Kiss Kiss Kill Kill von abgemeldet (Misery loves Company) ================================================================================ Prolog: Liebesbriefe -------------------- Sehr geehrter Agent, Ihr Name ist mir leider zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich unbekannt. Doch möchte ich Ihnen gerne einiges zukommen lassen, damit Sie nicht fortlaufend der Häme der Presse ausgesetzt sind. Jeder Mensch hat Leichen in seinem Keller. Seien sie psychischer oder physischer Natur, für mich macht das keinen Unterschied. Beweggründe gibt es viele: Missgunst, Raserei, Eifersucht, und nicht zu vergessen Rache. Die Mutter aller bitteren Gedanken, Worte und Taten. Auch in meinem Fall zeigt sich Rache als Quintessenz, als roter Faden hält sie alles zusammen. Steht denn nicht schon in der Bibel geschrieben: "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ? Vielleicht sind meine Taten für Sie nicht immer nachvollziehbar, doch denken Sie über Folgendes nur einen winzigen Augenblick lang nach: Wie viele Leben haben Sie bereits aus Rache zerstört? Je mehr ich über all dies nachsinne, desto mehr keimt in mir der Wunsch, mich für die Trauer und das Leid zu entschuldigen, welches meine Taten den Angehörigen meiner Opfer hinterlassen haben. Doch wenn Sie meiner Hintergründe gewahr würden, meinem Motiv, wenn Sie so wollen, werden Sie unweigerlich feststellen müssen, dass mir dies nicht möglich sein wird. Nein. Niemals. All meine Opfer haben den Tod verdient. Und was man verdient, sollte einem schließlich nicht verwehrt bleiben. Jahre, nein, schon fast Jahrzehnte, war ich zu schwach, doch der Gedanke an Rache baute mich auf, stärkte mich, wurde zu meiner Maxime. Und nun werde ich meinen Feldzug fortsetzen. Ich bin die personifizierte Rache und erst dann, wenn derjenige, welcher mein Dasein zu dieser Farce der Existenz hat verkommen lassen, blutend und um Gnade bettelnd zu meinen Füßen liegt, wird mein Werk vollbracht sein. Jetzt, da ich Ihnen so viel berichtet habe, stellt sich mir nur noch eine Frage: Sind Ihre Rachegelüste mir gegenüber stark genug, um die meinen zum Schweigen zu bringen? Ich bezweifle es. Und nun, da Flammen meiner Rache nach verdorbenen Fleisch und Blut lechzen, sollten Sie doch eines nie vergessen: Was man sät, wird man ernten. Kapitel 1: Zeitungskrieg ------------------------ HAROLD TRIBUNE; 12. März 2008 OBDACHLOSER FINDET LEICHE IN MÜLLCONTAINER PARKERSVILLE: In den Morgenstunden vom 10. März ging von einer Telefonzelle ein Notruf bei der lokalen Polizei ein. A. Pinkett, ein Obdachloser, meldete den Behörden den Fund einer Leiche in einer der Seitengassen zur Claire – Street, die bekannt ist, für Prostitution, Geldschieberei und Drogenhandel. Die Leiche des 42jährigen Weißen, Samuel Orwell, konnte nur wenige Stunden nach diesem Anruf ins gerichtsmedizinische Labor überführt werden. Bisher ist bekannt, dass der Tode aus der Arbeiterschicht stammt; Gründe seiner Anwesenheit in diesem verruchten Viertel sind noch unklar. Der Coroner datierte den Todeszeitpunkt in die Nacht vom 8. März auf den 9.März. Todesursache ist der große Blutverlust nach mehreren willkürlich geführten Messerstichen. Die örtlichen Behörden bitten die Anwohner der Claire – Street Ruhe zu bewahren und fordern alle Bewohner dieser Stadt zur Mithilfe auf. Sollten Sie in dieser Nacht etwas beobachtet oder Informationen über das Opfer oder den Täter haben, wenden Sie sich telefonisch an die Behörden. Die Nummer der Hotline lautet: 028 – 888 - 749 ______________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________ HAROLD TRIBUNE; 17. März 2008 NEUE ERKENNTNISSE IM ORWELL – MORD PARKERSVILLE: Detective John Bowle (52) gab gestern Morgen auf einer Pressekonferenz kund, dass die Behörden im Mordfall des 42jährigen S. Orwell einen Ritualmord nicht ausschließen, da an der Leiche weitere Spuren sichergestellt wurden, die mit denen bekannter Ritualfälle vergleichbar wären. „Des Weiteren ist es durchaus denkbar, dass nicht nur ein, sondern mehrere Täter für diese Grausamkeit in Betracht kommen“, so Bowle. Eine Fahndung nach dem Täter im persönlichen Umfeld Orwells zeigte bisher wenig Erfolg, weshalb sich die Behörden verstärkt auf das Klientel der Claire – Street konzentrieren. Ein Polizeisprecher verkündete anschließend, dass es sich bei den Tätern vermutlich um Männer mittleren Alters handle, da eine Frau weder physisch noch psychisch in der Lage wäre, eine derart brutale Tat auszuüben. Für sachdienliche Hinweise: 028 – 888 - 749 ______________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________ HAROLD TRIBUNE; 19. März 2008 ERSTE VERDÄCHTIGE IM ORWELL – FALL VERHÖRT PARKERSVILLE: Im Laufe des gestrigen Tages verhörte die Sonderkommission unter Leitung von Bowle (52) mehrere Verdächtige, die womöglich im Zusammenhang mit dem brutalen Mord an S. Orwell vom 8. März dieses Jahres stehen könnten. Da sich die ersten Verdächtigungen in keinem der Verhöre eindeutig nachweisen ließen, waren die Behörden gezwungen, alle vier potentiellen Täter wieder auf freien Fuß zu setzten. Die Polizei rät Ihnen ab, auf eigene Faust in dieser Sache Ermittlungen anzustellen. Die gesuchten Personen könnten aggressiv und gewalttätig reagieren. Bleiben Sie zu Hause und schließen Sie nachts Ihre Türen und Fenster ab. Sollten Sie noch Informationen bezüglich Verdächtiger oder des Opfers haben, teilen Sie dies bitte den Behörden unter folgender Telefonnummer mit: 028 – 888 - 749 ______________________________________________________________________________ ------------------------------------------------------------------------------ HAROLD TRIBUNE; 21. März 2008 ORWELL – MORD: EINDEUTIGE VERBINDUNGEN INS ROTLICHTMILIEU? PARKERSVILLE: Polizeiermittlungen der letzten Tage legten offen, dass der am 8. März ermordete 42jährige, S. Orwell, auf der Claire – Street vor seinem Tod sexuellen Umgang mit einer bisher unbekannten Frau hatte. Dass es sich bei ihr um eine der ansässigen Prostituierten handeln könne, wurde durch eine weitere Dame aus diesem Metier bestätigt. Sie sagte aus, dass das Opfer am Abend vor seinem Ableben im berüchtigten „Puppy Flush Club“ aus einem der Separees trat und sich wenige Minuten später mit dem Besitzer des Etablissements eine handgreifliche Auseinandersetzung lieferte. Da eine Frau als Täter von der Polizei ausgeschlossen wird, wurde ein Fahndungsaufruf nach dem flüchtigen Zuhälter Peter A. ins Leben gerufen. Gesucht wird nach einem sonnengebräunten Weißen mittleren Alters. Er misst zwischen 1,75m und 1,80m. Sein Körperbau ist muskulös, er trägt kurz geschnittenes hellbraunes Haar und einen dünnen Oberlippenbart. Oberkörper und Arme sind stark tätowiert. Die polizeilich gesuchte Person wird als gewalttätig eingestuft und ist wahrscheinlich im Besitz einer Schusswaffe. Falls Ihnen diese Person auffällt oder Sie weitere Informationen haben, die den Ermittlungen dienlich sein könnten, melden Sie sich umgehend bei den Behörden und teilen Sie Ihr Wissen mit. Hotline: 028 – 888 - 749 _____________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________ HAROLD TRIBUNE; 24.März 2008 FAHNDUNG ERFOLGREICH – VERDÄCHTIGER TROTZDEM WIEDER AUF FREIEM FUSS, BEHÖRDEN IM SCHRAUBSTOCK PARKERSVILLE: Der flüchtige Zuhälter Peter A. (38) wurde in den frühen Morgenstunden des 23.März vor seinem Etablissement von einer Polizeistreife festgenommen. Doch selbst nach einigen Stunden Verhör reichten die Beweise gegen den Verdächtigen nicht aus, um ihn am Mord des 42 jährigen S. Orwell anzuklagen. Aus Mangel an stichhaltigen Beweisen wurde er noch am selben Abend aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Bürger, vor allem die Anwohner der Claire – Street sind verärgert und aufgebracht, wegen diesem behördlichen Versagen. Detective Bowle (52) machte klar, dass es gesetzlich nicht zulässig wäre, besagten Zuhälter weiter festzuhalten, er werde jedoch polizeilich überwacht. Anwohner sollen sich keine Sorgen machen, die Zahl der mobilen Streifen wurde seit dem Mord vor allem im Umfeld der Claire – Street verdreifacht. Auf Nachfragen der Presse zum aufkommenden Versagen und der schlechten Polizeiarbeit in diesem Fall reagierte der hochdekorierte Beamte ungehalten und ließ die Medien ohne weitere Informationen stehen. Ihr Unmut über die Dauer dieser bisher sinnlosen Ermittlungen ist verständlich, sollten Sie dennoch sachdienliche Informationen für die Behörden haben, teilen Sie diese bitte unter folgender Hotline mit: 028 – 888 - 749 ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ HAROLD TRIBUNE; 2.April 2008 WEITERER TOTER IM ORWELL – FALL ; VERSAGEN DER BEHÖRDEN ERSCHÜTTERT DIE BEVÖLKERUNG PARKERSVILLE: Wie in der Ausgabe es 24.März bereits berichtet, gingen die Behörden von einer Beteiligung des Zuhälters Peter Asher (38) an der Ermordung S. Orwells aus. „Er kann zwar aus Mangel an Beweisen nicht gefangen gehalten werden, wird aber fortan auf Schritt und Tritt von Untercover – Einheiten überwacht“, so Detective Bowle noch letzte Woche, als mehrere aufgebrachte Bürger das Polizeipräsidium stürmten und Gerechtigkeit forderten. Heute müssen wir Ihnen leider ein ganz anderes Bild präsentieren: Peter Asher, wurde gestern Mittag, obwohl er laut Bowle 24 Stunden am Tag überwacht werden sollte, tot in seinem Büro in der Claire – Street aufgefunden. Was ist mit der großartigen Polizeiarbeit?, werden Sie sich jetzt sicherlich fragen. Sie hat versagt und legt nur Ihr ganzes Vertrauen, diesen Fall jemals zu lösen, in Ihre Hände. Sachdienliche Hinweise gehen unter folgender Nummer bei den Behörden ein: 028 – 888 - 749 ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ HAROLD TRIBUNE; 4.April 2008 ZUHÄLTER – MORD = SELBSTJUSTIZ? PARKERSVILLE: Detective Bowle teilte gestern Abend in einer Pressekonferenz mit, dass durch den Mord an Peter Asher neue Beweise im Mordfall Orwell im März diesen Jahres ans Licht gefördert wurden. „Nach detaillierter Beweissicherung in Ashers Büro, der dort vor zwei Tagen erschossen aufgefunden wurde, können wir den Toten einwandfrei des Mordes an Samuel Orwell überführen. Sowohl die Tatwaffe (ein größeres Küchenmesser, an dem sich Blutspuren Orwells und Fingerabdrücke Ashers befanden), als auch Orwells Kreditkarte, konnten dort sichergestellt werden. Die Behörden erklären den Fall Orwell als abgeschlossen, ermitteln dennoch wegen dem Vorwurf der Selbstjustiz im Mordfall Asher, so der Polizeipressesprecher James Lindner. Die Behörden fordern Sie des Weiteren auf, diese doch wohl gerechtfertigte Tat der Selbstjustiz nicht unbeachtet zu lassen. Sollten Sie Hinweise bezüglich einer Person haben, die Asher ermordet haben könnte, teilen Sie dies bitte umgehend den Behörden mit. Hotline: 028 – 888 - 749 ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ HAROLD TRIBUNE; 12.April 2008 ORWELL / ASHER – FALL EINEN MONAT NACH TAT ENDLICH KOMPLETT ABGESCHLOSSEN PARKERSVILLE: Aufatmen für die Bevölkerung unseres kleine Städtchens und natürlich für die Polizei. In den gestrigen Abendstunden ging ein Notruf in der Polizeizentrale ein. Eine junge, männliche Stimme verkündete der Beamtin Kathy Hobbs, dass besagter Anrufer in wenigen Minuten seinen Suizid vollstrecken werde. Trotz sofortiger Reaktion der Behörden kam jede Hilfe für den 26jährigen Tom Griffith zu spät. Die ausgerückten Polizisten und der Notarzt fanden seinen leblosen Körper mit einer Schussverletzung im Schläfenbereich leblos auf der heimischen Couch vor. Für Aufsehen sorgte das Abschiedsschreiben auf dem Tisch des Mannes in dem es wortwörtlich hieß: „Es tut mir Leid, mich nicht an die Behörden gewandt zu haben. Aber Asher musste sterben, für das was er Orwell angetan hatte. Seither verfolgen mich die Bilder seiner Leiche und ich kann so nicht weiter leben. Soll mein Tod der letzte in einer grausamen Reihe aus Hass und Geldschieberei sein. Verzeihen Sie mir“ Das grausige Resümee dieses Falles: Drei Menschen mussten ihr Leben lassen und noch vielen mehr wurde es durch die traumatischen Ereignisse der letzten Wochen zerstört. Dennoch brüstet sich die Polizei, diesen Fall - der sich überwiegend von selbst klärte – erfolgreich abgeschlossen zu haben. Nicht zuletzt durch die rege Mithilfe aus den Reihen der Bevölkerung. ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ „Das kotzt mich jetzt schon an“, brummte Ryan Carter, ließ sich zurück in seinen Bürostuhl sinken und stöhnte laut hörbar auf, während er sich mit der flachen Hand über sein braunes, kurz geschorenes Haar strich. Schwungvoll pfefferte der Neununddreißigjährige seine Lesebrille auf das Papierchaos seines Schreibtisches, bevor er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel massierte. Seit zehn Jahren immer der gleiche Zirkus: Provinzpolizisten. Schlampige Ermittlungen. Katastrophale Fallakten mit mehr Lücken als Text. FBI helfen Sie, wir haben einen Serienkiller. Wie meistens viel zu spät. Was bedeutete, er und seine Kollegen durften gezwungener Maßen die knietiefe Scheiße, welche durch Inkompetenz irgendwelcher viertklassigen Behörden verzapft wurde, im Nachhinein auslöffeln. Und das ganze so schnell wie möglich. Schwerfällig und ermüdet vom stetigen Lesen stemmte er seine muskulösen Einmeter Neunzig aus dem Drehsessel und trat vor die erste mehrerer mobiler Stellwände. Sie trug die Beschriftung „FALL I / PARKERSVILLE / MÄRZ – APRIL 2008“. Heftiger als nötig befestigte er die Kopien der Zeitungsartikel, über denen er die letzte halbe Stunde gebrütet hatte, mit kleinen Magneten neben dem entsprechenden Polizeibericht. Klack, Klack, Klack. Zurück an seinem Arbeitsplatz entnahm er der gleichnamigen Akte ein Bündel Tatortfotos und schmiss den leeren Hefter auf einen gefährlich schiefen Ablagestapel neben seinem Tisch. Mit wenigen, vom graublauen Teppichboden gedämpften Schritten, durchquerte er den voll gestellten Konferenzraum. Vor dem Tisch seines Kollegen machte er halt, legte die Fotografien ab und stützte sich mit den Handballen auf die Tischkante. Jackson Limes war gerade mal siebenundzwanzig Jahre alt, seit vier Monaten Ryans Partner und der Inbegriff eines kalifornischen Surferboys. Zwei meerblaue Augen blickten unter einem blonden, zerzausten Haarmob hinauf in die grünen seines Vorgesetzten. „Schieß los, Jack. Der Mistkerl geht mir jetzt schon tierisch auf die Eier. Was haben wir noch?“, fragte er den jungen Agent mit basslastiger Stimme. Lässig stand Limes auf. Mit seinen Einmeter Zweiundsiebzig war er gut einen Kopf kleiner als Carter. Er ging hinüber zu den Stellwänden. „Ziemlich das Gleiche in Easthigh, Jeffersonpark, Harlow und Coverntown 2008. 2009 haben wir St. Louis, Portsmith, Menham, Lexington, Corton Bay und South Newlyn. Und dieses Jahr bisher ein Fall in Royal Amber. Und Jackpot: Wir haben ein Muster!“ Mit Schwung drehte er eines der Tafeldisplays um und deutete auf eine Tabelle. Was Carter dort schwarz auf Weiß zu sehen bekam, schlug ihm schwer auf den Magen. Insgesamt waren dort Name, Wohnort, Alter, Rasse, Geschlecht, Beruf, Todeszeitpunkt und -ursache aller sechsunddreißig Opfer aufgelistet. Er schluckte schwer, bevor er fragte: „Und was ist jetzt nun mit deinem gottverdammten Muster?“ Jackson räusperte sich, bevor er anfing, die Fakten zu benennen: „Jede Mordserie hat drei Opfer. Das erste stirbt durch Blutverlust, verursacht durch zahlreiche Stichverletzungen, die selbst nicht tödlich wären. Die Mordwaffe ist immer ein etwa dreißig Zentimeter langes Messer mit breiter, spitz zulaufender Klinge, wird aber nie am Tatort aufgefunden. Obwohl alle Opfer im Rotlichtmilieu gefunden wurden und vorher nahweislich Sex mit einer Prostituierten hatten, wurden nie Spuren von DNA, Haaren oder Fasern gefunden. Genauso wenig wie Fingerabdrücke. Alle Opfer sind männlich, weiß, mittleren Altern, kommen aus der Arbeiterklasse.“ Er machte ein kurze Pause und blickte hinüber zu seinem Boss, der mittlerweile an der Wand lehnte. Carter nickte im kurz zu. Dann fuhr der Blondschopf fort: „Das zweite Opfer ist immer der Hauptverdächtige. Meist ein Zuhälter oder Club-Besitzer aus der ortsansässigen Szene. Er wird mit einem gezielten Schuss in die Stirn hingerichtet. Die Tatwaffe ist verschwunden und wieder sind keine biometrischen Beweise auffindbar. Alle Toten sind wieder männlich, weiß und mittleren Alters. Bei der Tatortbegehung findet sich die Stichwaffe des ersten Mords, mit den Fingerabdrücken des „Puff Daddys“ am Griff und Blut des O-One an der Klinge, sowie die Kreditkarte des ersten Opfers.“ „Wissen wir, mit welcher Waffe der Typ hingerichtet wurde?“, fragte Ryan. „Ja. Smith and Wesson, Kaliber neun Millimeter. Kommen wir zu Opfer Drei: Männlich, weiß, Anfang bis Ende Zwanzig, meist Studenten oder Hilfsarbeiter. Bei Anruf Selbstmord. Sie haben alle die Polizei verständigt, dass sie Suizid begehen. Haben sich alle erschossen mit eben der selben Waffe, wie bei Opfer Zwei. Alle hinterließen das selbe Bekennerschreiben und gestanden den Mord am Hauptverdächtigen. Zwischen den einzelnen Opfern gibt es, wenn überhaupt, rein zufällige Verbindungen.“ Jackson hatte sich eine kleine Wasserflasche von einem Tisch geangelt und trank einen großen Schluck. „Was sagt die Zeittafel? Wie nahe liegen die einzelnen Mordserien beieinander?“, wollte der ältere Agent wissen. „Opfer Eins stirbt am Achten jedes zweiten Monats. Also achter Januar, achter März, achter Mai, und so weiter. Opfer Zwei, der Hauptverdächtige, stirbt, sobald die Polizei ihn aus Mangel an Beweisen laufen lassen muss. Opfer Drei pustet sich exakt zehn Tage später die Rübe weg.“ „Und das Ganze hat trotz so offensichtlichem Muster zwei Jahre gedauert, bis es bei uns gelandet ist?“ Carter hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und verfolgte mit seinen Augen aufmerksam Gestik und Minenspiel seines Kollegen, während er die Fakten wie ein Schwamm in sich aufsog. „Schlechte Polizeiarbeit. Keine Interaktion zwischen den einzelnen Behörden. Ein Student hat den Zusammenhang entdeckt, als er für seine Kriminalistik - Dissertation über Serienmorde in amerikanischen Kleinstädten recherchierte. Als er kapierte, was er da ausgegraben hatte, hat er sofort das FBI informiert.“ „Klasse.“ „Und jetzt?“ „Du hast jetzt die ehrenvolle Aufgabe, die Fotos chronologisch an die Tafeln zu pinnen, Jack.“ Ryan machte sich auf den Weg zur Tür, während Jackson sich seinem Schicksal als Pinnwandbestücker fügte. „Und du?“, wollte er wissen. „Ich schau mal im Labor vorbei, was mein kleiner Liebesbrief von heute morgen so zu erzählen hat.“ Besagter Brief war heute früh ohne Absender, Briefmarke und Poststempel auf seinem Schreibtisch gelandet.Auf dem gelben Kuvert stand lediglich die Fallnummer und der Vermerk „Kiss Kill – Mordserie“. Nicht,dass dies jetzt schon ziemlich verdächtig wirkte, der Inhalt des Schreibens darin versetzte ihn in höchste Alarmbereitschaft. So kranken Mist hatte er nur selten gelesen. Noch verwirrender: Alle gingen davon aus, dass es sich bei dem Serienkiller um einen Mann handelte. Das Kusssiegel unter dem Text deutete aber auf eine Frau hin oder zumindest auf eine Transe mit geilen, vollen Lippen. In Gedanken versunken trottete der FBI – Agent den Flur entlang zu den Aufzügen. Abwesend drückte er den Abwärtsknopf der Liftkonsole, als eine Stimme ihn aus seiner Versunkenheit holte: „Mister Carter, Sir?“, piepste die kleine Sekretärin hinter der Rezeption für die fünfte Etage. „Was?“, entgegnete er genervt. Es war ihm wirklich ein Rätsel, warum sich diese platinblonde, rosa Person ausgerechnet diesen Beruf ausgesucht und dann auch noch tatsächlich eine Stelle bekommen hatte. „Ihre Frau hat schon mindestens zwölf Mal hier angerufen. Es scheint wirklich wichtig zu sein“, teilte ihm die Rezeptionsbarbie mit. „Exfrau!“, bellt er. Mit einem vornehmen „Bling“ kündigte sich der Aufzug an. Carter trat hinein und drückte den Knopf für den zweiten Stock. Barbie hatte sich derweil über ihre Information gelehnt und rief ihm zu: „Was soll ich ihr denn sagen?“ Ihre Stimme war noch mindestens zwei weitere Oktaven in die Höhe geschnellt. „Sie kann mich mal!“ Die Türen des Fahrstuhls hatten sich geschlossen. Mit einem resignierenden Seufzer ließ sich die Sekretärin kopfschüttelnd in ihren Stuhl fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)