Heldenzeit von Ur (Spiegelverkehrt & Kryptonit & Vulkado | Oneshot- Sammlung) ================================================================================ Kapitel 25: Kommunikation ------------------------- Für [[my]] zu Weihnachten ________________________ Jana kann sich nicht mehr erinnern, wann sie sich eigentlich in Franzi verliebt hat. Manchmal kommt es ihr so vor, als wäre es schon damals passiert, als Franzi sich an diesem regnerischen Tag neben sie gesetzt und ihre Mohrrüben mit ihr geteilt hat. Sie schreibt manchmal Tagebuch, wenn sie sich an bestimmte Dinge besonders genau erinnern will, und der Tag, an dem sie Franzi kennen gelernt hat, füllt viele Seiten darin. Auch all die nachfolgenden Treffen mit ihrer mittlerweile besten Freundin nehmen dutzende Seiten des kleinen gebundenen Buchs in Anspruch. . Jana liest gern in diesen Passagen herum, sie markieren den Anfang eines besseren Lebens. Benni wird für sie auf immer der wichtigste Mensch in ihrem Leben sein, aber wenn sie Benni anschaut, dann kommen manchmal viele schreckliche Erinnerungen in ihr hoch. Sie fühlt sich sicher bei ihm, aber wenn sie bei ihm ist, dann kann sie nicht vergessen. Und ab und an möchte sie nichts lieber, als alles zu vergessen. Wenn sie nachts schluchzend aufwacht, oder tagsüber plötzlich keine Luft mehr bekommt, dann kann Benni sie zwar trösten, aber wenn Franzi da ist, dann ist es anders. Benni teilt die Last mit ihr, Franzi kann machen, dass das Gewicht einfach ganz von Janas Schultern verschwindet. Wenn auch nur für ein paar Momente. Jana würde Benni niemals einen Vorwurf machen, weil er sie oftmals sehr an ihre gemeinsame Vergangenheit erinnert. Aber sie glaubt auch, dass es gut ist, dass sie beide nun auch andere Menschen in ihrem Leben haben, mit denen sie Zeit verbringen. So haben sie Gelegenheit neue Erinnerungen zu sammeln, die sich unter die alten mischen und das tonnenschwere Gewicht langsam aber sich erträglich machen. Ihre Therapeutin gibt Jana da Recht. Sie hat zu Jana gesagt, dass sie für ihr Alter sehr weise und klug sei. Jana hat daraufhin nur mit den Schultern gezuckt. »Ich musste schnell erwachsen werden«, hat sie geantwortet. Manchmal wäre sie gern ein bisschen weniger weise und würde dafür auf ihr posttraumatisches Stresssyndrom verzichten. Das hat sie ihrer Therapeutin nicht gesagt. Sie weiß, dass die Therapie nötig ist, vor allem, weil sie durch sie ihr psychologisches Gutachten für die Gerichtsverhandlung bekommen hat. In diesem Guthaben steht schwarz auf weiß, was mit Jana alles nicht in Ordnung ist, seit ihr Erzeuger sie und ihren Bruder jahrelang terrorisiert hat. Jana braucht keine lateinisch-pompösen, medizinischen Begriffe, um zu wissen, was mit ihr nicht in Ordnung ist, aber ihr ist klar, wieso es nötig ist. Und sie ist mittlerweile soweit, alles zu tun, was nötig ist, um den Erzeuger ein für allemal loszuwerden. Benni leidet unter der Gerichtsverhandlung sehr viel mehr als sie. Jana hätte das nicht gedacht, wo sie sich all die Jahre immer so schrecklich schwach vorkam und nichts tun konnte und Benni immer derjenige war, der alles abbekommen hat… Aber Benni kann immer noch kaum atmen, wenn er in den Verhandlungen etwas sagen soll, wohingegen Jana ihre Stimme nie als klarer und lauter empfunden hat als in diesem Moment. Und als so mächtig. Vor allem das. Ihre Worte, die nie irgendetwas genützt haben, sind in diesen Gerichtsräumen so machtvoll, dass sie selbst jemanden wie ihren Erzeuger schrumpfen lassen. Sie kann alles tun mit diesen Worten und genau das würde sie nutzen, um ihn endlich vollkommen aus ihrem Leben und dem Leben ihres großen Bruders zu katapultieren. Sie hat keine Tränen mehr ihm gegenüber. Da ist nur noch Verachtung und Hass und Wut und ein Wille, so stark, wie Jana ihn noch nie zuvor in sich gespürt hat. Franzi ist ihr Patronuszauber. Jana hat keine Ahnung, wie sie ihrer besten-festen Freundin irgendwie erklären soll, wie viel ihr all das bedeutet, aber an vielen Tagen ist sie sich fast sicher, dass Franzi genau Bescheid weiß. Jana musste immer schon wenig sagen, um Dinge zu erklären, weil Franzi sehr aufmerksam ist, sehr gut zuhört und vieles versteht, was man gar nicht laut sagt. Wenn sie eine Superheldin wäre, dann wäre das ihre Kraft. Es ist eine großartige Gabe, wie Jana findet, auch wenn sie weiß, dass Franzi sich manchmal wünscht, mehr wie ihre Geschwister zu sein. Mutig wie Chris, lustig wie Tim, selbstbewusst wie Eileen. Aber Jana findet, dass Franzi auch so wie sie ist ganz wunderbar ist. Das sagt sie ihr, so oft sie es über die Lippen bringt. Sie ist nicht besonders gut mit Worten. Nachdem sie ihre anfänglichen Berührungsängste überwunden hat, was Franzi angeht, spricht sie oftmals auf eine andere Art mit ihrer besten Freundin. Dann streicht sie ihr durch die Haare, statt zu sagen »Ich finde dich wunderhübsch«, oder drückt ihre Hand, um zu sagen »Ich bin da«, oder sie umarmt Franzi um »Danke, dass du da bist und dass es dich gibt« zu sagen. Franzi hat es perfektioniert, diese Dinge zu verstehen und manchmal antwortet sie sogar darauf, ganz so als hätte Jana tatsächlich Worte benutzt. Dann sagt sie »Selber« oder »Danke« oder »Natürlich, du Nudel« und Jana weiß, dass sie ein riesiges Glück hat, weil Franzi in ihrem Leben ist und keinerlei Anstalten macht, wegzugehen, obwohl es oftmals nicht einfach sein kann, mit Jana zusammen zu leben. Letztendlich ist sie doch eine gebrandmarkte Seele und sie kann nicht immer so tun, als wäre sie das nicht. Aber Franzi stört sich nicht daran. Sie hält geduldig Janas Hand, während Jana sich selbst heilt, so gut es geht. Die Sache mit der Beziehung ist selbstredend sehr neu für Jana. Es beruhigt sie etwas, dass auch Franzi keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet hat, denn dann steht sie nicht ganz dumm da, aber trotzdem ist sie regelmäßig ziemlich aufgeregt, wenn sie eng kuschelnd im Bett liegen oder sich behutsam küssen. Küssen ist großartig und neu und fremd und sehr, sehr schön und Jana ist ein ziemlich begeisterter Fan, auch wenn sie sich nur selten traut, Franzi zu küssen. Franzi fängt meistens an, und sie fragt immer, ob es gerade ok ist. Auch dafür ist Jana sehr dankbar, auch wenn Franzi sagt, dass es selbstverständlich ist. Es gibt aber auch die Momente, in denen Jana ganz unbedingt küssen möchte und dann drückt sie Franzi ein sachtes Küsschen auf die Lippen oder auf den Mundwinkel, um zu sagen »Bitte küss mich«. Auf diese Art von Sprache antwortet Franzi nie mit Worten. Sondern mit Küssen. Und Jana findet, dass das die beste Sprache der Welt ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)