Heldenzeit von Ur (Spiegelverkehrt & Kryptonit & Vulkado | Oneshot- Sammlung) ================================================================================ Kapitel 10: Im selben Boot -------------------------- Leon hielt nichts davon, schwächere Leute fertig zu machen, oder andere zu verprügeln, weil sie anders waren. Zugegeben, Chris würde er gern verprügeln, aber egal wie überzeugt er von sich selbst war, er musste sich doch eingestehen, dass Chris nicht nur viel größer war als er, sondern auch doppelt so breit und zudem auch noch ein trainierter Boxer. Aber Felix zuliebe würde Leon es sowieso nicht machen. Höchstens, wenn Felix nicht hinsah. Ein Kinnhaken hier, ein Tritt gegen’s Schienbein da. Mehr nicht. Man musste es ja nicht übertreiben. Jedenfalls fand Leon die Drohung Benni gegenüber durchaus berechtigt. Er mochte Anjo. Anjo machte sich nicht ständig über ihn lustig oder beklagte sich, weil er dauernd schlecht gelaunt drein sah. Meistens war Leon gar nicht schlecht gelaunt. Sein Gesicht hatte wohl einfach von Natur aus keinen allzu netten Ausdruck, aber daran konnte er auch nichts ändern. Und Felix und Nicci liebten ihn trotzdem, egal wie grimmig er aussah. Anjo war nett. Und Leon wusste, dass Anjo es nicht leicht gehabt hatte im Leben. Wie unsensibel Leon auch normalerweise war, er hatte enormen Respekt dafür, dass Anjo trotz all dieser Schrecklichkeiten in seinem Leben nicht ein komplettes, aggressives, in sich zurück gezogenes Wrack geworden war. So wie Benni. Aber Leon hatte noch eine andere Sichtweise auf den Schläger mit der viel zu tief sitzenden Hose und den rebellischen, braunen Augen. Leon wusste haargenau, was in Benni vorging, wenn er Anjo so ansah. Diese Blicke, die deutlich sagten, wie sehr er ihn eigentlich wollte. Aber er erlaubte es sich selbst nicht, ihn zu wollen. Soviel stand fest. Und Leon war ein Meister darin gewesen, seine Gefühle zu verleugnen und sich einzureden, er stünde nicht auf Männer und überhaupt waren Schwule eklig. Lang genug hatte er sich mit diesen Gedanken herum geschlagen. Ganze zwei Jahre hatte es gedauert, bis er es sich endlich eingestanden hatte, dass er Felix wollte. Mehr als sein Image und mehr als ein ›normaler‹ heterosexueller Kerl zu sein. Er wusste sehr genau, dass es Benni genauso ging. Leon hatte für gewöhnlich keinen Röntgenblick, aber er erkannte sich selbst dermaßen deutlich in diesen wütenden Augen, dass er nicht umhin konnte, mit der Erkenntnis erschlagen zu werden. Leon wusste, dass er selbst nicht schwul war. Er stand auf Frauen. Und auf Felix. Es musste bei Benni nicht anders sein. Und nachdem Chris dem Jungen allein mit seinen Blicken seinen nahen Tod angekündigt hatte und ihn anschließend am Kragen packte, da sagte Benni, dass er Anjo nicht mehr wehtun würde. Klar, das wollte er ja wahrscheinlich ohnehin nicht. Die ganze Zeit nicht. Aber Chris verstand das offensichtlich nicht. Gut, Chris war auch einfach ein Idiot. Leon erinnerte sich noch gut daran, wie er damals mit ihm draußen vor der Tür gestanden und ihm gesagt hatte, dass er Felix vögeln würde, wenn Leon sich nicht zusammen riss. Nach dieser ganzen Drohungsszene und nachdem Anjo von der Toilette wieder gekommen war, hatte Leon ein halbes Auge auf Benni und als dieser allein nach draußen ging, folgte Leon ihm. Er war nicht gut mit diesen Sachen und er hatte eigentlich auch keine Ahnung, wieso er sich überhaupt einmischte. Aber wenn es da draußen noch mehr Idioten wie ihn selbst gab, dann fühlte er sich womöglich verantwortlich. Ja, irgendwie saßen er und Benni im selben Boot. Na ja. Leon war schon lange ausgestiegen, aber was machte das schon. Leon fand Benni draußen. Er lehnte an einer der Backsteinmauern der Fabrikhalle und starrte in den dunklen, sternenlosen Himmel, während von drinnen die Musik durch die Nacht pulsierte. Er stellte sich neben ihn und verschränkte die Arme. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Benni ihm den Kopf zuwandte und ihn offenbar erkannte. Aber er sagte nichts, sondern richtete seinen Blick wieder gen Himmel. Nach einer Weile schien ihn das Schweigen jedoch zu beunruhigen. »Willst du was Bestimmtes?«, fragte er. Leon hob die Brauen aufgrund des angriffslustigen Tons. »Von dir? Nee«, gab er lapidar zurück und Benni öffnete den Mund, schloss ihn wieder und öffnete ihn erneut. Aber offensichtlich war ihm Leons Erwiderung zu schwul, als dass er darauf hätte antworten können. »Bist du nicht… der Macker von diesem… lächelnden Psychopathen?«, wollte Benni schließlich wissen und Leon presste die Lippen aufeinander, um nicht zu lachen. Natürlich konnte er es nicht gutheißen, dass jemand seinen Felix beleidigte, aber er war weit davon entfernt nicht zu wissen, wie gruselig Felix’ Lächeln sein konnte. Je süßer es wurde, desto mehr musste man um sein Leben fürchten. Oder – in Leons Fall – zumindest um sein Sexleben. »Ja. Schon«, gab Leon zu. Auch wenn er insgeheim wusste, dass Felix wohl eher sein Macker war als andersherum. Aber das musste Benni ja nicht wissen. Benni sah aus, als würde er ernsthaft darum kämpfen, keine homophobe Bemerkung zu machen. »Ja, schon klar. Schwule sind eklig und so. Hab ich auch immer gesagt«, meinte er schließlich. Bennis Kopf flog zu ihm herum. Er starrte ihn halb feindselig, halb überrascht an. »Und das hier soll so ne Art Psycholektion für mich werden, oder was?«, grollte er. Leon hob erneut seine Augenbrauen und starrte Benni nur an. Der entspannte sich langsam aber sicher. »Mit Psychokram hab ich es nicht so«, antwortete er schließlich und kickte einen Stein in seiner Nähe in den nächstbesten Busch. »Aber die Wahrheit ist… dass ich erstens nicht schwul bin und es zweitens auch nicht mehr schlimm fände, wenn es doch so wäre«, sagte er. Benni schnaubte. »Nicht schwul, klar«, höhnte Benni leise. Leon verdrehte die Augen. Aber er durfte nicht lästern, sein Weltbild war früher schließlich auch schwarzweiß kariert gewesen. »Halt einfach die Schnauze und hör zu. Ich bin echt mies in diesem Gefühlsgebrabbel. Aber ich bin nicht schwul. Felix ist nur einfach der beste Mensch auf diesem beschissenen Planeten und deswegen würd ich ihn gegen keine geile Schnitte auf der Welt eintauschen. Und dabei geht’s überhaupt nicht darum, ob er nen Schwanz hat oder keine Möpse oder sonst was. Ich flieg immer noch auf nen großen Vorbau und lange Beine. Aber das ändert nichts dran, dass keiner mit Felix’ Persönlichkeit mithalten kann. Und ich hab sehr genau gesehen, wie du Anjo anstarrst und genauso hab ich Felix früher auch angestarrt. Weil ich ihn toll fand und es gehasst hab, dass ich ihn toll fand. Jedenfalls… ist es die ganze Wut nicht wert«, sagte er, zuckte mit den Schultern und schob seine Hände in die Hosentaschen. Benni starrte stur geradeaus. Leon erkannte deutlich den roten Schimmer auf den blassen Wangen. Fast hätte er gegrinst. »Ich dachte nur, ich sag dir das mal… weil ich früher auch in deinem Boot gesessen hab«, fügte er hinzu. Benni schnaubte schon wieder. »Du weißt nichts über mich«, gab er zurück. »Stimmt. Ich will auch gar nichts weiter wissen. Aber dieses eine weiß ich jedenfalls und du weißt es auch und vielleicht solltest du dich einfach mal zusammen reißen und erwachsen werden.« Und mit diesen Worten stapfte er wieder nach drinnen mit dem dringenden Bedürfnis, Felix sehr ausgiebig zu küssen und ihm unmissverständlich klar zu machen, dass er diesem Boot ganz und gar abgeschworen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)