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You'll never walk alone

Solange du Freunde hast ...
von

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Gedanken und Entschlüsse

Er schluckte trocken, als er leise die Türe hinter sich schloss und vollends in den Raum trat. Die Spannung, die zwischen ihm und seinen Bandkollegen lag, konnte er förmlich spüren und fühlte sich von ihr zurückgedrängt, dennoch kämpfte er dagegen an und ging mit hängenden Schultern vorwärts. Das schlechte Gewissen nagte in ihm und nahm ihm nicht nur seine Stimme, sondern auch die passenden Worte.
 

Campino wusste, dass er sich schon zu oft entschuldigt hatte, dass sie, seine Freunde, zu oft seinetwegen auf etwas warten oder sogar verzichten mussten.

Er wusste es und dennoch brachte er sie immer und immer wieder in so eine Situation.

Er war ein Egoist – eindeutig und so jemand hatte in einer Band, einer Gemeinschaft, in einem Team nichts verloren.
 

„Jungs“, begann er schließlich, brach aber ab, um sich zu räuspern. Seine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, selbst hastiges Schlucken nahm nichts von diesem unangenehmen Gefühl. Kam jenes doch auch aus seinem Bauch und nährte sich von seinem schlechten Gewissen.

„Ich … also es …“

„Es tut dir leid“, fiel ihm Andi ins Wort und schaute ihn ausdruckslos an, „So wie jedes Mal.“

Mit gesenktem Kopf begann jener nachdenklich mit dem Daumen über seine Basssaiten zu streichen, ehe er seufzte, den Kopf wieder hob und ihn direkt in die Augen schaute.

„Also, dann könnten wir doch jetzt endlich anfangen, oder?“, fragte er nur, doch Campino konnte viel mehr in den ihn so vertrauten Augen seines langjährigen Freundes lesen.

Es war keine Enttäuschung, die er da las, viel mehr zeigten sie ihm, dass Andi gar nichts anders erwartet hatte und das war für ihn in diesem Augenblick viel schlimmer. Denn er wollte sich doch ändern, wollte wieder der verlässliche Freund sein, der er einmal gewesen war, derjenige, dem die Musik und seine Freunde alles bedeutete, aber Veränderung war noch nie leicht gewesen – das musste auch Campino einsehen.
 

„Ja klar, können wir anfangen“, sagte er darauf kleinlaut und blickte gen Boden. Er hörte, wie die anderen wieder auf ihre Position gingen und wie der Lautstärkeregler der Gitarre aufgedreht wurden, denn ein leises Brummen erfüllte nur den Raum.

„Bist du denn eingesungen?“, fragte Breiti plötzlich, worauf Campino dankbar den Kopf hob und meinte, dass es schon gehen würde.
 

Er war froh, dass die Jungs, trotz ihrer begründetet Verstimmung, ihn nicht schnitten. Denn auch wenn es kitschig klang, sie waren doch das einzige, was er noch hatte. Diese vier Jungs waren seine Familie – und er hatte sie wieder einmal mit Füßen getreten.

Erst die bekannten Töne von „Hier kommt Alex“ rissen ihn aus seinen Gedanken und spornten ihn zu neuer Konzentration an. Er wusste, dass er jetzt alles geben musste, um die Jungs zufrieden zu stellen.
 

Gewohnt schloss er seine kalten Hände um das Mikrofon, ehe er langsam seine Augen zu machte und sich von den Tönen leiten ließ. Natürlich kannte er das Lied in und auswendig, aber genau dies lässt einen unachtsam werden. Wenn man denkt, dass man alles kennt, dann sieht man nicht mehr die Schönheit hinter den Worten, geschweige denn die Gefühle zwischen den Zeilen.
 

Wenn der Sänger also nicht mehr eins mit dem Text und der Musik war, wie sollte er sie dann an die Zuhörer transportieren? Auch wenn seine Band schon jahrelang im Geschäft war und sie loyale Fans hatten, die mit ihnen durch dick und dünn gingen, war er es doch auch ihnen schuldig, die alten Stücke zu lieben genauso wie sie es taten und endlich dabei wieder etwas zu fühlen.
 

Immer noch mit geschlossenen Augen sah er die Bilder vom damaligen Videodreh vor sich aufsteigen. Jung waren sie damals. Jung und vor allem neugierig auf die Welt, immer gemeinsam mit dem Kopf durch die Wand, einzig und allein für sich verantwortlich. Doch die Zeit hatte sie verändert.
 

Jetzt trugen sie die Verantwortung nicht nur für sich, sondern in ihrer Vorbildfunktion, welche mit steigernder Popularität immer größer wurde, auch für die Fans, für ihre Familien und sogar für ihre Kinder.

Kuddel, zum Beispiel, hatte einen einjährigen Sohn. Ein kleiner Mensch, der seinen Vater bedienungslos liebte und nichts erwartete – außer, dass dieser für ihn da war.
 

Campino achtete seinen Bandkollegen dafür sehr, denn er selbst war noch nicht bereit, diese Verantwortung zu übernehmen, aber da sie in einer Band spielten und vor allem Freunde waren, teilte er sie irgendwie trotzdem. Wenn er zu spät zur Probe kam, dann kam auch Kuddel später nach Hause, weil sie gemeinsam die verlorene Zeit nacharbeiten mussten. Wenn er nach einem Konzert noch unbedingt feiern wollte und an den Gemeinschaftssinn appellierte, dann war es vor allem Kuddel, der darauf achtete, dass sie wieder den Weg in ihr Hotel zurückfanden.

Und auch die anderen: Breiti, Andi und Vom hatten ihre Verantwortung zu tragen. Jeder hatte eine Verantwortung zu tragen, denn sie waren erwachsen geworden.
 

Ein wenig verwirrt kehrte der Sänger wieder in die Realität zurück, als das Stück zu Ende war. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er die letzten Minuten völlig in Gedanken versunken war.

„Alles okay?“, hörte er Kuddel besorgt fragen, worauf er ihm nur ein Lächeln schenkte und nickte.

Natürlich war alles okay oder sollte er ihnen etwa sagen, dass er langsam alt und sentimental wurde? Dass er so etwas wie Verlustängste spürte und er der Grenze zur Midlife-Crisis verdammt nahe war?

Campino schüttelte leicht seinen Kopf. Nein, das würde er nicht. Stattdessen würde er sich in die Arbeit stürzen und zwar genauso wie er sich vorgenommen hatte und damit all den negativen Gedanken gar keinen Raum geben, um sich zu entfalten.

„Was ist denn der nächste Song?“, fragte Campino schließlich motiviert und schaute erwartungsvoll in die Runde.

„Liebeslied“, antwortete Breiti und musterte den Sänger skeptisch. Denn ihm waren weder Campinos geistige Abwesenheit, noch seine Stimmungswechsel entgangen. Er wusste nur noch nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Auch dass der Ältere an diesem Tag ein wenig fertig aussah, hatte er gleich am Anfang registriert. Es fehlte nur noch das Bindeglied in der Kette, um den Zusammenhang zu verstehen. Aber er nahm sich vor, den Sänger im Auge zu behalten.
 

Jener begann gerade die ersten Worte zu singen und wirkte viel gefasster als noch zum Beginn der Probe und genauso konzentriert blieb er bis zum Ende hin.

„Das war gar nicht schlecht“, sagte Andi glücklich und stellte seinen Bass auf den Boden. Auch Kuddel und Breiti legten ihre Gitarren zur Seite und setzten sich zu Vom und Campino, um eine Pause zu machen. Der frühe Nachmittag war hereingebrochen und auch Musiker mussten etwas essen. Deswegen bestellten sie, wie immer in den eigentlich straf geplanten Probephasen, sich etwas von einem nahegelegenen Lieferservice.
 

„Hast du eigentlich schon etwas geschrieben?“, fragte Kuddel mit vollem Mund, nachdem das Essen endlich gebracht wurde. Interessiert horchten die anderen auf.

„Nee“, Campino schüttelte den Kopf und legte die Gabel nieder, „Aber ich hab mir schon ein paar Gedanken gemacht und warte jetzt gespannt auf deine Demos. Mit denen wollte ich mich dann heute noch hinsetzen und mal schauen, ob mir dazu etwas einfällt. Aber wie gesagt, an Ideen mangelt es nicht.“

„Ah, der Herr ist jetzt vom Tatendrang gepackt oder was?“, Kuddel lachte und schaute den anderen fragend an, doch der Sänger lächelte nur zurück und nickte leicht.

Ja, er würde jetzt alles geben, um die Band wieder vorwärts zu bringen. Er würde nie wieder der Grund sein, dass sie nicht das machen konnten, was sie geplant hatten.
 

Er würde sich ändern.

Wieder einmal.



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