Hidden Flowers III von june-flower (Die letzte Reise) ================================================================================ Kapitel 20: Am Abgrund ---------------------- Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Ebene, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 98h Es schüttete wie aus Eimern. Ungehindert brach die Gewalt der Natur über die Erde herein. Zwei starke, feste Arme schlossen sich um Yukas Taille und bremsten ihren Fall abrupt aus. „Verdammt“, fluchte Shikaru halblaut. Yuka drehte den Kopf und sah hinunter in die bodenlose Schlucht. Vorsichtig tastete sie mit ihren Füßen nach Halt, doch alles, was sie berührte, war loses Geröll und kleine Steine, die abbrachen und in den Abrgund hinunterstürzten. „Halt still“, knurrte Shikaru und sie machte sich steif und bohrte die Fingernägel in ihre Handfläche. Er zog sie hoch. Langsam und vorsichtig, um den Boden möglichst wenig zu belasten, Stück für Stück – und dann, in einer letzten Kraftanstrengung, war sie oben und er packte sie, zog sie an sich und rollte sich vom Abgrund weg, so weit es ging. Schließlich lagen sie still da, beide schwer atmend, und bewegten sich nicht. Und dann fing Shikaru an, sie auszuschimpfen – ohne sie loszulassen. „Hast du völlig den Verstand verloren?“, fuhr er sie an. „Was hast du dir dabei gedacht? In der Dunkelheit einfach loszurennen, ohne dich darum zu kümmern, wo du bist – hat dir der Regen das Gehirn aufgeweicht?“ Yuka öffnete den Mund, um zu antworten, und stellte fest, dass das Adrenalin versiegt war und dass sie, wenn sie versuchte, etwas zu erklären, nur zu weinen beginnen würde. Also schloss sie ihn wieder und fing stattdessen an zu zittern. Sofort wurde Shikarus Stimme sanft und er zog sie fester an sich. „Shhh. Es ist okay. Alles in Ordnung.“ Weil eben nichts in Ordnung war, kamen die Tränen. „Du kannst mich loslassen“, flüsterte sie schließlich heiser. Shikaru schüttelte den Kopf, eine Bewegung, die durch sie hindurchvibrierte, weil er sein Gesicht in ihren Haaren vergraben hatte. Als er sich weigerte, versuchte sie, sich selbst zu befreien. „Kannst du nicht noch ein bisschen stillhalten, damit ich dich etwas fragen kann?“, beschwerte er sich, seine Stimme noch immer gedämpft von ihrem Haar. Können? Natürlich konnte sie stillhalten. Und gerade, weil sie es wollte – sie wollte ewig so liegenbleiben, sich einfach festhalten lassen, seinen Herzschlag spüren und seine Nähe – versuchte sie, sich loszumachen. „Kannst du mich das nicht fragen, während du mich ansiehst?“ „Nein, denn dann rennst du nur wieder weg. Okay. Was ist los mit dir?“ Sie versteifte sich. „Was soll los sein?“ „Du gehst mir aus dem Weg, ich merke das doch. Habe ich etwas Falsches getan oder gesagt?“ „Was? Du?“ Unwillkürlich musste sie lachen, aber es war kein fröhlicher Klang. „Wenn hier irgendwer einen Fehler gemacht hat, bin ich es doch wohl. Durch meine Schuld ist Ino-San entführt worden. Mein Fehler hat dich dazu gezwungen, die Befehle des Hokage zu missachten. Nach allem, was passiert ist, fragst du mich tatsächlich, ob du etwas falsch gemacht hast?“ Er schwieg verdutzt. Sie rührte sich nicht, wartete verzweifelt auf seine Antwort. „Und du glaubst, ich wäre wütend auf dich deshalb?“ „Wie klug du doch bist. Und Gedanken lesen kannst du auch.“ Er lachte. Ein tiefes, befreites Lachen. „Spar dir deinen Spott, Yuka. Wie kommst du nur auf so etwas? Jeder macht einmal Fehler, jedem passiert einmal etwas, mit dem er nicht gerechnet hat. Warum sollte ich dir deshalb Vorwürfe machen?“ „Würdest du genauso mit mir reden, wenn deine Mutter tot wäre, weil ich sie habe gehen lassen?“ „Ich...“ „Siehst du?“ „Himmel, Yuka. Es ist aber nichts passiert. Das ist es, was zählt. Aber wenn du noch einmal versuchst, dich eine Klippe hinabzustürzen, dann...“ Yuka schluckte und musste feststellen, dass es nun viel leichter ging als zuvor. Und dass ihr Herz immernoch raste, hatte nichts damit zu tun, dass sie Angst vor Shikarus Reaktion hatte. Die Nähe zu Shikaru verursachte ein Schwindelgefühl in ihrem Kopf und ein merkwürdiges Ziehen in ihrer Magengegend, und selbst wenn er sie losgelassen hätte, sie hätte nicht weglaufen können. Ihre Knie waren butterweich. Irgendwann seufzte Shikaru leise und erhob sich in eine halbwegs sitzende Position. „Wir gehen besser langsam zurück.“ Yuka hockte sich auf ihre Knie und begutachtete, um ihn nicht ansehen zu müssen, den Zustand ihrer Kleidung. Er war nicht erwähnenswert – weil furchtbar nass und schmutzig. Ihr Top klebte ihr am Körper und Wasser lief ihr aus den Haaren. Sie spürte Shikarus Blick auf sich und hob trotzig den Kopf – und errötete so sehr, dass sie den Kopf schnell wieder sinken liess. Aber eine Hand schob sich unter ihr Kinn und zwang sie dazu, ihn anzusehen. Und dann küsste er sie. Am nächsten Tag machten sie sich daran, den Abgrund zu durchqueren. Die Kluft war nicht so tief, wie sie in der Nacht zuvor erschienen war, und dennoch schauderten sowohl Yuka als auch Shikaru bei dem Gedanken daran, was geschehen wäre, hätte Shikaru sie nicht rechtzeitig festgehalten. Ino-San und Shikamaru-San schienen nichts zu bemerken, was Yuka merkwürdig fand, denn es war unmöglich zu übersehen, dass sie jedes Mal, wenn Shikaru sie ansah, rot anlief, oder er sie jedes Mal, wenn es ihm möglich war, kurz berührte. Als müsse er sich davon überzeugen, dass sie noch da war. Doch der Abstieg verlangte vollständige Konzentration von ihnen allen, besonders, weil der Boden noch immer weich und matschig vom nächtlichen Regenguss war und weil immer wieder Geröll und Steine auf sie hinabregneten. Als Shikamaru-San das dritte Mal eine kleine Lawine lostrat, die seiner unter ihm befindlichen Frau auf den Kopf hagelten, liess sie ihn schwören, mit ihr in Urlaub zu fahren – irgendwo hin, wo es weder eine Steppe noch Klippen gab. „Die Klippe muss durch ein Erdbeben entstanden sein“, überlegte Shikaru leise. „Als wir vor zwei Jahren hier waren, war sie nirgends zu sehen.“ Es schien Ewigkeiten zu dauern, doch irgendwann waren sie unten. Shikamaru-San sah sich stirnrunzelnd um. „Shikaru und ich suchen die beste Stelle für einen Aufstieg“, entschied er. „Ich gehe nach links, du nach Rechts. Ihr beiden...“ Er warf Ino-San und Yuka einen kurzen Blick zu, „Bleibt hier und ruht euch aus.“ „Als ob wir Ruhe bräuchten, die aber nicht“, grummelte Ino-San, liess sich auf einen Stein sinken und sah ihrem Sohn hinterher. Yuka beschattete die Augen und sah nach oben. Die Ränder der Klippe standen scharf gegen das einfallende Sonnenlicht heraus. Ino legte den Kopf in den Nacken und lehnte sich an die raue Felswand. Merkwürdig. Seit einigen Tagen schien den die Schmerzen und die Übelkeit weitgehend verschwunden zu sein. Sie hatte seit Beginn ihrer Reise nach Hidden Flowers kaum noch Schwächegefühle verspürt, doch nun kroch die Müdigkeit in ihr hoch. Sie versuchte ihre angespannten Schultern zu lockern und erreichte nur, dass ihr schwindlig wurde. „Yukatsuki“, sagte sie leise. Yuka hörte ihren Namen und fuhr herum. Die Ärztin war leichenblass. Eine Sekunde lang starrten sie sich an, dann lächelte Ino-San gequält und kippte zur Seite weg. Hart schlug ihr Körper auf dem matschigen Boden auf. Als sie die Augen wieder aufschlug, starrte sie direkt in Shikamarus Gesicht. Sie versuchte zu lächeln, als sei nichts geschehen. „Guten Morgen.“ Sein Gesicht verzog sich nicht, aber seine Augen waren schwarz. Ein schlechtes Zeichen. „Alles in Ordnung?“ Noch mehr Fragen als gewöhnlich klangen in dieser schlichten Frage mit. „Ja. Lass mich los, Shikamaru. Sitzen kann ich alleine.“ Er nahm seinen Arm weg, stand auf, machte ein paar Schritte, kehrte zurück, liess sich neben sie auf den Boden sinken und sah sie durchdringend an. „Hinata hat mir deine Scans gezeigt, Ino. Warum in Herrgottsnamen hast du dich für diese Mission zur Verfügung gestellt – dich auch noch freiwillig gemeldet? Wolltest du dich umbringen?“ „He“, antwortete sie zurückhaltend. „Du warst doch derjenige mit der nie endenden Loyalität und dem Dienst für das eigene Dorf.“ „Ich versuche, mich nicht umzubringen, denn tot hat niemand etwas von meiner Loyalität und meiner Verantwortung.“ „Ich bin ja auch vorsichtig.“ „Das sehe ich nicht.“ Er fuhr sich durch die Haare, eine Geste, die ihr so vertraut war, dass sie weinen wollte. „Ino“, sagte er schließlich leise. „Stirb nicht vor mir, ja?“ Sie sah ihn an. „Dann müssen wir schon gleichzeitig sterben, Shika, denn wage es dich, vor mir zu sterben.“ Und dann kam Shikaru zurück und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. „Ist es nicht unglaublich?“, fragte Shikaru mit glänzenden Augen. Unglaublich – das war tatsächlich das beste Wort dafür. Inmitten der Landschaft der rot-grauen Felsenschlucht fand sich ein kleines Paradies: Ein kleiner Wasserfall tröpfelte munter den Hang hinunter, sammelte sich am Fuß in einem kleinen, kreisrunden Trichter und versickerte im Boden. Und ringsherum um den natürlichen Seewuchs grünes Moos – durchsetzt von winzigen, violetten Blüten. Der Duft von Pflanzen und Wasser war überwältigend und süß. Niemand sagte ein Wort. Ino-San kniete sich neben das Wasserbecken und schöpfte eine Handvoll heraus. Es war eiskalt und kristallklar. „Es ist wunderschön“, sagte Yuka leise. Shikaru stand so dicht hinter ihr, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. „Ich dachte mir, dass es dir gefallen würde.“ Shikamaru-San blieb praktisch wie immer: Er betrachtete die Felswand. „Hier kommt man tatsächlich gut hinauf.“ Er warf einen Blick zurück. „Beginnen wir den Aufstieg.“ „Na also“, keuchte Ino Stunden später und streckte eine Hand aus, um Shikamaru das letzte Stück hinaufzuhelfen. Dann band sie sich von dem Seil los und sah sich um: Shikaru und Yukatsuki standen einige Meter hinter ihnen, beide den Blick auf etwas gerichtet, was sie von hier aus nicht erkennen konnte. Shikamaru atmete nicht einmal schwer – wie machte er das? „Ist es noch weit?“, fragte Ino und begann, das Seil zusammenzurollen. „Nein“, sagten zwei Stimmen gleichzeitig. Shikamaru trat zu seinem Sohn und sah in die selbe Richtung. „Aha.“ „Was?“, fragte Ino und ging ebenfalls hinüber. Da sah sie es selbst. „Sagt bloß...“ „Ja“, flüsterte Yukatsuki. In der Stimme des Kindes klangen Freude, Erwartung, Hoffnung und Furcht gleichermaßen mit. „Das ist Hidden Flowers.“ * * * Ende des Kapitels * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)