Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 26: Dank ---------------- Hallo ihr Lieben! Hier ist das neue Kapitel endlich :) Und es ist auch ein bisschen länger geworden, als Entschädigung für die verhältnismäßig lange Wartezeit ;) Allerdings stehen Klausuren an und ich bin noch bis zum 8. Februar mit Lernen beschäftigt. Dieses Kapitel ist für , weil sie einfach extrem plüschig ist und so niedlich nach dem Kapitel gefragt hat ;) Ich hoffe, dass es euch gefällt. Es kann sein, dass das nächste Kapitel noch mal aus Anjos Sicht ist, ich bin mir noch nicht ganz sicher. Viel Spaß hiermit! (Und wer X-Men und Wolverine nie gesehen hat, der sollte das nachholen :P) Liebe Grüße, __________________________________________ Ich habe es mir ja eigentlich schon gedacht, aber natürlich ist Benni am nächsten Tag nicht in der Schule. Die ganze Nacht lang war ich wach und konnte nicht schlafen, weil ich dauernd daran denken musste, was passiert war. Das Messer und die Flucht und vor allem… der Kuss. Ich kann auf der Liste, die ich erstellt habe, jetzt die letzten drei Punkte abhaken. Chris zu sagen, dass ich in ihn verliebt bin, hatte ich eigentlich schon wieder abgeschrieben, aber dann war es sogar der zweite Punkt, den ich erledigt habe. Und jetzt habe ich meinen ersten Kuss von Benni bekommen. Ich hab ja ohnehin nicht erwartet, dass ich meinen ersten Kuss allzu bald verlieren würde, aber dass es dann auch noch Benni ist, der mich küsst… das kann ja keiner ahnen. Aber egal, wie sehr ich mich auch bemühe, mir das einzureden – es war kein schlechter Kuss. Ganz im Gegenteil. Und ich habe Benni nicht nur einfach nicht weg geschoben, ich habe auch noch zurückgeküsst. In meinem Kopf herrscht momentan ein derartiges Chaos, dass ich kaum etwas auf die Reihe bekomme. Morgens beim Kaffeekochen vergesse ich das Kaffeepulver, beim Zähneputzen stolpere ich fast über eine Falte im Duschvorleger und dann packe ich meinen kompletten Schulrucksack falsch und verlasse das Haus viel zu spät. Dass Chris gestern Nacht noch bei mir rein kam, um mir zu sagen, dass Jakob vorbei kommt, hat ziemlich gemischte Gefühle in mir hervorgerufen. Einerseits kann ich verstehen, dass es nicht so einfach ist, mit dieser ganzen Sache aufzuhören. Andererseits zieht sich alles in mir zusammen, wenn ich mir vorstelle, dass die beiden vielleicht wieder miteinander… Jakob und Milan sind natürlich nicht mehr zusammen, aber trotzdem tut die Vorstellung weh, dass Chris Gefühle für Jakob haben könnte. So richtige. So wie ich die für ihn habe. Als ich nachts um drei noch mal in die Küche gegangen bin, um eine neue Flasche Saft zu holen, hab ich allerdings gesehen, dass Chris auf dem Sofa geschlafen hat. Das hieß einerseits, dass Jakob über Nacht da war, andererseits aber auch, dass die beiden wohl nichts miteinander angestellt haben. Zusätzlich zu der Sache mit Benni und dem Kuss war das jedenfalls viel zu viel für meine Gedankenwelt, die nur noch Karussell fährt. Was heißt dieser Kuss jetzt? Dass Benni mich eigentlich mag? Das versteh ich nicht. Chris weiß das vielleicht, aber ich werd ihn lieber nicht fragen. Er hat auf diese ganze Kuss-Geschichte doch ziemlich merkwürdig reagiert. Und als ich – rein theoretisch – davon geredet hab, wie es wäre, wenn ich mich in Benni verliebe und dann nicht mehr in ihn verknallt bin, sah er irgendwie knatschig aus. Aber vielleicht hab ich mir das auch nur eingebildet. Ich kann mir nicht vorstellen, mich in Benni zu verlieben. Aber das brauche ich Chris ja nicht zu erklären. Vielleicht sollte ich ihn mit dem Thema Benni erst einmal weitestgehend verschonen. Für mich ist es jedenfalls noch lange nicht gegessen. Schon gar nicht, als ich mich in der Schule kein Stück konzentrieren kann, weil er nicht da ist. Normalerweise würde das für mich Entspannung bedeuten. Aber gestern hat er mir den Hals gerettet. Und jetzt liegt er vielleicht mit einer entzündeten Schnittwunde oder schlimmerem in seiner Wohnung… die Vorstellung gefällt mir nicht. Am Ende der letzten Stunde gehe ich hinüber zu der großen Pinnwand, die hinten im Klassenraum hängt und an die Adressen und Telefonnummern unseres Jahrgangs gepinnt sind. Benjamin Wehrmann. Ich zögere einen Moment, dann krame ich nach einem Zettel und einem Stift und schreibe mir die Adresse auf. Meine stimmt schon länger nicht mehr, aber ich sehe auch keine Notwendigkeit diesen Fehler zu beheben. Den Zettel stopfe ich ein wenig zittrig in meine Hosentasche und dann verschwinde ich in Richtung Eingangshalle, wo Lilli auf mich wartet. »Wo warst du?«, erkundigt sie sich schmunzelnd und hakt sich bei mir ein. »Hab noch…« Ich breche ab. Lillis verwirrter Blick ruht auf mir, aber dann denke ich mir, dass sie mir sicherlich nicht den Kopf abreißen wird, wenn ich es ihr erzähle. Also berichte ich von letzter Nacht und dem Messer und der Schnittwunde und dem Kuss. Lillis Augen werden riesig und sie starrt mich an, als wäre ich gerade pink angelaufen und hätte Hundeöhrchen bekommen. »Geküsst?«, haucht sie vollkommen perplex. Ich nicke. »So richtig? Mit Zunge? Und du hast zurückgeküsst?« Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird. »Äh… ja. Hab ich. Und es war eigentlich… ein schöner Kuss«, gebe ich zu. »Oh mein Gott. Aber was ist mit Chris? Und Benni ist so ein Arschloch gewesen… ich weiß nicht, ob ich… wie geht’s dir?« Ich muss lachen, weil sie vollkommen vom Hocker zu sein scheint. Ich kann es ihr nicht verübeln, ich stehe ja auch ziemlich neben mir. »Gut. Ich bin durch den Wind, aber… ich will der Sache auf den Grund gehen«, erkläre ich. Lilli mustert mich von der Seite. »Du würdest ihm verzeihen, oder? Alles, was er gemacht hat? Dir ist klar, dass du heilig gesprochen werden könntest, wenn du dich taufen lässt?« Ich schmunzele und schüttele den Kopf. »Unsinn. Schwule Heilige hat’s bisher noch nicht gegeben«, gebe ich zu bedenken. Lilli grinst verschwörerisch. »Nur, soweit wir wissen«, zwinkert sie. »Lass das nicht den Papst hören«, flüstere ich und sie kichert leise. Die Adresse in meiner Hose scheint tonnenschwer zu wiegen. Dabei ist es nur ein Stück Papier. Ein Stück Papier mit Bennis Adresse darauf. Soll ich wirklich…? Selbst wenn ich die Straße finde, habe ich garantiert nicht genügend Mumm, um zu klingeln. Wahrscheinlich will er mich gar nicht sehen. Aber ich will Antworten. Und ich möchte wissen, wie es ihm und seinem Arm geht. Ich erzähle Lilli nichts davon, dass ich Benni besuchen gehen will. Wir verabschieden uns vor Sinas Haustür und meine erste Handlung, nachdem ich meine Schuhe und meine Jacke losgeworden bin, ist bei Google die Adresse nachzuschlagen. Sie ist gar nicht weit von hier. Soll ich? Soll ich nicht? Aus lauter Verwirrung und Unentschlossenheit gehe ich in die Küche und fange an, Obstsalat zu schneiden. Chris und Sina scheinen nicht zu Hause zu sein. Wahrscheinlich würden sie merken, dass irgendwas nicht stimmt, und dann würden sie mir Löcher in den Bauch fragen und das kann ich gerade nicht so gut gebrauchen. Mein Gehirn ist mit sich selbst genug beschäftigt. Als ich schließlich eine riesige Schüssel mit Äpfeln, Bananen, Kiwis, Erdbeeren und Weintrauben vor mir stehen habe, seufze ich leise, krame nach einer Tupperbox und verlasse das Haus zwei Minuten später mit dem Salat unterm Arm. Wie erwartet stehe ich ganze fünf Minuten unschlüssig vor dem leicht heruntergekommenen Haus, an dessen Wand das Klingelschild mit dem Namen Wehrmann hängt. Die dunkelgrüne Farbe der Tür ist abgeplatzt und die Hauswand ist mit Graffiti voll gesprüht. Traurigerweise habe ich mir Bennis Haus genauso vorgestellt. Mit einem tiefen Atemzug und einem Stoßgebet zum Himmel drücke ich auf den Klingelknopf und kurze Zeit später summt die Tür. Das Treppenhaus ist genauso trostlos wie das Haus von außen. Die Wände sind mit matschgrünen Fliesen abgedeckt und es gibt nur ein winziges, schmutziges Fenster direkt über der Eingangstür, das milchiges Licht in das düstere Treppenhaus fallen lässt. Ich steige mit hämmerndem Herzen die Treppen bis in den dritten Stock hinauf und bin leicht außer Atem, als ich oben ankomme. Ich dachte, dass Benni mir geöffnet hat, aber stattdessen steht dort ein junges Mädchen in einem knielangen Jeanskleid. Ihr dunkelblondes Haar ist leicht gewellt, die grünblauen Augen sehen mich fragend an. Um ihren Hals hängt eine zierliche Kette mit einem Kreuzanhänger. »Äh… hi. Ich wollte zu Benni«, sage ich mit zittriger Stimme. Oh Gott. Was hat mich geritten? Ich bin lebensmüde. Das Mädchen – sie wird wohl Bennis kleine Schwester sein, wenn ich mich nicht im Haus geirrt habe – blinzelt erstaunt. »Hat er dich eingeladen?«, fragt sie zögerlich. Ihre Stimme ist so leise, dass ich sie kaum höre. Ihre Augen huschen unruhig von der Schüssel unter meinem Arm rauf zu meinem Gesicht und wieder hinunter zu meinen Schuhen. »Nein, hat er nicht. Ich bin Anjo. Ich wollt nur mal sehen, wie es ihm geht, wegen seines Arms«, erkläre ich und versuche es mit einem freundlichen Lächeln. Ihre Augen weiten sich erstaunt. »Du bist Anjo?« Nun ist es an mir zu blinzeln. »Ja«, gebe ich unsicher zurück. Hat er von mir erzählt? Wahrscheinlich hat er jeden Tag erwähnt, wie eklig er es findet, dass ich schwul bin. »Wenn das so ist… komm doch rein«, sagt sie und lächelt ein kleines bisschen. Ich trete in die Wohnung und ziehe sorgsam meine Schuhe aus. Dann sehe ich mich verstohlen um. Es gibt nur eine alte Kommode hier im Flur. Der Boden ist mit grauem Teppich ausgelegt und es hängen keine Bilder an den Wänden. Alles in allem muss es mit Abstand der trostloseste Flur sein, den ich je gesehen habe. Das Mädchen geht mir voran durch den Flur und öffnet eine hölzerne Tür. Das Zimmer, in das sie mich geführt hat, ist ziemlich klein. Aber es hat ein großes Fenster, durch das die Septembersonne herein scheint. Ich bin im ersten Moment irritiert, weil die Ecke des Zimmers, die ich als erstes sehe, wirklich nicht nach Benni aussieht. Aber dann bemerke ich das Stockbett in der Ecke neben dem Fenster und mir wird klar, dass die beiden sich dieses Zimmer teilen. »Ich bin Jana«, erklärt sie mir und setzt sich scheinbar ziemlich nervös auf das untere Bett, ehe sie auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch deutet, der direkt neben dem Bett steht und wohl gleichzeitig die Funktion eines Nachtschranks erfüllt, da ein Wecker am Rand steht. Die Möbel sind bunt zusammen gewürfelt und sehen alle so aus, als wären sie mit nur wenig Sorgfalt ausgewählt worden. Der Teppichboden hat eine merkwürdige Farbe, die wie eine Mischung aus beige und grau aussieht. Über dem oberen Bett hängen einige Postkarten, die meisten davon mit philosophischen Zitaten darauf. In der Ecke des Zimmers, die der Tür gegenüberliegt und die ich als erstes gesehen habe, steht ein Notenständer. Auf einem Regalbrett darüber liegt eine Klarinette. Ich setze mich auf den einzigen Stuhl im Raum und stelle den Obstsalat auf dem Schreibtisch ab. »Benni ist noch beim Arzt. Wegen seines Arms. Ich hab ihn hingescheucht, weil das wirklich genäht werden sollte«, erklärt sie mit ihrer leisen Stimme. Ihre Hände sind nervös in ihrem Schoß verschlungen. »Das ist gut. Es sah wirklich übel aus. Ich hätt’ mich beinahe übergeben, als ich es gesehen hab«, sage ich verlegen und fahre mir durch die Haare. Sie mustert mich mit schief gelegtem Kopf. Auch wenn sie nicht lächelt, sieht ihr Blick freundlich aus. »Er hat mir erzählt, was passiert ist«, murmelt sie. Ich habe das Bedürfnis näher mit dem Stuhl zu ihr zu rutschen, um auch ja kein Wort zu verpassen. »Ja… äh… es war ein bisschen überraschend«, gebe ich unsicher zurück. Ob er ihr alles erzählt hat? Wohl kaum. »Ich hatte erst ein schlechtes Gewissen, nachdem ich ihm vor einiger Zeit diese schlimmen Dinge gesagt habe, aber wenn das geholfen hat, dann war es vielleicht doch nicht ganz so übel«, sagt sie und kämmt sich die Haare hinters Ohr. Ich blinzele verwirrt. »Was meinst du?« Jana sieht mich einen Moment lang schweigend an. Es sieht so aus, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie eventuell zu viel gesagt hat. »Er kam von der Jahrgangs-Party total betrunken nach Hause und hat sich hundert Mal entschuldigt und es ging ihm richtig mies… ich hab… ich wollte nur nicht, dass… er hat mir von dir erzählt und ich hab ihm gesagt, dass er auch nicht besser ist als… na ja, wie auch immer… schon gut«, stammelt sie und wird rot im Gesicht. Ich muss einen Augenblick grübeln, dann fällt es mir wieder ein. Der Abend, an dem Benni sich bei mir entschuldigt hat. Für alles. »Wer ist der wichtigste Mensch auf dieser beschissenen Welt für dich?« »M…meine Ma… denke ich.« »Und hat dir deine Ma schon mal gesagt, dass du genauso bist, wie das, was sie am allermeisten hasst?« Ich dachte erst, dass er auch von seiner Mutter redet, aber jetzt bin ich mir ziemlich sicher, dass Jana irgendetwas zu ihm gesagt hat. »Er hat sich an dem Abend bei mir entschuldigt. Für alles. Und… er meinte, dass der wichtigste Mensch auf dieser Welt für ihn ihm gesagt hat, dass er genauso ist, wie das, was… du am meisten hasst. Also… ich denke, dass er dich gemeint hat. Ich wusste nicht, was er meint. Aber er hat sich entschuldigt«, erkläre ich behutsam. Ihre Augen flackern. »Es tut mir wirklich Leid, dass er dich so behandelt hat«, sagt sie plötzlich. Ich kenn dieses Mädchen gar nicht und sie entschuldigt sich bei mir. Einfach so. Und wir reden über Sachen, über die ich sonst kaum mit jemandem rede. Aber irgendwie macht sie den Eindruck auf mich, als könnte man ihr jedes Geheimnis anvertrauen. »Da kannst du doch nichts für«, sage ich mit einem Lächeln. Jana schweigt. »Ich hätte schon früher mal was sagen können. Hast du… hast du ihm denn verziehen?« Ihr Blick ist auf einmal ziemlich bohrend. Als wäre die Antwort auf diese Frage unheimlich wichtig. »Ähm… ich weiß noch nicht so genau«, gebe ich zu. »Ich glaube, ich will gern herausfinden, was eigentlich los ist. Aber ich weiß nicht, ob er mir das überhaupt erklären würde.« Jana seufzt. »Könnte ein Stück Arbeit sein«, gibt sie zu. Ich muss lächeln und sie lächelt zurück. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns ziemlich ähnlich sind. »Ich denke, dass ich genügend Geduld hab. Vorausgesetzt, er versucht nicht, mich zu verprügeln… oder so«, erkläre ich. Sie spielt mit ihrer Hand an der Kette herum, die um ihren Hals hängt. »Über den Punkt ist er hinaus. Da bin ich mir ziemlich sicher.« Das klingt beruhigend. Ich sehe mich erneut in dem kleinen Zimmer um und nehme zum ersten Mal kleine Details wahr. Wie zum Beispiel eine ziemlich große CD-Sammlung. Oder das Poster von 2Pac, das über dem unteren Bett an der Wand klebt. Oder die vielen Fotos auf der Fensterbank, auf denen immer nur Benni und Jana zu sehen sind. Es hat den Anschein, dass sie alle sorgfältig nach Alter sortiert sind. Von links nach rechts kann man die beiden in allen möglichen Situationen betrachten und es gibt tatsächlich zwei oder drei Bilder, auf denen Benni lacht. Ich stehe auf und beuge mich über den Schreibtisch, um eines dieser Bilder aus der Nähe anzuschauen. Es sieht merkwürdig aus. Ich kenne ihn nur lachend, wenn er sich über andere lustig macht. Aber dieses ehrliche Lachen auf dem Foto ist ungewohnt. Er sieht hier wirklich so aus, als wäre er gar nicht so ein übler Mensch. »Ja, er lacht ziemlich selten«, wirft Jana ein. »Sieht aus wie ein ganz anderer Mensch«, antworte ich. Ich setze mich wieder auf den Stuhl und will Jana gerade Obstsalat anbieten, als die Wohnungstür mit einem Schlüssel geöffnet wird. Jana zuckt so heftig zusammen, als wäre direkt neben ihr eine Bombe eingeschlagen. Aber ihre Haltung entspannt sich sofort, als Bennis Stimme durch die Wohnung tönt. »Bin wieder da, Prinzessin.« Ich blinzele. Prinzessin? Wow. Er muss seine Schwester ja wirklich abgöttisch lieben. Das find ich ja fast niedlich. Na gut. Ziemlich niedlich. Mein Herz ist mir unterdessen in die Nähe des Kehlkopfes gesprungen und hämmert dort wie verrückt. Er ist garantiert sauer, weil ich hier bin. Sicher schmeißt er mich raus. Die Tür geht auf und ich halte einen Moment die Luft an. Benni sieht mich sofort und er erstarrt mitten in der Bewegung. Das Lächeln, was er wohl für Jana aufgesetzt hat, verschwindet langsam und er starrt mich an, als wäre ich eine Erscheinung. Janas Augen huschen abwechselnd von ihrem Bruder zu mir. Sie scheint das alles kolossal spannend zu finden. Ich sehe, dass Bennis Arm in einem Verband steckt und stehe so hastig von dem Stuhl auf, dass er ein wenig wankt. »Äh… hi! Ich wollt sehen, wie’s deinem Arm geht. Und… ich hab Obstsalat mitgebracht«, brassele ich zusammenhangslos. Unpassenderweise fangen meine Lippen an zu kribbeln, weil ich mich natürlich prompt an den Kuss erinnere, den ich in den letzten Minuten erfolgreich verdrängt hatte. Benni schließt langsam die Zimmertür hinter sich und setzt sich dann neben Jana aufs Bett. Jana betrachtet uns einen Augenblick lang weiterhin abwechselnd, dann steht sie auf und nimmt die Schale mit dem Salat. »Ich hol mal Schüsseln und Besteck«, sagt sie und huscht aus dem Zimmer. Plötzlich bin ich mit Benni allein. Ein wenig zittrig zeige ich auf den Arm. »Wie geht’s… dem Arm?« Bennis Augen starren mich so durchdringend an, dass mein Herz noch einen Zahn zulegt. Immerhin hat er mich noch nicht angeschrieen. »Besser. Der Doc hat’s genäht«, antwortet er. Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe herum. »Woher hast du die Adresse?«, fragt er, wirft sich rücklings aufs Bett und starrt hoch auf die Unterseite der Matratze, auf der wohl Jana schläft. Ich bin ziemlich sicher, dass das 2Pac-Poster Benni gehört. »Hab auf der Adressenliste im Klassenraum nachgeschaut«, gebe ich zu. Benni sieht mich auch weiterhin nicht an. »Und du hast echt… Obstsalat mitgebracht?«, will er wissen. Ich blinzele ein wenig verwirrt. »Ja. Wieso nicht?« Plötzlich breitet sich auf Bennis Gesicht ein Grinsen aus. Mein Herz bleibt stehen. Um Himmels Willen. Der kann ja grinsen ohne dass es gehässig aussieht. Er legt seinen gesunden Arm über die Augen und grinst der Decke entgegen. Einfach so. »Man, du bist echt ein Alien oder so was«, erklärt er. Ich komme nicht mehr dazu nachzufragen, wieso ich ein Außerirdischer sein soll, denn Jana kommt zurück und balanciert drei Müslischalen mit Obstsalat und Gabeln darin. Sie stellt eine Schale vor mich auf den Schreibtisch, eine stellt sie auf Bennis Bauch ab und mit der dritten setzt sie sich zu ihrem Bruder aufs Bett. »Guten Appetit«, sage ich matt. Mein Körper ist von all dem Herzklopfen ganz überfordert. Ich pieke eine Erdbeere auf und sehe zu Benni hinüber, der die Schale auf seinem Bauch einige Sekunden lang ignoriert. Doch dann greift er danach, setzt sich auf und stellt sie zwischen seine Beine. Dann beginnt er etwas unbeholfen mit links zu essen. »Soll ich dich füttern?«, fragt Jana amüsiert lächelnd. Benni wirft ihr einen grummeligen Blick zu. Es ist komisch ihn mit seiner Schwester zu sehen. Er verhält sich ihr gegenüber ganz anders. Seine komplette Körpersprache wirkt entspannt. Sein Gesicht sieht nicht so dauerhaft sauer oder hämisch aus. »Nein, danke«, gibt er zurück und sie schmunzeln sich kurz an. Dann fällt Benni wohl ein, dass ich auch noch da bin, und seine dunklen Augen huschen zu meinem Gesicht hinüber. Wie schon im Park schafft er es nicht, mich lang anzusehen. Aber immerhin. Einen Sekundenbruchteil sehen wir uns an. Und er schaut nicht wütend oder angeekelt oder schadenfroh. »Der Salat ist sehr lecker«, sagt Jana lächelnd zu mir und schiebt sich ein Stück Banane in den Mund. »Freut mich.« Wenn Chris wüsste, dass ich hier bin, würde er wahrscheinlich mit Pauken und Trompeten die Tür eintreten und mich zurück nach Hause zerren. Er schien wirklich nicht besonders begeistert über die neuerlichen Entwicklungen im Fall Benni. Aber so richtig verstanden, wieso das so ist, hab ich nicht. »Benni hat erzählt, dass du malst«, sagt Jana plötzlich aus heiterem Himmel und Benni verschluckt sich an einem Stück Apfel und fängt an zu husten. Während er Jana mit tränenden Augen ansieht, verpufft die wütende Wirkung vollkommen. Meine Hand bleibt auf halbem Weg zum Mund schweben und ich sehe Jana erstaunt an. »Ha…hat er? Oh. Äh… ich wusste gar nicht, dass er das überhaupt… Also. Ja. Ich male«, stammele ich verwundert. Woher weiß Benni das überhaupt? Ich hatte nie den Eindruck, dass er sich besonders für mich interessiert. Fast hätte ich bei diesem absurden Gedanken gelacht. »Ich kann überhaupt nicht malen. Aber ich spiele Klarinette«, erwidert Jana ungerührt. Bennis Husten beruhigt sich allmählich und ich kann es mir einbilden, aber sein Gesicht hat in etwa die Farbe der Erdbeeren im Obstsalat. »Ja, ich hab sie da schon liegen gesehen. Ich bin dafür total unmusikalisch. Und ich male auch nur selten. Meistens zeichne ich Comics«, gestehe ich ein wenig verlegen. Jana lächelt, als wäre das nichts, was mir peinlich sein müsste. »Ich mag X-Men«, erklärt sie. »Tatsächlich? Oh. Ich hab alle im Regal stehen, wenn du…« Mein Blick huscht zu Benni hinüber, der mich gerade eindeutig angestarrt hat. Als unsere Augen sich treffen, schaut er eilig weg. »Ich würd sie mir gern ausleihen. Hast du die Filme angesehen?« Es ist ein komisches Gefühl, sich mit Bennis kleiner Schwester in Bennis Zimmer über X-Men zu unterhalten, während Benni schweigend dabei sitzt und für seinen Obstsalat ewig braucht, weil seine Motorik mit dem linken Arm eindeutig ausbaufähig ist. Aber er scheint sich nicht unbehaglich zu fühlen. Er sitzt ganz entspannt zurückgelehnt und wirft nur ab und an einen Blick auf die Uhr. »Ich werd mal den Abwasch machen gehen«, sagt Jana, nachdem wir uns ausgiebig darüber ausgetauscht haben, welcher Charakter aus X-Men unser Liebling ist. Sie nimmt meine Schale gleich mit und lässt Benni mit seinen Essproblemen allein auf dem Bett sitzen. Dann ist sie plötzlich verschwunden und ich bin mit Benni allein. Mein Puls hatte sich gerade beruhigt, weil ich mich mit Jana über X-Men unterhalten habe, jetzt schießt er wieder in die Höhe und ich bin mir sicher, dass ich knallrot anlaufe. Die nächsten zwei Minuten sehe ich Benni dabei zu, wie er seinen Obstsalat aufisst. Dann stellt er die Schale umständlich auf den Schreibtisch und erneut richten sich dunkle Iriden auf mich und ich frage mich, was genau ich hier eigentlich mache. »Und ich hätte gedacht, dass Actionfilme nicht wirklich dein Ding sind.« Ich blinzele. Meine Ohren haben den Satz gehört und er ist auch in meinem Gehirn angekommen, aber es dauert einige Sekunden, bis ich ihn verstehe. Versucht Benni gerade sich mit mir zu unterhalten? Mein Körper ist plötzlich aus Wackelpudding. »S…sind sie auch eigentlich nicht. Aber Comicverfilmungen sind nun mal meistens Actionfilme. Watchmen und so was… Ich schau sonst eher selten Filme«, gebe ich krächzend zurück. Benni wirft mir einen Blick zu. Er öffnet den Mund und will wohl irgendetwas sagen, aber dann scheint er es sich anders zu überlegen und schließt ihn wieder. Ich fühle mich extrem überfordert. Wie redet man normal mit jemandem, der einen eigentlich nur runtermacht, einen dann überraschenderweise vor einem Klappmesser rettet und anschließend knutscht, ehe er verschwindet? Ich hab keine Ahnung. Von so einer absurden Situation hab ich vorher auch noch nie gehört. »Ok… dann… ich werd vielleicht einfach…« Gehen. Wollte ich eigentlich sagen. Aber mir bleibt das Wort im Mund stecken, als Bennis Augen sich erneut auf mich richten und er mich so eindringlich anstarrt, als wollte er mir telepathisch eine Botschaft übermitteln. Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein. Wahrscheinlich drehe ich durch, nachdem ich meinen ersten Kuss an Benni verloren hab. Aber ich bin mir fast sicher, dass diese Botschaft ›Bleib.‹ ist. »Willst du noch Salat?«, frage ich matt. Seine Mundwinkel zucken kaum merklich. »Ich bin eigentlich kein Obstfresser«, erklärt er. »Ja, schon klar. Echte Männer essen nur Fleisch und Pommes«, antworte ich matt und starre zu meinem mühsam geschnippelten Obstsalat hinüber. Ein verdrucksten Glucksen lässt mich aufsehen. »Ich würd trotzdem noch was davon essen«, murmelt Benni der Unterseite der oberen Matratze entgegen. Können Herzen eigentlich explodieren? Ich sollte mich bei meinem Hausarzt erkundigen. »Ok«, krächze ich, greife zittrig nach der Schale und fülle die Schüssel neu auf, ehe ich sie Benni reiche. Er greift mit der linken Hand danach und als unsere Finger sich kurz berühren, lässt er beinahe die Schüssel fallen. Es ist fast ein wenig beruhigend zu wissen, dass ich nicht der einzige im Raum bin, der vor Nervosität fast zusammen klappt. Ich sehe zu, wie Benni ein Stück Apfel in seinen Mund befördert. »Welchen magst du am liebsten?«, frage ich und starre verlegen aus dem Fenster. »Welchen was?« »Welchen Charakter. Aus X-Men.« »Kannst ja mal raten«, gibt er zurück und ich werfe ihm einen Blick zu. Er betrachtet ausgesprochen interessiert seinen Salat. Erst jetzt fällt mir auf, dass Jana offenbar ewig zum Abspülen braucht. Wahrscheinlich spült sie gar nicht, sondern wollte nur, dass wir hier allein sitzen. »Sabretooth«, antworte ich prompt. Benni blinzelt verwundert. »Was? Wieso?« Weil du auch ziemlich gewalttätig sein kannst? »Weiß nicht. Nur… so?« »Wäre es so komisch, wenn es Wolverine ist?« »Du findest es ja auch komisch, dass ich Gambit mag.« »Ich hab überhaupt nichts dazu gesagt, dass du Gambit magst«, sagt er mit einem Stück Banane im Mund. »Aber du hast geschaut, als wäre es komisch.« »Na ja. Ich dachte eher an Iceman oder so was.« »Nur weil der in den Filmen so nett ist!« »Du hast doch Sabretooth auch nur ausgesucht, weil der sich dauernd prügelt.« Ich frage mich, wohin genau diese Unterhaltung führt. »Na ja. Du prügelst dich doch auch dauernd«, gebe ich zu bedenken. Benni schiebt sich eine halbe Erdbeere in den Mund und sieht mich kauend an. »Und du bist zu nett. Mir hat kein Schwein auf diesem Planeten je Obstsalat gemacht.« »Für mich hat auch noch kein Schwein ein Messer abgefangen…« Wir schweigen und ich habe Zeit mich darüber zu wundern, dass Bennis Lieblingsfigur in X-Men der Titelheld ist. Wie ich es finden soll, dass er Iceman irgendwie passend für mich findet, weiß ich nicht so genau. Aber irgendwie fühle ich mich plötzlich leicht wie eine Feder. Es war zwar eine komische Unterhaltung, aber es war eine. Und Benni isst gerade die zweite Schale meines Obstsalats. Ich muss mir ein breites Lächeln verkneifen und schaue wieder aus dem Fenster. Als die leere Schüssel klappert, weil Benni sie auf den Schreibtisch stellt, sehe ich ihn wieder an. Er hat sich erneut auf den Rücken gelegt und starrt nach oben. »Danke fürs Vorbeikommen.«, murmelt er kaum hörbar. Sein Gesicht ist schon wieder rot wie eine Verkehrsampel. »Kein Problem.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)