You'll never walk alone von abgemeldet (Solange du Freunde hast ...) ================================================================================ Kapitel 5: Zu spät - wieder einmal ---------------------------------- Das penetrante Pochen, welches er nun schon seit einigen Minuten vernahm, hinderte ihn nicht daran, den Versuch zu starten weiter zu schlafen, doch die Sonne und ein immer wieder auftauchendes Geräusch schon. Missmutig und unter gemurmelten Protesten öffnete Campino schließlich seine Augen, zog die Decke, welche quer über seinem athletischen Körper lag, wieder hoch und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, als sein Blick wie zufällig die Person neben ihm streifte. Er brauchte einige Minuten, um zu verstehen, wer aus welchen Gründen neben ihm lag, doch dann zuckte er leicht zusammen, als er begriff, dass der Abend mit der drallen Blondine aus der Kneipe bei ihm geendet zu haben schien. Seufzend fuhr er sich durch die abstehenden Haare und begann zu überlegen, wie er die Dame schnellst möglich wieder loswerden würde. Der Abend war nicht schlecht, sofern er seiner bruchstückhaften Erinnerung glauben konnte. Sie hatte Ahnung im Bett – keine Frage, aber der Morgen danach, das brauchte er jetzt wirklich nicht. Besonders bei diesen höllischen Kopfschmerzen, die scheinbar von Sekunde zu Sekunde stärker wurden. Etwas lauter seufzend, in der Hoffnung er würde sie damit wecken können, richtete sich der Sänger auf bis er im Bett saß und die Decke nur noch über seinen Beinen lag. Das er vollkommen nackt war, kam ihm erst in den Sinn, als ein eisiger Schauer sich über seinen Rücken legte und ihn frieren ließ. Scheinbar hatte der Regen des letzten Tages die Temperatur stark abkühlen lassen, aber eigentlich war ihm das in diesem Moment auch egal. Stattdessen hob er langsam seine rechte Hand, beugte sich ein wenig in selbige Richtung und strich der Frau, welche auf dem Bauch neben ihm lag, die langen blonden Haare aus dem Gesicht. Er sah, dass ihr Mund leicht geöffnet und das Make – up um ihre Augen herum verschmiert war. Insgesamt wirkte sie im hellen Licht des Morgens auf eine gewisse Art und Weise verbraucht und irgendwie älter. Doch war er Gentleman genug, um ihr das nicht zu sagen, sofern es vermeidbar. „Hey“, sagte er nur und stupste sie leicht an die Schulter, worauf sie sich wohlig seufzend tiefer in die Kissen vergrub. Augenblicklich konnte er auch das störende Geräusch von vorhin zuordnen. Noch einmal wiederholte er seine Handlung, mit dem einzigen Unterschied, dass er etwas energischer dabei war. „Hey, aufwachen. Du solltest gehen. Du musst doch bestimmt zur Arbeit, oder so“, versuchte es Campino immer wieder. Das er ihren Namen mied, lag nur an dem schwarzen Loch in seinem Kopf, welches jegliche Informationen verschlungen hatte, aber solche Situationen waren ihm noch aus seiner Jugend bekannt und er wusste damit umzugehen. Langsam begann sich die Gestalt neben ihm zu regen, bis schließlich ein verschlafenes „Gute Morgen“, sein Ohr erreichte. Müde stützte sie ihren Kopf auf ihren linken Arm und lächelte ihn lieblich an, während sie mit der rechten Hand über seinen wohldefinierten Oberkörper fuhr. „Es war schön letzte Nacht, nicht?“, fragte sie mit belegter Stimme. „Ja“, antworte er lakonisch, während er unauffällig nach hinten rückte, „Aber musst du nicht jetzt gehen? Zur Arbeit?“, wiederholte er seine ungehörte Frage noch einmal. Zu seinem Bedauern schüttelte sie den Kopf. „Ich arbeite abends in einer Bar. In einer anderen Bar, als die von gestern“, fügte sie kichernd hinzu, „Also hätten wir noch genug Zeit, um das von letzter Nacht zu wiederholen - Obwohl ich gegen ein kleines Frühstück auch nichts einzuwenden hätte.“ Sie schaute ihn mit großen Augen an, als Campino erst leicht und dann energisch den Kopf schüttelte. „Tut mir leid, ein Frühstück ist nicht drin und außerdem solltest jetzt besser gehen.“ „Aber …“ „Kein aber“, bedeutungsschwer stand er auf und schlang sich die Decke um die Hüften, „Also wenn du dann bitte gehen könntest.“ Die Kopfschmerzen brachten ihn in diesem Moment beinahe um den Verstand, genau wie ihre scheinbare Begriffsstutzigkeit. Doch in diesem Punkt hatte er sich geirrt, denn nur wenige Sekunden später presste sie ihre Lippen aufeinander und stand auf. Die Decke ließ sie im Gegensatz zu dem Sänger achtlos auf den Boden fallen und ging, so wie Gott sie schuf, zum anderen Ende des Zimmers um ihre Sachen einzusammeln. Nachdem sie sich schweigend angezogen hatte, schenkte sie ihm noch einen giftigen Blick, ehe sie bedrohlich beim Rausgehen flüsterte: „Aber komm nicht bei mir an, wenn du mich wieder haben willst.“ Sie knallte wütend die Tür ins Schloss, worauf sich Campino stöhnend an die Stirn fasste und sich erleichtert, aber auch erschöpft auf sein Bett setzte. Er war müde, keine Frage, seine Augen brannten und das Pochen seines Kopfes verschlimmerte es nur. Deswegen ließ er sich sanft in seine Kissen zurück gleiten. Sofort schlug ihm ihr Duft entgegen und er nahm sich vor, sobald es ihm besser ging, die Bettwäsche zu wechseln, doch bevor der Gedanke zu Ende gedacht war, schlief er wieder ein. Der erst ruhige und scheinbar so nötige Schlaf wandelte sich schnell in einen verwirrendes Spiel aus Bildern der Vergangenheit unterlegt von seiner eigenen Musik, welche ungewohnt verzerrt und düster klang. Doch zwischen all den schwarzen und unscharfen Bildern sah er plötzlich sie, Amelie. Sie stand an ihrer gemeinsamen Haustüre, beobachtete stumm wie er selbst die Blondine ins Haus führte, während sie mit einem, scheinbar seinem, Kind an der Hand nur traurig den Kopf schütteln konnte. Entsetzt fuhr der Sänger hoch und riss die Augen auf, während er sich erschrocken umdrehte. Keuchend registrierte er, dass er nur ein Traum gewesen sein musste, denn Amelie konnte nicht hier sein und außerdem war sie niemals von ihm schwanger gewesen. Dass zeitgleich das Telefon klingelte, vernahm er erst Sekunden später. Wahrscheinlich war jenes auch der Grund für seinen unruhigen Schlaf gewesen, dachte er sich missmutig und war deswegen erst gar nicht gewillt den Hörer abzunehmen. Stattdessen stand er zum zweiten Mal an diesem Tag auf, die Decke achtlos auf dem großen Doppelbett liegend, und schlürfte zu seinem geliebten Badezimmer, wo er sich als erstes zwei Aspirin gönnte, ehe er eine heiße Badewanne einließ. Warmes Wasser würde seinen Kater schon verscheuchen, war doch allgemein bekannt, dass diese Tiere wasserscheu waren. Während die klare Flüssigkeit lautstark von dem weißen Porzellangefäß aufgefangen wurde, prüfte der Sänger mit zwei Fingern die Temperatur, bevor er sich langsam und gemächlich, dabei auf seinen Kopf achtend, dazu begab. Sofort umfing ihn die wohlige Wärme, sodass er sich seufzend zurücklehnte und den Umstand einfach genoss. Alle Sorgen und Probleme wurden dabei kategorisch verdrängt, nur das Hier und Jetzt zählte – Mehr nicht. Dennoch war es kaum unvermeidlich, dass seine Gedanken wieder zur letzten Nacht abdrifteten. Er erinnerte sich kaum an etwas und das, was ihm in den Sinn kam, machte sein Bild nicht komplett. Aber was sollte auch schon gestern passiert sein? Er hatte sie angesprochen, sie ging darauf ein und kurze Zeit später waren sie bei ihm und genau dieser Punkte hatte ihn zuerst stutzen lassen. Jahrelang hatte er keine Frau mehr mit zu sich nach Hause genommen. Immerhin hätte diese leicht seine Adresse verraten können und dann wäre die Hölle los. Tag und Nacht würden kleine und auch große Mädchen vor seiner Tür stehen und ihn um ein Autogramm bitte, ihm solange auf die Nerven gehen bis er beinahe gezwungen war umzuziehen, doch das wollte er auf keinem Fall. Immerhin lebten ihr seine besten Freunde, hier hatten sie ihren Proberaum und das schon seit Jahrzehnten. Plötzlich zuckte er zusammen. Der Proberaum. Sie waren heute verabredet. Kuddel wollte neue Demos vorspielen und er selbst hatte vorgeschlagen, neue Songideen zu sammeln. Hastig stieg er aus der Wanne. Drehte den Hahn beinahe zeitgleich ab und zog den Stöpsel. Dass er ihm dabei die Wassertropfen von seiner Haut rannen und auf den Fußboden tropften, störte ihn in diesem Moment nicht, denn viel zu sehr war ihm bewusst, dass er wieder einmal einen Fehler begangen hatte. Wütend auf sich selbst und noch immer von Kopfschmerzen geplagt, trocknete er sich ab und ging in sein Schlafzimmer, um frische Klamotten herauszuholen. In völliger Eile verfing er sich in seiner Jeans und stolperte ungeschickt gegen seinen Türrahmen, sodass er laut fluchend die Hose viel zu langsam anbekam. Ein einfaches Shirt sowie ein Paar Socken mussten reichen, um das Outfit komplett zu machen. Während er einen Blick in den Spiegel wagte, rieb er sich die schmerzende Stelle am Oberarm, wo sich bestimmt nach einiger Zeit ein blauer Fleck abzeichnen würde. Doch war er viel zu abgelenkt von dem jämmerlichen Bild, welches sich ihm bot. Seine Haare waren ungewaschen, sogar leicht fettig und unter den Augen traten leicht die ersten Ränder hervor, während die Wangen von einem leichten Ansatz seines Bartwuchses bedeckt waren. Drei Tage Bärte sollten ja schick sein, aber er empfand sich damit noch stärker in die Rolle eines alterten und unbegehrenswerten Mannes versetzt, den er nie zu werden glaubte. Doch dieses Spiegelbild zeigte ihm eine andere Wahrheit. Gehetzt rannte er in sein Wohnzimmer, wo er einen kurzen Blick auf das Telefon warf und dort die Handynummer von Breit erkannte. Jener war es also, der angerufen hatte, schoss es ihm durch den Kopf, obgleich diese Tatsache es natürlich nicht besser machte. Mit einem letzten Griff zur Jacke sprintete er schließlich aus seinem Haus zum Wagen, beinahe so, wie tags zuvor. Der Weg zum Proberaum war wirklich nicht weit, dennoch versuchte er die Zeit zu nutzen, um ein paar Songideen zu sammeln, aber so: unter Druck und in völliger Hast, fiel ihm natürlich nichts Sinnvolles ein, was ihn wieder dazu brachte, an der nächsten Ampel wütend auf sein Lenkrad zu hauen. „Verdammte Scheiße“, fluchte er lautstark und blickte dabei angespannt auf die rote Ampel. An diesem Tag sollte nach langer Pause gerade einmal die zweite Bandprobe stattfinden und erlaubte sich solch Divenbenehmen, indem er zu spät und dann noch vor allem unvorbereitet kam. Er hasste sich in diesem Moment dafür. War doch die Band das einzige, was er noch hatte und dennoch schien sie ihm schon wieder zu entgleiten. Dass er der Auslöser für die längere Pause davor war, machte den Gesamtzustand nicht besser. Im Gegenteil, alles erinnerte ihn an damals. An die Zeit, wo er zu spät kam, extrem launisch war und jeden Abend feierte, nur im seine Probleme mit seiner Freundin zu vergessen, doch dabei vergaß er auch die Band bis die Jungs ihm ein Limit setzten. Einen gewissen Zeitraum, in dem er sich wieder zu fangen hatte. Einen Zeitraum, in dem sie auch getrennte Wege gingen und jetzt nach gerade mal einem Tag schien alles so zu sein, wie zuvor. Dabei wollte er doch genau das verhindern. Wütend drückte er das Gaspedal durch, als die Ampel umschaltete, fuhr noch einmal um eine Kurve und parkte schließlich vor dem Proberaum. Wie viel er zu spät war, wusste er gar nicht, doch das Alltagsgrau des Himmels ließ ihn auf zwei oder sogar schon um drei Uhr nachmittags schließen. Die letzten Meter rannte er noch einmal, bevor er völlig außer Atem die Türe öffnete. Zuerst schien ihn keiner bemerkt zu haben, doch dann wandten sich die vier Bandkollegen um und Campino konnte in den Augen, den Gestiken von jedem Einzelnen ablesen, dass sie einerseits sauer, aber andererseits auch enttäuscht waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)