Spiegelverkehrt von Ur (Liebes Tagebuch, ...) ================================================================================ Kapitel 5: Konkurrenzkampf -------------------------- So! Abgesehen von ein paar wenigen Absätzen ist das Kapitel komplett neu geschrieben, deswegen hat es auch ein wenig länger gedauert ;) Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und bedanke mich an dieser Stelle mal wieder für all die lieben Kommentare und die Favoriteneinträge! Liebe Grüße, ________________________________ Es wird einfach nicht besser. Ganz im Gegenteil, ich hab das Gefühl, dass es immer schlimmer wird. Das macht mich wahnsinnig… Scheiße, wie krieg ich diese beknackten Gefühle weg? Jedes Mal, wenn ich dich angucke, fängt mein Herz an wie irre zu klopfen. Ich sterb sicher bald an nem Herzinfarkt, wenn das nicht aufhört. Und ständig dieses bekloppte Lampenfieber-Gefühl im Bauch. Wenn du mich mal berührst, dann ist das immer, als würde ich Fahrstuhl fahren oder im Flugzeug sitzen… Ich hasse dieses Gefühl. Gestern Abend saß ich doch tatsächlich im Wohnzimmer und hab mir gedacht, wie das wäre, wenn du hier wärst. Ich werd sentimental. Das ist zum Kotzen. Bin dann auch besser gleich ins Bett gegangen, diese Gefühlsduselei ist nicht auszuhalten! Leon klappte sein Tagebuch zu und warf es achtlos auf den Boden vor seinem Bett. Ja, es war viel schlimmer geworden. Im letzten Monat hatte sich jeder Moment, den er mit Felix allein verbrachte, als echte Zerreißprobe seiner Nerven entpuppt. Wenn Felix ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern legte, musste Leon sich zusammenreißen, um ihn nicht an die nächste Wand zu drücken und verlangend zu küssen. Jeder Blick auf Felix’ Mund war ihm zu viel. Jedes Lachen löste ein derartiges Fallgefühl in seinem Magen aus, dass er sich oftmals hinsetzte, als würde es besser werden… aber es wurde einfach nicht besser. Jedes Gespräch mit Felix, wenn sie allein waren, brachte ihn zum Lächeln, Rotwerden oder gar zum Lachen. Und Felix sagte, er würde sein Lachen mögen… Ein Grund mehr, es nicht mehr in seiner Gegenwart zu tun! Felix war öfter vorbei gekommen als früher, sie hatten zusammen gegessen, Playstation gespielt, irgendwelchen Schwachsinn gemacht, wie zum Beispiel sich über den Balkon zu lehnen und zu testen, wer weiter spucken konnte. Bei Felix machte es ihm nichts aus, ein wenig lockerer zu sein und nicht ständig sein Macho- Gehabe aufrecht zu erhalten. Aber all diese Tatsachen störten ihn! Es störte ihn, dass es ihn nicht störte, dass Felix ihn besser kannte, als er sich selbst. Aber was er auch probierte, nichts klappte. Nicci hatte ihm das prophezeit. Weil sie sich mit all diesem Gefühlskram viel besser auskannte als er, hatte er sie um Rat gefragt. Aber sie hatte ihm nur gesagt, dass es dagegen kein Rezept gäbe und er schlicht nichts machen konnte. Leon hasste es, nichts zu können. Er hatte auf einigen Partys mit verschiedenen Mädchen rumgemacht. Ein paar davon hatten es auch in sein Bett geschafft. Alle drei hatten sich am nächsten Morgen durch die Hintertür und den Garten schleichen müssen, weil Leon nicht wollte, dass seine Eltern etwas davon mitbekamen. Zu seinem Entsetzen war er nach allen drei Malen morgens mit Kopfschmerzen aufgewacht. Aber das konnte im Leben nicht an dem Stöhnen der Mädchen gelegen haben! Das wäre ja noch schöner. Immerhin sah sich Leon in seinen Beharrungen bestätigt, dass er eindeutig nicht schwul war. Es war mehr so, als wäre er vollkommen auf Felix fixiert. Als wäre er richtiggehend von ihm besessen. Meine Welt steht Kopf, wenn ich dich anfass. Egal, ob ich nun zufällig deinen Arm streife, oder wenn wir uns zur Begrüßung die Hand geben. Es fühlt sich jedes Mal an wie ein beschissener, elektrischer Schlag! Herrgott noch mal, so was hatte ich noch nie! Felix schienen Berührungen kein bisschen auszumachen. Ganz im Gegenteil. Es wirkte fast so, als wäre er ziemlich erpicht darauf, Leon so oft wie möglich zu berühren und – natürlich – seinen selbst erdachten Spitznamen zu benutzen. Leon ertappte sich dabei, dass er sich beknackterweise schon an Noel gewöhnt hatte. Er vergaß manchmal, sich darüber zu ärgern, wenn Felix ihn so nannte und er reagierte automatisch, wenn Felix ihn so rief. Manchmal war sich Leon sicher, Felix dann kaum merklich aber triumphierend lächeln zu sehen. Am liebsten würde er Felix den Hals umdrehen. Andererseits konnte er nicht garantieren, dass er sich nicht auf seinen Bandkollegen stürzen würde, wenn seine Hände sich auf Felix’ nackten Hals legten. Es war ein Teufelskreis. Mittwochs auf eine Party zu gehen, war keine gute Idee, es sei dann, man war Student. Und Leon und der Rest seiner Band waren von Lara auf eine Party eingeladen worden, die von einer ihrer Freundinnen veranstaltet wurde. Leon ging gern aus, allerdings war er sich nicht so sicher, ob eine Party mit Felix gut für seine Laune war. Trotzdem stand er abends um halb zehn vor Niccis Haustür und klingelte. Sie hatten sich verabredet, gemeinsam zu Tanja – Laras Freundin – zu gehen und sich dort mit Lara und Felix zu treffen. Leon hatte sich ziemlich in Schale geschmissen und seiner Meinung nach sah er sehr gut aus. Nicci trug einen kurzen Rock mit Strumpfhose und Stiefeln, sie war kaum geschminkt und hatte sich zwei Zöpfe geflochten. »Siehst gut aus«, sagte Leon grinsend. Nicci grinste zurück. »Du auch«, erwiderte sie und hakte sich bei ihm unter. »Ich weiß«, gab er breit feixend zurück und sie lachte, ehe sie sich den Weg die Straße hinunter machten. Das Haus war riesig und es war bereits voll mit lachenden, trinkenden und rauchenden Menschen, die sich in beinahe jedem Raum des Hauses herumdrückten. Es wirkte fast so, als hätte Laras Freundin die halbe Uni eingeladen. Felix und Lara warteten neben der Haustür auf sie. Sie saßen auf der Treppe, die ins erste Stockwerk führte und unterhielten sich. Leon stockte einen Moment lang der Atem, als er Felix sah. Er trug ein blaues Hemd und eine schwarze Jeans und irgendwie sah er noch besser aus als normalerweise. Wenn das überhaupt möglich war. Die Begrüßung warf ihn wieder einmal in ein wahres Gefühlschaos, da sein ganzer Körper wie wild zu kribbeln begann, als er Felix die Hand reichte. Lara umarmte ihn grinsend und ging im nächsten Moment schon an ihre klingelndes Handy. Vermutlich war es Timo, der sich mit seinem miserablen Orientierungssinn auf dem Weg zur Party verlaufen hatte. »Bier?«, fragte Felix gut gelaunt an Leon und Nicci gewandt. Die beiden nickten und schoben sich an der telefonierenden Lara vorbei in Richtung Küche, aus der lautes Gelächter drang. »Das ist Tanja«, flüsterte Nicci ihnen zu und deutete auf ein rothaariges Mädchen mit großem Ausschnitt und spitzer Nase, die – umringt von vier Jungs – gerade eine offenbar besonders witzige Anekdote erzählte. »Hübscher Vorbau«, sagte Leon grinsend und kassierte einen amüsierten Blick von Nicci. Felix schwieg zu Leons Bemerkung und steuerte direkt den Kühlschrank an, der, als sie ihn öffneten, von oben bis unten voll mit Alkohol war. »So mag ich das!«, sagte Leon zufrieden schmunzelnd, zog sich ein Bier aus einem der Fächer und auch Nicci und Felix griffen jeweils nach einer Flasche. Der Abend hatte sehr viel versprechend begonnen. Allerdings endete Leons gute Laune schlagartig, als fünf Leute das Wohnzimmer betraten, in dem er mit Lara, Timo, Nicci und Felix in einer Ecke saß und Erdnüsse futterte. Leon lachte gerade über einen Witz, den Lara erzählt hatte – er saß neben Felix und ignorierte so gut es ging jeden angenehmen Schauer, der ihn durchfuhr, wenn seine und Felix’ Schulter sich berührten – als er ihn sah. Sein Lachen fror ein und all die gute Laune sickerte durch den Fußboden direkt in den Keller. Auf Felix’ Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus und er winkte. Christian bemerkte ihn, grinste ebenfalls und kam mit großen Schritten hinüber zu ihnen, wobei er umsichtig nicht auf einen schwarzhaarigen Kerl trat, der offenbar bereits genug getrunken hatte und sich nicht mehr rührte. »Felix«, sagte er feixend und schlug in Felix’ dargebotene Hand ein. »Wie geht’s dir, ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist«, erwiderte Felix immer noch blendend gelaunt, ließ sich wieder neben Leon nieder und klopfte mit der Hand neben sich auf den Fußboden. Leon wollte schon lauthals ‚Nein!’ schreien, aber er zwang sich, die Klappe zu halten und trank sein Bier in einem Schluck. Wenn es nur dabei geblieben wäre, dass Christian neben Felix saß und sich mit ihm unterhielt, dann wäre vielleicht alles noch in Ordnung. Aber dabei blieb es nicht. Es entging Leon nicht, dass Christian ständig näher zu Felix hinüber rutschte, bis schließlich seine Hand auf Felix’ Knie landete. Leons Hände ballten sich zu Fäusten. Er wusste noch sehr genau, was das letzte Mal passiert war, als er die Beherrschung verloren hatte. Aber als Christian sich auch noch zu Felix hinüber lehnte – offensichtlich um ihn zu küssen – beugte Leon sich ruckartig vor und schubste Christian ein Stück zurück. »Kannst du deine Hormone nicht mal unter Kontrolle halten?«, schnauzte er den anderen an, der zunächst verwundert und dann amüsiert aussah. Felix jedoch schien zu brodeln. »Wollen wir das nicht draußen regeln?«, erkundigte sich Christian beiläufig, bevor Felix etwas sagen konnte und Leon stand auf. Sein Blut kochte. »Nichts lieber als das«, knurrte er und stapfte Christian voraus zur Tür. Er spürte überdeutlich, dass Felix ihnen nachstarrte, aber er wollte in diesem Moment nichts lieber, als sich mit Christian zu prügeln. Als sie draußen im Garten angekommen waren, erinnerte sich Leon daran, was Nicci gesagt hatte. Dass Christian Kickboxer war. Aber was machte das schon? Und was machte es schon, dass Christian über zehn Zentimeter größer war als er, besser gebaut und … was sollten diese beknackten Gedanken? Man konnte meinen, dass er Minderwertigkeitskomplexe entwickelte! »Ich hab einen Deal für dich«, sagte Christian und steckte sich eine Zigarette an. Leon war vollkommen perplex. Er hatte bereits die Fäuste geballt und sich bereit gemacht, Christian die Nase zu brechen. Und jetzt steckte sich der Vollidiot eine Zigarette an! Nahm er ihn denn gar nicht ernst? »Wovon sprichst du?«, knurrte Leon ungehalten. Christian grinste und zog an der Zigarette. »Du fliegst doch auf Felix, oder? Ich geb dir drei Monate, um das mit ihm zu klären. Wenn du’s bis dahin nicht schaffst, dann leg ich ihn flach«, erklärte er trocken. Leon starrte ihn an. Seine Hände entspannten sich und jeder Muskel schien zu erschlaffen. Woher um alles in der Welt wusste Christian, dass Leon auf Felix stand? »Was zum-« Christian fuhr sich durch die Haare und wandte sich schon wieder ab. »Wenn dir was an ihm liegt und du nicht willst, dass er mit mir in die Kiste steigt, dann halt dich ran.« Und mit diesen Worten verschwand er wieder zurück ins Haus. Leon blieb zurück und versuchte diese Informationen zu verarbeiten. Drei Monate? Wenn er nicht wollte, dass Felix mit Christian in die Kiste stieg? Gerade wollte er dem anderen nachstürmen, um ihn doch noch zu verprügeln, da öffnete sich die Tür und Felix steckte den Kopf heraus. Einen Moment lang wollte Leons Herz sich vor Freude überschlagen, dass Felix Leons Gegenwart der von Christian vorzog. Aber dann sackte ihm das Herz zwischen die Kniekehlen, als er Felix’ kühle Miene sah. »Wenn du mir und Christian noch einmal dazwischen funkst, dann kannst du was erleben. Kümmer’ dich um deinen eigenen Scheiß, Leon!« Und dann war er schon wieder verschwunden und Leon hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen wegsackte. Wieso um alles in der Welt fühlt es sich so scheiße an, von dir ‚Leon’ genannt zu werden? VERDAMMT! Es ist, als würde ich darauf warten, dass du vor meiner Tür auftauchst und mich wieder ‚Noel’ nennst. Weil du der einzige verfluchte Mensch bist, der mich so nennen darf… Ich würd am liebsten irgendwas kaputt schlagen. Nach der Szene ist die Party echt gelaufen für mich. Nicci war zwar traurig, aber ich bin trotzdem nach Hause gegangen. Ich bin sauer auf mich selbst. Warum gehen diese Gefühle denn nicht einfach weg, sondern werden immer schlimmer? Und wieso will ich deine Stimme hören, die ‚Noel’ sagt? Und warum zum Teufel wünsche ich mir, du wärst hier und alles wäre in Ordnung? Was soll das für ein beschissenes Gefühl sein? Wenn ich jetzt Nicci anrufen würde und ihr das Gefühl erkläre, was würde sie sagen? Ich kann’s mir fast denken. Ich hör ihr Seufzen in meinem Ohr und dann so was wie ‚Ich weiß, dass du das sicher nicht hören willst, Leo. Aber… ich glaub du vermisst ihn!’ NA TOLL! Scheiße! Ich vermisse dich? Hallo? Was soll der Mist? Ich hab noch nie etwas vermisst… höchstens mal als Kind meine Ma oder so’n Scheiß. Aber du bist nicht meine Ma und ich bin kein Kind mehr. Ich HASSE das alles… Und was will der dämliche Gorilla eigentlich von mir? Drei Monate? Als wäre das ein Wettbewerb! Und was weiß der schon? Nichts weiß er! Er legte den Kopf auf das noch aufgeschlagene Tagebuch und schloss die Augen. Was nun? Selbst wenn er bei Felix anrief, um sich zu entschuldigen… wofür sollte er sich entschuldigen? ‚Hey, tut mir Leid, dass ich Christian zusammen schlagen wollte, weil er fast mit dir rumgemacht hat. Hatte nichts zu bedeuten!’ Sehr witzig… oder… ‚Eigentlich wollte ich das gar nicht…’ So ein Schwachsinn. Er wusste einfach nicht… wieso es Felix überhaupt sauer gemacht hatte. Wieso war Felix sauer, wenn Leon sauer war, weil er fast mit Christian rummachte? Gut, er hatte Christian verprügeln wollen, aber dazu war es nicht gekommen. Wenn er es doch nur verstehen könnte… irgendetwas… argh… wenn er doch nur nicht so ein Holzhammer ohne Einfühlungsvermögen wäre! Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, mehr wie Nicci zu sein. Nicci hätte das sicherlich verstanden. Er könnte Nicci anrufen und sie einfach fragen… aber dann musste er zugeben, dass er eifersüchtig war, weil Felix mit Christian hatte knutschen wollen. Und das wollte er nicht. Leon hob den Kopf wieder, klappte das Tagebuch zu und verstaute es in seinem Schreibtisch. Einen Moment lang stand er unschlüssig in seinem Zimmer, versuchte, nicht allzu sehr an Felix zu denken – was ihm grandios misslang – und ging schließlich in die Küche, um sich etwas Essbares zu suchen. Zwei Tage später war Bandprobe. Er hatte vom vorigen Abend einen ziemlichen Kater, weil er mit einigen Kommilitonen um die Häuser gezogen war, um sich Felix aus den Gedanken zu trinken. Natürlich hatte es nicht funktioniert, wie alles, was er versucht hatte, um Felix nicht mehr so anziehend zu finden. Sein Kopf brummte wie verrückt und seine Laune war unter den Gefrierpunkt gefallen. Es fing auch alles nicht sonderlich viel versprechend an, da, kaum war er in den Proberaum getreten, ihn Nicci und Lara losgeschickt hatten, um neue Glühbirnen für die Deckenleuchte zu besorgen. Das an sich wäre sicherlich kein Problem gewesen… dass ihm dann in der Abstellkammer oben im Billardzimmer auch noch ein Berg an alten Ordnern, Pinseln und Seidentüchern auf den ohnehin schmerzenden Kopf fiel, das setzte alledem die Krone auf und ihm war klar, dass dies eindeutig nicht sein bester Tag werden würde. Als er dann zurück zum Proberaum kam und schon von draußen Felix’ Stimme hörte, die ihm ein unbeschreibliches Kribbeln im Bauch bescherte, sank seine Laune – sofern das möglich war – noch ein wenig weiter. »…kann ziemlich gut blasen.« Leon erstarrte vor der Tür, die Glühbirnen in der einen Hand und ein merkwürdiges Rauschen im Kopf. Es gab nur einen Menschen, über den Felix da reden konnte. Und das war Christian. Leon spürte, wie sich sein Inneres gleichzeitig taub und unsagbar aufgewühlt anfühlte. Er riss die Tür auf, schmiss die Glühbirnen auf das zerschlissene Sofa und schnappte sich seine Basstasche. »Hab Kopfschmerzen, ihr müsst ohne mich proben«, raunzte er, ohne Felix anzusehen. »Leo…?«, fragte Nicci behutsam, aber er hörte nicht auf sie, sondern wandte sich abrupt um und stürmte aus dem Proberaum. Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und… Christian…! Drei Monate? Und bis dahin durfte der Gorilla sich alles leisten? Es war zum Kotzen! Wenn ich ihn das nächste Mal in die Finger bekomme, dann reiße ich ihm jede Gliedmaße einzeln heraus. Ich werd ihn so zurichten, dass nicht mal mehr seine Mutter ihn erkennt. Ich hasse ihn! Wieso lässt er nicht seine Finger von dir? Wieso lässt nicht einfach alle Welt die Finger von dir… An dieser Stelle hielt er inne und blinzelte. Es war so klar und deutlich, dass er kaum noch seine Kopfschmerzen fühlte. Ich will, dass du mir gehörst… Ja… er wollte nicht, dass andere Männer Felix berührten. Er wollte… mit Felix… sein Gehirn schien unmöglich langsam zu denken, als bereitete es ihm Qualen, solche Dinge zu denken… Ich will… mit dir zusammen sein… Seine Finger zitterten. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, schien alles in ihm doppelt so stark wehzutun wie vorher. Scheiße… ich bin… Er konnte nicht weiter schreiben. Die Worte wollten nicht aufs Papier… wenn er sie aufschrieb, dann musste er sie sich eingestehen, vor sich selbst und irgendwie auch vor Felix, denn Felix war es, an den das hier alles adressiert war, auch wenn der Gitarrist es wohl niemals lesen würde. …in dich… verliebt… In einen Mann. In Felix. Das erste Mal in seinem Leben. Sein Herz hämmerte bei diesem Gedanken. Er hatte oft Filme gesehen, Bücher gelesen… in denen die Rede davon war. Kein Lampenfieber… Kribbeln im Bauch. Herzklopfen. Das alles kam ihm so kitschig vor, dass es einfach nicht zu ihm gehören konnte. Aber es war da. Dieses unerträgliche Gefühl der Eifersucht angesichts der Tatsache, dass Felix mit Christian mehr als nur Küsse tauschte. Dass Felix es ihm praktisch auf einem Silbertablett servierte, so als wäre es ihm völlig gleich, was Leon davon hielt. Er brauchte dringend etwas zu trinken. Eine Menge Alkohol, um all diese Erkenntnisse zu ertränken. Er war verliebt. Er wollte Felix für sich allein. Er wollte mit Felix zusammen sein. Verdammt… Das Tagebuch blieb offen auf dem Bett liegen, als er aufstand, hinüber zu einem seiner Schränke ging und nach dem Rest an Alkohol kramte, der immer irgendwo in seinem Zimmer herumflog. Sein Kopf hämmerte noch aufgrund des Katers von gestern, aber das war ihm egal. Er brauchte eindeutig harten Alkohol. Irgendetwas, von dem er nicht viel trinken musste. Wodka. Wunderbar. »Scheiße…«, murmelte er ständig leise vor sich hin. Verliebt sein, das war nichts für ihn. Das passte nicht zu ihm. Und schon gar nicht, wenn es um einen anderen Mann ging… Er war froh, dass seine Eltern nicht zu Hause waren. Sie hatten sich an diesem Wochenende die Zeit für einen Ausflug an die Ostsee genommen und Leon hatte nichts dagegen. Bereits eine halbe Stunde später war er kaum noch in der Lage, selbstständig zu gehen. Er saß auf der Treppe, die von seinem Dachboden hinunter in den Rest des Hauses führte, die Knie angezogen und den Kopf darauf gelegt. Alles um ihn herum drehte sich. Beinahe war es zu erwarten gewesen, dass der Alkohol ihm nicht weiterhelfen würde. Aber trotzdem… Als es an der Tür klingelte, machte sein Herz einen unangenehm großen Hüpfer. Was wenn… Aber nein… Mit Müh und Not rappelte er sich auf und schaffte es ohne Bruchlandung die Treppe hinunter bis zur Haustür. Dort angekommen drückte er auf den Knopf neben der Freisprechanlage, dann öffnete er die Tür und ließ sich zurück auf den Boden sinken, da auf dem Boden die Gefahr nicht allzu groß war, umzufallen. »Leo…«, murmelte Niccis Stimme neben ihm und er hörte einen Moment später die Haustür wieder zufallen. »Hey… wie viel hast du getrunken?«, fragte Nicci. Er sah auf und bemühte sich, Niccis Gesicht klar zu erkennen. Es misslang ihm. »Halbe Pulle«, nuschelte er und kippte nach vorn, direkt in Niccis Arme. »Leo…du zitterst«, informierte Nicci ihn. Erst nachdem Nicci es ihm gesagt hatte, fiel es ihm auf. Aber ihm war nicht kalt… »Ist dir kalt?«, fragte Nicci. Er schüttelte den Kopf und Nicci fragte nicht weiter. Im Moment war es Leon egal, dass Nicci ihn so sah, völlig betrunken und fertig mit den Nerven auf dem Fußboden neben der Haustür. Er blieb noch vorn gekippt sitzen, spürte nur dunkel Niccis Hände auf seinem Rücken. »Erzähl das keinem…ok…?«, murmelte er undeutlich gegen Niccis Schulter. »Versprochen«, gab Nicci leise zurück. »Bistne echte Freundin…« Nicci blieb, bis Leon sich in der Lage sah, aufzustehen und die Treppe hinauf zurück in sein Zimmer zu wanken. Dort angekommen warf er sich aufs Bett und merkte kaum noch, wie Nicci ihn zudeckte. »Erzähl das keinem, ok?«, nuschelte er noch einmal. »Nein, keine Sorge«, flüsterte Nicci und legte sich neben ihn ins Bett. »Und auch nich… Felix…ja?« Nicci schwieg einen Moment, dann seufzte sie. »Nein, auch nicht Felix«, versprach sie und strich ihm sachte durch die Haare. »Danke…« Das hatte man davon, dass man sich das erste Mal verliebte. Man lag betrunken im Bett und konnte immer noch an nichts anderes denken, als an den einen, der sein Leben so auf den Kopf gestellt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)