Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Unerwarteter Besuch ------------------- Seit Kieran mit Aydeen und Nolan zusammenlebte, kam es selten vor, dass er einmal einen ruhigen Abend erlebte. Dabei lag es weniger an ihr, sondern vielmehr an dem Jungen, der überraschend lebhaft war und stets Aufmerksamkeit erforderte. Auch wenn es hauptsächlich Aydeen war, die sich um ihn kümmerte, kam es Kieran dennoch vor, als würde es an seiner Energie zehren – nicht zuletzt, weil Nolan sich sehr um seine Aufmerksamkeit bemühte, was er einfach nicht verstehen konnte. An diesem Abend konnte er aber vollkommen ungestört auf seinem Sofa liegen und tief durchatmen, während er die Stille genoss. Aydeen war mit Nolan zu ihren Eltern nach Jenkan gefahren und da sie Kieran ohnehin nicht mochten, war es ihm ganz recht gewesen, zu Hause bleiben zu dürfen. So musste er sich nicht mit diesen Leuten abgeben und er konnte sich einfach nur ausruhen. Normalerweise traf er sich an solchen Abenden mit Richard, aber dieser war für eine Nachtwache eingeteilt, weswegen das nicht möglich war. Zumindest dachte er das, bis es an seiner Tür klopfte. Schlagartig saß er aufrecht und blickte hinaus, als könne er damit herausfinden, wer ihn besuchen wollte, obwohl er überzeugt war, dass es nur Richard sein konnte. Wer sonst sollte ihn besuchen? Im selben Moment war der Wunsch nach Ruhe vergessen, er stand hastig auf und ging zur Tür, um seinen Freund hereinzulassen. Doch als er dann wirklich öffnete, sank seine neu erwachte gute Laune sofort wieder unter den Nullpunkt. Faren lehnte, viel zu lässig, wie Kieran fand, gegen den Türrahmen und lächelte ihn an. In der Hand hielt er irgendeine Flasche, die Alkohol enthalten musste, zumindest wenn er den anderen richtig einschätzte. Er sagte nichts, aber Faren übernahm direkt selbst das Wort: „He, Kieran.“ „Was willst du hier?“ „Autsch.“ Sein Gegenüber verzog amüsiert das Gesicht. „Ich bin extra gekommen, um ein wenig Zeit mit dir zu verbringen, damit du nicht ganz allein herumsitzen musst.“ „Alle anderen haben keine Zeit, was?“ Faren seufzte und löste sich endlich vom Rahmen. „Ja. Yu hat eine Weiterbildung, Ken und Ren sind bei meiner Mutter, Josh und Richard arbeiten und Bell unternimmt etwas mit Ria. Also bleibst nur du übrig.“ Kieran zog die Brauen zusammen und stand kurz davor, die Tür einfach wieder zuzuwerfen. Er und Faren verbrachten selten Zeit miteinander, eigentlich waren sie sogar nur befreundet, weil sie eben beide Richard kannten, sonst sprachen sie auch nie miteinander. Wenn überhaupt, grüßten sie sich auch nur knapp, wenn sie sich zufällig trafen. Kieran wusste auch nie, worüber er mit dem dauer-optimistischen Faren, der wirkte, als wäre ihm in seinem ganzen Leben nie etwas Schlimmes geschehen, reden sollte. Deswegen empfand Kieran die Vorstellung, den ganzen Abend mit ihm zu verbringen, nicht gerade prickelnd. „Hast du nicht noch mehr Freunde, denen du auf die Nerven gehen kannst?“ Damit erlosch Farens Lächeln endlich, aber er wirkte nicht verärgert, sondern vielmehr bedrückt. „Na ja, ich hatte aber Lust, mal mit dir zu sprechen. Ich meine, dich kenne ich von allen meinen Freunden am wenigsten.“ „Wollen wir es nicht dabei belassen?“ Damit wollte Kieran die Tür bereits wieder schließen, aber Faren streckte sofort den Arm aus, um ihn davon abzuhalten. „Hey, hey, hey! Warte doch mal! Ich mein's ernst!“ Nur widerwillig ließ Kieran zu, dass der andere die Tür wieder aufdrückte und sich dann dagegen lehnte, damit sie nicht mehr geschlossen werden könnte. Der Blick aus Farens braunen Augen erinnerte dabei an den eines bettelnden Hundes, was Kieran die Stirn runzeln ließ. „Du wirst nicht gehen, wenn ich dich fortschicke, oder?“ „Nein, sicher nicht.“ Also blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als beiseite zu treten und den anderen hereinzulassen. Freudestrahlend trat Faren ins Haus und hob dabei die Flasche. „Ich habe uns extra Wein mitgebracht.“ Kieran schloss die Tür und folgte ihm in die Küche. „Wozu brauchen wir denn Wein?“ Nicht, dass er sich am Alkohol an sich stören würde, aber es kam ihm schon ein wenig seltsam vor. Faren zuckte allerdings mit den Schultern. „Für ein gutes Gespräch ist Alkohol immer eine passende Begleitung – und dich hätte ich als Weintrinker eingeschätzt.“ Das war er eigentlich nicht, aber er wusste, dass man solchen nachsagte, sehr kultiviert zu sein, also nahm er das einfach mal als Kompliment und stellte die Gläser auf den Tisch, während Faren die Flasche geschickt öffnete und dann einschenkte. Anschließend setzten sie sich beide, wobei Kieran seinen Besucher weiterhin abwartend ansah, um herauszufinden, worüber er überhaupt sprechen wollte. Doch Faren hob zuerst sein Glas, um ihn zum Trinken zu animieren. Innerlich seufzend ließ Kieran sich darauf ein, stieß mit ihm an und nahm dann einen Schluck. Zu genießen hatte er schon vor einer ganzen Weile verlernt, weswegen sein Schluck wesentlich größer war als der von Faren und er sein Glas auch zuerst wieder auf den Tisch zurückstellte. „Also, worüber willst du sprechen?“ „Na ja, ich weiß nicht so recht. Über dich weiß ich eigentlich wirklich nur, wann du nach Cherrygrove kamst, dass deine Eltern tot sind und dass du ein Lazarus bist.“ Kierans amüsiertes Schmunzeln – immerhin hatte er angenommen, dass der andere gar nichts wusste – fror direkt auf seinem Gesicht ein, während Faren ihm einen vollkommen neutralen Blick zuwarf. Er wollte eigentlich abwehren, alles leugnen, aber die Aussage war derart entschieden ausgesprochen worden, dass er genau wusste, dass es zu nichts führen würde. „W-woher weißt du das? Hat Yuina dir das erzählt?“ Dass sie es wusste, war Kieran durchaus bekannt. Er und Madoc hatten sich mit ihr immerhin darüber unterhalten, aber er hätte nicht gedacht, dass sie es irgendjemandem erzählen würde. Seine Enttäuschung war allerdings nur von kurzer Dauer, denn Faren schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin nicht blöd, Kieran, auch wenn du das sicher denkst. Yu hat mir nicht gesagt, dass du einer bist, aber ich habe mitbekommen, dass dein Kollege Madoc einer ist. Also was liegt da näher, als anzunehmen, dass du ebenfalls einer bist? Und deine Reaktion eben sagte ohnehin alles.“ „Dann hast du mich ausgetrickst“, erwiderte Kieran finster. Faren lächelte bereits wieder. Dieses übliche Lächeln, dem so gut wie niemand böse sein konnte – und es wirkte sogar auf Kieran, wie dieser mit gerunzelter Stirn feststellte. „Ja, wie auch immer. Ich nehme aber nicht an, dass du darüber sprechen willst.“ Außenstehende schienen ihm selten erpicht darauf, über die Gilde zu sprechen, es sei denn, sie verbanden etwas damit. Andere hielten sich lieber fern von diesem Thema und vermieden auch gern den Kontakt mit Lazari gänzlich. Also konnte er sich nicht vorstellen, dass Faren Interesse daran hegte. „Will ich tatsächlich nicht. Mir geht es vielmehr darum, dass wir über schöne Dinge reden.“ „Und warum?“ Eigentlich empfand Kieran diese Frage als überflüssig, denn er war überzeugt, dass es einfach darin begründet war, dass Faren viel zu sorglos war und sich deswegen nicht um die schlimmen Zeiten anderer kümmerte. Aber er wurde überrascht: „Du siehst immer so bedrückt aus, finde ich. Als ob dir viele schlimme Dinge im Kopf umhergehen. Ich finde, da sollte man mal etwas daran ändern, das kann sonst nicht gesund sein.“ Bislang war er eher davon ausgegangen, dass er schlecht gelaunt oder zumindest neutral aussah. Bedrückt hatte er eigentlich nicht aussehen wollen. Allerdings beschäftigte ihn doch etwas anderes daran: „Du machst dir Sorgen um meine Gesundheit?“ „Aber klar doch, wir sind immerhin Freunde.“ Für einen kurzen Augenblick war es Kieran nicht möglich, das zu verstehen. Natürlich hatte er Faren bislang auch immer als Freund bezeichnet – aber Nolan und Aydeen waren auch sein Sohn und seine Frau, also waren seine Bezeichnungen ohnehin immer irreführend. Faren hatte ihn auch schon öfter Freund genannt, aber bislang war ihm das noch nie derart wirklich erschienen wie in diesem Moment. „Wie ... wie kommst du eigentlich darauf?“, hakte er deswegen ungläubig nach. Faren hob die Schultern. „Na ja, wir haben vor allem früher viel Zeit miteinander verbracht, wir kennen uns schon seit wir noch Jugendliche waren ... und wir hängen hin und wieder noch miteinander ab.“ „Nur wegen Richard.“ „Und?“ Faren wirkte tatsächlich sehr irritiert darüber. „Das ändert ja nichts daran, dass wir trotzdem Zeit miteinander verbringen – und ich kann dich zumindest gut leiden, auch wenn wir keinen sonderlich guten Draht zueinander haben. Du bist immerhin ein guter Kerl.“ Kieran konnte es immer noch nicht glauben. „Du kannst mich ... gut leiden?“ „Klar, warum denn nicht?“ Faren lächelte ihn immer noch an, was in Kieran die altbekannte Verlegenheit hervorrief, die er normalerweise gut zu verstecken gelernt hatte. „Uhm, also, ich ... na ja, ich hatte nie viele Freunde und deshalb ... uhm ...“ Unter anderen Umständen hätte er sich nun furchtbar darüber geärgert, dass er gerade vor Faren diese Schwäche zeigte, aber in diesem Moment war ihm das ausnahmsweise vollkommen egal. Wenn der andere schon nett zu ihm sein wollte, konnte er das auch einfach akzeptieren und seinen Respekt dafür zeigen, indem er mal Schwäche zeigte. Und Faren dankte ihm das wiederum, indem er sich nicht darüber lustig machte, ihn nicht einmal amüsiert angrinste, sondern mild lächelte. „Hattest du bei dieser Gilde denn nicht viele Freunde?“ „Nicht wirklich. Mit vielen hatte ich kaum Kontakt und jene sind schnell gestorben.“ Farens Gesicht verdüsterte sich augenblicklich. „Ist das so? Dann wundert mich nicht, dass du immer so negativ drauf bist. Aber du solltest trotzdem ein wenig mehr lächeln!“ „Es kann nicht jeder so sorglos sein wie du“, erwiderte Kieran. Er merkte allerdings sofort, dass es eine unpassende Entgegnung gewesen war, denn Faren runzelte die Stirn, was bei ihm ein seltener Anblick war. „Ich wirke nur so, weil ich nicht zulasse, dass meine Vergangenheit mich beständig einholt.“ So wie er den anderen kennen gelernt hatte, fiel es Kieran schwer, zu glauben, dass er wirklich eine finstere Vergangenheit mit sich trug. Dementsprechend maß er ihn mit einem abschätzenden Blick, der dafür sorgte, dass Faren seine Mundwinkel spöttisch anhob. „Du glaubst mir nicht, was? Ich kann es dir nicht verübeln, ich würde mir das auch nicht glauben.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, wesentlich größer diesmal als zuvor. Kieran beobachtete ihn dabei abwartend und fragte sich, was es wohl mit seiner Vergangenheit auf sich haben mochte, dass sie derart finster war. Schließlich setzte Faren sein Glas wieder ab und blickte dann an die Wand. Seine Augen wirkten dabei, als ob sie weit in die Ferne schweifen würden, es war ein Ausdruck, den Kieran noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. „Als du und Richard neulich über eure Väter gesprochen habt, musste ich wieder an meinen denken“, erklärte Faren schließlich. „Er ist gestorben, als ich noch ein kleiner Junge war, deswegen erinnere ich mich nicht wirklich an ihn.“ Noch verstand Kieran nicht so ganz, was daran so düster sein sollte, er wollte ihn schon darauf hinweisen, dass das nur ein weiteres Zeichen dafür war, wie gut behütet Faren sein Leben lang gewesen war, da fuhr dieser bereits fort: „Ich war damals regelrecht glücklich, als er endlich starb. Ich konnte diesen Mann einfach nicht lieben.“ Seine Stimme erinnerte nun nicht einmal mehr im Mindesten an jene, die sonst immer lauter und fröhlicher als alle anderen zu sein schien. Sie war gepresst, als würde er weinen wollen, fühlte sich aber nicht fähig dazu und tat es daher auch nicht. „Warum nicht?“, fragte Kieran, der so etwas nicht verstehen konnte. Sein eigener Vater war für ihn ein Held gewesen, Richard hatte seinen Vater geliebt, sogar Nolan schien ihn zu lieben, obwohl Kieran nichts tat, um das zu verdienen ... eigentlich kannte er niemanden, der seine Eltern nicht liebte. Ehe er antwortete, rollte Faren den rechten Ärmel seines Hemds hoch, bis er seinen Ellenbogen freigelegt hatte. Er zeigte auf eine Stelle, die Kieran sofort ins Auge gefallen war, da sie wesentlich heller wirkte als die Haut darum herum. „Als ich vier Jahre alt war, hat mein Vater mir den Arm gebrochen, so heftig, dass der Arzt mir mehrere Schrauben einsetzen musste. Ich war damals ein kleines Versuchskaninchen, weil niemand wusste, ob es funktionieren würde.“ Sein letzter Satz klang wieder spöttisch, aber es war ein bösartiger Spott, den man sonst nicht von ihm zu hören bekam und der auch nicht zu ihm passen wollte. Kieran wandte sich von der Narbe ab und sah Faren irritiert an. „Warum hat er das getan?“ Doch der andere zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, hat er mir nicht gesagt. Warum er mir mit einem Messer das Bein abtrennen wollte, hat er mir auch nie erklärt.“ Dabei deutete er auf sein linkes Bein, machte sonst aber keine Anstalten, ihm irgendeine Narbe zeigen zu wollen. „Mein Vater war ein Irrer. Jedes Mal, wenn er zu viel getrunken hat, ist er auf meine Mutter oder mich losgegangen. Dafür musste es nicht einmal einen Grund geben. Oft saßen wir vollkommen still im Dunkeln und er ist trotzdem ausgerastet.“ Kieran konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es sein musste, wenn die Person, der man eigentlich Urvertrauen entgegenbringen sollte, einem gegenüber derart feindselig sein konnte, dass man sich sogar vor ihr fürchten musste und dass sie einen verletzte. Sein eigener Vater hatte ihn stets beschützt, selbst mit seinem letzten Atemzug noch. Wie furchtbar musste es da sein, sich in der Anwesenheit des eigenen Vaters nicht einmal mehr zu trauen, die Augen zu schließen? Doch bevor Kieran ihm in irgendeiner Art und Weise Mitleid entgegenbringen konnte, lächelte Faren bereits wieder. „Aber seit er gestorben ist, geht es mir richtig gut. Ich denke einfach nicht mehr daran und erfreue mich vielmehr an all den guten Dingen, die in meinem Leben geschehen.“ Natürlich hätte Kieran ihn nun darauf hinweisen können, dass der andere dennoch wesentlich weniger mitgemacht hatte, als er, aber er empfand es selbst als unangebracht. Mit Sicherheit wollte er das Leiden seines Freundes nicht mindern, wenn sie sich ausnahmsweise so gut verstanden – und eigentlich auch nicht in irgendeiner anderen Situation. Faren hatte viel mitgemacht und seine eigene Art und Weise gefunden, damit umzugehen und Kieran respektierte jede Form des Leidens, denn jeder Mensch reagierte vollkommen unterschiedlich darauf. Das war auch eine Sache, die er bei der Gilde gelernt hatte. „Du solltest das auch tun“, sagte Faren und wechselte damit sofort wieder das Thema. „Also mehr lächeln und an das Gute denken. Ich mache das ständig, deswegen wirke ich auf dich so, als ob alles total super bei mir wäre.“ „Aber es gibt nicht viel Gutes in meinem Leben“, murmelte Kieran, ein wenig eingeschüchtert von dem plötzlichen Umschwung. „Ich bin nicht wie du.“ Faren ließ sich davon allerdings nicht seine gute Laune nehmen und klopfte sich gegen die Brust. „Dafür hast du ja mich. Ich bin Experte in guter Laune.“ Er trank noch einen Schluck, was Kieran ihm automatisch nachmachte, dann lauschte er, was Faren noch zu sagen hatte: „Wir finden jetzt erst einmal alle guten Dinge in deinem Leben und dann kannst du dich immer daran erinnern, wenn es dir wieder schlecht geht.“ Eigentlich kam das viel zu spät für ihn, wie er fand. Er konnte inzwischen nicht mehr verzweifeln, also dürfte es nun vollkommen egal sein, ob es ihm gut oder schlecht ging, aber als er das sagte, schüttelte Faren mit dem Kopf. „Es ist nie egal, wenn es einem schlecht geht. Ich habe es dir vorhin schon gesagt, als dein Freund möchte ich, dass es dir gut geht. Und Aydeen und Richard wären dann mit Sicherheit auch erleichtert.“ Die Erwähnung dieser beiden Namen sorgte schließlich dafür, dass Kieran nachgab. Wenn es um diese beiden ging, konnte er nicht mehr ablehnen. Er wollte nicht, dass sie besorgt wegen ihm waren, wenn sie es schon schwer genug hatten. „In Ordnung, wenn du meinst, dass es hilfreich ist – aber ich garantiere dir, dass es eine schwere Aufgabe sein wird, denn es gibt wirklich nicht viele gute Dinge in meinem Leben.“ „Oh, wir schaffen das schon, vertrau mir.“ Als die Flasche schließlich leer war, standen Kieran die Tränen in den Augen, während Faren mit seinem Oberkörper und zuckenden Schultern auf dem Tisch lag. Allerdings nicht wegen etwaiger trauriger Erinnerungen, die wieder hervorgekramt worden waren. Stattdessen fühlte Kieran sich überraschenderweise so befreit wie selten zuvor, auch während er sich lachend die Tränen wegwischte und dabei versuchte, sich wieder zu beruhigen. Nach etwas Nachdenken waren ihm tatsächlich endlich gute und lustige Erinnerungen eingefallen, wenn es davon auch nicht viele gab. Aber bislang genügten sie. Faren hob schließlich leise glucksend den Oberkörper wieder vom Tisch. „Das ist doch nicht wirklich passiert!“ „Ich garantiere es dir“, versicherte Kieran ihm. „So wahr ich hier sitze, er hat wirklich gefragt, ob wir einen Rabatt bekommen, wenn wir sie uns teilen. Ich wollte auf der Stelle im Erdboden versinken! Es war einfach nur furchtbar!“ Und doch war es im Nachhinein eigentlich eine äußerst lustige Anekdote, wie er selbst fand. „Oh, das kann ich mir gut vorstellen“, meinte Faren schmunzelnd, nachdem er es endlich geschafft hatte, nicht mehr lachen zu müssen. „Das ist wirklich total abgedreht.“ Kieran nickte und dann kehrte erst einmal wieder Stille zwischen ihnen ein. Wenn er sich richtig erinnerte, war das nun so ziemlich alles gewesen, was ihm Gutes geschehen war in seinem Leben ... wobei die letzte Geschichte eigentlich nur wegen dem Spaßfaktor hinzugekommen war. Es war nicht unbedingt eine gute Erinnerung, aber sie war lustig und passend zum zuletzt angeschnittenen Thema, deswegen hatte Kieran sie überhaupt erzählt. Faren seufzte schließlich zufrieden. „Das sollte doch jetzt eigentlich reichen an guten Erinnerungen. Und he, dieser Abend gehört jetzt dazu.“ „Findest du?“ Kieran neigte ein wenig den Kopf. „Ich weiß aber wirklich nicht, ob das funktionieren wird.“ Immerhin kannte er sich gut genug, um zu wissen, dass er sehr negativ dachte und zum absoluten Pessimismus neigte. Eine Sache, die auch Aydeen offenbar sehr beschäftigte und vermutlich die Erklärung war, warum sie in den letzten Wochen oft grübelnd anzutreffen gewesen war. „Oh, das ist kein Problem“, versicherte Faren ihm sofort. „Ich komme einfach öfter mal vorbei, damit wir das alles wiederholen können.“ „Das würdest du wirklich tun?“, fragte Kieran und sah ihn dabei so hoffnungsvoll an, wie man es sonst nicht von ihm kannte und wie er es sich selbst nie zugetraut hätte. Faren lächelte zuversichtlich. „Aber natürlich. Ich sagte dir doch, wir sind Freunde und dein Wohl liegt mir da am Herzen.“ Diese Aussage schaffte es, Kieran mit einem angenehmen Gefühl von Zuversicht zu erfüllen, das er sonst zu selten kannte. Wenn Faren es schaffte, seine Vergangenheit mit dieser Taktik weitgehend zu überspielen und gute Laune zu haben, dann könnte Kieran das genauso schaffen und damit all seinen Freunden, inklusive Faren, ein besseres Gefühl zu verschaffen. Das nahm er sich jedenfalls an diesem Abend voller Gelächter fest vor, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, dass sein Leben sich in gar nicht allzu ferner Zukunft durch den Tod Aydeens radikal ändern würde und dann nicht einmal mehr Farens Ratschlag helfen könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)