Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 30: Geburtstag ---------------------- Guten Abend! Ich melde mich mit dem nächsten Kapitel aus Anjos Sicht bei euch :) Ich hocke gerade auf dem Teppich meiner lieben und sie und sitzen hinter mir und schauen mir über die Schulter. Weil die letzte Woche so toll war, widme ich das Kapitel den beiden, auch wenn das gewünschte Wort noch nicht darin vorgekommen ist O:) Auf Wunsch mache ich euch noch mal darauf aufmerksam, dass ich hier: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/153170/259298/769364/default/#paragraph-0 eine Szene geschrieben habe, die während des letzten Kapitels stattfindet und aus Leons Sicht geschrieben ist. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und danke euch für die rege Teilnahme an der Umfrage :) Liebe Grüße und gute Nacht, ________________________________ »Hey.« »Hallo.« Stille und Verlegenheit. Sina zieht Chris weiter, damit ich kurz mit Benni reden kann. Um uns herum stehen überall Leute. Bennis braune Augen schwirren wie Kolibris durch die Luft ohne mich länger als eine Sekunde anzusehen. Seine Hände stecken in den Hosentaschen der tief sitzenden Jeans. »Bist du sauer? Wegen der… äh… Sache in der Schule?«, will er wissen. Ich muss nicht nachfragen, was er meint. Meine Mundwinkel zucken ungebeten. Ich war enttäuscht, ja. Aber irgendwie hab ich mir so was schon gedacht. Und ich sollte keine 180-Graddrehung von ihm Erwartung. Ich hab schließlich auch mehrere Monate gebraucht. »Nein.« Diesmal verweilen die hastigen Augen länger auf meinem Gesicht. Er lächelt nicht, aber seine Miene wirkt entspannter. »Oh. Ok. Gut. Also… gib da nichts drauf. Ist halt… die Schule«, sagt er und klingt ziemlich unbeholfen. Aber ich weiß schon, was er sagen will. »Ich versteh schon. Hab auch eigentlich nichts anderes erwartet«, antworte ich mit einem schiefen Lächeln. Sein Blick huscht hinunter zu meinem Mund und ich muss unweigerlich an den Kuss denken. Es sieht erst so aus, als wolle Benni noch was sagen. »Ich werd mal reingehen und die anderen suchen«, sage ich verlegen und hebe kurz die Hand. Er sieht mir nach, als ich mich durch die Menge schiebe. Das sehe ich, als ich mich noch einmal kurz umdrehe. Ich liege mit weit geöffneten Augen auf meinem Bett. Parker liegt auf meinem Bauch und döst genüsslich vor sich hin. Ich kraule seinen kleinen Kopf gedankenverloren mit den Fingerspitzen. Der Abend war schön und hat mir mal wieder eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben. Ich muss mich dauernd darum bemühen, in Chris’ Gegenwart ganz normal zu sein. Aber die Mühe lohnt sich. Es ist schön, ihn auch mal in die Seite zu knuffen, oder seinen Arm zu berühren. Ihn offen anzusehen und seine positive Verwunderung zu bemerken, wenn ich ihm oder Sina bei irgendetwas widerspreche. Ich bin froh, dass die beiden mir meine Veränderung so leicht machen. Wenn sie nicht so wären, wie sie sind, dann hätte ich sicherlich viel mehr Schwierigkeiten damit, mein nicht vorhandenes Selbstbewusstsein aufzupolieren. Es ist schon viel besser geworden. Das kurze Gespräch mit Benni hat mich verwirrt. Er scheint sich wirklich Gedanken darüber gemacht zu haben, dass ich böse sein könnte, weil er mich in der Schule nicht beachtet. Und das, obwohl ich ihm in dieser Nacht geholfen und ihm dann Obstsalat gebracht habe. Wir haben uns ja wirklich gut verstanden. Aber die Vorstellung, dass nun irgendwie alles glatt laufen würde, war auch ein wenig naiv. Ich hab kaum einen Gedanken daran verschwendet, dass es für ihn schwierig sein könnte, sich daran zu gewöhnen. Immerhin war ich eigentlich derjenige, der unter unserer früheren ›Beziehung‹ gelitten hat. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich mir, dass es Benni wahrscheinlich noch schwerer fällt, über seinen Schatten zu springen. Wieso auch immer. Vielleicht finde ich den Grund irgendwann raus. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es fast Mitternacht ist. In ein paar Minuten hab ich Geburtstag. Eigentlich wollte ich schon vor einer Stunde schlafen, aber ich konnte nicht, weil ich dauernd über Benni nachgrübeln muss. Morgen in der Schule wird es wieder genauso sein wie vorher. Aber er hat gesagt, ich soll mir nichts daraus machen, also werd ich mich bemühen so zu tun, als würde ich seine Ignoranz gar nicht merken. Sina und Chris wollten eigentlich in meinen Geburtstag reinfeiern, aber ich meinte, dass ich früher ins Bett will. Die beiden haben morgen früh Termine und können deswegen nicht mit mir zusammen frühstücken. Als mein Wecker schließlich null Uhr anzeigt, vibriert mein Handy beinahe auf die Sekunde genau auf dem Nachtschrank. Ich angele danach und öffne die erhaltene SMS. »Alles Gute zum Geburtstag, Großer! Eine Umarmung gibt es morgen früh und dein Geschenk am Samstag. Schlaf gut, deine Lilli.« Ich lächele mein Handy an und will es gerade zur Seite legen, als es erneut vibriert. »Hey Anjo! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Mach dir einen schönen Tag. Alles Liebe, Felix und Leon. PS: Liebe Grüße auch von Nicci, sie hat deine Nummer noch nicht, aber freut sich schon sehr auf Samstag!« Mein Herz hüpft glücklich bei der Vorfreude auf Samstag, wenn Chris, Sina, Lilli, Felix, Leon und Nicci zu meiner Ma nach Hause kommen und wir da meinen Geburtstag feiern. Es vibriert erneut. »Hallo mein Schatz! Daniel und ich wünschen dir alles Liebe und Gute zu deinem 19. Geburtstag! Fühl dich fest gedrückt, ich freu mich schon sehr auf deinen Besuch am Wochenende. Hab dich sehr lieb!« Ich schaue noch einmal auf die Uhr. Es sind gerade mal drei Minuten meines Geburtstags vergangen und mir haben schon sechs Leute gratuliert. Wahnsinn. Lächelnd lege ich mein Handy zurück auf den Nachtschrank, hebe Parker von meinem Bauch herunter und lege ihn neben das Bett auf seine Kuscheldecke. Er lässt sich davon kein bisschen stören und schläft einfach weiter. Ich knipse die Nachttischlampe aus, drehe mich auf die Seite und schließe die Augen. Sehr wahrscheinlich wird das der beste Geburtstag meines Lebens. Mein Morgen beginnt mit zwei Post-It Zetteln, einem fertig gedeckten Tisch und Brötchen. »Alles Liebe zum Geburtstag, kleiner Bruder! Wir sehen uns später! Hab dich lieb, Sina.« Ich klebe den Zettel an den Kühlschrank und setze mich an den Tisch, um mir Kaffee aus der Thermoskanne einzuschenken. Während ich Milch und Zucker in den Kaffee rühre, lese ich Chris’ Notiz. »Hey Knirps. Happy Birthday! Geschenk gibt’s später, lass dich heut in der Schule nicht ärgern. Hab dir Brötchen besorgt. Bis nachher!« Mein breites Grinsen ist mir ein bisschen peinlich, aber Gott sei Dank kann es ja niemand sehen. Bestens gelaunt greife ich nach den Brötchen und fange an zu frühstücken. Mein Herz klopft viel zu schnell. Es ist offensichtlich egal, was Chris tut oder was er nicht tut. Ich bin immer noch so schrecklich verliebt in ihn, dass es kaum auszuhalten ist. Aber ich hab es besser unter Kontrolle als vorher. Sina hat gesagt, dass man es mir jetzt nicht mehr ununterbrochen von den Augen ablesen kann. Wenn das kein Fortschritt ist. In der Schule werde ich wie erwartet von einer stürmischen Lilli begrüßt, die sich in meine Arme wirft. Vor ein paar Monaten wäre ich nach hinten umgefallen und hätte mir womöglich eine Platzwunde am Hinterkopf zugezogen. So taumeln wir nur ein paar Schritt rückwärts und ich erwidere die Umarmung lächelnd. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«, sagt sie strahlend und drückt mir zur Krönung noch einen Kuss auf die Wange. Im Klassenraum darf ich die ganze Umarmungsprozedur auch noch mit Pia und Wiebke durchgehen. »Mein Geschenk hat mich den letzten Nerv gekostet«, erzählt Lilli mir im Flüsterton während des Unterrichts – ich bin dabei die Tatsache zu ignorieren, dass Benni mich ignoriert – und sie nickt verheißungsvoll. »Ich freu mich schon auf dein Gesicht, wenn du es Samstag auspackst. Ich werd übrigens Muffins backen. Sina hat darauf bestanden den Nudelsalat zu übernehmen, weil sie nichts anderes hinkriegt. Also sorge ich für den Nachtisch.« Ich schmunzele. »Wenn du für jeden zwei machst, wird das wohl reichen«, wispere ich zurück, den Blick unauffällig auf die Tafel vorne gerichtet. Der Politikunterricht ist wie immer unheimlich trocken. Allerdings nicht schlimm genug, als dass es meine gute Laune trüben könnte. Ich bin jetzt schon aufgeregt wegen später, wenn Sina und Chris mir ihre Geschenke geben. Sinas Geschenk wird garantiert künstlerisch und umwerfend sein. Aber bei Chris habe ich wirklich nicht die leiseste Idee, was er mir schenken könnte. Bei dem Gedanken an ein Paar eigener Boxhandschuhe muss ich stumm glucksen. Gerade, als ich einen Blick auf meine Armbanduhr werfen will, bekomme ich eine Papierkugel gegen die Brust und zucke leicht zusammen. Das gefaltete Stück Papier liegt in meinem Schoß und ich sehe auf. Bennis Kumpanen sind mit sich selbst beschäftigt und blättern in irgendeiner Zeitschrift – wahrscheinlich mit nackten Frauen drin – unter dem Tisch. Benni sitzt da und starrt angestrengt nach vorn zur Tafel. Das tut er sonst nie. Demnach ist das Stück Papier wohl von ihm. Unweigerlich zieht sich mein Magen zusammen, weil ich befürchte, dass er wieder anfängt mich während des Unterrichts mit Papierkügelchen zu bewerfen. Aber dann fällt mein Blick erneut auf das Geschoss in meinem Schoß und ich sehe, dass mein Name darauf steht. Lilli malt gerade sehr geschäftig eine verwirrende Grafik von der Tafel ab und ich beginne langsam und mit zittrigen Fingern das Papier auseinander zu falten. Die Handschrift ist krakelig und setzt sich nur aus Großbuchstaben zusammen. Es stehen nur zwei Worte auf dem Zettel: HAPPY BIRTHDAY Ich kann das Alphabet auswendig aufsagen, seit ich fünf Jahre alt bin. Englisch habe ich seit der fünften Klasse gelernt. Also muss ich eigentlich verstehen, was da steht. Aber mein Gehirn kann die Tatsache nicht wirklich verarbeiten, dass Benni mir gerade zum Geburtstag gratuliert hat. Ich hebe den Kopf und starre zu ihm herüber. Nach zwanzig Sekunden kann er wohl nicht mehr widerstehen und seine dunklen Augen huschen zu mir hinüber. Ich öffne den Mund, klappe ihn wieder zu und schlucke dann. Mein Herz hämmert im Marathon. Und ganz, ganz vorsichtig, als wäre er darauf bedacht, dass niemand es sieht – womöglich nicht einmal ich – lächelt er ein winziges bisschen. Der Rest des Tages verschwimmt in einem bunten Schleier. Ich verbringe beide große Pausen mit Lilli in der Eingangshalle, wo wir Muffins vom Kiosk verspeisen und Lilli wie ein aufgescheuchtes Huhn mit Bennis Zettel vor meiner Nase herumwedelt. Ich selber habe das Bedürfnis sie zu schütteln, weil ich es nicht wirklich glauben kann, dass Benni mir zum Geburtstag gratuliert hat. Einfach so. Ich wusste nicht mal, dass er überhaupt mein Geburtsdatum kennt. Weiß der Geier, woher er das hat. Wiebke und Pia lehnen meine Einladung für Samstag bedauernd ab, weil sie zum Shoppen nach Berlin fahren, aber ich kann nicht wirklich enttäuscht sein deswegen, weil ein Zettel von Benni in meiner Hosentasche steckt. »Es ist ein bisschen beunruhigend, wie sehr du dich über den Zettel freust«, sagt Lilli nach der letzten Stunde, als wir zusammen nach Hause gehen. »Du bist ja selber völlig hysterisch!«, gebe ich lachend zurück. »Aber nur, weil du so aufgeregt bist! Und weil ich mir hundertprozentig sicher bin, dass er so was von auf dich abfährt!«, sagt sie und wedelt wild mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum. Ich verziehe ungläubig das Gesicht und bemühe mich vergebens das aufgeregte Klopfen in meiner Brust zu ignorieren, das einfach nicht verschwinden will. Diese These wird sich in meinen Ohren immer lächerlich anhören, egal von wem sie kommt und trotz der unleugbaren Tatsache, dass Benni mich geküsst hat. Es scheint mir einfach unwirklich zu sein und ich verstehe es wirklich nicht. Obwohl Chris es mir damals erklärt hat. Aber eigentlich will ich mir darüber auch gar keine Gedanken machen, ich will mich nur in Ruhe darüber freuen, dass wir langsam – so langsam wie ein Feuerzeug einen Eisberg auftaut – Fortschritte machen. Ich meine… er hat mir zum Geburtstag gratuliert. Ich für meinen Teil habe keine Ahnung, wann er Geburtstag hat. Lilli und ich reden noch ein wenig über Samstag und Lilli schlägt scheinheilig vor, dass ich Benni fragen könnte, ob er auch kommen will. Aber das lehne ich sofort ab ohne darüber nachzudenken. Erstens bin ich mir sicher, dass er nicht kommen wollen würde. Zweitens würde ich mich den ganzen Abend unsicher fühlen und das will ich an meinem ersten, tollen Geburtstag wirklich nicht. Trotzdem muss ich die ganze Zeit über die Möglichkeit nachdenken, dass Benni ja womöglich zu meinem nächsten Geburtstag kommen könnte, wenn wir uns bis dahin gut verstehen. Eine merkwürdige Überlegung. Aber zugegebenermaßen eine, die mich sehr freut. Lilli droht mir an den Rest des Tages hundert SMS zu schreiben, weil sie immer noch vollkommen aufgelöst ist. Ich versichere ihr, dass ich mein Handy in meinem Zimmer lassen und nicht rausholen werde, bis sie aufgehört hat, woraufhin sie einlenkt und von ihrem Plan absieht. Als ich die Wohnungstür aufschließe, kommen mir Parker und Pepper entgegen. Ich werfe nur meinen Rucksack in die Ecke, schnappe die beiden Leinen vom Haken an der Wand und nehme die beiden mit nach draußen. Chris und Sina werden noch länger weg sein, ich glaube, dass sie erst gegen fünf wieder kommen. Dann kann ich über den Zettel in meiner Hosentasche nachdenken. Glückwünsche von Benni. Ich glaube, da werde ich die nächsten Wochen nicht drüber hinweg kommen. Weil ich so in Gedanken versunken bin, merke ich gar nicht, dass ich fast zwei Stunden mit den beiden Hunden durch den Park streife. Die beiden beschäftigen sich hauptsächlich miteinander, deswegen kann ich in aller Ruhe auf einer Bank sitzen und ihnen dabei zu schauen. Das erinnert mich an das eine Mal, als ich mit Chris hier saß und wir Pepper zugesehen haben. Da hatte ich ihn gerade erst kennen gelernt und wir haben über seine Familie geredet. Es scheint jetzt schon Ewigkeiten her zu sein, dabei sind es erst fünf Monate und ein bisschen. Wenn man mir damals erzählt hätte, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft mal Benni küssen würde, dann hätte ich laut gelacht. Automatisch greife ich in meine Hosentasche und krame den mittlerweile sehr lädiert aussehenden Zettel hervor, um mir die beiden Worte zum hundertsten Mal durchzulesen. Ich möchte Benni fragen, woher er das Datum weiß. Aber vielleicht hat er auch nur gehört, wie Pia und Wiebke mir gratuliert haben? Ich hab wirklich keine Ahnung. Und ich sollte den Kopf frei kriegen, wenn ich nachher mit Chris und Sina meinen Geburtstag feiern will. Als ich mit den beiden völlig erschöpften Hunden wieder nach Hause komme, wuselt mir sofort eine strahlende Sina entgegen. Sie streckt die Arme nach mir aus und zieht mich in eine feste Umarmung. »Alles Gute zum Geburtstag!«, sagt sie und ich ächze leicht, als sie mich noch ein bisschen mehr drückt. »Danke«, gebe ich lächelnd zurück und löse mich von ihr, um erstmal die Leinen wieder an ihre Haken zu hängen. Dann pelle ich mich aus meiner Jacke und den Schuhen und gähne verhalten. »Chris und ich dachten, dass wir zur Feier des Tages einfach eine Pizza bestellen könnten«, meint Sina schmunzelnd und kniet sich kurz auf den Boden, um die beiden Hunde zu streicheln. Dann schauen wir ihnen nach, wie sie müde ins Wohnzimmer trotten. Wahrscheinlich rollen sie sich jetzt auf dem Sofa zusammen und schlafen sofort ein. »Pizza klingt gut«, antworte ich und wie zur Bestätigung meiner Worte knurrt mein Magen. Ich hab seit den Muffins in der großen Pause nichts mehr gegessen und bin dementsprechend hungrig. Aber wenn man derart in Gedanken versunken ist wie ich den ganzen Tag über, dann vergisst man schon mal, dass man auch etwas essen sollte. »Chris ist in der Küche. Ich hol eben dein Geschenk«, trällert Sina gut gelaunt und verschwindet hinter ihrer Zimmertür. Ich sehe ihr amüsiert nach, dann gehe ich in die Küche, wo Christian auf einem der Küchenstühle hockt, in einer Tageszeitung blättert und aufsieht, als ich den Raum betrete. Wie immer, wenn unsere Augen sich treffen, macht mein Herz einen Sprung. »Hey Knirps«, sagt er und auf seinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus. Mein Magen kribbelt. Als er aufsteht, bin ich einen Moment lang verwirrt, dann löst sich mein Inneres in einer Art riesiger Brausetablette auf. Chris streckt seine Hand aus und zieht mich an der Schulter zu sich, ehe er einen Arm um mich legt und mich kurz an sich drückt. Wenn mein Gehirn nicht gelähmt wäre, dann würde ich womöglich darüber lachen, dass dies eine ausgesprochen ›männliche‹ Umarmung ist. »Herzlichen Glückwunsch.« Mein Herz hämmert jetzt in dreifacher Geschwindigkeit und ich muss schwer schlucken, um überhaupt ein Wort rauszubekommen. Garantiert bin ich jetzt knallrot und all mein gewonnenes Selbstbewusstsein hat sich für den Moment ins Nichts verflüchtigt. Chris grinst schief zu mir herunter und ich öffne den Mund, um irgendetwas Geistreiches zu sagen. »Danke«, krächze ich. Hervorragend. Meine Stimme klingt, als hätte ich sie seit zwei Monaten nicht mehr benutzt. Gott sei Dank kommt in diesem Moment Sina herein und trägt eine riesige Papprolle unter dem Arm. »Ich konnte es leider nicht einpacken, dafür war’s zu lang«, meint sie entschuldigend. Sie hat eine rote Schleife darum gebunden und drückt mir die Rolle in die Hand. Oben hat sie einen Deckel, den man abnehmen kann und ich öffne den weißen Plastikverschluss. Drinnen ist ein riesiges Plakat, das sich nur schwer heraus ziehen lässt, aber als ich es auseinander rolle, stockt mir der Atem. Es ist ein wahres Feuerwerk an Fotos. Die Bilder gehen ineinander über, stecken aneinander wie Puzzleteile, liegen hin und wieder übereinander wie ein Haufen Polaroids. Ich erkenne Bilder von mir und Lilli, die ich gemacht habe, welche von ihr und Chris, von uns dreien, von Pepper und Parker, von Felix’ Band auf der Bühne oder im Park… Ich habe mir ja schon gedacht, dass Sina mir etwas Kreatives schenkt – genau wie Lilli –, aber das hier übertrifft alle meine Erwartungen. Soviel steht fest. »Wow«, ist alles, was ich raus bringe. Sina grinst breit, drückt mir einen Kuss auf die Wange und schnappt sich das Telefon, das auf dem Küchentisch liegt. »Freut mich, dass es dir gefällt«, sagt sie lächelnd. »Pizza wie immer?« Ich nicke abwesend und betrachte Sinas Meisterwerk. Das kommt an meine Wand, direkt über das Bett. Die anderen Fotos kann ich immer noch in Bilderrahmen auf den Schreibtisch stellen. Chris schaut mir über die Schulter und er steht so nah bei mir, dass ich seine Körperwärme an meinem Rücken spüren kann. Mein ganzer Körper kribbelt aufgeregt und freudig. Ich hebe den Kopf und strahle ihn an. Er sieht ein bisschen irritiert aus, bringt aber ein Grinsen zustande. »Sie ist eben eine echte Künstlerin«, kommentiert er mein Geschenk und fährt sich dann ein wenig unschlüssig durch die Haare. Im Flur höre ich Sina laut mit dem Pizzabringdienst telefonieren. Der Betreiber des Imbiss’ versteht einen meistens nicht besonders gut und Sina klingt, als würde sie mit einer schwerhörigen Oma sprechen. »…nein, ohne Mais! Ja, genau. Und eine Pizza Hawaii. Hawaii!« Chris bückt sich und hebt ein knitterig aussehendes Paket vom Küchenstuhl, der neben dem steht, auf dem er vorhin gesessen hat. Es ist offenbar mit hundert Lagen Tesafilm umklebt und sieht aus, als hätte es ein Vierjähriger eingepackt. Ich sehe ihn blinzelnd an. Chris blickt ziemlich verlegen drein. »Äh… ich bin nicht besonders kreativ mit Geschenken. Aber ich dachte… na ja. Ich hoffe, du magst es.« Ich greife nach dem Paket und betaste es vorsichtig. Es ist weich und ich hab wirklich nicht den blassesten Schimmer, was Chris mir schenken könnte. Der Inhalt des Päckchens fühlt sich jedenfalls nicht nach Boxhandschuhen an. »…Nummer 13. DREIZEHN!«, dröhnt Sinas Stimme durch den Flur. Ich beginne mit leicht zittrigen Fingern – wie schon bei Bennis Zettelchen – das Paket zu öffnen und es bereitet mir einiges an Schwierigkeiten, weil Chris so viel Klebeband verwendet hat. Schließlich reiße ich den letzten Rest Geschenkpapier ab und halte einen Kapuzenpulli in den Händen. Nicht irgendeinen Kapuzenpulli. Es ist der, den Chris mir damals umgehängt hat, nachdem er mich vor Benni und seinen Kumpanen gerettet hat. Der Pulli, den ich ihm zurück gebracht habe. Der Pulli, ohne den wir uns sehr wahrscheinlich nie wieder gesehen hätten. »Ich dachte, weil wir uns gar nicht kennen würden, wenn du den Pulli nicht zurück gebracht hättest…«, sagt Chris’ Stimme und ich schaue hoch in sein Gesicht, das immer noch ganz verlegen aussieht. Ich kann mich nicht erinnern, Chris schon mal so gesehen zu haben. Ich bin sogar noch sprachloser als bei Sinas Geschenk. Natürlich ist der Pulli nichts Selbstgemachtes, aber ich kann mir vorstellen, dass Chris ewig lang darüber nachgedacht hat, was er mir schenken soll. Und dann schenkt er mir den Grund dafür, dass wir heute da sind, wo wir sind. »Danke«, flüstere ich und lächele zu Chris hoch. Er lächelt etwas schräg zurück und wir sehen uns an, wie wir uns noch nie angesehen haben. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber ich bin mir sicher, dass plötzlich etwas anders ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)