Du hättest auch das Auto wählen können von Feenk7nig ((C-Ending)) ================================================================================ Kapitel 2: Richtigstellung der Dinge ------------------------------------ Die späte Mittagssonne fiel durch das geöffnete Fenster hinein in den Raum, vorbei an den sich wiegenden Gardinen, und brach sich in allerlei kleinen Phiolen und Glaswerk. Sie ließ die farblosen Ränder glitzern, ein Streifen von buntem Licht lag nicht weit eines dickwandigen Messbechers auf dem hellen Holz des Tisches. Gar sonderbare Sachen lagen und standen dort. Ein dumpfes Pochen - nunmehr durch die Stille um ein vielfaches lauter, lenkte den Blick ab von der Idylle des Glaswaldes, mit seinen Baumkronen aus sanften Strahlen der Spätsonne. Lenkte ab zu dem tropfenden Wasserhahn und der Blick des Betrachters weitete sich auf die gesamte Räumlichkeit aus: Ein scheinbar unheilvolles Durcheinander. Schubladen waren herausgezogen, einen Teil ihres Inhaltes preisgebend. Aus der einen ragte ein Pfannenwender, unverrichteter Dinge zurückgelassen, ganz so als hätte man das Interesse an ihm verloren. Jedes Fach war bloßgelegt, freie Sicht ins tiefste Innere - was zugegebenermaßen sehr spärlich war. Ein Topf stand auf dem Boden zusammen mit Schöpfkelle und Trichter. Ein großes Messer ragte mit der spitzen Seite gefährlich über die Küchenzeile und nicht weitab davon entfernt ein Bunsenbrenner mit Dreibein, der rote - schon etwas angegriffene Schlauch hing hinab, als strebe er dem Boden zu. In dem kleinen Chaos an den Kühlschrank gelehnt, kauerte ein schwarzes Etwas am Boden. Die kleinen Finger umschlossen lose eine silberne, leicht angelaufene Stange, die sich oberhalb zu einer in sich geschlossenen Spirale wandelte, das ganze besaß am geraden Ende einen roten Griff, mit langer Schnur und Stecker - den die schmalen Finger offensichtlich verschmäht hatten. Doch kein Blick ruhte auf dem sonderbaren Gegenstand, geschlossen waren die einzigen Augen im Raum, was sich auch nicht änderte als sich in das monotone Tropfen, welches ab und an vom Waschbecken her erklang, ein metallisches Rasseln und schlussendlich ein Klacken mischte. Keine Regung in der stillen Küche, nur das sanfte Wippen dunkler Haarsträhnen und des weißen Stoffes der Gardine, angespornt von der lauen Brise. “Was?”, Eike stand in der Küchentür, nicht sicher ob das was er fühlte mehr Verblüffung oder Entsetzen enthielt und starrte auf das Tohuwabohu, welches den einst so bekannten geordneten Raum fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte. Wüsste er nicht, dass es seine Küche war, er hätte schwören können… Es gab nicht mal mehr einen Platz, an den er seine Einkaufstüte hätte stellen können. Die Ablageflächen waren voll seltsamer Geräte, die ihn an Dr. Wagners Labor oder wahlweise den Chemieunterricht der Oberstufe erinnerten - bevor er das Fach abgewählt hatte. “Oh. Hallo Eike. Ich habe schon auf dich gewartet.”, Homunculus erhob sich aus dem Chaos, langsam und gemächlich wie eine Katze nach einem kurzen Sommerschläfchen. Dann machte er eine den Raum einfassende Handbewegung und neigte den Kopf. “Wie du siehst habe ich schon einiges vorbereitet. Es war gar nicht so leicht, alles herzuschaffen. Ich fühle mich immer noch erschöpft.” Ein Schatten huschte über das helle Gesicht, aber Eike beschäftigten ganz andere Dinge, so dass er, selbst wenn er gewollt hätte, was allerdings auch nicht der Fall war, kein größeres Mitleid mit dem Wesen empfinden konnte. “Was soll das alles?” Der Blonde stellte seinen Einkauf auf das Flurboard, immer noch nahe dem Kücheneingang. Homunculus sah nach dieser Frage fast empört aus. Wie Peter Pan, konfrontiert mit einem von diesen stumpfsinnigen Erwachsenen, hatte er die Hände in die Hüften gestemmt und die Brauen zusammen gezogen. “Bestandsaufnahme. Du hast es doch nicht schon wieder vergessen?” Das Wesen positionierte sich gegenüber Eike, eine spiralförmige Stange mit Schnur für den Stromanschluss in der Hand. “Wofür ist das?” Eike besah sich das Gerät. “Das ist ein Tauchsieder. Zum Wasser kochen.” Das Geschöpf wiegte den Kopf leicht nachdenklich von der einen Seite zur anderen, als überlege es, ob der Gegenstand brauchbar wäre, kurz ging sein Blick zu der Kochstelle. Es legte den Tauchsieder ins Chaos zurück, was genau das zu bedeuten hatte war unklar, denn vermutlich hätte Homunculus den Gegenstand - den er hervorgezerrt hatte - auch dann nicht an seinen Platz zurückgelegt, wenn er ihn nicht gebraucht hätte. “Wozu die Spirale am Ende? Um das Wasser zu erwärmen würde die Stange reichen.”, fragte es und sah zu ihm hinauf. Kurz schloss der Blonde die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf, “Ähm… keine Ahnung - vermutlich nicht.” Eike war die Situation suspekt und ihn beschlich wieder so ein seltsames Gefühl als Homunculus den Kopf schief legte und ihn musterte. “Sonderlich viel scheinst du nicht zu wissen. Eike?” Kam es ihm nur so vor oder hatte der Kleinere tatsächlich für einen Moment einen verächtlich bis amüsierten Zug um den Mund? Ärgerlich zog Eike die Brauen zusammen. “Ich gebe dir recht.”, herausfordernd ging er einen Schritt in die Küche auf das dunkle Geschöpf zu. “Und das würde ich gerne ändern. Was hat es mit dem Baby auf sich?” Homunculus hob eine Braue: “Welches Baby?” Eike schwieg und sah ihn weiter an. “Oh. Ach das Baby.” Homunculus hatte den Kopf gesenkt und die Arme gefaltet, als schien er zu überlegen und gleichzeitig in Abwehrhaltung zu gehen. Dann sah er wieder auf, seine Augen weit wie die Unschuld selbst und die Arme ausgebreitet. “Ich habe es mir ausgeborgt um ein wenig die Zeit zu ändern und Hugo davon abzuhalten dich aus dem Zeitverlauf zu streichen. Warum fragst du danach?” Es stimmte also: Homunculus hatte Herrn Eckarts Tochter mit der Dana, die er aus dem Cafe kannte, vertauscht. Wie eine böse Fee hatte er ein Menschenkind gestohlen, und ein anderes zurückgelassen. Es verschlug Eike die Sprache. Er fühlte sich jetzt, bei der Bestätigung dieser Sache noch betroffener, obwohl er es schon den ganzen Abend vermutet hatte. “Eike?”, machte Homunculus auf sich aufmerksam. Erschrocken wich der Blonde ins Hohlkreuz zurück, versuchte Abstand zu dem anderen zu bekommen ohne zurückzutreten. Was hatte Homunculus gesagt? Wegen ihm - um den Zeitfluss zu ändern!? War er letzten Endes mitverantwortlich? Hatte er das Unglück von seinem Freund und dessen Frau mit zu verschulden, weil dieses Wesen sich einbildete, dass sein Leben der Schlüssel zu seiner eigenen Erschaffung wäre? Entsetzt darüber, dass er Schuld daran haben sollte, forderte er endlich das ein, was er nie wieder hatte in den Händen halten wollen: “Gib mir das Digipad. Ich muss Margarete holen. Ich muss sie Herrn Eckart zurückbringen. Wenn sie das will.”, setzte er den letzten Satz verzögert nach. Einen kurzen Moment war es still im Raum, dann rührte sich Homunculus, zuckte die Schultern, hob dabei auf diese sonderbare Art und Weise die Arme, wie es nur ihm zu eigen war, und kramte das Digipad aus seiner Tasche. “Dann hol sie schnell, damit wir mit dem Trank beginnen können.” Eike griff nach dem Zeitreisegerät, noch etwas überrumpelt von seinem eigenen Vorhaben und der Problemlosigkeit, mit der das Wesen ihm das Gerät zur Verfügung stellte. Dann setzte er die Energie ein, die noch im Pad gespeichert war. Einen Bruchteil von Sekunden sah er noch die Küche und Homunculus, der sich der Küchenzeile zugewandt hatte, dann verschwammen die Dinge, wurden zu bunten Streifen, die einen Kanal aus Leuchtfäden zu bilden schienen, der ihn durch die Dunkelheit eines traumlosen Schlafs hindurch ins Jahr 1580 transportierte. 1580 “Vater ist nirgends zu finden!”, Margarete lief ratlos ums Haus. “Erst Mutter… und nun auch noch Vater. Hugo wird das nicht verstehen. Das wird schwer…” Sie hatte nachdenklich einen Finger an die Lippen gelegt, fragte sich gleichzeitig, während sie an ihren Bruder dachte, warum sie es so leicht nahm. Natürlich machte sie sich Sorgen, aber es ging ihr nicht so nah, wie man erwarten könnte. Vermutlich war sie einfach erwachsen genug, um notfalls auch ihren eigenen Weg zu gehen, während Hugo noch ein Kind war, und Eltern sowie deren Aufmerksamkeit brauchte. Er würde es kaum verkraften wenn seine Hoffnungen von seinem Vater bemerkt und beachtet zu werden jetzt daran scheiterten, dass dieser, nach seinen jahrelangen, erfolglosen Forschungen im Keller, verschwunden war. Margarete strich sich durch die Haare und seufzte leicht. Dann beschloss sie, zurück ins Haus zu gehen um mit ihrem Bruder Kriegsrat zu halten. “Hugo?”, rief sie im Haus, aber es kam keine Antwort. “Er muss noch im Keller sein.”, stellte sie fest. Sie raffte ihr Kleid um besser die Treppen hinunterzukommen und öffnete die Tür. Erstaunt nahm sie die Stimmen dreier Leute wahr. Zuerst dachte sie, ihr Vater wäre doch noch aufgetaucht, aber dort war nur ein fremder alter Mann auf der Treppe. Das verwirrte sie dermaßen, dass sie nicht mal mitbekam, dass dieser sie unwirsch aufforderte, aus dem Weg zu gehen. “Was ist denn…”, weiter kam sie nicht, denn er fuchtelte mit seiner Krücke vor ihr herum, was sie zurückschrecken ließ. Er wiederholte, sie solle aus dem Weg gehen und hob seinen Stock. ‚Gleich wird er mich schlagen!‘, dachte sie panisch, wusste jedoch nicht, wie sie auf der steilen Treppe schnell genug ausweichen sollte. Sie hob die Hände und schloss ängstlich für einen kurzen Moment die Augen, da hörte sie jemanden mit schnellen Schritten die Stufen hoch rennen. Sie öffnete die Augen wieder und sah wie Hugo den alten Mann ergriffen hatte um ihn von ihr wegzuziehen. Beide umgab ein seltsamer weißlicher Schein, der sich rasant strahlenförmig ausbreitete, um schließlich erneut zu schrumpfen und in einer weißen Lichtkugel, nur für wenige Momente sichtbar, aufzugehen. Die Treppe war plötzlich, bis auf die junge Frau, leer und es war seltsam still im Raum, als hätte man Jahrelang das Rauschen eines Meers gehört, welches mit einem Mal vertrocknet war. Margarete brach in sich zusammen, gerade noch fähig, nicht die Treppe hinab zu stürzen. Auf den Stufen sank sie gegen die Wand. Sie fühlte sich, als hätte jemand ihre Knochen gegen Blei getauscht und sie in eine wirbelnde Seifenblase gepackt. “Was…?“, murmelte sie, zu verwirrt, um überhaupt zu verstehen, was gerade vor sich gegangen war. Sie wusste nur, es war etwas Schreckliches. Von weit weit weg hörte sie jemanden ihren Namen rufen, aber ihr war schwarz vor Augen geworden, und so konnte sie nicht nachforschen, woher die Stimme kam. Wo war sie überhaupt? Und Hugo? Hugo… “Uh…” Schwärze “Margarete?” Jemand schüttelte sie. “Margarete.”, jetzt hörte sie es deutlicher und näher. Blinzelnd öffnete sie die Augenlider ein Stück. Dann noch ein Stück, und nach und nach klärte sich ihre Sicht. Die Hände, die sanft ihre Schultern gefasst hatten, gehörten dem Mann, dem sie in heimlichen Träumen in den schönsten Rosengärten begegnete, mit dem sie in ihrer Phantasie neugierig durch alle Zeiten reiste. War sie denn in einem dieser Träume? Sie streckte die Hand aus, um das blonde Haar zu berühren, das ihm ins Gesicht fiel und lächelte leicht. Dann umschattete sich ihr Lächeln jedoch, denn irgendetwas schien nicht in Ordnung. Da war dieser besorgte Blick in dem Gesicht des Zeitreisenden. Und sie fühlte kalten Stein in ihrem Rücken. Weißes Licht… ja, sie erinnerte sich an ein weißes Licht welches ihren Bruder und einen seltsamen alten Mann gepackt hatte, umschlungen hielt und von der Treppe raubte - nichts als Leere zurücklassend. Und einen Schrei, der nachhallte, leiser und leiser werdend. Verstört und mit bangem Gefühl im Magen sah sie sich um. Sie war im Keller des Hauses ihrer Familie, und Eike war da, so plötzlich aufgetaucht wie eh und je. „Hugo?” Sie setzte sich aufrecht hin. “Wo ist Hugo?” Ihr Blick schweifte erneut im Raum umher, obwohl sie nun schon wusste, dass sie ihn hier nicht finden würde. “Ähm…”, Eike ließ ihre Schultern los und sah sich beinahe genauso irritiert um, wie sie selbst. Dann strich er sich durch die Haare und schüttelte langsam den Kopf, tief einatmend und die Augen geschlossen, als müsse er sich sammeln. Margarete machte sich auf das Schlimmste gefasst. Sie sah ihn aus großen Augen an, normalerweise hätte sie seinen Anblick genossen, nun aber war sie in heller Sorge um ihren Bruder. Unsicher sah Eike sich noch mal in dem schon fast bekannten Labor um, reagierte nicht sofort auf Margarete, in deren Augen er die aufkeimende Panik erkennen konnte. Was nun? Wie sollte er dem Mädchen erklären, dass sie alles verloren hatte? Nein - nicht nur das, stellte der Blonde erschrocken fest, dass ihr bisheriges Leben eine Lüge gewesen war. “Margarete also…”, er tastete mit schwitzigen Fingern nach seiner Jackentasche - es war schier unmöglich, doch er glaubte den Brief, der sich eben in dieser befand, als bleiernes Gewicht zu spüren. Trocken und rau fühlte sich sein Hals an. ‘Was soll ich ihr nur sagen? WIE sagt man jemandem so etwas!?’, er wusste keine Lösung. ‘Rede einfach, rede einfach…’, versuchte Eike sich anzuspornen, ’Irgendwas ergibt sich schon…’ “Margarete, das was gerade passiert ist und das, was ich dir zu sagen habe ist nicht schön aber bitte -” “WO Ist Hugo!? Wo ist mein Bruder.”, schrie das braunhaarige Mädchen fast hysterisch mir weitaufgerissenen Augen und wollte sich aufrichten, sah sich mittlerweile panisch im Raum um. Er griff nach ihren Schultern und zog sie zurück auf die staubige Treppe, plötzlich brach alles aus ihm heraus: “Dein Bruder ist nicht mehr. Er ist eben sich selbst auf dieser Treppe begegnet und so was… darf nicht sein. Er hat sich aufgelöst als seine zwei Ichs miteinander verschmolzen! Und das hier ist nicht dein Leben Margarete!” “Was redest du denn da…?“, ängstlich rückte das Mädchen zurück, bis sie die Kante der oberen abgetretenen Treppenstufe in ihrem Rücken spürte. Ihre Gedanken rasten. Das war völliger Wahnsinn! Das konnte nicht sein - ES DURFTE nicht sein! “Lass mich los Eike -lass mich los! Ich muss ihn finden. Er hat sich nicht aufgelöst! Er hat sich nicht…”, sie sank kraftlos in sich zusammen, ihr Gesicht in den Händen vergraben wisperte sie fast nur noch. Unter dem dünnen roten Stoff zeichneten sich deutlich ihre schmalen bebenden Schultern ab. “Das kann nicht sein … nie … nie würde er mich alleine lassen… nie würde..”, flüsterte sie sich selbst zu und starrte ins Nichts, während sich ihre schmalen Finger zu Krallen formten und sich in den zarten Wangen vergruben. Keine Tränen netzten ihre Wangen - dafür war der Schock noch zu groß. Der blonde Mann war völlig überfordert. Eigentlich hatte er immer das Gefühl gehabt, dass die junge selbstbewusste Frau für ihn schwärmte, aber nun wich sie vor ihm zurück und wollte sich der, zugegeben für sie grausamen, Realität nicht stellen. Wieder tat er das erst Beste, was ihm einfiel, auch wenn er damit bisher nicht sonderlich gut gefahren war. Er nahm ihre Hände in seine. “Du tust dir nur weh Margarete bitte~”, mit sanfter Gewalt zog Eike sie in seine Arme. “Hör mich an. Ich weiß es ist viel verlangt, aber du musst dich jetzt zusammenreißen.”, etwas ungeschickt strich er ihr über den Schopf und sprach zu ihr wie zu einem verwundeten Straßenkätzchen. “Ich weiß, dass Hugo dir viel bedeutet, aber es bringt ihn nicht zurück wenn du jet..” ”Genau! genau! Eike eine Zeitreise”, begehrte sie auf und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Einen Hoffnungsschimmer sehend, griff sie nach dem, für sie seltsamen, grünen Kragen der Jacke, die Eike immer trug. Wieder spürte sie wie fremd er war. Der Stoff fühlte sich ganz anders an als die Stoffe, die sie kannte und das wo sie doch Schneiderin war. Dennoch war da ein Gefühl - es befiel sie immer in seiner Gegenwart: aufregend neu und doch Geborgenheit vermittelnd - fast wie Heimkehr. Doch sie schüttelte es ab wie ein Hund Wasser aus seinem Fell, das war jetzt nicht wichtig. Was zählte war nur ihr Bruder! Entschlossen sah sie in Eikes grüne Augen, er war ein Zeitreisender. Wer könnte Hugo noch zurückholen und das verhindern wenn nicht er? Natürlich ihr kleiner Bruder hatte sie oft genervt und sie mit seinem Schabernack manches Mal in Schwierigkeiten gebracht, aber er war auch der einzige, der ihr zugehört hatte. Hugo hatte sie von der ganzen Familie am besten verstanden und bei allen Differenzen waren sie immer füreinander da. Eben noch - sie hatte es doch gesehen! Als der alte Mann sie beiseite stoßen wollte, hatte Hugo ihn aufgehalten und nun war er fort. Einfach fort und sie war schuld! “Reise in der Zeit zurück und verhindere es Eike. Rette meinen Bruder bitte!”, langsam ließ sie den Kragen los, so dass ihre Hände nur noch auf seiner Brust lagen. Durch den Stoff spürte sie, wie schnell sein Herz schlug. “Das geht nicht Margarete.”, sagte er vorsichtig. “Was soll das heißen? Willst du ihm nicht helfen?”, empörte sich das Mädchen, mit Enttäuschung und Unglaube in den Augen. “Nein das ist es nicht. Aber die Energie reicht nur noch für eine Reise - für unsere Heimreise!”, jetzt nestelte er aufgeregt an einer Tasche herum und zog ein ungewöhnlich weißes Pergament hervor. Er streckte es ihr entgegen und sie erkannte einen Briefumschlag als sie sich darüber beugte. Ein paar Haarsträhnen lösten sich von ihrem Ohr und fielen nach vorne in ihr Gesicht. Eike streckte ihr den Brief entgegen, “Da nimm und lies ihn.” Unsicher griff sie danach und zog ihn an ihre Brust ohne ihn zu öffnen und zu lesen. “Ich verstehe nicht Eike … was … was soll das? Was meinst du mit unserer Heimreise?”, verwirrt sah sie ihn an. “Lies ihn. Dann wird sich alles klären.”, versprach ihr der junge Mann und versuchte sich an einem ermutigenden Lächeln. Skeptisch die Brauen zusammen ziehend sah sie auf das weiße Kuvert hinab und drehte den Brief in ihren Händen. Mit einem letzten, unsicheren Blick auf Eike faltete sie den Umschlag auf und entnahm ihm ein ebenso strahlend weißes Blatt. Der nun leere Umschlag rutschte in ihren Schoß und ihre Augen hefteten sich auf die ungewöhnliche blaue Tinte, die Buchstaben waren für sie schwer zu lesen. Dass der Brief mit Kuli geschrieben worden war, wusste sie nicht noch hätte sie es erkennen können - waren ihr diese Dinge aus Eikes Zeit doch völlig unbekannt. Sie vertraute darauf, dass Eike sich nicht belog. Eben dieser war froh ihr nun den Brief endlich gegeben zu haben und nicht mehr reden zu müssen. Er hoffte nur, dass der Professor was Ordentliches geschrieben hatte - tatsächlich hatte der Blonde nämlich keinen blassen Schimmer, was sein älterer Freund geschrieben hatte. Momentan hoffte er einfach nur, dass es mehr war als ein: ‘Tochter wir lieben dich, bitte komm heim.’ Vermutlich war es das auch nicht, oder zumindest nicht nur, denn das Blatt war beidseitig beschrieben und er konnte sehen wie sich beim Lesen Margaretes Augen weiteten und ihre Hände leicht zitterten. Er verbuchte das ganze einfach mal als gutes Zeichen, auch wenn er in der Magengegend ein ganz ungutes Gefühl hatte. Fast meinte er, ein Knistern der Luft zu spüren, als würde sich der Raum um die Brünette aufladen. Mittlerweile hatte sich eine steile Falte zwischen ihren Brauen gebildet und ihre Lippen waren zu einem schmalen fast blutleeren Strich zusammen gekniffen, als sie harsch das Blatt umdrehte und ihre Augen erneut geradezu über die Zeilen rasten. Schließlich als sie fertig war brach endlich der Damm. Die aufgestaute Angst um ihren Bruder der tot sein sollte, ihr verwüstetes Heim, das Fehlen ihrer Eltern - alles floss aus ihr heraus, strömte über ihre Wangen. Blind vor Tränen und schniefend stand sie mit einem Ruck auf und knüllte den Brief in ihrer Hand. Vor Schreck war Eike zurück gewichen und dabei schmerzhaft mit seinem Hintern zwei Treppenstufen hinunter gerutscht. Panisch griff er nach hinten um nicht durch den Schwung noch ganz die Treppe hinunter zu poltern. Das nächste was er bemerkte, war wie ihn etwas im Gesicht traf, aus Reflex schloss er die Augen. Es war nicht schmerzhaft gewesen anders als Margaretes Aufschrei der ihn noch die Ohren klingen ließ. Inzwischen hatte er absolut keine Ahnung mehr was hier lief, und als er die Augen öffnete, sah er den zerknüllten Brief auf seinen Bauch liegen - irgendwie hatte er sich das alles anders vorgestellt… “Warum? Warum erst jetzt!”, klagend und rau von dem schmerzlichen Aufschrei klang ihre Stimme nun und sie sah den Blonden nur verschwommen durch den Tränenschleier. Margarete drehte den Kopf zur Seite und schniefte, ihr war schwindlig und für einen Moment, als zöge man ihr den Boden unter den Füßen weg. Das war es also immer gewesen? Deswegen hatte sie sich immer fremd gefühlt. Darum hatte sie hier nie jemand wirklich begreifen können. Immer hatte sie mehr gewollt vom Leben. Hatte sich nie ganz anpassen und eingliedern können. Früher hatte sie angenommen, dass es an ihrer Familie lag - daran dass ihr Vater so ein Querkopf war ein Alchemist und auch ihr Bruder war immer anders. Aber nicht so wie sie. Es lag auf der Hand. Deswegen war sie von Eikes Zeit und dem jungen Mann selbst angetan. Deswegen hatte sie immer das Gefühl, mit ihm zu wollen - ihm zu folgen und hier alles zurück lassen zu können ohne eine Träne zu vergießen. Es war nicht ihre Familie, nicht ihre Zeit, ja nicht mal das Leben, das sie eigentlich hätte führen sollen. Aber machte sie das weniger zu der Tochter der Wagners? Weniger zu der Schwester von Hugo? Wer war es denn gewesen, der sie gesund gepflegt hatte wenn sie krank war? Wer hatte ihr Schlaflieder gesungen und ihr das Schneiderhandwerk beigebracht, wenn nicht die Frau, die sie immer als Mutter gesehen hatte? Wer hatte ihr hübsche Muscheln und Steine mitgebracht, wer war es, der ihr die Grundlagen der Medizin lehrte, wenn nicht der Mann, der sich so oft dieser Zeit in den Keller einschloss mit seiner Forschung? Mit wem war sie heimlich in den Keller gegangen, um dort zu spielen? Wer hatte ihren Ängsten und Hoffnungen zugehört? Mit wem hatte sie sich so oft gestritten und dennoch immer versöhnt, wer war fast immer an ihrer Seite gewesen und hatte akzeptiert wie sie war, wenn nicht ihr Bruder - der nun gar nicht mit ihr verwand sein sollte? Aber das änderte doch nichts? Dieser Brief machte sie doch nicht weniger zu ihrer Familie? Deswegen liebte sie Mutter, Hugo und Vater doch nicht weniger? Und ihr Leben, es war nicht immer alles toll, aber das gehörte doch alles zu ihr… Margarete hatte nicht bewusste gemerkt, wie sie sich in Eikes Arme geschmissen hatte auch nicht, dass sie ihn unentwegt beschuldigte, das alles seine Schuld sei und wie er es wagen konnte erst jetzt zu ihr zu kommen, jetzt wo das ihr Leben war. Doch es war nur noch ein Wispern von Schluchzen durchbrochen an seiner Brust. Er tätschelte ihre Schulter und lies sie gewähren. Klar er hatte es nicht gewusst, wenn er gekonnt hätte wäre er eher gekommen auch wenn das unmöglich war - aber mit einem hatte sie recht: Es war seine Schuld, nur wegen ihm hatte Homunkulus - dieses seltsame Wesen - die Babys vertauscht. “Es wird Zeit. Lass uns gehen, Margarete. Hier ist nichts mehr für dich.”, hauchte er ihr mitfühlend zu und spürte selbst etwas Feuchtigkeit in seinen Augen, aber er blinzelte sie weg. “Es tut mir leid - ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen. Aber wir können es jetzt richtig stellen. Komm mit.” Ein bitteres, ersticktes Lachen drang leise an sein Ohr, doch dann spürte er ein Nicken an seiner Brust und das genügte ihm. Eike richtete sich vorsichtig auf und zog Margarete mit sich hoch. Er holte das Digipad aus seiner Tasche und schlang einen Arm um die Taille der Brünette, als er es aktivierte. Margarete selbst fühlte sich mittlerweile zu schwach, um noch weiter zu weinen, sie wischte sich Augen und Nase mit dem blauen Ärmel ihres hübschen Kleides auf das sie immer so stolz gewesen war. Denn niemand trug so eins außer ihr, niemand hatte dieses Kleid akzeptiert - so wie sie … außer ihrer Familie. Und nun war alles eine Lüge. 2001 Eike wusste nicht recht, was in der jungen Frau vorging. Eigentlich hatte er gedacht sie würde sich freuen zu hören, dass sie mitkonnte. War sie doch immer so neugierig gewesen und wollte alles über seine Zeit erfahren. Er erinnerte sich auch an den Kamm, und der Erinnerung an einen Mann, von der sie erzählt hatte. Jetzt sah er ihr besorgt nach, wie sie mit Eckart und dessen Frau verschwand - eine komplette Familie? Die beiden hatten gestrahlt vor Glück und Tränen der Freude geweint, waren ihm so unglaublich dankbar und hatten geglaubt, dass auch Margaretes rote Wangen und tränennassen Augen von der Freude herrührten. “Hmm~”, seufzend schob er die Hände in die Taschen und drehte sich um, heimwärts wollte auch er gehen. Es war viel für sie gewesen aber Eike hoffte, dass es nun besser werden würde und dass sie durch ihre neuen und vor allem ‘echten’ Eltern und die ‘Wunder’ ihrer eigentlichen Zeit abgelenkt sein würde, über ihren Verlust und die schmerzlichen Erkenntnisse. In 3 Tagen wollte er sie besuchen kommen und sehen, wie es ihr ging. Das hatten sie vereinbart. Er wollte ihr die Bäckerei zeigen, von der er ihr vor ein paar Tagen, die sich wie Jahrhunderte anfühlten, eine Süßigkeit mitgebracht hatte. Der Blonde schüttelte betreten den Kopf - es war schon so viel passiert und dabei war es nicht einmal Mittag. Und als wäre das nicht genug, wusste er auch noch wer zuhause auf ihn wartete. Bei dem Gedanken sanken ihm glatt die Schultern in Resignation hinab. Er war vom Pech verfolgt und irgendwer da oben hasste ihn gewaltig. Anders konnte es sich Eike einfach nicht erklären. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)