mit allen anderen. Es würde ein harter Weg werden, Rose zu heiraten und daran zu arbeiten, dass sie miteinander auskamen. Eigentlich wollte er es ihr ersparen. Es war das erste Mal, dass es ihm auch um Rose leidtat. Vielleicht war es auch das erste Mal, das er nicht ausschließlich an sich dachte. Zuvor hatte es ihn nicht interessiert, wie sie sich fühlte und es war auch nie eine Notwendigkeit gewesen, sich damit auseinanderzusetzen. Doch nun, da das zweite Halbjahr angefangen hatte und sie sich dem Unvermeidlichen näherten, war es schwer weiterhin so zu verfahren, wie die restlichen Jahre. Sein Blick wurde weich, als er sah, wie niedergeschlagen Rose war. Sie trug den Ring immer noch an einer Kette um den Hals und klammerte sich an die einzige gute Erinnerung, die sie von ihm hatte, nur um nicht ganz den Mut zu verlieren. Er wollte mit ihr reden und ihre Stimme hören. Doch wo sollte er anfangen? Er hatte keine Ahnung, denn alle Möglichkeiten in seinem Kopf klangen zu banal. Und nun standen sie sich gegenüber und wussten sich nichts zu sagen. Zwei Fremde. Scorpius schluckte hart und durchforstete seinen Verstand nach einer Beschreibung für das Gefühl, das sein Herz fast zerbersten ließ. Er fand nichts, also musste er es einfach hinnehmen. „Rose...“ Er hatte gesprochen, ehe er gedacht hatte. Sie sah auf. „Was ist?“, es klang ungewollt hart. Sie beeilte sich, noch etwas anderes, Freundlicheres zu sagen, doch ihr fiel nichts ein. „Wie geht’s dir?“, fragte Rose schnell und rang sich ein Lächeln ab, das sie nicht ernst meinte und das nicht ihre Augen erreichte. Scorpius wusste, wie ein ehrliches Lächeln aussah. „Ganz gut.“, sagte er schließlich und fügte schnell an: „Und dir?“ Es trat eine betretene Stille ein. Rose sah zu den Gewächshäusern, dann wieder zu ihm. „Hast du Lust mit mir Kräuterkunde zu schwänzen?“, fragte sie recht unverblümt. Er sah über seine Schulter, dann zu ihr. „Ist das dein Ernst?“, kam es ihm ungläubig über die Lippen. „In meiner Erinnerung hast du noch nie eine Stunde gefehlt. Und auch sonst nie blau gemacht.“ Rose hob ratlos die Schultern und ließ sie wieder fallen, als wögen sie Tonnen. Sie suchte in seinem Gesicht nach einer Antwort oder einem netten Zug. Doch es war nur die gewohnte glatte Maske, die nichts von ihm verriet. „Und was möchtest du machen?“, fragte er, als sie sich schon abwenden wollte, um allein zu verschwinden. Sie hielt inne und für einen Moment leuchtete Freude in ihren Augen. Doch sie verschwand zu schnell wieder, als dass Scorpius sie hätte greifen können. „Wir könnten in den geheimen Raum gehen und eine Pfeife rauchen.“, schlug Rose vor und sie betete, betete, betete, er würde es akzeptieren. „Okay.“, sagte er. „Dann müssen wir uns vorbei schleichen.“ Scorpius hatte keine Ahnung, warum er sich darauf einließ. Vielleicht, weil er ihr eine Freude machen wollte, vielleicht auch, weil ihm selbst der Sinn nach einer kleinen Alltagsflucht stand. Ein Grund war auf jeden Fall, dass es ihn immer wieder zutiefst erschütterte, wenn er bemerkte, wie wenig er die junge Frau kannte, die er in wenigen Monaten heiratete. * Der Raum lag kalt und dunkel vor ihnen, doch sobald sie ihn betreten hatten, sprang ein Kaminfeuer an und leckte sich an einer halb ausgebrannten Feuerstelle empor. Rose schnappte sich eine der vielen Decken, die sich hier angehäuft hatten und wickelte sich vollständig darin ein. Scorpius setzte sich neben sie auf das ramponierte Sofa und sah ihr in die Augen. Ihn beschlich immer mehr die Vermutung, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Sie war schon immer eigenartig und impulsiv gewesen, aber nie zugleich niedergeschlagen. Hatte es mit ihm zu tun oder mit Silvester? Hatte sie deswegen Ärger mit Jordan? Rose nahm die Pfeife aus dem Regal und säuberte sie, danach stopfte sie eine Mischung aus Kraut und Tabak hinein und entzündete sie mit einer kleinen Flamme aus ihrem Zauberstab, den sie mit umständlichen Griffen aus der Decke hervorholte. „Tobt Lucy immer noch so sehr?“, fragte sie nach einer Weile, in der sie sich entspannt zurückfallen ließ. „Sie ist wieder etwas erträglicher. Ich glaube es liegt daran, dass sie sich so sehr mit Beruhigungstränken vollstopft.“, antwortete Scorpius nicht ohne ein Grinsen. „Haben sich die Wogen zwischen Morgana und Albus wieder geglättet?“, wollte sie weiter wissen. Scorpius wollte nicht an dieses Desaster denken. „Soweit, ja. Aber es wird auf Dauer nicht halten.“, antwortete er und fragte sich während dieser Antwort, weshalb sie überhaupt noch ein solches Theater veranstalteten. „Und was wird das mit uns?“, fragte Rose rund heraus. Scorpius schreckte innerlich zurück. Eine derart offene Frage hatte er nicht erwartet. Es war etwas, worüber sie sich offensichtlich beide den Kopf zerbrachen. Vielleicht wäre es fair, mit der gleichen Ehrlichkeit zu reagieren, mit der sie auch die Frage formuliert hatte. „Ich weiß es nicht.“ Rose musste freudlos auflachen. „Super.“ Denn sie wusste es auch nicht. „Wir sollten zumindest versuchen, Freunde zu werden.“, versuchte er es mit einem Lösungsansatz. Rose gefiel diese Antwort nicht, auch wenn sie sich glücklich schätzen musste, dass er überhaupt eine Freundschaft in Betracht zog. Sie fuhr sich durchs Gesicht. Wenn sie nur etwas klarer denken könnte, doch in ihrem Kopf entwickelte sich alles zu einem reißenden Abgrund sobald sie über ihre Zukunft nachdachte. Sie wollte weinen, gestattete es sich aber nicht, weil sie die letzten Jahre genug Zeit dazu gehabt hatte. Nun musste sie Nägel mit Köpfen machen. „Es ist wohl alles, was ich zu erwarten habe.“ Scorpius holte lange Luft und ließ sie langsam ausströmen. Sie hatten ein seltsames Verhältnis zueinander, das war schwer zu leugnen. Er hatte versucht, es zu verstehen und alles, was er dazu sagen konnte, war, dass er keine romantischen Gefühle für Rose hegte. „Das mit uns wird wohl nie eine Love-Story.“, sagte er, in der Annahme, dass sie das genauso sah. Er wusste nicht, dass er damit die Illusion zerbrach, in die sie sich heimlich gestürzt hatte. Denn Rose hatte Gefühle für ihn entwickelt. Romantische Gefühle im Gegensatz zu ihm. Und sie waren noch neu, gerade einmal ein paar Wochen alt, in denen sie ihn zu mögen anfing. Doch Rose ließ sich nichts anmerken. Nichts davon. Sie behielt die Beherrschung und Astoria wäre verdammt stolz auf sie gewesen, hätte sie davon gewusst. Denn genau das war es, was man von den Malfoy-Frauen erwartete. „Das ist mir klar.“, sprach sie die große Lüge aus. Scorpius war erleichtert. Sicherlich war eine körperliche Anziehungskraft vorhanden und die wollte er nicht leugnen, doch sie war keine Liebe. Nicht einmal im Ansatz. Es war eine Sympathiebekundung. Höchstens. „Ich glaube wir müssen einfach versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich werde auf jeden Fall nett zu dir sein.“, grinste er äußerst jungenhaft, weil er sich an ihre kindliche Bedingung erinnerte, die sie vor ein paar Jahren geäußert hatte. Es brachte sie zumindest zu einem schwachen Lächeln. Sie reichte ihm die Pfeife. „Wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich mich wieder mit David treffen und die letzten freien Atemzüge tun, bevor unser Schicksal zuschlägt.“, sagte sie nach einer Weile. Sie hoffte, ihm einen kleinen Stich damit zu versetzen. Auch wenn es gemein war. Scorpius biss die Kiefer aufeinander und bemühte sich um eine gutartige Miene. Er verachtete Jordan für viele Dinge, vor allem aber dafür, wie er mit Mädchen umging. In all den Jahren hatte die Gerüchteküche nicht bemerkt, wie häufig und aus welch fadenscheinigen Gründen er seine Freundinnen wechselte. Er wusste, dass er sie nur für sein Bett haben wollte. Das machte ihn noch nicht zu einem schlechten Menschen, schließlich hatte er selbst es einige Zeit so gemacht. Aber er ging damit nicht offen und ehrlich um und kam damit überall durch. Scorpius stand hingegen dazu, es ging ihm häufig nur um den Spaß und dafür hielten ihn viele für einen Mistkerl. Aber er hatte nie den Mädchen vorgemacht, mehr zu sein als eine kurze Affäre, ein Flirt oder eine Übergangslösung. Und Rose würde sich nun in Jordans Schlange einreihen ohne es zu merken. Es war ihr Leben, erinnerte er sich, und er konnte ihre verzweifelte Abenteuerlust verstehen. „Es ist deine Entscheidung, Rose. Ich werde mich nicht mehr einmischen. Aber in Anbetracht der Umstände will ich dich zumindest um Diskretion bitten. Die Hochzeit liegt in nicht allzu weiter Ferne.“, sagte er, anstatt all das zu sagen, was ihm sonst noch auf der Zunge lag. Sie sollte bloß die Finger von ihm lassen, damit er nicht mit ihr spielte, wie mit allen anderen. Rose war enttäuscht von seiner Antwort. „Gut.“ Ihre Stimme war belegt, kleinlaut. Eine betretene Stille trat ein. „Freunde also.“ Rose grinste, doch wieder erreichte es nicht ihre Augen. Wusste sie nicht, dass er es sehen konnte? Irgendwie war Scorpius kein Stück erleichterter. Ihm ging es nicht besser und er war immer noch seltsam unzufrieden mit der Situation, in der sie sich befanden. Doch er schwieg fürs erste darüber und beschloss, sich frühstens in ein paar Wochen noch einmal Gedanken darüber zu machen. Falls es sich bis dahin nicht von selbst aufgelöst hätte. * Es war eines der Hogsmeade-Wochenenden und Alice saß in den Drei Besen. Sie hatte Glück, dass ihre Mutter heute nicht arbeitete, sondern mit ihrem Vater aufs Land gefahren war. Sie schüttete sich in Windeseile drei Spanische Feuerbälle in den Rachen, einen Schnaps den man anzündete. Dann wandte sie sich an den entsetzt ausschauenden Cameron Finnigan, der elend aussah, seit seine Freundin ihn verlassen hatte um eine Party später mit Albus gesehen zu werden. Da sie ihr Unglück beide dem Potter zu verdanken hatten, fand Alice es angemessen, sich mit ihm zu treffen. Irgendwie hatten sie sich dadurch verdient, auch wenn es eine abstruse Logik war. Vielleicht auch nur ein Grund zum Trinken. Dieses Date fühlte sich mechanisch an. Sie redeten seit zwei Stunden darüber, was Albus ihr angetan hatte und was seine Freundin ihm. Und dabei tranken sie in zu kurzen Abständen Hochprozentige. Alice konnte schon jetzt sagen, wie dieses Date ausging. Sie würden sturzbetrunken nach der Sperrstunde in Hogwarts ankommen, sich irgendwie an den Kontrollen vorbei mogeln und dann in einem der geheimen Gänge anfangen sich zu küssen. Alice hatte sich schon entschieden, dass sie mit ihm schlafen würde. Sie brauchten beide ein bisschen etwas für das Ego und vor allem eines: Ablenkung und die Illusion, dass sie alleine besser dran waren. Was hatte Alice zu verlieren? Sie hatte sich endlich die in die lange Reihe von Albus' Flittchen gereiht und konnte sich nun auch so benehmen. Wen interessierte es? Es war ihr letztes Jahr und im letzten Hogwartsjahr passierten viele ungewöhnliche Dinge mit den Schülern. * Albus beobachtete Alice heimlich unter gesenkten Lidern, wenn Morgana, mit der er ausging, nicht hinsah oder auf der Toilette verschwunden war. Sie trank Finnigan ganz schön unter den Tisch und er liebte sie dafür. Sie konnte trinken wie ein Kerl, flog einen Besen wie ein Kerl und tat ansonsten viele sehr starke Sachen, die diese unscheinbaren Mädchen, die er sonst immer kennen gelernt hatte, nicht taten. Auch Morgana tat sie nicht, dafür war sie zu zierlich und mädchenhaft. Jedes Mal wenn sie das Bett miteinander teilten, hatte er Angst sie und ihre seelische Unberührtheit zu zerstören. Das mag perfekt für den jungen Mann gewesen sein, der er war. Er wollte sie zerstören – jede einzelne und ihnen zeigen, dass die Welt kein Streichelzoo war und man sehr aufpassen musste, nicht verarscht zu werden. Und er hatte sie wirklich jedes Mal völlig desillusioniert von dannen gehen sehen. Doch nun – nach Alice – war er der Desillusionierte. Es war mit großer Wahrscheinlichkeit die Rache für seine ganzen Eroberungen. Und wenn Alice selbst nicht so elend dabei aussah, würde er ihr für die Lektion, die sie ihm erteilt hatte, gratulieren. Doch langsam kam er zur Ansicht, dass Alice sich selbst mehr Schmerz zufügte, als er je könnte. Sie hasste sich, gewann er den Eindruck. Manchmal, wenn er Morgana gar nicht so übel fand, war er heimlich froh, sich nicht mit Alice herumschlagen zu müssen. Eine so willensstarke Frau war unerträglich. Dann war er ausnahmsweise zufrieden mit dem, was er hatte. So, wie es sich Morgana immer wünschte. Und bald würde die Enttäuschung über Alice verblassen. Wenn er sich nur genügend anstrengte. Er musste nur jedes einzelne Gefühl eliminieren. So schwer es war. Es musste sein. Albus durfte nicht mehr an Alice denken. „Sie will dich nicht, sieh es ein.“, sagte Morgana mit eiskalter Stimme. Sie hatte es mitbekommen – das bedeutete Stress, sobald sie wieder in Hogwarts waren. Rose, die ihm gegenüber saß, biss sich auf die Lippen. Morgana versuchte jede gute Erinnerung an Alice aus seinem Verstand zu tilgen. Und zwar rigide. Scorpius' Cousine hatte nicht aufgegeben zu kämpfen und am Ende gewonnen, wenn auch nur auf Zeit. Wenn das, was die Weasley über Sehnsucht und Liebe wusste, wirklich der Realität entsprach, dann würde dieses ganze Schmierentheater implodieren. Früher oder später. Scorpius saß neben ihr und schien in Gedanken versunken zu sein, während er sich mit Zabini unterhielt. Lily war an die Bar verschwunden um eine Runde Butterbier zu holen. Ihr Blick fiel immer wieder besorgt auf ihre beiden besten Freundinnen. Sie wünschte, sie könnte ihnen helfen. Was allen fehlte, war etwas Distanz und sie würden sehen, wie einfach alles war. Lily sah es. Aber keine von ihnen würde sich den Weg aus dem emotionalen Labyrinth merken, wenn sie ihnen half und sie würden sich im Laufe der Zeit immer wieder verlaufen. Sie mussten ihren Scheiß selbst regeln. Rose war auf sich selbst gestellt und das war schlimmer, als sich ihre Freunde vorstellen konnten. * Sie stand auf einem brachliegenden Feld, dessen Ende sie mit bloßem Auge nicht ausmachen konnte. Über ihr braute sich der Himmel zu einer schwarzen zähen Masse zusammen und das unterschwellige Donnern klang wie das Grollen eines Ungeheuers, das sie verschlingen wollte. Rose sah nach oben und ihr Herz raste. Dann sah sie auf den Boden, der von den plötzlich niederfallenden Regentropfen schnell durchweicht und schlammig war. Als ihr klar wurde, dass sie hier nicht verweilen konnte bis das Unwetter vorbei war, sah sie sich nach einem Baum um. Er stand entfernt auf einem kleinen Hügel und sah einladend aus im Vergleich zum Himmel, obgleich er schon viele Blätter in vielen Stürmen eingebüßt hatte. Barfuß schritt sie durch den Schlamm und verzerrte immer wieder vor Schmerzen ihr Gesicht, wenn sie in einen scharfen Stein trat. Nach einer endlos wirkenden Weile erreichte sie den Hügel, stand aber schon bis zu den Knien im Schlamm und hatte große Mühe Halt zu finden auf dem rutschigen Untergrund. Sie fiel vielmehr aufwärts, als dass sie lief und endlich hatte sie das schützende Blätterdach erreicht. Und unter dem Baum saß jemand, wie Rose nach heftigen Atemzügen in der schwülen Umgebung feststellte. Es war ein rothaariges Mädchen, dass ihr den Rücken zugewandt hatte. „Du hast es wirklich geschafft. Ich habe dir das gar nicht zugetraut.“, sagte sie und Rose erkannte ihre eigene Stimme. Doch sie ließ ihr den Rücken weiterhin zugewandt. „Das ist ein Traum.“, stellte Rose nüchtern fest und hoffte durch diese magischen Worte aufwachen zu können. Das Mädchen lachte freudlos auf. „Ja und nein. Aber das weißt du selbst.“ Rose zog beide Augenbrauen hoch und überlegte fieberhaft, was sie meinte. Doch sie hatte keine Ahnung, deswegen sagte sie nichts mehr und hoffte nur noch auf ihr Aufwachen, doch es kam nicht. Sie stand immer noch auf dem weiten Feld und der aufziehende Wind war täuschend echt. Die Weasley fröstelte in ihrem dünnen Nachthemd, dass sie immer noch trug. „Lass uns doch deine Situation nüchtern betrachten, Rosie.“, sagte das Mädchen mit Roses Stimme. „Welche Situation?“ „Deine voranschreitende Zukunft. Du kannst der Hochzeit nicht aus dem Weg gehen. Aber das willst du auch nicht mehr, richtig? Hast gehofft es würde alles ein Happy End werden. Dass er sich in dich verliebt, ein bisschen zumindest. Wenn du mich fragst hast du in der letzten Zeit zu viel Kraut geraucht.“ Sie lachte wieder, diesmal spöttisch. „Dich in eine solche emotionale Situation zu stürzen ist dämlich. Das nimmt ein böses Ende mit dir.“ „Wie meinst du das?“, fragte Rose. Sie fühlte sich unwohl in dem nicht enden wollenden Traum mit sich selbst als Gesprächspartner. „So, wie ich es sagte. Du wirst eine verbitterte Frau und ein garstiges, ungeliebtes altes Weib, wenn du ihn heiratest. Er wird viele Affären mit hübscheren und jüngeren Mädchen haben. Und du wirst es jedes Mal wissen. Und es wird dir jedes Mal dein Herz zerreißen. Und verlassen kannst du ihn nicht, weil du ihn liebst. Wenn du aufwachst blüht die Rose, liebe Rosie.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und Rose wich mit Schrecken zurück. Es war sie selbst bis ins kleinste Detail, nur zehn Jahre älter. Ihre Augen waren kalt und freudlos. Das Haar unverändert, nur stumpf. Und es gruben sich Sorgenfalten in ihr Gesicht. Sie musste schnell aufwachen. „Es ist dein Fluch, das weißt du. Das schlimmste ist nicht der Schwur, sondern nur einen Menschen auf dieser Erde lieben zu können. So, wie es Mann und Frau tun und du hast dich an ihn verschwendet. Und wirst es immer wieder tun.“ „Wenn ich unglücklich mit ihm werde, ist mir das egal. So lange ich noch meine Freunde habe, ist mir kein Lebenssinn geraubt.“, fauchte Rose. Verteidigend schlang sie ihre Arme ineinander und betrachtete das Traumgespenst vor sich. Sie suchte einen Fehler, die diesen Traum unmöglich machte, doch sie fand keinen. „Keine Sorge, das kommt auch noch. Es hat sogar schon angefangen. Lily ist mit Nathan glücklich. Weißt du, dass sie planen zusammenzuziehen, sobald Lily Hogwarts absolviert hat? Die beiden sind für die ganz große Liebe gemacht.“ Rose grinste zufrieden. Das konnte sie gar nicht wissen. Es war Spekulation. „Und Alice und Albus haben schon jetzt keinen Kopf mehr für dich und deine Problemchen. Mehr noch erliegen sie deinem Schauspiel, alles sei okay.“ Rose überlegte, ob es wirklich so war und kam zu dem Schluss, dass es stimmte. Sie erinnerte sich nicht, noch einmal ernsthaft mit Alice gesprochen zu haben seit das zweite Halbjahr begonnen hatte. Alice war wie ferngesteuert. „Der Tod ist gar nicht so schlimm, Rose. Wunderschön, vergleicht man ihn mit dieser Hölle, die du deine Realität schimpfst.“ Rose trat zu ihrem älteren Ich und blickte nun in die gleiche Richtung, wie sie. „Ich habe mich entschlossen.“, sagte die Ältere. Rose blickte hinab und sah hinter dem Hügel einen reißenden Abgrund steiler Felswände und einem Fluss, der sich hindurch schlängelte, der von hier oben aussah, wie ein Miniaturbau. Die Ältere riss an Roses Hand und ehe sie sich versah, sah sie sich in den Abgrund stürzen. Rose warf sich mit einem Schrei nach hinten und versuchte sich zu halten. Mit diesem Schrei wachte sie endlich auf und es dauerte einige Minuten, bis die Angst die Traumgebilde fortgelassen hatte. Und endlich sah sie sich um und erschrak ein zweites Mal. Ein kalter Wind riss an ihrem Nachthemd. Es waren gewiss Minusgrade und Rose stand am Rande des Schuldaches. Die Eulerei lag hinter ihr und der Mond schien in einer wolkenlosen Sternennacht voll und hell auf sie hinab. Sie war im Schlaf gewandelt. Einen Schritt mehr und sie wäre hinab gestürzt. * Es war drei Uhr morgens und Scorpius lag noch immer wach. Zuerst hatte er versucht, sich mit einem Buch in die ausreichende Ruhe zu versetzen oder sich müde zu lesen. Aber das hatte nicht funktioniert, abgesehen von dem Fakt, dass er für eine Seite ewig brauchte, weil seine Gedanken immer wieder abschweiften. Er fühlte sich rastlos, wie immer. Auch wenn er sein Verhalten jetzt geändert hatte, kam keine Ruhe in seinen aufgewühlten Geist. Es war zum wahnsinnig werden – als fehle ihm irgendein Organ und alle anderen mussten doppelt so viel arbeiten, um es zu ersetzen. Vor allem sein Kopf. Er wollte nur ein bisschen Ruhe und geregelte Verhältnisse. Zur Abwechslung den langweiligen Alltag, der aber im Vergleich zur Aufregung der letzten Monate verlockend einfach zu bewältigen war. Eine weitere Sache, die ihn nicht zum Schlafen brachte, war der Liebesakt, der sich im Zimmer nebenan abspielte. Alice schien zumindest ihren Spaß zu haben. Der Typ bei ihr war ein Glückspilz, wenn man die Fähigkeiten glaubte, die Albus ihrem Liebesspiel zu gute hielt. * David war skeptisch, dass Rose ihn tatsächlich nach zwei Wochen aufsuchte. Man hatte ihm erzählt, was bei den Malfoys vorgefallen war. Und er wusste nicht, was er von diesem Verhalten halten sollte. Er hatte es nicht nötig einem Mädchen hinterher zu laufen, dass nicht wusste, wen sie wollte. Das hatte er noch nie gehabt. Aber Rose hatte es ihm wirklich angetan. Sie war erfrischend ehrlich und vor allem eines: Herzlich. Ihre fröhliche Art hatte ihn angezogen. Mit dem Trauerkloß, der sie nun war, konnte er nicht viel anfangen. Sie saß ihm nun schon fünf Minuten gegenüber und hatte nichts über die Lippen gebracht als ein Hallo und eine Entschuldigung für ihre Schandtaten. Sie machte nicht einmal den Versuch, sich zu rechtfertigen. Wahrscheinlich hätte er ihre Familie oder ihre tote Mutter beleidigen können und sie hätte aus lauter Schamgefühl nichts dazu gesagt. Irgendwie hatte er sie anders und vor allem lauter kennen gelernt. „Wenn dir wirklich etwas an mir liegt, wie du sagst, dann können wir uns wieder zusammenraufen.“, sagte er schließlich, auch wenn er wusste, dass ein geflickter Reifen nicht mehr ewig fuhr. Rose wirkte irgendwie verkniffen und nickte langsam. Wieder eine Lüge. Er gab ihr einen erleichterten Kuss, den sie kaum erwiderte. * Alice sah neben sich und betrachtete die ebenmäßigen Züge des Hufflepuffs. Er war sehr hübsch, auch wenn er sich am Abend zuvor tödlichst mit ihr betrunken hatte. Sie hatte vergessen, wie schön es sein konnte, nicht alleine aufzuwachen. Er schlug die Augen auf und sah in ihre aufgewühlten blauen Augen. Letzte Nacht hatte ein wahrhaftes Gewitter zwischen ihnen getobt und der Morgen danach war sonnig. Er musste lächeln, als er sie sah und brachte sie damit ebenfalls mit einem schmalen Grinsen. Um bei der Wahrheit zu bleiben, war er schon lange wach, aber er konnte sich nicht von ihrer Seite reißen. Sie war so schön warm und weich und es tat unheimlich gut, jemanden in den Armen halten zu können. Nicht einmal der Hunger konnte ihn aufscheuchen. Das Frühstück hatten sie nun verpasst. „Hallo“, sagte sie lieblich und ein kurzes Strahlen huschte von einem zum anderen Auge. Cameron glaubte nicht, dass sie es nun bereute und war erleichtert, denn er hätte es ohne Frage wieder so gemacht und das nicht, weil sie atemberaubend im Bett war, sondern weil er fand, sie war ein besonderes Mädchen, das man nicht so einfach weggeben sollte. Vor allem nicht mit Morgana Greengrass. Alice besaß mehr Feuer im kleinen Finger als Morgana unter aller Willensanstrengung hervorbringen konnte. Des einen Pech ist des anderen Glück. Cameron könnte dankbarer nicht sein. „Was machen wir heute?“, fragte er. Sie grinste und beugte sich zu einem Kuss hinab, der alle seine Fragen beantwortete. Wer brauchte schon Essen. * Rose stopfte sich frustriert die letzten Nudeln in den Mund und versuchte sich an einem Gespräch mit Lily, weil Alice weder zum Frühstück noch zum Mittagessen aufgetaucht war. Rose vermutete, dass sie einen üblen Kater hatte und nicht auf die Beine kam. Wenn sie unglücklich war, betrank sie sich nämlich meistens. „Du siehst aus, als hättest du Nächte lang nicht geschlafen.“, stellte Lily fest. Rose hatte keine Lust sich mit anderen darüber zu unterhalten, wie schlecht sie aussah. Es war deprimierend, dass sie schlief und doch tagsüber so müde war, als mache sie nie ein Auge zu. Mittags fand Rose es immer angenehm, denn zu dieser Uhrzeit war sie wieder aufgedreht. „Ich habe ein paar krasse Alpträume die letzten Nächte. Sonst ist nichts.“, antwortete sie und vermied Lily die Wahrheit zu sagen – das ihre Träume sie nicht nur an den Rand des Schuldachs brachten, sondern auch an den Rand des Wahnsinns. Vor lauter Müdigkeit schlief sie tagsüber kurz ein, doch selbst in diesen Sekundenschläfen blieb sie nie verschont von ihren älteren Ichs. „Das ist bestimmt der Stress. Das geht vorbei, keine Sorge. Notfalls gehst du zu Poppy und fragst nach einem Schlaftrunk.“, sagte Lily leichtfertig. Rose bezweifelte, dass ein Schlaftrank die Alpträume fernhalten würde. Er würde sie eher zu ihrer Gefangenen machen. Die Mittagseulen flogen herein und eine ließ vor ihrem Platz ein kleines Päckchen fallen mit ihrem Namen darauf. Lily sah Rose fragend an. „Von Astoria.“, erklärte Rose ruhig und öffnete es. Sie schluckte, als sie den Inhalt sah. „Was ist?“, wollte Lily wissen und schielte über Roses Schulter. In dem Päckchen lagen ein paar Notizblöcke, die vollgeschrieben waren und oben drauf ein Katalog für Brautmoden. Eine kleine Notiz, die in Eile geschrieben wurde, hing daran. Die Vorbereitungen sind am Laufen, leider haben wir nicht viel geschafft, als du zu Besuch warst. Such die die schönsten Kleider aus und bestelle sie. Dann probiere sie an und entscheide dich. Und bitte sieh nach, ob meine Pläne für die Hochzeit soweit okay sind und was du ändern möchtest. Liebste Grüße Astoria. „Wow, planen denn die Malfoys alles für dich?“, wollte Lily wissen. Rose war froh, dass sie sich darüber nicht auch noch Gedanken machen musste. Deswegen hatte sie mit Astoria vor einiger Zeit ausgemacht, dass sie alles für Rose regelte und sie in die gefassten Pläne einweiht. Rose sollte sich ganz und gar auf ihre UTZe vorbereiten. „Ich habe im Moment nicht den Kopf dafür. Aber ich vertraue Scorpius' Mutter, was das angeht.“, antwortete Rose und packte wieder alles ein, bevor es noch jemand mitbekam. Ohne ein weiteres Wort erhob sie sich und verließ den Tisch. Sie wollte alleine sein. Auf dem Weg in den geheimen Clubraum lief ihr Hugo über den Weg. Sie hatten schon lange nicht mehr miteinander gesprochen und in den Ferien hatte sie ihn auch nicht gesehen. Sie hielt an und sah ihrem kleinen Bruder in die Augen. Als sie aber den durchdringenden Blick sah, der nach ihrem Zustand forschte, senkte sie schnell die Lider. „Hallo, Brüderchen.“, sagte sie matt. Hugo steckte die Hände in die Hosentaschen und beobachtete jede Regung seiner Schwester. Und das erste Mal kam jemand auf die Idee, dass Roses zurückgezogenes Verhalten ungewöhnlich war und dass mit ihr etwas nicht stimmte. „Dir geht’s scheiße, ich sehe es dir an.“, sagte er ohne Umschweife. „Ist es Scorpius?“, wollte er wissen. Rose verschränkte die Arme vor der Brust und wehrte alle Feststellungen zu ihrem Gemütszustand ab. Sie hatte die Schnauze voll, dass offensichtlich jeder sah, wie es ihr ging und dass es keinen so wirklich interessierte. „Scorpius ist nicht für jede meiner Gefühlsregungen verantwortlich.“, patzte sie, da sie vermutete, dass die Gerüchte von der Party bei Malfoys auch ihn erreicht hatten. Hoffentlich erzählte er nichts ihrem Vater – der würde sich vor Selbstzerfleischung krümmen, wenn er wusste, wie es um Rose stand. Hugo antwortete nicht gleich, sondern zog eine Augenbraue hoch, wie immer, wenn er seinem Gegenüber kein Wort glaubte. „Was ist los?“ So, wie Hugo es sagte – als wolle er es wirklich wissen und als sei sie ihm nicht egal – gab er ihr den Eindruck, offen mit ihm reden zu können, auch wenn sie sich gerade zwischen Tür und Angel befanden. Er nahm sich Zeit für sie. „Mir ist alles zu viel. Ich soll in ein paar Monaten Scorpius heiraten, der mir deutlich gemacht hat, dass jede Aussicht auf eine Love-Story irrwitzig ist. Ich glaube ich sterbe als verbitterte alte Schachtel.“, brach es aus ihr heraus und damit die Tränen, die sie schon so lange zurückhielt. Sie lehnte sich an die Wand und hoffte, dass keiner lauschte. Hugo zog mit einer lässigen Bewegung ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Rose musste leicht schmunzeln und nahm es entgegen. „Ich glaube manchmal, dass es einfacher wäre, den Schwur zu brechen und Scorpius damit seine Freiheit und mir meine Selbstbestimmung wieder geben zu können.“, schluchzte sie und ließ sich an der Wand herabsinken, weil ihre Füße sie nicht mehr länger tragen wollten. Hugo setzte sich mit einem alarmierten Blick neben sie und suchte forschend ihren Blick. Doch die Augen seiner Schwester sahen ihn leer an. Als sei ihnen jedes Licht geraubt und jede Erwartung, die sie noch an ihr Leben stellte. Neben ihr lag ein Brautmodekatalog. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass seine Schwester es ernst meinte. Er zweifelte auch nicht daran, dass sie tot unglücklich war. Tiefe Augenringe gruben sich in ihr Gesicht. Ihre Lippen waren aufgesprungen und abgenagt. Ihre Haare waren wirr und stumpf. Fiel denn niemanden auf, dass es ihr schlecht ging? Nicht einmal Alice? Er nahm ihre Hand in seine und versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. „Egal was passiert, Rosie, deine Familie verlierst du nicht und du kannst immer zu mir und Dad kommen, wenn dir die Decke über dem Kopf einstürzt.“ Rose schniefte lauter und schluchzte verzweifelter. „Eine Notlösung zu haben ist wirklich schön, aber ich denke, dass von mir erwartet wird, eine eigene Familie zu gründen. In eine andere Familie zu wachsen. Ein braves Frauchen zu werden.“, antwortete sie. Hugo wusste, dass sie recht hatte. Eine Malfoy zu sein barg viele Pflichten und viel Verantwortung. Immerhin war es eine sehr mächtige und erfolgreiche Familie. Es brach ihm das Herz sich Rose als einsame Hausfrau vorzustellen. Kein Wunder, dass sie Selbstmordgedanken hatte. Rose hatte sich immer gewünscht, Heilerin zu werden, ein eigenes Leben zu haben und erfolgreich zu sein. Unabhängig und frei wie ein Vogel, doch man hatte ihre Flügel gestutzt und verhindert, dass sie zum Überflieger wurde. Wie konnte er ihr helfen? Er hatte Angst um sie. Angst, dass sie es ernst meinte und er nicht nur eine Mutter zu Grabe tragen musste, sondern auch seine Schwester. Man musste ihr wieder Hoffnung geben und ihr sagen, dass sie trotzdem das Richtige tat und ihr die Familie sehr dankbar dafür war. Zumindest zu dem Teil, der von dieser arrangierten Ehe wusste. Er musste mit Lily oder Alice reden. * Albus war schlecht vor Eifersucht. Er konnte sich nichts mehr vormachen, es trieb ihn in den Wahnsinn, als er hörte, mit wem Alice nun in den Federn kämpfte. Als Scorpius ihm im Nebensatz gesagt hatte, er konnte ihretwegen nicht schlafen, hatte er sich nichts anmerken lassen, weil Morgana neben ihm saß. Doch nun, da er alleine mit Scorpius im Zimmer war, schüttete er seinen Kummer mit einer Flasche Feuerwhiskey hinunter. Doch ihre Einsamkeit wurde jäh unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Sein Cousin Hugo stand dort und stierte Malfoy wütend an. Der Ältere schreckte sogar einen Moment zurück. Albus zog eine Augenbraue hoch und wollte gerade anfangen zu motzen er solle sie alleine lassen, als Scorpius zu Wort kam: „Ist etwas mit deiner Schwester?“, fragte er sofort. Alarmiert von den Blicken seines künftigen Schwagers. „In der Tat!“, kam es ungehalten zurück. Und ehe sich Scorpius versah, hatte ihm der Sechstklässler seine Faust ins Gesicht gedrückt. Scorpius Kopf flog herum. „Das ist für das Herz meiner Schwester.“, sagte er nur. „Und jetzt muss ich mit dir reden“, erklärte Hugo weiter. Zu Albus Überraschung holte Scorpius nicht zum Vergeltungsschlag aus, sondern wirkte erschüttert und ernüchtert. Albus fragte sich, was sein Freund ihm verschwiegen hatte. Immerhin ging es um Rose und sie war auch seine Cousine. „Warte hier.“, sagte Scorpius zu seinem besten Freund und sie gingen ins Studierzimmer, wo ein einladendes Feuer im Kamin prasselte. Hier stapelten sich Dokumente und Pläne, die das Schulsprecheramt begleiteten. Seit Weihnachten hatten sie viel zu erledigen für das angebrochene Halbjahr. Scorpius setzte sich auf das Sofa und machte eine einladende Geste, doch Hugo stand lieber, so aufgewühlt war er. „Eigentlich wollte ich zuerst mit Alice sprechen, aber sie ist nicht da. Dann habe ich mir überlegt, doch mit der Wurzel allen Übels anzufangen, Malfoy.“, begann er zu erzählen und lief dabei vor dem Kamin hin und her. Sein Verhalten beunruhigte Scorpius, doch er nahm sich vor, Hugo erst ausreden zu lassen. „Du hast Rose nicht einmal im Ansatz verdient, Malfoy. Sie ist viel zu gut für dich.“ Er wollte protestieren, doch Hugo fiel ihm ins Wort. „Es ist eine Tatsache. Wenn du ihr Leben ruinierst, erwürge ich dich eigenhändig. Du behandelst sie gefälligst so, wie sie es verdient hat, verstanden? Und zwar hat sie alles verdient, was du ihr geben kannst und mehr.“ „Ich hatte nichts anderes vor.“, sagte Scorpius kleinlaut. „Wir haben uns noch nie darüber unterhalten, Scorpius. Aber auch Rose hat einen Bruder, der dir mit dem Tod droht, wenn du ihr das Herz brichst. Und glaub mir, ich meine das so. Meine Schwester ist bis auf den Punkt perfekt, in dem es um ihre Familie geht. Sie tut alles für uns. Ich hoffe du wirst auch alles für sie tun.“ Hugo wurde ruhiger, als er sich das von der Seele geredet hatte. „Sie spielt mit Selbstmordgedanken. So weit habt ihr sie alle schon gebracht, mit eurer Rücksichtslosigkeit. Verdammte Malfoys.“ Scorpius sprang auf und fasste Hugo an den Schultern. Der Knoten war geplatzt in seinem Magen, er wusste endlich, was ihn rastlos machte und erstickte fast daran: Sorge. Er machte sich Sorgen um Rose. „Wann hat sie das gesagt?“, wollte er wissen. Etwas Dringendes lag in seinen Augen, das Hugo die Luft aus den Segeln nahm. Er sah zur Seite und überlegte. „Vor zwei Stunden ungefähr.“ „Und was hat sie genau gesagt?“ „Das sie es einfacher fände, den Schwur zu brechen und dir deine Freiheit zurückzugeben.“, antwortete er wahrheitsgetreu. Scorpius machte ein verzweifeltes Gesicht. „Wir müssen sie suchen.“, sagte er. „Auf ihrem Zimmer ist sie nicht, da habe ich schon nachgesehen.“, sagte Hugo, der ihre Worte gar nicht so ernst genommen hatte, wie Scorpius nun. „Nein, ich muss sie suchen. Ich muss mit ihr reden.“, korrigierte sich Scorpius selbst. Er nahm seinen Mantel vom Stuhl. „Bleib du bei Albus, er hat Liebeskummer und braucht jemanden zum Trinken. Ich kümmere mich um deine Schwester.“, sagte er zu Hugo, ohne ihn richtig anzusehen. Denn alles, was vor seinem inneren Auge schwebte, war ein Bild, das er aus seinen Alpträumen kannte. „Scorpius!“, rief Hugo, als er noch nicht ganz die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Was ist noch?“, fragte Scorpius genervt. Hugo grinste hilflos. „Es ist nicht schwer sie zu lieben.“ „Kann ja sein.“, sagte Scorpius leichtfertig, auch wenn er es nicht auf die leichte Schulter nahm. * Es war kalt. Es war bitterkalt. Aber Rose fühlte sich sicher hier draußen. Als wäre sie am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Ihre Augen waren halb geschlossen, als sie auf den zugefrorenen See sah. Für Schlittschuhfahrer sah er einladend aus, und auch für Rose, die keine Schlittschuhe trug. Es war ruhig hier. Zu dieser Jahreszeit tummelten sich keine Schüler an den Ufern um sich zu sonnen. Sie kamen nicht einmal durch den Hochschnee, der sich mit dem letzten Schneesturm gebildet hatte. Die Rose auf ihrem Rücken stach, immer wenn Rose nicht damit rechnete. Es war ein furchtbares Gefühl und sie hatte das dringende Bedürfnis davor zu fliehen und sich der Verheißung zu entziehen. Sie wollte nicht zu der Frau werden, die sich in zehn Jahren von einer Klippe stürzte. Sie wollte nicht die verbitterte Rose werden, die ein einsames Leben fristete und die Augenblicke, die sie nicht bei Freunden, sondern Zuhause war, lieber sterben als allein zu sein. Lieber tat sie es jetzt. Um sich Schmerzen zu ersparen. Um ihre Mutter zu sehen, die das alles gewiss nicht gewollt hätte. Sie machte einen Schritt auf das Eis. Am Rand war es stabil und trug sie ohne Knarren. Zur Mitte hin, würde dünner werden. Würde ihr Gewicht vielleicht nicht mehr tragen. Es war ein würdiges Ende im Wasser zu sterben, fand sie. Denn sie war schon immer gern geschwommen. Es war kalt, aber man konnte nicht alles haben, bis zum Sommer und somit bis zur Hochzeit wollte sie nicht warten. Es war glatt und sie musste aufpassen nicht hinzufallen, sonst brach die Eisfläche, bevor sie die Mitte des Sees erreicht hatte. Ihr Kopf war seltsam klar in diesem Moment. Es gab keine Zweifel mehr. „Rose!“ Sie fuhr herum zum Ufer. Dort stand Scorpius, die Hände in die Knie gestützt, schwer keuchend, weil er so sehr gerannt war. Doch er sah unentwegt zu ihr. „Was ist?“, wollte sie wissen. Was tat er hier? Sie sollte allein sein, wie sie es so oft geträumt hatte. „Was machst du da?“, rief er. Rose hob die Schultern. Sie hatte keine Ahnung was er jetzt hören wollte. Es sah doch aus, wie ein Selbstmordversuch, oder? Brauchte er weitere Erklärungen? „Ich will allein sein, Scorpius. Kümmere dich nicht um mich.“, antwortete sie und lief einen Schritt weiter. Das Eis wurde langsam dünner, Rose merkte es. „Aber ich kümmere mich um dich!“, rief er wieder. Es klang wie von weiter Ferne. Scorpius traute dem Eis nicht. Wenn sie beide darauf wären, bräche es vielleicht schneller. Verzweiflung stand in seinem Gesicht, doch Rose konnte es von der Entfernung nicht sehen. „Ja, jetzt.“, spottete Rose. Die wandte sich wieder zu ihm um. „Und was ist mit morgen und übermorgen und die Tage darauf? Mach dir doch nichts vor – ich bin dir egal und es wäre besser, wenn einer von uns den Mut aufbringt, diesen dämlichen Schwur zu lösen.“ Scorpius war verblüfft, dass sie das ernsthaft glauben konnte. Sie sprach wie im Fieberdelirium. Aber er musste sie irgendwie dazu bringen umzukehren. Ihm kam eine Idee. „Ich schwöre es, ich kümmere mich um dich. Weißt du, Familie hört niemals auf, Rose. Sie kümmert sich um jedes Schaf in der Herde. Und sie fordert und fordert dich. Und man fragt sich, wann man wieder zurückkriegt. Aber irgendwann kommt man zur Einsicht, dass es die Familie selbst ist, die man dafür bekommt. Zusammenhalt, Rose!“ Er gestikulierte wild und Rose war versucht zu lachen, doch es kam nur ein irres Kichern heraus. „Es steht gar nicht so schlecht um uns! Nicht alles ist beschissen. Also komm wieder her und lass es mich beweisen.“ Rose steckte die Hände in ihre Manteltasche und sah Scorpius einen Moment lang an. „Du lügst. Nichts ist okay. Das weißt du auch. Aber ich für meinen Teil mache mir nichts mehr vor. Ich könnte ein Leben an deiner Seite nicht ertragen!“, schrie sie. Scorpius stand da wie geohrfeigt. Ein Leben an seiner Seite konnte sie nicht ertragen? Was war falsch an ihm? Hasste sie ihn so sehr? Sie brach in Tränen aus. Doch er hörte nur ihr Schluchzen. Die Kette um Roses Hals wog auf einmal Tonnen. Ein lautes Krachen brachte die Umwelt zum Schweigen. Rose erwachte aus ihrer Trance und sah Scorpius am Rand des Sees stehen. Was hatte da aus ihr gesprochen? Es war als würde sie sich selbst dabei zusehen. Im nächsten Moment stürzte die Eisschicht unter ihr ein. „Scorp-!“, schrie sie, doch dann verschluckten sie die Wassermassen. Hätte sie seinen Namen nicht gerufen, wäre er sich sicher gewesen, dass sie Sterben wollte und hätte sie gelassen, so paralysiert war er durch ihre Worte. Doch ihre Stimme war plötzlich panisch und klang wieder wie Rose. Einem inneren Impuls folgend, rannte er auf das Eis, doch er kam nicht weit, denn es war so brüchig, dass er sie nie rechtzeitig erreichen würde. Er griff nach seinem Zauberstab und schrie mit aller Kraft seiner Lunge: „Expulso.“ Die Eismasse wurde in seine kleinsten Teile zerlegt. Wie zerstoßenes Eis auf dem ganzen See. Scorpius schmiss seinen Mantel in den Schnee und sprang, sobald er ihren roten Schopf auf dem Wasser sah, in das eiskalte Wasser. Es fühlte sich an, wie tausend Stiche am ganzen Körper. Doch er ignoriertes es und schwamm so schnell er konnte zu Rose, ohne auch nur einen Gedanken an etwas anderes außer sie zu verschwenden. Er zog sie aus dem Wasser, sie war schon ohnmächtig. Mit ein paar schnellen Zügen, an die er sich später nicht mehr erinnern konnte, schwamm er an Land und legte sie an das Ufer. „Rose, Rose, Rose.“, sagte er unablässig und versuchte es mit ein paar Schlägen auf die Wange. Doch sie regte sich nicht. Er beugte sich hinab zu einer Mund-zu-Mund-Beatmung. Hustend fuhr sie auf und spuckte ihm Wasser entgegen. Nach einiger Zeit beruhigte sie sich. In ihren Haaren hingen Algen. „Was? Was ist passiert?“, fragte sie. Scorpius war so erleichtert, dass er am liebsten weinen wollte. Doch es rollte keine Träne über seine Wange. Stattdessen sah er sich selbst dabei zu, wie er ihr eine heftige Ohrfeige verpasste. „Rose Weasley, bist du noch ganz bei Trost? Hast du eine Ahnung, welchen Unsinn du redest? Um Himmelswillen, du bist mir nicht egal.“, schrie er sie an. Sie saß vor ihm, wie ein Häufchen Elend. Dabei sah sie ihn mit großen, braunen Augen an, wie einen Hund, den er zu Unrecht verprügelt hatte. Doch die Erleichterung gewann wieder Überhand und er gestattete sich, ihr einen raschen Kuss auf die Lippen zu drücken und einen Moment dabei die Augen zu schließen. Er genoss das Gefühl ihrer, wenn auch kalten, trotzdem weichen Lippen. „Mach das nie wieder, Rose. So schlimm ist das nicht, hörst du? Wir werden das irgendwie wieder hinbekommen.“, flüsterte er unablässig und strich ihr grob ein paar nasse Strähnen aus dem Gesicht. Sie nickte langsam. Der Malfoy legte ihr seinen Mantel um die Schultern und half ihr auf die Füße. „Wir müssen uns dringend abtrocknen und aufwärmen.“, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)