Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 42: Berührungen ----------------------- Guten Morgen allerseits! Ich melde mich mal wieder mit einem neuen Kapitel. Es ist wieder aus Anjos Sicht und schließt direkt ans letzte Kapitel an. Auch wenn es nicht ganz so geworden ist, wie ich es ursprünglich geplant hatte, gefällt es mir doch ziemlich gut. Es ist für Aye und Katja, die beiden Benni-Fans ;) Ich hoffe, dass es euch gefällt, euch wenn der eine Teil fehlt, den ich eigentlich angedacht hatte. Viel Spaß beim Lesen! __________________________________________________ Sina und Chris tragen die Extramatratze zu mir ins Zimmer. Benni sitzt unterdessen die ganze Zeit auf meinem Schreibtischstuhl und starrt den Fußboden an. Erst als Parker zu ihm herüber kommt und an seinem Hosenbein zu knabbern beginnt, regt er sich und bückt sich, um Parker am Kopf zu kraulen. Als Sina ein paar Wolldecken in mein Zimmer schleppt und sich daran macht, ein Laken auf die Matratze zu ziehen, sieht Benni zu ihr auf. »Danke«, sagt er noch mal. Ich stehe im Türrahmen und sehe Sina zu, die sehr geschäftig aussieht. Ich weiß, dass es sie zufrieden macht, wenn sie Leuten helfen kann. Lächelnd pustet sie sich ein paar Haare aus der Stirn. »Kein Problem, wirklich«, versichert sie Benni. »Willst du irgendwas essen? Oder was trinken?« Er schüttelt den Kopf und folgt Sina mit den Blicken, als sie sich erhebt und gähnt. »Dann wünsche ich euch eine gute Nacht«, sagt sie lächelnd und huscht aus dem Zimmer, wobei sie mir kurz durch die Haare wuschelt. Ich schließe die Tür hinter ihr und mache das Licht aus. Jetzt leuchtet nur noch meine Nachttischlampe und Parker läuft hinüber zu seiner Decke, um sich darauf zusammenzurollen. Benni steht zögerlich auf, als wüsste er nicht so recht, was er mit sich anfangen soll. Ich mustere ihn kurz, dann schäle ich mich aus meiner Hose, dem Pullover und meinen Socken, um über seine Matratze und in mein eigenes Bett zu steigen. »Die Matratze beißt sicher nicht«, sage ich lächelnd und Benni verzieht kurz das Gesicht, dann zerrt er sich seinen Pullover über den Kopf und ich ertappe mich dabei, wie ich kurz die Luft anhalte. Die Spuren der letzten Prügelattacke von Bennis Vater sind noch nicht ganz verheilt. Hier und da ist die Haut noch dunkelrot oder bläulich angelaufen und ich reiße hastig meinen Blick von Bennis Oberkörper los, damit er sich nicht unwohl fühlt. Allein die Tatsache, dass er sich überhaupt vor mir auszieht, macht mir wieder einmal klar, dass er mir mittlerweile tatsächlich ziemlich vertraut. Normalerweise ist er extra hastig in die Sportumkleide gegangen, damit er sich umziehen konnte, bevor alle anderen dazu gestoßen sind. Er hockt sich auf die Matratze vor meinem Bett und fährt mit seiner Hand kurz über die weiche, flauschige Wolldecke, die ganz oben liegt. Dumpf stelle ich fest, dass es dieselbe Decke ist, unter der Chris und ich gekuschelt haben. Eine der Decken hat Sina zu einem Kopfkissen zusammengefaltet und Benni streckt sich zögernd auf der Matratze aus. Als ihm auffällt, dass ich ihn beobachte, räuspert er sich ein wenig verlegen. »Hab noch nie außerhalb von zu Hause gepennt«, erklärt er und deckt sich mit den drei übereinander liegenden Wolldecken zu. Ich lächele zu ihm hinunter und rutsche ganz nah an die Bettkante, damit wir uns ansehen können. »Ich auch nur bei meiner Ma, bevor ich hierher gezogen bin«, gebe ich zurück. Benni sieht sich in meinem Zimmer um. »Wie lange willst du hier wohnen bleiben?«, erkundigt er sich und sein Blick bleibt an der Fotocollage über meinem Bett hängen. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich, bis ich Abi habe, und dann hoffe ich, dass ich an der Kunsthochschule angenommen werde. Wenn Lilli auch angenommen wird, dann könnten wir in eine WG ziehen«, sage ich. Benni sieht verloren aus da unten auf der Matratze. Ich muss daran denken, dass er oft mit seiner Schwester in einem Bett geschlafen hat. Und dass er nie ohne Licht geschlafen hat, weil Jana Angst vor der Dunkelheit hat. »Du schaffst das sicher. Du bist gut«, sagt er und klingt ein wenig abwesend, sein Blick immer noch auf die Collage gerichtet, die ich von Sina zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. »Danke«, nuschele ich verlegen. Benni dreht sich auf den Rücken und starrt an die Decke, die Augen weit geöffnet, und er sieht wirklich nicht so aus, als würde er in nächster Zeit schlafen können. »Morgen fahren wir dich hin«, sage ich leise. Benni wirft mir einen Blick zu. »Wohin?« »Na, zu Chris‘ Familie. Du hast doch gehört, was sein Vater gesagt hat. Ihr könnt beide so lange bleiben, wie ihr wollt«, erwidere ich. Die Vorstellung von Benni und Jana in dieser wunderbar heilen, normalen, großen Familie bringt mein Herz dazu, sich in einen Wattebausch zu verwandeln. Sie haben es wirklich verdient nach diesem Leben in der Hölle. »Ich gehöre doch da gar nicht hin«, murmelt Benni. Er sieht wirklich aus, als würde ihm das Sorgen bereiten. »Niemand gehört von Anfang an irgendwo hin. Aber das heißt doch nicht, dass sich das nicht ändern kann. Jana will dich bei sich haben und du willst bei ihr sein und wenn Chris‘ Familie euch das anbietet, solltet ihr die Hilfe annehmen. Ihr habt wirklich lang genug allein in der Welt gestanden!« Zum Ende hin wird meine Stimme etwas heftiger und Benni dreht erstaunt den Kopf, um mich anzuschauen. Ich spüre, dass meine Wangen heiß werden und räuspere mich peinlich berührt wegen meines Ausbruchs. »Entschuldige. Ich finde nur… ihr verdient wirklich ein Happy End«, füge ich etwas kleinlaut hinzu. »Ich bin’s nicht wirklich gewöhnt, Hilfe anzunehmen. Nicht mal von dir. Schon gar nicht von…«, er bricht kurz ab und ich weiß, dass er „Chris“ sagen will, aber ihm der Name nicht so wirklich über die Lippen kommt. »Es ist nicht so einfach. Klar, es war… mehr als scheiße. Aber es war… Naja. Wir haben immer da gelebt. Und nie irgendwas anderes gekannt. Es ist komisch, wenn jetzt plötzlich alles… anders wird…« Ich betrachte sein Profil und mir kommt unweigerlich der Gedanke, dass er sich da unten – obwohl er ja eigentlich neben mir liegt – einsam fühlt und vielleicht gerade das Brennen in seiner Kehle und den Augenwinkeln zurückkämpft. »Willst du zu mir rauf kommen?« Sein Kopf fliegt zu mir herum, die braunen Augen bohren sich in meine. »Ich kann’s nicht fassen, dass du das fragst«, sagt er etwas heiser. Ich blinzele erstaunt. »Wieso?«, will ich wissen. »Ich hab dir ein Jahr lang die Hölle auf Erden beschert. Dass du mich überhaupt so nah an dich ranlässt, ist mir ein Rätsel«, antwortet er und ich höre in jeder Silbe seine Abscheu gegen sich selbst. »Du hast mir nur einmal körperlich wehgetan. Und ich hab dir hundert Mal gesagt, dass ich dir verziehen habe. Außerdem hast du mich schon mehrmals geküsst und…« Ich breche verlegen ab und vergrabe mein Gesicht in meinem Kopfkissen. Ich höre Benni glucksen und schiele seitwärts mit einem Auge zu ihm hinunter. »Du bist einfach… ohne Scheiß, du bist ein Alien. Ein Heiliger. Keine Ahnung, was. Du bist einfach unfassbar«, meint er und setzt sich tatsächlich auf. Ich rutschte eilends an die Wand zurück, um Platz für ihn zu machen, und dann steigt er zu mir ins Bett. Ich hebe die Bettdecke und werfe sie auch über Benni. Jetzt liegen wir ziemlich nah beieinander, beide auf der Seite, sodass wir uns ansehen können. Ich schiebe die Unterlippe vor. »Ich bin stinknormal«, verkünde ich. Und das finde ich wirklich. Benni schnaubt und ein schiefes Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit. »Ich weiß ja nicht von vielen Dingen was. Aber dass du nicht normal bist, das weiß ich sicher. Und das ist nicht negativ gemeint«, informiert er mich und ich spüre seine Körperwärme, weil er so nah bei mir liegt. Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages mit Benni in einem Bett schlafen würde? Ich sicherlich nicht. Ich mustere ihn schweigend und suche in seinen Augen nach irgendetwas. Nach Gedanken, die er mir nicht mitteilt, nach Sachen, die er gern sagen würde, von denen er aber nicht weiß, wie er sie formulieren soll. Solange die Gedanken im Kopf sind, machen sie Sinn, aber die Sprache ruiniert sie oft, macht sie unverständlich und lässt sie merkwürdig erscheinen. Wenn ich einfach in seinen Kopf schauen könnte, wäre alles viel leichter. »Ich hätt‘ nie gedacht, dass sie…«, fängt Benni an, dann bricht er wieder ab. Das schiefe Grinsen ist von seinem Gesicht verschwunden und er betrachtet mein graues Bettlaken. Ich rutsche näher zu ihm hin und unsere Beine berühren sich. Ich presse kurz die Lippen aufeinander und tue so, als wäre das völlig in Ordnung. Irgendwie ist es das ja vielleicht auch. »Diese Alpträume, die sie hatte… sie hat mir nie erzählt, wovon sie träumt. Ich dachte, dass sie davon träumt, dass er sie verprügelt, oder mich verprügelt. Sie hat mir gesagt, dass sie Angst vor ihren Träumen hatte, weil sie ihn so oft im Traum umgebracht hat«, murmelt Benni und seine Stimme ist kratzig und gepresst. Ich schlucke. Egal wie sehr ich in Bennis Augen ein Heiliger sein mag, ich weiß nie wirklich, was ich sagen soll, um Dinge besser zu machen. Sowas sollte man in der Schule lernen. Dinge, die man anderen Leuten erzählen kann, damit es nicht mehr so furchtbar ist. »Träumen und tun sind nicht dasselbe. Sie hat sich gewünscht, dass er verschwindet, und das ist das, was ihr Unterbewusstsein draus gebastelt hat«, sage ich leise. Benni nickt abwesend und ich weiß, dass er sich wahrscheinlich vorstellt, wie Jana jetzt in einer heilen Familie für mehrere Jahre glücklich leben könnte. Wenn alles klappt. Und das wird es, es muss, muss, muss! Ich sehe allerdings auch, dass er sich nicht dazugehörig fühlt. »Darf ich dich umarmen?«, platzt es aus mir heraus. Bennis Augen finden meine und er sieht einen Augenblick verwirrt aus, dann kriecht ihm ein blasser Rotton über die Wangen und er räuspert sich. »Ähm…« Ich beiße mir peinlich berührt auf die Unterlippe. »Vergiss es, es war nur… ich weiß nicht, was ich sagen soll, deswegen dachte ich, es wäre eine gute Idee. Aber…« Benni legt mir zwei Finger auf den Mund und ich verstumme augenblicklich. Er hebt die Brauen. »Ich dachte nur… weil wir beide praktisch nichts anhaben«, sagt er und seine Wangen färben sich noch etwas dunkler. Ich starre ihn einige Sekunden lang an, dann räuspere ich mich und muss schmunzeln. »Und du hattest immer schon Angst, dass du mal halbnackt einen Mann umarmen müsstest, oder…?«, frage ich amüsiert. Benni schnaubt und boxt mir sachte gegen die nackte Schulter. »Nein. Aber wer weiß, was passiert, wenn du dich der Länge nach an mich drückst«, gibt er zurück und als mir klar wird, was genau er meint, laufe ich wieder knallrot an und schlucke geräuschvoll. »War eigentlich… wirklich nur als Umarmung gedacht«, nuschele ich verlegen und starre hinunter aufs Bettlaken. »Weiß ich«, gibt Benni ein wenig brummig zurück und ich will ihm gerade erklären, dass es vermutlich wirklich eine blöde Idee war, als er näher zu mir rutscht, bis sein Bauch meinen berührt und ich plötzlich einen Arm voll Benni habe. Ich schlinge einen Arm um ihn und spüre seine warme Haut unter meinen Fingerspitzen, während er sein Gesicht an meiner Halsbeuge vergräbt. Sein Atem streift meinen Hals und ich sehe, wie sich eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen bildet. Mit dem Arm, den ich nicht um Benni geschlungen habe, taste ich nach dem Schalter der Nachttischlampe. »Soll ich das Licht anlassen?«, frage ich gedämpft. Benni schüttelt den Kopf. »Ich schlaf besser im Dunkeln«, gibt er zurück und dass seine Lippen sich an meinem Hals bewegen, hilft nicht wirklich, die platonisch gemeinte Natur unserer Umarmung zu unterstreichen. Es klickt leise, als meine Finger den Schalter umlegen, und dann ist es vollkommen dunkel in meinem Zimmer. Meine warme Bettdecke liegt über uns wie ein Schutzschild und Bennis nackte Haut drückt sich überall an meinen Körper. »Fühlt sich komisch an«, informiert er mich. Ich grummele leise. »Ich sag doch, du musst mich nicht–«, gebe ich ein wenig empört zurück. »Nein, nein. Ich meine… die meisten Berührungen, die ich so gewohnt bin… naja. Das gehört jedenfalls nicht dazu«, brummt er gegen meinen Hals und ich höre, dass er verlegen ist. Mir zieht sich lediglich das Herz zusammen, als mir klar wird, dass Benni wahrscheinlich bisher wirklich nur von seiner Schwester umarmt wurde. Vielleicht damals von seiner Mutter. Und von den Mädchen, die sich auf Partys an ihn rangeworfen haben. Aber das ist nicht dasselbe. Die haben nicht ihn umarmt, die wussten von nichts. Die haben nicht mal ein Viertel von ihm umarmt. Es gibt diese Umarmungen, die Leute an Menschen verteilen, die sie zwar nicht übel finden, aber die ihnen auch nicht wirklich nahe sind. Und dann gibt es Umarmungen, die die Seele festhalten und das Innere berühren und einen warm werden lassen. Die sind so viel besser als oberflächliche, halbe, rein körperliche Umarmungen. Benni verdient hunderte von ganzen Umarmungen. »Es sollte dazugehören«, murmele ich. Ohne mir wirklich im Klaren darüber zu sein, was ich da eigentlich tue, lasse ich meine Hand über Bennis Rücken wandern, seine Seiten entlang und kurz über seinen flachen Bauch. Er atmet zischend ein und scheint dann die Luft anzuhalten, während meine andere Hand ihn im Nacken krault. Er sollte wissen, dass es tausend Berührungen gibt, die nicht Schmerzen verursachen. »Sag, wenn ich aufhören soll«, flüstere ich unsicher. Benni hat offensichtlich vergessen, wie man atmet, aber im nächsten Moment stößt er die angehaltene Luft aus und schüttelt den Kopf. »Wieso…?«, fängt er an und bricht dann ab. Ich muss lächeln. »Keine Ahnung. Weil’s sich richtig anfühlt«, gebe ich zurück. Ich bin nervös. Mein Adrenalinpegel steigt mit jedem wummernden Herzschlag. »Und das, obwohl du nicht verschossen in mich bist«, meint er und klingt verwundert. Und heiser. Ich muss matt schmunzeln. »Du hast mich mehrmals geküsst, obwohl du nicht in mich verschossen bist«, erwidere ich. Er lacht schnaubend gegen meinen Hals und ich kriege erneut eine Gänsehaut. »Touché. Kommt wohl daher, dass ich einfach mal jemanden küssen wollte, den ich gut leiden kann…« Er zögert einen Augenblick. »…und der keine Brüste hat.« Ich schiebe ihn ein Stück von mir und auch, wenn ich ihn kaum sehen kann, starre ich dahin, wo sein Gesicht ist. »War das gerade ein Outing?«, frage ich ein wenig aufgeregt. Benni grummelt wortlos vor sich hin. »Ich hatte nie was dagegen, dass du schwul bist«, sagt er abwehrend, »ich hatte nur ein Problem damit, dass du mir so nahe gekommen bist, als wir uns kennen gelernt haben. Konnte ich aber nicht sagen. Also hab ich eben das genommen…« Ich schüttele Benni ein wenig. »Aber wie lange weißt du’s schon?«, will ich atemlos wissen. Benni seufzt. »Keine Ahnung. Seit einem Jahr? Ich hab mir nie wirklich Gedanken drüber gemacht, bis du daher kamst. Nach einem Jahr gespielter Homophobie muss ich mich erst dran gewöhnen, kein Arschloch mehr zu sein, was das Thema angeht. Ich hab mich da ‘n bisschen reingesteigert«, murmelt er. Ich notiere innerlich die Information, dass Benni wegen mir gemerkt hat, dass er auf Männer steht. Dann strahle ich ihn durch die Dunkelheit an. »Hatte ich schon erwähnt, dass jetzt alles gut wird? Ich lass dich nie wieder in Frieden, ihr wohnt bei Chris‘ Familie, euer Vater kommt hoffentlich sehr lange in den Knast und…« Ich breche ab, als Bennis Finger der rechten Hand mir behutsam durch die Haare streichen. »Und das alles wegen dir«, nuschelt er und klingt extrem verlegen. Ich spüre, wie mein Magen ein paar aufgeregte Saltos schlägt. »Ich hab nichts Besonderes getan«, gebe ich verlegen zurück. Benni schnaubt. Seine Finger fahren so vorsichtig durch meine Haare, als hätte er keine Ahnung, ob er es richtig macht. Wahrscheinlich hat er so noch nie jemanden außer Jana angefasst. »Du hast alles getan, du bescheidener Idiot«, verbessert er mich. Ich lächele und denke an meine To-Do-Liste zurück, auf der steht, dass ich jemandem so helfen will, wie Chris mir geholfen hat. Ich kann den Punkt abhaken. Und ich kann’s kaum fassen. In meinem Inneren wohnt ein riesiger Glücksballon, der immer weiter anschwillt. Vorhin war ich noch verzweifelt und traurig, weil es Jana und Benni so schlecht ging. Aber jetzt… »Ich könnte grad platzen«, verkünde ich. Meine Stimme zittert tatsächlich ein wenig vor Begeisterung. Benni lacht leise in die Dunkelheit hinein und ich nehme mir fest vor, ihn möglichst oft zum Lachen zu bringen. Er hat einiges nachzuholen. »Du könntest mich noch mal…« Er bricht wieder ab. Worte wie ›umarmen‹ scheinen sich auf seiner Zunge komisch anzufühlen. Ich überbrücke den Abstand zwischen unseren Körpern und Euphorie ist ein seltsames Ding, es lässt einen Sachen tun, von denen man nicht unbedingt genau weiß, wieso man sie tut. Als ich erneut der Länge nach an Bennis warmen Körper gepresst bin, küsse ich ihn auf den Mund. Es ist fast ein bisschen wunderlich, wie problemlos sich zwei Paar Lippen in der Dunkelheit finden können. Benni gibt ein überraschtes Ächzen von sich, aber dann küsst er mich sehr enthusiastisch zurück und unsere Beine verheddern sich ineinander, während wir bemüht sind, den anderen so nah wie möglich heranzuziehen. Es ist das erste Mal, dass ich ihn zuerst küsse. Mir fällt mit einem Schlag auf, dass Bennis ganzer Körper zittert, als könnte er nach dieser furchtbaren Nacht nicht wirklich fassen, dass es auf dem Weg ist, vorbei zu sein. Dass er nie wieder von seinem Vater geschlagen wird. Dass Jana keine Angst mehr haben muss. Dass er hier ist, bei mir, in meinem Bett, und dass sich Berührungen so anfühlen können wie diese hier. Es ist ein kurzer, inniger Kuss, der schließlich ruhiger wird, beinahe zärtlich. Mein Brustkorb zieht sich auf einmal unangenehm zusammen bei dem Gedanken, dass ich auf diese Art und Weise eigentlich mit Chris in einem Bett liegen will. »Wofür war das?«, will Benni ein bisschen atemlos wissen. »Keine Ahnung. Weil ich mich so freue?«, gebe ich zurück. Es ist ziemlich warm mit uns beiden unter der dicken Bettdecke, aber ich drücke mich trotzdem enger an Benni und seufze zufrieden. Wer immer das Kuscheln erfunden hat, ist ein Genie. Benni gluckst müde in die Dunkelheit hinein und rutscht ein wenig auf dem Bett herum, bis er schließlich mit dem Kopf halb auf meiner Schulter liegt und seine Haare mich am Hals kitzeln. »Kannst du so schlafen?«, will er wissen. Ich lächele der Decke entgegen. »Garantiert«, murmele ich. Es herrscht einige Sekunden lang Stille. Dann… »Wegen dir werd ich noch zum Teddybären«, grummelt Benni. Ich lache und nehme an, dass das seine Art ist zu sagen, dass er Kuscheln als eine ziemlich gute Sache empfindet. »Ich bereue nichts«, antworte ich und drücke ihn kurz, dann spüre ich, wie mir die Augen zufallen. »Schlaf gut«, flüstere ich. »Werd ich. Danke.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)