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You'll never walk alone

Solange du Freunde hast ...
von

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Veränderung

Konnte ein Mensch sich wirklich ändern? War nicht jeder Versuch in eine andere, neue Richtung letztendlich nur das Drehen im Kreis? Wenn man so war, wie man war und dabei nicht zufrieden war, dann war die erste Reaktion eine Drehung um 180 Grad - ein Halbkreis.
 

Doch wie lange konnte man gegen seine eigene, naturgegebene Linie schwimmen? Wie lange dauerte es, bis man wieder in seine alten Muster zurückfallen und der Halbkreis wieder geschlossen würde?
 

Wie lange es dauerte, hing von jedem selbst ab. Das es passieren würde, war aber sicher.

Campino kannte dieses Drehen im Kreis nur zu gut und dennoch versuchte er erneut aus jenem auszubrechen oder einfach eine andere Richtung einzuschlagen.
 

Konzentriert saß er im schwachen Schein seiner Schreibtischlampe. Die schwarze Uhr im Schatten des Lichts zeigte kurz vor halb drei Uhr morgens und noch immer trieb der Sekundenzeiger die Zeit voran.
 

Die Stirn nachdenklich in Falten gelegt und das Kinn auf seine linke Hand gestützt, während die rechte einen roten Kugelschreiber hielt, welcher im Takt der laufenden Musik auf den Tisch getippt wurde, saß er vor seinem mahagonifarbenden Schreibtisch.
 

Seit Stunden hörte der Sänger nun schon die Demos von Kuddel und bemerkte dabei nicht, wie die Nacht über ihn hereingebrochen war. Erst als strömender Regen fordernd gegen seine Fensterscheibe klopfte, schaute er verwundert auf und blickte in die rabenschwarze Nacht. Einen Moment versank er in den dunkelblauen, fast formlosen Wolken, welche stumm die schweren Regentropfen transportierten und immer wieder den blassen und unscharf wirkenden Mond am Horizont verdeckten.
 

Gähnend streckte er sich und stand auf, wobei der Stuhl unnatürlich laut über den Boden schabte, ehe er mit hängenden Schultern und schweren Schritten zu seinem Fenster ging. Unbewusst verschränkte er die Arme vor seiner Brust und schaute auf die leere Straße, wo im orangen Licht der Straßenlaternen die feinen Regentropfen sichtbar wurden.
 

Im Hintergrund liefen die letzten Sekunden der Gitarrendemonstration, abgemischt mit einem durchgehenden Schlagzeug im einfachen Viervierteltakt, ehe mit einem hörbaren Klicken das Band zu Ende war und eine drückende Stille sich im Raum ausbreitete.
 

Seufzend fuhr sich Campino durch die Haare und schloss für einen Moment die Augen. Er war müde, aber dennoch verspürte er gleichzeitig diesen inneren Drang noch etwas zu schaffen. Irgendetwas, das er am nächsten Morgen seinen Freunden vorzeigen könnte. Irgendetwas als Bescheinigung dafür, dass er sich geändert hatte.
 

Langsam öffnete er seine braunen Augen und ging wieder zu seinem Kassettenrecorder. Warum Kuddel seine Demos auch immer noch auf Band aufnehmen musste? Leicht lächelnd drehte er das Band um, drückte den Play-Knopf und ließ die Kassette wieder von vorne beginnen.

Ein einfacher, von einer abgedämpften Gitarre gespielter Rhythmus erfüllte den Raum. Man könnte die Art der Spielweise beinahe als minimalistisch bezeichnen und dennoch war sie stark genug, um ihn in seinen Bann zu ziehen und wortlose Bilder vor seinem geistigen Auge zu beschwören.
 

Auf der leeren Straße konnte er plötzlich eine Person erkennen. Eine weibliche Person mit schulterlangen dunkelbraunen Haaren, unendlich tiefwirkende Augen und schmalen, aber wunderschon geformten roten Lippen.
 

Unsicher wirkend stand sie im fahlen Licht der Straßenlaterne. Die Hände in den langen, braunen Ärmeln ihrer Jacke versteckt und die schmalen Beine mit einer schwarzen Röhrenjeans bedeckt, wartete sie am frühen Abend auf ihre Begleitung. Immer wieder blies der unerbittliche Wind ihr die Haare ins Gesicht, welche nun verspielt in ihr Gesicht hingen. Sie kämpfte gerade mit einer störrischen Strähne und versuchte die leichten Locken wieder in ihre Form zu bekommen, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte und sie lieblich lächelnd, ihre bis eben noch gehobene Hand sinken ließ und nach vorne schaute.
 

Ein junger Mann in legerer Kleidung trat auf sie zu, legte seine, im Vergleich zu ihr, großwirkenden Hände auf ihre Hüften und küsste sie vertrauensvoll. Ihre Lippen waren so sanft und weich und der leichte Geschmack von Erdbeeren ließ ihn beinahe verrückt werden. Er liebte sie.
 

„Amelie“, hauchte Campino mit rauer Stimme, als ihm bewusst wurde, welche Szene er gerade vor sich gesehen hatte. Es war eines der ersten Treffen mit ihr gewesen und obwohl es schon so lange her war, erinnerte er sich noch an jedes Detail.
 

Und jedes Detail tat in seinem Herzen weh, denn er wusste, dass er sie verloren hatte.

„Scheiße“, zischte der Sänger und schlug verzweifelt mit der geschlossenen Faust auf das kalte Fensterbrett, ehe er sich umdrehte und sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. Wie konnte etwas Vergangenes nur so schmerzen? Wie konnte sie noch immer so präsent in seinem Kopf sein, wenn er doch nur akzeptieren müsste, dass sie ihn verlassen hatte?
 

„Nur“, seufzte Campino und vergrub seine Finger in seinen Haaren, den Blick auf das leere Papier vor sich gerichtet. Sekunden verstrichen unbemerkt, in denen er einfach nur so dasaß, doch dann nahm er den Kugelschreiber wieder in seine Hand und begann die ersten Worte auf das Papier zu schreiben:
 

„Es ist mitten in der Nacht und ich schlafe nicht,

weil ich dir tausend Gedanken schick, und ich dich immer mehr vermiss.“ *
 

Unsicher hielt er inne und las noch einmal die Worte, deren Ehrlichkeit selbst ihn überraschte, obwohl es doch nur die Gefühle waren, die er täglich in seinem Herzen trug. Dennoch wirkten sie niedergeschrieben beinahe noch stärker und bedrohlicher. Immerhin war die Wahrheit nun unausweichlich in Form gebracht und somit für jeden erkennbar - Er vermisste sie und er liebte sie.
 

Traurig setzte er den Stift erneut an und begann im Schutz der Dunkelheit den Text zu Ende zu führen. Zeile um Zeile schriebe sich beinahe wie ein Tagebucheintrag. Frei von Zwängen und nur geführt von den wahren Gefühlen, bis der Stift kraftlos aus der mittlerweile zitternden Hand auf den Tisch fiel und eine einsame Träne das Blatt benetzte.
 

Was kann man tun, wenn das Herz brennt,

wenn außer Asche von der Liebe nichts mehr übrig ist?

Man kann nichts tun...
 

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*Songtext: Die Toten Hosen - Herz brennt



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