Hidden Flowers III von june-flower (Die letzte Reise) ================================================================================ Kapitel 21: Das Erbe des verlorenen Dorfes ------------------------------------------ Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Hidden Flowers, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 114h Angesichts seines analytischen Verstandes und der Fähigkeit des methodischen Beobachtens, die er sich angeeignet hatte und die ihm anerzogen worden waren war es Shikamaru unmöglich, in den vor ihm liegenden Ruinen mehr zu sehen als das, was sie waren – nämlich Ruinen. Deshalb tat er, was er in solchen Fällen immer tat: Er lieh sich die Augen der Frau, die er liebte. Für Ino war die Welt so viel mehr als nur Informationen und Indizien. Ino sah die Welt in Farben, Schattierungen und Mustern, die ihm verwehrt blieben. Das Bild, welches sich ihr bot, war durch Empfindungen gefärbt und nicht analytisch korrekt. Aber manchmal war es alles, was er brauchte. Auf dem vor ihnen liegenden Felsplateau raschelte der Wind sanft durch das hüfthohe Gras. Abend senkte sich über die Welt und das Licht der untergehenden Sonne färbte die Umgebung golden. Die Mauer, welche das legendäre Dorf einst umgeben hatte, existierte nicht mehr, ihre Steine waren vom Wind und Wetter glattgeschliffen worden. Nur zwei Steinsäulen, die einstigen Träger des Tores, standen, zwei mahnend in den Himmel gereckte Finger. Zerfallende Häuser säumten den Dorfplatz und die Straßen, die längst von der Natur zurückerobert worden waren. Blinde Fenster, eingefallene Türöffnungen, zerborstene Wände – ein Dorf, nicht nur ohne Bewohner, sondern auch ohne sein Herz. Ein normales Dorf, in dem Menschen gelebt und Kinder gespielt hatten... Inos Emotionen verfärbten sich und verblassten. Dies war das Dorf der Akatsuki. Ein Dorf von Mördern, Verbrechern und Ausgestoßenen. Aber andererseits war es nur ein Dorf. Shikamaru lächelte, als Ino zu dem Entschluss kam. Und für ihre Heimat hätte sie Schlimmeres in Kauf genommen als eine Legende. Es war wie ein Traum. Dies war ihre Herkunft, ihr Ursprung – Yuka wusste, dass Hidden Flowers so viel mehr war als nur ein verlassenes Dorf. Jedes Versteckte Dorf hatte seine eigene Magie. Die von Konoha war ein Teil von ihr – die von Hidden Flowers jedoch ebenso... Sie schüttelte den Kopf und versuchte, das Gefühl abzuschütteln, dass etwas sie beobachtete. Jetzt war es wichtig die Mondblumen zu finden, jene legendären Pflanzen, die zu suchen sie hergekommen waren. Die letzte Hoffnung für ihre Heimat. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatten sie bei Nacht geblüht. Yuka sah zum Himmel hinauf. Langsam erschien der Mond. Unwillkürlich ging sie auf den Weg zurück, durch den sie in das Zentrum des Dorfes gekommen waren, und kehrte zum Tor zurück. Die grünen Ranken leuchteten silbrig. Ino-San, die ihr gefolgt war, atmete überrascht aus. „Unglaublich“, murmelte sie. „Blumen, die im Mondlicht blühen.“ Shikaru streckte die Hand aus. „Fass sie nicht an den Blüten an“, riet sein Vater. „Wer weiß, ob sie giftig sind...“ In dem Moment sprang Yuka vor und schlug seine Hand beiseite. „Nein!“ Es war keine rationale Handlung. Schlichter Instinkt ließen sie vorspringen und hatte zur Folge, dass Ino-San, Shikamaru-San und Shikaru sie verständnislos anstarrten – bis eine lange, dornige Ranke peitschend auf sie zukam und sich um ihren Arm wickelten statt um Shikarus. Kleine, spitze Dornen bohrten sich in ihren Unterarm. Yuka schrie. Erst kam der Schmerz, rot und glühend. Dann etwas anderes – Wissen. Die Informationen strömten auf sie ein – Geschichte, Informationen, Bilder und Gesichter. Sie sah Kriege, Seuchen, Kämpfe – Menschen, Kinder, Shinobi – und alles wurde überlagert vom Gesicht einer Frau mit schwarzen, langen Haaren und goldenen Augen. Und Yuka wusste ohne Zweifel, dass diese Frau ihre Mutter war. Die Frau lächelte liebevoll und küsste ihre Stirn, eine Berührung so sanft, dass sie sich anfühlte, als strichen Schmetterlingsflügel über ihre Stirn. Der Schmerz verflüchtigte sich. Die Dunkelheit floh. Willkommen, meine Tochter, sagte die Frau leise, und ihre Stimme wurde noch leiser, als sie sich entfernte. „Du hast dein Erbe empfangen.“ Ihr Lächeln war beinahe spürbar. „Wir sind stolz auf dich.“ Shikaru stieß einen erstickten Laut aus, als sich die Ranken um Yukas Arm schlossen. Dort, wo sich die Dornen in ihre Haut bohrten, traten Blutstropfen hervor und fielen in Zeitlupe zu Boden. Als er endlich seinen Blick von ihrem Arm losreißen konnte, sah er, dass ihre Augen geschlossen waren – und sie wankte und brach zusammen. Er fing sie auf, bevor sie den Boden erreichte. „Yuka!“ Seine Mutter hatte bereits reagiert. Sie kniete neben ihm und fühlte nach Yukas Puls. „Zu schnell“, murmelte sie und streckte eine Hand aus, um nach den Ranken zu greifen, die sich langsam – als hätten sie ein Eigenleben – an ihrem Arm hochkrochen. „Nein!“, rief sein Vater lauf aus und packte ihr Handgelenk, ehe sie die Ranken berühren konnte. Überrascht starrte Ino ihn an und sah die Furcht in seinen Augen. Schnell wandte sie sich wieder dem Mädchen zu. „Yukatsuki!“, rief sie leise und fühlte ihre Stirn. „Yuka!“ Das Mädchen rührte sich nicht. „Was ist das?“, fragte Shikaru angsterfüllt und starrte seine Mutter an. „Was passiert hier?“ „Ich weiß es nicht“, sagte die Ärztin grimmig und legte ein Ohr auf Yukas Brust, um ihren Herzschlag zu hören. Ihr Gesicht wurde, wenn möglich, noch besorgter. Shikaru sah gerade rechtzeitig von seiner Mutter auf, um zu sehen, wie Yukas Gesicht sich zu einer Grimasse verzog und schrie. Es war ein wortloser Schrei – ein Schrei ohne Wut, ohne Angst, nur voll Schmerz. Er wurde langsam lauter, schwoll an, und verstummte dann abrupt. Shikaru standen die Haare zu Berge. „Was ist mit ihr?“, rief er panisch und sah seine Mutter flehend an. „Das Ding tut ihr weh!“ Er versuchte, nach der Ranke zu greifen, aber diesmal hielt seine Mutter seinen Arm fest – und sie war stark. „Nicht“, sagte sie grimmig. „Das Ding ist voll Gift.“ „Gift?“ Seine Stimme klang zwei Oktaven höher. Die Nacht war unnatürlich still nach Yukas Aufschrei. Wütend packte er das Erste, was ihm in die Hände fiel – Yukas Regenjacke – und umfasste damit die Ranken, biss die Zähne zusammen und riss die Ranke ab. Wieder ertönte ein Schrei – und er starrte fassungslos auf ihren Arm, zerkratzt und blutig von den Dornen, die sich anscheinend in ihre Haut gegraben hatten wie Finger. Einige Dornen steckten noch immer in ihrer Haut wie hässliche Fangzähne. Inos Hand fiel zurück zum Puls. „Verdammt“, murmelte sie und schloss die Augen, um Chakra zu sammeln. „Was ist los?“, fragte Shikaru angsterfüllt und starrte seinen Vater an. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck schüttelte der den Kopf, obwohl er eine recht gute Vorstellung hatte, was seine Frau gerade tat. Yukas Körper bäumte sich auf. Ino presste eine Hand auf ihr Herz und benutzte die andere, um sie am Boden zu halten. „Das Gift ist stark“, sagte sie mit geschlossenen Augen und fokussierte ihr Chakra. Sie sah nicht, wie Shikamaru plötzlich nach dem Handgelenk des Kindes griff, aber sie spürte es. Dann fror er ein. „Oh-oh“, sagte er leise. „Was?“, fragte sie besorgt, als Shikaru sich ebenfalls herüberlehnte und tief Luft holte. „Mum“, sagte er mit kleiner Stimme. Sie öffnete die Augen: Eine dicke, schwarze Linie zog sich unter der Haut den Arm hinauf, wuchs, während sie hinsah, noch weiter. „Blutvergiftung?“, fragte sie ungläubig. „Das kann nicht sein!“, fauchte Shikaru und sah sie an. „Das ist viel zu schnell! Sie hat doch gerade erst...“ „Sei still!“, herrschte sie ihn an und verzog vor Konzentration das Gesicht. „Ich muss mich konzentrieren!“ „Yuka!“, flüsterte er beschwörend. „Halt durch! Ich schwöre dir, wenn du es wagst zu sterben...“ Keine Antwort. Verzweifelt beugte er sich hinab und küsste sie, aber ihre Lippen blieben so kalt und reglos wie ihr Gesicht. Die blaurote Linie, die sich ihren Arm entlang zog, hatte beinahe ihre Schulter erreicht. Krämpfe schüttelten ihren Körper. „Du musst etwas tun!“, schrie er seine Mutter an. „Sie hat uns immer geholfen! Jetzt hilf ihr!“ „Beherrsche dich!“, fuhr Shikamaru seinen Sohn an. „Siehst du nicht, dass sie alles tut, was in ihrer Macht steht? Mehr kannst du nicht verlangen!“ Shikaru war der Erste, der den Blick abwandte. Verzweiflung und Angst im Herzen, packte er Yukas Hand und fühlte ihren Puls. Schwach. Immer schwächer. „Nein“, quetschte er hervor. „Nein! So darf es nicht...“ Nach endlos langer Zeit öffnete Ino schließlich die Augen und erwiderte Shikamarus besorgten Blick direkt. Tief seufzte sie auf und liess die Schultern fallen. Ihre Hände fielen zu ihren Seiten. „Ich konnte nicht mehr helfen.“ „Was...“, fragte Shikaru und sah sie an, am Rande der Panik. „Nein! Sie ist nicht...“ Ino lächelte. „Nein. Sie ist nicht tot. Sie hat es selbst geschafft.“ Das nächste, was Yuka wahrnahm, war ein warmer Körper an ihrem. Sie öffnete mühsam die Augen – und erschrak, weil sie nichts sehen konnte. Dann gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht des Mondes und an das Licht der Lampe, die Shikamaru-San hielt, und sah in zwei Augenpaare: Ein leuchtend blaues, amüsiertes, und ein braunes, reserviertes Paar. Ino und Shikamaru sahen wortlos zu, wie Shikaru Yuka umarmte, als hinge sein Leben davon ab. „Shikaru“, sagte sie heiser. Ihre Kehle war rau und schmerzte. „Shikaru. Du kannst mich loslassen – ich bin in Ordnung.“ „Beweise das“, knurrte er in ihr Haar. Die Leichtigkeit, die in ihr Aufstieg, war so groß, das sie leise lachte. Wie denn, wenn du mich beinahe erdrückst?“ Er liess sie los und betrachtete sie von oben bis unten. Sein Blick blieb an ihrem Arm hängen. „Was...“ Verwundert sah sie auf ihren rechten Oberarm. Shikaru packte ihr Handgelenk und fuhr mit einer Hand vorsichtig über das Muster: Dort, wo die Ranken sich in ihre Haut gekrallt hatten, waren keine Wunden mehr zu sehen – nur rote Narben längst verheilter Schnitte. In Form einer Blume. „Oh“, sagte Ino-San ehrfürchtig und beugte sich hinüber, um sich das Muster genauer anzusehen. Shikaru und sein Vater schwiegen. Yuka zog den Ärmel ihres T-Shirts so weit herunter, wie es ging – ihr neues „Tatoo“ verdeckte es dennoch nicht – und schloss kurz die Augen. Die Erinnerungen waren da, in ihrem Kopf, weit entfernt, aber da. Wenn sie sie brauchte, würden sie da sein. „Das Heilmittel“, sagte sie und stand auf. Shikaru liess die Hand auf ihrem Arm, als wolle er sie stützen. Sie sah ihn an, eine Braue hochgezogen – und schuldbewusst liess er seine Hand sinken, nahm stattdessen ihre. Damit war sie einverstanden. „Was ist damit?“, fragte Ino-San und richtete sich ebenfalls auf. „Es sind die Blumen.“ „Das wussten wir schon“, sagte Shikamaru-San mit hochgezogenen Brauen. Yuka lächelte. „Und ich weiß jetzt, wie man es herstellt.“ Dieses Mal liessen sich die Blumen ohne Gegenwehr pflücken. * * * Ende des Kapitels * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)