Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 34: Angebot ------------------- So, hier ist endlich das neue Kapitel... es hat ewig gedauert und das tut mir Leid, aber ich hab momentan viel in der Uni zu tun und mir ist eine blöde Schreibblockade dazwischen gekommen. Das Kapitel hat mir viel Spaß gemacht und ist wieder aus Anjos Sicht geschrieben. Ich hoffe, dass es euch gefällt. Ich widme es diesmal meinem Bambi, weil sie Benni und Anjo toll findet Viel Spaß beim Lesen, eure PS: Diesmal auch extra länger als das letzte ;) ____________________________ Nachdem wir mit meiner Ma und Daniel zusammen gefrühstückt haben – Gott sei Dank ohne dass meine nächtlichen Ausschweifungen zur Sprache kommen – fährt Chris zu sich nach Hause, um Parker und Pepper abzuholen, die über Nacht bei Chris‘ Familie geblieben sind. Meine Mutter drückt mich zum Abschied besonders fest und flüstert »Du hast tolle Freunde« in mein Ohr, ehe sie mich los lässt. Ich strahle sie an und freue mich unheimlich darüber, dass meine Freunde meine Mutter mögen. Und umgekehrt. »Ich weiß«, ist meine Antwort darauf und den ganzen Weg zurück grinse ich wie ein Honigkuchenpferd. Von meiner Mutter wurde ich mal wieder mit Geschenken überhäuft. Unter anderem habe ich mein obligatorisches Päckchen mit Postkarten bekommen, die alle beschriftet sind und sich wie ein kleines Reisetagebuch lesen. Ich hab bisher jedes Jahr so ein Päckchen bekommen, seit meine Eltern sich getrennt haben und ich meine Mutter nicht mehr so oft sehe. Wahrscheinlich könnte ich mit all den Postkarten meine ganze Zimmerwand tapezieren. Bevor ich mich von Lilli und den anderen verabschiede, fragt sie mich noch, ob ich nächstes Wochenende mit auf die Jahrgangsfeier kommen will, die mehr Geld für den Abiball bringen soll. »Wenn es blöd ist, können wir ja auch noch zu dir und stattdessen ein bisschen quatschen oder so«, sagt sie grinsend. »Ok. Mal schauen, wie es so wird. Aber ich werd nichts trinken!«, warne ich sie gleich vor und sie lacht nur, ehe sie mich zum Abschied umarmt. »Du mutierst noch zur Partymaus, was?«, sagt Sina schmunzelnd, als sie für Chris, die beiden Hunde und mich die Tür aufschließt und uns eintreten lässt. Parker scheint sichtlich glücklich darüber zu sein, wieder zu Hause zu sein. Ich sehe ihn in meinem Zimmer verschwinden, wo er sich zweifelsohne auf seiner Kuscheldecke einrollen wird. Ich folge ihm in mein Zimmer und seufze ein wenig angesichts der Tatsache, dass ich noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen habe. Ich höre Sina und Chris im Flur lachen und bin ein wenig neidisch, dass die beiden immer noch Ferien haben. Aber dafür fangen bald meine Herbstferien an. Ich schließe widerwillig die Tür vor ihrem Lachen, kraule Parker kurz hinter den Ohren und setze mich dann an meinen Schreibtisch, um den Kram lieber früher als später zu erledigen. Die Schulwoche ist nicht wirklich ereignisreich. Benni ignoriert mich wie immer, wir kriegen einen Berg Klausurtermine gesagt und ich trage alles in meinen Kalender ein. Meine Herbstferien werden wohl oder übel von diesen Terminen überschattet werden. Am wenigsten Lust hab ich auf die Politikklausur kurz vor Weihnachten. Welcher Mensch setzt Klausuren kurz vor Weihnachten an? Ich verdränge erfolgreich die Schmach meiner Geburtstagsfeier, bis Sina mir die entwickelten Fotos von Chris und mir auf den Schreibtisch legt und ich zwischen verliebter Begeisterung und unsäglicher Scham schwanke, als ich sie länger als nötig anstarre und schließlich sorgfältig in meiner Schreibtischschublade verstaue. Der Freitag der Jahrgangsfeier kommt schnell und ereignislos wie die Woche davor und Chris fährt mich und Lilli zu dem merkwürdigen Club, in dem das Ganze stattfinden soll. »Ruf an, wenn ich dich abholen soll«, sagt Chris. Ich schüttele lächelnd den Kopf. »Du bist doch nicht mein Taxi«, gebe ich zurück. Chris schnaubt. »Es macht mir nichts, echt«, versichert er mir und ich verkneife mir eine Antwort, als ich aussteige und ihm noch mal fürs Herfahren danke. Lilli und ich winken ihm, dann begeben wir uns zum Eingang und zahlen die fünf Euro Eintritt. Drinnen ist es ziemlich stickig und dämmerig-bunt beleuchtet. Wir schieben uns durch die Menge und finden schließlich die Theke. »Bestellst du für mich mit? Mich übersehen Barkeeper immer«, sage ich zu Lilli. Die lacht heiter, nickt und drängelt sich galant zwischen Tobi und Marcel, die auch am Tresen stehen und auf ihr Getränk warten. Während Lilli sich ein Bier und mir eine Cola besorgt, lasse ich den Blick durch den Raum schweifen. Es ist schon ziemlich spät und sehr voll. Ich hab eigentlich nicht allzu viel Lust lange zu bleiben, aber vielleicht finden wir ja Wiebke, Pia und Krissie und der Abend wird doch noch ganz nett. »Bitte sehr«, sagt Lilli und drückt mir eine eisgekühlte Cola in die Hand. Ich krame in meiner Hosentasche, um ihr das Geld wieder zu geben, aber sie winkt ab. »Ich hab dich hergeschleift, dann kann ich dir auch deine Cola bezahlen«, erklärt sie schmunzelnd. Ich verdrehe lächelnd die Augen und folge ihr hinüber zu einem kleinen Stehtisch mit Barhockern, auf denen wir uns niederlassen. »Ich frage mich, wieso Benni eigentlich auf Partys geht, wenn er jedes Mal aussieht, als wäre er gern überall, nur nicht auf der Party«, sagt Lilli nachdenklich und nimmt einen Schluck Bier. Ich folge ihrem Blick hinüber zu einer Sofaecke. Die Sofas sind dunkelrot und sehen knautschig aus. Benni, Thomas, Christopher und Richard sitzen dort, die Beine vor sich ausgestreckt und jeder mit einem Bier in der Hand, als wären sie die Könige der Party. Benni sieht tatsächlich so aus, als müsste er sich zu jedem Lachen zwingen. Es sieht nicht echt aus. Aber seine Kumpels würden das vermutlich nicht mal merken, wenn er Wäscheklammern im Gesicht hätte, um sein Grinsen festzustecken. Ich hab nie verstanden, wie manche Menschen unechtes Lächeln oder Lachen nicht erkennen können. Aber vielleicht hat nicht jeder so viel Zeit zu Beobachtungen wie ich. Da ich die meiste Zeit meines Lebens eher unsichtbar war, hatte ich viel Gelegenheit zum Üben. »Keine Ahnung. Wegen des Alkohols und der Mädchen, nehme ich an«, gebe ich ehrlich zurück. Lilli schnaubt verächtlich. »Klar. Mädchen. Weil er so sehr auf Mädchen steht, dass er dich in Grund und Boden knutscht?«, antwortet sie und schüttelt in Bennis Richtung den Kopf. Der trinkt sein Bier schon wieder in einem ziemlich alarmierenden Tempo. Sehr wahrscheinlich hat er einmal mehr das Bedürfnis sich so richtig abzuschießen. Mir wird ein bisschen mulmig, als ich mich daran erinnere, was das letzte Mal passiert ist, als ich bei Bennis Abschuss dabei war. Er hat sich übergeben und sich dann entschuldigt. Ich nehme zur Beruhigung noch einen Schluck Cola. »Ich weiß nicht, wieso er das gemacht hat«, sage ich zum gefühlt hundertsten Mal. Lilli sieht mich beinahe ein wenig mitleidig an. »Weil er auf dich steht. Ohne Witz. Dir mag das ja nicht auffallen, aber Felix hat es schon bemerkt und selbst Leon denkt, dass Benni dich in Gedanken dauernd auszieht und vermutlich bewusstlos vögelt«, informiert Lilli mich trocken und ich laufe knallrot an. »Also… sag so was doch nicht!«, gebe ich etwas kläglich zurück und Lilli lacht. »Aber es ist die Wahrheit. Du bist einfach nur zu unschuldig für diese Welt, um es zu bemerken«, belehrt sie mich mit einem mahnend erhobenen Zeigefinger. Unweigerlich muss ich schmunzeln. »Nicht mehr so unschuldig wie früher«, versichere ich ihr verlegen. Meine Gedanken landen bei meiner Geburtstagsfeier, auf der ich Chris dazu gezwungen habe, mit mir in einem Bett zu schlafen. Natürlich war ich betrunken, aber es ist ja nicht so, dass ich nüchtern nicht auch gern mit Chris in einem Bett schlafen würde. Nüchtern traue ich mich nur einfach nicht, mich Chris auf diese Art und Weise zu nähern. »Das glaub ich dir aufs Wort. Aber du würdest es wahrscheinlich in tausend Jahren nicht merken, wenn jemand an dir interessiert ist«, gibt Lilli zurück und nickt weise. Wahrscheinlich hat sie Recht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass irgendjemand mich interessant finden könnte. Auf diese Art und Weise. »Lilli?«, ertönt eine Stimme hinter Lilli und sie dreht sich verwundert um. Ich mustere das Mädchen, das hinter ihr aufgetaucht ist. Sie hat braune Korkenzieherlocken, eine gerahmte Brille und auf ihrem grünen Kapuzenpulli steht ›Fuck this, I’m going to Hogwarts‹. »Conni?« Ok, hier findet gerade offensichtlich ein Wiedersehen irgendeiner Art statt. Lilli und Conni sind völlig aus dem Häuschen und umarmen sich ausgiebig, während ich einen Schluck Cola trinke und sie interessiert beobachte. »Anjo, das ist Conni. Meine beste Freundin aus Grundschulzeiten. Conni, das ist Anjo. Mein bester Freund.« Mein Inneres fühlt sich sehr warm an, als Lilli mich als ihren besten Freund bezeichnet. Ich denke ja eigentlich, dass ich diesen Titel mit nichts verdient habe, aber ich freue mich trotzdem wie ein Schneekönig. »Freut mich, dich kennen zu lernen«, sagt Conni herzlich und gibt mir strahlend die Hand. Über den Schneidezähnen hat sie ein Piercing. Die beiden verfallen sofort in ein Gespräch über ihr momentanes Leben und ihre Zukunftspläne und ich lasse meine Augen wieder zu Benni hinüber schweifen. Richard hat irgendein Mädchen aufgegabelt, das jetzt so dicht an ihm dran klebt, dass sie genauso gut auf ihm hocken könnte. Er grinst, als wäre er der coolste Kerl der Welt. Ich kann mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. Benni sieht aus, als würde er eigentlich überhaupt keinen Spaß dabei haben, mit diesen Jungs zusammen zu sitzen. Ich frage mich, wieso er es trotzdem tut. Dann hebt er den Kopf und seine dunklen Augen finden mich. Ich schlucke verlegen und weiß nicht, ob ich die Hand zum Gruß heben darf, oder nicht. Ich lass es lieber und bin überrascht, als er aufsteht, Thomas irgendetwas zuraunt und dann aus dem Raum die Treppe hinauf in eines der höheren Stockwerke verschwindet. Nervös werfe ich Lilli einen Blick zu, die immer noch begeistert am Quatschen ist. Ich stelle meine leere Colaflasche auf den runden Stehtisch und schiebe mich von meinem Hocker. »Ich geh kurz frische Luft schnappen«, erkläre ich Lilli kurz. Sie nickt strahlend und ich folge Benni die Treppen hinauf. Es ist ein ausgesprochen schäbiges Treppenhaus und ich komme an vielen Graffitizeichnungen und insgesamt vier betrunkenen Fremden vorbei, ehe ich die einzige Tür öffne, die nicht abgeschlossen ist. Eine schwere Metalltür im obersten Stockwerk. Sie führt nach draußen und die kalte Oktoberluft schlägt mir beißend entgegen. Nachts ist es natürlich noch kühler als tagsüber und ich schlinge kurz meine Arme um meinen Oberkörper. Hilft kein bisschen. Und dann sehe ich Benni. Er sitzt direkt am Geländer, das sich einmal komplett um das flache Dach des Gebäudes zieht, und seine Beine hat er durch die Stäbe geschoben, damit sie frei vom Haus herunter baumeln. Wir sind im fünften Stock und ich bin ziemlich froh, dass es dieses Geländer gibt. Nervös und unsicher, ob er überhaupt Gesellschaft haben will, gehe ich auf ihn zu und registriere hier und da in einer dunklen Ecke knutschende Pärchen. Als ich direkt hinter ihm stehe, räuspere ich mich. Benni dreht sich nicht um und er zuckt auch nicht zusammen, als hätte er mich entweder gehört, oder gewartet, dass ich komme. »Darf ich mich setzen?«, frage ich leise und er gibt nur ein brummendes Geräusch von sich, was ich frei als ›Ja‹ interpretiere und mich neben ihn auf den vom Dach erhöhten Sims setze, auf dem die Gitterstäbe thronen. Es ist nur leicht bewölkt und hier und da sieht man Sterne zwischen den Wolken hervor blitzen. Mein Atem steigt in kleinen, weißen Nebelschwaden vor mir auf und mir ist ziemlich kalt, aber das ist jetzt auch egal. Ich weiß zwar immer noch nicht genau, was mich dazu bringt, Benni dauernd helfen zu wollen, aber ich hab mich mittlerweile weitestgehend mit diesem Bedürfnis abgefunden. Eine Weile lang schweigen wir und Benni starrt stur geradeaus in die Nacht hinein und über die anderen, niedrigeren Häuserdächer hinweg. Weiter links steht ein Hochhaus, in dem sich – soweit ich weiß – eine Bank befindet. Auf der etwas entfernten Hauptstraße rauscht der Verkehr durch die Nacht. Ich wüsste zu gern, was ich sagen soll und mir ist irgendwie ein wenig schwindelig, wenn ich nach unten sehe, aber ich bleibe trotzdem sitzen und werfe Benni hin und wieder einen Blick von der Seite zu. Sein Gesichtsausdruck sieht wie versteinert aus und ich kann überhaupt nichts darin lesen. Das macht mich noch nervöser. Mittlerweile bin ich nämlich eigentlich gar nicht mehr so übel darin, Bennis Gemütsschwankungen richtig zu deuten. Neben ihm steht eine Flasche Bier und er greift danach, um einen Schluck zu trinken. Ich frage mich, wie betrunken er schon ist. »Hast du schon mal drüber nachgedacht?«, fragt er leise und seine Augen weilen auf dem weit entfernten Betonboden unten vorm Haus. Seine Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich schlucke, ehe ich seinem Blick folge und mir Mühe gebe, das leichte Schwindelgefühl nicht zu beachten. Ich muss nicht mal nachfragen, was er meint. »Gefühlte tausend Mal«, gebe ich zu und meine Stimme ist winzig und heiser und ich räuspere mich peinlich berührt. »Im letzten Jahr…« Benni schließt einen Moment die Augen und es sieht beinahe so aus, als würde er die Luft anhalten. Wenn ich ›im letzten Jahr‹ sage, dann schwingt mit, dass es dabei um ihn und seine Kumpels und all die Schultage geht, an denen ich am liebsten tot umgefallen wäre. Ich hab beschlossen, Benni nicht in Watte zu packen, was das Thema angeht. »Warum hast du’s nie versucht?«, will er als nächstes wissen und mir gefällt sein Blick nicht, der immer noch auf den Boden gerichtet ist. Als würde er eigentlich gar nicht meine Gründe hören wollen, sondern Gründe für sich selbst. Dass er überhaupt mit mir darüber redet, wie verkorkst seine Methode auch sein mag, fühlt sich an wie eine schrecklich schöne Goldmedaille um den Hals, die mir die Luft abschnürt. »Es ist egoistisch. Und es gibt Menschen, denen es dann furchtbar gehen würde.« Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern und ich hab meine Worte nicht unbedingt spezifisch für mich selbst formuliert. »Ich würde meiner Ma so was nicht antun wollen. Und… du Jana auch nicht.« Ich muss mich damit auch selber überzeugen. Denn egal wie sehr Benni mein Leben ein Jahr lang zur Hölle gemacht hat, wenn er nicht mehr da wäre, dann würde ich mich schrecklich fühlen. Ich schlucke zwei Mal hinter einander und hole tief Luft. »Und ich will auch nicht… dass du…« Ich breche ab und starre stur geradeaus. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Bennis Kopf sich in meine Richtung dreht. »Ich weiß, dass ich nicht kann«, sagt er betont ruppig und seine Augen bohren sich immer noch gegen mein Profil. Mein Herz hämmert wie verrückt. »Ich würd meine kleine Schwester nicht allein lassen.« Benni mag ein Vollidiot sein und ein Schläger und schwulenfeindlicher Angsthase. Aber ich bin mir sehr sicher, dass er ein ausgesprochen toller großer Bruder ist. Das hab ich gemerkt, als ich bei den beiden zu Besuch war. Die Art wie sie miteinander umgehen… Benni hat von Können geredet. Es geht nicht darum, dass er nicht will. Sondern dass er nicht kann. Ich fühle mich tonnenschwer. Schließlich wage ich es doch, den Kopf zu drehen und Benni in die Augen zu schauen. Die Intensität seines Blickes lässt mich beinahe nach Luft schnappen. »Weißt du noch, wie wir uns kennen gelernt haben?«, will Benni plötzlich ziemlich schroff wissen und sein Gesicht schwebt so nah an meinem, dass ich seinen Atem spüren kann. Ich blinzele und runzele leicht die Stirn, während ich in meinem Gedächtnis all meine Benni-Erinnerungen durchblättere auf der Suche nach der allerersten. Es ist ja noch gar nicht so lang her, aber… »Das einzige, was mir einfällt…«, sage ich zögerlich und hab plötzlich das Gefühl, dass mein Kopf etwas Entscheidendes verdrängt hat, »ist die Sportumkleide… und du, wie du mir sagst, dass ich nie wieder darüber reden soll.« Es ist das erste Mal seit einem Jahr, dass ich darüber nachdenke. Wie kann ich irgendwas, was noch nicht so lang zurück liegt, vergessen? Bennis Gesichtsausdruck flackert ein wenig und er sieht einen Moment lang beinahe verzweifelt aus. »Das Problem mit dir ist«, zischt er leise und sein Atem kondensiert direkt vor meinem Gesicht, »dass du Leuten viel zu schnell unter die Haut gehst. Wenn sie sich einigeln, dann kitzelst du sie solange, bis sie sich öffnen, ob du das mit Absicht machst, oder nicht.« Mein Brustkorb bricht wahrscheinlich gleich auseinander. Ich weiß nicht, was er mir sagen will und ich erinnere mich wirklich nur noch an diese Umkleide. Damals, als Benni mir gesagt hat, dass er mich mag, um mich aus der Reserve zu locken und am nächsten Tag hat er allen erzählt, dass ich schwul bin und versucht habe, mich an ihn ranzuwerfen. Was anderes weiß ich nicht mehr. Er hat damals gesagt, ich sollte nie wieder drüber reden. Aber irgendwie macht das alles in meinem Kopf gar keinen Sinn mehr. Nach seinem kleinen Ausbruch schweigt Benni wieder und starrt hoch in den Himmel. Ich kann wieder atmen, nachdem er mir so nah war. Selbstverständlich musste mein elendes Gehirn an den Kuss denken. Aber hier sind schließlich Leute und Benni kann Schwule nicht ausstehen und alles in allem war es blöd, darüber nachzudenken. »Wenn du jemanden brauchst, der dir hilft…«, sage ich zögerlich und sehe ihn immer noch von der Seite an. Ich sehe, wie er tief Luft holt und dann scheinbar den Atem anhält, als wolle er kein Wort von dem verpassen, was ich als nächstes sage, »dann kannst du es mir ruhig erzählen.« Er schließt kurz die Augen und seufzt abgrundtief. Es ist ein merkwürdiges Geräusch aus Bennis Mund. »Mir kann niemand helfen«, murmelt er und es klingt furchtbar resigniert. Mein Brustkorb erklärt mir in diesem Moment, dass ein Herz nicht nur von Liebeskummer brechen kann. Diesen Satz von Benni zu hören… das ist schrecklich. Benni war ein Jahr alles Furchtbare in meinem Leben und hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Dass er selbst so viel auf seinen Schultern trägt, dass es offensichtlich kaum auszuhalten ist und dass er am liebsten nicht mehr leben würde, fühlt sich unwirklich an. Und vielleicht hat Chris Recht und ich hab einen ungesunden Helferkomplex, aber ich wollte noch nie einem Menschen so sehr helfen wie Benni. Egal, was er getan hat. »Wenn du es dir anders überlegst… Jana hat meine Handynummer. Wegen der X-Men Comics, die sie sich leihen wollte«, nuschele ich niedergeschlagen. Ich hatte jemanden, der mir geholfen hat. Mittlerweile habe ich sogar einen Berg Leute, die mir bei allem immerzu helfen. Benni hat niemanden. Und wahrscheinlich ist er deswegen das geworden, was er im letzten Jahr war. Es ist ja nicht so, dass ich das alles vergessen will, aber verzeihen kann ich ihm. Jetzt möchte ich es nur noch gern verstehen, aber wenn Benni es mir nicht erzählen will, kann ich ihn schließlich zu nichts zwingen. Ich ziehe meine Beine zwischen den Geländestäben hervor und setze mich andersherum auf den Sims, sodass ich mit dem Rücken am Gitter lehne und die Tiefe unter mir nicht mehr sehen muss. »Bist du nicht mit deinem Feuermelder hier?«, fragt Benni leise, ohne auf mein Angebot einzugehen. Das heißt dann wohl so was wie ›Nein, vergiss es‹. »Lilli hat eine alte Grundschulfreundin wieder getroffen«, gebe ich bereitwillig zur Auskunft, wobei ich ihren Namen besonders betone. Nicht, dass Lillis Haarfarbe nicht wirklich ziemlich auffällig wäre, aber es ist ja nicht so, als wüsste Benni nicht, wie sie heißt. »Es gibt bestimmt trotzdem Leute, mit denen du lieber deine Zeit verbringen würdest«, sagt er. Ich werfe ihm einen Blick zu. »Nee. Grade nicht«, informiere ich ihn trocken und sein Kopf dreht sich ein weiteres Mal zu mir um. Die Gitterstäbe an meinem Hinterkopf fühlen sich kalt an. Ich fange langsam aber sicher an zu frösteln. Benni mustert mich einen Augenblick lang und ich stelle zufrieden fest, dass er es mittlerweile schafft mich ein wenig länger anzusehen als früher. Wenn auch immer noch nicht dauerhaft. Seine Augen huschen wieder gen Himmel, dann zurück zu mir, hinunter zu meinem Mund, an mir vorbei… »Du bist unglaublich«, murmelt er und es hört sich an, als wäre er sich nicht sicher, ob das etwas Positives oder Negatives ist. »Ich sag nur die Wahrheit«, gebe ich schlicht zurück. Ich bin froh, dass ich keinen Alkohol getrunken habe. Nach dem letzten Desaster mit der Bowle von Felix wäre das wirklich keine gute Idee gewesen und momentan brauche ich eindeutig einen klaren Kopf. Meine Gedanken drehen sich immer noch darum, dass Benni hilflos und allein ist und eigentlich am liebsten nicht mehr leben würde. Mir wird schlecht bei dem Gedanken. »Ich check nicht, wieso du Zeit mit mir verbringen willst. Und wieso du mich nicht verabscheust. Und wieso…«, er bricht ab und wendet sein Gesicht ab. Mit den Fingern fährt er sich über die Augen, als würde ihn dieses Gespräch anstrengen und ihm Kopfschmerzen bereiten. »Hey«, murmele ich, strecke die Hand aus und stupse Bennis Schulter an. Seine Augen flackern zu mir herüber und bohren sich in meine. Ich schlucke ein wenig nervös. »Ich… ich hab lang drüber nachgedacht und auch wenn ich immer noch nicht die Hälfte davon verstehe, wieso das alles passiert ist… du musst es mir auch nicht erklären, wenn du nicht willst, auch wenn ich es schon gern wissen würde. Es ist nur… ich werd das zwar nie vergessen. Aber ich hab’s dir eigentlich schon verziehen. Weil ich sehe, dass es dir mies deswegen geht und außerdem hast du dich schon entschuldigt. Zwar bloß betrunken, aber… das ist mehr, als ich überhaupt je erwartet hab.« Ich verstumme und sehe ihn verlegen an. Nervös fahre ich mir durch die Haare und warte auf eine Reaktion. Bennis Augen sehen merkwürdig hell aus und eine Nanosekunde lang denke ich panisch, dass er vielleicht beinahe weint. Aber dann überbrückt er den Abstand zwischen uns und küsst mich auf den Mund. Mein Herz bleibt stehen und dumpf erinnere ich mich daran, dass hier noch andere Leute sind, aber das scheint Benni momentan nicht zu stören. Ich kann’s wirklich nicht fassen. Plötzlich ist mir kein bisschen mehr kalt. Es ist diesmal kein wütender Kuss, wie der erste im Park – zumindest bevor er so merkwürdig zärtlich geworden ist. Diesmal ist es ein vorsichtiger Kuss, beinahe ein Fragen um Erlaubnis. Aber ob ich nun ein Freak bin, oder nicht, Bennis Küsse fühlen sich ziemlich gut an. Und was bringt es mir schon, mich mein halbes Leben lang für jemanden aufzusparen, den ich ohnehin nicht haben kann? Also küsse ich Benni zurück. Die Finger meiner linken Hand finden unsicher ihren Weg in seinen Nacken und er zuckt merklich zusammen, entspannt sich aber beinahe sofort wieder, als ich mit den Fingerspitzen sachte über die kurzen Haare in seinem Nacken streiche. Mein Magen macht mehrere Saltos hintereinander und als Benni kurz an meiner Unterlippe saugt, mache ich ein ziemlich peinliches, wenn auch leises Geräusch. Er löst sich langsam von mir und seine Augen sehen auf einmal sehr glasig aus. Mir wird noch ein bisschen wärmer bei dem Gedanken daran, dass ich daran schuld bin. »Sorry«, bringt Benni etwas heiser hervor. Ich schlucke schwer. »Kein… Ding«, gebe ich leicht krächzend zurück. Ich lecke mir nervös über die Lippen und atme einmal tief durch. »Du willst nicht zufällig mit rein kommen? Mir wird kalt«, verkünde ich unsicher, auch wenn mir eigentlich nicht mehr wirklich kalt ist. Aber aus unerfindlichen Gründen machen mich die anderen knutschenden Pärchen nervös. Mich selber stört es nicht, mit einem Jungen – oder mit Benni – gesehen zu werden. Aber wer weiß, was passiert, wenn man ihn mit mir sieht? Wieso mache ich mir darüber überhaupt Gedanken? Benni seufzt kaum hörbar und erhebt sich dann tatsächlich. Unschlüssig steht er vor mir, schiebt seine Hände in die Hosentaschen und starrt auf seine Füße. Ich lächele schief. »Wir müssen nicht zusammen reingehen. Schon ok«, murmele ich und drehe mich dann um, um zurück zur eigentlich Feier zu gehen. Benni hält mich nicht auf, aber als ich unten ankomme und mich zu Lilli und ihrer alten Schulfreundin setze, sehe ich ihn den bunt beleuchteten Raum betreten. Er sieht einen Moment lang zu mir herüber und ich bilde es mir vielleicht nur ein, aber er wirkt so, als würde er sich gern neben mich setzen. Aber dann ist Richard bei ihm, drückt ihm ein Bier in die Hand und lacht über irgendetwas, ehe er Benni mit sich zieht, zu einer Sofaecke, auf der schon Christopher und Thomas sitzen. Und drei Mädchen. Ich sehe davon ab, die ganze Zeit zu ihm hinzustarren und lausche schweigend Lillis Unterhaltung über die Koch-AG, in der sie früher war und darüber, dass beinahe die Schulküche abgebrannt ist, als Conni – ihre Freundin – den Zitronenkuchen im Ofen vergessen hat. Zehn Minuten später sitzt ein blondes Mädchen auf Bennis Schoß und sieht ziemlich kicherig aus. Er macht sich keine Mühe sie von sich wegzuschieben, als sie anfängt, seinen Hals zu küssen. Ich kann nicht anders, als still für mich die Augen zu verdrehen und stehe auf. »Lilli? Ich bin müde. Ich werd mich mal auf den Weg machen«, sage ich an Lilli gewandt. Sie sieht ein bisschen schuldbewusst aus, aber ich nehme es ihr überhaupt nicht übel, dass sie sich mit Conni verquatscht hat. »Ok«, sagt sie, steht kurz auf und umarmt mich. »Tut mir Leid.« Ich lächele. »Unsinn. Ich wünsch euch noch viel Spaß!« Ich winke Conni und schiebe mich zwischen einigen Leuten aus meinem Jahrgang hindurch zur Tür. Meine Jacke hängt unter mehreren Schichten Mänteln und Handtaschen und ich befreie sie mühsam, ehe ich hinaus in die kalte Oktoberluft trete und mich auf den Weg nach Hause mache. Chris hat eigentlich drauf bestanden, mich abzuholen. Aber es ist fast eins und ich bin immerhin nicht seine kleine Schwester. Auch wenn es ja nett ist, dass er sich Sorgen macht. Zwei Straßen weiter werde ich von Schritten aus den Gedanken gerissen und leicht keuchend taucht Benni neben mir auf. Ich blinzele verwirrt und mustere seine geröteten Wangen. Er ist mir offensichtlich nachgerannt und sieht jetzt ausgesprochen peinlich berührt aus. »Ähm«, sagt er und weiß wohl nicht, was er sagen soll. Ich weiß auch nicht, was er sagen will und wieso er mir nachgekommen ist. Allerdings halte ich nicht an, um ihm großartig Zeit zum Nachdenken zu geben, sondern gehe einfach weiter. Mir ist kalt und ich will ins Bett. Und auch wenn ich verstehen kann, dass es schwierig ist, sein Leben komplett umzukrempeln, habe ich irgendwie das Gefühl, dass er sich langsam mal zwischen seinen angeblichen Freunden und einem anständigen Lebenswandel entscheiden sollte. Aber mir stehen solche Gedanken kein bisschen zu und ich fühle mich schlecht, weil ich deswegen tatsächlich ein wenig genervt bin. »Sie hat sich mir praktisch in den Schoß geworfen«, platzt es plötzlich aus Benni heraus und nun bleibe ich doch stehen, um ihn etwas ungläubig anzusehen. »Ja… und?«, frage ich verwirrt. »Und… ähm… bist du deswegen…?« Ich runzele verwundert die Stirn, bis meine Gedanken einrasten und ich knallrot anlaufe. »Was? Nein! Du kannst knutschen, wen immer du magst und ich hab überhaupt nichts dage–« Ich kann den Satz nicht zu Ende führen, weil ich mich plötzlich an einer Hauswand wiederfinde, mit Bennis Lippen auf meinen und einem warmen, festen Körper, der sich ausgesprochen nachdrücklich gegen meinen presst. Mir entfährt ein überraschtes Keuchen und einen Moment lang starren mich braune Augen aus nächster Nähe forschend an, dann klappen sie zu und ich schließe meine ebenfalls. Vielleicht war ich doch ein bisschen knatschig, weil Benni dieses Mädchen so nah an sich rangelassen hat? Ich weiß nicht. Aber ich merke, dass ich ihn – und ich kann es nicht fassen, dass ich nüchtern bin und mich das traue – ziemlich nachdrücklich küsse. Schließlich finden meine Arme ihren Weg um seinen Nacken, um Benni näher zu ziehen. Er schmeckt ein wenig nach Bier, aber obwohl ich Bier nicht wirklich mag, stört mich das nicht. Seine Zunge an meiner fühlt sich zu gut an, als dass Bier mich davon fernhalten könnte. Ich hab keine Ahnung, wie lange wir hier stehen, aber dumpf steigt in mir die Erkenntnis auf, dass ich Benni gesagt habe, dass er küssen kann, wen immer er mag… und genau das tut er hier gerade. Mein ungewolltes, erregtes Keuchen gegen Bennis Lippen bringt ihn dazu, einen Augenblick lang innezuhalten. Nur um mich eine Sekunde später noch heftiger zu küssen. Er küsst mich, als gäbe es kein Morgen mehr, als würde die Welt untergehen, wenn er aufhört und als hätte er noch nie jemanden geküsst, den er tatsächlich mag. Oh Gott. Ich glaube, ich sterbe gleich an Gedankenüberschuss. Als Benni sich von mir löst, sind seine Lippen feucht vom Knutschen und seine Wangen sind gerötet. Seine Augen sehen wie vorhin glasig aus. »Also bist du nicht«, er räuspert sich und sieht völlig durch den Wind aus, »sauer?« Ich lege den Kopf schief und muss lächeln. Es beginnt mit einem leichten Zucken der Mundwinkel und dann plötzlich strahle ich ihn an wie ein Flutlicht und der Rotton seiner Wangen wird noch dunkler. »Ähm… ok… cool…«, stammelt er und ich kann es nicht fassen, dass ich Benni mit einem Strahlen zum Stottern gebracht habe. Mein Leben ist plötzlich ausgesprochen wunderbar. Ich verlasse den stützenden Halt der Hauswand und grinse breit vor mich hin, während ich meinen Weg fortsetze. Benni geht neben mir her und mich beschleicht das dumpfe Gefühl, dass er mich gerade nach Hause bringt. Wir legen den Rest des Weges schweigend zurück, aber mir fällt auf, dass wir dichter beieinander gehen, als es unbedingt nötig wäre. Als wir schließlich vor der Haustür angelangen, flackern seine Augen über die Klingelschilder, die Hausnummer und dann zur Ecke hin, wo das Schild mit dem Straßennamen steht. »Seit wann wohnst du hier?«, fragt er verwirrt. Ich lege den Kopf schief. Mittlerweile sollte mich nichts mehr wundern. Benni weiß ja offensichtlich auch, dass ich male. Auch, wenn ich keine Ahnung habe, woher er das eigentlich weiß. Scheinbar kennt er auch meine alte Adresse – was mich angesichts der Tatsache etwas gruselt, dass er noch vor nicht allzu langer Zeit jeden Tag meiner Woche zur Hölle gemacht hat. »Seit mein Vater ein homophober Idiot ist und ich keine Lust mehr auf ihn hatte«, gebe ich bereitwillig zur Auskunft und fahre mir durch die Haare. »Ich wohn bei Chris und Sina im Gästezimmer.« Bennis Gesichtsausdruck friert kurz ein, dann nickt er verstehend. »Praktisch«, nuschelt er und starrt wieder auf die Klingelschilder. »Schleiermacher und Sandvoss«, informiere ich ihn und deute kurz mit dem Zeigefinger auf das Schild mit Sinas und Chris‘ Nachnamen. »Falls du mal…« Ich breche ab und starre verlegen die Tür an. »Falls ich…?«, bohrt er nach. Seine Stimme zittert ein winziges bisschen. »Falls du mal nicht weißt… wohin…« Ich hab keine Ahnung, ob ich das wirklich anbieten sollte, immerhin ist das Sinas Wohnung. Aber ich will Benni so unbedingt helfen und ihm irgendwie zeigen, dass es in dieser Welt Sachen gibt, die alles weniger schrecklich machen… ich will, dass er sich nicht mehr wünscht, einfach nur sterben zu können. Ich erwarte eine weitere Ablehnung. Stattdessen drückt sich ein Paar Lippen kurz auf meinen Mund. »Danke«, brummt er peinlich berührt und dann hat er sich auch schon umgedreht und stapft davon. »Danke auch… fürs Bringen«, rufe ich ihm nach und er hebt im Gehen kurz die Hand, die nicht in der Hosentasche steckt. Und dann ist er auch schon verschwunden. Ich treffe bei den ersten beiden Versuchen das Schloss nicht richtig mit dem Haustürschlüssel. Dann steige ich endlich die Stufen hinauf und ziehe möglichst leise meine Schuhe und meine Jacke aus, nachdem ich die Wohnung betreten hab. Es ist dunkel im Flur und ich bin froh, dass ich wieder im Warmen bin. Gerade, als ich ins Bad gehen und mir die Zähne putzen will, geht Chris‘ Zimmertür auf und ein zerwuschelter, brauner Haarschopf und ein freier Oberkörper tauchen auf. »Du hast nicht angerufen«, sagt er ein wenig vorwurfsvoll. Ich muss leise lachen. »Schon ok. Benni hat mich gebracht«, sage ich ohne nachzudenken und Chris‘ Gesichtszüge entgleisen einen Augenblick, ehe er sich wieder fasst. Ein Räuspern verlässt seine Kehle, als er vollständig in den Flur tritt. Er trägt nur eine karierte Boxershorts und ich schlucke wie so oft, wenn ich ihn leicht bekleidet sehe. Chris sieht einfach zu gut aus. »Das ist… nett«, sagt er. Natürlich klingt es so gepresst, als fände er es überhaupt nicht nett und ich habe eigentlich keine Lust, schon wieder diese blöde Benni-Diskussion zu führen, wonach das mit mir und Benni was ganz anderes ist, als mit Jakob und Chris. »Ja. Find ich auch«, sage ich also schlicht und wende mich der Badezimmertür zu. »Wie kam’s dazu?«, fragt Chris zögerlich und ich seufze. Über die Schulter hinweg werfe ich ihm einen Blick zu. »Das willst du doch eigentlich nicht wirklich wissen. Am Ende bist du nur wieder angefressen«, sage ich ein wenig resigniert. Chris sieht aus, als wäre er bei etwas ertappt worden, aber dann schüttelt er den Kopf. »Ich würde nicht fragen, wenn ich es nicht wissen wollen würde«, entgegnet er. Also schön. Wenn er unbedingt will. »Wir haben auf der Party über Selbstmord geredet, dann hat er mich geküsst und dann hat er sich von einem Mädchen anbaggern lassen. Und als ich gegangen bin, dachte er, dass ich sauer sei, weil er sich von dem Mädchen hat küssen lassen und deswegen ist er mir nachgekommen und hat mich noch mal geküsst und ist bis zur Haustür mitgegangen…« Chris sieht aus, als hätte er Bauchschmerzen. »Und warst du sauer? Weil er das Mädchen geküsst hat?« Ich blinzele. Diese Frage habe ich nicht unbedingt erwartet, aber ich denke kurz darüber nach. »Weiß ich nicht«, gebe ich schließlich ehrlich zur Antwort. Chris betrachtet mich eine Weile lang schweigend und ich kann seinen Gesichtsausdruck überhaupt nicht deuten. So hat er mich jedenfalls noch nie angeschaut. Ich werde ziemlich nervös unter diesem Blick. »Also dann… äh… schlaf gut«, sage ich letztendlich hastig und verschwinde eilends im Bad, bevor Chris‘ Augen noch Löcher in mein Gehirn brennen. Ich will gar nicht wissen, was er sagen oder wie er schauen würde, wenn er wüsste, dass ich Benni meine Hilfe und diese Wohnung als Unterschlupf angeboten habe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)