Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 28: Mutter ------------------ Hallo ihr Lieben! Das hier ist eigentlich nur ein halbes Kapitel, aber ich mag es nicht, wenns zu lang wird ;) Deswegen gibt es nach diesem Kapitel hier noch mal eines aus Chris' Sicht. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und bedanke mich mal wieder für all die lieben Kommentare und die Motivation, die ihr mir beschert :) Liebe Grüße, __________________________________ Sina macht mir mehr als deutlich, dass ich ein Vollidiot bin. Aber das weiß ich auch selber. Und dass auch Anjo gemerkt hat, dass ich ein Idiot bin, merke ich daran, dass er mich die folgenden Tage eindeutig meidet. Er ist weniger zu Hause, weil er mehr mit Lilli unternimmt oder unheimlich lange mit Parker raus geht, um zu spielen. Sina wirft mir jedes Mal bedeutungsschwangere Blicke zu, wenn die Wohnungstür hinter ihm zugeht. Aber sie sagt nichts. Muss sie auch gar nicht. Ich lese es in ihrem Gesicht. ›Du bist ein Idiot, Christian. Ich hoffe, das ist dir klar.‹ Als wüsste ich das nicht. Sehr genau sogar. Aber ich kann schließlich nichts für meine verkorkste Psyche. Plötzlich ist Anjo nicht mehr nur ein kleiner Bruder, der beschützt werden muss. Das ist irritierend. Ich sollte diese Sache mit Benni einfach nicht mehr kommentieren, denn es ist ja wirklich sein Leben. Und seine Entscheidung. Und wenn er Benni verzeihen will – und wenn das bei ihm anders als bei mir und Jakob nicht Jahre dauert –, dann muss ich das halt hinnehmen. Eigentlich zeigt es ja auch nur, was für eine innere Größe der Knirps wieder mal zeigt. Irgendwo hab ich mal ein Zitat gelesen, dass Vergebung nur was für starke Menschen ist. Ich unterschreibe das hiermit. Mein Kopf jedenfalls hat sich arg selbstständig gemacht, seit Anjo mir von dem Kuss mit Benni erzählt hat. Vorher war Anjo eine absolut asexuelle Lebensform mit homosexuellen Neigungen. Plötzlich ist er nicht nur sicher schwul, sondern auch noch vollkommen im Reinen mit diesem Umstand. Und er hat seinen ersten Kuss verloren. Wenn er wollte, könnte er sogar noch weitergehen und mit Felix und mir durch Bars ziehen, in die er sonst nie gehen würde. Er könnte genau wie ich mit anderen Kerlen rummachen. Die Vorstellung behagt mir natürlich überhaupt nicht, aber ich weiß auch, dass ich kein Recht habe, da irgendwie hinein zu funken. Und selbst wenn ich die Möglichkeit hätte, mit Anjo… nun ja. Ich würd es nicht machen. Der Knirps hat eindeutig jemand Besseren verdient. Auch wenn meiner Meinung nach nicht Benni dieser bessere jemand sein sollte. Drei Tage lang beobachte ich also, wie Anjo mir aus dem Weg geht und meinen Blicken ausweicht, wenn wir uns doch mal sehen. Wie wütend kann man auf sich selbst eigentlich werden? Das erste Mal von diesem Problem abgelenkt werde ich, als Sina eines Nachmittags leise summend die Wohnungstür aufschließt und durch den Flur tänzelt. Mit einem Strauß Blumen in der Hand. Stirnrunzelnd folge ich ihr ins Wohnzimmer, wo sie die Blumen umsichtig auf den Couchtisch legt und dann in einem Schrank nach einer Vase kramt. »Blumen«, ist mein Kommentar zu diesem monströsen Bouquet. Sina kichert leise, fördert eine Vase zu Tage und verschwindet mit ihr und den Blumen in der Küche. Erneut folge ich ihr. »Ist es geheim, von wem du die gekriegt hast?«, erkundige ich mich. Sina füllt Wasser in die gläserne Vase und stellt die Blumen mit einem zärtlichen Gesichtsausdruck hinein. »Nein, ist es nicht. Aber mir scheint, dass du momentan zu sehr mit dir selbst beschäftigt bist, als dass ich dir erzählen könnte, wie es zu diesen Blumen kam«, kommt die gezwitscherte Antwort und dann rauscht meine beste Freundin auch schon an mir vorbei und ich höre ihre Zimmertür gehen. Na toll. Jetzt erzählt Sina mir schon nicht mal mehr, von wem sie Blumen bekommen hat, weil ich mit mir selbst nicht klar komme. Ungehalten tigere ich zu ihrem Zimmer, klopfe und trete ein. Sina hockt auf ihrem Bett und hält ihr Handy in der Hand. »Nun sag schon«, brumme ich. Sie schaut auf und lächelt verhalten, dann tippt sie weiter auf ihrem Handy herum und erst, nachdem sie was-auch-immer beendet hat, sieht sie wieder auf. »Du hast nicht gefragt, wie es auf dem Jahrgangstreffen gestern war«, meint sie dann beiläufig. Es dauert tatsächlich einige Sekunden, bis ich mich daran erinnere, dass Sina ja gestern dieses Klassentreffen… oder Jahrgangstreffen, oder wie auch immer man es nennt, hatte. Ich war zu beschäftigt mit meinen eigenen Problemen. Seufzend schließe ich die Tür und setze mich neben sie aufs Bett. »Also schön. Wie war das Jahrgangstreffen?«, erkundige ich mich. »Gut«, sagt sie und blinzelt mich an wie die Unschuld vom Lande. Ich habe wirklich keine Geduld dafür. Nicht im Moment. Und das weiß sie sicherlich auch, sie bringt mich nur einfach unheimlich gern auf die Palme. Ich knurre wortlos. »Es lief alles wie geplant. Ich sah umwerfend aus, die Männer haben gesabbert – oh, und Kerstin hat auch gesabbert, die ist aber mittlerweile mit Caro verlobt – und die Mädels haben blöd geguckt und die meisten, die ich damals gehasst habe, sind erblasst vor Neid, aber sie waren natürlich zu hinterfotzig, um mir irgendwas ins Gesicht zu sagen. Jedenfalls…« Sie holt tief Luft und strahlt mich dann dermaßen breit an, dass es doch ziemlich beunruhigend ist. »Fabian.« Eine Pause. Ich hebe die Augenbrauen und schaue sie verständnislos an. Den Namen hab ich noch nie im Leben gehört. »Ja?«, gebe ich lang gezogen zurück. Ihr Grinsen hat unheimliche Ausmaße angenommen. »Wie dir sicher entgangen ist, bin ich erst heute Morgen um halb acht nach Hause gekommen. Wir haben gestern die ganze Nacht auf einem Spielplatz auf den Schaukeln verbracht und geredet und dann hat er mich nach Hause gebracht und ich hab nur vier Stunden geschlafen und als ich nach dem Duschen runter gegangen bin, um den Briefkasten zu leeren, waren die Blumen da und eine SMS, ob ich nicht morgen Abend mit ihm essen gehen möchte.« »Ok…«, sage ich und blinzele den riesigen Strauß an. »Du musst ihn in dieser Nacht ja schwer beeindruckt haben, dass er dir so einen Strauß schenkt.« Sina kichert wie ein kleines Mädchen. »Also eigentlich war er früher in der Schule schon beeindruckt von mir, nachdem ich… du weißt schon. Nach dem Krankenhausaufenthalt wieder zur Schule kam und alles. Aber er hat sich nie getraut mich anzusprechen. Er ist auch einer von diesen Jungs… na ja. Die früher Hochwasserhosen getragen haben und vernarrt in Star Wars waren. Nicht, dass er das nicht immer noch ist, aber er trägt mittlerweile normal lange Hosen und ich werde morgen mit ihm essen gehen!« Sie steht von ihrem Bett auf, zieht mich zu sich und macht mit mir ein paar Drehungen durch ihr Zimmer. »Du bist gruselig. Ist das sone Art Turbo-Verliebtheit?«, erkundige ich mich, als sie mir einen Kuss aufdrückt und zu ihrem Kleiderschrank huscht – ganz sicher, um schon mal das Outfit fürs Essen morgen Abend rauszusuchen. »Er hat mich halt umgehauen. Und ich ihn offenbar auch. Ich hab jedenfalls noch nie so viele Blumen nach einem Treffen bekommen. Eigentlich krieg ich nie Blumen. Höchstens schmutzige SMS oder Fragen danach, ob sie meine Unterwäsche behalten dürfen«, sagt Sina und verschwindet beinahe vollkommen in ihrem Kleiderschrank. »Na… dann hoffe ich, dass diese Begeisterung anhält und… er dich nicht morgen schon fragt, ob du ihn heiraten willst. Einen Stalker zu haben muss echt gruselig sein«, gebe ich zu bedenken. Sina wirft mir einen bösen Blick über die Schulter zu, doch fast zeitgleich verwandelt er sich erneut in ein grelles Strahlen. »Du kannst mir das ruhig gönnen. Vielleicht bin ich bisschen voreilig, aber ich wünsche mir schließlich schon seit ich vierzehn bin einen Kerl, der genauso ist wie Fabian, und wenn er sich als Stalker rausstellt, dann werde ich ihn verklagen, weil er mir meine Jugendträume versaut hat!« Ein kurzes Schweigen tritt ein. »Ich… freu mich für dich«, sage ich dann. Sina taucht aus ihrem Schrank auf, dreht sich zu mir um und sieht mich mit schief gelegtem Kopf an. »Ich hoffe du weißt, dass ich dich lieb hab, oder? Auch wenn ich nervig und besserwisserisch und streng mit dir bin, weil du ein Trottel bist?« Ich muss lachen und breite meine Arme aus, woraufhin sie sich schmunzelnd hineinwirft und ihr Gesicht an meinem Hals vergräbt. »Ich hab dich auch lieb, Schnecke«, antworte ich und drücke sie ein bisschen fester. Sie kichert. »Ich mag’s, wenn du mich so nennst«, sagt sie, hebt den Kopf und schaut mich aus ihren großen Augen von unten herauf an. »Ich weiß«, antworte ich grinsend. Sina löst sich von mir und streckt sich ein wenig. »Ah, Anjo ist übrigens gerade bei seinem Vater. Und seine Mutter kommt heute hierher. Ich hab schon Kuchen vom Bäcker geholt«, erklärt sie, während sie sich wieder ihrem Kleiderschrank zuwendet. Ich blinzele. »Seine Mutter? Und was macht er bei seinem Vater?« Sina schmeißt ein paar T-Shirts in meine Richtung, die ich unweigerlich auffange und auf ihr Bett lege. »Mit ihm reden, denke ich. Das wollte er doch schon ewig. Der Kleine räumt in seinem Leben momentan richtig auf. Ich bin die stolzeste große Schwester, die es gibt«, erklärt sie, hält sich einen Faltenrock an und verzieht das Gesicht, ehe sie ihn wieder in die Tiefen ihres Schranks stopft. »Und wieso kommt seine Mutter hier her?«, erkundige ich mich. Sina dreht sich mit hochgezogenen Augen zu mir um. »Weil sich die beiden selten sehen und sie mal schauen wollte, wo ihr Sohn mittlerweile wohnt? Diese Dinge, du weißt schon. Familienkram eben«, entgegnet Sina und ist im nächsten Augenblick wieder verschwunden. Ich merke, dass sie zu sehr mit sich und Fabian und ihrem Outfit beschäftigt ist, also schleiche ich aus dem Zimmer, bevor sie noch auf die dumme Idee kommt, mich mal wieder als Modeberater einzusetzen. Gerade, als ich in den Flur trete, wird die Wohnungstür aufgeschlossen und Anjo kommt herein. Parker hat er an einer Leine und der kleine Hund – der mittlerweile immerhin halb so groß ist wie Pepper – sieht vollkommen erschöpft aus, als hätte Anjo ihn stundenlang Stöckchen holen lassen. »Hi«, sage ich und er dreht sich zu mir um. Ich habe ihn schon mal in besserer Laune gesehen. »Hallo«, gibt er zurück, lässt Parker von der Leine und der kleine, karamellfarbene Flauschball verschwindet sofort in Anjos Zimmer, zweifellos um sich dort auf Anjos Bett zusammen zu rollen und erstmal ein Nickerchen zu halten. »Hab gehört, du warst bei deinem Vater?«, erkundige ich mich. In diesem Moment wird mir klar, dass Anjo schon länger nicht mehr mit mir beim Training war. Wieso ich gerade jetzt darauf komme, weiß ich nicht. »Ja, schon. Es war aber nicht besonders erfolgreich«, meint er, zuckt mit den Schultern und stellt seine Schuhe sorgfältig neben Sinas, ehe er sich an mir vorbei ins Bad schiebt. Ich seufze. »Hey«, sage ich, schiebe einen Fuß zwischen die Tür und den Rahmen und folge Anjo ins Bad. Er sieht mich verwirrt an, eine Hand an seinem Sweatshirtsaum, als wollte er sich gerade ausziehen. »Was ist denn? Ich wollte noch duschen, bevor meine Ma kommt«, erklärt er mir. Seine grünen Augen mustern mich fragend. Ich schließe die Tür und hocke mich auf den Klodeckel. »Ich weiß, dass ich ein Arsch war«, sage ich unumwunden. Anjo legt den Kopf schief und mustert mich. »Oder einer bin«, füge ich hinzu. Seine Mundwinkel zucken. »Tut mir Leid.« Anjo lächelt kaum merklich, kommentiert meine Entschuldigung allerdings nicht, sondern zieht sich sein Sweatshirt über den Kopf und lässt es auf den Boden fallen. Ich hab ihn tausend Mal nackt unter der Dusche gesehen. Kratzt mich kein Stück. Seit wann ist er eigentlich nicht mehr so schmächtig? Ach ja… er hat monatelang mit mir trainiert. Ganz dunkel erinnere ich mich daran, während ich ernsthaft bemüht bin, ihn nicht anzustarren. »Ähm…«, sage ich. Eigentlich wollte ich fragen, wie es bei seinem Vater war. Anjo kramt unterdessen in seinem Fach des Regals nach Duschgel und zieht ein frisches Duschtuch hinterher. Er will ja jetzt wohl nicht unter die Dusche hüpfen, während ich hier auf dem Klodeckel sitze? Andererseits waren wir nach dem Sport dauernd duschen. Ist ja auch egal. Wir sind schließlich beide nur … schwule Kerle. Haha. »Stört’s dich, wenn ich…?«, fragt er und es ist ein rötlicher Schimmer auf seinen Wangen zu sehen, der an den schüchternen Anjo erinnert. Ich grinse bemüht verwegen. »Wäre ja nicht das erste Mal«, sage ich lässig. Er fährt sich verlegen durch die Haare, dann ist er auch schon aus seiner Hose und seiner Shorts gestiegen und hinter der milchigen Duschwand verschwunden. Nicht, dass man ihn nicht mehr sehen kann. Seine Silhouette kann ich immer noch erkennen. Seine Mutter scheint wohl wirklich sehr bald zu kommen, sonst hätte er garantiert mit dem Duschen gewartet, bis ich wieder draußen bin. »Was hat dein Vater denn gesagt?«, erkundige ich mich etwas lauter, damit er mich durch das Rauschen der Dusche hören kann. »Na ja. Ich kam rein und hatte den Schlüssel schon von meinem Bund abgemacht, weil ich ja sowieso nicht mehr damit gerechnet hab, dass ich irgendwann noch mal bei ihm wohnen werde. Seine Freundin war auch da. Du weißt schon, Carola. Und sie sah so aus, als hätte sie absolut nichts dagegen, dass ich schwul bin. Aber meinen Vater konnte das trotzdem nicht überzeugen. Er war extrem steif und meinte, dass es ja vielleicht für uns beide besser ist, wenn ich nicht mehr bei ihm wohne und dass man das mit Unterhalt noch regeln müsste und dass ich irgendwann meine restlichen Sachen aus dem Zimmer holen soll. Carola sah ziemlich geschockt aus. Ich hab mir so was schon gedacht. Jedenfalls hab ich meiner Ma daraufhin ’ne SMS geschrieben und sie hat bei ihm angerufen, um ihn wieder mal zusammen zu falten und jetzt krieg ich einen Dauerauftrag von meinem Vater auf mein Konto, dann kann ich auch Miete zahlen, wenn ich hier wohne«, erklärt er in derselben Lautstärke wie ich. Aber er klingt weder besonders traurig, noch aufgebracht. »Und wie geht’s dir damit?«, will ich wissen. Einige Sekunden lang höre ich nur das Plätschern des Wassers und betrachte sehr genau die Tür, der ich gegenüber sitze. Es wäre komisch, Anjo anzuspannern, während er duscht. Trotzdem bin ich mir jeder Bewegung hinter der Milchglaswand überdeutlich bewusst. »Weiß nicht. Ich glaube, ich hab es noch nicht richtig verdaut. Aber es ist ja nicht so, dass ich je ein besonders enges Verhältnis zu meinem Vater gehabt hätte. Es ist schon ok. Irgendwie«, kommt die Antwort. Ich fahre mir durch die Haare und bin beeindruckt von Anjo. Kaum zu fassen, wie er sich innerhalb von wenigen Monaten entwickelt hat. Im Mai haben wir uns kennen gelernt und ich erinnere mich noch ganz genau an den verschreckten, ängstlichen, geprügelten kleinen Hund mit eingezogenem Schwanz. Ein Junge, der viel zu selten gelächelt hat und für den traurige Gewohnheit geworden war, von allen Seiten nur getreten zu werden. Und jetzt ist bald der September vorbei und Anjo ist kaum noch wieder zu erkennen. Ich muss lächeln, weil der Gedanke mir gefällt, dass ich ihm dabei geholfen habe, aus seinem Loch heraus zu kommen. Das verstummende Geräusch des Wassers befördert mich zurück in die Realität. Eine Realität, in der Anjo gerade triefend nass und vor allem nackt aus der Dusche steigt und nach dem Handtuch greift. Kaum zu fassen, dass der Knirps mittlerweile sogar Bauchmuskulatur hat. Ein wenig zumindest. »Ok… ich warte dann mal… draußen«, sage ich und erhebe mich, während Anjo sich in das Handtuch wickelt. »Ok. Isst du auch ein Stück Kuchen mit uns?«, erkundigt er sich lächelnd. »Klar.« Ich verlasse das Bad und sehe mich Sina gegenüber, die mit hochgezogenen Augenbrauen erst die Badezimmertür mustert und dann mich. »Warst du grad da drin, während Anjo geduscht hat?«, will sie wissen. Ich räuspere mich. »Äh… ja. Aber… wir waren schon hundert Mal miteinander duschen«, erkläre ich. Sina schmunzelt verhalten. »Sicher«, meint sie und geht dann in die Küche, sicherlich um den Kuchen auf einen Teller zu packen. Ich folge ihr. »Was soll denn das heißen? Sicher?«, erkundige ich mich bei ihr und beobachte sie dabei, wie sie Zucker- und Streuselkuchen auf einen großen Teller legt, bis eine kleine Kuchenpyramide entstanden ist. »Nichts, was soll das schon heißen?«, gibt Sina ungerührt zurück und macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Gerade habe ich mal wieder das dringende Bedürfnis, sie zu würgen. Allerdings komme ich nicht dazu, weil es in diesem Moment klingelt. »Oh, gehst du mal aufmachen?«, fragt Sina. Sie kramt nach dem Kaffeegeschirr. Ich frage mich, wieso sie das noch nicht früher gemacht hat. Ich gehe zur Tür und betätige den Öffner. Hinter mir huscht Anjo in sein Zimmer und zieht sich hastig um. Mich überkommt unweigerlich eine große Neugier auf Anjos Mutter. Jedes Mal, wenn er von ihr erzählt hat, klang er sehr begeistert. Als ich Anjos Mutter am Treppenabsatz auftauchen sehe, muss ich unweigerlich lächeln. Anjo sieht genauso aus wie seine Mutter, nur dass ihre Haut sonnengebräunt ist, weil sie so viel reist. Ihre grünen Iriden leuchten gut gelaunt und sie hat Lachfältchen um Augen und Mund. Sie ist genauso groß wie ihr Sohn – also um einiges kleiner als ich. »Hallo«, sage ich und strecke ihr die Hand zur Begrüßung entgegen, die sie prompt ergreift und fest drückt. »Ich bin Christian.« Ihr Grinsen ist fast ein wenig spitzbübisch. »Hallo Christian. Ich hab schon einiges von dir gehört. Ich bin Simone«, stellt sie sich vor und tritt in den Flur. Anjo kommt aus seinem Zimmer gestürmt, dicht gefolgt von Parker. »Hallo mein Schatz«, sagt sie und drückt Anjo an sich. Parker springt um die beiden herum wie ein Flummi, während ich die Tür schließe und in die Küche gehe, um Sina beim Tisch Decken zu helfen. »Der Kaffee ist gleich fertig!«, ruft Sina in Richtung Flur und Anjo schiebt seine Mutter in die Küche, wo nun auch sie und Sina sich die Hand geben und sich vorstellen. Anjos Mutter freut sich sichtlich über den Streuselkuchen. Nachdem jeder eine Tasse Kaffee vor sich stehen hat – den Anjo eigentlich nur mit einer dreiviertel Tasse Milch und Zucker trinkt –, sitzen wir in der Küche und im Hintergrund läuft leise das alte Radio. »Wow, 15 Punkte. Das Bild würde ich mir gern mal ansehen«, sagt Anjos Mutter gerade, nachdem er nicht ohne Stolz von seinem Kunsterfolg berichtet hat. »Das Bild sah wirklich umwerfend aus«, erklärt Sina und Anjo strahlt zu ihr herüber. »Du kannst es dir ansehen, es wird noch ausgestellt, bei uns in der Schule. Ich hab aber auch ein Foto gemacht, wenn du willst«, meint Anjo. »Wir können nachher noch vorbei fahren, aber das Foto würd ich trotzdem gern sehen«, sagt Simone – und es ist komisch, das zu denken – und grinst Anjo zu. Der springt sofort auf und hastet in sein Zimmer. Grüne Augen richten sich auf uns und fransige, braune Haare werden aus dem Gesicht gestrichen, das Anjo so ähnlich ist. »Danke für alles«, sagt sie lächelnd. »Nichts zu danken«, sagt Sina und beißt in ihr Stück Zuckerkuchen. »Wirklich nicht«, füge ich hinzu und lächele. Anjos Mutter betrachtet mich einen Moment lang und ich habe das dumpfe Gefühl, dass sie eventuell von Anjos Schwärmerei für mich weiß. Aber sie sagt nichts dazu, wofür ich ausgesprochen dankbar bin. Was sollte ich auch antworten? Kein Ding, jetzt wo ihr kleiner Babyhund langsam erwachsen wird, fange ich auch an, mich für ihn zu erwärmen, und gerade vorhin habe ich ihn beim Duschen beobachtet. Sehr witzig. Anjos Mutter ist wirklich unheimlich nett. Sie schaut sich Anjos neueste Bilder an, betrachtet die Fotos, die er damals beim Grillen im Park geschossen hat und einige, die ich noch gar nicht kenne. Mit Lilli beim Kuchen backen, mit Lilli und Pinsel und Farbe im Gesicht. Bilder von Parker und Pepper. Anjo fotografiert mehr, als ich dachte. Ich hab ihn bisher kaum mit der Kamera gesehen, aber er scheint sie fleißig zu benutzen. »Ich bestehe darauf, dass du deinen Geburtstag bei uns feierst, damit ich den Rest deiner Freunde auch noch kennen lerne«, sagt Simone gerade. Anjo wirft ihr einen Seitenblick zu. »Dann müssen sie aber so weit mit dem Auto fahren und können nichts trinken«, gibt er zu bedenken. »Wir müssen keinen Alkohol trinken«, sagt Sina schmunzelnd. »Sie können auch bei uns übernachten«, schlägt Anjos Mutter sofort vor. »Wir haben genug Platz.« Stimmt. Anjos Geburtstag ist im Oktober. Ich sollte mir beizeiten Gedanken über ein Geschenk machen. »Ich weiß nicht, ob sie…«, meint Anjo ein wenig unsicher und linst zu Sina und mir hinüber. »Klar. Ich bin sicher, dass die anderen auch kein Problem damit haben«, sage ich und denke an Felix. Der findet das sicher gut. Leon ist sowieso immer brummig, aber er macht alles, was Felix will. »Ich würde ja was für euch kochen, aber ich bin wirklich schlecht in diesen Sachen. Vielleicht könnte ich Daniel dazu zwingen, für mehrere Leute irgendwas zu zaubern…« »Wir können auch alle was mitbringen«, schlägt Sina vor. Die nächste halbe Stunde verliert sich in Geburtstagplanungen, die hauptsächlich von Sina und Simone geschmiedet werden. Ich betrachte Anjo und Anjo hört lächelnd zu. Als Anjo seine Kamera fast zwei Stunden später wegbringt, kramt Simone in ihrer Handtasche nach einem Stift und einem Stück Papier. »Sei so gut und schreib mir deine Kontodaten auf. Ich werd Anjos Mietanteil zahlen«, sagt sie lächelnd zu Sina. Die sieht verdutzt aus. »Ich dachte, das wollte sein Vater machen?«, gibt sie zurück und greift nach dem Stift. »Von wollen kann keine Rede sein. Und viel ist es auch nicht, was er rausrücken will. Das kann Anjo als Taschengeld behalten. Du musst mir nur sagen, wie viel das zusammen ist. Miete und Wasser, Strom, Essen… was auch immer noch so an Kosten anfällt.« Sina pfeift leise durch die Zähne. »Da werd ich erstmal rechnen müssen«, murmelt sie und schiebt Simone den Zettel wieder hin. Simone reicht ihr eine Visitenkarte und lächelt. »Ruf mich an, wenn du’s ausgerechnet hast«, meint sie und streckt sich dann, ehe sie aufsteht. Sie und Anjo machen sich auf den Weg zur Schule, um sein Bild anzusehen, und Sina und ich räumen den Tisch ab. »Der Lichtblick in Anjos Leben war wohl wirklich ohne Zweifel seine Ma«, resümiert Sina das Treffen mit Simone und ich muss schmunzeln. »Ja, sie ist wirklich großartig«, gebe ich zu und trinke meinen letzten Kaffeerest aus. Sina nimmt die leere Tasse entgegen und stellt sie in die Spülmaschine. »Wir sollten uns über Anjos Geschenk Gedanken machen«, meint sie dann und sieht mich spitzbübisch an. »Keine Nacktfotos«, wehre ich grinsend ab. Sie lacht und boxt mich gegen die Schulter. »Arroganter Sack!« Ich hoffe, dass Sina eine gute Idee für Anjos Geschenk hat. Ich will ihm nämlich wirklich keinen Schund schenken. Dafür ist der Knirps eindeutig zu wichtig geworden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)