Spiegelverkehrt von Ur (Liebes Tagebuch, ...) ================================================================================ Kapitel 6: Ignoranzreaktionen ----------------------------- Leon mutiert bald zum Alkoholiker, wenn er so weiter macht. Immerhin hat diese Geschichte eine Moral: Versuche nicht, deine Gefühle durch Alkohol zu ertränken *hüstel* Danke für eure Kommentare :) Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen! ____________________________ Die nächsten zwei Bandproben verpasste er absichtlich. Er reagierte nicht auf Laras Anrufe, redete nur kurz mit Nicci, die ihm versprach, ihn bei den Anderen zu entschuldigen. Ansonsten blieb er in seinem Zimmer, schaute sinnlose Sendungen im Fernsehen und komponierte Lieder, die allesamt entweder zu aggressiv oder zu deprimierend waren, als dass sie ihm hätten weiterhelfen können. Er trank anständigerweise erst einmal keinen Alkohol mehr. Nicci hatte mit unerbittlicher Miene alle Alkoholflaschen aus seinem Schrank entfernt, doch Leon hatte nach seinem letzten Solo- Saufgelagere ohnehin erst einmal genug davon. Während all der Zeit las er seinen letzten Tagebucheintrag immer und immer wieder durch. Ich bin in dich verliebt. Nur um sicherzugehen, dass er nicht wieder durchdrehte und irgendwelche Mädchen aufriss, deren Gestöhne ihm Kopfschmerzen bereitete, schrieb er diesen Satz immer wieder, seitenweise. Er kam sich relativ peinlich dabei vor, aber niemand außer ihm las diesen Schund und demnach war es völlig egal, welche abstrusen Liebesgeständnisse er in seinem Tagebuch verfasste. Zwei Tage – und zwei Bandproben – später, griff er zum Telefon und wählte Niccis Nummer. »Ja?«, meldete sich die Stimme seiner besten Freundin am anderen Ende. »Hey… hier ist Leon«, gab er zurück. »Hi Leo. Alles ok bei dir?«, wollte Nicci wissen und ihre Stimme klang besorgt. »Ja…also…nein, eigentlich nicht…ich meine… kannst du herkommen?« »Ja sicher. Ich fahr gleich los!« »Danke. Bis gleich!« Er schwor sich, auch immer sofort loszufahren, falls Nicci ihm jemals von ihrem Liebeskummer erzählen wollte. Allerdings hatte er bisher noch nie etwas aus dieser Richtung von Nicci gehört. Komisch, dass er als Erster mit so einem Müll anfing. Dabei war Nicci doch viel…gefühlvoller als er. Er räumte provisorisch sein Zimmer auf, auch wenn er wusste, dass es Nicci nicht störte, wenn es unordentlich war. Als es schließlich klingelte, öffnete er die Tür und begrüßte Nicci mit der üblichen Umarmung »Also, was gibt’s?«, erkundigte sich Nicci und warf sich in den Sessel, in dem sie immer saß, wenn sie Leon besuchte. Leon ließ sich unterdessen aufs Sofa sinken und starrte eine Weile lang sein Knie an. Dann hob er den Blick und wagte es, Nicci anzusehen, die gespannt in seinem Sessel saß und ihn aufmerksam musterte. »Ähm…«, begann er und hatte das Gefühl, jetzt schon rot anzulaufen, obwohl er noch gar nichts gesagt hatte. »Es ist…sozusagen…ich…du…Felix…«, stammelte er vor sich hin, ohne die Worte wirklich über die Lippen zu bringen, die er eigentlich hatte sagen wollen, nämlich: Ich bin in Felix verliebt. Doch zu seiner größten Überraschung lächelte Nicci und wedelte mit der Hand. »Willst du mir sagen, dass du in Felix verliebt bist und wissen willst, wie du ihm das am besten sagst?« Stille trat ein. Ihm wurde so heiß, dass er sich sicher war, sein Gesicht müsste rot glühen. »Ähm…also…woher…weißt du das?«, fragte er lahm und verschränkte die Arme vor der Brust. Seit wann war es so schwer, seine beste Freundin anzusehen? »Seit immer eigentlich. Aber ich dachte mir, du musst es selbst raus finden. Hätte ja keinen Sinn gemacht, wenn ich es dir sage und du mir ohnehin nicht glaubst«, gab Nicci lächelnd zurück. Seit immer? Leon seufzte und fuhr sich durch sein blondes Haar. Wahrscheinlich hatte Nicci es schon Ewigkeiten gewusst, bevor er, Leon, es selbst gewusst hatte. Plötzlich kam er sich bescheuert vor, weil es ihm nie aufgefallen war. »Ok…aber sagen kann ich es ihm nicht«, meinte er schließlich kleinlaut und Nicci hob die Augenbrauen. Sie strich sich ihre langen Haare aus dem Gesicht und lehnte sich ein Stück in Leons Sessel nach hinten. »Wieso?« Leon starrte sie an. »Ich bitte dich! Er hasst mich!« Da waren sie, die drei Worte, die ihm immer wieder durch den Kopf gegangen waren. Er hasst mich. Jedes Mal, wenn er sie dachte, hatte er das Gefühl, sein Herz wolle sich selbst in der Mitte durchreißen. Er hasste dieses Gefühl, ebenso wie die Sehnsucht nach Felix. Nicci seufzte, als wäre Leon ein hoffnungsloser Fall und schüttelte den Kopf. »Red keinen Unsinn. Natürlich hasst er dich nicht«, entgegnete Nicci. Leon wollte ihr glauben, aber die Blicke, die Felix ihm zuwarf und die Art, wie er mit ihm redete… Leon mochte ein Holzhammer sein, was die Gefühle anderer Leute anging, aber er war sich sehr sicher, dass diese Blicke von Felix keine glühende Zuneigung bekundeten. »Woher willst du das wissen?«, fragte er matt und legte sich rücklings auf seine Couch, um an die Decke zu starren. »Ich weiß es halt. Erst gestern, als du nicht bei der Bandprobe warst, hat er gefragt, wo du bist«, erzählte Nicci und Leons Kopf drehte sich, um sie anzusehen. »Ach ja?«, gab er ungläubig zurück. »Ja«, bekräftigte Nicci, »und als ich ihm gesagt habe, dass du dich im Moment nicht so auf dem Damm fühlst, da sah er richtig betreten aus. Als würde er sich Sorgen machen!« Wenn Nicci solche Analysen stellte, dann waren die doch sicherlich zutreffend… Oder…? Er schluckte und sah wieder zur Decke. »Wenn du meinst«, gab er zurück, denn er wollte Nicci nicht sagen, dass sein Herz bei diesen Worten wie verrückt zu hämmern begonnen hatte. Es reichte schon, dass Nicci so viel über sein Gefühlsleben wusste. »Du solltest es ihm einfach sagen. Ganz direkt«, erklärte Nicci sachlich, so als wäre dies das einfachste auf der Welt. Leon starrte sie an und schnaubte. »Hör mal, ich konnte mich ja kaum dazu durchringen, es dir zu sagen. Was glaubst du wohl, was passiert, wenn ich vor ihm stehe und versuche, diese lächerlichen fünf Worte auszusprechen?« Nicci seufzte. »Dann gib ihm dein Tagebuch!« Leons Augen weiteten sich, dann tippte er sich gegen die Stirn. »Also ehrlich…weißt du, was da drin steht? Das ist total peinlich, das kann ich ihm nicht geben!« Nicci grummelte leise. Sie war selten verstimmt, aber im Moment schien Leon ihre Nerven wirklich zu strapazieren. »Aber irgendwann musst du doch die Karten mal offen auf den Tisch legen! Einfach mal die Wahrheit sagen! Das würde eurer Beziehung sicherlich nicht schaden!« »Welche Beziehung?«, fragte Leon und klang dabei so kläglich, dass er sich selbst auf die Zunge beißen wollte. »Leo… ihr mögt euch. Ihr seid Freunde, ihr seid Bandkollegen und du bist verdammt noch mal in ihn verliebt. Hast du nicht den Wunsch, es ihm zu sagen? Glaubst du nicht, dass es dir danach besser gehen würde?« Einen Moment lang sah Leon seine beste Freundin schweigend an. Ob es ihm dann besser gehen würde? Wohl kaum, denn dann hätte er sich vor Felix völlig bloßgestellt. »Bevor ich mich erleichtert fühlen kann, hat er mich entweder ausgelacht oder zu Kleinholz verarbeitet«, murmelte er. Nicci seufzte erneut. »Du solltest mit ihm darüber reden«, wiederholte sie eindringlich, »ich bin sicher, dass es euch beiden sehr gut tun würde!« Leon betrachtete immer noch seine Decke, dann drehte er schließlich den Kopf herum und sah Nicci einen Moment lang schweigend an. »Auf der Party wollte ich mich mit Christian prügeln«, sagte er. Nicci brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Das hab ich mir gedacht. Dein Gesichtsausdruck war mörderisch, ich hab eigentlich erwartet, dass du dich an Ort und Stelle auf ihn stürzt…« Leon lachte matt. Die Vorstellung, wie sauer Felix erst gewesen wäre, wenn er das getan hätte… darüber wollte er gar nicht nachdenken. Vermutlich hätte er Leon allein mit seinen schneidenden Blicken umgebracht und nie wieder ein Wort mit ihm geredet. Ein furchtbarer Gedanke. »Als ich mit ihm draußen war, hat er sich bloß ’ne Kippe angesteckt und dann meinte er, dass ich doch auf Felix fliege und er mir drei Monate gibt, damit ich es ihm beichten kann. Sonst würde er ihn doch noch flachlegen«, fuhr Leon fort und Niccis Augenbrauen hoben sich ein Stück. Sie wirkte einigermaßen verdattert. »Er weiß es? Und er gibt dir drei Monate? Ich hab grad keine Ahnung, was ich davon halten soll«, meinte sie verdutzt und spielte nachdenklich an ihrem Unterlippenpiercing herum. »Ich weiß es auch nicht. Vor allem, seit ich weiß, dass er Felix einen geblasen hat«, sagte Leon düster und allein bei dem Gedanken daran wurde ihm schlecht vor Wut. Nicci seufzte schon wieder. Scheinbar war das alles dermaßen kompliziert, dass sie kaum umhin konnte, ihre Resignation mitzuteilen. »Ehrlich, ich hatte das Gefühl, Felix wollte, dass du es hörst. Wir haben vorher über was ganz anderes geredet, bis du die Treppe runtergepoltert kamst«, sagte sie nachdenklich. Leon hatte keine Ahnung, was er darüber denken oder was er darauf sagen sollte. Niemand wusste, was in Felix’ Hirnwindungen Kompliziertes vor sich ging. Leon war sich sogar ziemlich sicher, dass er es gar nicht wissen wollte. »Und mit Christian drüber reden, woher er das weiß, willst du wohl nicht, was?«, fragte Nicci. Leon schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Weile lang schwiegen sie und Leon hing seinen Gedanken nach. »Wollen wir was zu essen bestellen und uns vor die Playstation hauen?«, fragte er schließlich. Er hatte keine Lust mehr, sich über Felix zu unterhalten. Sein Körper fühlte sich immer noch taub an, angesichts der Gewissheit, dass Felix stinksauer auf ihn war und ihn nicht mehr Noel nannte. Wie sehr konnte dieser Gefühlsscheiß sein Leben eigentlich noch ruinieren? Wenn all dieses Chaos bis zu den ersten Klausuren nicht vorbei ging, dann würde er durch jede Prüfung fallen. Es sei denn natürlich – und bei diesem Gedanken schnaubte er innerlich und sehr wütend – er konnte Christians Deadline einhalten. Und das war mehr als unwahrscheinlich. »Gute Idee. Ich will was vom Mexikaner«, sagte Nicci, stand auf und grinste Leon an. Leon brachte ebenfalls ein Grinsen zustande und folgte Nicci hinunter ins Haus, um ihr Essen zu organisieren. Ich hab es Nicci erzählt und sie meint, ich soll mit dir darüber reden. Aber ich kann dir das nicht sagen. Ich… hab Schiss vor der Antwort… Am nächsten Tag konnte er sich nicht mehr vor der Bandprobe drücken. Also ging er am frühen Nachmittag zum Jugendzentrum Auf halbem Weg die Treppe hinunter hörte er Schritte nach oben kommen und er hob den Kopf, um zu sehen, wer ihm entgegen kam. Sein Herz überschlug sich, als er Felix’ Haarschopf erkannte, doch der Brünette sah ihn nur kurz an, dann wandte er den Blick ab und stapfte an ihm vorbei die Treppe hinauf. Felix hatte nicht sauer ausgesehen. Er hatte ihn nicht angeschnauzt. Keine Standpauke? Nichts? Nur… eiskalte Ignoranz. Leon schloss einen Moment lang die Augen, dann setzte er seinen Weg die Treppe hinunter fort, bis er den Proberaum betrat und Nicci und Lara begrüßte. Felix für sich gewinnen? Das war ein Wunschtraum. Ein Wunschtraum, der ohnehin niemals in Erfüllung gehen würde. In den nächsten zwei Wochen änderte sich nichts. Felix redete nicht mehr mit ihm. Überhaupt nicht mehr. Er nannte ihn auch nicht mehr Leon, wenn er mit Nicci und Lara über ihn sprach, er sprach dann lediglich über ‚den Bass’. Felix ignorierte ihn vollkommen und Leon war sich nicht sicher, wie lange er das noch ertragen konnte, ohne vollkommen durchzudrehen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Felix ihn angebrüllt hätte. Denn dann hätte er ihn wenigstens angesehen. Aber nein… nichts. Ab und an bin ich der Versuchung erlegen, einfach zu deiner Wohnung zu gehen und dich dazu zu zwingen, mit mir zu reden… aber ich glaube nicht, dass das funktionieren würde. Du würdest mir sicherlich einfach die Tür vor der Nase zuschlagen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dann nicht irgendeinen Scheiß anstellen würde. Zum Beispiel deine Tür einzutreten… Und dann bist du wieder nur noch mehr sauer auf mich. Nein danke… Wie immer, wenn Leon mit Dingen überfordert war, tat er das einzige, was er konnte: Alkohol konsumieren und das Problem ertränken. Es kam ihm gerade recht, dass vier seiner Mitstudenten ihn schon früh morgens in ihre WG einluden, um zu frühstücken und dabei ein paar Bier zu trinken. Dass Lara an Leons Frühschoppen- Tag noch kurzfristig eine Bandprobe ansetzte, störte ihn nicht sonderlich. Er traf sich schon früh mit René und den anderen, ohne gefrühstückt zu haben. Er hatte schon lange genug ohne Alkohol gelebt – ganze drei Wochen – und so konnte er sich heute Morgen guten Gewissens einen hinter die Birne kippen. Bisher hatte er jedes Kampftrinken überstanden, ohne sich danach zu übergeben. Während sie sich über allen möglichen und unmöglichen Nonsens unterhielten, bemerkte Leon schon ziemlich früh, dass er angetrunken war. Kein gutes Zeichen, denn bis zur Bandprobe waren es noch zwei Stunden. Eine Stunde später war Leon sternhageldicht, René legte ihm nahe, nach Hause zu gehen, doch Leon beschloss benebelt, dass er unbedingt noch zur Bandprobe gehen und Felix ordentlich die Meinung geigen wollte… ein Unterfangen, welches fast schon daran scheiterte, dass er sich auf halber Strecke verlief und mehrere Passanten ungläubig zusahen, wie er leise fluchend – und dabei stark lallend – den Weg zurück torkelte. Ihm war extrem schlecht, als er eine Viertelstunde später am Jugendzentrum ankam und er wusste auch nicht recht, wie er es überhaupt bis in den Keller schaffte, ohne die Treppe hinunter zu fallen… allerdings machte ihn der Anblick von Lara und Timo, wie sie da knutschend inmitten des Proberaums standen, rasend. Hatte sich eigentlich die ganze Welt gegen ihn verschworen? Ein verdammtes knutschendes Pärchen demonstrierte ihm, wie einfach es wäre, wenn er nur nicht so ein Vollidiot wäre, aber das besserte seine Laune keinesfalls. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, donnerte er seine Faust gegen den Einbauschrank neben der Tür, woraufhin dieser merklich knackte und Lara und Timo auseinander stoben. »Was ist denn in dich gefahren?«, japste Timo und sah ihn völlig verwirrt und erschrocken an. Wenn er nur gerade stehen könnte…wäre das alles einfacher… Nicci war nicht da und irgendwie war er froh darüber. Genauso wie über den Umstand, dass auch Felix nicht da war, obwohl er ihm gerade noch eine Standpauke hatte halten wollen. Alles um ihn herum drehte sich. Sein nächster Tritt traf den Kleiderständer hinter der Tür und Timo kam hastig zu ihm herüber, um ihn festzuhalten, während Lara ihr Handy hervorholte. »Leo, du bist besoffen«, stellte Timo trocken fest, während er dem Bassisten die Arme auf dem Rücken zusammen hielt. Leon wankte und hatte nicht übel Lust, Timo eine zu verpassen, doch ihm wurde noch schlechter. Wie durch einen Nebel hörte er Laras Stimme. »Hey Nicci, tut mir Leid, dass ich störe… Aber Leon ist total besoffen und er zerlegt uns grad den halben Proberaum!« Dann wandte sie sich an Leon und drückte ihm das Handy in die Hand. »Nicci will dich sprechen«, sagte sie. Leon griff nach dem Handy und hielt es sich ans Ohr. »Hallo…«, lallte er. »Leo? Hier ist Nicci!« Beim Klang von Niccis Stimme wurde sein Widerstand gegen Timos Griff schwächer, bis Laras Freund ihn schließlich losließ und Leon zwei Schritte in den Raum hinein wankte. »Ich kann immer noch stehen«, informierte er Nicci undeutlich. »Du bist mein Held«, gab Nicci zurück und Leon schnaubte, während er blinzelnd versuchte, den Proberaum davon abzuhalten, sich zu drehen. »Machst du dich lustig?«, lallte er und war schon drauf und dran, wieder aufzulegen. »Nein, ich mache mich nicht lustig.« »Ich war Frühschoppen bei René und so…«, erklärte er seiner besten Freundin, die leise seufzte. »Sitzt du, oder stehst du?«, wollte Nicci wissen. Leon schüttelte den Kopf und bemühte sich, einen halbwegs geraden Stand zu wahren, allerdings wankte er immer noch bedenklich auf der Stelle, während Timo und Lara ihn mit hochgezogenen Brauen musterten. »Ich steh…« »Dann setz dich hin«, wies Nicci ihn an und Leon machte zwei Schritte nach vorne und fasste sich an den Kopf. »Nicci…es dreht sich alles…«, murmelte er. »Ja, das kann ich mir vorstellen, aber das hört sicher gleich auf.« »Mir ist schlecht…« »Hinsetzen!« Hinter ihm hörte er ein Klappern und als er sich aufs Sofa fallen ließ, stand Lara mit einem Eimer vor ihm. Leon wedelte mit der Hand, um ihr zu bedeuten, dass er sicherlich keinen Eimer brauchte. »Und jetzt nimm den Eimer, den Lara dir hinhält«, sagte Nicci, als könnte sie genau sehen, was hier vor sich ging. Leon grummelte. Mädchen konnten scheinbar Gedanken lesen und da Lara und Nicci beste Freundinnen waren… sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Wodka gefüllt. »Ich muss nicht kotzen«, lallte er entrüstet. Herrgott war ihm schlecht… Wenn dieses Drehen doch nur aufhören würde… »Natürlich musst du nicht kotzen, nur vorsichtshalber…«, sagte Nicci behutsam und Leon griff nach dem Eimer. Keine Sekunde zu früh. Sein Magen stülpte sich um und er erbrach sich heftig in den quietschgelben Plastikeimer. Lara nahm ihm nach einiger Zeit, während sich sein hauptsächlich flüssiger Mageninhalt in den Eimer entleerte, das Handy aus der Hand. »Er kotzt sich die Seele aus dem Leib«, erklärte Lara. »Ja… mach ich, aber wir wollten eigentlich proben!« Stille. Leon hasste es, zu kotzen… »Gut…dann sehen wir uns später, bis dann«, sagte Lara und drückte dem röchelnden Leon das Handy in die Hand. Immerhin war ihm jetzt nicht mehr schlecht, dachte Leon verschwommen, während er sich das Handy ans Ohr hielt. Lara drückte ihm ein Glas Leitungswasser in die freie Hand und ging dann mit Timo hinaus. »Ich mag kein Wasser…«, nuschelte Leon in den Hörer. »Trink aus«, meinte Nicci sanft und Leon betrachtete das Getränk misstrauisch. Niccis Stimme beruhigte ihn irgendwie. »Ist da kein Alkohol drin?«, murmelte er. Man konnte ja nie wissen. »Nein, da ist kein Alkohol drin…« »Wartest du kurz?« »Ja…ich warte!« Leon spülte sich den Mund aus, spuckte in den Eimer und trank den Rest des Glases wie geheißen leer. »Fertig…«, erklärte er. »Also…Frühschoppen mit René, ja? Du hast doch noch nie gekotzt, wie kommt es, dass du heute musstest?« Leon seufzte leise. »Hatte kein Frühstück. Außerdem redet Felix nicht mehr mit mir und ich wollte mir die Birne zuknallen…«, gab er lallend zu und lehnte sich zurück. Er war müde. »Oh…«, sagte Nicci und dann schwieg sie einen Moment. »Und du glaubst, dich halb ins Koma zu saufen, hilft dir dabei, Felix zu bekommen? Wohl kaum! Leg dich auf die Couch und mach die Augen zu. Wir reden später weiter…«, sagte Nicci und Leon seufzte erneut. Bei Niccis Worten hatte sich ein Kloß in seinem Hals gebildet und er legte sich auf die Couch mit dem Gesicht zur Lehne und schloss die Augen. »Nicci…er hasst mich…«, nuschelte er heiser. »Nein… tut er nicht. Und jetzt mach die Augen zu und schlaf gut.« Leon drückte auf den roten Hörer, ließ das Handy einfach neben sich aufs Sofa sinken und es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)