Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Prolog: Roter Schnee -------------------- Dunkelrotes Blut ergoss sich über den Schnee, der die Farbe gierig in sich aufsaugte. Fast schon lautlos stürzte die junge Frau zu Boden, wo sie bewegungslos liegenblieb. Der gefärbte Schnee umrahmte ihren zerbrechlich wirkenden Körper wie ein morbides Gemälde, die klaffende Wunde in ihrer reglosen Brust war Zeugnis genug, dass sie nicht nur bewusstlos war. Die braunen Augen des jungen Mannes neben ihr waren leer, ungläubig starrten sie auf die Gestalt, die eben noch so voller Leben gewesen war und nun einfach nur dalag. Blut zierten Gesicht und Kleidung des Starrenden und tropfte auch von der Schwertklinge in seiner Hand. Es genügte ein Blick auf die Szene, um festzustellen, was geschehen war – auch für den nachträglich eingetroffenen Mann. „W-was hast du getan?“, grollte er. Der Mörder reagierte nicht. Sein Blick war nach wie vor auf den Körper zu seinen Füßen gerichtet, als könne er nicht glauben, was soeben geschehen war, obwohl er das Ergebnis nur allzu deutlich sehen konnte. „Was hast du getan!?“, wiederholte der Nachzügler seine Frage lauter und wütender. Es erfolgte immer noch keine Antwort, für den anderen schien er gar nicht zu existieren. „Was hast du getan!?!“ Seine Stimme überschlug sich geradezu, was den Mörder aus seinen Gedanken zu reißen schien. Seine Augen fixierten den wütenden Mann, er musterte sein Gesicht, als müsste er sich erst an seinen Namen erinnern. Wie durch dichten Nebel kam ihm dieser schließlich in den Sinn. „Dougal“, murmelte er in Gedanken versunken. Mit einem Blick, der an den eines verträumten Kindes erinnerte, sah er wieder auf den Körper hinunter – und schien in diesem Moment zu realisieren, was er getan hatte. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeigte den blanken Terror, der in dem Moment in seinem Inneren tobte. Augenblicklich wich er zurück, als ob er sich damit auch von der Tat distanzieren könnte. Dougal machte einen großen Bogen um die Leiche, bevor er auf ihn zuging. „Warum hast du das getan!? Bist du wahnsinnig geworden?!“ Seine Stimme klang schrill, als ob er selbst kurz davor stand, wahnsinnig zu werden. Sein Gegenüber wich immer weiter zurück, den Blick ängstlich auf Dougal gerichtet, der jeden Schritt direkt wieder ausglich. „Hör zu, ich kann es erklären“, begann er, doch Dougal ließ ihn nicht ausreden: „Sei ruhig! Ich will deine Ausreden nicht hören! Du hast sie getötet! Du hast. SIE. GETÖTET!“ Mit dem letzten Wort stieß er den Mann brutal von sich. Hart prallte er gegen einen Baum, der Zusammenstoß raubte ihm den Atem, er ließ das Schwert los. Bevor er wieder Luft schnappen konnte, griff Dougal nach seinem Kragen und stieß ihn noch einmal brutal gegen den Stamm. Schnee fiel sanft von den Ästen nieder und schmolz innerhalb kurzer Zeit auf den schwarzen Haaren der beiden. „Hör mir doch zu!“, bat er noch einmal, doch Dougal dachte nicht daran: „Wie konntest du so etwas nur tun!? Wie konntest du ihr das antun!? Das werde ich dir nie verzeihen!“ Immer wieder stieß er den Mann gegen den Baumstamm, ohne auf dessen Bitten zu hören, bis er sich schließlich nicht mehr rührte. Warmes Blut verklebte seine Haare und lief über sein Gesicht. Erschrocken ließ Dougal ihn los und trat hastig zurück. Der leblose Körper sank rasch zu Boden. Ein helles Licht ging von seiner Handfläche aus und schoss plötzlich davon. Es zischte direkt an Dougals Ohr vorbei, doch er blickte ihm nicht nach, noch fragte er sich, was das gewesen war. Es konnte ohnehin nur eine Rune sein, also was sollte es? Statt sich darum zu kümmern, drehte er sich um und ging zu der im Schnee liegenden Frau zurück. Er kniete sich neben sie, seine zitternden Händen strichen ihr die Strähnen aus der blassen Stirn. Ihre Haut war bereits eiskalt und ließ ihn bei der kleinsten Berührung frösteln. So konzentriert war er auf ihr Gesicht, dass er weder die verschwundene Wunde in ihrer Brust, noch die Rune an ihrer Hand bemerkte – die Hand, die sich plötzlich wieder bewegte und vorsichtig zu seinem Gesicht gehoben wurde, wo sie ihm vorsichtig über die Wange strich. Erschrocken zuckte er zusammen. Das war doch nicht möglich! Gerade eben noch... Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, die Augen blieben jedoch geschlossen. Die Ereignisse forderten ihren Tribut von ihm, doch bevor er endgültig das Bewusstsein verlor, hörte er noch ein letztes Mal ihre Stimme: „Mein lieber Dougal...“ Kapitel 1: Besucher aus Toran ----------------------------- Es war das erste Mal im Leben der beiden, dass sie das Meer sehen konnten. So eindrucksvoll bislang der Toran-See für sie gewesen war, so sehr faszinierte sie das Funkeln der Sonne auf dem Ozean, der sich in endlose Weite zu erstrecken schien. Das Ufer jenseits des Horizonts ließ sich lediglich erahnen; es war sogar gut möglich, zu glauben, dass es gar nicht existierte und dieser Kontinent das einzige Stück Land auf der ganzen weiten Welt wäre. Es half, sich nicht mehr ganz so klein und unbedeutend zu fühlen, wie Hix es sonst tat. Trotz seiner Beteiligung an zwei Kriegen fühlte er sich nicht als Held, nicht einmal als Krieger, obwohl er diese Reise doch deswegen überhaupt erst angetreten hatte. Solange er kein Krieger war, könnte er nicht heimkehren und auch nicht seine große Liebe Tengaar heiraten, was aber ihr größter Wunsch war. Eine Heimkehr war also erst zu diesem Zeitpunkt möglich. Mit einem genervten Seufzen wandte die junge Frau sich von dem Anblick des Meers ab. Sie strich einen ihrer langen roten Zöpfe wieder über ihre Schulter. „Hix~ Warum sind wir hier?“ Überrascht über diese Frage sah er sie an. „Was?“ „Es gibt keinen Grund, hier zu sein“, sagte sie. „Deine Reise hat lange genug gedauert, wir können heimkehren, verstehst du das nicht?“ Er wagte nicht, ihr zu widersprechen oder sie auf einen Fehler in ihrer Logik hinzuweisen, stattdessen lächelte er schüchtern. „Aber hier ist es doch sehr schön, nicht?“ Hix deutete auf das verheißungsvoll glitzernde Meer, dann machte er eine ausholende Handbewegung, die den Rest der Stadt, in der sie sich befanden, einschloss. Vinay del Zexay, die Hauptstadt des Zexen Staatenbundes, eine belebte Metropole direkt am Meer, deren Hafen jeden Tag von unzähligen Schiffen angefahren wurde. Auf dem Marktplatz herrschte reges Treiben von Händlern und Kunden, Musiker stellten ihre Talente zur Schau, um damit Geld zu verdienen. So viele Menschen auf einen Fleck hatte Hix noch nie zuvor gesehen. Er war fast schon froh gewesen, den Platz wieder zu verlassen und den ruhigen Bereich vor dem Ratshaus zu betreten. Ein Brunnen lud zum Ausruhen ein, dahinter stand das imposante Gebäude, in dem der Zexen-Rat tagte und schwer bewacht wurde. Einlass bekam man sicherlich nur, wenn man einen hören Rang innehatte oder dort arbeitete. Auf der Nordseite waren prächtige Villen zu bewundern, deren farbenfrohe Gärten zum Verweilen und erstauntem Betrachten einluden. Doch die eisernen Tore davor, schreckten zumindest ihn davon ab und ließen ihn eilig weitergehen. All die anderen Städte in Zexen, an denen sie auf ihrer Herreise vorbeigekommen waren, waren nur kleine Dörfer gewesen, solche wie er sie bereits dutzendfach in anderen Ländern gesehen hatte. Umso erstaunter war er von Vinay del Zexay gewesen. Doch als Metropole des Handelns und geistiger Mittelpunkt von Zexen musste es wohl so groß und lebhaft sein. Ein Besuch in dieser Stadt war fast noch aufregender als die Besuche in Muse und Gregminster zusammen und ließ Hix, der in einem kleinen Dorf aufgewachsen war, fast schwindelig werden. Doch Tengaar zeigte keinerlei Interesse daran, sie wirkte tatsächlich wütend, dass sie dort gelandet waren, dabei... Plötzlich fuhr sie herum und ging mit bestimmten Schritten in Richtung des Objektladens davon. Hix wusste bereits warum. Wenn sie in dieser Stimmung war, war sie oft nur mit Einkaufen zu besänftigen. Dabei erwarb sie allerdings keine Kleider oder Tand, der für andere Frauen in ihrem Alter interessant war, sondern nur Dinge, die sie unterwegs gebrauchen konnten. Auf dem Weg nach Vinay waren ihnen die Vorräte ausgegangen und auch ihre Schuhe waren langsam zerschlissen. Der Zustand ihrer Waffen spottete jeder Beschreibung, es wurde wirklich Zeit, sich um all das zu kümmern. Sie hatten zwar oft Händler getroffen, doch diese waren selbst gerade auf dem Weg gewesen, ihre vollständig ausverkauften Vorräte wieder aufzufrischen. Wenigstens mussten sie beide sich keine Gedanken um das Geld machen. Ihre Reise führte sie an genug Monstern vorbei, die ihnen die nötigen Potch als Beute hinterließen. In ihrem Dorf würden sie wohl inzwischen als reiche Leute gelten – aber nach dem Besuch beim Schmied würde es sicherlich wieder ganz anders aussehen. Hastig folgte er Tengaar, bevor er sie aus den Augen verlor. Der Einkauf kam Hix länger vor, als sonst. Schweigend und stundenlang wählte die junge Frau Waren aus dem reichhaltigen Sortiment, bei dem ihm fast schon die Augen übergingen. Das Angebot überstieg seinen Verstand, viele Dinge, die in der Auslage waren, kannte er nicht einmal. Zu fragen traute er sich allerdings auch nicht. Tengaar wirkte geladen – und kannte wohl selbst auch nur einen Bruchteil von all diesen Waren –, der Verkäufer selbst musterte sie beide misstrauisch, die Hand stets unter dem Tresen. Hix zweifelte nicht daran, dass er dort eine Waffe versteckt hielt, nur für den Fall der Fälle. Er wollte damit allerdings keine Bekanntschaft machen, also blieb er bewegungslos in der Ecke stehen, den Kopf stets gesenkt. Wirkten sie wirklich so verdächtig? Immerhin war Zexen eine Handelsstadt, die Händler müssten es doch gewohnt sein, Fremde als Kunden zu empfangen. Doch dieser schien sie eher als Feind denn als zahlende Kundschaft zu sehen, was Hix bislang noch nie erlebt hatte. Als sie den Laden schließlich verließen – mit deutlich weniger neuem Besitz als sonst – und ihre Waffen beim Schmied abgegeben hatten – was ihre Barschaft wie erwartet auf eine übersichtliche Summe schrumpfen ließ – , ging die Sonne bereits unter. Der rotglühende Feuerball, der am Horizont versank, tauchte das Wasser in einen vollkommen neuen Farbton, als ob Himmel und Ozean in Flammen stehen würden. Genau wie Hix blieb Tengaar an der Kaimauer wieder stehen und starrte auf das Meer hinaus. Schon nach kurzer Zeit wandte er den Blick ab, um sie anzusehen. Ihre Gesichtszüge waren ungewohnt hart und passten damit zu ihrem veränderten Verhalten der letzten Zeit. Hix konnte es sich nicht erklären. Gab es irgendeinen Grund, warum sie sich so anders verhalten sollte? Hatte er irgendwann etwas Falsches gesagt? Oder war ihm etwas anderes entgangen? In solchen Momenten betrübte es ihn, dass es in seinem Leben niemanden gab, den er nach so etwas fragen konnte. Seine Eltern waren schon seit einigen Jahren tot, Tengaars Vater Zorak würde ihm höchstwahrscheinlich nur wieder eine ewiglange Geschichte irgendwelcher Vorfahren erzählen, die aber keine Fragen beantwortete und auch die anderen Erwachsenen in seinem Dorf konnte er nicht fragen, niemand würde ihm eine Antwort geben, da war er sich sicher. Die anderen in den Armeen, in denen er gewesen war? Nun, die meisten schienen selbst keinen sehr erfolgreichem Umgang mit Frauen zu pflegen. Und die, bei denen es anders war... Lepant hatte Hix mit einem einzigen Blick einschüchtern können und Freeds stetige Übereifrigkeit hatte ihn ebenfalls abgeschreckt. Das Gespräch mit Alex hatte ihm jedoch auch nicht weitergeholfen. Hilda war wesentlich einfacher als Tengaar – und Hix fiel es schwer, sich vorzustellen, dass der rothaarige Wildfang eines Tages auch so werden könnte oder Hilda gar einmal so gewesen war. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen über das Meer. Seufzend wandte Tengaar sich ihm zu. Hix' Herz machte einen Sprung, als sie ihm zulächelte. „Lass uns ins Gasthaus gehen, ja? Ich bin ziemlich müde.“ Es brauchte keine Entschuldigung von ihr, ihre sanft gewordene Stimme war ihm eine solche genug. Wenn sie diesen Ton anschlug, würde er ihr sogar verzeihen, falls sie ihm jemals das Herz brechen würde – obwohl er hoffte, dass dies nie eintreten würde. Er nickte und begab sich gemeinsam mit ihr an der Kaimauer entlang in Richtung Gasthaus. Auf dem Marktplatz vor dem Gebäude waren die Händler inzwischen damit beschäftigt ihre Stände abzubauen. Dabei plauderten sie mit ihren Kollegen über den Tag, der offensichtlich gut gelaufen war. Manchmal fragte Hix sich, ob das Leben als Händler zu ihm passen würde. Als Krieger war er wohl eindeutig nicht geeignet. Zwei Kriege und er war immer noch ein schlechter Schwertkämpfer, der Angst vor einem Kampf hatte, solange er diesen nicht für Tengaar ausfochte. Das war mit Sicherheit nicht die Definition eines Kriegers, zumindest nicht die seines Dorfes. In Dunan hatte er an der Prüfung des Einhorns teilgenommen, angeblich eine Tradition im Dorf der Krieger, wenn es keinen anderen Weg gab, seine Männlichkeit zu beweisen. Hix war siegreich gewesen, aber dennoch... er fühlte sich noch nicht bereit, wieder in sein Dorf zurückzukehren. Er wollte erst ohne Hilfe eine solche Prüfung bestehen, bei dieser jedoch hatte ihm Riou von Anfang bis Ende beigestanden, wofür Hix zu diesem Zeitpunkt auch dankbar gewesen war. Doch langsam wurde es Zeit für ihn, selbstständig zu werden. Tengaar schien das ebenfalls zu denken. Seit ihrem Aufbruch von Dunan war sie derart wortkarg und oft so schlecht gelaunt, dass Hix glaubte, sie wäre böse auf ihn. Außer, dass es so lange dauerte, bis er seine Reise der Männlichkeit abschließen konnte, fiel ihm allerdings kein Grund ein. Doch auch seine Überlegungen, ob er Händler werden könnte, endeten damit, dass ihm auffiel, dass ihm die nötige Entschlossenheit und Selbstsicherheit fehlte, um wirklich erfolgreich werden zu können – außerdem war es Tengaars Traum, dass er ein Krieger werden würde und er wollte ihr diesen erfüllen. Zigarettenrauch umfing die beiden, als sie das Gasthaus betraten. Eine Treppe führte nach oben zu den Zimmern, im Erdgeschoss gab es eine Bar. Die kleinen Tische vor dem Tresen waren allesamt von den verschiedensten Leuten besetzt, deren Gesichter für Hix im Moment alle gleich aussahen. Der Gedanke, dass möglicherweise alle Zimmer belegt waren, gefolgt von der Frage, wo sie dann hingehen sollten, durchfuhr ihn. Doch wie so oft handelte Tengaar bereits. Sie begab sich an den Tresen, wo sie einige rasche Worte mit dem Mann dahinter wechselte. Schon nach wenigen Sekunden kehrte sie lächelnd wieder zu ihm zurück. „Wir können nach oben.“ „A-aber diese Leute hier...“ Er warf einen Blick auf die anderen Besucher, doch sie winkte ab. „Das sind anscheinend Bewohner dieser Stadt, sie kommen nur zum Trinken hierher. Kommst du jetzt?“ Der letzte Satz klang keineswegs ungeduldig, was Hix erleichterte. Er nickte hastig. „Ja, natürlich.“ Gemeinsam gingen sie nach oben. Im Vergleich zum Rest des Hauses war das Zimmer überraschend hell, Kerzen brannten in einem gläsernen Halter, das Fenster zeigte direkt auf das Meer. Tagsüber konnte man bestimmt Schiffe beobachten, bis sie am Horizont verschwanden, um diese Zeit jedoch ankerte lediglich ein Schiff im Hafen. Während Hix das Gepäck verstaute, stellte Tengaar sich ans Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Als er schließlich neben sie trat, hörte er, wie sie leise vor sich hinsummte. Das Lied kam ihm nicht im Geringsten bekannt vor, doch wenn es von Zorak war, müsste es das eigentlich – also woher kannte sie es? Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie bemerkte, dass er neben ihr stand. Lächelnd sah sie ihn an. „Fertig?“ Er nickte zur Antwort nur. „Was war das für ein Lied?“ Fragend sah sie ihn an. „Welches denn? Das, von den Musikern heute Mittag?“ „Nein“, erwiderte er verwundert. „Das, das du gerade gesummt hast?“ In einer Geste der Besorgnis legte sie eine Hand auf seine Stirn, um seine Temperatur zu prüfen. Da damit allerdings alles stimmte, seufzte sie, bevor sie ihn in einem vorwurfsvollen Ton fragte: „Hast du etwa Meerwasser getrunken? Du musst Wahnvorstellungen haben.“ „N-nein“, verteidigte er sich kläglich. „Ich habe es doch genau gehört.“ Ihr entfuhr noch ein Seufzen, bevor sie an ihm vorbeiging. „Ich bin müde, lass uns morgen darüber reden, ja?“ Damit war das Thema für sie beendet und Hix war sich sicher, dass sie es auch nicht mehr aufnehmen würde – genausowenig wie er. Wortlos gingen beide zu Bett, löschten das Licht und schliefen bald darauf ein. Geschmeidiger als es für Personen in Rüstungen möglich sein sollte, stürzten die beiden Wachen am Stadttor zu Boden. Die blauen Augen des Mannes, der dafür verantwortlich war, musterten die Gefallenen ohne Mitgefühl. „Vielen Dank für den Einlass“, sagte er mit kalter Stimme. Sein Blick schweifte über die Dächer der schlafenden Stadt, kein Licht brannte mehr hinter den Fensterscheiben. Vollkommene Stille lastete auf seinen Ohren, niemand war mehr auf den Straßen unterwegs. Genau richtig also für seinen Plan, für den er keine Zuschauer gebrauchen konnte. Auf einen Wink seiner Hand erschien aus dem Nichts eine Wolke aus schwarzem Rauch in der Luft. Sie zerteilte sich in fünf gleichgroße Teile und nahm langsam die immer selbe Form an. Ein geschmeidiger Körper, vier kräftige Beine, ein buschiger Schweif und ein Paar aufmerksamer spitzer Ohren. Die spitze Schnauze öffnete sich zu einem lauten Heulen gen Himmel. Fünf Wölfe standen vor ihm, die roten Augen glühten wie eingelassene Feuersteine. Artig versammelten sich die Wesen um ihren Herrn, gespannt auf ihren Auftrag wartend, wegen dem sie überhaupt in diese Welt gerufen worden waren. Er breitete die Arme aus, so dass er sowohl nach links auf den Weg zum Marktplatz, als auch nach rechts, auf den Weg zum Hafen zeigen konnte. „Nun geht und findet sie. Aber vergesst nicht: Ihr sollt sie nicht zu sehr verletzen. Nur so viel, dass sie Angst vor euch bekommt.“ Die Wölfe gaben ein zustimmendes Jaulen von sich, dann flitzten sie bereits auseinander. Ihr Herr blieb allein zurück, den Blick nach wie vor auf die Stadt gerichtet. Irgendwo hier ist sie also... und ich werde sie finden, ganz sicher. Kapitel 2: Wölfe in der Nacht ----------------------------- Wasser. Endlos, wohin auch immer er blickte. Es erstreckte sich in alle Himmelsrichtungen bis zum Horizont, ohne den geringsten Hinweis auf Land, ohne jedes Tier, das sich in Landnähe aufhielt und ihm damit neue Hoffnung gab, das rettende Ufer erreichen zu können. Seine Arme, aus denen langsam jedes Gefühl wich, hielten ihn bislang noch über dem Wasserspiegel. Er fürchtete den Moment, in dem sie ihre Funktion einstellen und er wehrlos untergehen würde, untätig dem immer schwächer werdenden Licht hinterhertrauernd. Ein Schrei holte ihn aus seiner Hoffnungslosigkeit und gleichzeitig aus seinem Traum. Aufrecht saß er im Bett, noch bevor er überhaupt wach war. Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich im Zimmer um, bis sein Blick auf dem Nachbarbett hängenblieb. Tengaar lag zusammengekauert darauf – und weinte. Es war viele Jahre her, seit er sie zuletzt weinen gesehen hatte. Normalerweise war sie die Starke von ihnen beiden, diejenige, die stets einen kühlen Kopf behielt. Doch nun lag sie da... Erschrocken sprang Hix auf, stolperte dabei beinahe über seine Füße und kniete sich neben das andere Bett. „Tengaar, w-was ist los? Ist dir schlecht?“ Es war tatsächlich das erste, was ihm dazu einfiel. Sonderlich empathisch war er noch nie gewesen. „Nein“, brachte sie schluchzend hervor. „I-ich hatte einen Albtraum.“ Konnte ein solcher Traum sie wirklich dermaßen aus der Fassung bringen? Vielleicht war es auch nur die Wut darüber, dass er immer noch kein Krieger war, weswegen sie noch nicht nach Hause gehen konnten. Dann war es seine Schuld, dass es ihr so schlecht ging. „Was hast du geträumt?“ Unbeholfen strich er ihr über das Haar, doch sie wischte seine Hand grob beiseite. „D-du hast mich umgebracht! Du hast mich einfach mit deinem Schwert durchbohrt!“ Über diese Anschuldigung verwirrt blinzelte er mehrmals, die Worte schienen ihn selbst zu durchbohren. „W-warum sollte ich so etwas tun?“ „Keine Ahnung!“, schluchzte sie wütend. „Aber es war so echt, alles!“ Hix betrachtete sie betrübt. Warum träumte sie so etwas? Niemals würde er ihr etwas antun, besonders nicht so eine Tat. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, schon allein, wenn er daran dachte. Was ihn aber vielmehr beschäftigte war immer noch die Tatsache, dass der Traum sie dermaßen verstörte, dass sie weinte. Ihr Schluchzen klang so bitterlich, sein Herz wollte brechen. Noch einmal versuchte er, sie zu beruhigen, indem er ihr über den Kopf strich, doch wieder stieß sie ihn von sich. „Du sollst mich nicht anfassen!“ Erschrocken wollte er zurückspringen, da er aber kniete, landete er nur schmerzhaft auf seinem Hinterteil und stieß im nächsten Moment mit dem Rücken gegen sein Bett. Kein Laut entfuhr ihm dabei, sein Blick zeigte klar die Verwirrung, die diese Behandlung ihm verschaffte. „T-Tengaar?“ Das Gesicht in ihr Kissen vergraben, schluchzte sie weiter, ihre Schultern zuckten dabei unkontrolliert. Schweigend beobachtete Hix sie dabei. Am Liebsten wäre er ebenfalls in Tränen ausgebrochen, doch er riss sich zusammen. Im Moment hätte das keinem von ihnen geholfen. So plötzlich wie das Weinen angefangen hatte, so schnell hörte es auch wieder auf. Sie richtete sich auf und fuhr sich über die Augen, bevor sie sich an ihn wandte. Der Blick, dem sie ihm dabei zuwarf, ließ regelrecht sein Blut in den Adern gefrieren. Aller Hass der Welt schien darin zu liegen – und er konzentrierte sich einzig und allein auf ihn. „Das ist alles deine Schuld!“, kreischte sie plötzlich schrill. Sie sah ihm an, dass er die Anschuldigung offensichtlich nicht verstand, denn bevor er sich genug sammeln konnte, um nachzuhaken oder etwas zu erwidern, fuhr sie bereits mit unverminderter Lautstärke fort: „Nur wegen dir sind wir jetzt hier! Du hast mich nach Zexen gebracht!“ Dann ist der Grund für ihre Albträume irgendwo in diesem Land?, überlegte er, ohne etwas darauf zu sagen. „Aber ich werde nicht hierbleiben!“, rief sie plötzlich entschlossen aus, als sie aufsprang. Hastig fuhr sie in ihre weißen Schuhe. Bevor er sie aufhalten konnte, hatte sie bereits die Tür hinter sich zugeworfen. Er konnte nicht anderes tun, als ihr einen verständnislosen Blick hinterherzuwerfen, gefolgt von den Worten: „Aber es war doch deine Idee, nach Zexen zu kommen.“ Wutschnaubend ließ Tengaar das Gasthaus hinter sich. Dabei wusste sie selbst nicht so genau, was sie eigentlich wütend machte. War es Hix, der sie in diese Gegend geschleppt hatte? Oder dieser seltsame Albtraum, der sie nicht mehr losließ? Sie wusste es nicht, aber genaugenommen interessierte es sie im Moment auch nicht. Sie wollte einfach nur wütend sein, solange dieses Gefühl anhielt. Wie hatte Hix sie überhaupt hierher verschleppen können? Ihr Vater hatte ihr bereits die Erlaubnis, ihn zu heiraten, nach Ende des Dunan-Krieges erteilt, er war also schon als Krieger akzeptiert worden. Warum also mussten sie unbedingt noch weiter weg vom Dorf und ausgerechnet in dieses Land kommen? Nicht, dass ihr Zexen oder zumindest das, was sie bislang davon gesehen hatte, nicht gefallen würde, aber ihr einziger Traum war es, dass Hix ein Krieger werden und sie heiraten würde. Und nun, da dieser Traum in greifbare Nähe gerückt war, war er gleichzeitig so weit weg wie nie zuvor. Hix schien es wirklich mit allen Mitteln rauszögern zu wollen. Oder vielleicht wollte er sie inzwischen auch gar nicht mehr heiraten? Verdenken würde es ihm wohl kaum jemand. Während des Dunan-Krieges hatte sie oft genug mitbekommen, was andere Männer über sie und ihr Verhalten gegenüber Hix dachten. Aber keiner von denen wusste, wie schwer es mit jemandem wie ihm war! Er würde das neue Oberhaupt ihres Dorfes werden, er musste einfach der beste Krieger sein, wenn er sie heiraten wollte. Was sie wieder zu der Frage führte, warum er diese Hochzeit hinauszögerte. Es gab viele Möglichkeiten, die ihr einfielen, aber keine gefiel ihr. Schlimm genug, dass sie sich mit Hix und den unzähligen Dingen, die in seinem Kopf umhergingen beschäftigte, ihre Stimmungsschwankungen der letzten Zeit machten ihr selbst zu schaffen. Sie wusste nicht, wodurch sie ausgelöst wurden, aber im Grunde interessierte sie auch eher, wie sie diese wieder loswerden konnte. Bestimmt war auch das ein Grund, warum sich Hix in letzter Zeit so seltsam ihr gegenüber verhielt. Aber was sollte sie tun? Sie kannte ja nicht einmal die Ursache, wie sollte sie dann dafür sorgen, dass es wieder aufhörte? Unwillkürlich lief ein Schauer über ihren Rücken. Bei Tag war Vinay del Zexay wirklich ein wundervoller Anblick, aber nachts? Es befand sich niemand auf den Straßen, kein Licht brannte hinter den Fenstern, alles war wie leergefegt, als ob sie der letzte verbliebene Mensch in dieser Stadt wäre. Allein der Gedanke machte ihr Angst, weswegen sie hastig versuchte, an etwas anderes zu denken. Doch immer wieder kam ihr nur in den Sinn, dass sie möglicherweise die letzte Person wäre. Eine plötzliche Bewegung nahm ihr diesen Eindruck allerdings sofort wieder. Tief in ihre Gedanken versunken war sie zum Hafen gelaufen, von wo aus eine Seitenstraße zum Einkaufsviertel und dem Hauptplatz vor dem Ratshaus führte. Das sah aus wie ein kleines Mädchen. Neugierig, aber hauptsächlich, um sich auf andere Gedanken bringen, folgte Tengaar dem Kind. Sie entdeckte es schon bald wieder, ein kleines silberhaariges Mädchen, etwa sechs oder sieben Jahre alt, das vornehme Kleidung trug, also allem Anschein nach einer höheren Familie angehörte. Das Mädchen stand da und hielt Ausschau nach irgendetwas, das Tengaar nicht sehen konnte. „He, Kleine“, begann die junge Frau. „Was machst du so spät nachts hier draußen?“ Sie zuckte zusammen, wirbelte aber schon im nächsten Augenblick zu ihr herum. Die fliederfarbenen Augen musterten sie neugierig, doch sie antwortete nicht. Erst als Tengaar sie nach ihrem Namen fragte, schien das Mädchen seine Stimme wiederzufinden: „Chris Lightfellow.“ Aha, also wirklich etwas Höheres. „Und was machst du hier so spät, Chris? Solltest du nicht schon lange im Bett sein?“ Noch einmal warf das Mädchen einen Blick um sich, als ob sie die Antwort auf der Straße suchen würden. „Da war etwas...“ Wieder schwieg sie, doch diesmal weniger lang als zuvor. „Ein Wolf... oder so etwas Ähnliches. Ich habe es genau gesehen.“ „Und darum bist du so spät noch rausgekommen?“ Am Vormittag waren sie und Hix durch das Stadttor gekommen, das von zwei Soldaten oder Rittern bewacht worden war. Nachts war das Tor bestimmt geschlossen. Wie hätten Wölfe also hereinkommen können? Es erschien Tengaar vollkommen unmöglich. Doch Chris schien fest daran zu glauben. Wieder ging ihr Blick umher, nach dem suchend, was sie zu sehen geglaubt hatte. Tengaar wollte ihr gerade vorschlagen, sie nach Hause zu bringen, als sie plötzlich ein Knurren vernahm. Sie wollte sich nicht umdrehen, aus Angst, dass sich dann bewahrheitete, was sie befürchtete. Doch als sie schließlich ein zweites Knurren hörte, machte sie langsam auf dem Absatz kehrt. Das, was da hinter ihr stand, hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Wolf, allerdings schien er vollständig aus waberndem Rauch zu bestehen. Die roten Augen glühten in der Dunkelheit. Sie verspürte keine Angst vor diesem Wesen. In Dunan hatte sie oft genug gegen derartige Wesen gekämpft. Sie waren vielleicht nicht aus Rauch gewesen, aber in den Minen von Tinto war sie sogar Geistern begegnet – da würden ihr ein wenig Qualm doch nichts ausmachen. Nein, sie störte etwas anderes bei diesem Anblick. Wölfe, Wölfe, immer nur Wölfe!, dachte sie wütend. Ich kann die langsam nicht mehr sehen! Automatisch griff sie an ihren Gürtel – worauf ihr siedendheiß einfiel, dass ihre Messer noch beim Schmied waren. Gerade jetzt wo sie diese am Nötigsten brauchte! Wider besseren Wissens spielte sie mit dem Gedanken, zu fliehen. Wenn sie schnell genug war, würde sie es vielleicht bis zum Gasthaus schaffen. „Wusste ich es doch“, hörte sie Chris leise sagen. Das Gedankenspiel verpuffte sofort wieder. Sie konnte das Mädchen nicht allein hier lassen. Aber vielleicht konnte sie wenigstens diesem zur Flucht verhelfen. „Chris, ich werde den Wolf ablenken. Du läufst so schnell wie du kannst nach Hause, ja?“ Es dauerte einen kurzen Moment, bis eine Antwort erfolgte, vermutlich musste sie selbst erst einmal nachdenken, ob das für sie möglich war. Doch schließlich konnte Tengaar deutlich das eifrige Nicken spüren. „Ja!“ Es brauchte keine Frage, ob sie das schaffen würde, der entschlossene Tonfall, der in diesem einen Wort gelegen hatte, war genug Beweis. Tengaar müsste den Wolf also nur lange genug ablenken. „Gut, auf drei. Eins... Zwei...“ Plötzlich hielt sie inne. Ein weiteres Knurren erklang – doch diesmal hinter ihr. „Uhm...“ Chris zupfte an Tengaars Kleid. „Da sind noch zwei Wölfe. Aber aus der Nähe sehen sie gar nicht aus wie echte Wölfe, oder?“ Also ist es ihr auch aufgefallen. „Nur keine Sorge.“ Tengaar fand es gar nicht hilfreich, dass ihre eigene Stimme zitterte, während sie versuchte, das Mädchen zu beruhigen. Doch um in Panik zu geraten war später noch Zeit. Erst einmal musste sie zusehen, dass sie etwas gegen diese Wölfe tat. Gut, Waffen habe ich keine mehr. Aber meine Rune! Fast schon erleichtert sah sie auf ihre rechte Hand hinunter, wo die Mutter Erde Rune eingepflanzt war. Eine bessere Version ihrer Erde Rune, die sie zu Beginn des Dunan-Krieges getragen hatte. Blieb nur noch die Hoffnung, dass diese Rune auch tatsächlich etwas gegen diese Wesen ausrichten konnte. Sie hob die Hand – doch sie kam nicht mehr dazu, ihre Magie einzusetzen. Direkt nach einem erstickten Schrei von Chris, spürte Tengaar ein enorm schweres Gewicht in ihrem Rücken, das sie zu Boden riss. Schmerzen durchzuckten ihre Vorderseite beim Aufprall, wurden jedoch sofort von brennender Pein abgelöst, als die Krallen des Wolfs tiefe Furchen in ihrem Rücken hinterließen. Sie brauchte einen Moment, bevor sie begriff, dass sie selbst aus Leibeskräften schrie. Doch hinter den Fenstern blieb alles dunkel. Wie konnte es sein, dass niemand sie hörte? Angestrengt hob sie wieder den Arm. Die Rune leuchtete auf und warf den Wolf von ihr herunter. Das Wesen jaulte auf. Doch gerade als Tengaar sich aufrichten wollte, stürzte sich das Tier vor ihr auf sie und warf sie auf ihren Rücken. Ein weiterer Schrei entfuhr ihr bei dem Schmerz. Deutlich konnte sie die scharfen Reißzähne des Wolfs sehen, als er diese fletschte. In seinen Augen glaubte sie sehen zu können, dass er vorhatte, ihr die Kehle aufzureißen. Verzweiflung durchfuhr sie, mit ihren Armen versuchte sie, ihn wieder von sich herunterzustoßen, doch sie erntete nur weitere Verletzungen dafür. Ihre Rune reagierte nicht mehr, sie musste diesen Wolf also irgendwie alleine besiegen. Doch je mehr sie sich wehrte desto mehr Wunden erntete sie. Die Schmerzen und die wachsende Verzweiflung lähmten sie langsam. Ihr Inneres rief lautstark nach ihrem Freund, doch sie wusste, dass er nicht kommen würde. Mit Sicherheit saß er noch im Zimmer und fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Das Maul des Wolfs näherte sich ihrer Kehle, ihre Kräfte ließen nach, sie schloss die Augen und gab sich dem unvermeidlichen Schicksal hin. Für sie schienen Stunden zu vergehen, doch nur den Bruchteil einer Sekunde später jaulte der Wolf über ihr auf, sein Gewicht verschwand. Doch Tengaar traute sich nicht, ihre Augen zu öffnen. Stattdessen krümmte sie sich zusammen, um die Angriffsfläche gering zu halten und ihre Kehle vor einem weiteren Angriff zu schützen. Hinter sich hörte sie dahertrabende Pfoten, aber bevor er sie erreichen konnte, jaulte er ebenfalls laut auf. Was immer da gerade vor sich ging, es schien den Wölfen zu schaden. Langsam öffnete sie die Augen. Für einen kurzen Moment war in ihr die Hoffnung aufgeflammt, dass Hix möglicherweise nach ihr gesucht hatte, doch als sie den Mann vor sich erblickte, erstickte sie wieder im Keim. Er stand mit dem Rücken zu ihr, so dass sie nur sein schulterlanges, schwarzes Haar erkennen konnte. Der dunkelgrüne Mantel offenbarte breite Schultern, in der rechten Hand konnte Tengaar einen Rapier erkennen. Chris kniete sich neben die Gefallene, die sich dem Mädchen sofort zuwandte: „Alles in Ordnung?“ Die Kleine nickte nur schweigend. „Kennst du diesen Mann?“, fragte Tengaar. Das Mädchen schüttelte sofort mit dem Kopf. „Ich habe ihn hier noch nie gesehen.“ Sie sah ihn auch zum ersten Mal und selbst wenn er ein Reisender war, war diese Zeit sehr ungewöhnlich für jemanden, der nur zufällig vorbeikam. Also wo kam er so plötzlich her und was machte er hier? Hastig verwarf sie den Gedanken, immerhin hatte dieser Mann sie gerade gerettet. Sie wollte aufstehen, um sich zu bedanken. Doch als er herumfuhr, traf sie ein Blick aus seinen kalten blauen Augen. „Bleib unten!“ Sein Stimme ließ sie im Sitzen erstarren, obwohl alles in ihr protestierte. Niemand kommandierte sie einfach herum, auch wenn er ihr gerade das Leben gerettet hatte. Aber schon im nächsten Moment hörte sie wieder das Geräusch von rennenden Wölfen hinter sich. Diesmal war es mehr als einer. Instinktiv senkte sie den Kopf und hielt sich die Hände darauf. Sie spürte eine Bewegung über sich, dann hörte sie wieder das schmerzerfüllte Jaulen. Schließlich war die Luft erneut erfüllt von Stille. „Du kannst jetzt aufstehen“, hörte sie die kalte Stimme sagen. Tengaar öffnete wieder ihre Augen. Die Wölfe waren verschwunden, hoffentlich endgültig. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“ Langsam und vorsichtig stand sie auf. Ihr gesamter Körper rebellierte dagegen, ihre Beine drohten unter ihr wegzubrechen, ihr Magen drehte sich um, aber sie gab sich nicht die Blöße dem nachzugeben. Stattdessen wandte sie sich wieder Chris zu. „Du solltest jetzt heimgehen, Kleine. Und geh nicht mehr nachts raus, ja?“ Das Mädchen nickte heftig. Nach einem letzten Blick auf den Fremden und Tengaar lief sie eilig in Richtung Ratshaus davon. Die Rothaarige wandte sich dem Mann zu. „Vielen Dank für Eure Hilfe.“ Er sah sie nach wie vor kalt an. Hätte sie ihn unter anderen Umständen getroffen, wäre sie nie darauf gekommen, dass er ein Lebensretter, zumindest in diesem Fall, sei. Er wirkte mehr wie derjenige, wegen dem man erst in Gefahr geriet. Aber plötzlich hellte sich sein Gesicht auf, seine Züge wurden weicher, als er lächelte. Lediglich Besorgnis verschleierte seine Augen noch. „Ich bin froh, rechtzeitig gekommen zu sein.“ Obwohl seine Worte ehrlich zu sein schienen, stellten sich Tengaars Nackenhaare auf. Etwas stimmte mit diesem Mann nicht – und sie wollte nicht unbedingt herausfinden, was es war. Langsam ging sie an ihm vorbei, auch wenn ihr Körper sie wieder zum Anhalten bewegen wollte, ihr rechtes Bein ließ sich sogar gar nicht bewegen, so dass sie es ein wenig nachzog. Plötzlich kam der Boden auf sie zu – doch bevor sie aufschlug wurde sie von zwei starken Armen festgehalten. Ein vertrauter Geruch, der an Heimat erinnerte, umhüllte sie. Sofort kam ihr Hix in den Sinn, der von Ärger vernebelt wurde. Er lag bestimmt wieder in seinem gemütlichen Bett, während sie hier draußen beinahe umgebracht worden wäre! Dass sie selbst auch dort liegen würde, wenn sie nicht wegen eines Traums rausgerannt wäre, verdrängte sie dabei im Moment völlig. „Ihr solltet einen Arzt aufsuchen“, hörte sie die Stimme des Unbekannten wie durch einen Nebel hindurch. Sie wollte widersprechen, aber ihre Kiefer öffneten sich nicht, ein taubes Gefühl breitete sich rasch in ihrem Körper aus, selbst der Ärger auf Hix war verschwunden. Sie wollte nur noch schlafen. Kaum hatte sie das gedacht, fielen ihr bereits die Augen zu. Sie bemerkte nicht mehr, wie sie hochgehoben und von dem Fremden weggetragen wurde. Ihr letzter Gedanke galt Hix und seinem verwirrten Blick, kurz bevor sie aus dem Zimmer gestürmt war, dann versank alles in Dunkelheit. Kapitel 3: Vermisst ------------------- Als der schwarze Nachthimmel dem Morgengrauen wich, stand Hix wieder aus dem Bett auf. Seit Tengaar das Zimmer verlassen hatte, war er wachgelegen, um auf ihre Rückkehr zu warten. Doch sie war nicht zurück gekommen. Normalerweise dauerte es nicht lange, bis ihre Wut verraucht war, aber ihr verändertes Verhalten zeigte wohl auch Auswirkungen darauf und das machte Hix Sorgen. Als er fertig angezogen war, verließ er das Zimmer, das Gepäck stehen lassend. Er würde ohnehin wieder zurückkommen. Während er die hölzerne Treppe hinunterlief, hoffte er, seine Freundin bei den Tischen zu entdecken, doch er erblickte ihr rotes Haar, das immer sofort hervorstach, nirgends. So früh am Morgen war das nicht einmal schwer, neben dem Inhaber und einem über dem Tisch eingeschlafenen Mann war nämlich niemand sonst da. Hix murmelte einen Gruß und huschte hinaus. Kühle Morgenluft empfing ihn, er fröstelte. In der Mittagswärme war sein gelbes kurzärmeliges Hemd und die blaue Weste ja ideal, aber am frühen Morgen und nachts? Absolut ungenügend. Auf dem Marktplatz waren die Händler gerade dabei, ihre Stände aufzubauen – für Hix noch ein Argument gegen ein Leben als solcher: Er schlief gerne lang, wenn seine Zeit und Tengaar das zuließen. Dieser Morgen war aufgrund von Tengaars Ausbruch eine Ausnahme, die nicht sonderlich oft vorkam. Was ihn schon wieder zu dem Grund brachte, warum er nun hier stand. Er beschloss, erst einmal am Hafen nach ihr zu suchen. Am Tag zuvor war sie dort immerhin eine ganze Weile gesessen, um das Meer zu betrachten. So früh am Morgen gab es keine Sonnenstrahlen, die das Wasser glitzern ließen, stattdessen wirkte es wie flüssiger glanzloser Stahl. Keineswegs so schön wie tagsüber, aber auch nicht so düster wie nachts, wenn es aus reiner Dunkelheit zu bestehen schien. Die ersten Schiffe legten bereits an, Hafenarbeiter halfen beim Löschen der Ladung, alles wirkte ungeheuer hektisch und das so früh am Morgen, dass Hix richtiggehend müde wurde. Doch auch hier entdeckte er Tengaar nicht. Also lief er weiter in Richtung des Ratshauses. In der Seitenstraße davor befanden sich immerhin die Geschäfte, eine Lotterie – was Hix außerordentlich interessant fand – und auch die Schmiede. Doch auch hier fand er Tengaar nicht und die Läden waren noch nicht geöffnet. Er seufzte leise. Wo kann sie nur hin sein? Unwillkürlich fiel sein Blick auf den Boden. Etwas wie rote Farbe schien sich auf dem Pflaster zu befinden. Er kniete sich hin, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Aus der Nähe betrachtet erkannte er die Konsistenz sofort: Es war Blut. Verwirrt überlegte er, ob es gestern schon dagewesen war, doch er konnte sich nicht daran erinnern, er wusste nicht einmal, ob er am Vortag zu Boden gesehen hatte. Aus einem ihm unbekannten Grund zog sich sein Innerstes beim Anblick des Blutes zusammen. Es war außerordentlich viel, mit Sicherheit stammte es nicht allein von einer Schlägerei unter Betrunkenen. Aber was war dann hier geschehen? „He, Junge.“ Die ruppige Stimme des Schmieds riss ihn wieder aus seinen Gedanken. Er hob den Blick zum Zeichen, dass er zuhörte, sagte aber nichts. „Du hast nicht zufällig was damit zu tun, oder?“ Der grobschlächtige Schmied, der bereits deutlich in die Jahre gekommen war, deutete auf das Blut. „Letzte Nacht gab es ziemlich viel Lärm vor meinem Laden“, brummte er. „Die ganzen Jahre war hier alles ruhig, aber kaum kommen ein paar Toraner vorbei, bricht hier schon ein Tohuwabohu aus.“ Tohuwabohu?, überlegte Hix, der das Wort noch nie zuvor gehört hatte. Er wunderte sich so sehr über das fremdartige Wort, dass er nicht einmal bemerkte, wieviel Verachtung der Schmied in das Wort „Toraner“ steckte. Nur langsam stand er wieder auf, nur um festzustellen, dass er trotzdem um einiges kleiner war als sein Gegenüber, was ihm noch mehr Respekt als ohnehin schon einflößte. „Also? Habt ihr was damit zu tun oder nicht?“ „I-ich weiß nicht, Sir“, kam die stotternde Antwort. Es war immerhin die Wahrheit, er wusste nicht, zu wem das Blut gehörte oder wie es auf den Boden gekommen war. Der Schmied musterte ihn misstrauisch, aber gegen Hix' unschuldiges Gesicht kam selbst er nicht an. Brummend wandte er sich ab. „Nun gut, dann komm. Wenn du schon hier bist, kannst du gleich deine Waffen wieder mitnehmen.“ Schweigend folgte Hix ihm in die stickige Schmiede, wo bereits ein Feuer brannte. Im Gegensatz zu der kühlen Morgenluft war es im Inneren angenehm warm, es ließ sich mit Sicherheit gut für längere Zeit aushalten. Ohne viele Worte übergab der Schmied ihm sein Schwert, so wie Tengaars Wurfmesser. Hix steckte alles ein, bevor er sich leise verabschiedete und wieder hinausging. Die Kälte schien plötzlich noch um einiges intensiver zu sein, doch er biss die Zähne zusammen. Er setzte seine Suche in Richtung Ratshaus fort. Offenbar war gerade die Zeit zu der die Ratsmitglieder zur Arbeit gingen oder die Assistenten eben dieser. Jedenfalls betraten mehrere fein gekleidete Männer das Gebäude jenseits des Brunnens. Hix blieb eine Weile stehen und beobachtete das Treiben, bis schließlich alle im Haus verschwunden waren. Ansonsten befand sich so früh niemand auf dem Platz. Ob Tengaar die Stadt wohl verlassen hatte? Nein, mit Sicherheit wurden nachts die Tore geschlossen, wie hätte sie das also bewerkstelligen sollen? Folglich musste sie noch hier sein... irgendwo. Seufzend wandte er seine Schritte in den nördlichen Teil der Stadt. Die Villen wirkten am Morgen längst nicht so bedrohlich wie am vorigen Tag, sondern eher verschlafen, weswegen es ihm an diesem Tag nichts ausmachte, dort die Straße entlangzulaufen. Er glaubte bereits, auch hier nicht die Antwort zu finden, bis er hinter einem Tor ein kleines Mädchen entdeckte. Das silberne Haar zog sofort seine Aufmerksamkeit auf sich, ihre großen fliederfarbenen Augen musterten ihn neugierig. „Guten Morgen. Du bist aber früh wach“, stellte er überrascht fest. Sie lächelte leicht. „Ja. Nach dem, was letzte Nacht geschehen ist, konnte ich nicht mehr schlafen.“ Es überraschte ihn, dass sie so frei heraus erzählte, dass etwas geschehen war und sie anscheinend Zeuge davon geworden war. Für ein kleines Mädchen drückte sie sich äußerst gewählt aus. Selbst wenn er sie nicht im Vorgarten einer Villa gesehen hätte, wäre ihm dadurch klar gewesen, dass sie einer adeligen Familie angehörte. Normalerweise gehörte er nicht zu der neugierigen Sorte, aber eine Stimme in seinem Inneren sagte ihm, dass das, was sie gesehen hatte und Tengaars aktueller Aufenthaltsort eng zusammenhingen. „Was ist denn geschehen?“, fragte Hix. Für einen Moment sah sie ihn nur forschend an, als überlegte sie, ob sie ihm wirklich vertrauen könnte. Er bemühte sich, sein unschuldigstes Gesicht aufzusetzen, was bei ihm kein wirkliches Problem war. Schwieriger wäre es gewesen, hätte er böse dreinsehen müssen. Das gehörte nicht wirklich zu seiner Spezialität. Schließlich lächelte sie. „Ich denke, ich kann dir vertrauen. Du wirst mich bestimmt nicht an Lord Keeferson verraten.“ Er wusste nicht einmal, wer dieser Mann sein sollte, also kam das gar nicht in Frage. Wobei er das vermutlich selbst dann nicht getan hätte, wenn er diesen Mann kennen würde. Er stellte ihn sich als furchterregenden, arroganten Adeligen vor, dessen herablassender Blick bereits ausreichte, um das Blut in seinen Adern gefrieren zu lassen. Das Mädchen trat näher an das Tor. Mit einer Geste bedeutete sie ihm, sich zu ihr zu beugen, was er sofort tat. Mit verschwörerischer Stimme flüsterte sie ihm zu, was in der Nacht zuvor geschehen war: „Ich habe einen Wolf gesehen und bin ihm gefolgt, bis ich einer rothaarigen Frau begegnet bin.“ Überrascht stürzte Hix fast zu Boden. Es war nicht ausgeschlossen, dass es in dieser Stadt noch andere Rothaarige gab, aber ob die zufällig zur selben Zeit nachts herumliefen? Das bezweifelte er doch sehr. „Sie wurde von den Wölfen angegriffen und schwer verletzt.“ Er glaubte, ihm würde das Herz stehenbleiben. Schwer verletzt, seine Tengaar! Was mochte wohl mit ihr geschehen sein? Hastig rief er sich selbst wieder zur Ordnung. Noch war nicht raus, was geschehen war. Es war nicht genug Blut, um zu beweisen, dass sie tot war, außerdem würde in diesem Fall eine Leiche fehlen. „Aber dann kam ein fremder Mann vorbei, er hat sie gerettet. Ich bin dann nach Hause gegangen, ich weiß nicht, was weiter geschehen ist.“ Nervös biss Hix sich auf die Unterlippe. Also lebte Tengaar, sofern dieser Mann ihr nichts getan hatte – aber wo war sie nun? „Bist du ihr Freund?“, fragte sie plötzlich. Er erschrak noch einmal. „J-ja, das bin ich.“ „Dann sollte sie bei dir sein.“ Seufzend stimmte er ihr zu, direkt gefolgt von der Erklärung, dass er gerade auf der Suche nach ihr war. Das Mädchen nickte verstehend. „Ich weiß nicht, wo der Mann sie hingebracht hat, aber vielleicht solltest du beim Arzt nachfragen.“ Nachdem sie ihm den Weg dorthin erklärt hatte, verabschiedeten sie sich voneinander. Während sie ins Haus hineinging, lief er in die von ihr vorgegebene Richtung. Eine ganze Weile dachte er noch an dieses Mädchen zurück. Tengaar allein hätte es bestimmt geschafft, einen Zauber zu wirken und dann wegzulaufen, auch vor einem Wolf, sie war nicht umsonst die beste Magierin und schnellste Läuferin des Dorfes. Aber wenn das Mädchen bei ihr gewesen war, war das natürlich nicht so einfach für sie gewesen. Nun blieb nur noch zu hoffen, dass Tengaar tatsächlich beim Arzt gelandet war. Wenn nicht... er wagte gar nicht, daran zu denken, dass er sie dann vollkommen allein in einem fremden Land suchen müsste. Wo sollte er nur anfangen? Wie würde er wissen, in welche Richtung er gehen müsste? Vor der Praxis schob er diese Gedanken ganz nach hinten. Noch bestand die Hoffnung, dass sie sich in diesem Gebäude aufhalten oder man ihm zumindest mehr sagen könnte. Im Inneren empfing ihn eine sterile Atmosphäre, die ihn mehr an eine Klinik als an eine Arztpraxis erinnerte. Mehrere Betten, die nur durch Vorhänge getrennt waren, befanden sich direkt in seinem Blickfeld – aber jedes einzelne war leer. Sein Mut sank augenblicklich. Da half auch der Anblick der freundlichen Ärztin nicht, obwohl sie ihm einladend zulächelte. Die grauen Augen glitzerten hinter den halbrunden Brillengläsern. „Guten Morgen. Was kann ich für dich tun?“ Er versuchte, das Lächeln zu erwidern, doch es entstand nur eine eigenartige Grimasse. Ein in seinem Hals gebildeter Kloß verhinderte das Sprechen. „Fühlst du dich nicht gut?“, fragte sie ermunternd. „Du musst schon mit mir reden, mein Lieber.“ Er schluckte schwer, konnte aber auch danach nur mühsam sprechen: „I-ich su-suche eine Freundin von mir. Sie wurde letzte Nacht verletzt...“ Das freundliche Lächeln erlosch und wurde von einem entschuldigenden Gesichtsausdruck ersetzt. „Das tut mir Leid, aber wie du siehst sind alle Betten leer.“ Sie machte eine ausholende Handbewegung, die das gesamte Zimmer einschloss. Damit machte sie ihm noch einmal klar, was er schon auf den ersten Blick gesehen hatte. Die Leere in der Praxis spiegelte sich in seinem Inneren wider. „Hast du sie denn hergebracht?“ Er empfand die Frage als recht sinnlos. Hätte er das getan, müsste sie doch davon wissen. Bedrückt schüttelte er seinen Kopf. Allerdings war er noch nicht in einer Sackgasse gelandet, wie es aussah, denn plötzlich lächelte die Ärztin wieder. „Wie sieht sie denn aus?“ Leise, in knappen Worten, beschrieb er Tengaars Aussehen. „Dann kann ich dir doch noch helfen“, sagte sie zufrieden. Überrascht sah er sie an. „Was?“ „Du musst wissen, ich stehe ziemlich früh auf, weil ich früh morgens im Zexen-Wald Heilkraut sammeln gehe. Um die Zeit schlafen die Monster nämlich.“ Sie lachte, als ob sie gerade einen interessanten Scherz gemacht hätte, der allerdings an Hix' Verständnis vorbeiging. Wieder ernst geworden fuhr sie fort: „Während ich dort war, lief ein Mann an mir vorbei, den ich nie zuvor gesehen habe und als Ärztin gehe ich davon aus, alle Menschen in dieser Stadt zu kennen. Immerhin kommt früher oder später jeder einmal zu mir.“ Hix wollte fragen, was das mit ihm zu tun hatte, doch er wagte nicht, sie zu unterbrechen. Stattdessen hoffte er, dass sie zum Kern kommen würde, was sie auch sofort tat: „Und dieser Mann trug eine ohnmächtig erscheinende rothaarige Frau auf dem Arm, genau wie du sie beschreibst. Ja, schau nicht so ungläubig, meine Nachtsicht ist hervorragend.“ Aber ich habe doch gar nicht daran gezweifelt... „Ich wollte meine Hilfe anbieten, aber er war so schnell wieder weg...“ „Wo ist er hin?“, fragte Hix hastig. „Wohin führt der Wald?“ Im Gegensatz zu Tengaar kannte er sich in der Geografie gar nicht aus, er konnte nicht einmal mit einer Karte und einem Kompass umgehen. Ohne sie war er geradezu verloren. Nachdenklich legte sie die Hand an ihr Kinn und schwieg eine Minute, die für Hix wie eine Stunde vorkam. Ihre Geografie-Kenntnisse schienen auch nicht sonderlich weit zu reichen, wenn sie so lange zum Nachdenken brauchte. Vermutlich hatte sie deswegen auch noch nicht gefragt, wo er herkam: Sie könnte damit ohnehin nichts anfangen. „Er führt zur Messingburg“, erklärte sie schließlich. „Oder, wenn du weiter über die Yaza-Felder gehst, kommst du nach Iksay, Budehuc und Nor.“ Mit all diesen Namen konnte er nichts anfangen, sein Kopf schwirrte. Die Auswahl war viel zu groß, woher sollte er wissen, wohin dieser Mann mit Tengaar gegangen war. Doch plötzlich kam ihm etwas in den Sinn, was seine Sorgen und Ängste sofort hinwegwischte: Tengaar war verletzt, sie trug keine Waffen mit sich und wurde von einem Fremden durch ein unbekanntes Land getragen. Sobald sie wieder wieder zu sich kam, würde sie bestimmt verängstigt sein und sie würde darauf warten, dass er sie retten kommen würde. Er konnte seine eigenen Selbstzweifel nicht die Oberhand gewinnen lassen, er musste sich zusammenreißen. Wie ein echter Krieger! In Gedanken klopfte er sich selbst auf die Schulter. Solange dieser Zustand anhalten würde, brauchte er sich keine Sorgen zu machen – zumindest nicht um sich selbst. „Du scheinst entschlossen“, stellte die Ärztin schmunzelnd fest. Er nickte eifrig. „Ich werde ihnen folgen. Vielen Dank für die Hilfe!“ „Nichts zu danken~ Dann streng dich mal an. Und wenn du ärztliche Hilfe braucht, komm jederzeit wieder vorbei, Junge.“ Er bedankte sich noch einmal, dann wirbelte er herum und verließ die Praxis. Seine Gedanken drehten sich nur noch um Tengaar, so dass er nicht einmal bemerkte, wie er zurück ins Gasthaus hastete, bis er sich plötzlich in seinem Zimmer wiederfand. Erstaunlich souverän wählte er aus all den Dingen, die Tengaar am Vortag eingekauft hatte die Dinge, die er für eine Reise brauchen würde. Genug, um sich selbst für eine Weile zu versorgen, zu wenig, um davon aufgehalten zu werden. Den Rest ließ er zurück, bezahlte beim Inhaber im Voraus für eine Woche und eilte zum Stadttor, wo er wieder stehen blieb. Sein Blick schweifte über den Pfad, der von der Stadt wegführte zu dem nicht weit entfernten Wald, der ihm unter anderen Umständen um einiges bedrohlicher erschienen wäre. Jenseits des Waldes, im Osten, erkannte er eine Burg, die über die Baumwipfel ragte, dies musste die Messingburg sein, von dem die Ärztin gesprochen hatte. Dort würde er mit seiner Suche nach Tengaar anfangen. Mit entschlossenen Schritten verließ er Vinay del Zexay und lief den Pfad in Richtung Wald hinunter. Die Gedanken immerzu bei seiner Freundin, um den ungewohnten Mut in seinem Inneren nicht versiegen zu lassen. Kapitel 4: Von bösen Wölfen und wütenden Pflanzen ------------------------------------------------- Alle Wälder, die Hix bislang betreten hatte, waren Labyrinthe gewesen. Wege führten aus unersichtlichen Gründen in Sackgassen, wieder andere führten einen nur im Kreis und dann gab es noch die Pfade, die einen an einen ganz anderen Ort als das Ziel führten. Im Vergleich dazu war dieser Wald erstaunlich geradlinig. Helles Sonnenlicht fiel durch das Blätterdach und schien Hix den Weg zu weisen – auch wenn es ohnehin nur einen gab. Das hing mit Sicherheit damit zusammen, dass dieser Wald die direkte Verbindung zur Messingburg und noch einigen anderen Bereichen von Zexen war. Zu komplizierte Wege wären kontraproduktiv gewesen, da war sich Hix sicher und für ihn war es auch gut, immerhin konnte er sich so nicht verlaufen. So sehr er diesen Wald auch mochte, etwas sehr Entscheidendes störte ihn doch, er konnte nur nicht den Finger darauf legen. Aber früher oder später würde er noch darauf kommen. Ansonsten irritierte ihn nur noch eines: Er fühlte sich verfolgt. Er war vielleicht nicht der beste Schwertkämpfer, aber dafür sehr feinfühlig – oder auch paranoid. Wann immer er sich umsah, war niemand zu sehen, aber das Gefühl blieb bestehen. Während er dem Weg weiterfolgte, wandte er sich immer wieder überraschend um, doch es blieb immer dasselbe Bild. Er stellte sich vor, wie eine DoReMi-Elfe sich einen Scherz daraus erlaubte, jedes Mal im Gebüsch zu verschwinden, sobald er sich umdrehte. Dabei wusste er nicht einmal, ob es in diesem Wald so etwas überhaupt gab. Aber die Vorstellung beruhigte ihn und sorgte dafür, dass er an etwas anderes denken konnte. Warum entführte jemand Tengaar? Sie war nicht reich oder Tochter eines hohen Anführers, sie war einfach nur Tengaar aus dem Dorf der Krieger in Toran, das einzige Kind von Zorak – und bislang letzte Nachfahrin des großen Klifts. Lag es vielleicht daran? In Gedanken versuchte er, alle Geschichten über den Gründer des Dorfes durchzugehen, doch es waren enorm viele. Zorak verstand zwar nichts davon, Geschichten spannend zu erzählen, allerdings war er gut darin, einem etwas so oft zu berichten, dass man es garantiert nicht mehr vergessen konnte. Auch wenn es Hix manchmal lieber wäre, denn so hörte man ein- und dieselbe Sage immer wieder und wusste schon vorher genau, was passierte, was das alles noch langweiliger als ohnehin machte. Was er aber wusste, war, dass Tengaar eine äußerst gute Magierin war, ihr Umgang mit Runen war in ihrem Dorf unerreicht und selbst in den Armeen war sie immer eine der Besten gewesen. Zorak verkündete stets mit stolzgeschwellter Brust, dass es an Klifts Blut, das durch ihre Adern fließt, liegen würde. Ob das wirklich der Grund war, konnte natürlich niemand bestätigen, aber vielleicht steckte das hinter ihrer Entführung. Hix würde das auf jeden Fall herausfinden... zumindest hoffte er das. Als er das Rauschen von Wasser hörte, fiel ihm auch ein, was in diesem Wald eindeutig fehlte: Vogelgezwitscher. Der ganze Hain lag vollkommen ruhig da, kein einziger Vogel sang sein Lied in den Bäumen. Es war der erste Wald, in dem ihm so etwas unterkam. Ob es so etwas in den Wäldern von Zexen gar nicht gab? Nein, das war doch lächerlich. Warum sollte es ausgerechnet in diesem Land keine Vögel in den Wäldern geben? Er wollte gerade einen kleinen Bach überqueren, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Abrupt hielt er inne. Es war unverkennbar ein Knurren. Während er schluckte, fiel ihm wieder ein, was das Mädchen gesagt hatte: „Sie wurde von den Wölfen angegriffen und schwer verletzt.“ Und auch die Geschichten, die Zorak ihm als Kind erzählt hatte von den bösen Wölfen, die Menschen mit einem Haps verspeisen konnten – später wurden daraus Geschichten von ganzen Horden, die einen brutal zerteilten, bevor sie ihn fraßen. Innerlich schickte er ein Stoßgebet an die Runen, dass er nicht einem ganzen Rudel gegenüberstehen würde, dann drehte er sich langsam um. Was er erblickte, erschreckte ihn mehr als eine Meute Wölfe es je getan haben könnte. Es war nur ein einziges Wesen, das halb im Schatten stand und nur diese vor dem Licht verborgenen Körperteile waren klar zu sehen. Die Sonne machte es fast unmöglich, das rauchige Haupt und die Vorderbeine zu erkennen, aber die rotglühenden Augen und die weiß blitzenden rasiermesserscharfen Zähne waren genug, um Hix' Knie weich werden zu lassen. Das Wesen knurrte noch einmal, sein Gegenüber wich zurück. „L-Lieber Hund~ G-ganz brav. Du wirst mich doch nicht fressen? I-ich bin s-sehr zäh, wirklich!“ Er wusste nicht, ob das Wesen ihn überhaupt verstehen konnte oder ob es darauf hören würde. Aber er war sich sicher, dass es zu denen gehörte, die Tengaar in der Nacht zuvor angegriffen hatten und auch für seinen Verfolgungswahn verantwortlich war. Der Wolf senkte den Oberkörper zum Sprung, Hix griff hastig nach seinem Schwert und ärgerte sich darüber, dass er genau in diesem Augenblick vor aufkeimender Panik Probleme damit hatte, die Waffe zu ziehen. Doch schon im nächsten Augenblick schien das vollkommen unnötig zu werden. Aus dem Nichts schoss eine Wurzel hervor und begrub den Wolf unter sich. Das Tier konnte nur noch ein letztes Winseln von sich geben, bevor es sich bereits auflöste. Hix atmete erleichtert aus – bis ihm auffiel, dass es nicht sonderlich normal war, wenn Wurzeln plötzlich auftauchten und Monster töteten. Sofort kehrte die Anspannung zurück, sein Blick wanderte an den Wurzeln entlang, die Füße darzustellen schienen, zu einem massiven Ast von dem zwei kleinere wie Arme abgingen. Das große Blatt einer Stechpalme bildete den Oberkörper des Wesens, rote Früchte dienten als Augen. Es war eindeutig ein Papa Ilex wie es sie im Wald zwischen Greenhill und Mathilda gab – nur dass dieser hier um einiges riesiger war. Hix konnte nichts anderes tun als dieses Wesen nur anzustarren. Es stand inzwischen wieder völlig ruhig da, wie ein Baum. Hätten sich die Wurzeln nicht eben bewegt, wäre es Hix zwischen all den anderen Stämmen nicht weiter aufgefallen. Doch warum hatte sich der Papa Ilex überhaupt bewegt? Noch bevor Hix sich einbilden konnte, dass es zu seinem Schutz geschehen war, hüpften mehrere kleine Stechpalmenblätter aus dem Gebüsch hervor. Das müssen seine Kinder sein. Offenbar war der Wolf als Bedrohung für die kleinen Ilexe eingestuft und deswegen getötet worden. Es war also ein Glücksfall gewesen, dass er genau an dieser Stelle zu knurren begonnen hatte, nachdem er zuvor nicht einmal sichtbar gewesen war. Keines der aufgetauchten Wesen machte Anstalten, ihn anzugreifen. Die Ilexe standen um ihren Vater herum, die roten Fruchtaugen glubschten den Schwertkämpfer aus gebührendem Abstand neugierig an, als ob er der erste Mensch in ihrem Leben wäre. Bei genauerem Nachdenken war das vielleicht auch so. Hix atmete erleichtert auf, fuhr herum und lief weiter – nur um einen hohen Schrei zu hören, der von etwas unter seinem Fuß ausgestoßen wurde. Ein Blick nach unten war überflüssig, er wusste auch so, dass er gerade auf einen der neugierigen Ilexe getreten war. Er musste auch nicht hinter sich sehen, um zu wissen, dass Papa Ilex und seine Kinder nun äußerst sauer waren. Das laute Brüllen und das empörte Kreischen waren ihm Zeugnis genug dafür. Statt sich noch einmal umzudrehen, rannte er los. Doch kaum hatte er den Bach überquert, spürte er wie sich etwas um seinen Fußknöchel wickelte. Schon im nächsten Moment stürzte er mit dem Gesicht voran auf den Boden. Heftige Schmerzen zuckten durch seine Brust und Kiefer. Papa Ilex zog ihn, angefeuert von seinen Kindern, langsam wieder zurück. Panik durchfuhr Hix. Seine Hände gruben sich in die lockere Erde, hinterließen aber nur tiefe Rillen, während er weitergezogen wurde. In Dunan hatte er nicht einmal gegen die kleineren dieser Art allein bestehen können, wie sollte er da so ein riesiges Exemplar besiegen können? Aber wenn er nichts tat, wäre nicht nur er selbst bald nur noch eine Erinnerung, auch Tengaar wäre davon betroffen, denn wer sollte sie retten, wenn nicht er? Der Gedanke an seine Freundin gab ihm neue Kraft und Elan. Wieder griff er nach seinem Schwert, diesmal glitt es erstaunlich leicht aus der Scheide. Umständlich richtete er sich auf, problemlos zerteilte die Klinge die Ranke. Der Papa Ilex schrie auf, sein Brüllen war mit Sicherheit bis nach Vinay zu hören. Die drei verbliebenen Äste schlugen unkontrolliert um sich, Dreck wurde dabei aufgewirbelt. Die Ilexe sprangen panisch umher, um den Schlägen auszuweichen, es wirkte wie ein bizarrer Tanz, bei dem einige der Kleinen die Choreografie durcheinanderbrachten und so gegeneinander sprangen und wieder zurückflogen. Sofort sprang Hix auf. Er wollte weiterrennen, doch ein Impuls ließ ihn innehalten. Sein Blick war auf die verbliebene Wurzel gerichtet, die als Ranke fungieren konnte. Im nächsten Moment sah er sie bereits auf sich zukommen. Geistesgegenwärtig duckte er sich darunter hinweg. Der Papa Ilex traf mit Wucht auf einen Baum, der bedrohlich zu schwanken begann, Blätter regneten herab als wäre der Herbstanfang vorgezogen worden. Hix atmete gerade aus, als die Ranke ihn beim Rückziehen traf und brutal zu Boden schleuderte. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, gleichzeitig entflammten brennende Schmerzen an seiner rechten Schulter. Er wusste gar nicht, was er in diesem Moment als schlimmer empfinden sollte – doch der fehlende Sauerstoff gewann schließlich das Rennen. Hektisch schnappte er nach Luft, um seine Lungen wieder zu füllen. Kaum war das geschehen, sprang er zum zweiten Mal auf. Die lauernde Ranke sagte ihm, dass ein erneuter Fluchtversuch nur zu noch mehr Verletzungen führen würde. Auch wenn der Papa Ilex immer noch mit blinder Wut beschäftigt zu sein schien, so war sich Hix ganz sicher, dass er nur darauf wartete, dass sein Gegner noch einmal wegzulaufen versuchte. Aber was sollte er dann tun? Auch stilles Rumstehen half nicht weiter, wie ihm eben demonstriert worden war. Blut lief, unangenehm warm, seinen rechten Arm hinunter, was seinen Blick auf die Rune an seiner Hand lenkte – und ihn auf eine Idee brachte. Entgegen der Schmerzen hob er seinen Arm. Ein sanftes, blaues Leuchten ging von seiner Hand aus, das Tropfen-Symbol erschien schemenhaft in der Luft. Klirrende Kälte ging davon aus und zerschnitt die vorherrschende Wärme. Schnee kam auf, eine feine Eisschicht legte sich auf das Wasser des Baches und auch über die Wesen. Die Ilexe hielten in ihrem Tanz inne, als sie zu Eisklötzen erstarrten, die Bewegungen des Papa Ilex wurden langsamer, ein tiefes Brummen ging von ihm aus. Den Bruchteil einer Sekunde später war auch das große Wesen erstarrt und zur Bewegungsunfähigkeit verdammt. Hix senkte die Hand wieder und atmete zum wiederholten Male erleichtert auf. Diesmal geschah tatsächlich nichts mehr, die Erleichterung war gerechtfertigt. In seinem Kiefer, seiner Brust und Schulter pochten immer noch Schmerzen, aber er ignorierte es. Tengaars Sicherheit war nun wichtiger, bestimmt war es nicht mehr weit, bis er die Messingburg erreichen würde und wer wusste schon, was der Entführer ihr antat, während Hix im Wald herumspielte? Nach einem letzten Blick auf das im Sonnenlicht funkelnde Eis fuhr er herum und lief weiter. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis er den Ausgang des Waldes erreichte. Von dort sah er das gewünschte Ziel schon ein wenig mehr aus der Nähe, so wirkte es noch um einiges imposanter als zuvor von Vinay aus. Tengaar schien endlich wieder greifbar zu werden, auch wenn er nicht wusste, wo genau der Fremde sie hingebracht hatte. Aber möglicherweise hatte hier jemand sie gesehen. Mit beschwingten Schritten lief er weiter und erreichte so nur wenige Minuten später einen langen gepflasterten Pfad, der einer Brücke ähnelte. Mehrere Menschen liefen darauf herum, Ritter saßen hoch zu Ross und bewegten sich so vorwärts, Hix fühlte sich endlich wieder ein wenig sicherer und bemerkte so nicht die abfälligen Blicke, die ihm von den anderen aufgrund seiner schmutzverkrusteten Kleidung und seinem blutigen Arm zugeworfen wurden. Er lief hastig weiter. Nach dem Waldweg fühlte sich das eben Pflaster angenehm unter seinen Füßen an, so dass ihm die Bewegungen trotz der pochenden Schmerzen nicht schwerfielen. Als er die Hälfte des Wegs hinter sich gebracht hatte, blieb er stehen. Sein Blick war frei auf einen Torbogen – doch seine Augen waren nur auf eine einzige Person gerichtet, die darin stand. Die Kleidung war anders und sie stand einige Meter entfernt, aber dennoch erkannte er sie sofort, nicht zuletzt durch ihre roten Zöpfe. Sie lebte also noch! Freude durchströmte sein Inneres und überdeckte seine Schmerzen, doch noch bevor er ihr zuwinken konnte, fuhr sie plötzlich herum und entfernte sich langsam von ihm. „Tengaar!“ Sein Schrei schreckte einige Leute um ihn herum auf, doch sie alle warfen ihm nur einen kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder abwandten. Tengaar reagierte gar nicht darauf. Ohne weiter zu zögern rannte er los. In seinem Kopf ging er derweil alle Varianten durch, die erklären könnten, warum sie ihn ignorierte. Leider war Hix nicht unbedingt sehr fantasievoll, weswegen ihm nur der Gedanke kam, dass sie wütend auf ihn war. Möglicherweise hatte sie gar nicht gewollt, dass er ihr half. Nein! Das durfte er gar nicht erst denken! Er rannte durch den Torbogen hindurch. Tengaar ergriff gerade die Hand eines fremden Mannes, der möglicherweise ihr Entführer war, wenn es denn einen gegeben hatte. Hix lief weiter auf die beiden zu, selbst als der Fremde den kalten Blick auf ihn richtete und seine erhobene rechte Hand bedrohlich zu glühen begann. Kapitel 5: In der Messingburg ----------------------------- Als die Bewusstlosigkeit endete, wurde sie unsanft aus einer warmen Umarmung gerissen. Unangenehm heiße Schmerzen flossen in Wellen durch ihren Körper, Übelkeit kam dabei in ihr auf. Sie wollte sich aufsetzen, in der Hoffnung, dass das Gefühl abklingen würde, doch ihr Körper reagierte nicht. Während sie tief ein- und ausatmete, um die Schmerzen zu bekämpfen, öffnete sie die Augen. Die Decke war weiß, anhand dieser konnte sie nicht erkennen, wo sie war. Aber da der Geruch von Meerwasser nicht existent war, nistete sich in ihr der Gedanke ein, dass sie sich nicht mehr in Vinay del Zexay befand. Aber wo war sie dann? Und wo war Hix? Der Gedanke an ihn verdrängte den Schmerz, langsam kehrten die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück. Der Albtraum, der Streit, das kleine Mädchen, die Wölfe und auch der Fremde, der sie auf die Arme genommen hatte, kurz bevor sie ohnmächtig geworden war. Die Schmerzen, an die sie sich langsam gewöhnte, stammten also von ihren erlittenen Verletzungen. Sie spürte Bandagen, die um ihren Körper geschlungen waren, jemand hatte sich also darum gekümmert. Ob es auch das Werk dieses Mannes gewesen war? Aber hatte er sie dafür wegbringen müssen? Ein unangenehmer Gedanke zuckte durch ihren Kopf. War sie etwa entführt worden? So vorsichtig wie möglich, um ihren Körper nicht gleich wieder zum Protestieren zu bringen, setzte sie sich auf, damit sie sich besser umsehen konnte. Ein Wandschirm neben dem Bett schränkte ihre Sicht auf den Rest des Raumes empfindlich ein, doch allein die steinerne Mauer sagte ihr bereits, dass sie sich nicht in einem normalen Haus befand. Von weit her erklangen unzählige Schritte, das Scheppern von Rüstungen und Stimmen, die so leise an ihr Ohr kamen, dass es wie ein Schwarm Bienen statt menschlichen Lauten klang. Als sie sich drehte und die Füße auf den Boden setzte, bemerkte sie, dass sie nicht mehr ihr gelbes Kleid trug. Stattdessen war ihre zerstörte Kleidung durch etwas ersetzt worden, das Tengaar unangenehm an eine Uniform erinnerte. Das weiße Hemd war noch neutral, genau wie der bis zu ihren Knöcheln reichende, einseitig geschlitzte schwarze Rock. Auf der Gürtelschnalle war ein Symbol zu sehen, das an eine Kompassrose erinnerte – zumindest wenn sie den von Templeton aufgeschnappten Begriff richtig in Erinnerung hatte. Im Inneren eben dieser war noch etwas zu sehen, das an eine Rune erinnerte, wenngleich Tengaar eine solche noch nie gesehen hatte – allerdings war es auch schwer, etwas zu erkennen, wenn man die Gürtelschnalle nur kopfüber begutachten konnte und nebenbei Schmerzen in ihrem gesamten Körper pochten. Möglicherweise war es das Wappen irgendeiner Vereinigung. Eine Vermutung, die sich weiter festigte, als ihr Blick auf eine Jacke fiel, die über einen Stuhl hing. Sie war schwarz, mit weißen von Silberfäden durchzogene Ränder. An einem Arm war eine rote Binde befestigt, auf deren Untergrund sich dasselbe Symbol wie auf der Gürtelschnalle befand. Wenn Tengaar ganz genau hinsah, erkannte sie es sogar auf einem Knopf am Kragen wieder. Warum trug sie diese Sachen? War sie überhaupt noch in ihrem Körper? Ein lächerlicher Gedanke, doch sie prüfte ihn sofort, indem sie einige Strähnen ihres Haars vorzog. Erleichtert atmete sie auf, als sie feststellte, dass es sich um ihre altbekannten rote Mähne handelte. Außerdem würden ihre Schmerzen sonst keinen Sinn machen, wenn sie noch einmal darüber nachdachte. Da sie sichergestellt hatte, dass sie noch sie selbst war, dachte sie wieder an Hix. Bestimmt saß er gerade immer noch im Zimmer des Gasthauses und wartete auf sie. Sie müsste sich sofort auf den Weg zu ihm machen und dann könnten sie endlich wieder nach Hause gehen. Noch nie zuvor hatte sie sich so sehr nach ihrem Heimatdorf und den langweiligen Geschichten ihres Vaters gesehnt. Als sie sicher war, sich genug an die Schmerzen gewöhnt zu haben, um sich zumindest vorsichtig bewegen zu können, zog sie sich die weißen Stiefeletten an, die neben dem Bett standen. Zumindest diese gehörten eindeutig ihr, das bekannte Gefühl vermittelte ihr ein Stück Sicherheit. Probehalber stand sie auf. Wie erwartet kehrten die Schmerzen noch einmal verstärkt zurück, doch nach wenigen Sekunden ebbten sie wieder ab und hinterließen das bereits bekannte Pochen. Damit könnte sie sich fortbewegen, ganz sicher. Ein kalter Lufthauch streifte sie und ließ sie frösteln. Nach kurzem Nachdenken zog sie sich die Uniformsjacke an. Tengaar wusste zwar nicht, wofür die Symbole standen, aber sie war immerhin warm. Der Stoff war unerwartet leicht und schmiegte sich an sie, als ob der Schnitt nur für sie bestimmt wäre. Langsam ging sie um den Wandschirm herum. Noch mehr Betten kamen zum Vorschein, dazu ein Pult mit einem Buch darauf. Die Seiten waren mit verschiedenen Namen in den unterschiedlichsten Handschriften übersät; es war ein Gästebuch, also war dies wohl so etwas wie ein Gasthaus. Im Moment war es bis auf sie allerdings verlassen, nicht einmal Angestellte waren zu sehen. Vielleicht war das aber auch besser so, immerhin würde sie so niemand aufhalten, sofern niemand draußen stand. Etwas, wovon sie sich sofort überzeugen wollte. Sie öffnete die Tür, die nicht nach draußen, sondern in einen Gang führte. Ritter in Rüstungen liefen diesen entlang. Anhand der Kleidung erkannte Tengaar, dass es Zexen-Ritter waren, also befand sie sich immer noch im selben Land. Sie wusste nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen war, dieser Mann hätte sie in der Zwischenzeit überallhin schleppen können. Aber nun wusste sie, wo immer sie war, es war nicht Vinay del Zexay, aber immer noch dasselbe Land. Das ermutigte sie wieder ein wenig. Immerhin müsste sie nicht allzu weit nach Hix suchen. Hoffentlich war er so vernünftig, auf sie zu warten. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass er irgendetwas ohne sie unternehmen würde. Dann aber wiederum... war nicht gerade in diesen Situationen immer der Held in ihm erwacht? Ihr blieb wohl nur zu hoffen, dass sein innerer Held ihn in die richtige Richtung führte oder dass sie rechtzeitig wieder bei ihm sein würde, bevor er in Schwierigkeiten geriet. Da keiner der Ritter sie beachtete und auch sonst niemand sich als Aufpasser zu entpuppen schien, wandte Tengaar sich zur Seite. Schon nach wenigen Schritten fand sie eine Treppe nach unten. Wenn sie sich genau umsah, schien sie sich in einer Art Burg zu befinden, was auch die immense Anzahl von Ritter, die miteinander redend durch die Gänge liefen, erklären würde. Erst in der unteren Etage offenbarte sich, dass dieses steinerne Gebäude auch einen Durchgang darstellte. Wenn sie nach links sah, erblickte sie Sonnenlicht, wenn sie den Kopf nach rechts wandte, ebenfalls. In dieser Richtung schien es allerdings eine Art Grenzkontrolle zu geben, an der sich in beiden Richtungen mehrere Menschen ansammelten, darauf wartend, durchgelassen zu werden. Als Tengaar diese erblickte, wurde ihr sofort klar, wo sie war. Die Messingburg, die Grenze zwischen Zexen und den Graslanden. Aber warum hat er mich hierher gebracht? Sie hätte es den Fremden gerne gefragt, doch sie wollte ihm auch nicht noch einmal begegnen. Zu wissen, wo sie sich befand, gab ihr aber auch endlich den Vorteil, dass sie wusste, wie sie wieder nach Vinay del Zexay zurückkehren konnte. Sofern sie die Landkarte richtig in Erinnerung besaß, würde sie auf dem Weg womöglich auch Hix begegnen – sofern er überhaupt irgendetwas unternahm. Vielleicht vermisste er sie auch gar nicht. Dieser Gedanke stimmte sie traurig – und eine Sekunde später schon wieder wütend, als sie sich vorstellte, dass er sich womöglich bereits mit einer neuen Freundin vergnügte, ungeachtet der Tatsache, dass er so etwas nie tun würde. Wütend stapfte sie den Gang links entlang. Nach wenigen Schritten trat sie ins Sonnenlicht hinaus, geblendet schirmte sie ihre Augen mit einer Hand ab. Mehre Häuser, einige davon Geschäfte säumten die Straße zum Torbogen, der in Richtung Vinay del Zexay führte. Sie musste nur dort hindurchgehen, um zu Hix zurückzukehren. Die Wut machte der Sehnsucht Platz, so schnell wie möglich lief sie los – nur um sich von den Schmerzen wieder ausbremsen zu lassen, aber nicht vollständig anzuhalten. In ihrem Inneren erwachte plötzlich die Sorge, dass der Fremde von zuvor sie abfangen und wieder irgendwohin bringen würde. Auch in diesem Zustand würde sie sich nicht gegen ihn wehren können, vor allem da ihre Waffen immer noch in Vinay waren. Jedes Mal, wenn sich eine Ladentür öffnete, zuckte sie erschrocken zusammen und hielt inne. Ihr Herz schlug ihr dann bis zum Hals – bis sich herausstellte, dass die herauskommende Person nicht der Mann von zuvor war und sie sich langsam wieder beruhigend wieder weitergehen konnte. Nach der Hälfte der Strecke blieb sie stehen. Erschöpft lehnte sie sich gegen die Wand eines Ladens, um wieder zu Atem zu kommen. Normalerweise hätten diese paar Schritte nie genügt, um sie so auszulaugen, aber im Moment kam es ihr vor, als hätte sie ganz Toran durchquert. Während sie sich noch ausruhte, ging die Tür direkt neben ihr auf. Sie konnte einen Umhang sehen, als sich die Person rückwärts aus dem Laden hinausbewegte – es war derselbe wie der des Fremden! Geistesgegenwärtig zog sie sich hinter die Ecke des Gebäudes zurück. Sie presste sich gegen die Mauer, wäre am Liebsten noch mit dieser verschmolzen und betete inständig zu ihren Vorfahren, dass sie nicht entdeckt werden würde. Mit angehaltenem Atem blickte sie zur Straße hinüber, der Umhang kam in Sicht – und als sein Träger ebenfalls zu erkennen war, pustete sie die angestaute Luft erleichtert aus. Zwar besaß dieser Mann Ähnlichkeit mit dem Fremden, doch er wirkte jünger, die Frisur war anders und bei genauerem Hinsehen unterschieden sich auch ihre Mäntel voneinander. Puh, die Panik nimmt mir die Fähigkeit, klar zu denken. Dabei bin ich doch sonst nicht so. Eine Frau mit purpurfarbenem Haar trat neben den Mann. Die schulterfreie Kleidung bot einen guten Blick auf ihr Dekolletee, ansonsten befand sich außerordentlich viel wehender Stoff an ihrer Kleidung, der gemeinsam mit ihren schenkelhohen Stiefeln den Großteil ihres Körpers verbarg. Mit Sicherheit war sie keine Kämpferin – all dieser weite Stoff wäre doch sicher hinderlich. Sie wirkte recht wütend und begann auch sofort zu schimpfen. „Dieser Idiot! Er wird uns bestimmt wieder in Schwierigkeiten bringen!“ Ihr Begleiter schmunzelte amüsiert. „Nein, wird er nicht, keine Sorge. Wir gehen jetzt zu ihr und erklären ihr alles, in Ordnung?“ Sie nickte und ging gemeinsam mit ihm los. Keiner von beiden hatte Tengaar beachtet, nun da sie weg waren, traute diese, sich wieder zu bewegen und auf die Straße zurückzukehren. Es war nicht mehr weit, den Rest der Strecke musste sie auch noch schaffen. Während sie weiterlief, fragte sie sich unwillkürlich, wer die beiden wohl gewesen waren und worüber sie sich unterhalten hatten. Er besaß eine frappierende Ähnlichkeit zu dem Fremden, sogar die Stimmen ähnelten sich, es wäre ein viel zu großer Zufall gewesen, wenn die beiden gar nichts miteinander zu tun gehabt hätten. Ob mit Idiot also ihr Entführer gemeint gewesen war? Und wem wollten die beiden alles erklären? Nein, nein, fang jetzt nicht damit an, schalt sie sich selbst. Du gehst jetzt zu Hix zurück, dann schnappst du dir diesen – und ihr kehrt beide nach Hause zurück. So mache ich das. Je näher sie dem Bogen kam desto sicherer wurde sie sich, dass sie es schaffen würde. Nur noch ein paar Schritte, nur noch ein wenig und sie wäre in Sicherheit. Als sie schließlich im Torbogen stand, blieb sie wieder stehen. Erleichtert blickte sie auf die Straße die sie zum Zexen-Wald und schließlich nach Vinay del Zexay führen sollte. Reisende und Ritter, ob zu Fuß oder auf einem Pferd, hielten sich hier auf, liefen entweder von einem Punkt zum anderen oder betrachteten die Wälder und Berge der Umgebung. Doch Tengaar hatte dafür keinen Blick, sie wollte nur zu Hix zurück. Aber in dem Moment, in dem sie den Fuß hob, verspürte sie einen zuckenden Impuls in ihrem Inneren und ihr Körper versagte seinen Dienst. Hätte sie sich in diesem Moment von außen betrachten können, wäre ihr aufgefallen, dass jeglicher Glanz aus ihren Augen verschwunden war, ihr Gesichtsausdruck dem eines Schlafwandlers glich. Sie vernahm eine sanfte Melodie in ihrem Inneren, das Lied, das sie zuvor selbst im Gasthaus von Vinay gesummt hatte, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. Durch die einzelnen Töne konnte sie schließlich eine Stimme hören, dieselbe, die sie nach Zexen beordert hatte, desjenigen, der sie zuvor vor den Wölfen gerettet und dann hierher gebracht hatte. Aber all diese Gedanken erreichten in ihrem Inneren kein Ziel, sie war erfüllt von den Worten, die erklangen: „Lauf nicht weg. Ich habe so lange nach dir gesucht. Komm hierher.“ Ungelenk, wie eine Marionette, die von einem unerfahrenen Spieler geführt wurde, fuhr sie herum. Nur wenige Schritte entfernt von ihr stand ihr Entführer. Er winkte sie zu sich und ihre Beine setzten sich in Bewegung. Sie hörte nicht, wie eine ihr wohlbekannte Stimme, dessen Besitzer sie vor kurzem noch vermisst hatte, ihren Namen rief. Erst als sie die Hand des Fremden ergriff, registrierte sie die schnellen Schritte hinter sich, doch es kümmerte sie nicht. Genausowenig wie die erhobene rechte Hand des Unbekannten, als er im Begriff war, ihren Verfolger anzugreifen. Kapitel 6: Die Ritterschaft von Zexen ------------------------------------- Hix' Blick blieb auf Tengaar gerichtet. Er bemerkte die blaue Kugel, die auf ihn zusteuerte zu spät und wurde dadurch mit ihrer vollen Wucht nach hinten geschleudert. Mit dem Rücken auf dem Boden aufgekommen rutschte er weiter nach hinten. Es war als würde seine Haut, die mit dem Boden in Kontakt kam, in Flammen stehen. Die Menschen, aus ihrem ereignislosen Alltag gerissen, sahen ihn erschrocken an. Doch schon bald gingen die Blicke zu dem Angreifer weiter. Seine Hand glühte inzwischen nicht mehr, doch der Rauch, der unverkennbar von ihr aufstieg, sagte deutlich, dass die Kugel von ihm gekommen war. Sofort teilten sich die unbeteiligten Zuschauer in drei verschiedene Lager: Die einen betrachteten den Angreifer interessiert, als ob sie versuchen wollten zu ergründen, welche Rune er wohl benutzt hatte und wo diese zu kaufen wäre. Die anderen begannen panisch zu kreischen und kopflos herumzurennen, als ob sie fürchteten, die nächsten Opfer zu werden. Die anwesenden Ritter dagegen fühlten sich verpflichtet, ihre Schwerter zu ziehen und sich auf den Angreifer zuzubewegen. Niemand kam auf die Idee, Hix zu helfen, der sich inzwischen selbst wieder stöhnend aufrichtete. Unter anderen Umständen wäre er einfach liegengeblieben, bis Tengaar gekommen wäre, um ihm eine Standpauke zu halten. Doch darauf konnte er sich dieses Mal nicht verlassen. Während die Ritter nur den Angreifer betrachteten, war Hix' Blick auf Tengaar gerichtet. Ihre Kleidung war vollkommen neu, aber er konnte nicht verleugnen, dass sie ihr stand. Ihr Kopf war ihm leicht zugewandt, so dass er in ihr Gesicht sehen konnte. Doch er sah darin keinerlei Mitgefühl, keine Menschlichkeit, alle Muskeln waren vollkommen neutral. Am Furchtbarsten fand er allerdings ihre Augen: Sie waren vollkommen leer, kein Glanz zeigte sich darin. Bislang hatte er so etwas nur bei den gefallenen Soldaten auf dem Schlachtfeld gesehen – doch von denen war keiner mehr auf den Beinen gestanden. Schauer fuhren über seinen Rücken und überdeckten das Brennen seiner Wunden, nur um es umso schlimmer wieder auflodern zu lassen. Die Ritter hatten sich dem Angreifer inzwischen respektvoll genähert, doch dieser schien sie gar nicht wahrzunehmen. „Wir gehen, Mädchen.“ Er fuhr auf dem Absatz herum und zog Tengaar mit sich. Gerade als die Ritter sich auf ihn stürzen wollten, brachen Felsen aus dem Boden. Ihre scharfen Kanten zerbeulten die Rüstungen der Aggressoren, die durch ihren eigenen Schwung wieder zurückgeworfen wurden. In Hix' Ohren hörte es sich an als würden Töpfe und Pfannen auf den Boden fallen – das hatte er bereits oft genug gehört, um sich dessen Klang sicher zu sein. Die Felsnadeln zogen sich wieder zurück und wäre das Straßenpflaster an den entsprechenden Stellen nicht aufgeplatzt, hätte man meinen können, dass sie nie existiert hätten. Tengaar und der Fremde hatten sich inzwischen weiter entfernt, sie bewegten sich absolut sicher durch die aufgescheuchte Menge und kamen rasch voran. „Tengaar!“ Die Schmerzen ausblendend, lief Hix los, um ihnen zu folgen. So leicht die Fortbewegung bei den beiden aussah, so schwer war sie jedoch für ihn. Immer wieder stieß er mit jemandem zusammen, der ihm geradezu blind in den Weg lief. Er hielt sich nicht lange damit auf, sondern schob jeden vorsichtig beiseite und rannte unbeirrt weiter. Trotz der Hindernisse schaffte er es, die Distanz zwischen ihnen zu verringern, was nicht weiter verwunderte, immerhin liefen sie im normalen Schritttempo, während Hix immer noch rannte. Als sie nur noch wenige Meter voneinander trennten, hob er seine Hand. Die Wasserrune leuchtete auf, zum zweiten Mal an diesem Tag spürte er einen frostigen Hauch – doch bevor der Zauber wirken konnte, blieben die Verfolgten abrupt stehen. Tengaar fuhr ruckartig herum, die Augen auf die Rune gerichtet. Schmerzen ließen Hix aufschreien. Er blieb ebenfalls stehen und hielt sich die Hand. Die Rune leuchtete nicht mehr, stattdessen trat um sie herum Blut aus ohne dass eine Wunde zu sehen war. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, es fühlte sich an als ob seine Hand innerlich zerfetzt worden wäre und das Blut durch die Haut hindurch austrat, auch wenn das lächerlich war. Verschwommen konnte er sehen, wie der Fremde Tengaars Kopf tätschelte, bevor er gemeinsam mit ihr weiterlief. Hix wollte wieder aufstehen, doch seine Knie zitterten zu stark als dass sie ihn tragen könnten. Er verfluchte seine Unfähigkeit, während er sich fragte, was Tengaar getan hatte – und was er nun tun sollte. Er konnte die beiden doch nicht einfach davonkommen lassen. Doch wie so oft in seinem Leben kam auch diesmal eine fremde Person, die zufällig seinen Weg kreuzte, Hix zu Hilfe – diesmal allerdings unwissentlich. Galahad war noch nicht lange Kapitän der Ritterschaft von Zexen, doch er genoss jeden Augenblick davon. Im Gegensatz zu seiner Annahme und dem einzigen Grund, ihn zögern zu lassen, dass es zu zermürbend sein könnte, war es bislang recht entspannt. Es gab zwar kleinere Scharmützel mit den Grasländern, doch dies war nichts, was weiter erwähnenswert wäre, es war schon Alltag bei der Ritterschaft und nie weiter anstrengend. Noch dazu gab es nie ernsthaft Verletzte. Nach so vielen Jahren mit den immer selben Feinden, kannte man diese inzwischen in- und auswendig und konnte sie bereits im Schlaf bekämpfen. Galahad war durchaus stolz, zu sehen, was seine Ritter bewerkstelligen konnten, doch war es auch sein Anliegen, sie noch weiter anzutreiben und ihre starren Strategien aufzubrechen, um ihnen zu noch mehr Erfolg zu verhelfen. Er wusste, er könnte das schaffen, wenn er sich die erforderliche Mühe gab. Vorrangig ging es ihm aber noch darum, seinen neuen Posten zu genießen, solange es keinen Ärger gab, sehr zum Unwillen zweier junger Ritter in deren Gegenwart er sich im Moment befand. „Sollten wir nicht langsam mal wieder etwas machen?“, fragte der braunhaarige, kräftig gebaute Leo, der es nicht gewohnt war, so viel Zeit untätig herumzusitzen. Galahad beneidete diesen Mann um seine Jugend und den daraus resultierenden Elan, den er stets an den Tag legte. Das war einer der Gründe, weswegen er gern Zeit mit ihm verbrachte. Ein weiterer war sein vielversprechendes Talent im Umgang mit der Axt. Galahad wünschte sich mehr solcher furchteinflößender Kämpfer auf dem Schlachtfeld – sie könnten mit den Echsen konkurrieren. „Du solltest froh sein, wenn es nichts zu tun gibt“, wies der Dritte im Bunde ihn zurecht. Salome war ganze fünf Jahre jünger als Leo, in Galahads Augen fast noch ein Kind, aber ein erstaunlich cleveres. Zwar war er nicht der beste Kämpfer mit seiner Keule, doch war sich der Führer der Ritterschaft sicher, dass er einmal ein außerordentlich guter Berater sein würde, sobald er die erforderliche praktische Erfahrung gesammelt hatte. Auch wenn so mancher junger Taktiker es glaubte, aber Galahad wusste, dass Strategie aus mehr als nur auswendig Gelerntem bestand und nur lebensechte Kenntnisse einen im Krieg überleben ließen. Immerhin lernte man das Kämpfen auch nicht aus Büchern. „Aber es ist langweilig“, erwiderte Leo. „Nicht mal die Echsen greifen zur Zeit an, dabei sind sie doch sonst so kampflustig.“ „Du solltest dich lieber über den derzeitigen Frieden freuen“, bemerkte Salome, doch der andere konterte sofort wieder: „Ich bin nicht Ritter geworden, um untätig herumzusitzen.“ Galahad lachte schallend. „Gut gesprochen, junger Freund. Ich muss zugeben, dass ich geneigt bin, dir zuzustimmen.“ Jeder andere hätte nun eine genervte Reaktion von sich geben, ob mit einem Laut oder einem einfachen Augenrollen, doch Salome nickte nur verstehend. Tatsächlich schien es ihm nichts auszumachen, dass sein Kapitän ihm nicht recht gab. Aber viel Zeit für einen Widerspruch blieb auch nicht mehr. Während sie durch den ersten Stock liefen, erklangen plötzlich Schreie von unten. Zufrieden hieb Leo seine rechte Faust gegen seine Handfläche. „Das klingt endlich nach Spannung.“ Es war Salome deutlich anzusehen, dass er widersprechen wollte, doch dann besann er sich etwas anderem und nickte widerwillig. „So klingt es, ja.“ „Dann wollen wir uns dem Spaß einmal anschließen“, beschloss Galahad, dem diese Ablenkung auch wie ein Segen vorkam. Leo stürmte sofort in Richtung Treppe, die anderen Ritter folgten ihm langsamer. Galahad war inzwischen schon seit mehreren Jahrzenten im Dienste von Zexen, aber ein solches Chaos war ihm in der Messingburg noch nie untergekommen. Schwarze Brandflecken zierten die steinernen Wände, auf dem Boden waren erkaltete Pfützen geschmolzenen Stahls zu erkennen, Dutzende Ritter lagen oder saßen erschöpft auf den Gängen, nur noch wenige hielten sich aufrecht – und inmitten all dieser befanden sich zwei Personen, die Galahad noch nie zuvor gesehen hatte, die aber offenbar für diesen Zustand verantwortlich waren. Leo ließ sich nicht von dem allgemeinen Zustand beeinflussen und zog seine Axt. Mit einem kampfeslustigen Schrei griff er den Fremden an, noch bevor Salome ihn zurückhalten konnte. Mit einem genervten Laut auf den Lippen wandte sich der Angegriffene ihm zu. Im nächsten Moment breitete sich ein überraschter Ausdruck aus Leos Gesicht aus. Seine Axt steckte in einer Wand aus Eis, die aus dem Nichts erschienen war. Doch wie es einem echten Ritter würdig war, überwand er seine Überraschung schnell. Er stemmte einen Fuß gegen das Eis und versuchte sein Bestes, die Waffe wieder heraus zu ziehen. Salome und Galahad liefen derweil um die Mauer herum und stellten sich dem Fremden gemeinsam mit den verbliebenen drei Rittern entgegen. „Ihr langweilt mich“, schnarrte er. „Geht mir aus dem Weg!“ Galahad wusste zwar nicht, wer dieser Mann war oder warum die Ritter gegen ihn kämpften – immerhin deuteten seine Worte darauf hin, dass es nicht aus seiner Initiative heraus geschah – aber es musste einen guten Grund dafür geben und Fragen konnte er später noch stellen. Galahad zog sein Schwert, während Salome nach seiner Keule griff. „Irgendwelche strategischen Vorschläge?“, fragte der Kapitän. Der junge Ritter schüttelte mit dem Kopf. „Ich würde sagen, wir greifen einfach mit allem an, was wir haben.“ „Verstanden!“, sagten der Kapitän und die anderen drei Ritter gemeinsam. Der Fremde rollte entnervt mit den Augen. „Eigentlich habe ich keine Zeit zum Spielen.“ Er demonstrierte das auch gleich eindrucksvoll, indem er eine Flammenwand auf die Ritter zurollen ließ. Geistesgegenwärtig hob Galahad die Hand, die Schildrune leuchtete auf und errichtete einen Schutzwall vor ihnen, an dem das Feuer abprallte. Die drei Ritter griffen den Mann an, nur um durch eine bloße Handbewegung von eben diesem gegen die Wand geschleudert zu werden. Erschöpft blieben sie schließlich sitzen. Der Fremde sah die noch Stehenden auffordernd an. Ob er sie nun lautlos bat, zur Seite zu treten oder ob es eine Aufforderung war, ihn anzugreifen, für Galahad war es gleich. „Bleib zurück, Salome“, brummte der Kapitän. „Ich kümmere mich darum.“ Das Nicken bekam er gar nicht mehr mit. Galahad stürzte sich auf den Fremden, allerdings nicht ganz so kopflos wie die anderen Ritter. Zuvor hatte er festgestellt, dass eine Handbewegung des Mannes einen heftigen Luftstrom erzeugte, der seine Feinde zurückwarf. Er nutzte dieses Wissen nun, um sich unter dem Strom hinwegzuducken. Seine Klinge zielte auf die Schulter des Mannes. Er wollte ihn nicht töten, sondern nur kampfunfähig machen und ein gezielter, nicht lebensgefährlicher Treffer in die Schulter war seiner Erfahrung nach immer noch das beste Mittel dafür. Doch statt auf Fleisch traf das Schwert nur auf Metall. Von dem Geräusch irritiert sah er genauer hin – und entdeckte, dass der Fremde einen Rapier in der Hand hielt. Es befand sich keine Schwertscheide an seinem Gürtel oder auf seinem Rücken und es war auch keine Bewegung zu bemerken gewesen – woher kam die Waffe? Das Gesicht des Mannes war immer noch unbewegt. „Jetzt geh mir aus dem Weg.“ Für einen kurzen Moment verspürte Galahad tatsächlich den Impuls, diesem Befehl zu folgen. Die Augen schienen tief in seine Seele zu starren und dieser den eigenen Willen rauben zu wollen. Es kostete den Kapitän enorm viel Kraft, diesem Blick zu widerstehen. Während dieses kleinen Duells splitterte das Eis und ließ Leos Axt wieder frei. Der Hüne zögerte nicht lange und setzte seinen Angriff wieder fort. Die rothaarige Frau, die bislang unbeteiligt dabeigestanden hatte, stellte sich zwischen die beiden. Sie wirkte nur wie eine Puppe, aber dennoch war diese Geste genug, um Leo seinen Angriff überdenken zu lassen. Nur wenige Millimeter von ihrem Gesicht entfernt, hielt das Axtblatt inne. Das lenkte den Fremden genug ab, um den Blickkontakt zu unterbrechen. Galahad holte erneut mit seinem Schwert aus. Im letzten Moment wich der Angegriffene aus, doch dennoch riss die Klinge ihm die Schulter auf. Er schrie nicht einmal, als sein Blut spritze, aber er fluchte laut in einer für Galahad unbekannte Sprache. Erstmals wandelte sich sein unbewegter Gesichtsausdruck zu einer wütenden Fratze. Unwillkürlich wichen Galahad, Leo und Salome zurück. Der Fremde schrie noch einmal etwas in einer anderen Sprache, worauf die Erde zu beben begann. Die Erschütterung war nicht sonderlich stark, aber es reichte, um die Ritter in die Knie zu zwingen. Mit hochmütigem Gesichtsausdruck nahm der Fremde die Hand der jungen Frau, um seinen Weg fortzusetzen. Zumindest wollte er ihre Hand nehmen, doch sie wurde ihm entzogen, bevor er sie ergreifen konnte. Ruckartig fuhr er herum. „DU!“ Das Beben verstummte schlagartig. Ein dazugekommener junger Mann schob die wieder leblose Frau hinter sich. In seinem Blick lag neben Angst auch Entschlossenheit und es schien sich ganz auf diese Frau zu konzentrieren. Natürlich kannte Galahad die Geschichte, die diese fremden Leute verband nicht – aber plötzlich interessierte sie ihn brennend. „Denkst du wirklich, sie würde wieder mit dir mitgehen?“, fragte der Schwarzhaarige. Verachtung lag in seiner Stimme, sie war so lebhaft, dass Galahad für den Bruchteil einer Sekunde glaubte, dass dieser andere sie tatsächlich verdient hatte. Bevor der andere reagieren konnte, setzte sich eine Kette von Ereignissen in Gang: Aus dem oberen Stockwerk erklang das Klirren von Eis, alle Blicke gingen nach oben, im selben Moment erklang direkt vor ihnen ein dumpfes Geräusch. Als Galahad wieder hinsah, kniete der andere auf dem Boden, er hielt sich den Kopf. Der Angreifer und die Frau dagegen liefen an ihnen vorbei in Richtung Graslanden davon. Direkt darauf sprang der andere wieder auf und folgte ihnen. Schon nach wenigen Sekunden ware alle drei aus dem Blickfeld der Ritter verschwunden. „Wir sollten ihnen hinterher“, sagte Leo, doch Galahad schüttelte den Kopf. „Lass sie laufen. Wir können ohnehin nichts gegen sie ausrichten.“ Er vollführte eine ausholende Handbewegung, die alle erschöpften oder ohnmächtigen Soldaten im Gang so wie die Spuren des Kampfes mit einschloss. Leo konnte diese nicht einfach ignorieren, so dass er seufzend kleinbeigab. „Verstanden, Kapitän.“ Galahad nickte zufrieden, als er seine Waffe einsteckte. „Dann sollten wir mal die Verwundeten versorgen. Los, los.“ Auffordernd klatschte er in die Hände, worauf Leo und Salome sofort losliefen, um einen Sanitäter und andere Helfer aufzutreiben. Zufrieden fuhr sich Galahad über das Kinn, auf dem sich bereits erste Spuren eines Barts zeigten. An so viel Gehorsam könnte er sich wirklich gewöhnen. Wenn Pelize das nur sehen könnte... Sobald er wieder aus der Hauptstadt antanzt, werde ich ihm hiervon erzählen – er wird sich bestimmt in den Hintern beißen, das verpasst zu haben. Über diesen Gedanken grinsend machte Galahad sich schließlich selbst an die Arbeit und begann, sich bei den Rittern nach deren Befinden zu erkunden. Selbst als Hix auf der anderen Seite die Stadt wieder verließ, Tengaar immer noch verfolgend, ärgerte er sich noch darüber, dass seine Konzentration für diesen einen Moment nachgelassen hatte. Aber dieser Augenblick hatte genügt, um Tengaar Gelegenheit zu geben, ihn niederzuschlagen. Sein Kopf begann bereits zu schmerzen, aber noch schaffte er es, das zu ignorieren. Wenn er auch nur langsamer werden würde, könnte es sein, dass er die beiden aus den Augen verlor. Das wollte er nicht riskieren, besonders nicht hier. Weite, saftig grüne Felder erstreckten sich jenseits der Messingburg und schienen am Horizont mit dem blau-grauen Himmel zu verschmelzen. Wäre er nicht gerade auf einer Verfolgungsjagd gewesen, hätte er diesen Anblick mit Sicherheit genossen, so aber hatte er dafür im Moment kein Auge. Weder Tengaar noch der Fremde rannten, aber dennoch schien es als würde sich der Abstand zwischen ihnen und Hix immer weiter vergrößern. Wurde er ohne es zu merken immer langsamer? Da er seine Beine nicht mehr spürte und der Schweiß in Strömen über sein Gesicht rann, war das tatsächlich möglich. Er wollte wieder nach Tengaar rufen, in der Hoffnung, sie zu erreichen, doch ihr Name blieb in seiner trockenen Kehle stecken, klebte geradezu fest, genau wie seine Kleidung an seinem Körper. Das Blut rauschte in seinen Ohren, außer seinem keuchenden Atem konnte er nichts mehr hören, seine Lungen drohten zu bersten, doch er hielt nicht an. Entschlossen konzentrierte er sich darauf, nicht hinzufallen, nicht die müden Augen zu schließen, obwohl sein Körper sich im Moment nichts mehr wünschte als zu schlafen. Eine beinahe endlos lange Zeit später – Hix konnte Tengaars roten Haarschopf nur noch in weiter Ferne erkennen – schienen die beiden Verfolgten wieder innezuhalten. Langsam kam er ihnen wieder näher. Als er sich ihnen wieder so weit genähert hatte, dass sie nicht mehr nur verschwommene Flecken waren, konnte er erkennen, dass sie vor einer Felsformation standen, die wie ein Tor anmutete. Der Fremde hob eine Hand, worauf das Tor von einem unheimlich schillernden Nebel erfüllt zu sein schien. Unwillkürlich blieb Hix stehen und starrte dieses Leuchten verwundert an. War es das Ergebnis einer Rune? Was würde es anrichten? Erst als die beiden weiter auf dieses Tor zuliefen, kehrte das Leben in Hix' Beine zurück. Er rannte wieder los, so schnell wie möglich auf den wabernden Nebel zu. Den Arm ausgestreckt hechtete er die letzte Meter – und landete schmerzhaft auf dem Boden. Verwirrt blickte er sich um. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen, aber er konnte erkennen, dass er durch das Tor hindurch geflogen war. Der wabernde Nebel war fort, genau wie Tengaar und der Fremde. Verzweifelt ließ er den Kopf in das Gras sinken, der Geruch davon schien ihm so intensiv und frisch wie noch nie zuvor, doch half es nicht, seine Gedanken abzulenken. Er hatte keine Ahnung, wo die beiden hin waren, wie er Tengaar so je wiedersehen sollte. Irgendwie müsste er einen Weg finden, um das herauszufinden. Aber zuerst einmal müsste er sich ausruhen und das sehr lange, so verlangte es sein Körper. Egal, ob er gerade schutzlos mitten in einer Steppe lag oder nicht. Kaum waren seine Augen geschlossen, fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Kapitel 7: Fragen über Fragen ----------------------------- Noch bevor Hix seine Augen wieder öffnete, wusste er genau, dass er nicht mehr auf der Steppe lag. Er konnte den frischen Geruch des saftigen Grases und der Erde nicht mehr wahrnehmen, dafür war die Luft feucht, Wasser schwappte irgendwo dagegen. Doch es roch nicht nach Meerwasser. Wo immer er war, er befand sich nicht mehr mitten in den Graslanden, aber auch nicht in Vinay. Neugierig schlug er die Augen auf. Das erste, was er erblickte, war eine Decke, die aus Schilf und Bambus zu bestehen schien, genau wie der Rest der kleinen Hütte, in der er sich befand. So genau konnte er das wegen seinem verschwommenen Sichtfeld aber noch nicht sagen. Während er darauf wartete, dass sein Blick wieder klar wurde, rief er sich ins Gedächtnis, was geschehen war. Er hatte Tengaar in neuer Kleidung in der Messingburg gefunden, doch dieser Fremde war gemeinsam mit ihr geflohen. Offensichtlich waren ihm Fähigkeiten zugänglich, die anderen völlig unbekannt waren, zumindest was Hix betraf. Er kannte sich ohnehin nicht sonderlich gut mit Runenmagie aus, aber dieser Mann schien zu einem ganz anderen Kaliber zu gehören, das konnte der Kriegerlehrling auch ohne jede Ahnung sagen. Allein dass er offenbar Gewalt über Tengaar zu besitzen schien, war für Hix Beweis genug. Aber was war das gewesen, was sie gegen ihn eingesetzt hatte? Er sah auf seine Hand. Inzwischen blutete sie nicht mehr, auch die Schmerzen waren abgeklungen. Diese Technik hatte Tengaar noch nie zuvor verwendet. Wusste sie überhaupt, dass sie darüber verfügte? Argh! So viele Fragen! Ich brauche auch Antworten... Tengaar... Schlagartig fiel ihm wieder ein, dass sie mit dem Fremden verschwunden war. Sofort saß er aufrecht im Bett. Er ignorierte das Schwindelgefühl, als er seine Füße über die Kante schwang und sich hastig die Schuhe anzog. Die Fragen wo er war und wie er dort hingekommen war, gingen in seiner neu erwachten Sorge um Tengaar unter. Irgendwie würde er es wieder zu diesem Tor zurückschaffen müssen, um von dort aus eine Spur zu finden, die ihn wieder auf die Fährte der Verschwundenen brachte. Wenn es um seine Freundin ging, konnte er nicht so einfach aufgeben, auch wenn es im Moment hoffnungslos schien. Wie viele aussichtslose Situationen hatten die Armeen, in denen er gewesen war, schon erlebt? Und jedesmal war es weitergegangen, weil jemand die Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Hix würde diesem Beispiel folgen, bis ans Ende seines Lebens, wenn es sein musste. Ja, Tengaar wäre sicherlich stolz auf ihn. Er griff sich sein Schwert, das gegen das Bett gelehnt war und verließ die Hütte. Die Tür führte auf einen Steg hinaus, der zu weiteren Behausungen führte. Etwas, was Hix stark an eine Ente erinnerte, lief auf dem Steg hin und her. Allerdings war dieses Wesen so groß wie ein Mensch und trug Kleidung über den weißen Federn. Es musste ein Angehöriger des Entenclans sein, der in den Graslanden heimisch war. Wenn er sich all das Wasser betrachtete, befand er sich wohl in der Heimat dieses Clans. Aber wie war er hierher gekommen? Er grüßte die Ente, als er an ihr vorbeilief und erntete dafür erstaunlicherweise kein Quack, wie er erwartet hatte, sondern ebenfalls einen knappen Gruß. Der Steg führte direkt zu einem größeren Gebäude. Es machte für Hix den Eindruck, öffentlich zu sein, so dass er es ohne anzuklopfen betrat. Der Tresen, der mitten im Raum stand und die Tische, von denen einer besetzt war, sagten ihm, dass es tatsächlich ein öffentliches Gebäude war. Wenn er raten würde, dann wäre seine Vermutung, dass es sich um ein Gasthaus handelte. Auch wenn hinter dem Tresen eine Ente stand, verströmte es dieses typische Gefühl – schon allein weil die Personen, die am Tisch saßen, Menschen waren. Eine Frau mit purpurfarbenem, hochgesteckten Haar und ein Schwarzhaariger, der dem Entführer erstaunlich ähnlich sah. Hix wusste es nicht, aber Tengaar hatte die beiden Personen bereits in der Messingburg gesehen. Hätte er das gewusst, wäre seine Verwirrung größer gewesen. So aber ging er nur verwirrt auf den Mann zu. Wenn er schon aussah wie der Entführer, so wusste er vielleicht etwas über diesen, was Hix weiterhelfen könnte. Die beiden Personen blickten ihn an. Die Frau schmunzelte. „Ah, du bist wieder wach~ Ich dachte schon, du schläfst noch eine Nacht durch.“ „Noch eine...?“ Wie lange hatte er nur geschlafen? Tengaar konnte inzwischen schon wer-weiß-wo sein. Eine Welle von Furcht überkam ihn. Hoffentlich ging es ihr gut. „Du hast den letzten Tag und eine ganze Nacht geschlafen“, klärte der Mann ihn auf. „Seit wir dich gefunden haben zumindest.“ „Ihr habt mich hierher gebracht?“ Beide nickten unisono. „Dann... danke.“ Die Frau winkte ab. „Vielleicht wird es mal an der Zeit, uns deinen Namen zu verraten.“ „Ailis!“, zischte der Mann. „Sei nicht so unhöflich.“ Er räusperte sich gleich darauf und wandte sich freundlich lächelnd an Hix: „Mein Name ist Fion, das hier ist Ailis. Wir haben jemanden verfolgt und dabei dich auf der Steppe gefunden. Wir machten uns Sorgen um dich, deswegen brachten wir dich hierher.“ Misstrauisch sah Hix ihn an, Ailis' Kichern bestärkte ihn darin. „Eigentlich haben wir dir geholfen, weil wir dachten, du kennst diese Rothaarige.“ Fion seufzte schwer, aber Hix ignorierte ihn. „Welche Rothaarige?“ „Die von Dougal entführt worden ist natürlich~“ Der Name war völlig neu für den Kriegerlehrling. Hieß der andere Mann wirklich so? „Wer ist Dougal?“, fragte er. Fion brachte die Frau mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen. Überraschenderweise reagierte sie sofort und schloss den Mund, ohne etwas zu sagen. Fion wandte sich derweil an Hix: „Dougal ist ein Freund von uns. Aber bevor du jetzt die Nerven verlierst“ – er hob im Voraus die Hände, um seinen Gesprächspartner zu beruhigen – „wir stecken nicht mit ihm unter einer Decke. Er verfolgt seine eigenen Pläne, die wir ihm auszureden versuchen.“ Hix war weit davon entfernt, sich aufzuregen, weswegen die Geste für ihn wertlos war. Allerdings entstanden für ihn einige neue Fragen durch Fions Aussage. „Was hat er denn vor?“ Die beiden warfen sich einen fragenden Blick zu, es schien, als würden sie lautlos darüber beraten, was sie ihm sagen sollten. Schließlich übernahm Fion wieder das Wort: „Das würdest du jetzt noch nicht verstehen, wir reden ein andermal darüber.“ Obwohl der Tonfall neutral blieb, überkam Hix das Gefühl, dass das Gesagte ihn geringschätzte. Ihm blieb allerdings keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn Fion sprach bereits weiter: „Da du das Mädchen kennst, das er entführt hat, kannst du uns vielleicht helfen, seine Pläne ein wenig besser nachzuvollziehen.“ Dann hat er seine Pläne also gar nicht verraten? „Wir wissen, was er vorhat“, sagte Ailis, als hätte sie seine Gedanken erahnt. „Wir wissen nur nicht, wie er das alles anstellen will. Das ist nämlich gar nicht so einfach, weißt du?“ „Nein, weiß ich nicht“, antwortete er wahrheitsgemäß und ein wenig kleinlaut. Woher auch? Immerhin hatte er keine Ahnung, was der Plan überhaupt beinhaltete. Fion seufzte leise. „Setz dich bitte, äh...“ Er machte eine hilflose Geste mit der Hand, da Hix aber nicht darauf ansprang, seufzte er noch einmal. „Wir kennen leider deinen Namen noch nicht.“ Vor lauter Dougal hatte der Kriegerlehrling verpasst, sich vorzustellen. Er holte das nach, während er sich setzte. Fion lächelte wieder. „Hix also. Darf ich fragen, woher du und deine Freundin kommt?“ „Aus dem Dorf der Krieger in der Toran-Republik. Wir waren auf meiner Reise der Männlichkeit.“ Ailis schmunzelte und öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, doch ihr Begleiter schnitt ihr das Wort ab: „Und der Name deiner Freundin?“ „Tengaar.“ Das Aussprechen des Namens brachte die Sorgen um sie zurück. Wer wusste schon, was der Mann mit ihr anstellen würde? „Was wird er mit ihr tun?“, fragte er automatisch, ohne dass ihm bewusst wurde, dass er es laut aussprach, weswegen es ihn auch überraschte, als er eine Antwort bekam: „Schwer zu sagen bei unserem aktuellen Kenntnisstand. Wir müssen ein wenig mehr über sie erfahren.“ „Warum?“ „Erzählen wir dir ein andermal“, erwiderte Ailis. Es schien so sinnlos. Warum konnten sie nicht einfach antworten? Aber nun gut, dann würde er ihnen eben sagen, was sie wissen wollten: „Tengaar ist die Tochter von Zorak, dem Anführer des Dorfes, das macht sie laut seinen Geschichten zu einer direkten Nachfahrin von Klift, dem Kreuzfahrer.“ „Sagtest du Klift!?“, fragte Ailis erschrocken. Hix sah sie verständnislos an. „Ja, habe ich. Warum?“ Wieder schnitt Fion ihr das Wort ab: „Du bist dir sicher, dass euer Klift den Beinamen Kreuzfahrer trug?“ So sicher wie sein Name Hix war. Zoraks unzählige Geschichten über diesen Mann waren ihm direkt ins Gedächtnis gebrannt, immer und immer wieder hatte das Dorfoberhaupt sie ihm und Tengaar und auch jedem anderen, der unglücklich genug war, sich in der Nähe aufzuhalten, erzählt. Es blieb keinerlei Zweifel übrig. Zorak konnte vielleicht keine Geschichten erzählen, aber im Fakten merken war er außerordentlich gut – fast schon zu gut. Warum die beiden sich allerdings besorgt anblickten, als er mit einem Nicken seine Aussage bestätigte, konnte er sich nicht erklären. „Bedeutet das irgendetwas?“ Statt zu antworten stand Fion auf. „Wir sollten aufbrechen. Es wäre besser, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder in der Messingburg sind.“ „Herrliche Idee“, stimmte Ailis begeistert zu. „Lasst uns gehen~“ „Huh, was?“ Hix sah zwischen den beiden hin und her. „Warum so plötzlich?“ „Unsere Begleiterinnen werden sich schon Sorgen machen, wo wir so lange bleiben“, erklärte Fion. „Außerdem dürfen wir nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen, wenn wir Dougal aufhalten wollen.“ „Wisst ihr denn, wo er hin ist?“ Was für eine Frage. Die drei waren befreundet, es war doch wohl nachvollziehbar, dass sie wussten, wo er sich befand, selbst wenn er durch dieses seltsame Tor gelaufen war. Tatsächlich schüttelte Fion aber mit dem Kopf. „Nein. Aber wir haben den Durchgang, den er nutzte. Ich kann ihn wieder öffnen, wenn meine Begleiterin mir hilft.“ „Dann werden wir Tengaar finden?“, fragte Hix hoffnungsvoll. Sein Gegenüber antwortete ihm nicht darauf. „Gehen wir. Wir haben nicht alle Zeit der Welt.“ Ailis stand ebenfalls auf und brachte den Kriegerlehrling dazu, es auch zu tun, bevor sie zu Fion hinübertänzelte und sich an seinen Arm klammerte. „Lass uns gehen~“ Ihre Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt, als würde sie damit etwas überdecken wollen – wie zum Beispiel Nervosität. Hat sie etwa Angst vor mir? Hix folgte den beiden hinaus. Jenseits des Gasthauses war ein weiterer Steg mit jeder Menge Abzweigungen, die alle zu einem eigenen Gebäude führten. Vor einem davon drehte sich ein Mühlenrad unablässig im Wasser. Boote, teilweise mit Waren beladen, waren an Anlegestellen festgemacht, Körbe mit Obst standen herum. Bislang hatte Hix geglaubt, Enten würden sich nur von trockenem Brot ernähren – aber das galt wohl nur für die normalgroßen, die sich ihres Lebens erfreuten, während sie auf einem kleinen Teich schwammen und Menschen anquakten. Während Hix hinter seinen Helfern herlief, bemerkte er die Blicke von Ailis zum Wasser hin. Außerdem bemühte sie sich immer möglichst weit in der Mitte des Stegs zu laufen. Dann hat sie keine Angst vor mir, sondern vor dem Wasser? In gewisser Weise fand er das lustig. Bislang waren ihm noch nie wirklich Menschen mit Ängsten aufgefallen, außer ihm selbst. Nun aber eine Person zu bemerken, die etwas Ähnliches durchmachte, beruhigte ihn ein wenig, besonders da sie sich vor so etwas Lächerlichem wie Wasser fürchtete. Bei Gelegenheit würde er sie fragen, wie es dazu gekommen war. Wenn er überhaupt länger Zeit mit ihr verbringen würde. Eigentlich ging es ihm immerhin darum, Tengaar zu retten, nicht mit irgendwelchen Fremden seine Zeit zu verbringen. Eine Ente lief plötzlich gleichauf mit den beiden. Hix konnte beobachten, wie der Bürzel sich stets hin und her bewegte, anmutig von einer Seite zur anderen sprang, mit jedem watschelnden Schritt, den das Wesen tat. Diese Mischung aus Eleganz und Tollpatschigkeit faszinierte den Kriegerlehrling. Doch die Faszination wurde direkt zerstört, als die Ente ihren Schnabel öffnete und eine quäkende Stimme erklang: „Bist du wieder zum Wahrsagen hier, Fion?“ Der Mann schüttelte den Kopf, als er sich dem Wesen zuwandte. Hix konnte sehen, dass er lächelte, aber auf seiner Stirn standen Sorgenfalten. „Leider nicht. Aber ich werde bald wieder zu euch kommen, nur keine Sorge.“ Die Ente freute das sichtlich und nach einer kurzen Verabschiedung ging sie wieder davon. „Du bist Wahrsager?“, fragte Hix neugierig. Fion lief ein wenig langsamer, so dass sie alle auf derselben Höhe gingen. „Ja, bin ich. Und am liebsten bin ich in den Graslanden unterwegs. Hier kann man die Spiritualität geradezu greifen.“ Der Kriegerlehrling warf einen Blick umher, als würde er sich danach umsehen, aber erwartungsgemäß entdeckte er nichts. Fion lachte leise, Ailis dagegen schien gar nichts von dem Gespräch mitzubekommen. „Können wir bitte endlich verschwinden? Ich will hier weg! Los!“ Der Schwarzhaarige tätschelte ihren Kopf wie den eines kleinen Kindes. „Wir sind ja schon auf dem Weg, dann musst du das Wasser nicht mehr sehen.“ Sie seufzte erleichtert und drängte ihn hastig, schneller zu laufen. Hix konnte nicht anders, als zu lächeln, während er die beiden betrachtete. Sie wirkten wie Freunde, aber irgendwie auch wie Geschwister, vermutlich kannten sie sich schon sehr lange, genau wie er Tengaar. Sofort übernahm die Sorge wieder die Oberhand über seine Gedanken. Doch nun war er wieder ein wenig zuversichtlicher. Er wusste zwar nichts über die beiden, denen er da gerade sein Vertrauen schenkte, aber ihnen zu folgen war besser, als gar nichts tun zu können. Ihm blieb nur zu hoffen, dass sie ihn nicht enttäuschen würden. Kapitel 8: Getrennte Wege ------------------------- Überraschenderweise dauerte es gar nicht lange, bis sie wieder in der Messingburg ankamen. Die Aufräumarbeiten waren bereits abgeschlossen wie Hix rasch feststellte, es war als wäre nie etwas geschehen. Wären da nicht die lebhaften Erinnerungen an die Ereignisse gewesen, hätte er wirklich geglaubt, dass das alles nur Teil seiner Einbildung gewesen war. Gemeinsam mit Fion und Ailis legte er den Weg in den westlichen Teil der Stadt zurück. Sogar der Grenzübergang war bereits wieder intakt, doch bislang noch ohne nennenswerte Anzahl Personen, die hindurch wollte. So dauerte es nicht lange, bis die kleine Gruppe sich wieder im Westen befand. Vor dem Runenladen stand ein mit einem sternenübersäten Tuch verhangener Tisch. Ein kleines in Weiß gekleidetes Mädchen saß darauf, das rosa Haar war hochgebunden, die blauen Augen blickten ernst umher. Was Hix' Blick allerdings auf sich zog war ein Teil einer Metallkette, das von einer Befestigung an ihrem Hals herabhing. Es machte den Eindruck als wäre sie ein Hund, der sich von seiner Halterung losgerissen hatte. Woher kam dieses Kettenstück wohl? Als sie die kleine Gruppe sah, sprang sie von dem Tisch herunter. Mit in die Hüften gestemmte Arme sah sie ihnen entgegen. „Da seid ihr ja endlich! Ich dachte schon, ihr macht Urlaub!“ Hix schluckte, als er ihre angesäuerte Stimme vernahm, die ihr niedliches Äußeres Lügen strafte. Fion und Ailis ließen sich davon allerdings gar nicht beeindrucken. „Tut uns Leid“, sagte er. „Es hat etwas länger gedauert.“ „Bedank dich dafür bei ihm~“, säuselte Ailis und deutete zu Hix hinüber. Fion zischte ihr etwas zu, was der Kriegerlehrling nicht verstehen konnte, worauf sie sich allerdings seufzend entschuldigte. „Aber jetzt sind wir ja da.“ „Wurde aber auch wirklich Zeit!“, setzte das Mädchen nach. „Hier ging gestern alles drunter und drüber und ihr habt's verpasst.“ „Wir haben die Quelle verfolgt, Dummerchen“, erwiderte Ailis amüsiert, doch sie erntete einen wütenden Blick des Mädchens dafür. „Woher sollte ich das denn wissen?“, herrschte sie die Größere an. „Es hieß, ihr wolltet nur zu dem Mädchen, das Dougal hergebracht hat und dann seid ihr verschwunden!“ Beruhigend hob Fion die Hände. „Es ist schon gut, Zarah. Dougal und das Mädchen sind uns leider entwischt, aber wir haben dafür ihren Freund mitgebracht.“ Er zeigte auf Hix, als er den Kriegerlehrling dem Mädchen vorstellte. Sie wirkte alles andere als begeistert, aber sie sah auch nicht wütend aus, als sie ihm zunickte. Er erwiderte das Nicken. „Hix, das ist Zahra“, fuhr Fion fort. „Sie ist meine Begleiterin, von der ich gesprochen habe. Mit ihrer Hilfe kann ich das Tor wieder öffnen und Dougal folgen.“ Neue Hoffnung erwachte in dem Kriegerlehrling. „Dann werde ich Tengaar bald wiedersehen?“ Zarah schnaubte. „Glaub bloß nicht, dass ich dich mitnehme. Das ist viel zu gefährlich für so 'nen Grünschnabel wie dich.“ Irritiert musterte er das Mädchen genauer. Doch egal wie er sie betrachtete, sie erschien ihm immer jünger als er selbst. Er schätzte sie nicht alter als zehn, also warum bezeichnete sie ihn als Grünschnabel? Galt das normalerweise nicht anders herum? Ailis schnalzte mit der Zunge. „Mhm, sie wird dich wirklich nicht mitnehmen, tut mir Leid.“ „Es ist besser, wenn du hier bleibst“, bestätigte Fion. „Es könnte gefährlich werden.“ „Aber es geht um Tengaar“, warf Hix ein. „Ich muss ihr helfen!“ Die drei Personen im gegenüber tauschten Blicke miteinander, die ihm allesamt nicht gefallen wollten. In jedem einzelnen las er Geringschätzung und etwas, das ihm sagte, dass er nur als Hindernis galt. Schmunzelnd wandte Ailis sich ihm schließlich wieder zu. „Komm schon, wir bleiben zusammen hier, das wird lustig. Du darfst auch Zielscheibe bei meinen Messervorführungen spielen.“ Wenn der letzte Satz wie ein wohlwollendes Versprechen klingen sollte, so hatte er seine Wirkung eindeutig verfehlt. Hix runzelte seine Stirn. „Ich würde lieber Tengaar retten...“ „Das geht aber nicht!“, sagte Fion, diesmal mit mehr Nachdruck. „Zarah und ich gehen allein.“ Der Kriegerlehrling zuckte zusammen, als der Mann seine Stimme hob. Jeglicher Widerspruch blieb ihm im Hals stecken, es schien ihm wirklich äußerst ernst zu sein. Das Mädchen schnaubte erneut. „Ganz genau! Also worauf warten wir noch?“ Es kam Hix mehr als nur surreal vor als die beiden sich plötzlich in Richtung Osten wandten und davonliefen, ohne Gepäck mitzunehmen oder dass er noch einmal Einspruch erhob. Während er ihnen hinterhersah, überlegte er, warum er nur schweigen konnte, statt etwas zu sagen und für seinen Willen einzustehen, bis zum Letzten, wenn es sein musste. Zu einem großen Teil lag es wohl an dem selbstsicheren, fast schon aggressiven, Auftreten der beiden. Sie schienen genau zu wissen, was sie tun und was sie dabei nicht gebrauchen konnten – und in diesem Fall war das zufällig er. Aber warum kamen sie auf die Idee, dass er ihnen so sehr im Weg stehen könnte? Sicher, er war nicht der beste Schwertkämpfer, aber bei Weitem auch nicht der Schlechteste. Besonders wenn es um Tengaar ging, wuchs er über sich hinaus. Andererseits kannten Fion und Zarah den Entführer offenbar und wussten etwas über ihn, was Hix nicht wissen konnte. Vielleicht würde er also wirklich nur unnötig im Weg stehen. Ailis holte ihn aus seinen Gedanken, indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Nicht so trübselig, mein Lieber. Du wirst sehen, Fion und Zarah werden im Handumdrehen wieder da sein, du kannst deine Freundin in die Arme schließen und alles wird gut sein.“ Ihr Lächeln verriet, dass sie tatsächlich glaubte, was sie ihm erzählte. Hix dagegen fiel es schwer, auch daran zu glauben. Er wollte es, aber das schlechte Gefühl in seinem Inneren verhinderte diesen Glauben. „Komm erst mal mit rein~“, sagte sie. „Wir sprechen drinnen ein wenig.“ Mit sanfter Gewalt führte sie ihn in den Runenladen – wo Hix ungläubig auf ein kleines, am Tisch sitzendes Mädchen sah. „B-bist du nicht gerade...?“ Ohne etwas zu sagen deutete er hinaus, doch als das Mädchen ihn lächelnd ansah, wusste er, dass es sich bei diesem um ein ganz anderes handelte, auch wenn sie genauso aussah wie Zarah. Ailis lachte leise. „Hix, das ist Rim. Die Zwillingsschwester von dem kleinen Biest, das du eben kennen gelernt hast. Im Gegensatz zu dem ist Rim aber ein wahrer Engel. Stimmt's, Kleine?“ Das Mädchen lächelte verlegen. „Wenn du es sagst, Ailis.“ Jedenfalls war dieses Kind ihm wesentlich sympathischer als die Schwester, soviel war sicher. „Rim, das ist Hix. Der Freund von Dougals Opfer.“ Mit großen Augen sah das Mädchen ihn an. „Oooh~ Dougal war begeistert von ihr, sie muss ein toller Mensch sein.“ Was genau meinte sie damit? Hix konnte sich keinerlei Reim darauf machen. Vor allem verstand er immer noch nicht, was dieser Mann mit Tengaar wollte. „Ailis, kannst du mir jetzt erzählen, was Dougal will?“ Sie machte eine einladende Geste, damit er sich zu ihr und Rim an den Tisch setzte. „Ich kann dir nicht wirklich alles erzählen, ich bin nicht Fion, ich weiß nicht viel von Dougal.“ „Das ist in Ordnung“, erwiderte Hix. „Hauptsache du weißt irgend etwas.“ Sie nickte. Für einen Moment schien sie nachzudenken, doch als er bereits ungeduldig zu werden begann, sprach sie weiter: „Seit einigen Jahren sucht Dougal nach bestimmten Mädchen. Sie alle sind in Magie bewandert und über viele Umwege mit Klift verwandt.“ „Dem Kreuzfahrer?“, hakte Hix nach. „Ganz genau der. Tengaar ist allerdings die erste direkte Nachfahrin, die er aufspüren konnte.“ Wenn Hix die Geschichten richtig im Kopf hatte, war das nur logisch. Klift besaß keine anderen direkten Nachfahren außer jene, die im Dorf der Krieger lebten. Dass es überhaupt noch andere Mitglieder seiner Familie gab kam Hix erstaunlich vor. Sie mussten einem wahrhaft weit entferntem Zweig angehören, wenn nicht einmal Zorak davon wusste. „Aber was will er mit diesen Mädchen?“, fragte Hix. Ailis verzog ihr Gesicht als hätte er ihr gerade eine besonders ekelhafte Frage gestellt. Offenbar aber nur, weil sie dabei so angestrengt nachdenken musste. „Ich bin mir da nicht so sicher. Fion sagt es mir nicht und Dougal schon gar nicht – aber ich weiß, dass keines der Mädchen je wieder aufgetaucht ist, nachdem Dougal sie woanders hinbrachte.“ Hix' Herz rutschte augenblicklich in seinen Magen. „Sie tauchten nicht mehr auf? Was bedeutet das?“ Ailis und Rim tauschten einen unsicheren Blick miteinander aus, der nicht gerade hilfreich war, um Hix wieder neuen Mut zuzusprechen. Schließlich sahen beide wieder ihn an. „Na ja~ Viel Auswahl bleibt nicht mehr übrig, oder?“ „A-a-aber warum tut er das?“, fragte Hix schockiert. Ailis vollführte eine Geste mit der Hand, die ausdrücken sollte, dass sie es selbst nicht wusste. „Was denkst du denn?“ Er wollte gar nicht erst darüber nachdenken, besonders nicht, da nun Tengaar diejenige war, die das Opfer sein würde. Erneut erwachte der Wunsch, sie zu retten, dieses Mal um einiges stärker als zuvor. Er musste sie einfach retten, ihm blieb keine andere Wahl! „Ailis, weißt du, wo Dougal hin ist?“ Sie blickte ihn überrascht an. „Klar weiß ich das. Ist auch nicht weiter schwer, der Gute hat nur ein Haus. Aber warum fragst du das?“ Rim sah die Frau an, in ihrem Blick war eindeutig zu sehen, dass sie an ihrem Verstand zweifelte. Hix ging es ähnlich, selbst er fand seinen Gedankengang im Moment ganz einfach zu Durchschauen. „Ich will, dass du mich dort hinbringst!“ Seine eigenen Worte und die Entschlossenheit, mit denen er sie aussprach, überraschten ihn selbst. Aber es ging immerhin um Tengaar, da durfte er nicht nachlassen, er musste ihr helfen! „Das werde ich aber nicht“, erwiderte Ailis stur. „Wir können das Tor sowieso nicht mehr benutzen, Fion wird es verschließen.“ „Dann nehmen wir einen anderen Weg!“ Er würde nicht nachgeben, keinen Zentimeter. Wenn es sein müsste, würde er sie persönlich quer über den Kontinenten tragen. Sie verzog ihr Gesicht, offenbar gefiel ihr der Zielort nicht – oder der Weg zu diesem Ort. „Aber das geht nicht“, jammerte sie leise. „Warum nicht?“ Streng sah er sie an, was selbst für ihn ein äußerst ungewöhnliches Gefühl war. Er wusste nicht einmal, wie sein strenger Blick wohl aussah. Aber im Moment war das auch egal, denn offenbar wirkte es auch ohne sein Wissen. Ailis sank tiefer auf ihrem Stuhl. „Wir müssten lange mit einem Schiff fahren – und ich hasse Wasser!“ Wenn er an ihr Verhalten im Dorf der Enten zurückdachte, war Hass der falsche Ausdruck dafür – panische Angst passte eindeutig besser. „Das ist lächerlich!“, wischte er den Einwand beiseite. „Das bisschen Wasser wird dich nicht umbringen!“ Im nächsten Moment bereute er bereits, das gesagt zu haben. Statt ängstlich wirkte sie plötzlich wütend, ihre Augen blitzten auf, als sie seinen Blick erwiderte. „Du hast doch keine Ahnung!“ Ihr plötzliches Fauchen verunsicherte ihn wieder. Er sah zu Rim hinüber, doch sie hob nur die Schultern, ihr Seitenblick zu Ailis verriet ihm, dass sie anscheinend etwas wusste, aber im Moment nichts sagen konnte. Ailis gewann durch seine erneute Verunsicherung wieder an Sicherheit. Bestimmend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wir gehen nicht und das ist mein letztes Wort.“ Es war verlockend, einfach nachzugeben, sich zu setzen und auf die Rückkehr der anderen zu warten. Aber es ging immer noch um Tengaar! Der Gedanke an seine Freundin, die vermutlich gerade darauf wartete, dass er sie rettete, wenn sie denn schon wieder bei sich war, fachte seinen Mut erneut an, stärker als je zuvor. Er musste Ailis dazu überreden ihn zu begleiten oder ihm zumindest den Aufenthaltsort von Dougal zu verraten. „Kannst du mir wenigstens sagen, wo er hin ist?“, fragte er hastig. „Wenn ich dir eine Karte gebe, kannst du es mir zeigen?“ Die in seiner Stimme mitschwingende Verzweiflung ließ Ailis' Blick wieder weich werden. Sie schien tatsächlich Mitleid zu empfinden, als sie verneinte. „Ich kenne den genauen Ort nicht und das Land, in dem er lebt, ist groß. Aber wenn ich in seiner Nähe bin, könnte ich dich hinführen.“ Kaum war sie wieder verstummt, fiel ihr auf, was sie gesagt hatte, weswegen sie noch hastig „Das heißt nicht, dass ich dich hinbringe“ hinzufügte. Es fehlte nicht mehr viel, um den sanftmütigen Hix dazu zu bringen, Ailis kräftig durchzuschütteln, nur damit sie endlich ihre Sturheit aufgab und ihm half. Er sah wieder Rim an. „Was ist mit dir? Kannst du mir helfen?“ Ihre Augen weiteten sich. „Ich? N-nein. Ich kann ihn nicht aufspüren.“ Obwohl sie verneinte, konnte Hix spüren, dass das Mädchen unter seinem Blick nachgab. Sie wandte sich nun ebenfalls an Ailis. „Vielleicht sollten wir ihn doch hinbringen...“ Doch die Frau schüttelte energisch mit dem Kopf. „Nein! Jetzt fang du nicht auch noch an! Fion und Zarah erledigen das schon für uns.“ Hix befürchtete, dass dies tatsächlich das Ende der Diskussionen sein könnte, aber Rim schien entgegen ihres friedlichen Äußeren nicht so leicht aufgeben zu wollen. „Was, wenn nicht? Auch Meister Fion ist nicht unfehlbar – und Zarah auch nicht.“ Ailis gab immer noch nicht nach, aber ihre Verteidigung bröckelte bereits, sie sank wiederholt tiefer auf ihrem Stuhl, noch einmal und sie würde auf dem Boden sitzen. Entschieden, scheinbar um sich selbst Mut zu machen, schüttelte sie noch einmal den Kopf. „N-nein...“ „Willst du wirklich Schuld an noch einem verschwundenen Mädchen sein?“, fragte Rim. Hix fragte sich, was das bringen sollte. Mit Sicherheit würde Ailis nicht interessieren, was mit den Mädchen geschah, die sie nicht einmal kannte. Doch offenbar hatte er sie da ganz falsch eingeschätzt. Ein lautes Seufzen begleitete das Zerbrechen ihrer Barriere. „In Ordnung – aber nur unter Protest!“ Erleichterung, wie nach einem bestandenem Kampf, durchströmte Hix. Nein, hier war es sogar noch besser. Er hatte nicht nur diesen Kampf gewonnen – wenn auch nur mit Hilfe von Rim – nein, er würde nun auch Tengaar retten können. Seine Tengaar. Während Ailis und Rim sich hastig daran machten, ihre Sachen zu packen, sah Hix derweil aus dem Fenster in den Himmel. Er stellte sich vor, dass Tengaar im selben Moment ebenfalls in das unendlich scheinende Blau sah. Von diesem Gedanken beseelt legte er eine Hand auf den Griff seines Schwertes und leistete den stillen Schwur, sie zu retten, egal, wo sie sich nun befinden würde – und wenn er dafür bis ans Ende der Welt reisen müsste. Kapitel 9: Eingesperrt ---------------------- Es war vielleicht nicht das Ende der Welt, aber für jemanden, der in Toran aufgewachsen war, kam es dem schon ziemlich nahe. Tengaars gelangweilter Blick streifte Wälder, weite Grasflächen und Flüsse – auch wenn sie inzwischen wusste, dass es nur verschiedene Arme desselben Gewässers waren, das den Namen Feitas trug. Der Karte nach zu urteilen, die sich an einer Wand in ihrem Zimmer befand, floss dieser durch das ganze Land. Den Namen von eben diesem wusste sie allerdings nicht. Von dem ihr zugewiesenen Zimmer jedenfalls konnte sie keine andere Stadt erspähen, was ihr allerdings nicht weiterhalf. Der Versuch zu fliehen, ohne zu wissen wohin, wäre töricht gewesen und zu denken, dass sie allein in der Wildnis überleben könnte, ebenso. Sie wusste gar nichts über dieses Land und es gab auch niemanden, den sie fragen könnte. Seit sie aufgewacht war, hatte sie dieses Zimmer nicht verlassen. Eine Magd brachte ihr drei Mahlzeiten am Tag und holte es eine Stunde danach auch wieder ab, aber- Ein Klopfen unterbrach ihre Gedanken. Die Person wartete eine Aufforderung nicht ab, sondern kam direkt herein. Tengaar sah zu ihr hinüber. Sie war sich nicht sicher, ob die blasse Magd mit dem blau-schwarzen Haar dieselbe war wie die eine Stunde zuvor, aber sie sah ihr zumindest ähnlich. Dem schmalen Gesicht mangelte es an jeder Emotion, die roten Augen blickten leblos umher, allerdings gab es mindestens noch eine andere mit diesem Aussehen im Haus. Ohne etwas zu sagen nahm sie das Tablett und wandte sich wieder ab. Doch ehe sie gehen konnte, ergriff Tengaar das Wort: „Ähm, Entschuldigung...“ Die Magd hielt inne und wandte ihr den Kopf zu. Sie sagte nichts, aber sie wartete offensichtlich auf eine Anweisung. Es kam Tengaar jedes Mal vor als würde sie mit einer Puppe sprechen, wenn sie das Wort an diese oder eine andere Frau im Haus richtete. Seit gestern hatte sie mehrmals versucht, mit ihnen zu reden, aber nicht einmal auf die Frage nach dem Land war ihr geantwortet worden. Diesmal wollte sie allerdings etwas anderes wissen: „Darf ich dieses Zimmer verlassen?“ Als sie am Morgen versucht hatte, die Tür zu öffnen, war nichts geschehen, offenbar war sie verschlossen gewesen. Allerdings schlossen die Mägde sie nicht auf, wenn sie hereinkamen und genausowenig wieder zu, wenn sie wieder gingen. Die Fremde neigte den Kopf. Als Tengaar schon glaubte, keine Antwort mehr zu erhalten, öffnete sie den Mund: „Das Anwesen darf nicht verlassen werden.“ Ihre Stimme passte zum Rest ihres Aussehens: Kein Hauch von Emotion war darin zu vernehmen. Bedeutete das nun Ja oder Nein? „In Ordnung...“, erwiderte Tengaar nur, statt eine weitere Frage zu stellen. Der Blick der Magd ging stur wieder geradeaus, als sie sich in Bewegung setzte und das Zimmer schließlich verließ. Wie jedes Mal wirkte es wie eine Szene aus einem Traum, sobald der Raum wieder leer war. Tengaar wartete einen Moment, ehe sie von ihrem Stuhl aufsprang und zur Tür hinüberlief. Aufgeregt versuchte sie, diese zu öffnen und jubilierte innerlich, als sie tatsächlich aufschwang und den Blick auf den düsteren Gang freilag. Statuen und Gemälde säumten die Wände, Kerzenleuchter erhellten alles notdürftig. Unheimliche Stille erfüllte das Anwesen, irgendwo wurde eine Tür geschlossen, nur um alles danach noch unwirklicher erscheinen zu lassen. Interessiert trat Tengaar auf den Gang hinaus und ging aufs Geratewohl in irgendeine Richtung los. Schon nach wenigen Schritten fand sie sich vor einem Balkon wieder, der ihr einen weiteren Blick auf die Umgebung versprach. Sie öffnete die Tür und trat hinaus. Ein warmer Wind umfing sie, eine willkommene Abwechslung zu der abgestandenen Luft im Inneren des Anwesens. Auf der steinernen Brüstung befanden sich an beiden Ecken Statuen von geflügelten Wölfen, die gerade mal ein wenig größer als Welpen waren. Von diesem Balkon aus konnte sie nicht auf den Feitas blicken, aber dafür auf einen Wald; jenseits davon schien sich eine Burg zu befinden. Wenn sie es nur bis zu dieser schaffen könnte... Kurz nach ihrer Ankunft in diesem Anwesen war sie noch bei Bewusstsein gewesen. Dieser Mann, wer immer er war, schien ihr nichts Gutes im Sinn zu haben. Sie konnte nicht bei ihm bleiben, sie spürte instinktiv, dass sie so schnell wie möglich von ihm fort musste. Von diesem Balkon aus würde das allerdings nicht funktionieren, dafür war er viel zu weit oben. Der Versuch, hinunterzuklettern würde mit Sicherheit mit einem äußerst schmerzhaften Tod für sie enden. Nein, sie musste einen anderen Weg finden. Während sie sich noch in Gedanken versunken umsah, hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich: „Eine hübsche Aussicht, nicht?“ Erschrocken suchte ihr Blick nach der fremden Person, doch fand sie nur- „D-das kann doch nicht sein...!“ Eine der Statuen streckte sich ausgiebig, ehe sie sich wieder hinsetzte und Tengaar müde ansah. Nichts an diesem Wesen erinnerte mehr daran, dass es bis gerade eben noch vollkommen aus Stein zu bestehen schien. Das geschmeidige silberne Fell bewegte sich sacht im Wind, die grauen Federn glänzten im Sonnenlicht und die goldenen Augen funkelten amüsiert. Das Schweigen zwischen den beiden hielt an und zog sich hin – bis es dieses schließlich mit einem lauten Seufzen durchbrach. „Wieso sind die von Dougal hergebrachten Frauen immer so wortkarg?“ „W-wer?“, fragte Tengaar schließlich mühsam. Der Wolf schien zu grinsen, sofern diese Wesen dazu überhaupt in der Lage waren. „Ah, du kannst also doch reden, sehr schön.“ Sie wich ein wenig zurück, er beantwortete ihre Frage: „Dougal ist der Herr dieses Anwesens, er hat dich hierher gebracht. Nicht sehr nett, oder?“ „Woher weißt du so etwas?“, fragte sie zögernd. „Würdest du den ganzen Tag hier als Statue verbringen, ginge es dir genauso.“ Sie warf einen Blick hinter sich, doch die andere Figur stand immer noch unverändert und versteinert an ihrem Platz. Also betraf dieses Verhalten nicht alle Statuen. „Wer oder was... bist du?“, fragte sie zurückhaltend. Der Wolf lachte amüsiert. „Mein werter Name ist Faolan. Ich bin einer der Wasserspeier hier.“ Nachdenklich neigte sie den Kopf. „Ich dachte immer, die wären aus Stein. Du scheinst mir aber... sehr lebendig.“ In all ihrer Zeit in den Hauptquartieren der Armee war ihr solch ein Wesen nicht untergekommen. Zögerlich streckte sie die Hand aus, um ihm über den Kopf zu streichen. Tatsächlich fühlte er sich nach Pelz statt Granit an. „Wie kann das sein?“ „Es ist schwer zu erklären“, meinte er. „Ich versteh's ja selber nicht. Aber Meister Dougal sagt, dass es etwas mit Magie zu tun hat.“ „Also mit einer Rune?“, hakte sie nach. Er machte eine Bewegung, die an das Schulterzucken eines Menschen erinnerte. „Keine Ahnung. Ich kenne mich da nicht aus. Meister Dougal ist der schlaue Kopf in diesem Haus. He, das reimt sich.“ Sein gelungener Reim schien ihn so sehr zu amüsieren, dass er freudig grinsend vor und zurück wippte. Tengaar konnte ihn nur irritiert betrachten. Da sie das allerdings nicht weiterbringen würde, beschloss sie, ihm noch eine weitere Frage zu stellen: „Wer ist Meister Dougal? Den hast du vorhin schon einmal erwähnt.“ „Er ist der Herr des Hauses, ihm gehört das alles hier, zumindest sagte er mir das.“ Tief in ihrem Inneren glaubte Tengaar, diesen Namen schon einmal gehört zu haben und das vor gar nicht allzu langer Zeit. Nein, es muss kurz nach Ende des Dunan-Vereinigungskrieg gewesen sein, als sie zum ersten Mal davon gehört hatte – aber von wem? Daran konnte sie sich seltsamerweise nicht erinnern. „Er gab mir auch meinen Namen“, sagte Faolan. „Ah, aber ich bin unhöflich. Wie heißt du?“ Sie stellte sich vor und versuchte dabei zu lächeln, auch wenn ihr das schwer fiel. Die vielen offenen Fragen und die Entfernung zu Hix machten ihr schwer zu schaffen. Der Wolf lächelte. „Freut mich, dich kennenzulernen.“ „Ja, gleichfalls“, erwiderte sie mit wenig Begeisterung. „Wo bin ich hier überhaupt, also in welchem Land?“ Die Frage brannte ihr schon eine Weile auf der Zunge, doch bislang war darauf keine Antwort erfolgt. Für einen kurzen Moment war sie sicher, dass auch Faolan ihr nicht helfen konnte, doch er lächelte nach wie vor. „Dies ist das Königinnenreich Falena. Ein friedliches Land, das von der Sonne selbst gesegnet ist. Bei Gelegenheit solltest du es dir mal ansehen.“ Sagt sich so einfach, durchzuckte sie der Gedanke. Immerhin war ihr untersagt worden, dieses Anwesen zu verlassen und ohne Hix stand ihr ohnehin nicht der Sinn danach, irgendwelche fremden Länder zu erforschen. Wie weit war sie wohl gerade von ihm entfernt? Sie kannte das Land nicht, also befand es sich keineswegs in der Nähe von Toran. Sie wusste allerdings durch Gerüchte, dass Georg Prime ebenfalls für lange Zeit in diesem Land gewesen war, warum auch immer. Seltsamerweise war dies eines der wenigen Dinge, die sie von dem Schwertkämpfer aus Rious Armee noch in Erinnerung hatte. Womöglich weil es Inhalt vieler Gerüchte gewesen war. „Warum bin ich hier?“, fragte Tengaar. „Was soll ich hier?“ Wieder zuckte Faolan mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Da müsstest du schon Meister Dougal fragen.“ „Gut und wo finde ich den?“ Sie würde ihn nicht nur danach fragen, so viel war sicher. Er schuldete ihr nämlich auch eine Erklärung, warum er sie dafür hatte entführen müssen und was mit Hix war. Eine verschwommene Erinnerung wie aus einem Traum, den man kaum noch rekonstruieren konnte, zeigte ihr, dass jemand offenbar gegen ihn gekämpft hatte, als sie noch in Zexen gewesen waren. Aber was mit ihm geschehen war und wie es ihm nun ging, das wusste sie nicht. „Er ist derzeit nicht zu sprechen, er ist mit seinem Gast beschäftigt.“ Die Art wie er das Wort Gast betonte, ließ Tengaar aufhorchen. „Jemand Besonderes?“ „Sogar sehr besonders... besonders unausstehlich nämlich. Meister Dougal kann ihn nicht leiden, er ist nach jeder Begegnung genervter.“ Sie seufzte. „Und wie lange dauert das noch?“ So lange wie sie schon auf eine Antwort auf ihre Fragen wartete, würden ein paar Stunden mehr zwar nichts mehr ausmachen, aber gerade in dieser Situation der Unwissenheit kam ihr jede weitere Minute wie eine Ewigkeit vor. „Ich weiß es nicht. Kommt drauf an wieviel der Besucher dieses Mal zu bemängeln hat. Manchmal ist das viel und manchmal weniger viel.“ Tengaar neigte neugierig den Kopf. „Bemängeln?“ „Frag mich nicht. Meister Dougal steht in Kontakt mit irgendwem und der schickt regelmäßig so 'nen arroganten Kerl vorbei, der nachprüft, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht.“ Das klingt seltsam. Warum sollte jemand das machen? Sie fragte nicht weiter, immerhin schien der Wolf ihr nicht viel sagen zu können. Aber dieser Dougal würde nicht darum herum kommen. Aber immerhin wusste sie nun, wo sie sich befand und wohin sie fliehen könnte, sollte sie wirklich einen solchen Versuch starten. Sie bedankte sich höflich bei Faolan und ging dann wieder hinein, um sich weiter umzusehen. Ein Blick zurück verriet ihr, dass der Wolf sich wieder in einen unbeweglichen Wasserspeier verwandelt hatte. Außer Dougal und ihr schien das Anwesen leer zu sein, jedenfalls fand Tengaar sonst niemanden, nicht einmal die Mägde, die eigentlich vor Ort sein müssten. Die meisten Türen waren verschlossen, hinter den offenen fand sie allerdings nur leere Räume vor, die selten benutzt zu werden schienen. Selbst in der Küche war niemand zu sehen. Lediglich einen Raum wollte sie aus freien Stücken nicht betreten. Durch die Tür waren gedämpfte Stimmen zu hören, das musste der Ort sein, an dem sich Dougal mit seinem Besucher unterhielt. Allerdings konnte sie nicht hören, worum es in diesem Gespräch ging. Seufzend wandte sie sich ab und ging auf der Suche nach dem Ausgang davon. Die Eingangshalle brachte ihr allerdings nicht den gewünschten Erfolg. Zwar fand sie die Tür nach draußen, doch ließ sich diese nicht öffnen. Seufzend lehnte sie sich dagegen. Die Gänge im Erdgeschoss waren dunkel, weil es keine Fenster in diesen gab und jede Tür, die zu einem solchen führen könnte war geschlossen, so dass Tengaar es nicht einmal auf diese Art versuchen konnte. So gesehen empfand sie die Ermahnung der Magd, das Anwesen nicht zu verlassen, als überflüssig. Dougal – oder wer auch immer dafür verantwortlich war – ließ ihr nicht einmal Gelegenheit dazu. Hix... wo bist du nur? Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen, Stimmen näherten sich ihr. Erschrocken huschte Tengaar in den Schatten der Statuen, die in der Eingangshalle standen. Sie musste sich nicht verstecken, es war rein instinktiv geschehen, aber es war besser, vorsichtig zu sein. „Dann sind wir uns wohl einig“, sagte eine kalte Stimme, die Tengaar nicht bekannt vorkam. Sie klang jung, als ob der Besitzer gerade in den Stimmbruch gekommen wäre, aber auch bereits so kalt als hätte er alle Grausamkeiten dieser Welt gesehen. „Aber natürlich.“ Die zweite Stimme klang reifer, aber nicht minder kalt. Allerdings war es nicht das, was Tengaar irritierte. Ich kenne diese Stimme aus meinen Träumen... das muss Dougal sein. Schlagartig erinnerte sie sich an das, was sie nach Zexen geführt hatte. Es war nicht Hix gewesen, sondern sie selbst – wegen der Stimme dieses Mannes. Das erklärte auch die Zurückhaltung des Kriegerlehrlings wann immer sie auf dieses Thema gekommen waren. Er hätte ihr niemals gesagt, dass es nicht seine Schuld war, sofern sie genau das dachte. Sie unterdrückte das sehnsuchtsvolle Seufzen, bei dem Gedanken an Hix und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. „Mein Meister wird sehr zufrieden mit dir sein“, sagte der Junge. „Darüber sollte ich froh sein, oder?“ Dougal klang über dieses Gespräch tatsächlich alles andere als erbaut, genau wie Faolan gesagt hatte. „Selbstverständlich.“ Die beiden betraten die Eingangshalle, so dass Tengaar einen Blick auf sie erhaschen konnte. Den Schwarzhaarigen erkannte sie wieder, nicht zuletzt durch ihre Begegnung mit ihm in Vinay del Zexay, wo er sie vor den Wölfen gerettet hatte. Das war Dougal. Der Jugendliche mit dem langen silbernen Haar, der neben ihm herlief, kam ihr allerdings keineswegs bekannt vor. Nicht nur das Aussehen, auch die eiskalte Aura, die ihn umgab, war mit Sicherheit unvergesslich. Das musste sein Gast sein. „Gut, ich werde dann...“ Der Silberhaarige hielt inne, als er sich auf derselben Höhe mit Tengaar befand und wandte ihr den Blick zu. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, die eisblauen Augen jagten ihr kalte Schauer über den Rücken, die sie frösteln ließen. Er wandte sich wieder Dougal zu. „Sie ist keine von deinen Angestellten. Sag mir nicht, du versammelst jetzt Schüler um dich.“ „Natürlich nicht“, versicherte er sofort. „Sie ist keine Schülerin, nur eine Besucherin.“ Gefangene trifft es besser, durchfuhr es Tengaar. Warum kümmerte es diesen Jungen, ob sie eine Schülerin – für was eigentlich? – war? Allerdings schien es ihn auch nicht wirklich zu interessieren oder er glaubte Dougal direkt, denn er fragte nicht weiter. „Gut. Du weißt ja, welche Konsequenzen das nach sich ziehen würde.“ Der Silberhaarige wandte sich wieder dem Ausgang zu. „Dann werde ich jetzt meinem Meister Bericht erstatten gehen.“ Nach einem letzten Blick auf Tengaar ging er schließlich durch die Tür, die ihr zuvor verschlossen geblieben war. Sie wartete noch einen kurzen Augenblick, bis die kalte Aura verflogen war, dann trat sie auf den reglos dastehenden Dougal zu. „Was hat das alles zu bedeuten?“ Mit unbewegter Miene sah er sie an. „Wie ich sehe bist du wieder vollständig auf den Beinen. Lass uns in die Bibliothek gehen, wir haben viel zu bereden.“ Das überraschte Tengaar wirklich. Sie war der Überzeugung gewesen, dass sie ihn erst dazu überreden müsste, ihr mehr zu erzählen. Aber offenbar war das gar nicht nötig. Sprachlos konnte sie nur nicken, ehe sie sich von ihm zu dem Raum führen ließ, in dem seine vorige Unterredung stattgefunden hatte. Ihre Sorgen und Gedanken drehten sich vorrangig immer noch um Hix, aber inzwischen waren so viele neue Themen dazugekommen, dass sie nicht wusste, womit sie anfangen sollte. Also würde sie einfach Dougal das Gespräch übernehmen lassen, in der Hoffnung, dass er ihre Fragen von selbst beantworten würde. Kapitel 10: Geschichtsstunde ---------------------------- Unsicher schritt Hix über das schwankende Deck des Schiffs, auf dem sie zu den Inselnationen fahren sollten. Bislang war er immer nur in kleinen Booten über Flüsse und Seen gereist; eine Fahrt auf dem Ozean, auf dem der Wellengang um einiges heftiger war, zählte allerdings zu einer ganz anderen Kategorie. Allerdings spürte er bereits, wie er sich daran zu gewöhnen begann. Die Reise dauerte schon einige Stunden, da war es seiner Ansicht nach nur verständlich. Immerhin ging es ihm besser als Ailis, die sich unter Deck an ein Fass klammerte, das sie offenbar im Fall eines Schiffbruchs über Wasser halten sollte. Ein wenig Mitleid überkam ihm bei dem Gedanken daran, aber er war froh darum, dass sie ihn trotz dieser Panik zu Tengaar bringen wollte. Rim lief summend neben ihm her, doch obwohl Ailis nicht in der Nähe war, traute er sich noch nicht, das kleine Mädchen zu fragen, warum die Ältere solche Panik vor dem Wasser verspürte. Ein wenig fühlte er sich noch wie ein Störenfried, der eigentlich gar nichts mit ihnen zu tun hatte und der deswegen kein Anrecht auf dieses Wissen besaß. Rim blieb stehen und warf einen Blick auf die Küstenlinie von Zexen. „Es wird noch lange dauern, bis wir ankommen – und dann müssen wir ein anderes Schiff nehmen.“ Das klang wirklich nach einer sehr langen Fahrt. „Hoffentlich überlebt Ailis das“, bemerkte er gedankenverloren, was Rim zu einem amüsierten Kichern verleitete. Hix blickte sie fragend an, worauf sie sich wieder beruhigte, um zu antworten: „Vielleicht wird das auch mal ein heilsamer Schock für sie, wer weiß? Es wäre jedenfalls nicht schlecht. Diese Panik ist doch sehr hinderlich und nicht sonderlich rational.“ Für jeden anderen wäre dies die ideale Überleitung gewesen, um nach der Ursache zu fragen, doch Hix war immer noch der Überzeugung, dass es ihn nichts anzugehen hätte, weswegen er eine andere Frage stellte: „Was sollen wir so lange tun?“ Rim überlegte für einen kurzen Moment. Der Kriegerlehrling wusste, dass es an Bord einige Aktivitäten gab, um seine Zeit zu vertreiben, hauptsächlich Glücksspiele, danach stand ihm allerdings nicht der Sinn. Doch ihr Vorschlag beinhaltete nichts davon: „Wir könnten gemeinsam zu Ailis gehen. Es gibt noch ein paar Dinge, die du nicht weißt, die aber vielleicht ganz interessant zu wissen wären.“ Es war immerhin besser als möglicherweise tagelang nichts zu tun, auch wenn es nur für einige Stunden anhalten würde, aber danach könnte er immerhin seine Zeit damit verbringen, über das Erfahrene nachzudenken. „In Ordnung, gehen wir.“ Sie begaben sich unter Deck in die Kabine, die sie gemeinsam mit Ailis teilten. Die Illusionistin klammerte sich tatsächlich immer noch an das Fass, als bräuchte sie es zum Überleben, Schweiß perlte ihre Stirn hinab, sie schien zu zittern. Rim setzte sich neben sie, während Hix auf der Koje gegenüber Platz nahm. „Was wollt ihr?“, fragte Ailis. „Geht das Schiff unter?“ Ihre Augen huschten panisch umher, doch Rim beruhigte sie sofort wieder: „Keine Sorge, hier geht nichts unter. Hix will nur noch ein paar Informationen haben.“ Ailis wandte ihm ihren Blick zu, sie schien ratlos, weswegen er nachhalf: „Über Klift und über euch. Ihr habt seinen Namen sofort erkannt. Warum?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass es nur daran lag, weil Dougal die Nachfahren dieses Mannes suchte. Die Reaktion von ihr und Fion auf die Erwähnung des Namens war dafür viel zu erschrocken gewesen. „Ganz einfach~“, sagte Ailis. „Klift, der Kreuzfahrer, ist bei uns quasi eine Legende. Zu seiner Zeit war er einer der stärksten Magier aller Zeiten.“ Hix neigte den Kopf. Das war nicht wirklich etwas Neues, Zorak hatte oft erzählt, wie geschickt Klift im Umgang mit einem Schwert gewesen wäre und wie talentiert wenn es um Runen ging. Doch bevor er den Gedanken aussprechen konnte, sprach Ailis bereits weiter: „Damit meine ich aber nicht dieses Zeug, das du mit Runen anstellen kannst. Wir reden hier von wahrer Magie, in der Klift einfach umwerfend gewesen ist.“ Verdutzt konnte Tengaar ihn für einen Moment nur ansehen, doch Dougal verzog keine Miene, was wohl auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussage schließen ließ. „Wahre Magie?“, hakte sie nach. „Das bedeutet...“ „Genau das, was ich gesagt habe“, sagte er. „Er konnte bis zu einem gewissen Grad Elemente kontrollieren, ohne eine Rune dafür zu benutzen.“ „Das ist doch unmöglich“, erwiderte sie. „Menschen können so etwas nicht.“ Selbst die Magier Crowley und Mazus, die gemeinhin als die stärksten ihrer Zunft in den Armeen von Tir und Riou gegolten hatten, waren Runenträger gewesen. Doch etwas, was ihr wirklich zu denken geben sollte, fiel ihr erst in dem Moment ein, als Dougal es erwähnte: „Du solltest wissen, dass es möglich ist. Du selbst verfügst als Nachfahrin von Klift immerhin ebenfalls über dieses Talent.“ Meint er etwa...? Wie hatte sie es nur vergessen können? Sie teilte einen gemeinsamen Angriff mit Hix als Zeichen ihrer Verbundenheit – und ihr Part bestand darin, dass sie einen Ring aus Feuer beschwor, um den Angriff des Kriegerlehrlings zu unterstützen. Dies war das Ergebnis ihrer Ausbildung zur Runenmagierin gewesen, was einige überraschte Reaktionen nach sich gezogen hatte. Keiner wusste eine Erklärung dafür, doch schließlich war es auf Klifts Blut in ihren Adern geschoben worden. „Die Magie in dir ist nicht so stark wie sie es bei Klift war,“, fuhr Dougal fort, als er bemerkte, dass sie erkannt hatte, worauf er anspielte, „weil dein Blut durch viele Kreuzungen mit nicht-magischen Menschen inzwischen verwässert ist, aber die Fähigkeit ist immer noch da.“ Es gefiel ihr nicht, dass seine Worte über ihre Vorfahren klangen, als würde er von einer Tierart sprechen, doch sie zog es vor, das nicht zu kommentieren. Noch waren nicht alle ihre Fragen beantwortet. „Aber wen kümmert das?“, wollte sie wissen. Es kam ihr seltsam vor, dass sie nur wegen ihrer Verwandtschaft zu Klift, den sie nicht einmal persönlich kannte, von diesem Dougal entführt worden war. Da musste noch mehr dahinterstecken und sie wollte es erfahren. „Mich natürlich, sonst wärst du nun nicht hier. Ich suche seit vielen Jahren die weiblichen Nachfahren von Klift.“ Das kam ihr reichlich eigenartig vor. Immerhin hätte er dafür doch nur das Dorf der Krieger in Toran besuchen müssen. Oder sollte es tatsächlich Nachfahren geben, von denen sie nichts wusste? Aber viel wichtiger war doch: „Warum?“ Sein Blick nahm plötzlich einen betrübt-nostalgischen Ausdruck an, eine kaum sichtbare Änderung, wenn man ihn nicht genauer betrachtete. Aber zumindest der Anflug eines Lächelns, das geringe Hochziehen der Mundwinkel, war deutlich erkennbar, es ließ ihn ein wenig sympathischer erscheinen. „Vor langer Zeit war ich Schüler eines Magiers, genau wie eine Nachfahrin von Klift. Ihr Name war Treasa. Sie war talentiert, stark und tapfer. Sie brachte genug Mut auf, sich gegen einen machtvollen Magier zu stellen.“ Während er schweigend offenbar in seinen Erinnerungen schwelgte, fragte Tengaar sich, was das alles mit ihr zu tun hatte. Bislang war das einzig Übereinstimmende die Sache mit Klift. Sie räusperte sich, so dass der aus den Gedanken gerissene Dougal fortfuhr: „Doch sie bezahlte diesen Mut mit ihrem Leben, weil sie von ihren eigenen Kameraden hintergangen wurde.“ Sie verspürte den Impuls, ihn ein wenig anzutreiben, damit er endlich Klartext redete, weswegen er sie gesucht hatte, doch sie wagte es immer noch nicht. Immerhin konnte sie seine Reaktionen noch nicht einschätzen. „Mein einziges Bestreben ist es nun, jemanden zu finden, der ihren Platz einnehmen kann.“ „Wie meinst du das? Menschen sind nicht einfach austauschbar.“ Er sah sie wieder direkt an, das Lächeln war erloschen. „Das ist mir bewusst. Aber darum geht es auch gar nicht.“ „Worum denn dann?“, fragte sie weiter. Doch er ging nicht mehr darauf ein. „Du wirst es noch früh genug erfahren und verstehen. Deswegen ist es nun vergeudete Lebenszeit, weiter mit dir über dieses Thema zu reden.“ Verärgert runzelte Tengaar ihre Stirn. Warum erzählte er ihr das, wenn er doch gar nicht vorhatte, ihr das Wichtigste zu erklären. „Ich würde es gern jetzt erfahren!“ Das Blitzen seiner Augen verriet ihr augenblicklich, dass er wirklich nicht mehr darüber sprechen wollte. Offenbar musste sie es akzeptieren, zumindest vorerst. Allerdings würde sie das nicht einfach so durchgehen lassen, sie würde das Thema bei nächste Gelegenheit wieder aufgreifen. Da er keinerlei Anstalten machte, ihr zu verstehen zu geben, dass die Unterhaltung beendet war, beschloss sie, ein anderes Thema aufzugreifen: „Kannst du mir wenigstens mehr über diese Magiesache erzählen? Ich habe noch nie von Magiern gehört, die ohne Rune zauberten. Ich will mehr darüber wissen.“ Ailis neigte den Kopf ein wenig. „Oh, ich kenne mich nicht gut mit Geschichte aus, aber Rim...“ Sie warf ihrer kleinen Assistentin einen vielsagenden Blick zu, worauf diese sofort nickte. „Natürlich, gern.“ Dennoch zögerte sie noch einen Moment, in dem sie sich anscheinend selbst erst wieder ins Gedächtnis rief, wie die Geschichte ging – oder wie sie anfing. „Vor dem Krieg, in dem fast alle Magier ausgelöscht wurden, war die Fähigkeit äußerst verbreitet. Laut dem harmonianischen Sol-Kalender müsste es noch vor dem Jahre Null gewesen sein, sogar noch lange vor dem Krieg von Aronia. Damals war die Welt ein sehr unsicherer und von Kriegen geplagter Ort. Die Gier nach Macht und Kontrolle entfachte Konflikte, die zu weitreichenden Schlachten und zu vielen Toten führte, insbesondere bei dem Teil der Menschheit, der keiner Magie fähig war.“ Hix versuchte, sich das vorzustellen, doch allein der Gedanke, dass dies alles vor über vierhundert Jahren geschehen sein musste, löste Schwindelgefühle in ihm aus. Für ihn als Mensch war dies eine unfassbare Zeitspanne. „Doch mit der Verbreitung von Runen, begannen die normalen Menschen, die Magier zu bekämpfen. Durch die immensen Verluste, die sich die Magier zuvor gegenseitig zugefügt hatten, sowie das immer noch bestehende Misstrauen zwischen ihnen, war es ihnen nicht möglich, den Runenträgern machtvoll genug gegenüberzutreten, um diese Rebellion niederzuschlagen. Es heißt, es war nur eine einzige Schlacht nötig, die über drei Tage andauerte, um die letzten Magier auszulöschen.“ Bedrückt senkte Rim ihren Blick. Hix kannte das Gefühl, das einen überkam, wenn man Schlachten Revue passieren ließ. Während man mittendrin war, wirkten sie oft weniger schlimm, als wenn man sie sich später wieder in Erinnerung rief, ob gewollt oder nicht. Es gab für Hix kaum etwas Schlimmeres, als mitten in der Nacht schweißgebadet aus einem Albtraum aufzuwachen, in dem er wieder von all dieser Gewalt umgeben war. Jedoch wirkte Rim viel zu jung, um Part dieses Kriegs gewesen zu sein, ihre Stimmung allerdings ließ darauf schließen, dass sie doch daran teilgenommen hatte, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie das möglich war. „Aber Klift gründete das Dorf der Krieger erst im Sol-Jahr 20, nachdem er die Region Lorimar gegen Harmonia verteidigt hatte“, gab Hix zu bedenken. „Das würde doch keinen Sinn machen, wenn noch vor der Einführung des Kalenders alle Magier ausgelöscht wurden.“ Rim lächelte wieder. „Einige überlebten noch. Manche waren zu Zeiten des Krieges noch zu jung gewesen, um daran teilzunehmen, andere hatten ihr Talent noch gar nicht entdeckt. Aber fortan vermieden sie es, sich in aller Öffentlichkeit als Magier zu erkennen zu geben oder ihre Nachfahren über deren Fähigkeiten aufzuklären und mit der Zeit gerieten sie und ihre Taten in Vergessenheit.“ Dass sie sich einzig aufgrund ihrer Fähigkeiten verstecken mussten, stimmte Hix traurig. Würden plötzlich sämtliche Krieger geächtet werden, wüsste er nicht, was er tun sollte. Immerhin würden alle, die er kannte, dann sterben oder sich verstecken müssen. Um sich selbst würde er sich keinerlei Sorgen machen, immerhin war er kein wirklicher Krieger. Auf der anderen Seite hörte es sich an als wären viele der Magier wirklich bösartig gewesen. Möglicherweise war es besser, dass es sie nicht mehr gab. Er erschauerte, als ihm dieser Gedanke bewusst wurde. Eine solch pauschale Verurteilung sah ihm sonst nicht ähnlich. Rim räusperte sich, um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Offenbar gab es noch etwas, was sie ihm sagen wollte. „Im Geheimen allerdings gab es Magier, die sich Kinder suchten, die das Talent besaßen, um sie als Schüler bei sich aufzunehmen. Teils weil sie nicht wollten, dass die Magie endgültig verschwindet und teils weil sie tatsächlich weiterhin Macht haben wollten. Dougal, Fion und Treasa waren bei einem Lehrmeister, dem es um das Erhalten der Magie ging und er stellte sich gegen einen anderen Magier, der nach Macht gierte.“ „Also bekämpften sie sich weiter“, bemerkte Hix betrübt. Ailis vollführte eine knappe, wegwerfende Handbewegung, ehe sie sich direkt wieder an ihr Fässchen klammerte. „Das ist doch vollkommen normal für Menschen. Spalten sich gegenseitig die Schädel und beschuldigen Wesen aus anderen Welten, Monster zu sein.“ Hix wandte ihr den Kopf zu. „Bist du denn kein Mensch?“ „Oh, ich nehme mich da nicht aus“, sagte sie lachend. „Nimmt meiner Aussage aber nichts. Ich denke auch, dass diese Wesen Monster sind – und so manchen Schädel würde ich auch gern spalten.“ Sie zwinkerte ihm zu, er kämpfte den Drang nieder, ein wenig von ihr wegzurücken. Stattdessen wandte er sich wieder Rim zu. „Was wurde aus dem Magier, gegen den sich Fions Meister stellte?“ „Er lebt noch und erfreut sich wohl bester Gesundheit, es gibt nämlich nur eine Sache, die ihm schaden kann und das Ritual dafür ging schief...“ Bedrückt hielt sie inne. Ein Ritual, um einem Magier zu schaden? Er muss wirklich mächtig sein... Das bekräftigte Hix noch einmal in der Annahme, dass es womöglich besser war, dass der Großteil der Magier damals ausgelöscht worden war. Allein die Vorstellung, dass es mehrere machtgierige Magier geben könnte, die quasi unverwundbar waren... das war viel zu viel für ihn. Aber der Name dieser Person interessierte ihn doch. „Wie heißt er?“ Möglicherweise war es doch jemand, den er kannte. Rim wollte gerade antworten, als eine heftige Erschütterung durch das Schiff fuhr. Mit einem lauten Kreischen klammerte Ailis sich fester an ihr Fässchen, ihr ganzer Körper zitterte so heftig, dass Hix den Impuls verspürte, sie festzuhalten. „Was war das?“, fragte der Kriegerlehrling stattdessen. Rim stand wieder auf. „Lass uns nachsehen.“ Mit einem Nicken erhob er sich ebenfalls und verließ gemeinsam mit dem kleinen Mädchen die Kabine, ohne sich auch nur im Geringsten um die zitternde Ailis zu kümmern. Abwartend sah Tengaar ihn an. Sie wollte den Namen dieses Magiers und sie würde nicht von davon ablassen, ehe er es ihr gesagt hatte. Kühl erwiderte er ihren Blick, in ihren Augen schien er zu lesen, ob es sich vielleicht lohnte, weiter zu schweigen – zumindest kam es ihr so vor. Sie jubilierte innerlich, als sie feststellte, dass er schließlich nachgab. Ein schweres Seufzen begleitete das Einbrechen seiner Barriere, doch die Enttäuschung war dafür umso größer, als sie seine Worte registrierte: „Ich kann es dir nicht sagen. Seinen Namen auszusprechen kann üble Folgen für einen unbedeutenden Magier wie mich haben. Das möchte ich lieber nicht riskieren.“ „Ist er denn so schlimm?“, fragte Tengaar. „Was hast du empfunden, als du den Jungen vorhin gesehen hast?“, stellte er die Gegenfrage. Um das zu beantworten musste sie nicht lange nachdenken. Das unangenehme Gefühl von Gefahr, die unfassbare Kälte und dieser stechende Blick aus seinen Augen, das würde sie nicht mehr vergessen. Dougal nickte zustimmend, kaum hatte er dies gehört. „Nun stell dir vor, dass dieser Junge nur ein sehr junger Schüler dieses Magiers ist... dann kannst du dir ungefähr vorstellen, wie schlimm dieser Mann ist.“ So weit wollte sie allerdings nicht denken. Sie empfand es als unmöglich, dass jemand noch schlimmer war als dieser Junge, dass es wirklich gehen sollte... nein, sie entschied für sich, dass es nicht möglich war. Als Zeichen, dass das Gespräch für diesen Mann beendet war, stand er auf und ging zur Tür hinüber. Er öffnete diese, hielt aber noch einmal inne und wandte sich Tengaar zu. „Du wirst für eine Weile hier bleiben müssen. Du kannst dich innerhalb dieses Anwesens frei bewegen, es aber nicht verlassen, wie du bereits festgestellt hast. Du wirst nicht mehr lange hierbleiben müssen, aber für diese Zeit wäre es besser, wenn du mit mir kooperierst.“ Sie nickte zustimmend, er verließ den Raum. Erst als die Tür hinter ihm wieder zufiel, schlug sich Tengaar gegen die Stirn. Ich hab vergessen, ihn nach Hix zu fragen. Kapitel 11: Der Sturm --------------------- Verwundert blickte Hix sich um, als er gemeinsam mit Rim auf das Deck hinaustrat. Schwarze Wolken hatten sich am Himmel zusammengebraut, sie waren so dicht geballt, dass es aussah, als würde es genügen, die Hand auszustrecken, um sie zu ergreifen. Die See schien wahrlich zu toben, es kam ihm wie ein Wunder vor, dass sie davon bislang nichts weiter mitbekommen hatten. Möglicherweise waren sie so sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen. Passagiere waren keine mehr zu sehen, lediglich Matrosen liefen geschäftig umher, aber Hix konnte erkennen, dass sie äußerst routiniert aussahen. Solche Situationen waren ihnen also nicht unbekannt. Es war gut möglich, dass sie auf diesen Breitengraden öfter in einen Sturm gerieten. Rims besorgtes Gesicht verhieß ihm allerdings nichts Gutes. Ihr Blick war auf eine Wolkenbank gerichtet, wo blendende Blitze zuckten. „Was ist los?“, hakte Hix nach, obwohl ihn das Gefühl erfüllte, dass er es gar nicht wissen wollte. „Dieser Sturm ist nicht normal. Ich glaube, jemand will nicht, dass wir unser Ziel erreichen.“ „Vielleicht dieser Dougal?“ Rim schüttelte mit dem Kopf, doch gleich darauf zuckte sie mit den Schultern. „Ich glaube es nicht. Er dürfte gar nicht wissen, dass wir auf dem Weg zu ihm sind.“ Nachdenklich wandte sie sich ab und ging an die Reling, um ins Wasser zu blicken. Hix folgte ihr, um sie wieder zurückzuziehen, bevor sie noch in den Ozean fiel. Doch ihre Anspannung hielt ihn davon ab, sie auch nur anzufassen. „Was ist denn?“ Sie antwortete nicht, was seine Nervosität ins Unermessliche steigerte. Vorsichtig warf er ebenfalls einen Blick ins Wasser, was er gleich darauf zutiefst bereute. Ein länglicher Schatten glitt unter ihnen durch den Ozean und egal wie Hix es betrachtete, ein bedrohliches Gefühl ging davon aus. Hastig wich Rim von der Reling zurück und wirbelte herum. „Ich muss Ailis holen.“ Ehe der Kriegerlehrling fragen konnte, weswegen sie diese Frau holen wollte, fuhr erneut eine heftige Erschütterung durch das Schiff. Die Matrosen schrien überrascht auf, Rim stürzte zu Boden, Hix ging in die Knie und klammerte sich automatisch an die Reling. Sein Magen schien sich einmal um sich selbst zu drehen, ein flaues Gefühl blieb zurück. Das Deck zitterte unter seinen Füßen, er glaubte zwischen dem Tosen des Sturms auch das Ächzen des Holzes zu hören. Was immer das im Wasser war, es schien es auf das Schiff abgesehen zu haben. Aber weswegen? Das Verhalten der Matrosen, die bereits wieder aufstanden, um mit ihrer Arbeit fortzufahren, sprach dafür, dass das normal war, während Rims Worte dagegensprachen. Er wünschte sich, den Matrosen glauben zu können, immerhin würde ihm das ein wenig Sicherheit geben, aber das Mädchen schien ihm doch verlässlicher. Zu blöd... Mit unsicheren Schritten lief er zu Rim hinüber, um ihr wieder aufzuhelfen. „Sei lieber vorsichtig. Warum willst du Ailis überhaupt holen?“ Ihre Panik würde doch ohnehin nur dazu führen, dass sie über Bord gehen oder einen von ihnen behindern würde, falls es zu einem Kampf kommen sollte. Rim wollte gerade antworten, als ihre Augen sich vor Schreck weiteten und sie wieder verstummte. Sie starrte auf etwas hinter Hix, was diesen in einen Zwiespalt führte. Er wollte sich umdrehen, um herauszufinden, was sie da ansah, aber andererseits wusste er genau, dass er es bereuen würde. Doch als selbst die Matrosen nach und nach stehenblieben und mit geöffneten Mündern auf diesen Punkt sahen, konnte er nicht mehr anders. Hix wandte den Kopf – und zuckte zusammen. Der längliche Schatten aus dem Wasser erstreckte sich nun senkrecht schwebend in der Luft, das schlangenförmige Wesen maß gut und gern über drei Meter, wobei er sich da allerdings nicht festlegen wollte. Die schwimmhautartigen Auswüchse an der Seite schienen es schweben zu lassen. Die glühenden Augen zogen sämtliche Aufmerksamkeit auf sich, weswegen erst eine weitere Bewegung notwendig war, um die von Hix woanders hinzulenken. Riesige Eiskristalle zogen rund um das Wesen ihre Bahn. Der Kriegerlehrling konnte es sich nicht erklären, aber ihn beschlich der Gedanke, dass er diesen Anblick schon einmal gesehen hatte, er war sich nur nicht sicher, in welchem Zusammenhang. Zu diesem Zeitpunkt musste er auf jeden Fall angespannt gewesen sein, der Geruch von Schweiß und Blut kroch ihm für den Bruchteil einer Sekunde in die Nase. Kaum verdrängte er diese Erinnerung wieder, verschwand auch der Geruch. Allerdings sah er sich immer noch mit diesem Wesen konfrontiert, von dem er nicht wusste, was es wollte. Aber was konnte so ein Etwas auch schon wollen? „Rim...?“ Er sah das Mädchen nicht an, aber er war sich sicher, dass sie das nicht störte, da sie ebenfalls auf das Ungetüm starrte, was ihre knappe Antwort ihm auch bestätigte: „... Huh?“ Mit zitternder Hand deutete er überflüssigerweise darauf. „Was... ist das?“ Er konnte hören, wie sie schluckte. „Es ist ein Wasserdrachen, der aus der Welt der Leere kommt...“ Das sagte dem Kriegerlehrling tatsächlich etwas. Aus der Welt der Leere stammten die durch die Torrune beschworenen Monster – daher war die Rune des blauen Tores auch mit dieser verbunden und dieser Drache gehörte dazu. Luc hatte ihn oft im Kampf beschworen, daran erinnerte Hix sich. „Und wie kommt er jetzt ausgerechnet hierher?“ Es fiel dem Kriegerlehrling schwer, sich vorzustellen, dass jemand an Bord des Schiffes seinen eigenen Tod beim Untergang riskieren würde. Außerdem war das Wesen schon viel zu lange hier, normalerweise schaffte die Rune immer nur ein kurzes Zeitfenster für den Angriff. „Wenn ich das wüsste“, murmelte Rim. Das Wesen fixierte den zitternden Hix mit seinen glühenden Augen, die ihn direkt aufzuspießen schienen. Dennoch wich er nicht zurück, sondern erwiderte den Blick. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, die Augen eines Menschen zu sehen, die ihn amüsiert beobachteten. So ein Unsinn!, verwarf er den Gedanken wieder. Das ist doch nicht möglich. Schließlich brach der Blickkontakt wieder ab, als das Wesen den Kopf nach hinten legte ein lautes Kreischen ausstieß, bei dem sogar die Eiskristalle zu zittern begannen und für einen kurzen Moment aus ihrer Bahn gerieten. Erschrocken fiel einer der Matrosen zu Boden. „E-es wird uns alle töten!“ Auf diesen Ausruf hin begannen sie hektisch durcheinanderzurennen, bis einer nach dem anderen schließlich vom Deck verschwunden war, selbst jener, der zuerst gefallen war. Lediglich die beiden Reisenden blieben zurück. Rim klammerte sich an Hix. „Das sieht nicht gut aus, das sieht nicht gut aus...!“ Ihre aufkommende Panik erinnerte ihn an Ailis, was ihm nicht sonderlich half, seine eigene Furcht zu unterdrücken. „Was sollen wir tun?“ Er deutete ein Kopfschütteln an, das zeigen sollte, dass er es selbst nicht wusste. Was sollten sie auch gegen ein solches Ungetüm ausrichten? Für einen kurzen Moment konnte Hix den Schwanz der Bestie sehen, als dieser kraftvoll das Wasser peitschte und sowohl das Meer als auch das Schiff in Aufruhr versetzte. Erneut gab das Holz ein lautes Ächzen von sich in dem zu erahnen war, dass es dem Druck nicht mehr lange standhalten würde. Hix wollte sich schon Sorgen machen – als er plötzlich spürte, wie er von seinem Platz zu rutschen schien. Die Sorgen wurden von einer plötzlichen Panik verdrängt, als er er realisierte, dass sich das Schiff zur Seite neigte und er und Rim auf die Reling zurutschten. Erst langsam, doch dann knallten sie beide mit voller Wucht dagegen. Hektisch schnappte Hix nach Luft, nachdem ihm sämtlicher Sauerstoff aus den Lungen gepresst worden war. Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Das Schiff neigte sich weiter, er verlor den Boden unter den Füßen und war im nächsten Moment von Wasser umgeben, das auch den fehlenden Sauerstoff in seiner Lunge zu ersetzen versuchte. Er wollte wieder zurück an die Oberfläche schwimmen, doch weder Arme noch Beine reagierten auf seine Gedanken, weswegen er hilf- und machtlos nur mitansehen konnte, wie sich die Oberfläche immer weiter zu entfernen schien, genau wie in seinen Albträumen. Allerdings verspürte er keine Furcht oder dergleichen, sondern nur eine tiefe innere Zufriedenheit. Seltsam... unter Wasser scheint es nicht zu stürmen... Etwas durchbrach die Oberfläche und schien sich auf ihn zuzubewegen, aber der schwarze Schleier vor seinen Augen machte es ihm unmöglich, zu sehen, was es war. Mit einem lautlosen Seufzen schloss er die schwer gewordenen Augenlider und gab der wärmenden Umarmung der Ohnmacht nach. In Falena gab es derweil zwei Personen, welche die Geschehnisse auf dem Meer interessiert beobachteten. Der Mann, der am Tisch saß und gebannt in die Kugel starrte, die diese Ereignisse zeigte, schien besonders angetan davon zu sein, seine goldenen Augen glitzerten amüsiert und überdeckten die darin vorherrschende Kälte. Sein langes schwarzes Haar bildete einen Kontrast zu dem silbernen seines Schülers, der neben ihm stand und unbewegt ebenfalls in die Kugel sah. Der Jüngere schien sogar recht gelangweilt von der Darbietung zu sein. Im Gegensatz zu seinem Meister interessierte ihn das Leid anderer – oder andere allgemein – nicht sonderlich, weswegen er kein Vergnügen aus solchen Dingen zog. Zufrieden lehnte der Meister sich zurück, als das Schauspiel schließlich beendet war. „Und was sagst du, Cain?“ Die selbstgefällige Stimme des Mannes erfüllte den finsteren Raum und unterstrich die machtvolle Aura seines Besitzers. Der angesprochene Schüler wandte ihm den Kopf zu. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihr Eure Zeit mit so etwas verschwendet, Meister Lances.“ Kaum jemand würde es wagen, so mit diesem Mann zu sprechen, doch in seiner Stimme klang immer noch Respekt, auch wenn seine Worte diesen vermissen ließen. Lances sah Cain lächelnd an. Es war eine hochmütige Grimasse, die jedem sagte, für wieviel besser er sich im Vergleich zu seinem Gegenüber hielt – Cain war dagegen allerdings inzwischen immun, weswegen er sich nicht darum scherte. „Du hältst das wirklich für Zeitverschwendung? Cain, Cain, Cain, du solltest deinen Meister langsam kennen. Ich verschwende gar nichts, ich arbeite stets in weiser Voraussicht.“ „Und weswegen verhindert Ihr, dass ein Versager wie er Falena erreicht?“ Er verstand es einfach nicht. Warum fürchtete sein Meister, der von seinesgleichen gefürchtet und gleichermaßen geächtet wurde, sich vor einem kleinen Kriegerlehrling aus Toran? „Manchmal haben die größten Ereignisse die kleinsten Auslöser“, belehrte Lances ihn. „Das solltest du dir für die Zukunft merken.“ Cain rollte mit den Augen, was seinem Meister keineswegs entging. „Offenbar langweile ich dich. Das trifft sich gut, denn ich habe eine neue Aufgabe für dich.“ Unbewusst straffte Cain seine Schultern in Erwartung des Auftrags. „Du hast mir doch erzählt, dass Dougal derzeit einen Gast beherbergt, oder?“ Der Schüler runzelte seine Stirn, Er erinnerte sich noch gut an diese rothaarige Frau von der ein gewisser Grad an Magie ausgegangen war, weswegen er seinem Meister davon erzählt hatte. Sein eigener Verdacht, dass sie möglicherweise eine Schülerin Dougals war, wurde von Lances allerdings nicht geteilt. Was sein Meister dann allerdings annahm verriet er ihm nicht. „Was ist mit ihr?“, hakte Cain nach. „Ich habe mir ein hübsches Spiel überlegt“, sprach Lances weiter, was zu einem erneuten Augenrollen bei seinem Schüler führte. „Na na na, ahne ich da Widerworte?“ „Natürlich nicht. Verzeiht, Meister. Fahrt bitte fort.“ Zufrieden mit dieser Reaktion nickte Lances. „Dougal plant etwas gegen mich und daher nehme ich mir das Recht heraus, ihn darin zu behindern.“ Er würde es auch tun, wenn Dougal nichts gegen ihn planen würde, fuhr es Cain durch den Kopf, doch er verwarf den Gedanken wieder und konzentrierte sich weiter auf Lances' Worte. „Du wirst seinem Gast zur Flucht verhelfen und dafür sorgen, dass er sie nicht wieder in die Hände bekommt. Und glaub mir, er wird sehr verzweifelt versuchen, das zu schaffen.“ Ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er sich vorstellte, wie alles idealerweise ablaufen sollte. Cain wünschte sich, diesen Enthusiasmus teilen zu können, doch er fühlte sich bereits im Voraus genervt von dieser Aufgabe. Lances schien das genau zu spüren, denn plötzlich wandelte sich sein Lächeln in ein annähernd herzliches, als er seinen Schüler ansah. „Diese Aufgabe dürfte jemandem wie dir keinerlei Probleme bereiten. Im Anschluss werde ich dir auch wieder etwas von deiner Mutter erzählen.“ Der Anflug eines Lächelns erschien bei diesem Versprechen auf Cains Gesicht. Sofort verflog jeder Vorbehalt gegen die neue Aufgabe. „Sehr wohl, Meister Lances.“ „Dann mach dich auf dem Weg und enttäusche mich nicht.“ „Selbstverständlich nicht.“ Cain fuhr herum und verließ den Raum mit großen Schritten. Schmunzelnd legte Lances die Fingerspitzen aneinander. „Wenn es nur mehr Leute gäbe, die so leicht zu manipulieren sind...“ Er lachte leise und schon bald erfüllte das geisterhafte Echo seines Lachens den ansonsten leeren Raum. Kapitel 12: Epitaph ------------------- Obwohl er noch immer das Wasser spüren konnte, fiel es seinen Lungen nicht schwer, ihm den benötigten Sauerstoff zu spenden. Er atmete tief ein, als ihm diese Tatsache bewusst wurde. Aber wo war er nur gelandet? An einem Strand? Nein, dafür war die Luft nicht frisch genug und er spürte weder Wind noch die Sonne auf seinem Gesicht. Er musste sich also irgendwo in einem Gebäude befinden, wenn ihm auch nicht klar war, wie das gehen sollte. Er öffnete seine Augen, um sich umzusehen und endlich Gewissheit zu erlangen. Über sich erblickte er eine steinerne Decke und als er sich aufrichtete, bemerkte er, dass er auf einer zerfallenen Treppe noch halb im Wasser lag. So schnell das schwindelnde Gefühl in seinem Inneren es zuließ, stand er auf und trat aus dem kühlen Nass. Er sah auf die Wasseroberfläche, konnte aber nicht ausmachen, wie er hier hereingekommen war. Unterhalb des Spiegels musste es einen Durchgang geben. Aber dennoch... Hix seufzte, der Laut wurde von den Wänden und dem Wasser mehrfach zurückgeworfen, so dass ein schauriges Geräusch daraus wurde, das ihn zusammenzucken ließ. „Gruselig...“ Er wusste nun weder wo er war, noch wie er hergekommen war, noch wie er wieder wegkommen sollte. Zumindest schien er aber noch zu leben, obwohl er von Bord gefallen und untergegangen war. Das hätte auch ganz anders enden können. Nein, er wollte gar nicht daran denken, was hätte passieren können, besser, er besann sich darauf, wie es nun weitergehen sollte. Am Naheliegendsten wäre es wohl gewesen, ins Wasser zu springen, diesen Ort zu verlassen und dann draußen nach Land zu suchen. Allerdings barg dieser Plan jede Menge Gefahren in sich, besonders da Hix weder wusste, wo genau er sich befand – möglicherweise irgendwo auf dem Ozean – und er sich außerdem vor Hunger schon ganz elend fühlte. So würde er möglicherweise nicht einmal an die Wasseroberfläche kommen. Also fuhr er herum und lief tiefer in das Gebäude hinein. Es schien alt zu sein, aber dennoch stabil genug gebaut, dass es dem Wasserdruck standhielt. Wäre Hix nicht ein Kriegerlehrling gewesen, sondern ein Gelehrter, hätte er sich nun möglicherweise Gedanken darüber gemacht, ob es dem Gegendruck des Sauerstoffs zu verdanken war, dass dieses Gebäude noch stand, aber so lief er nur gedankenlos durch den Gang. Außer dem Geräusch des Wassers, das unablässig gegen die Mauern schwappte, war nichts zu hören, die Dunkelheit verstärkte den unheimlichen Eindruck. Lediglich im Wasser schien etwas zu glühen und ihm damit die Möglichkeit zu geben, zumindest ein wenig zu sehen. Doch was genau es war, konnte er nicht sagen, egal wie konzentriert er danach Ausschau hielt. Kurz bevor er durch eine Tür gehen konnte, zog etwas im Wasser seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein Mädchen mit weißer Kleidung und rosa Haar, er wusste, dass er sie kannte, doch es dauerte erstaunlich lange, bis der Gedanke endlich ankam. „Rim!“ Hastig kniete er sich neben das Wasser und zog das Mädchen mühelos heraus. Sie hustete schwer, aber ihr Gesicht zeigte deutlich Erleichterung. „U-und ich dachte immer, Ailis würde übertreiben“, würgte sie mühevoll hervor. Hix lächelte leicht, als er ihre Reaktion bemerkte. „Wenn wir sie wiedersehen, können wir ihr das ja sagen. Weißt du vielleicht, wo wir sind?“ Sie kümmerte sich nicht wirklich um sein Verhalten, sondern kam sofort seiner Frage nach, offenbar weil sie sich genauso sehr dafür interessierte. Doch egal wie lange sie den Blick schweifen ließ, sie schien keine Antwort darauf zu finden. „Ich weiß es nicht... Schauen wir uns weiter um.“ Als sie sich aufrichtete, war nichts mehr davon zu bemerken, dass sie bis eben noch reglos im Wasser gelegen hatte. Sie übernahm sofort die Rolle der Anführerin und lief voraus. Hix folgte ihr erleichtert – nicht nur, weil er nun jemanden hatte, dem er folgen konnte, sondern auch weil er nun nicht mehr allein war. Die Gänge des Gebäudes waren vollkommen schmucklos, weswegen keiner von beiden sich einen Reim auf den Zweck machen konnte. Kristalle spendeten notdürftig Licht, gerade genug, damit sie ihren Weg erkennen konnten. Von irgendwo konnte Hix in unregelmäßigen Abständen ein lautes Knallen hören, das klang als ob etwas mit voller Wucht gegen Stein geschlagen wurde. Neugierig betrat Rim einen Raum, der über keinerlei Tür verfügte – aber immerhin gab es darin auch nichts zu schützen, der Raum war vollkommen leer. Abgesehen von... „Was ist das?“, fragte Hix, während er die vier Gebilde näher betrachtete. Sie erinnerten entfernt an Särge, die vollkommen aus Stein gehauen waren, die Deckel waren kunstvoll verziert mit verschnörkelten Symbolen, die für Hix keinerlei Sinn ergaben. Aber sie kamen ihm wie Grabsteine vor. Gedankenverloren strich er über den Stein, ein ehrfurchtsvoller Schauer fuhr über seinen Rücken als ob er gerade etwas furchtbar Ehrwürdiges ohne es zu wissen berühren würde. „Das sind Särge“, bestätigte Rim. „Wir müssen in einer Art Mausoleum gelandet sein. Möglicherweise sind wir näher an der Küste als wir denken.“ Fragt sich dann nur an welcher. Bei dem Gedanken, dass sie hier von möglicherweise unzähligen Leichen umgeben waren, wurde dem Kriegerlehrling ganz anders. Allerdings schienen sie wirklich tot – sofern die Särge gefüllt waren – und hoffentlich weder Vampire noch Zombies zu sein, also musste er sich keine Sorgen machen. „Aber wer ist hier begraben?“, fragte Hix. „Man baut ja nicht für jeden so etwas.“ Das Mädchen kletterte auf einen der Särge, um diesen genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie musterte die Schnörkel als könnte sie das wirklich lesen, auch wenn Hix allein die Vorstellung schwerfiel. War es wirklich eine Schrift? Ihn erinnerte es eher an Verzierungen. „Mhm~ So ganz sicher bin ich mir nicht. Die Buchstaben sind sehr veraltet. Aber offenbar wurden hier Magier beerdigt, die lange nach dem großen Krieg starben. Wahrscheinlich gehörten sie zu einem der Meister. Aber ich glaube kaum, dass uns das weiter zu interessieren hat.“ „Dann gibt es hier nur Tote?“ Rim wollte gerade antworten, als erneut ein lauter Knall zu hören war. Das schien sie auf einen anderen Gedanken zu bringen. „Offenbar nicht. Irgendetwas lebt hier noch. Finden wir heraus, was.“ Sie sprang wieder von dem Sarg herunter und lief direkt weiter. Hix verneigte sich noch einmal respektvoll vor den Särgen, dann folgte er dem Mädchen hastig, um es nicht aus den Augen zu verlieren. Es gab nur einen Gang mit mehreren Räumen, so dass es ihm nicht sonderlich schwerfiel, sie zu verfolgen. Zielsicher lief sie immer weiter, auf der Suche nach dem Ursprung des Geräusches, das immer noch erklang. Allerdings konnte Hix sich nicht vorstellen, dass etwas hier überleben könnte. Es war kalt, offenbar gab es nichts zu essen und die Luft war extrem stickig, je tiefer sie ins Gebäude liefen. Ein Mensch würde hier unten sicherlich sterben oder wahnsinnig werden, egal in welcher Reihenfolge. Schließlich betraten die beiden einen großzügig angelegten Raum, in dem in Zweierreihen insgesamt zwanzig Särge standen. Ergriffen blieb Hix stehen. „So viele Tote...“ „Die Ausbildung zu einem Magier kann sehr schwer sein“, antwortete Rim. „Nicht jeder überlebt das – und dann war da noch der Kampf gegen Lances...“ Der Name war neu, sie schien nicht einmal zu bemerken, dass sie ihn gesagt hatte. Fragend sah er sie an. „Gegen wen?“ Bevor sie antworten konnte erklang noch einmal dieses Knallen, um ein Vielfaches lauter als zuvor. Automatisch zuckten sie beide zusammen. „Das Geräusch muss von hier kommen“, schloss Rim, als sie sich wieder gesammelt hatte. Langsam liefen sie beide durch die Reihen der Särge, um den genauen Ursprung auszumachen. Hix ließ den Blick schweifen als befürchtete er jeden Moment ein Monster, das hinter einem der Särge hervorsprang. Ein Knall direkt neben ihm ließ ihn schreiend zusammenfahren. Alarmiert fuhr Rim herum und stellte sich neben den Sarg, aus dem gleich darauf noch einmal das laute Geräusch erklang. Etwas schien von innen gegen den Deckel zu schlagen. Nur zögerlich richtete Hix sich wieder auf. „W-w-was kann das sein?“ Rims entschlossener Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht, denn anhand diesem konnte er bereits ablesen, was sie sagen wollte, noch bevor sie den Mund geöffnet hatte. „Du willst nicht wirklich den Sarg öffnen?“ Empört blickte sie ihn an. „Vielleicht lebt die Person darin noch!“ Hix zweifelte daran, allerdings sagte er nichts mehr, sondern machte sich stattdessen am Deckel zu schaffen. Mühevoll stemmte er sich dagegen, um das steinerne Gebilde zu öffnen. Bereits auf den ersten Blick hatten sie schwer gewirkt, doch der Versuch, die Platte zu bewegen, zeigte erst, wie schwer sie wirklich war. Egal wie stark er drückte, das Gestein gab kein bisschen nach. Er trommelte seine letzten Kraftreserven zusammen. Mit einem Ächzen stemmte er sich noch einmal gegen die Platte, die knirschend nachzugeben begann. Kaum hatte sie sich einige Millimeter bewegt, ging der Rest von allein. Mit einem erschrockenen Schrei fiel Hix in den Sarg hinein, als der Deckel hinunterrutschte. Staub wirbelte auf – und eine schwarze Krähe stieg aus dem Sarg empor. Fasziniert betrachtete Rim das Tier, das, froh über seine neugewonnene Freiheit, sofort in eine bestimmte Richtung davonflatterte und aus ihrem Blickfeld verschwand. Auf Hix achtete sie erst wieder, als dieser stöhnend und hustend aus dem Sarg herauskletterte. „Alles in Ordnung?“ Der Kriegerlehrling nickte, vermied aber jeden Blick zurück. „Ich denke nur, ihm geht es nicht so gut.“ Damit deutete er auf die fast zu Staub zerfallenen menschlichen Überreste im Inneren des Sarges. „Das war nicht sonderlich nett, Hix“, wies Rim ihn zurecht. „Du hast ihn in seiner Ruhe gestört.“ „Es war keine Absicht“, verteidigte der Kriegerlehrling sich sofort. „E-e-er wird mich jetzt nicht als Geist verfolgen, o-oder?“ Das Mädchen kicherte. „Wer weiß?“ Als sie sein erschrockenes Gesicht sah, winkte sie hastig ab. „Mach dir keine Sorgen, so etwas wie Geister gibt es nicht. Und selbst wenn, hat dieser hier bestimmt was Besseres zu tun.“ Das konnte Hix nicht wirklich glauben, allerdings hoffte er, dass es wirklich so war. Wenn nur Tengaar da wäre, um ihm zu sagen, dass er sich nur unbegründete Sorgen machte... Rim lief um den Sarg herum. „W-was tust du da?“, fragte Hix erschrocken. „Ich will schauen, wie er heißt“, antwortete sie sofort. „Wenn wir ihn schon in seiner Ruhe gestört haben, wäre das doch das Mindeste, oder?“ Hix war ganz und gar nicht begeistert, da er unbedingt hier fortwollte, doch er beobachtete sie dabei – und sah so, wie sich ihr Gesicht verfinsterte, während sie die Worte las. „Was ist los?“ Sie wandte ihm den Blick zu. „Hix, deine Hände...“ Er neigte den Kopf und hob sie hoch, so dass sie die Handflächen sehen konnte, während er die Rücken betrachten konnte. Nichts Außergewöhnliches außer seine Wasserrune war darauf zu sehen. Rim atmete ebenfalls erleichtert aus, als das sichergestellt hatte. Doch dann zuckte sie noch einmal zusammen. „Diese Krähe!“ „Was für eine?“, fragte Hix ratlos. Ohne ihm zu antworten rannte sie los, dem Vogel hinterher – oder zumindest in die Richtung, in die sie ihn hatte fortfliegen sehen. „W-warte!“ Der Kriegerlehrling folgte ihr hastig, wobei er glücklicherweise aufgrund seiner längeren Beine nicht so schnell rennen musste, wie sie. Was hatte sie so sehr in Aufregung versetzt, dass sie nun diesem Tier folgen musste? Hatte sie den Namen etwa erkannt? Und warum hatte sie seine Hände sehen wollen? Warum eröffneten sich nur immer so viele Fragen? An einer Kreuzung holte er sie schließlich wieder ein. „Was suchst du denn?“ „Die Krähe!“, antwortete sie. „Die im Sarg war! Sie muss hier irgendwo sein!“ Unentschlossen blickte sie zwischen den drei möglichen Wegen umher. Hix wollte schon vorschlagen, eine Münze zu werfen – als plötzlich ein leiser Vogelschrei, gefolgt von einer Glocke zu hören waren. Rim rannte sofort in die Richtung, aus der beide Geräusche zu hören gewesen waren, Hix folgte ihr. Überrascht hielt er am Ende des Weges wieder inne. Es war eine Höhle, die mit dem Ozean verbunden schien, Sonnenlicht fiel durch den Eingang. Ein hölzerner Steg ragte weit ins Wasser hinaus, ein Boot war einsam und verlassen daran befestigt – und daran wiederum war eine Glocke zu sehen, die immer wieder von der Krähe betätigt wurde, bis Hix und Rim am Steg stehenblieben. Hat dieser Vogel uns hergeführt? Seltsames Tier. Das Mädchen ging vorsichtig näher. „Du bist es, nicht wahr?“ Der Vogel neigte den Kopf, als ob er fragen wollte, was sie damit meinte – oder als ob er sich wunderte, warum sie diese Frage überhaupt stellen musste. Hix ging weniger zurückhaltend näher. „Können wir dieses Boot benutzen, um zu fliehen?“ Die anderen Fragen beschäftigten ihn alle noch, aber vorerst empfand er es als wichtiger, diesen Ort zu verlassen. Er hatte immerhin nicht nur Hunger, inzwischen wollte er auch baden – und dann war er immer noch auf dem Weg, um Tengaar zu retten. Ihm wurde ganz anders, als er wieder daran dachte, dass sie mit Sicherheit immer noch auf seine Hilfe wartete. „Ich denke schon“, sagte Rim. „Probieren wir es einfach.“ Sie kletterten nacheinander in das Boot hinein, bevor sie es von den Leinen lösten und mithilfe der bereitgelegten Paddel in See stachen. Zufrieden setzte die Krähe sich auf den Boden des Bootes und steckte den Kopf unter ihren Flügel, um zu schlafen. Hix betrachtete das Tier. „Rim, was ist mit dieser Krähe?“ Er hatte natürlich mitbekommen, dass es aus dem Sarg gekommen war, aber wie war es überhaupt hineingekommen? Das Mädchen neigte den Kopf. „Es ist keine gewöhnliche Krähe. Dieser Vogel ist die Seele des Magiers, wegen dem das Ritual, um Lances zu töten, schief ging.“ Kapitel 13: Die Vereinbarung ---------------------------- Während Tengaar ihr Gefängnis erkundete und Hix dabei war, mit dem Boot zu Ailis zurückzukommen, gab es noch eine Person, an die schon seit langem niemand mehr gedacht hatte. So ahnte auch keiner, was er gerade durchmachte und warum er noch nicht zu Tengaars Rettung geeilt war, obwohl seine Abreise schon länger her war. Seufzend sah Fion auf die Gitterstäbe, die ihn von seiner Freiheit trennten. Aufmunternd klopfte Zahra ihm auf die Schultern. Da er auf dem Boden saß und sie stand, war das kein Problem für sie. „Komm schon, Fion, sei nicht so deprimiert. Wir kommen hier schon wieder heraus.“ Er warf ihr einen Blick zu, der zeigen sollte, dass er von ihrem Aufmunterungsversuch nicht sonderlich viel hielt. „Es ist deine Schuld, dass wir hier überhaupt gelandet sind.“ Empört zog sie ihre Stirn kraus. „Bitte?“ „Es war deine Idee, bei diesem seltsamen Stand stehenzubleiben! Und als die Patrouille kam, sind die eigentlichen Betrüger verschwunden und weil du deine Klappe nicht halten konntest, hielten sie uns dafür!“ Sie ließ sich die Worte durch den Kopf gehen, dann neigte sie denselben. „Mhm, vielleicht hast du recht...“ „Nur vielleicht?“ Beleidigt wandte Zahra sich von ihm ab. „Wenn du meinen Rat nicht zu schätzen weißt...“ Was für ein Rat denn? Den, wie man am besten in Schwierigkeiten gerät? Für eine Weile herrschte wieder Schweigen zwischen ihnen, bis Schritte auf dem Gang erklangen. Neugierig blickten beide dem Ankömmling entgegen. Im besten Fall war es jemand, der sie wieder freiließ, im schlechtesten waren es nur weitere Gefangene – und dazwischen gab es immerhin noch die Möglichkeit, dass es etwas zu essen gab. Doch die Person, die da kam, führte weder Gefangene mit sich, noch trug sie ein Essenstablett vor sich her. Die schwarz-weiße Uniform mit den goldenen Applikationen verriet, dass es sich bei dieser Person um einen Ritter der Königin handelte, das silberne Haar sagte Fion sogar noch mehr. „Eure Hoheit!“ Hastig stand er auf, um sich vor dem Prinzen zu verneigen. Nach kurzem Zögern tat Zahra es ihm nach. Fion stellte sich wieder aufrecht hin, als der Prinz ihm das Zeichen dafür gab. „Was führt Euch in den Kerker, Prinz Faroush?“ Wenn er persönlich hier herunterkam, musste etwas Wichtiges anstehen. Fion hoffte, dass es eine gute Nachricht für ihn war und keine schlechte. „Genau genommen bin ich wegen euch beiden hier“, antwortete der Prinz. „Bei der Vernehmung sagtet ihr, dass ihr wandernde Magier wärt.“ Fion warf einen genervten Blick zu Zahra, die gespielt unschuldig woanders hinsah. Er sah wieder Faroush an. „Das stimmt nicht ganz. Ich bin nur Wahrsager, das ist alles.“ Der Prinz schien einen kurzen Moment nachzudenken, dann öffnete er die Zellentür. „Das könnt ihr mit der Königin besprechen. Möglicherweise reicht ihr das.“ Fion und Zarah warfen sich einen fragenden Blick zu. Was könnte die Königin von ihnen wollen? Neugierig geworden folgten sie dem Prinzen. Der Palast wirkte wesentlich eindrucksvoller, wenn man nicht mit Handschellen hindurchgeführt wurde. Der spiegelnde Boden war zwar faszinierend, aber Fion wollte nicht wissen, wie lange man damit beschäftigt war, ihn zu putzen. Das musste mit Sicherheit einiges an Personal kosten. Faroush führte sie in den Thronsaal. Auf dem Thron am Kopfende des Saals saß eine junge Frau, deren braunes Haar glatt über ihre Schultern fiel. Die goldene Krone auf ihrem Haupt war imposant, genau wie ihr Kleid, das aus den feinsten Stoffen gemacht zu sein schien. Ihre königliche Erscheinung wurde lediglich von dem viel zu dünnen Gesicht und dem traurigen Schimmer in ihren Augen überdeckt. Die beiden Besucher verneigten sich vor der Königin. „Sind sie das, Bruder?“ Ihrer Stimme fehlte der energische Klang, den sie einst gehabt haben musste, aber möglicherweise lag das auch allein am Moment. Fion wusste nicht, mit welchen politischen Problemen sie sich quälen musste, vielleicht gab es davon gerade besonders viele. Faroush nickte. „Genau. Allerdings sagen sie, dass sie Wahrsager und keine Magier sind.“ „Das ist korrekt“, sagte Fion hastig. „Wenn ich mich vorstellen dürfte...“ Er verneigte sich noch einmal knapp. „Ich bin Fion, ein wandernder Wahrsager, der in den Karten die Zukunft liest. Normalerweise bin ich nur auf dem Nordkontinenten unterwegs, aber mein Schicksal schlug mich unerwarteterweise nach Falena. Dies ist meine Assistentin Zahra.“ Das Mädchen, so vorlaut sie sonst auch war, zeigte in diesem Moment Benehmen und vollführte einen Knicks. Der Schimmer von Misstrauen erschien in den Augen der Königin. „Was habt ihr vor, in Falena zu tun?“ Fion überlegte einen kurzen Moment. „Ich dachte daran, meine Karriere hier fortzusetzen. Wenn meine Dienste auf dem Nordkontinenten gefragt sind, können sie das auch im Süden sein.“ Sehr überzeugt schien sie nicht von seiner Erklärung zu sein, aber offenbar fand sie auch keinerlei Anhaltspunkt, auf dem sie ihr Misstrauen stützen konnte, so dass sie es niederkämpfte. „Ich erinnere mich richtig, dass ihr beide wegen Betrugs verhaftet wurdet?“ Fion nickte geknickt. „Aber ich versichere Euch, dass das alles nur ein Missverständnis ist.“ Sie schloss ihre Augen. „Nun, es ist ohnehin kein sonderlich großes Delikt. Ich werde euch beide freilassen, wenn ihr mir dafür eine Gegenleistung erbringt.“ Fion, ganz Ohr, wollte nachhaken, worin genau diese Leistung bestehen sollte, doch Zahra kam ihm wieder zuvor: „Selbstverständlich, Eure Majestät! Wir sind sofort bereit!“ Uuuuh, Zahra! Manchmal ärgerte ihn ihre vorschnelle Zunge extrem, besonders in solchen Momenten. Wer wusste schon, was die Königin von ihnen wollte? Möglicherweise würden sie sich in Gefahr begeben müssen, da wäre das Absitzen der Strafe die bessere Alternative gewesen. Aber nun war es schon zu spät – und als Fion den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht der Königin erblickte, war er froh über Zahras Reaktion. Einst musste die Herrscherin sehr viel gelächelt haben, doch er konnte ahnen, dass die letzten Monate schwer gewesen sein mussten, weswegen sich der Schleier der Verbitterung über sie gelegt hatte. Die Königin wandte sich an Faroush: „Dann bringe die beiden bitte nach oben und erkläre ihnen, was ihre Aufgabe ist.“ „Selbstverständlich“, sagte er und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Nach einer letzten Verbeugung gingen Fion und Zahra gemeinsam mit Faroush wieder hinaus, auch wenn zumindest der Wahrsager es bereits bedauerte, sich nicht ausgiebiger mit der Königin unterhalten zu haben – wie oft kam man immerhin mit der königlichen Familie in Kontakt? „Was ist denn unsere Aufgabe?“, fragte Zahra unterwegs neugierig. Faroush wandte sich ihr zu. Im Gegensatz zu seiner Schwester trug er ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Fion konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er damit versuchte, die bittere Miene der Königin auszugleichen, auch wenn sie sich nicht im selben Raum befanden. „Die Prinzessinnen wünschen eure Anwesenheit.“ Der Wahrsager sog scharf die Luft ein. Bislang hatte er nicht einmal für 'normale' Adelige Karten gelegt und nun sollte er das gleich für die Prinzessinnen von Falena tun. Die Aufregung beschleunigte seinen Herzschlag um ein Vielfaches, hoffentlich würde das seine Fähigkeit nicht beeinflussen – unter solchen Bedingungen hatte er noch nie die Zukunft vorhergesagt. Faroush führte sie in das obere Stockwerk. Erst vor einem Raum im Seitenflügel blieb er wieder stehen. Er klopfte, wartete aber gar nicht ab, bis eine Antwort ertönte, sondern ging direkt hinein und winkte seine beiden Begleiter mit sich. Aufgeregt folgte Fion ihm hinein – doch sein Mut sank sofort ins Bodenlose, als sein Blick auf die beiden Mädchen im Raum fiel. Ich wusste nicht, dass die Prinzessinnen so... jung sind. Er kam nicht sonderlich gut mit Kindern aus, selbst die junge Zahra konnte ihn nur begleiten, weil sie sich wesentlich älter gab als sie aussah. Die beiden Mädchen standen auf und kamen neugierig näher, als Faroush sie darum bat. Der Ritter kniete sich zu den beiden. „Mädchen, das hier sind Fion und Zahra.“ Sie nickten, worauf er wieder aufstand und sich dem Wahrsager zuwandte. „Diese beiden hier sind Selene“ – er deutete auf das ältere, blonde Mädchen – „und ihre Schwester, Serena“ – er deutete auf das jüngere, braunhaarige Mädchen – „die Prinzessinnen von Falena.“ Fion und Zahra verneigten sich knapp, während er die beiden verstohlen beobachtete. Die Älteste schien höchstens acht Jahre alt zu sein, womöglich war die Königin jünger als Fion gedacht hätte. Während Selene eher ein wenig gelangweilt ihre blauen Augen schweifen ließ, musterte Serena die Besucher neugierig. Ihre braunen Iriden leuchteten warm von innen heraus – als ob sie die Wärme ihrer Mutter übernommen hätte. Fion konnte sich gut vorstellen, dass die Prinzessin ein Ebenbild der einstmaligen Jugend der Königin war. Zu schade, dass ich nicht früher hier war. Schließlich blickte Selene Fion tatsächlich direkt an. „Bist du der Zauberer?“ „Also... um genau zu sein... also...“ Er räusperte sich hastig. „Eigentlich bin ich eher Wahrsager.“ Die Enttäuschung bei ihr war geradezu greifbar. „Langweilig~ Ich dachte, du könntest ein paar tolle Zaubertricks.“ Sehe ich aus wie Fuu? Deswegen mag ich keine Kinder... Doch bevor er, Faroush oder Zahra etwas sagen konnten, meldete Serena sich zu Wort: „Ich finde das aufregend~ Das heißt doch, dass du in die Zukunft sehen kannst, oder?“ Fion nickte ihr zu. „Ganz genau. Nicht immer richtig gut... aber immerhin.“ Unter anderen Umständen hätte er vollkommen anders reagiert, um einiges selbtsicherer, aber da er hier Kindern gegenüberstand, fehlte es ihm an dieser Sicherheit. „Das ist toll~“, sagte Serena, ungeachtet seines letzten Satzes. „Kannst du das auch bei mir?“ Er nickte. „Ich denke schon.“ Auf Faroushs Aufforderung setzte Fion sich an den Tisch. Die beiden Mädchen setzten sich ebenfalls. Lediglich der Ritter und Zahra blieben stehen. Fion wandte sich an seine Assistentin, die ihm ungefragt seine Karten aushändigte. Leise dankend nahm er ihr diese ab und begann, sie zu mischen. Während Selene gelangweilt Luft durch die geschlossenen Lippen blies, beobachtete Serena das Mischen mit leuchtenden Augen. Offenbar konnte sie es kaum erwarten, was sich auch darin zeigte, dass sie aufgeregt auf den Tisch blickte, als er die Karten mit der Rückseite nach oben zu legen begann. Vollkommen in seinem Element vergaß Fion sogar, dass er das für zwei Kinder tat und fand seine übliche Form wieder. Als das Muster schließlich vollendet war, legte er die restlichen Karten beiseite. „Ist es fertig?“, fragte Selene, während sie mit den Augen rollte. „J-ja. Ich muss sie jetzt nur, ähm, aufdecken...“ Während die Prinzessinnen ihn neugierig ansahen, blickte er auf den Tisch. Seine Hand hielt in der Bewegung inne, als ihm auffiel, dass er nicht mehr wusste, welche Karte er zuerst aufdecken sollte. Uh, das passiert mir nur, wenn ich mit Kindern zu tun habe... Zahra warf ihm einen fragenden Blick zu, den er ignorierte, um sich sein System in Erinnerung zu rufen. Sie seufzte leise und deutete schließlich auf eine bestimmte Karte. Er bedankte sich innerlich und deckte diese auf. Nach und nach kam ihm auch der restliche Ablauf zurück in den Sinn, doch je mehr Karten er umdrehte desto finsterer wurde seine Miene. Kann das wirklich sein? Das sieht jedenfalls nicht gut aus... „Was siehst du?“, fragte Serena aufgeregt. „Was siehst du?“ Uh, lass dir was einfallen, Fion! Das kannst du ihr nicht erzählen. Er räusperte sich hastig. „Ich... ich... ich sehe in den Karten... eine Hochzeit. Ja~ Und die Krone.“ Selene lachte laut. „Das ist ja schon mal gar nicht möglich. Ich bin nämlich die Thronfolgerin.“ Oh, verdammt... „Ich... habe ja nicht gesagt, dass sie Königin von Falena wird, oder?“ Er konnte spüren, wie die Röte seinen Nacken hinaufkroch und hoffte, dass es dem Ritter nicht auffallen würde. „Sie könnte ja... den Prinzen eines anderen Landes heiraten.“ Serena schien von dieser Eröffnung nicht wirklich begeistert, ihr Lächeln erlosch für den Bruchteil einer Sekunde, bevor es wieder zurückkam. „Das klingt schön.“ Ihre Stimme klang nicht davon überzeugt. Fion, der es nicht gewohnt war, mit Kindern zusammenzusein oder diese gar anzulügen, fiel es immer schwerer, zu atmen. Es wurde auch nicht besser, als Selene sich plötzlich wieder lautstark zu Wort meldete: „Nun gut, dann darfst du jetzt auch meine Zukunft vorhersagen.“ Vorlautes Balg... Er hätte sie zu gern zurechtgewiesen, doch sie war immer noch die Prinzessin und ihr Onkel stand auch noch mit im Raum, da war es wirklich klüger, zu schweigen. Er sammelte die Karten wieder ein und mischte sie erneut. „Werden deine Vorhersagen immer wahr?“, fragte Serena währenddessen neugierig. Fion musste einen Moment nachdenken. Tatsächlich fiel ihm kein einziger Fall ein, bei dem er sich geirrt hätte – aber vielleicht waren diese nur untergegangen. Er konnte es nicht mit Gewissheit sagen und genau das antwortete er ihr auch. „Aber die meisten stimmen tatsächlich“, fügte er noch hinzu, was sie wieder unglücklich zu stimmen schien. Sie war noch so jung, aber offenbar war sie nicht von der Vorstellung begeistert, einen Prinzen zu heiraten. Wenn Zahra das ebenfalls bemerkt hatte, war sie bestimmt bereits dabei, zu ergründen, warum das so war, da war sich Fion sicher. Schließlich beendete er das Mischen erneut und legte hastig die Karten. Doch als er diese drehte, fühlte er sich fast noch elender als zuvor. Was ist nur mit diesen Mädchen los? Können die keine normale Zukunft haben? „Und?“, fragte Selene ungeduldig. „Was ist?“ Er holte tief Luft. „Bei dir sehe ich... eine strahlende Zeit voraus. All deine Träume werden sich erfüllen... und... ja, du wirst eine großartige Königin werden.“ Zumindest für die ersten zwei Minuten nach der Krönung. Zufrieden warf Selene ihr langes Haar zurück. „Ja, das klingt ganz nach meinem Leben. Perfekt, genau wie ich~“ Serena klatschte begeistert für sie in die Hände. „Du bist toll, Selene~“ Lächelnd legte die Ältere ihren Kopf in den Nacken, um sich in der Bewunderung ihrer Schwester zu sonnen, auch wenn diese für Fion äußerst fragwürdig war. Er sammelte die Karten wieder ein. „Kannst du nicht noch was anderes?“, fragte Selene. Er seufzte innerlich, während er einige kleinere Tricks aufzählte, die er von seinen damaligen Mitschülern gelernt hatte und die von seinem Meister nicht sonderlich gern gesehen worden waren, da sie der puren Unterhaltung dienten. Da beide Prinzessinnen sich sehr angetan von seiner Aufzählung zeigten, begann er schließlich damit, diese tatsächlich in die Tat umzusetzen, in der Hoffnung, endlich wieder aus dem Palast zu kommen. Die Sonne neigte sich bereits dem Westen zu, als Fion schließlich durch Sol-Falena schritt. Er hatte die Prinzessinnen stundenlang unterhalten, sogar noch während des Essens, bis die Leibwächter der beiden von ihrem eigenen Unterricht zurückgekommen waren. Zwischendurch war Serena auch neugierig gewesen zu erfahren, wie er in den Karten las, worauf er versucht hatte, es ihr zu erklären. Doch obwohl sie äußerst clever war, waren die Erklärungen von bestimmten Formationen und Kombinationen noch zu viel für ihren jungen Kopf gewesen. Fion konnte es ihr nicht verdenken, ihm selbst war das frühe Lernen dieser Technik nur möglich gewesen, weil er mit einer Gabe gesegnet war, wie es von seinem Meister immer bezeichnet worden war. Aber besonders an solchen Tagen wie diesem kam es ihm eher wie ein Fluch vor. Während Zahra gut gelaunt das Geld zählte, das der Ritter ihnen am Ende zusätzlich zur Freiheit geschenkt hatte, seufzte Fion leise, als er wieder an das dachte, was in den Karten zu lesen gewesen war. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie leicht genervt. „Ich weiß ja, dass du keine Kinder magst, aber die sind ja jetzt nicht mehr hier, also kannst du dich mal wieder anders verhalten.“ „Darum geht es nicht“, wehrte er ab. „Dann willst du mir vielleicht sagen, warum du die beiden Mädchen angelogen hast?“ Er warf ihr einen Blick zu und bemerkte dabei, wie sie den Beutel mit dem Geld in ihrer Tasche verschwinden ließ, in der sie auch seine Karten und einige andere Dinge transportierte. „Die eine wird sich umbringen und die andere wird Falena ins Unglück stürzen, wie sollte ich ihnen das sagen?“ Ein Schauer fuhr über seinen Rücken, als er erneut an das zurückdachte, was die Karten ihm gezeigt hatten. Am Liebsten würde er das nur noch vergessen. „Der Punkt geht an dich.“ Schweigend legten sie den Rest des Weges aus der Stadt hinaus zurück. Um weiteren Vorfällen aus dem Weg zu gehen, hatte Fion beschlossen, außerhalb Sol-Falenas nach einem Ort zu suchen, an dem die Magie stark genug war, um ein eigenes Tor zu öffnen. Er war zwar nicht so gut darin wie Dougal, aber da er sich bereits in der Nähe des Verstecks befand, würde er das gerade noch schaffen können – zumindest hoffte er das. Kaum hatte er die Stadt hinter sich gelassen, lief ein eiskalter Schauer über seinen Rücken. Zahra schien es genauso zu gehen, sie blieb stehen und fuhr herum. „Diese Aura...!“ Fion hielt ebenfalls inne. „Das kann kein Mensch sein...“ „Du solltest höflicher sein“, erklang eine schneidend kalte Stimme. Direkt darauf erschien auch deren silberhaariger Besitzer vor ihm. „Du könntest sonst jemandes Gefühle verletzen.“ Zahra fuhr wieder herum und wich noch in der selben Bewegung zurück. Fions Blick war auf das ausdruckslose Gesicht vor sich gerichtet, die kalten Augen seines Gegenübers schienen ihn auf der Stelle einfrieren zu wollen. „Wer bist du?“, fragte der Wahrsager. „Man nennt mich Cain“, antwortete er prompt. Während Fion scharf die Luft einsog, versteckte Zahra sich hastig hinter ihm. Nur vorsichtig lugte sie hinter seinem Mantel hervor und erhaschte so einen Blick auf die kurze Regung in Cains Gesicht, die andere nicht einmal spöttisch als Lächeln bezeichnet hätten. „Mein Ruf eilt mir wohl voraus“, stellte er kühl, aber deutlich zufrieden fest. Fion hob hastig die Hände. „Hör zu, wir haben nichts gegen den Ma-..., gegen Meister Lances gesagt und wir haben auch nicht vor, irgend etwas zu tun, was ihm schadet. Wir haben ihm nach diesem Massaker Neutralität geschworen – unsere Treue wollte er ja nicht.“ „Darum bin ich nicht hier“, erwiderte Cain. „Außerdem könntet ihr ihm nicht egaler sein. Nein, ich bin hier, um etwas von euch zu verlangen.“ Fion erinnerte sich nur äußerst ungern daran, dass der Magier ihn und Dougal nur am Leben gelassen hatten, weil beide geschworen hatten, sich nie gegen ihn zu wenden und ihn stattdessen zu unterstützen, falls er das verlangen würde. Fion war nur darauf eingegangen, weil Dougal der festen Überzeugung gewesen war, dass Lances sie ohnehin nie um etwas bitten würde, da sie in seiner Welt nur kleine Lichter waren. An die Möglichkeit, dass ein Schüler davon Gebrauch machen würde, hatte keiner von ihnen gedacht. „Worum geht es?“, fragte Fion. Da er noch immer an seinem Leben hing, blieb ihm keine andere Möglichkeit, als sich darauf einzulassen. „Ich muss möglichst ungesehen in das Schloss kommen, in dem sich Dougal verbarrikadiert hat. Du weißt ja, dass es nicht so einfach ist, nicht wahr?“ Fion nickte. Er selbst war für einen der Zauber, die diesen Ort schützten, verantwortlich. Die meisten Menschen waren dank ihm nicht einmal in der Lage, das Schloss zu sehen. „Aber wie soll ich dir da helfen?“ „Du wirst für mich dort hineingehen und jemanden herausholen“, erklärte Cain. „Das dürfte für dich keinerlei Problem sein, die Sicherheitsmechanismen und die Dienerinnen kennen immerhin den Blutgeruch ihres Meisters, du dürftest sie da spielend hereinlegen.“ Wieder lief ein kalter Schauer über seinen Rücken, doch Fion beschloss, sich unwissend zu geben. „Wie kommst du darauf?“ Leicht verärgert wischte Cain sich eine Strähne aus der Stirn. „Stell dich nicht dümmer als du bist. Als Dougals Bruder dürfte dein Blutgeruch seinem zumindest ähneln – nicht wahr, Fiongal?“ Kapitel 14: Das Porträt ----------------------- An Schlaf war für Tengaar in dieser Nacht nicht zu denken. Sie fühlte sich keineswegs müde oder auch nur ausgelaugt, obwohl sie stundenlang durch das Anwesen gelaufen war, auf der Suche nach einer offenen Tür, durch die sie entkommen könnte. Die Sehnsucht nach Hix so wie die Ungewissheit, was Dougal mit ihr plante, trieb sie an. Genau wie Faolan, der sich offensichtlich einen Spaß daraus machte, sie zu begleiten und ihr Dinge zu erklären, die er irgendwann in seiner Existenz einmal aufgeschnappt hatte. Er hatte sich ihr ohne Vorwarnung angeschlossen und insgeheim war sie ganz froh über diese Begleitung, die gleichzeitig Ablenkung bedeutete. „Und diese Insignie steht für Dougals Rolle bei seinem alten Meister... oder war es diese?“ Verwirrt blickte Faolan zwischen den beiden Symbolen auf der Wand hin und her. In Tengaars Augen sahen beide genau gleich aus – abgesehen von einem kleinen Haken. Aber bildete das wirklich einen so großen Unterschied? „Nun, ist auch nicht weiter wichtig“, lenkte der Wasserspeier schließlich ab. „Immerhin musst du dieses Zeichen ja nicht verwenden. Gehen wir lieber weiter.“ Ohne etwas zu sagen lief sie weiter und rieb sich dabei über den Arm. Die Kleidung, die sie trug, fühlte sich unangenehm auf ihrer Haut an, der schwere Stoff drückte ihre Schultern hinunter. Je länger sie diese Sachen trug desto mehr sehnte sie sich nach ihrer eigenen Kleidung. Würde Hix sie retten kommen, brachte er hoffentlich ihr Gepäck mit. Was denke ich da überhaupt? Er wusste nicht einmal, wo sie war, mit Sicherheit würde sie ihn nie wiedersehen, so wehmütig der Gedanke sie auch stimmte. Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Oh Hix... Ihr ganzes Leben lang waren sie nie mehr als wenige Schritte voneinander entfernt gewesen und nun lag die halbe Welt zwischen ihnen. Wie sollte er da allein zu ihr finden? Wie sollte sie zurück zu ihm finden? Von ihr selbst unbemerkt entfuhr ihr ein schweres Seufzen. Etwas Feuchtes an ihrer Hand holte sie wieder in die Gegenwart zurück. Als sie hinuntersah, entdeckte sie Faolan, der seine Schnauze gegen sie drückte. Besorgnis war in seinem Gesicht zu lesen, Tengaar lächelte leicht, um ihn nicht weiter zu beunruhigen. Eine Tür, die von ihr zuvor nicht geprüft worden war, da sie nur tiefer in das Anwesen hinein zu führen schien, führte die beiden in einen großen Saal mit einer verglasten Front. Die hellen verschiedenfarbige Fliesen waren blank poliert und schienen ein Muster zu bilden, das sie vom Boden aus nicht erkennen konnte. Ein riesiger Kronleuchter mit unzähligen funkelnden Edelsteinen hing von der Decke herab. Es musste ein wundervoller Anblick sein, wenn bei einer Feier der ganze Saal voller Menschen war, dann das Licht anging und von all diesen Juwelen mehrfach zurückgeworfen wurde und alles in einen bezaubernden Glanz tauchte. So gern Tengaar das auch einmal gesehen hätte, im Moment stand ihr nicht der Sinn danach. Hoffnungsvoll begab sie sich an die Glasfront – nur um direkt wieder enttäuscht zu seufzen. Zwar führten die Türen tatsächlich hinaus, aber nur in einen Innenhof, der vom gesamten Anwesen eingerahmt wurde, es gab keinen Fluchtweg. Faolan stieß eine der gläsernen Türen auf und gab ihr mit einem Wink seines Flügels zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. Was sie dort draußen sollte, wusste sie zwar nicht, aber da sie auch nicht wusste, was sie sonst tun sollte, folgte sie dem Wesen nach draußen. Bei jedem Schritt, den der Wasserspeier tat, erklang ein Geräusch, das Tengaar vergebens seit Beginn ihrer Erkundung einzuordnen versuchte. So etwas hatte sie noch nie zuvor gehört, weswegen sie keinerlei Verbindungsmöglichkeiten fand. Sie wusste nicht einmal, wie sie es beschreiben sollte – es klang ähnlich wie eine... Quietscheente, aber weniger quietschig. Ein anderer Vergleich fiel ihr beim besten Willen nicht ein. Faolan führte sie über einen schön gepflasterten Weg durch allerlei verschiedene Pflanzen, von denen sie in ihrem Heimatdorf noch nicht einmal gehört hatte. Doch der Glanz all dieser Neuheiten verblasste im Anbetracht von Hix' Abwesenheit. Sie stellte sich vor, wann auf diesem Weg der Kriegerlehrling stehenbleiben würde, wie sehr er über das staunen würde, was sein Auge erblickte. Bislang war sie von diesem Verhalten leicht entnervt gewesen – welcher Krieger hielt denn schon inne, um die Natur zu bestaunen? Aber nun fehlte ihr sogar diese Angewohnheit. Schließlich blieb Faolan wieder stehen. Tengaar musste erst genauer hinsehen, um zu erkennen, worauf sein Blick gerichtet war. Versteckt zwischen den prächtig sprießenden Pflanzen war ein kleines steinernes Gebäude zu sehen, das an eine Gruft erinnerte. Es war doch nicht etwa eine? „Was ist das hier?“, fragte Tengaar. „Eine Gruft“, bestätigte Faolan ihren Verdacht. „Und warum zeigst du mir das?“ Der Wasserspeier setzte sich auf die Hinterpfoten und begann sich hinter seinen Ohren zu kratzen. Tengaar beobachtete ihn dabei, ungeduldig tippte sie mit dem Fuß immer wieder auf den Boden, während sie wartete. Das Wesen schien die Antwort hinauszögern zu wollen, offenbar dachte er selbst noch darüber nach, was er antworten sollte. Doch schließlich beendete er das Kratzen und blickte Tengaar wieder direkt an. So wie er die Lefzen verzog, schien er fast zu lächeln. „Wolltest du nicht schon immer einen Vampir sehen?“ Ihr wütendes Schnauben sagte ihm, dass das keineswegs ihr Wunsch war. Nein, von Vampiren hatte sie längst genug. Die kurze Zeit, die sie allein mit Neclord in dessen Schloss verbracht hatte, sehnsüchtig auf Hix wartend, hatte ihr lebenslanges Pensum an Begegnungen mit Vampiren bereits gestillt. Wenn es nach ihr ginge, müsste sie nie wieder einem gegenüberstehen. Fragte sich nur noch... „Warum beherbergt Dougal einen Vampir auf diesem Grundstück? Ist das hier überhaupt seines?“ Vielleicht gehörte es auch jemand ganz anderem und er hatte es nur an sich gerissen, weil es ihm gefiel und der Vampir lebte schon immer hier. „Sie sind Verbündete“, antwortete Faolan. „Das geht bis zu Zeiten von Dougals Zeit als Magierlehrling zurück. Angeblich wurde sie nur durch einen fehlgeleiteten Zauber zu einem Vampir – heute lässt er sie bei sich leben und lässt sie Aufträge für sich erledigen.“ Nachdenklich zog sie ihre Stirn kraus. „Was können das denn für Aufträge...?“ Sie verstummte, als ihr bewusst wurde, was man einem Vampir auftragen könnte. „Macht er das oft? Ihr Dinge auftragen?“ Faolan schüttelte sein Haupt. „Nicht wirklich... ich glaube, beim letzten Mal lebten sie noch im Turm von Dougals Meister.“ „Und womit... füttert er sie?“, fragte Tengaar weiter. „Mit gar nichts. Sie schläft ziemlich viel, da braucht sie anscheinend nicht sonderlich viel – außerdem will er so wohl ihre Effektivität bei den Aufträgen erhöhen.“ Sie nickte erleichtert. Immerhin wurden die anderen Nachfahrinnen von Klift dann wohl nicht diesem Vampir vorgeworfen – und sie hoffentlich auch niemals. „Können wir dann gehen?“ Am Liebsten hätte sie nie von diesem Ort im Innenhof erfahren, aber nun würde sie sich einfach Mühe geben müssen, es wieder zu vergessen. Gemeinsam mit Faolan lief sie weiter und betrat den anderen Flügel des Anwesens. Jenseits der Glastür eröffnete sich ganz offenbar ein Jagdzimmer. Das Aroma kalten Zigarrenrauchs erfüllte die Luft und schien damit jedem Besucher bereits beim Eintreten sagen zu wollen, dass es ein Männerraum war – zumindest für jene Besucher, die Zigarren nur mit Männern in Verbindung brachten. Schädel von verschiedenen erlegten Tieren, einige von denen Tengaar nicht einmal die Rasse kannte, waren an den Wänden befestigt, an einer der Wände stand ein aus dunklem Holz gefertigter Schrank, vor einem Kamin befanden sich mehrere, mit braunem Leder überzogene, Sessel. Doch Tengaars Blick galt dem Kamin selbst, genauer gesagt dem, was über diesem hing. Gold-lackiertes Holz umrahmte kunstvoll ein offenbar mit viel Liebe und Sorgfalt angefertigtes Porträt. Es zeigte eine junge Frau, etwa in Tengaars Alter, die mit einem sanften Lächeln auf einem Stuhl saß. Auf den Hintergrund war nicht sonderlich viel Wert gelegt worden, der Fokus lag vollkommen auf dieser Frau, die mit allerlei Liebe zum Detail ausgearbeitet worden war. Tengaar glaubte fast, jede einzelne Strähne des rosa Haars zählen zu können, die blauen Augen schienen wahrhaft vor Freude über die Abbildung zu glitzern. Wäre die Kontur der Leinwand nicht gewesen, hätte die Haut keinerlei Unebenheit aufgewiesen. „Wer... wer ist sie?“, fragte Tengaar. Faolan musterte das Porträt aufmerksam, dabei wedelte er mit dem Schwanz. „Oh~ Das muss Treasa sein.“ Sie erinnerte sich daran, dass Dougal diese Frau bereits einmal erwähnt hatte. Sie war die Nachfahrin von Klift gewesen, mit der Dougal seine Lehrzeit geteilt hatte – und die für ihren Mut mit dem Leben bezahlen musste. Aber noch etwas fiel ihr ein: Sie war diejenige, für die er einen Ersatz suchte, wie auch immer er das meinte, so ganz verstand Tengaar das noch nicht. „Wer hat dieses Bild gemalt?“, fragte sie weiter. „Meister Dougal selbst. Ah~ Du glaubst gar nicht, wie sehr er sie geliebt hat – es muss ihm das Herz gebrochen haben, als sie sich für einen anderen entschied.“ Diesen Teil der Geschichte kannte Tengaar noch nicht. Interessiert blickte sie Faolan an. „Sie entschied sich für einen anderen?“ So wie er über diese Treasa gesprochen hatte, war sie eigentlich davon ausgegangen, dass sie wirklich ein Paar gewesen wären – oder sie zumindest gestorben wäre, ehe er die Gelegenheit bekam, ihr zu sagen, was er für sie empfand. Der Wasserspeier nickte. „Neben Dougal gab es noch eine andere Person, die um Treasa buhlte und sie entschied sich für eben diesen, obwohl er nicht sonderlich angesehen bei den anderen Schülern war. Er war schlecht im Umgang mit Magie, vergaß enorm viele Dinge und galt alles in allem nicht sonderlich talentiert. In einem Satz: Er war quasi das genaue Gegenteil von ihr.“ Tengaar konnte sich nicht helfen, bei dieser Erzählung musste sie an Hix und sich selbst denken. So in etwa stimmte das ja auch überein. „Aber das Wichtigste war: Man sagte ihm nach, ein Sohn des schrecklichen Magiers zu sein. Da seine Mutter ihn als Kleinkind ausgesetzt hatte, blieben es Gerüchte, aber alle Schüler waren sich absolut sicher.“ Der Sohn des Magiers kam mit der Frau zusammen, die sich gegen diesen stellte? Ah! Dann war er möglicherweise der Verräter, von dem Dougal sprach! „Jedenfalls sah Treasa über all das hinweg und entschied sich für ihn – nur um von ihm getötet zu werden, worauf Meister Dougal wiederum ihn umbrachte.“ Ich wusste es. Wieder stellte sie sich die Frage, was dieser Mann damit meinte, er suche einen Ersatz für Treasa. Etwas in ihr sagte ihr aber, dass es auch etwas mit den Angestellten im Anwesen zu tun hatte – waren sie möglicherweise andere Nachfahrinnen, bei denen das mit dem Ersatz fehlgeschlagen war? Kalte Schauer liefen über ihren Rücken, als sie sich vorstellte, eines Tages auch so zu enden. Sie musste irgendetwas dagegen tun, irgendwie musste sie es schaffen, zu entkommen, bevor er ihr etwas antun konnte. „Faolan... gibt es wirklich keinen Weg nach draußen?“ Nachdenklich neigte das Wesen den Kopf. Es rief sich das bereits Gesehene und jeden passierten Raum ins Gedächtnis, nur um schließlich zu seufzen. „Ich fürchte, Dougal hat jeden Raum gesichert oder unbetretbar gemacht. Er will wohl kein Risiko eingehen, ein paar Mal schon sind ihm Frauen abhanden gekommen, weil sie es schafften, zu fliehen.“ Das elende Gefühl, das Tengaar beschlich, verdarb ihr gründlich ihre Entdeckerlaune. Hoffnungslosigkeit übermannte sie. Als sie sich das letzte Mal in solch einer ausweglosen Situation befunden hatte, war Hix zu ihrer Rettung geeilt – doch erneut wurde ihr bewusst, dass sie dieses Mal nicht damit rechnen durfte. Ohne Anhaltspunkt, wo sie war, noch dazu jenseits des Ozeans... Ein schweres Seufzen entfuhr ihr, Müdigkeit übermannte sie und ließ ihre Lider schwer werden. „Ich will ins Bett“ murmelte sie, als sie an Faolan vorbeilief, um den Raum zu verlassen. Der Wasserspeier trottete hinter ihr her. Schon nach wenigen Schritten hielt sie allerdings wieder inne, als sie plötzlich Dougal gegenüberstand. Überrascht blickte der Mann sie an. „Was tust du hier?“ „Wir haben uns umgesehen“, antwortete Faolan an ihrer Stelle, als sie nichts sagte. „Tengaar konnte nicht schlafen, jetzt scheint es aber wieder zu gehen~“ Dougal kam ein wenig näher, er musterte sie eindringlich, sie erwiderte seinen Blick mit halb geschlossenen Augen. „Tut mir Leid, dass du dich mit all dem abgeben musst“, sagte er auf einmal, was sowohl sie als auch Faolan überraschte: „Was?“ „Es ist nicht leicht“, fuhr er fort. „Für niemanden von uns. Aber bald ist es vorbei, keine Sorge.“ Mit leicht gehobenen Mundwinkeln, die zeigten, wie zufrieden er war, lief er weiter. „Schlaf gut – es wird deine letzte Nacht als Tengaar sein.“ Ohne weitere Worte und ohne auf eine Antwort zu warten, ging er davon. Tengaar sah ihm mit einem unguten Gefühl hinterher. Meine letzte Nacht als... Hix, bitte hilf mir! Kapitel 15: Über Zauberer und Krähen ------------------------------------ Es war bereits Abend, als Hix und Rim endlich das kleine, übermäßig schaukelnde Boot verlassen konnten. Keiner der beiden ahnte auch nur im Mindesten etwas von den Ereignissen, die sich in Falena abspielten, als sie sich ausgiebig streckten und sich wieder an den festen Boden unter ihren Füßen gewöhnten. „Meine Arme tun weh“, beklagte Hix sich leise. Tengaar hätte ihm nun einen Vortrag darüber gehalten, dass es sich für einen Krieger nicht gehörte, sich nach ein wenig Paddelei zu beschweren, doch Rim stimmte zu und bekundete seufzend, dass sie hungrig und müde sei. Die Krähe, die das Boot die ganze Fahrt über begleitet hatte, hüpfte aufgeregt umher als bestünde sie darauf, dass sie am falschen Ort wären und sie gefälligst weiterziehen sollten. Ein Vorschlag, den beide gleichermaßen ablehnten und sich deswegen nicht weiter um das Tier kümmerten. Hix betrachtete den geschäftigen Hafen eingehend, nur um festzustellen, dass er an diesem noch nie zuvor gewesen war. „Wo sind wir?“ „Uhm, ich weiß auch nicht“, antwortete Rim ausweichend. „Jedenfalls gehört es zu den Inselnationen.“ So viel war ihm bereits auch bewusst gewesen – zumindest hätte er das gern gedacht, aber in Wahrheit war er vollkommen planlos. Manchmal überkam ihn das Gefühl, dass er sich ohne Tengaar sogar auf einem geraden Weg verlaufen würde – und wann immer er das dachte, glaubte er, einen Schlag von ihr zu spüren, gefolgt von einer Standpauke, dass er sich nicht so niedermachen soll und er weitaus fähiger wäre als er glaubte. „Wir sollten ein Gasthaus suchen“, hörte er Rims Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss. „Es scheint nicht so, dass heute Nacht noch ein Schiff ausläuft, das uns nach Falena bringen kann.“ Ein kurzer Blick auf die angelegten Küstenfahrer, verriet ihm, dass die Besatzungen damit beschäftigt waren, Ladung zu löschen, statt sie an Bord zu bringen. Allerdings gab es da ein kleines Problem mit ihrem Plan... „Wir haben aber gar kein Geld“, erwiderte Hix. „Das ist alles in meiner Tasche auf dem Schiff.“ Schlagartig fiel ihm Ailis wieder ein. Er fragte sich, wo sie wohl gerade war, ob es ihr gut ging – oder ob sie bereits vor Angst wahnsinnig geworden war. Hoffentlich kümmert sich irgendjemand um sie... Entmutigt und offensichtlich fertig mit der Welt, ließ Rim ihren Kopf sinken. „Ich habe auch nichts bei mir. Meinst du, wir können irgendwo draußen schlafen?“ Der Vorschlag kam nicht sonderlich gut an bei Hix. Dabei ging es ihm nicht einmal darum, dass es unbequem zu werden drohte, sondern eher um Banditen oder Piraten – in Hafenstädten wusste man immerhin nie, was einen erwartete, besser, man rechnete mit dem Schlimmsten. Die Krähe schien etwas von ihrem Dilemma zu ahnen oder es tatsächlich völlig mitzubekommen, denn plötzlich verließ sie das Boot doch noch und setzte sich auf Hix' Schulter. Erschrocken fuhr er im ersten Moment zusammen, bis er das Tier erkannte, das inzwischen seltsame Kopfbewegungen vollführte als wolle es ihn anweisen, in eine bestimmte Richtung zu laufen. Die ebenfalls aufmerksam gewordene Rim musterte die Krähe. „Mir scheint, er will uns etwas zeigen.“ Hix lehnte den Kopf sicherheitshalber ein wenig von dem Vogel fort. „Du hast mir immer noch nicht erklärt, was du damit meintest als du sagtest, er sei eine Seele.“ Zwar hatte er bereits im Boot nachgehakt, was das bedeuten sollte, doch war er von ihr nur darauf hingewiesen worden, dass sie nun Wichtigeres zu tun hätten – und dasselbe geschah nun erneut: „Wir sollten erstmal herausfinden, was er will. Du willst doch nicht, dass er dir ein Auge auspickt, oder?“ Über diese Aussicht erschrocken, sah Hix wieder zu der Krähe und für einen kurzen Moment schien es ihm tatsächlich als würde sie genau das vorhaben. Also schüttelte er hastig mit dem Kopf. „Gehen wir lieber.“ Mit einem zufriedenen Geräusch – offenbar verstand sie tatsächlich jedes Wort ganz genau – gab die Krähe ihm wieder zu verstehen, in welche Richtung er laufen sollte. Der Vogel lotste sie vom Hafen weg in die Stadt hinein, ungeachtet des kleinen Boots, das in unregelmäßigen Abständen fast schon traurig gegen die Kaimauer schlug, als es allein und unbeachtet zurückgelassen wurde. Fackeln am Wegesrand beleuchteten die Straße notdürftig, Insekten scharten sich um die Flammen, angezogen von deren hellen Schein – aber Hix konzentrierte sich einzig und allein auf die Krähe, aus Furcht, sie würde ihm tatsächlich eines seiner Augen herausreißen, wenn er nur einmal nicht auf ihre Kopfbewegung reagierte. Doch schließlich – ihm entfuhr ein erleichtertes Seufzen – verließ der Vogel seine Schulter, flatterte zu einem Schild, das über der Tür eines Hauses befestigt war und ließ sich dort nieder. Rim musterte das Schild. „Ein Objektladen? Was sollten wir hier wollen?“ „Mir wäre ein Gasthaus auch lieber gewesen...“ Selbst ohne Geld wären sie sich mit dem Besitzer sicherlich einig geworden für eine Übernachtung. Aber ein Objektladen, das machte einfach keinen Sinn. Immerhin schien hinter den Fenstern aber noch ein trübes Licht, offensichtlich befand sich noch jemand im Laden, der ihnen vielleicht helfen könnte und wenn es nur ein Hinweis zum nächsten Gasthaus wäre. Fragte sich nur, woher die Krähe das wusste – oder warum er glaubte, dass sie das wirklich wissen sollte. Möglicherweise roch irgendetwas im Laden einfach nur sehr verführerisch für sie. Ohne viel Hoffnung betätigte Hix die Klinke – und öffnete erstaunt die Tür, worauf ein leises Klingeln erfolgte. „Es ist noch offen“, stellte er fassungslos fest. Da die Sonne längst untergegangen war, hätte er eigentlich gedacht, dass bereits geschlossen war, doch so ließ er sich von Rim ins Innere des Ladens schieben. Ehe er die Tür wieder schloss, flatterte die Krähe noch herein und ließ sich auf einem der Regale nieder, die im Raum standen. Eine einsame Kerze auf dem Tresen spendete ein wenig Licht, allerdings so wenig, dass Hix sich nur langsam vorwärts bewegen konnte, in der Befürchtung, jederzeit über etwas zu stolpern. Im Hinterraum – aus dem das helle Licht kam, das Hix von draußen gesehen hatte – war lautes Rascheln zu vernehmen, gefolgt von einem leisen Seufzen und einem anschließenden „Wir haben geschlossen“. „Aber die Tür war offen“, erklärte Rim der Stimme, da die Person im Hinterzimmer offenbar keine Anstalten machte, nach vorne zu kommen, um sie wieder hinauszuscheuchen. Ein weiteres Rascheln ertönte, doch statt einem Seufzen folgte dieses Mal ein überraschter Schrei und im nächsten Moment ein dumpfes Geräusch, als ob etwas auf dem Boden aufschlug. Hix vergaß die Tatsache, dass Kunden eigentlich keine Hinterzimmer betreten durften – immerhin war er kein richtiger Kunde – und ging am Tresen vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Rim folgte ihm hastig, um, wie er vermutete, nicht allein in der Dunkelheit bleiben zu müssen. Ehe er den hinteren Raum betrat, klopfte Hix schüchtern gegen die ohnehin offene Tür, wofür er ein leises und schmerzverzerrtes „Herein“ als Antwort bekam. Er atmete leise auf – immerhin würde er nicht mit dem Schlimmsten rechnen müssen – und sah in den Raum hinein. Im ersten Augenblick verschlug es ihm die Sprache, als er an jeder Wand Regale entdeckte, die bis zur Decke mit Büchern gefüllt waren. Erst auf den zweiten Blick fiel ihm auf, dass zumindest eines der Regale nur Kassenbücher enthielt und ein anderes, das er nicht sofort im Sichtfeld gehabt hatte, bereits vollkommen leer war. Die Krähe flatterte unterdessen herein und setzte sich auf einen kleinen, von Sesseln umgebenen, Beistelltisch, auf dem ein Teller mit Keksen stand, an denen der Vogel sich sofort ungefragt zu bedienen begann, während er den dampfenden Tee in der Tasse daneben allerdings verschmähte. Erst als Rim ihn darauf hinwies, fiel Hix die Person auf, zu der die Stimme von zuvor gehörte. Leise jammernd rieb der junge Mann sich, immer noch auf dem Boden sitzend, den Rücken, ein gestürzter Hocker neben ihm erklärte stumm, wie es zu diesem Zwischenfall gekommen war. „T-tut mir Leid, wenn wir stören“, nuschelte Hix. Der Gestürzte hielt in seinem Jammern sofort inne und blickte ihn an. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er schließlich zu einer Feststellung kam: „Ah, ihr seid Reisende?“ „So ähnlich“, antwortete Rim mit geneigtem Kopf. Hix reichte dem Mann eine Hand, die dieser dankend annahm, um sich aufhelfen zu lassen. Kaum stand er wieder, drückte er den Rücken durch. „Das passiert mir andauernd. Es wird Zeit, dass ich mir eine Leiter kaufe.“ Da keiner seiner beiden Besucher etwas darauf erwiderte, lachte er verlegen und fuhr sich durch das braune Haar, um es ein wenig zu glätten. „Tut mir Leid. Ich sollte mich einmal vorstellen: Ich bin Loki, der Sohn der Besitzer dieses Ladens.“ Obwohl er sie anstrahlte, konnten Hix und Rim nichts anderes tun als ihn nur verwirrt zu mustern. Immerhin waren sie quasi die Eindringlinge und es wäre nur korrekt gewesen, wenn er verlangt hätte, dass sie sich zuerst vorstellten. Doch er schwieg weiterhin und sah beide nur freundlich an, bis Rim schließlich Hix zu verstehen gab, dass er sie beide vorstellen und ihre Situation erklären sollte. Loki lauschte dem überraschend geduldig und blickte anschließend zu der Krähe, die gerade den letzten Keks verspeiste. „Und sie hat euch also hergebracht, ja?“ Noch ehe die beiden antworten konnten, gab die Krähe ein zustimmendes Krächzen von sich. Loki lächelte darüber. „Du verstehst alles, was wir sagen, hm? Du bist ein ganz besonderer Vogel, nicht wahr?“ Hix wollte dazu etwas sagen, doch Loki sprach bereits weiter: „Das erinnert mich an eine Geschichte, die ich kenne.“ „Was für eine?“, fragte der Kriegerlehrling statt seinem eigentlich geplanten Kommentar zu der Krähe. Vielleicht würde er ja von diesem Mann eine Antwort bekommen, die Rim ihm bislang verwehrte. Doch ehe er die Geschichte begann, bat Loki seine beiden Gäste, auf den Sesseln Platz zu nehmen. Aus einem Fach unter dem Tisch holte er eine weitere Schachtel mit Keksen hervor, von denen er ihnen anbot. Hix' Blick war allerdings bereits wieder auf den Tisch konzentriert, auf dem er etwas Eigenartiges entdeckt hatte. „E-erwartest du Besuch?“ Er deutete auf die drei Tassen, von denen allerdings nur eine gefüllt war. Loki lachte, eine Mischung aus Nervosität und Verlegenheit, wie es sich selbst für Hix' ungeübte Ohren anhörte. „Sagen wir, ich hatte so ein Gefühl, dass heute noch jemand vorbeikommen würde. Deswegen habe ich auch die Tür nicht abgeschlossen.“ Es wäre Hix um einiges lieber gewesen, hätte Loki nur gesagt, dass es ein Versehen war und er vergessen hatte, die Tür abzuschließen und dort immer drei Tassen standen. Langsam bekam er das Gefühl, nur auf seltsame Leute zu treffen, seit er in Zexen gewesen war – und es hörte einfach nicht mehr auf! Allerdings schien selbst Rim davon dezent genervt zu sein. „Was auch immer“, sagte sie mit zuckersüßer Stimme, die einem kundigen Zuhörer aber sofort verriet, dass sie nicht so gut gelaunt war wie sie im Moment aussah und wie sie sich anhörte. „Was meintest du für eine Geschichte?“ Loki schien ihr Stimmungstief ebenfalls zu bemerken, weswegen er sofort mit dem Lachen aufhörte. „Na, die Geschichte des letzten Magierkrieges natürlich.“ „Als das Ritual schiefging?“, hakte Hix nach. „Das Ritual ging mehr als nur einmal schief“, belehrte Loki ihn sofort „aber nur einmal waren die Auswirkungen derart verheerend, wie in diesem Fall. Und auch nur dieses eine Mal wird von einer Krähe berichtet, die darauf aus ist, alles wieder gutzumachen.“ Automatisch sahen alle Anwesenden wieder zu dem Vogel, der die Blicke unschuldig erwiderte als wäre er nur ein vollkommen normales Tier, obwohl inzwischen alle stumm überein gekommen waren, dass er gerade das eben nicht war. „Ich kenne die Geschichte nicht vollständig“, fuhr Rim fort. „Kannst du sie vielleicht erzählen?“ Es schien Hix als hätte Loki auf diese Frage nur gewartet, seine Augen begannen sofort geradezu von innen heraus zu leuchten, als er er darum gebeten wurde. „Aber natürlich kann ich! Ich kenne sie in und auswendig, jedes einzelne Detail!“ Sein Übereifer ließ Hix ein wenig tiefer auf seinem Sessel rutschen, Loki dagegen saß plötzlich kerzengerade und räusperte sich, ehe er zu erzählen begann. Kapitel 16: Das Ritual ---------------------- „Die Magie war schon lange aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden. Sprach man in dieser Zeit von Magiern, so nahm jeder automatisch an, dass es sich dabei entweder um Runenträger handelte oder um Märchenfiguren. In solchen Geschichten existierte die Magie noch, war lebhaft, verspielt und ungebändigt, sie formte die wundervollsten Dinge und zerstörte sie, nur um sie im Anschluss daran erneut zu erschaffen. Vielen Kindern wurden zur Schlafenszeit von ihren Eltern Märchen über Magier erzählt. Es mag fast schon ironisch anmuten, dass gerade jene, die der Magie mächtig waren, keine Eltern mehr hatten, die ihnen solche Geschichten erzählen könnten. In jenen Tagen waren viele dieser Kinder Waisen oder einfach ausgesetzt worden. Doch waren sie nicht auf sich allein gestellt und sie wuchsen auch nicht mit normalen Kindern auf. Viele dieser begabten Kinder wurden von erwachsenen Magiern unter die Fittiche genommen und ausgebildet, auf dass sie ihre Fähigkeiten würden kontrollieren und dann ein normales Leben führen könnten. Nur wenige dieser Ausbilder strebten nach mehr und jeder von ihnen wurde von dem stärksten aller Magier, dessen Name Lances war, vernichtet, so dass alsbald nur noch wenige Meister übrigblieben und jene sich umso mehr bemühten, sich verborgen zu halten. Diese Geschichte handelt von einem Meister, dem das allerdings zu wenig war. Er war bekannt als Westcott, der in dem Land, das wir heute als Falena kennen, ein Waisenhaus leitete. Selbstverständlich nahm er in dieses nur Kinder auf, in denen die Magie schlummerte, was sich rasch im gesamten Land herumsprach. Da die Menschen sich damals nichts mehr darunter vorstellen konnten, beschlossen sie, ihm einfach jedes seltsam erscheinende Kind, das nicht so recht zu den anderen passen wollte, auf die Türschwelle zu legen. So wurde Westcott zum Meister eines jungen Mannes, der dem stärksten Magier Lances ähnelte, so heißt es. Ihre Augen besaßen denselben ungewöhnlichen Goldton, ihr Haar war so schwarz wie Ebenholz, manch einer behauptete sogar, dass ihre Gesichter sich ähneln würden, weswegen in seinem Heim gemunkelt wurde, dass er der Sohn Lances' sein sollte. Es war nur ein Gerücht, aber es hielt sich hartnäckig, nicht zuletzt, weil er genau wie die anderen nicht wusste, wer seine richtigen Eltern waren. Es gab nur eines, das jeden an dieser Theorie zweifeln ließ: Der junge Mann besaß das Talent der Magie, aber er war schrecklich unbegabt. Selbst der leichteste Zauber misslang ihm, schwere gelangen ihm entweder gar nicht oder führten direkt zu einer mittelschweren Katastrophe für sein Umfeld. Er versuchte zwar, diesen Makel durch Intelligenz wieder wettzumachen, aber zu seinem Unglück mangelte es ihm auch daran, so dass er dem Spott aller anderen Schüler ausgesetzt war. Nur wenige stimmten nicht in das Spiel mit ein und noch weniger gaben sich mit ihm auf einer freundschaftlichen Ebene ab. Aber es gab auch eine Person, deren Herz von dem Versager angesprochen wurde. Eine talentierte junge Frau, deren Fähigkeiten die der anderen Schüler bei weitem überstiegen und die in manchen Versionen dieser Geschichte für ihre Schönheit gerühmt wurde. Sie war so ganz anders als dieser eine Schüler und doch – oder möglicherweise genau deswegen – liebte sie ihn. Sie verbrachte viel ihrer Zeit mit ihm, versuchte, ihn an ihrem Wissen und ihrem Können teilhaben zu lassen und baute ihn auf, wann immer das mit einem Fehlschlag endete. Sie kamen sich so nahe, wie es zwei Menschen nur möglich war, man könnte sagen, dass sie zu einer Einheit wurden. Als ihr Meister davon erfuhr, war er nicht erbaut darüber. Er wollte nicht, dass sich seine Schüler untereinander fortpflanzten, die magische Rasse neu beleben und damit möglicherweise die Menschen oder gar Lances auf sie aufmerksam machen würden. Aber dann erfuhr Westcott von einer Legende, deren Inhalt ihm verriet, wie er Lances Einhalt gebieten könnte. Das darin beschriebene Ritual war noch nie erfolgreich gewesen, aber er war entschlossen, es auszuprobieren und diese beiden Schüler sollten es sein, die es in Angriff nehmen. Man mag sich denken, dass es zu Neid und Missgunst führte, dass gerade dieser Nichtsnutz zu einer solch wichtigen Mission auserkoren wurde. So kam es, dass am Tag des Rituals die junge Frau namens Treasa und der Mann namens Alisdair in die Ashtwal Berge aufbrachen, um ihr Vorhaben allein in die Tat umzusetzen.“ „Hast du jemals so viel Schnee gesehen, Treasa?“ Die goldenen Augen des Mannes glitzerten vergnügt, als er die weiße Pracht bewunderte, die schon längst die Herrschaft über die Ashtwal Berge errungen hatte. Obwohl Falena so weit im Süden lag, war es im Norden des Landes doch so eiskalt, dass der Schnee sich ungehindert niederlassen konnte. Die vereinzelten Bäume, die es hier noch gab, ächzten geradezu unter der Last, unfähig, diese abzuwerfen. Während er sich begeistert umsah, besaß er keinen Blick für seine hinter ihm stehende, eher zurückhaltende Begleiterin, die sich sich immer wieder fahrig mit der Hand durch das rosa Haar ging. „Bist du denn gar nicht nervös, Alisdair?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Du weißt doch, was-“ „Ja, ich weiß.“ Er hielt ihr den Rücken zugewandt, als er sie unterbrach. „Aber gerade deswegen möchte ich gern, nur noch für einen Moment, einfach hier stehen und mir das alles ansehen. Wenn ich es später ansehe, dann mit den Augen eines Mörders.“ Mit langsamen Schritten ging sie auf ihn zu und umarmte ihn von hinten. „Wenn du nicht willst, dann kann ich...“ Er schüttelte sacht den Kopf, so dass sie den Satz nicht beendete. Angesichts seiner Entschlossenheit, überkam sie eine Woge von Gefühlen. Sie war sich sicher, dass sie an seiner Stelle liebend gern getauscht hätte, wäre ihr das angeboten worden. Allein der Gedanke an das, was er tun musste, erfüllte sie mit Furcht – nicht zuletzt, weil sie diejenige war, die als Opfer herhalten musste. Diejenige, die möglicherweise niemals wieder ihre Augen öffnen würde, um den Schnee zu bewundern. Und doch war er es, der nun den Blick dafür besaß, während sie die Augen geschlossen hielt, den Kopf gegen seinen Rücken gelehnt und seinem aufgeregten Herzschlag lauschte. Er war genauso nervös wie sie, wenn nicht sogar noch mehr, immerhin war er es, der sie töten müsste – und wenn seine Liebe nicht stark genug wäre... Nein! Sie wollte nicht einmal daran denken, sie durfte nicht! Wenn sie weiter darüber nachdachte, würde ihr Furcht nur anwachsen und wenn er bemerkte, dass sie zweifelte und Angst verspürte, wäre es ihm mit Sicherheit unmöglich, seinen Auftrag zu erfüllen. Sie müsste einfach nur zuversichtlich lächeln, ihm zeigen, dass sie an ihn glaubte, selbst wenn das nicht der Fall war. Aber irgendwo, tief im Inneren war sie sich sicher, dass sie an ihn glaubte und das genügte ihr, um sie dazu zu bringen, ihn wieder loszulassen. Sie brachte ihn dazu, sich umzudrehen und nickte ihm dann zu. „Ich vertraue dir.“ Seine Mundwinkel hoben sich leicht. „Danke.“ Aber sein Lächeln erlosch sofort wieder, als er sein Schwert zog und es auf sie richtete. „Ich muss also einfach...?“ Sie nickte. Ihr sanftes Lächeln wollte so gar nicht zu ihrem aufgeregten Herzschlag passen, aber sie musste sicher sein, damit er es durchführte. „Ich glaube an dich, Alisdair. Wir sehen uns gleich wieder.“ Er hob das Schwert und- „E-er hat sie umgebracht?“ Hix unterbrach den erzählenden Loki mit dieser Frage, seine Augen waren ungläubig geweitet. Als der Erzähler nickte, runzelte er noch dazu seine Stirn, so dass Loki sich offenbar zu einer Erklärung berufen fühlte: „Die Rune, die benötigt wird, um den Magier Lances zu vernichten, ist eine Rune, die eigentlich gar nicht existiert. Sie muss erst materialisiert werden.“ Rim und Hix tauschten einen ratlosen Blick miteinander. Keiner von beiden hatte je zuvor von einer solchen Rune gehört oder konnte sich gar etwas darunter vorstellen. Aber Hix verstand auch noch etwas anderes nicht: „Ist es denn nicht möglich, diesen Magier auf normalem Wege zu töten?“ Loki schüttelte mit dem Kopf. „In jeder Version des Märchens heißt es, dass er das Geheimnis der Unsterblichkeit entdeckt und für sich beansprucht hat. Er ist ein Wesen, dessen Existenz nicht endet – und in einer Welt, in der Gleichgewicht besteht, braucht man etwas, das nicht existiert, um ihn zu töten. Und diese Rolle übernimmt eben diese Rune. Die ersten Aufzeichnungen darüber stammen noch aus den Jahren vor der Gründung Harmonias und-“ „Genug, genug“, unterbrach Rim ihn, ehe er sich möglicherweise in seinen historischen Fakten verlor. „Verrate uns lieber, warum man dafür die Person umbringen muss, die man liebt.“ Hix nickte bestätigend, das war auch die Frage, die ihn um einiges mehr interessierte als die historischen Begebenheiten der Rune. Doch zum Bedauern der beiden Zuhörer, schwand Lokis selbstsicherer Gesichtsausdruck, stattdessen zog er ein wenig ratlos die Brauen zusammen. „Ehrlich gesagt kann ich euch da auch nur Vermutungen mitgeben. Bislang ist immerhin noch niemand dazu gekommen, diese Rune zu untersuchen.“ Hix seufzte enttäuscht, doch Rim forderte ihren Gastgeber auf, ihnen seine Theorie mitzuteilen, was er auch sofort in die Tat umsetzte: „Eine unbedingte Voraussetzung, um diese Rune zu erlangen, ist eine starke Bindung zwischen den beiden Partnern. Davon ausgehend, denke ich, dass durch die Ermordung ein Band zwischen den beiden Seelen gesponnen wird, einer bleibt zurück, während die andere Seele in die Welt der Leere gleitet, wo sie die Rune birgt. Durch das Band gelangt die Rune zu dem Zurückgebliebenen, der den Ermordeten dann mit der neuerworbenen Macht wieder ins Leben zurückholt.“ Für Hix klang das alles viel zu fantastisch, wie aus einem Märchenbuch, solche, wie er sie früher gern gelesen hatte. Aber damals war er noch ein Kind gewesen und er hatte nie geglaubt, dass etwas davon wahr sein könnte, nun saß er aber als Erwachsener einem Mann gegenüber, der ihm genau das gerade zu erklären versuchte und er konnte es einfach nicht glauben. Allerdings erwiderte er darauf auch nichts. „Wie heißt diese Rune eigentlich?“ Rims Frage holte Hix wieder aus seinen aufkommenden Erinnerungen an die Märchen, die er früher gekannt hatte. „Einen richtigen Namen hat die Rune nie bekommen“, erklärte Loki, „aber in den Aufzeichnungen wird sie Rune der Einheit genannt.“ Für einen Moment herrschte Schweigen, das fast schon andächtig war. Selbst die Krähe, die noch immer neben dem nun leeren Teller saß, gab keinen Laut von sich, sondern neigte nur ein wenig den Kopf, so als wolle sie die Worte bestätigen. Es war Hix, der das Schweigen wieder unterbrach. Er war müde geworden von alldem, was ihm durch den Kopf ging und wollte nur noch ins Bett, wenn er schon nicht sofort zu Tengaar kommen könnte, weswegen ihm daran gelegen war, dass Loki die Geschichte beendete: „Du sagtest, das Ritual habe nicht funktioniert. Was ist geschehen?“ Loki nickte sofort und setzte seine Erzählung fort. Treasa stürzte zu Boden, kaum dass Alisdair die Klinge wieder aus ihrem Körper zog. Reglos lag sie im Schnee, der sich durch ihr Blut rot färbte. Der junge Mann stand ähnlich reglos neben ihr und starrte auf sie hinab, unfähig, zu erfassen, was eben geschehen war. Noch verhinderte sein Gehirn die Verarbeitung des Erlebnisses, versuchte stattdessen, ihn zu beruhigen und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde, er musste nur ein wenig warten... ein wenig. Doch wie lange war ein wenig? Was sollte er sich darunter vorstellen? Woher sollte er wissen, ob es funktioniert hatte oder ob er gescheitert war? Und was sollte er tun, wenn das wirklich der Fall war? Wenn Treasa nie zurückkommen würde? Er konnte Schritte hören, gefolgt von einer grollenden Stimme: „W-was hast du getan?“ Zwar wollte er den Blick von der Leiche abwenden und mit einem Lächeln antworten, dass es nicht so schlimm war, aber er konnte nicht, sein Körper verweigerte jeden Befehl. „Was hast du getan!?“, wiederholte der andere seine Frage lauter und wütender. Alisdair versuchte, anhand der Stimme zu erkennen, wer dieser andere war, aber zumindest im Moment wollte es ihm nicht einfallen. Vielleicht war es auch einfach nur nicht wichtig. Vielleicht war absolut gar nichts wichtig in diesem Moment. „Was hast du getan!?!“ Die Stimme des anderen überschlug sich vor Wut und nahm einen bedrohlichen Unterton an, so dass es Alisdair doch noch gelang, ihm den Blick zuzuwenden. Wie er befürchtet hatte, war ihm der Name des anderen aber komplett entfallen, es dauerte einen Moment, bis er ihm wie durch einen dichten Nebel hindurch wieder in den Sinn kam. „Dougal.“ Er verband keine guten Erinnerungen mit diesem Mann, weswegen er direkt nach diesem Einfall wieder den Blick senkte – nur um die Leiche zu entdecken. Es kam ihm vor als hätte er sie vorhin nicht bewusst angesehen, denn erst in diesem Moment wurde ihm wirklich klar, was er getan hatte. Treasa war tot. Sie war durch seine Hand gestorben! Durch seine blutbesudelte Hand! Der Gedanke, dass alles gut werden und sie wieder aufwachen würde, schwand vollkommen und wurde von der grauenhaften Erkenntnis ersetzt, dass er an ihrem Tod schuld war. Hastig wich er von der Leiche zurück. Vergessen war der Grund, warum sie eigentlich tot war oder was er nun tun müsste, um das Ritual der Rune zu beenden, er wollte nur noch fort und nicht mehr diesen leblosen Körper ansehen müssen. Doch Dougal machte bereits einen großen Bogen um die Leiche, ehe er auf Alisdair zuging. „Warum hast du das getan!? Bist du wahnsinnig geworden?!“ Seine Stimme klang schrill, als ob er selbst kurz davor stand, wahnsinnig zu werden. Alisdair wich immer weiter zurück, den Blick ängstlich auf Dougal gerichtet, der jeden Schritt direkt wieder ausglich. „Hör zu, ich kann es erklären“, begann er, doch Dougal ließ ihn nicht ausreden: „Sei ruhig! Ich will deine Ausreden nicht hören! Du hast sie getötet! Du hast. SIE. GETÖTET!“ Mit dem letzten Wort stieß er Alisdair brutal von sich. Dieser prallte hart gegen einen Baum, der Zusammenstoß raubte ihm den Atem, so dass er das Schwert fallenließ. Noch bevor er wieder Luft holen konnte, griff Dougal nach seinem Kragen und stieß ihn noch einmal brutal gegen den Stamm. Schnee fiel sanft von den Ästen nieder und schmolz innerhalb kurzer Zeit auf den schwarzen Haaren der beiden. „Hör mir doch zu!“, bat er noch einmal, doch Dougal dachte nicht daran: „Wie konntest du so etwas nur tun!? Wie konntest du ihr das antun!? Das werde ich dir nie verzeihen!“ Immer wieder stieß er Alisdair gegen den Baumstamm, sein kläglicher Widerstand und alles Bitten waren vergebens. Dougals Griff war zu stark und seine Ohren offenbar taub für seinen Gegenüber, der ihn so bitterlich enttäuscht hatte. Mit jedem neuerlichen Schlag gegen den Stamm, ließ Alisdairs Widerstand mehr nach, dafür nahm die Gleichgültigkeit von ihm Besitz. Ohne Treasa lohnte sich das Leben ohnehin nicht mehr, wenn das Ritual gescheitert war, gab es keinen Grund mehr, weiterzumachen. Sein letzter Blick galt der im Schnee liegenden Gestalt, dann schloss er die Augen und ließ sich in die endlos erscheinende Dunkelheit fallen, die sich vor ihm ausbreitete. In dem Moment, in dem seine Gegenwehr gänzlich erlosch, wurde Dougal des Blutes gewahr, das Alisdairs Haar verklebte und sogar über sein Gesicht lief. Erschrocken ließ er ihn los und trat hastig zurück. Der leblose Körper sank rasch zu Boden, ein helles Licht löste sich von seiner Handfläche und schoss direkt an Dougals Ohr vorbei. Doch er sah dem weder nach, noch fragte er sich, was das gewesen sein könnte. Lediglich Runen reagierten so beim Tod ihres Trägers und er interessierte sich nicht für die Runen dieses Versagers. Er fuhr herum, ging zu der im Schnee liegenden Treasa zurück und kniete sich neben sie. Seine zitternden Hände strichen ihr die Strähnen aus der blassen Stirn. Ihre Haut war bereits eiskalt und ließ ihn bei der kleinsten Berührung frösteln. So konzentriert war er auf ihr Gesicht, dass er weder die verschwundene Wunde in ihrer Brust, noch die Rune an ihrer Hand bemerkte – die Hand, die sich plötzlich wieder bewegte und vorsichtig zu seinem Gesicht gehoben wurde, wo sie ihm vorsichtig über die Wange strich. Erschrocken zuckte er zusammen. Sein Blick ging von ihrem Gesicht zu ihrer Hand, die sich nicht mehr senkte. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, die Augen blieben jedoch geschlossen. Er musste das träumen, das alles konnte einfach nicht sein, sie war tot! Gerade eben noch war da diese riesige Wunde in ihrer Brust gewesen, das Blut um sie herum war der beste Beweis dafür. Nur deswegen hatte er doch Alisdair getötet, wenn auch unbeabsichtigt. Die Ereignisse forderten ihren Tribut von ihm, doch bevor er endgültig das Bewusstsein verlor, hörte er noch ein letztes Mal ihre Stimme: „Mein lieber Dougal...“ „Treasa kehrte mit Dougal und der Leiche Alisdairs wieder zu ihrem Meister zurück. Westcott glaubte, das Ritual sei trotz Alisdairs vorzeitigem Dahinscheiden gelungen, immerhin stand Treasa wieder lebendig vor ihm und sie trug eine Rune auf ihrem Handrücken, die bis dahin noch nie jemand gesehen hatte. Aber es zeigte sich, dass dies nicht die erwünschte Rune war. Statt Lances zu töten, zersetzte die Rune Treasas Verstand und ließ sie wahnsinnig werden, bis hin zu dem Punkt, an dem sie die gesamte Welt zerstören wollte.“ Loki verstummte, aber seine letzten Worte hingen noch immer unheilschwanger in der Luft, Hix wartete nervös darauf, dass er fortfuhr. Als das nicht geschah, hakte er nach: „Und? Was ist dann passiert?“ Statt Loki antwortete Rim mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme: „Da wir alle noch hier sind, hat sie es wohl nicht hinbekommen, die Welt zu vernichten.“ „Das stimmt“, gab Loki ihr recht. „Aber woran genau sie gescheitert ist, das weiß niemand. Auch sämtliche Versionen der Geschichte unterschlagen das Ende.“ „Fast so als ob jemand nicht wollte, dass andere es erfahren“, bemerkte Hix gedankenverloren. Aber er wollte eigentlich gar nicht darüber nachdenken, er verstand ohnehin nicht so recht, was das alles mit ihnen zu tun hatte. „Aber was auch immer geschehen ist, weswegen Treasas Pläne nicht fruchteten“, fuhr Loki fort, „es heißt, dass Alisdairs Seele sich in eine Krähe verwandelte, um nach Treasa zu suchen und sein Versagen wiedergutzumachen.“ Erneut blickten alle auf die Krähe, die in einer fragenden Geste den Kopf neigte, so als versuchte sie, sich unwissend zu stellen. „Und ihr denkt, diese Krähe...?“, begann Hix, ohne den Satz zu beenden. Rim nickte sofort. „Ich bin absolut sicher. Vergiss nicht, dass wir sie in einem Sarg gefunden haben.“ Loki runzelte fragend seine Stirn, worauf Rim demonstrierend gähnte. Daraufhin nickte ihr Gastgeber verstehend. „Oh ja, wir haben jetzt lange miteinander gesprochen. Es wird Zeit, dass ihr ins Bett kommt, damit ihr morgen früh mit dem Schiff weiterfahren könnt. Natürlich seid ihr für diese Nacht meine Gäste, ich wäre sonst ganz allein im Haus.“ Hix konnte nicht anders, als innerlich festzustellen, wie überaus passend doch alles war. Alles, was ihm zustieß, führte zu etwas Neuem, das nur auf ihn gewartet zu haben schien. Fast schon glaubte er, dass tatsächlich das Schicksal seine Finger im Spiel hatte, um mit ihm als Marionette ein besonders aufregendes Theaterstück aufzuführen. Da konnte er nur hoffen, dass das Publikum lange genug interessiert war, dass die Geschichte bis zu ihrem Ende gespielt wurde – und dass dieses nicht bitter werden würde. Loki brachte die beiden in ein kleines Zimmer, das mit zwei Betten ausgestattet war, nur für den Fall, dass Gäste kommen würden, wie ihr Gastgeber ihnen erklärte. So langsam wurde Hix diese Zufälle Leid, denn sie erinnerten ihn nur immer wieder an das Theaterstück des Schicksals. Kaum hatte Loki die beiden alleingelassen – und auch die hereingeflatterte Krähe – seufzte Rim leise. „Dieser Kerl ist überraschend naiv. Wir könnten Banditen oder wer-weiß-was sein.“ Hix deutete ein Kopfschütteln an. „Ich glaube, in einem solchen Fall wären wir nicht hier gelandet und das weiß Loki auch... denke ich zumindest.“ Während er sprach, hielt er den Blick auf die Krähe gerichtet, die sich auf dem hölzernen Kopfende eines Bettes niedergelassen hatte und darauf zu warten schien, dass sie die mitgebrachte Kerze löschten, um zu schlafen. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieser Vogel wirklich einmal ein Mensch gewesen sein soll.“ Sicher, in Märchen konnte so etwas vorkommen, aber auch in der Realität? Hix hatte einige Schwierigkeiten damit, das mit sich selbst zu vereinbaren, ungeachtet all der Dinge, die er bereits in den zwei Kriegen beobachtet hatte. Die Realität, in der sie lebten, schien ihm schon manchmal wie ein Märchen, gefüllt mit Hexen, schwarzen Rittern, Drachen und Magie, warum also nicht auch eine Krähe, die lediglich die Verkörperung einer reuevollen Seele war? „Rim, was hat Dougal mit Tengaar vor?“ Das Mädchen setzte sich auf das andere Bett, schwieg aber für eine ganze Weile, die sich für Hix wie eine halbe Ewigkeit anfühlte. Als sie schließlich antwortete, tat sie das mit gesenkter Stimme als befürchtete sie, dass jemand sie belauschen könnte. „Ich bin mir nicht sicher, aber Fion erwähnte da mal etwas... Dougal sucht nach Nachfahrinnen Klifts, so wie Treasa eine war, weil er gedenkt, ihre Seele in den Körper einer anderen Nachfahrin zu übertragen.“ Hix schluckte schwer. „Was würde dann aus Tengaar werden?“ „Ihr Bewusstsein würde komplett überschrieben werden.“ Es war wie ein heftiger Schlag in seine Magengrube. Er hatte mit vielem gerechnet, was Dougal seiner Tengaar würde antun wollen, aber so etwas? Nein, nicht im Mindesten. Am Liebsten wäre er direkt zum Hafen gelaufen, notfalls wäre er geschwommen, um endlich nach Falena zu kommen und Tengaar zu retten, aber er wusste, dass das alles nichts brachte, dass er geduldig sein und hoffen musste. Hoffnung war das einzige, was ihm blieb. „Kann er so etwas denn tun?“ Rim hob die Schultern und behielt sie oben als versuche sie, den Kopf einzuziehen. „Ich bin mir nicht sicher. Offenbar hat er viele Versuche unternommen und ist zuversichtlich, dass er es dieses Mal schaffen wird. Eine Methode gibt es jedenfalls.“ Hix spürte, wie seine Hoffnung zu schwinden begann und doch klammerte er sich mit aller Macht an sie. Er würde nicht zulassen, dass sie verschwand und er würde nicht zulassen, dass Tengaars Bewusstsein überschrieben werde würde. Er musste sie retten, komme was da wolle! „Wir sollten jetzt schlafen“, sagte Rim leise. „Wenn wir morgen das erste Schiff nehmen, haben wir vielleicht noch eine Chance.“ Hix nickte, streifte seine Stiefel ab und legte sich ins Bett. Sein Innerstes fühlte sich dumpf an, obwohl er sich dem Ernst der Lage bewusst war, aber er war müde und sein Kopf war nun nicht mehr bereit, weiter über die Situation nachzudenken. Kaum hatte Rim das Licht gelöscht und sich ebenfalls ins Bett gelegt, beschloss die Krähe offenbar, dass ihr ihre vorige Position nicht mehr gefiel und ließ sich direkt neben Hix' Kopfkissen nieder, wo sie den Schnabel unter den Flügel steckte, um ebenfalls zu schlafen. In der Dunkelheit war es Hix nur möglich, die Umrisse des Vogels zu erkennen, aber das genügte vollauf. „Dein Name ist also Alisdair?“, fragte er leise. Obwohl er keine Antwort erwartete, bekam er tatsächlich eine, der Vogel gab ein zustimmendes Krächzen von sich, gefolgt von einem weiteren, das ihm zu sagen schien, dass er nun erst einmal schlafen sollte. Zumindest wollte Hix glauben, dass dies die genaue Bedeutung des Lautes war. Dementsprechend schloss er die Augen und ließ sich von der Erschöpfung in den Schlaf wiegen. Das Letzte, was er in seinen Gedanken sah, war Tengaar, wie sie zu Boden stürzte und reglos liegenblieb, während der Schnee um sie herum sich dunkelrot färbte... Kapitel 17: Hilfe von außen --------------------------- Der Anblick des kleinen Schlosses war doch reichlich imposant, selbst in der Dunkelheit. Der Betonblock wirkte eher wie eine Festung denn wie ein Schloss und daher nicht sonderlich heimelig. Das Eingangstor aus massivem Eisen sollte etwaige Besucher davon überzeugen, dass es besser war, erst gar nicht den Versuch zu wagen. Die steinernen, geflügelten Löwen, die das Tor flankierten, die Mäuler weit aufgerissen, verstärkten den Effekt noch einmal. Obwohl Fion es eigentlich ganz genau kannte und er auch wusste, dass er nichts zu befürchten hatte, solange er nur davorstand, schüchterte es ihn dennoch ein, Dougal hatte ganze Arbeit geleistet. Hätte Fion damals bereits gewusst, was sein Bruder in diesem Bau verstecken wollte, hätte er ihm nicht geholfen, die Schutzzauber darauf zu legen, die verhindern sollten, dass normale Menschen es sehen oder gar in die Nähe kommen konnten. Fion straffte seine Schultern, in einem Versuch, sich selbst Mut zuzusprechen, auch wenn er ziemlich genau wusste, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. Sein Mut war ohnehin nie sonderlich der Rede wert gewesen, aber im Moment schien er sich auf Reisen zu befinden, irgendwo weit weg von Falena und er wünschte sich, bei diesem zu sein. Leider war es ihm aber auch nicht möglich, noch einen Rückzieher zu machen, denn auch wenn er ihn nicht sehen konnte, so wusste er doch, dass Cain ihn beobachtete und darauf wartete, dass er hineinging, um seinen Auftrag zu erfüllen. Sein einziges Glück war nur, dass Dougal nicht anwesend war, dieser hatte erst vor wenigen Minuten die Festung verlassen, vermutlich um noch etwas zu holen, das er unbedingt brauchte. Obwohl Fion jede einzelne Minute gebrauchen könnte, zögerte er das Betreten so lange wie möglich hinaus, als hoffte er, dass Dougal zurückkehren und den Plan damit nichtig machen würde. Dabei war es auch in seinem Interesse, Tengaar zu retten, immerhin hatte er das diesem Hix versprochen. Zahra, die wie üblich an seiner Seite war, blickte zu ihm hinauf. „Hör endlich mit deiner Verzögerungstaktik auf, das bringt dir ohnehin nichts.“ „Ich weiß“, erwiderte er seufzend. Noch einmal straffte er seine Schultern, dann trat er einen Schritt vor. Für einen Menschen hätte es ausgesehen wie ein einfacher Schritt, aber für jemanden mit dem Dritten Auge war gut ersichtlich, dass er damit eine Grenze übertrat, die den letzten Sicherheitsmechanismus der Festung aktivierte. Die Löwen, die das Tor flankierten, erwachten urplötzlich zum Leben, sie senkten die ihm zugewandten Köpfe, um ihn beschnuppern zu können, da ihre blinden Augen nicht in der Lage waren, ihn zu sehen. „Wer verlangt Einlass?“, sprachen die Löwen synchron, die tiefen Stimmen der beiden erzeugten eine wohlige Gänsehaut auf Fions Armen. Die Stimmen, so kam es ihm vor, waren kontraproduktiv für die Abschreckung, denn sie schienen einen eher willkommen zu heißen und freundlich hereinzubitten. Er schluckte noch einmal, dann gab er sich Mühe, Dougals Stimme bestmöglich nachzuahmen: „Wer wohl? Euer Meister verlangt Einlass! Also öffnet das Tor, wird’s bald?“ Nichts geschah. Für einen kurzen Moment fürchtete er, nicht überzeugend genug gewesen zu sein oder dass Dougal möglicherweise etwas an den Zaubern geändert hätte, doch schon im nächsten Augenblick neigten die beiden Löwen ihre Häupter wie zur Verbeugung, das Tor öffnete sich wie von Zauberhand, begleitet von den Worten: „Willkommen zurück, Meister Dougal.“ Kaum war das Tor offen, erstarrten die Löwen wieder in derselben Form wie zuvor. Zarah grinste. „Gar nicht schlecht, schon sind wir drin.“ „Solltest du nicht lieber draußen warten?“ Sie hob eine Augenbraue, als sie ihn wieder ansah, was ihm sagen sollte, dass sie nicht einfach warten würde und er kannte ihren Dickkopf, weswegen er sich nicht weiter auf eine Diskussion einließ, auch wenn er fürchtete, dass sie ihn im Inneren in Probleme bringen würde. „Fein, dann komm eben mit, aber denk dran, dass wir keine Vergnügungsreise machen.“ Sie gab ein bestätigendes Nicken von sich, dann betrat sie gemeinsam mit Fion die Festung. Hinter ihnen schloss sich das Tor wieder, aber erst nachdem Cain ebenfalls hereingehuscht war. Wie verabredet versteckte der Schüler sich im Eingangsbereich im Schatten einer Statue. „Gut, dann suchen wir mal los“, sagte Zahra und ging mit großen Schritten voraus. Fion folgte ihr mit wesentlich geringerem Optimismus, nur mit der Hoffnung, dass sie Tengaar finden würden, bevor Dougal zurückkehren würde. Die Erschöpfung hatte sie schließlich doch einschlafen lassen. Allerdings lag sie vollständig bekleidet auf dem Bett und sie schreckte auch sofort hoch, als der neben ihr liegende Faolan sich zu bewegen begann. „Was ist denn los?“, fragte sie verschlafen. „Ist etwas passiert?“ Faolan blickte aufmerksam ins Leere, seine Ohren zuckten, während er versuchte, etwaige Geräusche aufzufangen, doch schließlich nickte er. „Jemand ist gerade ins Haus gekommen, aber es ist nicht Meister Dougal.“ „Wer könnte es dann sein?“ Ihr schien als wolle der Wasserspeier mit den Schultern zucken, aber da ihm das nicht möglich war, neigte er den Kopf in ihre Richtung. „Ich weiß es nicht. Vielleicht sollten wir nachsehen gehen. Möglicherweise ist es dein Weg, nach draußen zu kommen.“ Das klang doch äußerst vielversprechend. Also ließ Tengaar sich nicht zweimal auffordern, sondern stand direkt auf und ging zur Tür. Glücklicherweise war diese immer noch nicht verschlossen, so dass sie mit Faolan auf den Gang treten konnte. An den Wänden waren in regelmäßigen Abständen Kerzenhalter angebracht, von denen in der Nacht allerdings nur immer jeder zweite entzündet war. Das bot genug Licht, um zu sehen, wohin man lief, aber nicht genug, um wirklich jedes Detail erkennen zu können. Für Tengaar war es allerdings ausreichend, dass sie Faolan folgen konnte, der sie ins Erdgeschoss führte. Dort konnte sie bereits von der Treppe aus hören, wie jemand immer wieder Türen öffnete und schloss, so als würde die Person nicht wissen, wohin sie eigentlich gehen sollte. Daraus folgerte sie, dass es sich wirklich nicht um Dougal handelte, der würde sich höchstwahrscheinlich gut in seinem Zuhause auskennen. Neugierig geworden, folgte Tengaar den Geräuschen. Schon nach wenigen Schritten hielt sie inne, da sie den Suchenden gefunden hatte, auch wenn er sie nicht zu bemerken schien. Noch immer öffnete er Türen, warf einen Blick in den Raum dahinter und schloss sie dann wieder. Während sie ihn beobachtete, kam es ihr vor als hätte sie ihn schon einmal gesehen, aber es dauerte einen kurzen Moment, bis es ihr einfiel: Natürlich, ich habe ihn in der Messingburg gesehen. Er war da in Begleitung dieser seltsamen Frau. Aber hier war er in Begleitung eines kleinen Mädchens mit rosa Haar, das erstaunlich desinteressiert an einer Wand lehnte. Faolan neigte wieder den Kopf. „Das ist Meister Fiongal.“ Kaum hatte er etwas gesagt, wandte sich die Aufmerksamkeit der beiden Suchenden ihnen zu. Fion atmete erleichtert auf, als er sie sah. „Tengaar, ich komme noch rechtzeitig.“ „Du kennst mich?“ „Natürlich tut er das“, ereiferte Faolan sich sofort. „Ich bin sicher, dass Meister Fiongal genau weiß, was Meister Dougal plant.“ Fion druckste ein wenig. „Genau würde ich nicht sagen...“ Bevor die Diskussion noch lange anhalten konnte, ging das Mädchen dazwischen. „Wir haben echt keine Zeit für so etwas, sehen wir lieber zu, dass wir verschwinden, bevor Dougal zurückkommt.“ „Dafür bin ich auch“, stimmte Tengaar zu, auch wenn sie noch immer jede Menge Fragen hatte, aber diese stellte sie gern hinten an, wenn sie dann nur einfach in Sicherheit war. Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung, um zum Haupttor zu kommen, aber schon nach wenigen Schritten hielten sie wieder inne, da eine Stimme durch die Festung hallte: „Willkommen zurück, Meister Dougal.“ Etwas stimmte nicht, das spürte er sofort, als er das Anwesen betrat. Die Statuen am Tor hatten bereits ein wenig zu lange gezögert vor dem Einlass, so als wären sie sich nicht ganz sicher, ob er wirklich Dougal war und im Inneren spürte er sofort, dass er nicht allein war – und das konnte eigentlich nur eines bedeuten: „Fiongal!“ Was sein Bruder hier wollte, war offensichtlich, er würde ihn nicht erst fragen müssen. Aber dazu kam er auch gar nicht, denn eine weitaus gewichtigere Aura hielt ihn davon ab, weiterzulaufen. Im nächsten Moment huschte bereits ein silberner Schatten in sein Blickfeld, der sich zu seinem Leidwesen natürlich als Cain herausstellte. „Ich habe im Moment keine Zeit für dich oder deinen Meister“, knurrte Dougal, was bei Cain nur zu einem humorlosen Lachen führte. „Denkst du, das kümmert mich?“ Ehe er über die Konsequenzen seines Handelns nachdenken konnte, hob er seine Hand. Nicht um seinen Gegenüber damit zu schlagen, sondern um einen Zauber zu wirken, der seinen Weg freiräumen könnte. In Cains Augen konnte er ein Glitzern erkennen, ähnlich dem der Vorfreude, aber bevor er herausfinden konnte, was das zu bedeuten hatte, wurde er von dem Geräusch sich nähernder Personen unterbrochen. Im nächsten Moment sah er bereits Fion, Zahra und Tengaar hinter Cain auftauchen. „Das hat ja auch lange genug gedauert“, kommentierte der Schüler unterkühlt. Fion setzte an, um sich zu entschuldigen, aber Zahra schnitt ihm das Wort ab: „Ist doch jetzt egal!“ Obwohl Cain immer noch direkt vor ihm stand, vergaß Dougal diesen vollständig, als ihm wirklich bewusst wurde, dass sein Bruder hier war, um ihm Tengaar wegzunehmen! Sein eigener Bruder arbeitete gegen ihn! Schon wieder! Eiskalte Wut erfüllte seinen gesamten Körper und wollte sich unter allen Umständen entladen. Seine Haarspitzen begannen zu knistern, während die Temperatur im Gang anstieg. Für den Moment war ihm sogar egal, dass er Tengaar schaden würde, wenn er sich nun nicht zurückhielt, wichtig war nur, dass Fion und auch dieser Cain dafür bezahlten, was sie ihm antun wollten. Doch im nächsten Moment spürte er bereits einen beißenden Schmerz in seinem Bein. Als er hinabsah, entdeckte er Faolan, der sich in seine Schienbein verbissen hatte. Dougals Magie entlud sich augenblicklich auf diesen Wasserspeier, der sich wieder in seine steinerne Form zurückverwandelte und dann in unzählige Teile zersprang. Tengaar stieß einen erschrockenen Schrei aus. „Faolan!“ Für einen flüchtigen Augenblick kehrte Dougals Vernunft zurück, die ihm für seinen kurzen Aussetzer schalt, aber er wischte sie ungeduldig beiseite und konzentrierte seine Magie wieder darauf, Cain anzugreifen. Doch diesem hatte der kurze Moment der Unachtsamkeit genügt, um einen eigenen Zauber zu sprechen. Ein Pfeifton, so hoch, dass er kaum noch wahrnehmbar war, zerschlug Dougals Konzentration und zwang ihn dazu, die Hände auf seine Ohren zu pressen, in einem verzweifelten Versuch, diesen Ton nicht mehr wahrnehmen zu müssen. Fion erkannte die Chance sofort. Er griff nach Tengaars Hand und zog die junge Frau mit sich, als er in Richtung Eingangstor losrannte. „Nein!“ Die Furcht, Tengaar zu verlieren, übernahm erneut die Oberhand und ließ Dougal für einen Augenblick sogar die Konzentration wiederfinden. Er griff nach Tengaars freiem Arm, doch bevor er zupacken konnte, hatte Fion sie bereits aus seiner Reichweite gezogen. Er wollte ihnen nachsetzen, aber Cain wirkte noch einen weiteren Spruch und erstellte damit eine Wand aus rasiermesserscharfen Windklingen, die Dougal von Tengaar und Fion trennten. „Tengaar!“ Seine Stimme nahm einen verzweifelten, geradezu schrillen Tonfall an, der immerhin dazu führte, dass sie sich ihm noch einmal zuwandte, während Fion damit beschäftigt war, das Tor zu öffnen. Er konnte Mitleid in ihrem Blick sehen, aber auch Furcht und das in einem Ausmaß, die unter anderen Umständen in ihm selbst Mitgefühl geweckt hätte. Aber so reichte es nur zu Verständnislosigkeit von seiner Seite, die sich in einem weiteren Schrei entlud, als Fion die Tür endlich öffnete und Tengaar nach draußen lief. „Scheint als wäre sie nun deinen Klauen entronnen“, kommentierte Cain fast schon süffisant. „Bist du jetzt sauer?“ Die Verzweiflung schwand rasch und überließ die Bühne einer gefassten Überzeugung. Erst würde er sich mit diesem Schüler auseinandersetzen, dann mit Fion und dann würde er sich Tengaar zurückholen, er war nun schon so weit gekommen, es gab kein Zurück mehr. Er zog seinen Rapier hervor und deutete die Spitze der Klinge in Cains Richtung. „Dafür wirst du bezahlen, Eisherz!“ Das Eingangstor fiel hinter ihnen wieder zu. Tengaar hielt noch einmal inne und warf einen Blick zurück. „Was ist mit dem Mädchen?“ Fion war ebenfalls aufgefallen, dass Zahra sich der Fluchtaktion nicht angeschlossen hatte, aber im Moment stand ihm nicht der Sinn danach, noch einmal hineinzugehen. „Sie kommt schon klar, sie ist zäh. Wichtig ist jetzt, dass du wegkommst.“ „Ich verstehe nicht-“ Ein Knirschen schnitt ihr das Wort ab. Die Löwenstatuen, die das Tor flankierten, hatten sich zu bewegen begonnen und wandten sich nun beide ihnen zu. Fion entfuhr ein undeutliches Fluchen. „Auch das noch!“ Allerdings fing er sich sofort wieder und blickte noch einmal Tengaar an, die beide Löwen nur mit großen Augen anstarren konnte. Im Gegensatz zu Faolan waren diese Statuen nach wie vor aus Marmor und nicht aus Fleisch und Blut, aber dennoch bewegten sie sich als wären sie es. „Tengaar, hör mir zu. Lauf nach Südwesten, dort gibt es eine Stadt in der du dich versteckst! Ich treffe dich dort später.“ Er deutete in die Richtung, in der sie im Dunkeln nur Wald entdecken konnte. Aber wenn sie sich richtig erinnerte... „Gibt es vor dem Wald nicht noch eine Stadt?“ Der Gedanke, mitten in der Nacht allein durch einen Wald laufen zu müssen, behagte ihr nicht im Mindesten, weswegen sie das lieber vermieden hätte. Aber er deutete ein Kopfschütteln an, das ihr verriet, dass sie wohl nicht darum herumkommen würde. Die Statuen, wohl endlich Herr ihrer Bewegungen, stürzten sich mit Schwung auf Fion, der noch ein letztes „Lauf!“ ausstieß, ehe er von einer Kugel aus Licht umgeben wurde, die ihm wohl Schutz bieten sollte. Tengaar blieb nicht, um herauszufinden, ob das tatsächlich gelang, sie wirbelte herum und rannte los, direkt auf den Wald zu, der sie binne kürzester Zeit mit seiner Dunkelheit umfing als wolle er sie nie wieder gehen lassen. Gemeinsam mit dem Licht, schwanden auch die Geräusche, so dass sie von Stille umgeben war, abgesehen von ihren eigenen hastigen Atemzügen und dem Knacken der unter ihren Füßen zerbrechenden Ästen. Es war einerseits unheimlich und gleichzeitig fühlte sie sich doch sicher und behütet, immerhin bedeutete es doch, dass sie ganz allein war. Aber aller Entschlossenheit zum Trotz ergriff doch bald die Erschöpfung wieder von ihr Besitz, der Wald schien einfach kein Ende zu nehmen und sie war doch so furchtbar müde. Wenn sie sich einen sicheren Platz suchte, könnte sie sich doch bestimmt ausruhen, nur ein wenig... Ihre Schritte wurden träge, aber schließlich fand sie einen Baum, dessen hervorstehende Wurzel derart groß war, dass sie es sich dazwischen gemütlich machen könnte und auch ein wenig vor neugierigen Blicken zufällig Vorbeikommender geschützt wäre. Während sie so dort saß, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen, wanderten ihre Gedanken davon. Sie dachte an Faolan, der sein Leben für sie geopfert hatte und den sie nun schon vermisste. An Fion, der ihre Flucht gedeckt hatte und hoffentlich noch lebte. An Hix, der, wie sie hoffte, bereits auf den Weg zu ihr war. Doch ihr letzte Gedanke, bevor sie in den Schlaf abdriftete, galt Dougals verzweifeltem Blick, als ihm klar geworden war, dass sie entkommen würde. Kapitel 18: Ein neuer Morgen ---------------------------- Ein heller Streifen am Horizont kündigte den baldigen Sonnenaufgang an, als Dougal endlich wieder Zeit zum Durchatmen fand. Die zerstörten Statuen im Gang und die vereinzelten Risse in der Wand, waren die einzigen Anzeichen für den eben ausgefochtenen Kampf, der mit einem Rückzug von Cain und Fion geendet hatte. Nicht, weil Dougal sie hatte besiegen können, sondern weil es dem Magierlehrling zu langweilig geworden war und ohne dessen Rückhalt, schien es Fion zu gefährlich zu werden, so dass er gemeinsam mit Zahra die Flucht antrat. Dougal hatte nicht einmal die Gelegenheit bekommen, zu erklären, weswegen er das tat – oder herauszufinden, warum sein Bruder ihm in den Rücken fiel. Da er nun aber wusste, wer alle seine Pläne zu vereiteln versuchte, könnte er seine Gegenmaßnahmen ergreifen. Mit großen Schritten ließ er den Steinhaufen hinter sich, der einmal der Wasserspeier Faolan gewesen war und begab sich in den Innenhof des Anwesens, wo er direkt die Gruft betrat. Die Luft im Inneren war stickig und erinnerte ihn wieder daran, dass er sich dort nicht gerne aufhielt. Nicht einmal Insekten schienen sich gerne darin aufzuhalten, nirgends war ein Spinnennetz oder auch nur eine Fliege zu sehen. Aber abgesehen von dem schwarzen Sarg, der an der gegenüberliegenden Wand stand, gab es ohnehin nichts weiter zu sehen. Er ging hinüber und öffnete den Sarg. Eingebettet in roten Samt lag eine Frau, deren Blässe durch ihre schwarze Kleidung noch betont wurde. Kleine goldene Glocken, die an roten Schleifen befestigt waren, fanden sich mehrmals an ihr wieder. Ihr weißes Haar wurde von zwei solcher Schleifen an zwei Seiten ihres Kopfes hochgebunden, so dass es gerade einmal zu ihren Schultern reichte. Auch an ihren weiten Ärmeln und am Saum ihres Oberteils fanden sich diese Schleifen und Glöckchen. Normalerweise hätte Dougal auf so jemanden nicht vertraut, immerhin prophezeite ihre Kleidung, dass jeder Feind sie bereits von Weitem hören konnte. Aber er selbst war einmal gegen sie angetreten und wusste daher, dass sie es schaffte, sich zu bewegen, ohne die Glöckchen erklingen zu lassen, sofern sie das wollte. Um den Kampf nicht zu verlieren, hatte er sie damals davon überzeugt, seine Verbündete zu werden – und an diesem Tag würde er sie endlich einmal einzusetzen wissen. Sie schlug die Augen auf, selbst in der dunklen Gruft war für ihn gut erkennbar, dass sie rot waren. „Was willst du?“, fragte sie müde. „Ich habe einen Auftrag für dich, Vena.“ Ihre Müdigkeit war mit einem Mal verflogen, dafür erschien kindliche Aufregung in ihrem Blick, fast so als wäre endlich ihr lang ersehnter Geburtstag gekommen. „Darf ich endlich wieder Blut trinken?“ Diese Reaktion war von ihm erhofft worden und sie bestätigte ihm wieder, dass es eine gute Idee gewesen war, sich mit ihr zu verbünden. „Von mir aus kannst du diese Personen bis auf den letzten Tropfen leertrinken, solange du sie mir vom Hals schaffst.“ Ihre Lippen kräuselten sich zu einem amüsierten Lächeln. „Oh, mit Vergnügen. Du weißt, dass du in der Sache auf mich zählen kannst.“ Wenn man sie so betrachtete, erschien es Dougal fast unvorstellbar, dass sie sich im Kampf zu einem blutrünstigen Monster entwickelte, das selbst ohne Waffen ordentlich Schaden anrichten konnte. Auf seinem Rücken befanden sich immer noch Narben von ihren Fingernägeln, mit denen sie während eines Kampfes tiefe Furchen in seine Haut gegraben hatte. Ihr Versuch, ihre Zähne in seinen Hals zu bohren war aber glücklicherweise gescheitert. „Gut. Dein Ziel ist der Magierlehrling Cain – und wenn mich nicht alles täuscht dürften auch Ailis und dieser Krieger Hix in Falena sein. Die beiden solltest du mir auch vom Hals halten.“ Da sie einen Moment lang schwieg, glaubte er, sie wolle sich gegen eines der Ziele sträuben – er hätte das sogar verstanden, Cain war wirklich kein leichtes Ziel –, doch offenbar versuchte sie nur, sich das einzuprägen, denn schließlich nickte sie. „Gut, geht in Ordnung, ich kümmere mich darum.“ „Ich verlasse mich darauf, Vena.“ Er half ihr aus dem Sarg heraus und begleitete sie dann bis zum Eingang der Gruft, wo sie sich augenblicklich in eine Fledermaus verwandelte und davonflog. Mit geneigtem Kopf sah er ihr hinterher. Ich hoffe, sie kriegt das wirklich hin. Er war sich nicht sicher, ob Ailis und dieser Hix, der Tengaar begleitet hatte, wirklich ebenfalls in Falena waren, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass Fion sie allein in Zexen zurückließ, immerhin müsste er doch wissen, dass sie ihm folgen würden. Fion hatte er Vena nicht als Ziel genannt, um seinen Bruder würde er sich selbst kümmern, aber erst müsste er Tengaar zurückholen. Um das direkt in die Tat umzusetzen, ging er wieder zum Eingang des Anwesens zurück, um dort ihre Spur aufzunehmen. Als Hix am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich als hätte er keine einzige Minute geschlafen. Er war noch immer müde und sein Rücken schmerzte wie nach stundenlangem Training. Von dem Muskelkater in seinen Armen, der noch von dem Rudern am Vortag herrührte, ganz zu schweigen. Rims Fröhlichkeit, als sie ihn weckte, erschien ihm wie der reine Hohn, genau wie der durch das Fenster einfallende Sonnenschein, der allerdings milchig und betrübt erschien und damit wesentlich besser zu seiner Stimmung passte. „Hast du gut geschlafen?“, fragte Rim freundlich. Er war versucht, ihr zu sagen, wie furchtbar seine Nacht gewesen war, aber er entschied, dass er sich zu müde dafür fühlte und nickte deswegen nur, ehe er mit der Gegenfrage kam: „Und du?“ „Ich habe wunderbar geschlafen“, berichtete sie mit einem erstaunlich breiten Lächeln im Gesicht. Hätte er es nicht besser gewusst, wäre er davon ausgegangen, dass sie wusste, wie er sich fühlte und sie ihn einfach nur ärgern wollte. Aber so gemein schätzte er sie nicht ein. „Sollen wir nachsehen, ob Loki schon wach ist?“, schlug sie vor. Hix stimmte mit einem Nicken zu und verließ gemeinsam mit Rim das Zimmer. Die Krähe begleitete sie ungefragt und setzte sich auf Hix' Schulter. Ein geradezu unwiderstehlicher Geruch lockte sie in die Küche am Ende des Ganges. Ein prasselndes Feuer im Herd verbreitete angenehme Wärme, während es gleichzeitig den Kessel darauf erhitzte. Loki stand an einem Schrank neben dem Herd und suchte gedankenverloren Geschirr heraus. Hix entschied, dass es besser sei, ihn dabei nicht zu stören, damit er nicht möglicherweise alles einfach fallenließ. Rim schien zu demselben Ergebnis gelangt zu sein und so warteten sie beide darauf, dass Loki das Geschirr auf dem Tisch abstellte und sie von selbst bemerkte. Er lächelte sofort, als er das tat. „Guten Morgen ihr beiden. Hoffentlich habt ihr gut geschlafen.“ Hix überließ Rim die Antwort, sie nickte bestätigend und lächelte dabei. „Sehr gut sogar, das Rauschen der Meereswellen war sehr angenehm.“ Hix konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, von ihrem Zimmer aus das Meer gehört zu haben, er widersprach aber auch nicht, sondern beließ es einfach dabei. Auf Lokis Bitten hin, setzten sie sich an den Tisch, die Krähe nahm ihre eigenen Platz auf einer freien Stuhllehne ein und neigte den Kopf als würde sie ebenfalls nach einem Frühstück verlangen. Überraschenderweise schien Loki darauf sogar vorbereitet zu sein, denn er schob der Krähe sofort einen Teller mit Keksen hin. Sie sahen alt und trocken aus, aber Hix war sich fast sicher, dass es diesem Vogel absolut egal war, wie die Kekse schmeckten, solange sie ihn sättigten. „Wie geht es für euch weiter?“, fragte Loki während er das Frühstück für die menschlichen Gäste zubereitete. Hix sagte nichts und beobachtete nur, wie die Krähe langsam ihre Kekse verspeiste, wobei sie reichlich krümelte und dabei immer wieder den Kopf hob als würde sie seinen Blick erwidern und ihn fragen wollen, warum er so seltsam schaute. „Wir müssen auf jeden Fall versuchen, weiterhin nach Falena zu kommen“, antwortete Rim an seiner Stelle. „Sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig.“ Hix' Gesicht verdüsterte sich. Vielleicht waren sie auch jetzt schon zu spät und Tengaar war nicht mehr... nein, das durfte er nicht einmal denken! Er würde sie retten, er musste einfach! „Dann werdet ihr ein Schiff nehmen müssen“, meinte Loki. „Habt ihr denn das Geld dafür?“ Hix zuckte zusammen, als ihm wieder bewusst wurde, dass sie auch am Vorabend festgestellt hatten, dass sie kein Geld mit sich führten. Rim schüttelte mit dem Kopf. „Nein, leider nicht.“ „Dann dürfte es schwer werden. Matrosen sind nicht unbedingt für Nächstenliebe bekannt.“ „Wir kriegen das schon geregelt.“ Hix war selbst überrascht, als er diese Worte aus seinem Mund hörte und er glaubte es auch erst, als er die Blicke der anderen auf sich spürte. Es kam ihm vor als würde die Krähe ihn mit ihren Augen hypnotisieren und ihn dazu bringen, so etwas zu sagen. Aber möglicherweise hatte der Vogel ja einen Plan, also könnte es nicht verkehrt sein, später einfach zum Hafen zu gehen und herauszufinden, worin dieser bestand. Loki lächelte daraufhin. „Das ist ein Wort. Aber vorher solltet ihr noch einmal frühstücken.“ Der Kessel auf dem Herd gab ein schrilles Pfeife von sich. Fion hatte einiges an Problemen, Zahras ständiges Gejammer auszublenden. Sie war zu weit von Rim entfernt, sie war müde, Rim schlief bestimmt in einem weichen Bett, sie war hungrig, Rim bekam mit Sicherheit etwas Leckeres zum Frühstück... er konnte es nach einer Weile einfach nicht mehr hören. Allerdings ignorierte sie seine Bitte, das zu lassen. Er fand es selbst nicht sonderlich gemütlich, sich in einer Höhle, die ihm kaum die Möglichkeit ließ, in der Hocke hineinzukriechen, unter raschelndem Laub zu vergraben, damit ihm warm wurde, aber im Moment konnte er nichts daran ändern. Ihm war der Rückzug erst gelungen, als Cain beschlossen hatte, zu verschwinden und da war es bereits früh am Morgen gewesen, selbst wenn er gewollt hätte wäre er vor Sonnenaufgang nicht mehr bis nach Doraat gekommen. Ganz zu schweigen davon, es ihm widerstrebte, diese Stadt auch nur für kurze Zeit zu besuchen. Nein, ihm blieb nur dieses Versteck. Schließlich ertrug er Zahras dauerndes Gejammer nicht mehr. „Sei endlich still!“, zischte er. „Dein Gerede führt zu nichts. Die Situation ist nun einmal so wie sie ist, später kannst du so viel schlafen wie du möchtest.“ Das wirkte tatsächlich, sie verstummte, pumpte aber empört Luft in ihre Backen, um zu zeigen, dass sie schmollte. Unter anderen Umständen hätte er nun nachgegeben und sich entschuldigt, aber im Moment drehten sich seine Gedanken um ganz andere Dinge. Er konnte nur hoffen, dass Tengaar es bis nach Sauronix und damit in Sicherheit geschafft hatte. Selbst Dougal würde sich von dieser Stadt mit ihren festen Mauern und den Drachenkavalleristen fernhalten. Fion wusste nicht, weswegen, aber erstaunlich viele Magier fürchteten sich vor den Drachenpferden, Dougal gehörte zu ihnen. „Bist du noch müde?“, fragte Zahra plötzlich. „Wollen wir schlafen?“ Inzwischen war er über die Müdigkeit hinaus und fühlte sich daher bereits wieder wach, auch wenn er wusste, dass dieser Zustand voraussichtlich nicht lange anhalten würde. „Wir sollten lieber weiter, wir müssen Tengaar finden und sie hier fortschaffen.“ „Was soll das eigentlich bringen? Wenn wir sie wegbringen, holt Dougal sie einfach wieder zurück.“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, war es Fion als würde er einen See beobachten, dessen ruhige Wasseroberfläche Zahra soeben mit einem Stein durchbrochen hatte. Die Erkenntnis wurde mit dem Schlamm nach oben getrieben, als der Stein auf den Grund traf und ihn aufwirbelte. Das hier war absolut sinnlos, solange Dougal noch lebte. Egal wohin sie Tengaar bringen würde, Dougal würde einfach kommen und sie wieder mit sich nehmen, ganz gleich wie oft er das tun müsste. Dougal müsste erst sterben oder Tengaar oder... „Keine Sorge, ich habe schon einen Plan. Also lass uns gehen.“ Sie stellte keine Fragen, sondern folgte ihm bereitwillig, als er sich wieder aus dem Laub herauswühlte, um nach Tengaar zu suchen, aber ihr war in diesem Moment vollkommen bewusst, dass sie ihm den Anstoß für eine Entscheidung gegeben hatte, die er viel zu spät fällte. Loki verabschiedete sich von seinen beiden Gästen vor dem Laden seiner Eltern. „Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass ich euch nicht zum Hafen begleite, aber irgendjemand muss ja auf den Laden aufpassen, nicht wahr?“ Hix nickte bestätigend, während die Krähe unruhig auf seiner Schulter umherhüpfte, offenbar war sie äußerst ungeduldig. „Vielen Dank für deine Gastfreundschaft.“ „Oh, nichts zu danken, ich hoffe, ihr kommt mich eines Tages wieder besuchen und erzählt mir dann eure ganze Geschichte.“ Darauf konnte Hix durchaus verzichten, aber er nickte dennoch. „Wir werden es versuchen.“ Eine Verabschiedung später, wandten der Kriegerlehrling und Rim sich ab und gingen davon. Am frühen Morgen war es um einiges lebhafter in der Stadt, neben Seemännern waren auch normale Stadtbewohner unterwegs und – was er um einiges interessanter fand – auch Ritter der ansässigen Ritterschaft. Die Rüstungen, die sie trugen, waren wesentlich weniger auffällig als jene in Zexen, die in Razril schienen sogar nur einen Brustpanzer zu haben, was ihnen zwar weniger Schutz bot, dafür aber ihre Bewegungsfreiheit nicht einschränkte. Hix wünschte, ebenfalls ein Teil dieser Einheit sein zu können, vielleicht wäre es ihm dann gelungen, Tengaar zu retten. Wieder zwang er sich dazu, nicht so negativ zu denken. Er musste positiv bleiben. Wenn er nur fest daran glaubte, dann würde er es schaffen, ihr zu helfen. Sie wartete mit Sicherheit schon auf ihn, vertraute darauf, dass er kam und sie rettete. Sie hatte immer an ihn geglaubt. Ohne sie konnte er nicht heimkehren, ohne sie gab es keine Heimat mehr, aber ohne sie gab es auch keinen Grund mehr, weiterzuleben. Also musste er sie retten, ihm blieb keine Wahl. Der Hafen war mit besonders viel geschäftigen Leben erfüllt, so dass sich Hix immer wieder umsah, nur um sicherzugehen, dass er nicht möglicherweise jemandem im Weg stand und so dessen Zorn auf sich zog. Die Krähe blieb vollkommen ruhig, scheinbar unberührt von dem, was es zu sehen gab. Er hoffte, ihr Plan würde sich bald erfüllen, sonst wüsste er nicht, was er tun sollte. Er war wesentlich schwächer als all die Matrosen, die er im Hafen so sah, er könnte nicht einmal auf einem Schiff anheuern, um nach Falena zu kommen. Rim schien ebenfalls keine Idee zu haben, sie stand nur neben ihm und blickte sich mit großen Augen um, dabei war er sich sicher, dass sie so etwas schon äußerst oft gesehen hatte. Vielleicht erstaunte es sie einfach immer wieder. Doch plötzlich, während Hix gerade beobachtete, wie einige Matrosen ein Schiff beluden, hörte er hinter sich eine Stimme, die er gerade eben noch irgendwo auf dem Ozean gewähnt hatte, weswegen er erschrocken zusammenfuhr, als sie so plötzlich erklang: „Da seid ihr ja! Oh dem Himmel sei Dank!“ Ihr war kalt. Aber trotz allem war es nicht die Kälte gewesen, die sie geweckt hatte. In der ersten Phase nach dem Erwachen, war sie ein wenig verwirrt über das, was sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Blinzelnd schweifte ihr Blick umher, versuchte, das zu finden, was sie gestört hatte, aber in ihrer unmittelbaren Umgebung fand sie nichts. Alles war noch genau so wie in der Nacht, selbst bei Tageslicht betrachtet konnte sie nichts sehen. Aber im nächsten Moment wurde sie darauf aufmerksam, es waren Stimmen, die nicht weit von ihrem Versteck erklangen. Im ersten Augenblick befürchtete sie, dass Dougal sie bereits gefunden hatte, doch dann hörte sie genauer hin. Es waren die Stimmen eines Jungen, der noch vor dem Stimmbruch stand und die eines jungen Mädchens, also war es nicht Dougal, aber auch nicht Fion oder dieser Cain. Sie wusste immer noch nicht genau, wo sie sich befand und könnte daher die Hilfe eines Einheimischen gut gebrauchen. Daher stand sie auf und ging mit ungelenken Schritten in die Richtung der Stimmen – und entdeckte kurz danach die seltsamsten Tiere seit Langem. Kapitel 19: Drachenpferde ------------------------- Auf der freien Ebene, die sich vor Tengaars Augen erstreckte, konnte sie zwei Wesen entdecken, die sie an Gul-Pferde, wie sie in Toran heimisch waren, denken ließ – jedenfalls in gewisser Weise. Diese Tiere vor ihr trugen keinerlei Rüstung, dafür waren wallende Mähnen sichtbar, die sie an Pferde erinnerten, sofern diese gelernt hätten, auf zwei Beinen zu laufen, wie diese. Die kaum ausgebildeten Hörner auf den Köpfen, überzeugten sie endgültig davon, dass sie keine Ahnung hatte, worum es sich hier handelte. Zwei Personen, gerade mal Jugendliche, wenn sie diese genauer betrachtete, liefen neben den Tieren her. Ein braunhaariger Junge ging neben dem schneeweißen Tier mit großen, schwarzen Augen. Neben dem blau geschuppten Wesen lief ein Mädchen mit langem schwarzem Haar. Und was Tengaar auch auffiel, war die Tatsache, dass sie beide gerade in einen Streit vertieft schienen. „Das ist nur deine Schuld“, beklagte das Mädchen sich. „Wenn du nicht immer verschlafen würdest, müsstest du nicht andauernd eine Strafarbeit erledigen.“ Er verzog das Gesicht und kratzte sich nachdenklich dreinblickend die Wange. „Es ist doch meine Strafarbeit, niemand zwingt dich, mitzumachen.“ Auch wenn sie es von ihrem Versteck aus nicht wirklich sehen konnte, war Tengaar davon überzeugt, dass das Mädchen mit den Augen rollte. „Du verstehst es einfach nicht.“ „Wie soll ich auch, wenn du es mir nicht erklärst?“ Seine Stimme verriet, dass er nahe vor dem Verzweifeln war – und Tengaar bekam sogar ein wenig Mitleid. Eigentlich wollte sie sich auch gar nicht in diese Unterhaltung einmischen, aber sie musste immer noch herausfinden, wie sie in die nächste Stadt kommen könnte und zwei Einheimische wären am besten als Quelle zu befragen. Als Tengaar aus ihrem Versteck trat und auf die beiden zulief, hielten sie augenblicklich inne, um sie anzusehen. Beide lächelten verhalten, wie man es tat, wenn man jemanden nicht einschätzen konnte, aber das Misstrauen in den Augen der beiden entging ihr nicht. „Entschuldigt, dass ich euch störe.“ Tengaar verbeugte sich knapp. „Ich bin eine Touristin aus Toran und habe mich... ein wenig verlaufen.“ Der Junge runzelte die Stirn, als müsste er überlegen, wo sich dieses Toran eigentlich befand, aber das Mädchen fragte bereits weiter: „Wohin wollen Sie denn?“ Mit immer noch gerunzelter Stirn blickte der Junge hinter Tengaar und starrte in den Wald, aus dem sie gekommen war. Sie glaubte regelrecht auf seinem Gesicht lesen zu können, dass er sich fragte, wie sie sich dort hatte verlaufen können. „Die nächste Stadt wäre mir erst einmal recht.“ Das Mädchen fuhr herum und deutete vage in die Richtung, aus der sie und der Junge gekommen waren. „Das wäre dann Sauronix.“ Tengaar erinnerte sich undeutlich daran, dass Faolan ihr bereits einmal von der Stadt erzählt hatte, es war jene, die man vom Balkon in Dougals Versteck sehen konnte. Also war sie immerhin in die korrekte Richtung gelaufen. „Sie müssen einfach nur geradeaus laufen“, erklärte das Mädchen, „dann kommen Sie dorthin. Das können Sie gar nicht verfehlen.“ Tengaar bedankte sich lächelnd bei ihr. Sie wollte sich gerade abwenden, als der Junge plötzlich die Stimme erhob: „Warum sind Sie eigentlich durch den Wald gelaufen? Wenn Sie von Doraat kommen, hätten Sie doch auch einfach das Schiff nehmen können.“ Das Mädchen warf ihm einen bösen Blick zu. „Stell doch nicht so eine blöde Frage, Landis! Es ist immerhin ihre Sache, wie sie sich durch das Land bewegt!“ Während Tengaar ein wenig zurückwich, schien der Junge diesen Umgangston bereits gewohnt zu sein, denn er erwiderte ihren Blick bereits und auch ihren Ton: „Ich bin nur neugierig! Warum ist das überhaupt dein Problem, Rina?!“ Der Gesichtsausdruck des Mädchens änderte sich kaum merklich, aber Tengaar war überzeugt, Eifersucht darin zu sehen, was ihr auch sofort erklärte, weswegen die beiden sich andauernd stritten. Sie fühlte sich ein wenig an sich selbst und Hix erinnert und hätte beide am Liebsten für einen kurzen Moment in die Arme geschlossen. Da sie allerdings keinen der beiden kannte, ließ sie es bleiben. Um den Streit der beiden zu zerstreuen, richtete Tengaar den Blick auf die fremdartigen Tiere, die alles mit geneigten Köpfen neugierig betrachteten. „Was sind das eigentlich für Wesen?“ Tatsächlich hörten beide auf zu streiten und wandten sich ihr zu. „Das sind Drachenpferde“, erklärte Rina, noch ehe Landis etwas sagen konnte, das wohl eine weitere respektlose Frage hätte sein sollen. „Wir sind Auszubildende der Drachenkavallerie von Falena.“ Unüberhörbarer Stolz schwang in ihrer Stimme mit. Da Tengaar noch nie zuvor von so etwas wie Drachenpferden oder gar einer dazugehörigen Kavallerie gehört hatte, musste es etwas sehr Einmaliges in Falena sein und damit war es gleichzeitig eine große Ehre, ein Teil von eben dieser zu sein – und mit Ehre kannte eine Tochter des Dorfs der Krieger sich immerhin aus. „Ich gratuliere euch. Dieses Privileg habt ihr euch sicher schwer verdient.“ „Sogar noch härter als andere Lehrlinge“, stimmte Landis zu, erklärte aber nicht, was er damit meinte, sondern wandte sich wieder Rina zu: „Sollen wir sie vielleicht begleiten?“ „Du suchst doch nur eine Ausrede, dich vor deiner Strafarbeit zu drücken“, tadelte sie ihn, lächelte dabei aber. „Ausnahmsweise bin ich jedoch deiner Ansicht, wir sollten sie begleiten, die Monster hier sind ein wenig härter als woanders.“ „Das wäre wirklich sehr nett“, sagte Tengaar lächelnd und schloss sich den beiden direkt an, als sie losliefen, was sie direkt zur nächsten Frage brachte: „Warum reitet ihr eigentlich nicht auf den Drachenpferden, wenn ihr sie schon mitnehmt?“ „Sie sind noch jung“, antwortete Landis. „Um Haltungsschäden zu vermeiden, ist es besser, wenig auf ihnen zu reiten. Aber herumlaufen sollten sie schon. Normalerweise geht einer der Stallburschen oder einer deren Lehrlinge.“ „Aber Landis hat mal wieder verschlafen und deswegen mussten wir das machen“, fügte Rina hinzu. Ihr Drachenpferd neigte den Kopf und stieß einen klagenden Laut aus, dessen Bedeutung sogar Tengaar verstehen konnte. Das Mädchen zuckte zusammen und tätschelte dem Tier den Hals. „Nicht, dass es mich stören würde, Zeit mit Tail zu verbringen.“ Landis rollte mit den Augen. „Ja, denn Zeit mit mir zu verbringen ist ja geradezu abartig.“ Rina sagte nichts, aber der Blick, den sie ihm zuwarf, sprach Bände. Tengaar musste ein amüsiertes Kichern unterdrücken, denn je mehr Zeit sie mit den beiden verbrachte, desto weniger Parallelen sah sie zwischen sich und Hix, denn dieser hätte ihr gegenüber niemals derartige Widerworte angebracht. Während die Jugendlichen zu überlegen schienen, was sie noch sagen oder fragen könnten, ohne allzu neugierig zu erscheinen, hielten beide Drachenpferde plötzlich inne und wandten ihre Köpfe in Richtung des Waldes. Automatisch hielten sie ebenfalls an und fuhren herum – nur damit Tengaar direkt erstarrte. Mit entschlossenen, schnellen Schritten, näherte sich ihnen jemand, der ebenfalls aus dem Wald gekommen war. Im ersten Moment glaubte sie, dass es sich dabei um Fion handelte, der sie wie versprochen einzuholen gedachte, aber während er näherkam, erkannte sie, dass es sich dabei um Dougal handelte. Er hatte sie schneller wiedergefunden, als zu hoffen gewesen war. „Ein Begleiter von Ihnen?“, fragte Landis interessiert. Tengaar sagte nichts, was beiden Antwort genug schien. Schützend stellten sie sich gemeinsam mit ihren Drachenpferden zwischen Tengaar und Dougal und zogen sogar direkt ihre Schwerter. Einige Schritte von ihnen entfernt, blieb er wieder stehen. Sein Blick ging angewidert zwischen den beiden Tieren hin und her, er schien sich nicht näher zu trauen – und da verstand Tengaar, weswegen Fion sie nach Sauronix geschickt hatte. Wenn es dort noch mehr Drachenpferde gab, war sie in Sicherheit, solange nur Dougal sie jagen würde. „Geht zur Seite!“, knurrte er. „Das hier geht euch absolut nichts an!“ Rina schnaubte als Erwiderung. „Wir werden nicht zulassen, dass Sie diese Frau gegen ihren Willen mit sich nehmen!“ „Als Auszubildende der Drachenkavallerie ist es unsere Pflicht, Menschen in Not zu verteidigen!“, stimmte Landis zu. Plötzlich schienen die beiden sich einig wie nie zuvor, immerhin konnten sie ihre Konflikte also beilegen, wenn es sein musste, was für ein außerordentlich gutes Team sprach. Kaum merkbare Funken sprühten von Dougals Fingerspitzen, als er sich über diesen Starrsinn aufregte, aber vorerst rührte er sich nicht. Lediglich seine Augen wanderten immer wieder zwischen allen Anwesenden hin und her, als suchte er nach einer Lücke, die er nutzen könnte, um anzugreifen. Aber er fand keine, was seinen Ärger nur ansteigen und die Funken stärker sprühen ließ. „Ich sagte, ihr sollt mir aus dem Weg gehen!“ „Ich wäre eher dafür, dass Sie endlich verschwinden!“, erwiderte Rina. „Ich weiß nicht, was Sie mit ihr zu tun haben, aber da sie nicht mit Ihnen gehen will, werden wir dafür sorgen, dass Sie das auch nicht mit Gewalt schaffen!“ Dougal knurrte und schleuderte ihnen einen Funkenbogen entgegen – aber Rina schwang ihr Schwert durch und schaffte es damit, den Zauber in den Himmel zu befördern, wo er explodierte, ohne Schaden zu hinterlassen. „Wow“, kommentierte Landis mit leuchtenden Augen. Rina dagegen warf ihr Haar zurück. „Pff, Kleinigkeit.“ Doch Dougal ließ sich davon nicht irritieren. „Das war nur ein Glückstreffer, das schaffst du nicht noch-“ Tail sprang mit einem entschlossenen Kreischen auf ihn zu und riss ihn zu Boden, so dass er den Satz nicht beenden konnte. Genausowenig schaffte er es offenbar, einen neuen Zauber zu wirken, was Tengaar nur recht sein konnte. Sie wollte den beiden Lehrlingen sagen, dass sie gemeinsam mit ihr wegrennen sollten, da wandte Landis sich ihr bereits zu und nickte zu seinem Drachenpferd hinüber. „Lil wird Sie in die Stadt bringen, dort sind Sie sicher. Wir halten ihn hier besser auf.“ „Seid ihr sicher?“ Die beiden Lehrlinge nickten entschieden. Tail hielt Dougal immer noch auf dem Boden fest, aber sie war nicht sicher, wie lange das noch gehen würde, weswegen sie ebenfalls beschloss, dass es angebracht wäre, schnell zu fliehen. Also bedankte sie sich hastig und stieg so gut wie möglich auf das weiße Drachenpferd auf, das sich daran nicht im Mindesten störte. Kaum saß sie auf dem Rücken des Tiers, rannte es bereits los, in einer Geschwindigkeit, die ihr den Wind ins Gesicht peitschte und ihr das Atmen erschwerte. Instinktiv senkte sie den Oberkörper tiefer, um dem Wind nicht so viel Widerstand zu bilden und hoffte, dass sie nicht nur bald ankommen würde, sondern auch dass den beiden Lehrlingen nichts geschehen würde. Mit einem wütenden Aufschrei schaffte Dougal es schließlich, Tail von sich zu schleudern. Das Drachenpferd gab ein empörtes Kreischen von sich, als es auf dem Boden aufkam, wo Rina sofort hineilte, um sicherzugehen, dass es ihm gutging. Landis dagegen blieb stehen, das Schwert noch immer erhoben, den Blick auf Dougal gerichtet, der es nur langsam wieder schaffte, aufzustehen. Sein Körper zitterte, aber Landis konnte nicht sagen, ob es Furcht oder Zorn war. „Was mischt ihr Gören euch überhaupt in diese Sache ein?“, grollte Dougal. „Was, wenn sie die Böse wäre und ihr einer Verbrecherin damit zur Flucht verholfen hättet?“ „Das wäre nicht passiert“, erwiderte Landis selbstsicher. „Drachenpferde haben eine gute Menschenkenntnis. Sie, zum Beispiel, mögen sie nicht. Also können Sie kein guter Mensch sein.“ „Verdammte Drachenkavallerie!“ Zum wiederholten Mal schleuderte er einen Lichtbogen, aber Landis machte sich nicht einmal die Mühe, ihn zurückzubefordern, sondern wich einfach einige Schritte zur Seite aus. „Ich weiß ja nicht, wie Sie das machen“, sagte er dabei, „aber diese Tricks sind nicht unbedingt sehr furchteinflößend.“ „Es liegt nicht in meinem Interesse, euch zu töten“, erklärte Dougal gelangweilt. „Also warum sollte ich mein gesamtes Potential an euch verschwenden?“ Rina stellte sich gemeinsam mit dem unverletzten Tail hinter den Magier. „Sie sollten uns besser nicht unterschätzen!“ Er wandte ihr nicht einmal den Kopf zu, sein Blick ging unablässig in die Richtung, in die Tengaar verschwunden war. „Wenn ich euch mit vollem Potential bekämpfen würde, würdet ihr keine drei Sekunden durchhalten.“ Ohne jede Vorwarnung zog er einen Degen hervor und griff mit diesem Landis in einer fließenden Bewegung an. Der Junge wich erschrocken zurück und riss gleichzeitig sein Schwert hoch, um die fremde Klinge abzuwehren. Im selben Moment griff Rina den Mann von hinten an. Er wirbelte zur Seite und ließ ein glühendes Schild an seinem Arm entstehen, mit dem er ihr Schwert abfing. Die beiden Lehrlinge blinzelten überrascht und betrachteten das Schild genauer, aber egal wie lange sie es ansahen, es blieb bei einem Gegenstand aus Licht. Dougal nutzte die Gelegenheit, um beide von sich zu stoßen, herumzuwirbeln und nun Rina mit dem Degen anzugreifen, während er Landis' Schwert mit dem Schild abfing – ohne dabei zu bemerken, dass er noch weitere Waffen bei sich trug. Landis zog den Dolch aus seinem Gürtel und rammte Dougal diesen in die Seite, wobei er darauf achtete, keinerlei wichtige Organe zu verletzen, sondern ihn nur kampfunfähig zu machen, so weit hatte er im Unterricht zumindest aufgepasst. Der Verletzte schrie auf. Der Degen verschwand aus seiner Hand, dafür warf er einen blau glühenden Energieball auf Rina, die getroffen zurücktaumelte und zu Boden fiel. „Rina!“ Landis wollte das Schwert fallenlassen, um zu ihr zu rennen, genau wie Tail, doch ehe er das konnte, packte Dougal ihn unsanft am Kinn und auf einmal verlor er sämtliches Gefühl in seinem Körper. Er schaffte es nicht, sich zu befreien, konnte sich nicht einmal einen Millimeter rühren, auch nicht als Dougal ihm den Kopf zuwandte und ihm direkt in die Augen sah. Landis erwiderte den Blick gezwungenermaßen und stellte erschrocken fest, dass er keinerlei Gefühl, kein Leben in den blauen Augen entdecken konnte. Dieser Mann hatte einmal etwas gesehen, das ihn innerlich tötete oder einen derartigen Verlust erlitten und das erklärte, weswegen er nun so erpicht darauf war, die Reisende zu finden, selbst wenn er dafür gegen zwei Jugendliche kämpfen musste. Und für einen kurzen, furchtbaren Moment, war Landis davon überzeugt, dass er die Begegnung mit diesem Mann nicht überleben würde. Doch unvermittelt ließ Dougal ihn wieder los, so dass er zurückstolperte. „Eines Tages“, erklärte der Mann, „wird dein Leben unschätzbar viel wert sein – dann werde ich wiederkommen, um es dir zu nehmen und dafür den Ruhm einzustreichen, der mir zusteht.“ Ohne noch etwas zu sagen, fuhr er herum und ging davon, nur um sich nach wenigen Schritten in Luft aufzulösen, so als wäre er nie dagewesen. Lediglich das Gefühl, das die Hand des Mannes an seinem Kinn hinterlassen hatte, verriet ihm, dass er sich nichts hiervon eingebildet hatte. Doch statt dem weiter nachzuhängen, ließ er schließlich das Schwert fallen, um zu Rina hinüberzueilen und sich neben sie zu knien. „Rina! Alles in Ordnung?“ Sie blinzelte und hielt sich den Kopf. „Owww, es tut so weh...“ Er atmete erleichtert auf, immerhin war sie bei Bewusstsein. „Lass uns nach Hause gehen, langsam wird es Zeit, oder?“ Als sie ihn direkt ansah, tat sie das mit dem süßesten Blick, den sich bei ihr nur vorstellen konnte und mit dem sie in einigen Jahren sicher die gesamte Männerwelt verrückt machen würde. Sie deutete ein Nicken an und ließ sich von ihm aufhelfen, ehe sie gemeinsam den Weg in die Stadt antraten, um nicht nur sie zu einem Arzt zu bringen, sondern sich auch der Fremden anzunehmen, die hoffentlich wohlbehalten angekommen war. Dabei ahnte keiner der beiden im Mindesten, in welche Sache sie damit zumindest kurzzeitig hineingeraten waren. Kapitel 20: Ein großer Schritt ------------------------------ Die über die Wiedervereinigung äußerst erfreute Ailis plante nicht, mit dem Schiff weiterzufahren, aber genausowenig wollte sie auf der Insel verweilen. Was genau sie allerdings plante, verriet sie Hix nicht, während sie ihn über unzählige Treppen zum höchsten Punkt der Insel führte. Rim schien es zu wissen, aber sie schwieg und verriet kein einziges Wort, was Hix ihr ein wenig übel nahm. Nachdem sie nun ihr eigenes kleines Abenteuer hinter sich hatten, war da die Erwartung gewesen, dass sie ein wenig enger verbunden wären, aber vermutlich ging es doch nicht so einfach. Während sie die Stufen erklommen, erzählte Ailis ihnen, dass die Reise nach dem Zwischenfall mit dem Wesen aus der Welt der Leere vollkommen ereignislos weitergelaufen war. Viel hatte sie davon aber nicht mitbekommen, so sagte sie, weil sie lange Zeit bewusstlos gewesen war. Zumindest musste das so gewesen sein, denn sie erinnerte sich lediglich an die wenigen Stunden, bevor sie in Razril angekommen war und ihr Wissen über die restliche Fahrt hatte sie hauptsächlich von anderen Mitfahrenden. Oben angekommen, sah Hix sich um, doch egal in welche Richtung er blickte, es gab nichts zu entdecken. Sie standen auf einer mit Gras bewachsenen Plattform, auf der auch zwei verkümmerte Bäume standen. Ansonsten sah er lediglich den Ozean, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte, da sie von dieser Position aus nicht einmal einen Blick auf die Stadt werfen konnten. „Hier sind wir“, sagte Ailis mit unverhohlenem Stolz in der Stimme, so als erwartete sie, gelobt zu werden – aber Hix verstand immer noch nicht, weswegen sie eigentlich an diesen Ort gekommen waren. Er öffnete gerade den Mund, um ihr mitzuteilen, dass er nicht wusste, was sie hier suchten, da nahm Rim ihm das in gewisser Weise bereits ab: „Du solltest ihm vielleicht sagen, was genau du hier zu finden hoffst. Er ist immerhin kein Magier.“ Zum ersten Mal, seit diese Reise angefangen hatte, hielt Hix für einen kurzen Augenblick inne, um sich etwas ins Gedächtnis zu rufen, das er bislang strikt vernachlässigt hatte: Dougal, Fion und Ailis waren allesamt ebenfalls mit der Begabung der Magie gesegnet – oder auch beladen, er war sich nicht sicher, wie sie selbst es betrachteten. Aber Ailis wirkte nicht unbedingt wie eine Person, die sehr darunter litt, sich so sehr von anderen zu unterscheiden und doch nie jemandem davon erzählen zu dürfen. Mehr noch, allein wegen ihrer panische Furcht davor, zu ertrinken, kam sie ihm wesentlich menschlicher vor als so manch anderer. Wenn die Menschen und die Magier damals nur mehr auf ihre Gemeinsamkeiten und weniger auf ihre Unterschiede geachtet hätten, wären sie nun vermutlich nicht in dieser Situation. Aber nun waren die Magier fast vollkommen ausgelöscht und einer von ihnen entführte aus Verzweiflung die Nachfahrinnen von Klift, von denen sie nun eine zu retten versuchte. Eine Gemeinschaft aus zwei Magiern, zwei Assistentinnen, von denen er nicht wusste, was sie waren und einem Menschen. Sein ganzes Leben lang war Hix auf andere angewiesen gewesen und selbst nun, da es um Tengaars Leben ging, musste er sich auf andere verlassen, weil ihr Entführer ein Magier war, gegen den er als normaler Krieger nichts ausrichten konnte. Es war frustrierend. Die Krähe, die ihren Weg verfolgt hatte, setzte sich auf den kümmerlichen Ast eines Baumes und neigte den Kopf, als würde sie fragen, wie es weitergehen sollte und warum sie nur noch herumstanden und nichts mehr unternahmen. Ailis stemmte die Arme in die Hüften. „Du erinnerst dich sicher, dass Fion in den Graslanden ein Portal durchschritten hat, um nach Falena zu kommen, ja? Danach hat er es verschlossen, damit niemand von uns ihm folgen kann. Aber hier, auf Razril, direkt vor uns, gibt es ein weiteres Tor, das uns nach Falena befördern kann. Es gibt also keinen Grund, dass wir uns noch einmal einem furchtbaren Schiff anvertrauen und über diesen grausamen Ozean fahren müssen, wo wir jederzeit untergehen und elendig ertrinken könnten.“ Rim rollte mit den Augen, was Ailis aber nicht mitbekam oder beachtete, denn sie ging nicht im Mindesten darauf ein. Sie löste wieder eine ihrer Hände von ihrer Hüfte und deutete hinter sich, als würde sie gerade eine Attraktion bewerben. „Hier ist unsere wundervolle Abkürzung nach Falena, damit du bald wieder mit deiner Liebsten vereint bist!“ Augenblicklich begann sein Herz schneller zu schlagen. Als er aufgestanden war, hatte er damit gerechnet, noch weitere Tage oder gar Wochen auf den Kohlen sitzen zu müssen, aber die Aussicht, sie schon bald wiederzusehen, ließ seinen Blutdruck in die Höhe schnellen. „Worauf warten wir dann noch?“, fragte er. „Öffne es... bitte.“ Ailis schien nur auf diese Bitte gewartet zu haben, denn kaum war sie ausgesprochen, fuhr sie mit einem leichten Lächeln herum und hob die rechte Hand, als würde sie eine Rune benutzen. Doch statt dem verschwommenen Abbild einer solchen, begann ihr Körper sanft in einem farblosen Licht zu glühen und einen Augenblick später entstand etwas direkt vor ihnen, zwischen den beiden verkümmerten Bäumen. Es war erst eine kleine, kaum sichtbare Kugel aus Licht, die sich rasch ausbreitete, bis sie schließlich zu einem Portal angewachsen war, groß genug, um ihnen allesamt Durchgang zu gewähren. Als es soweit war, drehte sie sich wieder zu ihren Gefährten, ein stolzes Lächeln auf dem Gesicht. „Na, wie war ich? Gut oder sehr gut?“ Hix wusste nicht so recht, etwas darauf zu sagen, aber Rim lächelte, wie eine Mutter es tun würde, wenn sie ihrem Kind ein Lob aussprach: „Perfekt, Ailis, vielen Dank.“ Noch ein wenig misstrauisch, was dieses Portal anging, wartete Hix bis Rim und Ailis zuerst durchgegangen waren. Die Krähe kehrte wieder auf seine Schulter zurück, um gemeinsam mit ihm hindurchzugehen. Es kam ihm vor, als würde er gegen eine Wand aus Wasser laufen und dann in dieses eintauchen. Sämtliche Geräusche, die er bis dahin gehört hatte, ohne sie wirklich zu registrieren, verschwanden auf einen Schlag und ließen ihn mit einer Stille zurück, die so vollkommen war, dass sie schwer auf seinen Ohren lastete. Die angenehme Atmosphäre wurde durch eine ersetzt, die ihn abzustoßen schien, ihn von allen Seiten mit unsichtbaren Händen fortzuschieben versuchte, dabei aber erfolglos war, weil es eben von überall versucht wurde. Das Atmen fiel ihm schwer, weswegen er tiefer als sonst einatmen musste. Aber der Blick umher, ließ ihn erst einmal überwältigt den Atem anhalten: Sie standen auf einem steinernen Weg, an dem sich zahlreiche Türbögen reihten und der aus dem Nichts entstanden zu sein schien. Es gab keinerlei Erde unter ihnen, dafür waren sie umgeben von Myriaden von leuchtenden Sternen, über ihnen, unter ihnen, links, rechts, geradeaus. Egal, wohin er sah, überall waren sie zu sehen, sie bildeten Galaxien, mit blauem oder kupferfarbenem Nebel, es war ein Anblick, dessen Schönheit alles übertraf, was er jemals zuvor gesehen hatte. „Wo... sind wir?“, fragte er überwältigt. Erst in diesem Moment fiel sein Blick wieder auf Ailis und ihr Gesichtsausdruck überraschte ihn. Er war sanft, frei von jedem Spott oder Hohn, sie lächelte sogar ein wenig und es war anders als ihre sonstigen Lächeln, viel ehrlicher. „Das hier ist die Unendlichkeit. Jedenfalls ein Teil davon. Normalerweise wird sie benutzt, um zwischen den Welten umherzureisen, aber man kann mit ihr auch zu verschiedenen Orten einer einzigen Welt.“ „Aber wir waren einfach nur... da waren diese Bäume...“ Er konnte das Konzept durchaus verstehen, aber es hatte keinerlei Zeichen gegeben, dass sich dort ein Portal befinden könnte, dass sie an einen solchen Ort führte. „Nun, die Portale an sich wurden während des Magierkrieges zerstört“, erklärte Ailis. „Damit sollte verhindert werden, dass jemand sich einfach hinter eine fremde Armee schleichen kann. Aber die Kräfte, die sich dort bündeln und das Öffnen der Tore überhaupt erlauben, gibt es immer noch.“ „Warum haben die Magier sich nicht einfach teleportiert?“ Während der Kriege, an denen er teilgenommen hatte, waren ihm Leute aufgefallen, die sich ohne diese Portale durch die Welt bewegen konnten, da müssten diese Magier doch ebenfalls dazu in der Lage gewesen sein. Doch Ailis schüttelte mit dem Kopf. „Das ist nicht so einfach. Nicht jeder Magier kann das und wenn, dann ist es nicht immer eine einfache Sache. Ich würde es dir gern genauer erklären, aber weil ich nicht teleportieren kann, fällt mir das echt schwer – und die Erklärung von Fion habe ich schon lange wieder vergessen.“ So genau musste er das eigentlich nicht wissen, aber dennoch überlegte er, Rim zu fragen. Als er sich nach ihr umsah, stellte er allerdings fest, dass sie mehrere Meter von ihnen entfernt war und sich die anderen Portale genauer ansah. Offenbar musste sie herausfinden, welches sie nach Falena führen würde. „Wie sieht es aus?“, fragte Ailis, als sie ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf Rim richtete. Das Mädchen wandte sich ihr zu und deutete dabei auf das Portal, vor dem sie stand. „Das hier ist das richtige. Hiermit kommen wir in der Nähe des Westpalasts raus.“ „Wie wollen wir Tengaar eigentlich finden?“ Es war ein vollkommen fremdes Land, wie ihm in diesem Moment wieder bewusst wurde. Da es so weit entfernt war, kannte er das genaue Aussehen nicht, er hatte nie eine Karte von Falena gesehen, weswegen er nicht einmal wusste, wo sich dieser Westpalast überhaupt befand und was es in der Gegend noch geben könnte. „Ich dachte, wir schauen uns erst einmal Dougals Versteck an und dann sehen wir weiter“, meinte Ailis schulterzuckend. Die erhabene Atmosphäre, die sie umgeben hatte, war bereits wieder verschwunden, wie er bedauernd bemerkte, aber dafür war sie wieder genau wie vorher, was durchaus beruhigend war. Ihr Plan dagegen war alles andere als beruhigend. „Ist das alles?“ „Hat einer von euch eine bessere Idee?“ Rim verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf von der einen auf die andere Seite. „Ich würde gerne Ja sagen, aber das wäre eine Lüge, ich weiß nämlich auch noch nichts.“ Am Liebsten hätte Hix geseufzt – aber dann fiel ihm wieder ein, dass es eigentlich seine Aufgabe war, sich einen Plan zur Rettung Tengaars zu überlegen und er absolut nichts tat, um dieser gerecht zu werden. Eigentlich war er vollkommen überflüssig und auch wenn es nicht das erste Mal in seinem Leben war, dass er sich so fühlte, so hasste er es in diesem Moment mehr als je zuvor. Er müsste sich unbedingt etwas einfallen lassen, so konnte das nicht weitergehen. „Da keiner von euch etwas weiß“, schloss Ailis, „werden wir einfach mal hingehen und dann sehen wir weiter. Vielleicht hat Fion auch schon irgendwas erreicht.“ Das konnte Hix nur hoffen, denn er wusste selbst, dass er nicht unbedingt gut darin war, sich Strategien auszudenken oder Pläne auszuhecken – auch wenn das der billigste Ausweg für ihn war. Die Krähe gab ein Kreischen von sich, als würde sie die Gruppe zum Weitergehen animieren wollen und das taten sie schließlich auch. Ailis ging wieder zuerst durch das Portal, gefolgt von Rim und Hix wieder als letztes. Grelles Sonnenlicht blendete ihn, kaum dass er hindurchgetreten war, so dass er erst einmal die Augen schließen musste. Sie waren nicht lange in der Unendlichkeit gewesen, aber es kam ihm vor, als wäre die Sonne in diesem Land wesentlich intensiver als noch zuvor auf den Inselnationen. „Hach, Falena“, seufzte Ailis. „Wie schön, mal wieder hier zu sein.“ Offenbar waren diese intensiven Sonnenstrahlen also normal, weswegen er vorsichtig, eine Hand an der Stirn, seine Augen öffnete, um sich umzusehen. In der Sicherheit ihres Zimmers im Gasthaus, schaffte Tengaar es erstmals, wieder durchzuatmen. Alles war ruhig, von ihrem Verfolger war, wenn sie aus dem Fenster blickte, nichts zu sehen, lediglich die Bewohner dieser Stadt und Kavalleristen, die gemeinsam mit ihren ausgewachsenen Drachenpferden patrouillierten, konnte sie entdecken. Das ließ sie wesentlich tiefer durchatmen, als noch zuvor. Aber es gab ihr auch Gelegenheit, sich die letzten Ereignisse wieder ins Gedächtnis zu rufen. Faolan war tot, er hatte sich geopfert, um ihr die Flucht zu ermöglichen, dann waren da diese Personen gewesen, die ihr geholfen hatten und die hoffentlich in Sicherheit waren. Und dann war da noch Dougals verzweifelter Blick, der ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte. Er sehnte sich so sehr nach seiner Geliebten, dass er seit Jahren versuchte, sie in einem neuen Körper zurückzuholen. Sogesehen empfand sie ihn als eine sehr bemitleidenswerte Gestalt, der nicht mehr zu helfen war – jedenfalls, wenn man sie fragte. Aber sein Elan, sein Ehrgeiz und seine unerschütterlicher Wille war in gewisser Weise bewundernswert, wenn er dafür nicht so viele andere Seelen getötet hätte. Fast schon bedauerte sie, ihm nicht einfach seinen Wunsch erfüllen zu können, damit seine Odyssee beendet und kein anderes Mädchen mehr unter ihm zu leiden hätte. Aber sie würde es nicht tun. Sie war Tengaar, die Tochter von Zorak und als solche war sie nicht gewillt, sich einfach selbst aufzugeben, auch nicht aus Mitleid. Sie würde wieder mit Hix vereint werden und dann würde alles gut enden, das wusste sie einfach. Sie war derart in ihre Gedanken vertieft, dass sie erst glaubte, es sich einzubilden, als sie auf der Straße jemanden entdeckte, der nicht in diese Stadt zu gehören schien. Zuerst glaubte sie, dass es sich um Dougal handelte, aber auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es Fion war, der sich gemeinsam mit Zahra dem Gasthaus näherte, vermutlich um sie abzuholen und sie endlich zu Hix zurückzubringen. Voller Vorfreude erhob sie sich von ihrem Stuhl, um seinen Weg mitzuverfolgen und als er tatsächlich das Gasthaus betrat, fuhr sie herum, damit sie direkt zur Tür und ihm entgegen gehen könnte. Doch als sie bemerkte, dass sie nicht mehr allein in ihrem Zimmer war, dass da jemand zwischen ihr und der rettenden Tür stand, hielt sie sofort wieder inne. Sie wich ein wenig zurück und stieß gegen das hölzerne Fensterbrett. Das silberne Haar ihres ungebetenen Gastes glitzerte im einfallenden Sonnenlicht und ließ es damit überraschenderweise noch kälter erscheinen – genau wie seine eisblauen Augen, die sie ohne jedes Interesse musterten. „Ich komme wohl gerade noch rechtzeitig“, sagte Cain mit unterkühlter Stimme. Sie runzelte skeptisch die Stirn und legte eine Hand auf eines ihrer Messer an ihrem Gürtel, ohne jede Hoffnung, dass sie ihn auch nur verletzen könnte und er war davon überzeugt, unantastbar zu sein, das erkannte sie an seinem vollkommen überlegenen Blick. „Rechtzeitig für was?“ Cain deutete hinter sich. „Fiongal ist hier.“ „Ja, um mich heimzubringen“, erwiderte sie, entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie in seinem Angesicht Furcht verspürte. „Also geh mir aus dem Weg.“ „Denkst du wirklich, dass er dich heimbringen will?“ Sie wollte es nicht zulassen, aber etwas an seinem Blick schien ihre Verteidigung zu durchbrechen und den Samen des Misstrauens direkt in ihr Unterbewusstsein zu pflanzen, genährt von dem, was er direkt im Anschluss zu ihr sagte: „Er ist hier, um dich umzubringen.“ Kapitel 21: Die Flucht geht weiter ---------------------------------- Tengaar starrte ihn an, als wäre er wahnsinnig geworden – was er vielleicht sogar war, sie kannte ihn immerhin nicht gut genug, um ihn irgendwie einzuschätzen. Das Lächeln, das er auf seinem Gesicht zur Schau trug, war kalt, aufgesetzt, fast schon glaubte sie, eine Mischung aus Amüsement und Abscheu in seinen Augen glitzern zu sehen, aber sie wollte sich nicht zu sehr darauf konzentrieren. „Was meinst du damit?“, fragte sie, in einem Versuch, sich von seiner Mimik abzulenken. Cain legte die Arme hinter seinem Rücken zusammen und lief einige Schritte von der Tür weg, aber nicht ohne sie noch weiter im Blick zu behalten. Sie wusste genau, dass er nicht zulassen würde, dass sie einfach durch die Tür ging – und außerdem wollte sie wissen, was er zu sagen hatte. Durch seine Unterstützung war ihr die Flucht gelungen, vielleicht war er also gar nicht so bösartig wie er schien, ganz egal, was ihr Gefühl ihr sagte. „Fiongal ist eine Erkenntnis gekommen, während er in einer Höhle übernachten musste“, antwortete er schließlich. „Dougal wird die Jagd auf dich nicht aufgeben, bis einer von euch beiden tot ist – und weil sie Brüder sind, kannst du dir vielleicht denken, dass Fiongal nicht sein Fleisch und Blut dafür wählt.“ Tengaar ereilte die Bedeutung dieser Worte viel zu schnell, wie sie fand. Mit einem einzigen Schlag blieb ihr für einen kurzen Augenblick die Luft weg, aber dann schüttelte sie heftig den Kopf, ehe sie etwas erwiderte: „Das kann nicht dein Ernst sein! Das glaube ich nicht!“ „Es gibt keinen Grund, mir zu glauben“, gab er zu. „Aber es gibt auch keinen Grund, an meinen Worten zu zweifeln. Du kennst diesen Fiongal immerhin nicht.“ Dem konnte sie nicht widersprechen, sie hatte ihn immer nur kurz gesehen und nicht viele Worte mit ihm gewechselt. Er war ihr vollkommen fremd und sie konnte nicht einmal wissen, welche Ziele er verfolgte. Es war gut möglich, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen, dass Fiongal wirklich plante, sie zu ermorden, um dieses Spiel zu beenden. Aber genausogut bestand die Möglichkeit, dass dieser Cain sie umbringen wollte. Der einzige, dem sie in dieser Situation vertrauen konnte, war Dougal – und dessen Pläne mochte sie nicht. Sie wollte noch ein wenig mehr zurückweichen, spürte aber wieder das Fensterbrett hinter sich. Cain sagte nichts mehr, obwohl sie nur darauf wartete, dass er fortfuhr, um ihr mit großen Worten zu erklären, was denn nun sein Plan mit ihr war. Sein Schweigen enttäuschte sie regelrecht. „Und was soll ich, deiner Meinung nach, jetzt tun?“, fragte sie schließlich, um herauszufinden, was er plante. Darauf hatte er offenbar gewartet, denn in seinen Augen glitzerte Triumph, der ihr nicht gefallen wollte. „Ich denke, du solltest versuchen zu fliehen. Niemand weiß, ob du entkommen kannst, wenn du erst einmal in Fiongals Hand bist.“ Sie wollte einwenden, dass er ihr doch ganz einfach helfen könnte, wenn er bereits gegen Dougal siegreich gewesen war, entschied sich dann aber anders. Sie wollte seine Hilfe nicht, sie stand immerhin schon viel zu tief in seiner Schuld, wie sie fand. Damit blieb ihre einzige Wahl, seinem Rat zu folgen und direkt zu fliehen. Ohne jedes weitere Wort, drehte sie sich um und öffnete das Fenster. Als Kind war sie nicht selten auf Bäume geklettert, deswegen glaubte sie, dass sie es auch schaffen könnte, an einem Gebäude hinunterzuklettern, wenn sie es musste – so wie eben in diesem Moment. Unter Cains Blick, der unangenehm auf ihrem Rücken brannte, kletterte sie auf das Fensterbrett und richtete sich auf dem steinernen Sims außerhalb, wieder zur vollen Größe auf, nachdem sie einen sicheren Halt gefunden hatte. Die Entfernung zum Boden war nicht ganz so groß wie jene des höchsten Baumes, auf dem sie jemals gestanden hatte, aber dennoch fiel ihr das Atmen plötzlich schwer. Sie glaubte bereits zu spüren, wie schmerzhaft, wenn auch nicht tödlich, so ein Aufprall werden würde und das ließ ihre Bewegungen wesentlich weniger geschmeidig werden. Fast schon vermisste sie ihre kindliche Naivität, damals waren ihr immerhin nie derartige Gedanken durch den Kopf gegangen. Mit aller Macht verdrängte sie diese Gedanken in einen Teil ihres Unterbewusstseins, wo sie vorerst nicht mehr stören könnten und griff nach der Regenrinne, um diese zum Runterklettern zu gebrauchen. Anders als Holz, war das Metall kalt und manche der Schrauben, an die sie ungeschickt griff, schürften ihr die Haut ab, aber sie schaffte es dennoch, sich feszuhalten und langsam nach unten zu klettern. Kaum spürte sie den Boden unter ihren Füßen, ließ sie die Rinne wieder los und lief dafür in irgendeine Richtung davon, solange sie sich damit nur vom Gasthaus entfernte und damit weg von allen, die versuchten, sie in ihre Gewalt zu bringen. „Dass er uns einfach hier hochkommen lässt“, bemerkte Zahra, während sie die Treppe hinaufstieg. Fion, der wieder einmal in seine Gedanken versunken war, erwiderte nichts darauf. Ansonsten hätte er ihr mit Sicherheit gesagt, dass der Besitzer des Gasthauses einfach ein sehr gutgläubiger Mann war, der keinen Grund zum Zweifeln an ihnen fand. Da blieb ihm nur zu hoffen, dass der Besitzer niemals erfahren würde, dass er sich in ihnen geirrt hatte. Er warf einen raschen Blick zu Zahra, die nicht auf ihn achtete und weiter mit sich selbst sprach, dabei betrachtete sie die Türen des Ganges, auf den sie getreten waren. Ein brauner Teppich, auf dem ein goldener Drache abgebildet war, dämpfte ihre Schritte auf dem Holzfußboden, ansonsten gab es keinerlei Verzierungen abseits der Türen, auf denen Nummern geschrieben waren, was Fion als ziemlich modern empfand, vielleicht sogar zu modern. Aus einigen Zimmern konnte er Stimmen hören, Touristen sicherlich, die reichlich vergnügt schienen, doch hinter den meisten herrschte Stille. „Er sagte, Nummer Neun, nicht wahr?“, fragte Zahra und blieb vor der entsprechenden Tür stehen. Fion hielt ebenfalls inne, beiläufig berührte er den Dolch, den er an seinem Gürtel trug und erneut fragte er sich, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Vielleicht war es falsch, sie, als Opfer seines Bruders auszuwählen, statt diesen selbst, da er immerhin der Ursprung des ganzen war, aber er konnte sich doch nicht gegen seine eigenen Verwandten stellen. Das sagte ihm zumindest sein Gewissen – aber es protestierte gleichzeitig gegen sein jetziges Vorhaben. Mit dieser Tat könnte er Dougal nicht von seinem Fanatismus heilen, von dem Verlangen, Treasa wieder bei sich zu haben. Er würde es nur weiter hinausschieben, bis... „Fion!“ Zahras Stimme holte ihn unsanft in die Wirklichkeit zurück. „Du sollst nicht im Stehen einschlafen! Wir gehen jetzt in dieses Zimmer und da brauchst du deine ganze Konzentration.“ Ehe er fragen konnte, was sie meinte, spürte er es bereits selbst. Auf der anderen Seite der Tür gab es eine machtvolle Energiequelle, die wie pure Kälte in seine Haut zu beißen und ihn gleichzeitig wegzuschieben versuchte. „Ist das nicht Cain?“, fragte Zahra leise, die Stirn sorgenvoll zerfurcht. „Ich wundere mich, was er oder sein Meister von Tengaar wollen könnten. Sie ist nur ein normaler Mensch... und eben eine Nachfahrin von Klift.“ Er glaubte nicht, dass sie noch bessere Magie erlernen könnte, sie würde immer auf ihre Runen angewiesen sein und daran konnte Lances unmöglich Interesse haben. Der Entschluss, Cain danach zu fragen, brachte ihn schließlich dazu, die Tür zu öffnen und mit entschlossenen Schritten den Raum zu betreten, direkt gefolgt von Zahra, die sich furchtsam an seinem Umhang festhielt. Lances' Lehrling stand am Fenster und blickte mit einem überraschend zufriedenen Lächeln hinaus, ohne auf diejenigen zu achten, die gerade eingetreten waren. Fion warf einen Blick umher, konnte Tengaar aber nirgends entdeckten. Außer Cain war niemand anwesend – und ein ungutes Gefühl bemächtigte sich seiner. „Wo ist Tengaar?“, fragte Fion, worauf sich der andere ihnen endlich zuwandte. Er deutete hinter sich, aus dem Fenster hinaus. „Sie ist geflohen, immerhin habe ich ihr gesagt, dass du hier bist, um sie zu töten.“ Fion zuckte sofort zusammen, ohne zu verstehen, woher Cain von seinen Plänen wissen konnte. Aber Zahra bemerkte das glücklicherweise nicht – sie wäre sicher dagegen gewesen – und neigte verständnislos den Kopf. „Was soll das denn heißen? Wir sind hier, um ihr zu helfen!“ Cains Lächeln wandte sich von zufrieden zu spöttisch, aber zu Fions Erleichterung teilte er dem Mädchen nicht seine Pläne mit – schon allein, weil er dazwischenging: „Was willst du mit Tengaar?“ „Nichts Spezielles“, antwortete Cain schulterzuckend. „Mein Meister will nur sehen, wie ihr alle hinter ihr herjagt. Es amüsiert ihn.“ „Abstoßend“, kommentierte Zahra. „Er sollte sich ein anderes Hobby suchen.“ Er bedachte sie nicht einmal mit einem Blick, da dieser immer noch auf Fion gerichtet war. „Du kannst ruhig versuchen, sie weiter zu verfolgen, aber du wirst es nicht schaffen.“ Mit diesen Worten verschwand er bereits – und im selben Moment knallten Fenster und Tür zu. Zahra stieß einen erschrockenen Schrei aus und klammerte sich an Fions Umhang, als könne dieser sie vor jedem Übel bewahren, das sie zu sehen glaubte. Erst als sie bemerkte, dass nichts weiter geschah, entspannte sie sich wieder und ließ den Umhang los, so dass Fion erst an die Tür und dann, nachdem er diese verschlossen vorgefunden hatte, ans Fenster treten konnte. Doch auch dieses gab nicht im Mindesten nach, als er es zu öffnen versuchte. „Er muss es mit Magie verschlossen haben“, kommentierte Fion. „Es wird nicht leicht, das zu öffnen.“ „Aber du kannst das, oder?“ „Ja, aber das wird eine Weile dauern, ich bin absolut nicht mit seinem Zauber vertraut.“ Zahra sagte nichts mehr, was ihm verriet, dass sie von ihm verlangte, sich schnellstmöglich darum zu kümmern, worum er sich auch sofort bemühte, während er sich innerlich darüber ärgerte, dass er Tengaar damit selbstredend wieder aus den Augen verlieren würde. Kurz bevor sie den Stadtausgang erreichte, hielt Tengaar noch einmal inne. Nicht, weil sie unsicher geworden war, sondern weil sie jemanden entdeckte, den sie kannte und der gerade die Stadt betrat. „Landis, hallo.“ Überrascht blieb er ebenfalls stehen und sah sie mit gerunzelter Stirn an. Obwohl ihre letzte Begegnung noch nicht so lange her war, schien es einen Augenblick zu dauern, bis er sie tatsächlich erkannte. „Ah, hallo, ähm...“ Da wurde ihr bewusst, weswegen er derart verwirrt war, sie hatten sich nie vorgestellt, sie kannte seinen Namen sogar nur aus seinem Gespräch mit Rina, weswegen sie das eilig nachholte. „Mein Name ist Tengaar.“ „Freut mich sehr.“ „Warum kommst du erst jetzt hier an?“, fragte Tengaar interessiert und auch ein wenig besorgt. „Hat dieser Mann euch etwas getan?“ Sie wollte nicht schuld daran sein, dass einem der beiden etwas geschehen war, nur weil sie ihr geholfen hatten. Dass Hix sich vermutlich in Gefahr befand, war schon mehr als genug. Doch er stemmte die Arme in die Hüften. „Ach, nicht der Rede wert. Rina hat eine leichte Gehirnerschütterung, die sie bald auskuriert hat. Nachdem ich sie nach Hause gebracht hatte, musste jemand auch die beiden Drachenpferde wieder nach Gordius bringen, deswegen bin ich erst jetzt hier.“ Nachdem er seine Erklärung beendet hatte, ließ er die Arme wieder fallen, es war eindeutig, dass er müde war und lediglich aus Höflichkeit so lange ausgeholt hatte. „Wollen Sie die Stadt schon wieder verlassen?“, fragte er. Tengaar wandte den Kopf und blickte sich nach Cain oder Fion um, aber keiner der beiden war zwischen den Passanten zu sehen und sie hoffte, dass sich das auch nicht ändern würde. Nachdem sie das sichergestellt hatte, wandte sie sich wieder Landis zu. „Ich fürchte schon. Kannst du mir vielleicht sagen, wo die nächste Stadt ist? Am besten eine, in der es auch Drachenpferde gibt und über die ich Falena verlassen kann.“ „Das wäre der Hafen von Spinacks“, antwortete er und deutete in eine ungefähre Richtung. „Dort patrouillieren Drachenkavalleristen und man kann ein Boot nehmen, das nach Hershville oder über Umwege nach Estrise geht. Beides Möglichkeiten, um Falena schließlich per Schiff zu verlassen.“ Also war sie nicht weit von ihrer Rettung entfernt, auch wenn sie tief in ihrem Inneren wusste, dass sie nicht einfach so würde fliehen können, immerhin wurde sie von Magiern gejagt und sie würde nicht ewig weglaufen oder sich verstecken können. Hix... ich muss nur wieder zu Hix kommen. Er wird mich beschützen können. Ungeachtet all seiner Komplexe wusste sie genau, dass er sie mit seinem Leben schützen würde, wenn es sein musste. Seine Entschlossenheit machte vieles von dem wett, was er nicht konnte. Aber er musste sie nicht allein schützen. Sobald sie wieder bei ihm war, würde auch ihr Kampfgeist zurückkehren, sie wollte nur nicht allein sein. Eine ungemein starke Woge von Sehnsucht überkam sie, als sie Hix vor sich sah, wie er sich vor sie stellte, um sie zu beschützen, egal wie aussichtslos ihm der Kampf schien und wie er es immer geschafft hatte, sie aus der Gefahr zu retten. Hix war ein wahrer Krieger, egal was er selbst dachte. „Vielen Dank, Landis“, sagte sie lächelnd. „Du hast mir schon wieder sehr weitergeholfen.“ Obwohl er müde war, wirkte sein Lächeln durchaus enthusiastisch und voller Stolz, so als ob er das nicht oft zu hören bekommen würde und er deswegen viel Zuversicht aus ihren Worten zog. „Oh, keine Ursache. Seien Sie vorsichtig, wenn Sie weiterreisen. Dieser Mann ist verletzt, aber vielleicht ist er jetzt erst recht wütend.“ Ehe sie noch etwas fragen konnte, lief er bereits weiter. Sie hielt ihn nicht auf, da er müde war und sie außerdem auch wegwollte, um ihren Verfolgern so schnell wie möglich zu entgehen. Nach wenigen Schritten hatte sie das Treiben der Stadt hinter sich gelassen, sie war von einer wohltuenden Stille umgeben, die lediglich durch die Rufe der Drachenpferde, die vom Fluss über die Ebene hallten, unterbrochen war. Es war derart angenehm, dass sie es bedauerte, keine Nacht im Gasthaus verbracht zu haben. Von diesen Gesängen in den Schlaf gewogen zu werden, war mit Sicherheit traumhaft. Doch noch während sie überlegte, ob es ihr möglich wäre, mit Hix irgendwann nach Sauronix zurückzukehren, spürte sie, wie jemand nach ihrem Handgelenk griff. Erschrocken kehrte sie in die Realität zurück und blickte Cain an, als dieser an ihr vorbeiging, die Führung übernahm und sie dabei nicht einmal im Mindesten zu beachten schien. Als sie auf ihr Handgelenk sah, bemerkte sie, dass er scheinbar durchaus darauf geachtet hatte, nicht ihre Haut zu berühren, sondern nur das blaue Band, das sie an beiden Gelenken zum Schutz trug, fast so, als fürchtete er, in Kontakt mit ihr zu kommen. „Was soll das?“, fragte sie. „Ich weiß selbst, wohin ich gehen will!“ „Daran zweifle ich nicht“, erwiderte er. „Aber du läufst viel zu langsam, so kommst du niemals irgendwo hin.“ Er hob die freie Hand, worauf ein Loch vor ihnen entstand, jenseits davon konnte sie unzählige Sterne sehen und sie glaubte, ein undeutliches Bild in ihren Erinnerungen zu sehen, das diesem ähnelte, nur dass es damals Dougal gewesen war, der sie dort hineingezogen hatte. Dieses Mal war es Cain, der sie direkt darauf zuzog, obwohl sie versuchte, sich dagegen zu wehren und sich loszureißen. Sein Griff schien sich dabei aber nur zu verstärken. „Wohin gehst du?! Was soll das?“ Er warf ihr über die Schulter nur einen kurzen, amüsierten Blick zu. „Das wirst du schon sehen.“ Dann zog er sie durch das Portal hindurch, das sich hinter ihnen schloss, als wäre es niemals an diesem Ort gewesen. Kapitel 22: Wieder vereint -------------------------- Hix' Geduld erschöpfte sich nicht oft. Normalerweise waren es immer andere, deren Geduldsfaden er strapazierte, bis dieser riss. Besonders bei Tengaar war er es gewohnt, dass sie ihm ein genervtes Schnauben zukommen ließ, sobald er nicht das tat, was sie wollte oder – was häufiger vorkam – er dafür zu viel Zeit benötigte. Doch an diesem Tag war er es, der sich kurz davor sah, entweder ein lautes Stöhnen, ein genervtes Seufzen oder sogar ein Knurren von sich zu geben. Der Grund dafür war Ailis, die sich an dem Essen gütlich tat, das in diesem Gasthaus angeboten wurde. Es war keines von jenen, das in einer Stadt stand, sondern eines mitten auf dem Feld, um Reisenden Unterschlupf zu gewähren, da der Weg zwischen Westpalast und Stormfist doch recht weit zu sein schien. „So etwas gab es früher noch nicht“, hatte Rim erklärt. „Aber nach dem falenischen Zivilkrieg wurden sie errichtet. Vermutlich, weil es praktischer ist, wenn man nicht mit einem Boot auf dem Feitas reisen will oder kann.“ Er hatte verstanden, dass der Feitas ein Fluss war, der durch das ganze Land führte – und an dessen Ufer sich auch dieses Gasthaus befand – weswegen es einfacher war, mit einem Boot zu reisen, als zu Fuß. Aber da sie nach jemandem suchten, mussten sie laufen, da immerhin die Möglichkeit bestand, ihr so unterwegs zu begegnen und Hix hoffte, dass das bald geschehen würde. Was er aber nicht verstand war die Frage, weswegen Ailis seine letzten Ersparnisse in diesem Gasthaus für ihr Essen ausgeben musste – und wie sie es schaffte, derart viel hinunterzuschlingen. Besonders in einer Zeit wie dieser, in der ihm das Essen geradezu im Hals steckenblieb. Dabei war die Antwort so einfach, wie er wusste: Ihr lag nun einmal nichts an Tengaar, ihm dagegen schon und der Gedanke, dass ihr möglicherweise gerade in diesem Moment etwas zustieß, war zu viel für ihn. „Ich finde, wir sollten langsam aufbrechen“, bemerkte er daher ungeduldig, während Ailis gerade noch den Rest von ihrem Teller kratzte, als wäre sie kurz vor dem Verhungern, obwohl die bereits geleerten drei Platten vor ihr, eine andere Geschichte erzählten. Allerdings, flüsterte da eine Stimme in seinem Inneren, kann es ja sein, dass das Öffnen des Portals sie Kraft gekostet hat. Ich weiß ja nicht, wie Magier mit solchen Dingen umgehen. Entgegen seiner Befürchtung, nickte Ailis und schob den nun leeren Teller von sich. „Ja, ich denke auch, dass wir langsam weiter sollten. Aber...“ Der Hauch eines schlechten Gewissens schlich sich auf ihr Gesicht, sie zog die Schultern hoch, als würde sie sich damit vor ihm verstecken können, da Hix' Miene sich bereits in unguter Vorahnung verfinsterte – zurecht, wie sie ihm gleich darauf bestätigte: „Ich weiß eigentlich gar nicht so genau, wo Dougal sich eigentlich versteckt... gemeinsam mit Tengaar.“ Hix' Kopf ruckte in Rims Richtung, damit diese ihm versicherte, dass sie es sehr genau wusste, aber sie wirkte genauso überfordert. „Das ist eigentlich eher die Sache von Fion“, erklärte sie, um Entschuldigung heischend. „Er weiß, wo sich Dougals Verstecke befinden.“ Plötzlich kam er sich doch reichlich naiv vor. Er hätte vielleicht nicht so vehement darauf bestehen sollen, sofort loszureisen – aber wenn er nur ein wenig gezögert hätte, wäre er niemals losgezogen, würde nun in einem Gasthaus in Zexen sitzen und zitternd darauf warten, dass irgendjemand zurückkehrte, obwohl er davon überzeugt war, dass es nicht eintreten würde. So aber war er nun in Falena und egal wie gering die Chance war, dass er Tengaar über den Weg laufen würde, er musste sie nutzen. „Wir werden sie schon finden“, sagte er daher überraschend zuversichtlich. „Egal wie groß Falena ist, irgendwo muss sie ja sein.“ Rim lächelte zufrieden über seine Worte und wandte sich an Ailis. „Kannst du sie nicht auch aufspüren? Oder zumindest Fion? Das dürfte doch eine Kleinigkeit für dich sein.“ Ihrer einschmeichelnden Stimme schien Ailis nichts abschlagen zu können. Stolz schlug sie sich gegen die Brust. „Aber natürlich! Überlasst das nur mir!“ Nachdem Hix – mit einem innerlichen Seufzen – sein letztes Geld ausgegeben hatte, um zu zahlen, verließen sie das Gasthaus, worauf sich ihnen die Krähe wieder anschloss und entfernten sich auf Ailis' Anweisungen von diesem, damit sie würde beobachten können, während sie versuchte, Tengaar oder Fion aufzuspüren. Sie folgten dem Feitas flussaufwärts, bis Ailis überzeugt war, dass niemand sie stören oder auch nur beobachten könnte, dann scheuchte sie ihre beiden Begleiter beiseite, um genügend Platz zu haben, wobei sich der Kriegerlehrling irritiert fragte, was sie eigentlich genau plante, wenn sie schon derart viel Raum dafür benötigte. Zu seiner Verwunderung verharrte sie bewegungslos an einem Fleck, die Augen geschlossen, das Gesicht dafür so konzentriert wie er es noch nie bei ihr gesehen hatte. Je mehr Zeit verging, desto mehr spürte er, wie machtvolle Schwingungen von ihr ausgingen, erst schwach und undeutlich, aber bald immer stärker und auch klarer. Es war eine ähnliche Energie, wie jene, die von Dougal ausgegangen war, als Hix ihn durch die Messingburg verfolgt hatte. Aber die von Ailis war wesentlich freundlicher, wärmer, wenngleich sie immer noch ein bedrohlich fremdartiges Gefühl für ihn darstellte. Ob sich die Menschen damals alle so gefühlt hatten, wenn sie es mit Magiern zu tun hatten? Während er wieder einmal Verständnis für die furchtsamen Menschen aufbrachte, die gegen die Magier angegangen waren, stellte er fest, dass sich ein sanftes Glühen auf Ailis' Haut bildete, ihre Haarspitzen sogar zu knistern begannen, beides Eindrücke, die ihn zurückweichen und mit dem Gedanken spielen ließen, ob er nicht vielleicht doch lieber fliehen sollte. Es war Rims ruhige Art, während sie das betrachtete, die ihn von dieser Panikreaktion abhielt. Und ehe er sich's versah, war das Spektakel bereits vorbei und Ailis kehrte zu ihrem normalen Verhalten zurück. „Ich konnte Fion orten“, verkündete sie strahlend. „Und ich bin ziemlich sicher, dass er ebenfalls weiß, wo ich bin. Er wird bestimmt bald hier sein.“ Doch ehe Hix fragen konnte, wie es um Tengaars Aufenthaltsort bestellt war, hörte er bereits eine fast schon vergessene Stimme hinter sich: „Bald ist ein wenig untertrieben.“ Mit einem letzten Versuch Fions, gab das magische Konstrukt, das Cain erschaffen hatte, endlich nach und erlaubte es den beiden Gefangenen damit, den Raum wieder zu verlassen. Voller Freude riss Zahra die Tür auf und trat bereits über die Schwelle, als fürchtete sie, der Zauber könne jeden Moment wieder einsetzen und sie erneut einsperren. Fion folgte ihr ein wenig langsamer. Nicht nur zehrte die eingesetzte Magie an seinem Körper, er war noch dazu hungrig und auch müde und es überraschte ihn, dass Zahra weder das eine noch das andere zu sein schien, obwohl sie ihm sonst am meisten mit derartigen Bedürfnissen in den Ohren lag. Andererseits war er auch dankbar dafür, dass es gerade heute anders war, denn das hätte er nicht auch noch ertragen. Wie er erwartet hatte, war von Tengaar keine Spur mehr auszumachen. Sie musste die Stadt verlassen haben. Wenn sie inzwischen im Hafen von Spinacks war, konnte sie nun überall sein, wie er wusste. Der Weg war zwar weit und nicht ungefährlich, aber sie war eine Kämpferin, sicher schreckte sie das alles nicht ab, so dass er nicht hoffen konnte, sie zitternd unter irgendeinem Felsen zu finden, wo sie Schutz vor den Monstern gesucht hätte. Einmal, bei einem anderen Mädchen, mit dem Dougal dasselbe versucht hatte, war es tatsächlich so gekommen – aber am Ende hatte Fion sie nur zurückgebracht, damals war ihm noch nicht klar gewesen, was sein Bruder mit ihnen tat. Diesmal aber war sein Ziel, das Mädchen zu töten, wenn er es fand, aber inzwischen machte er daraus lieber ein falls er es fand. „Was jetzt?“, fragte Zahra. „Warum stehst du nur hier herum? Sie kann nur zum Hafen gegangen sein, wir sollten uns beeilen. Oder kannst du sie woanders spüren?“ „Genau genommen...“ Er hielt inne, obwohl es ihm bereits eine Weile bewusst gewesen war, nur dass er keinen Gedanken daran verschwendet hatte. „Ich spüre sie nicht. Entweder sind meine Sinne dafür nicht fein genug“ – auch wenn er es hasste, sich das eingestehen zu müssen – „oder Dougal hat sie möglicherweise wieder erwischt.“ In diesem Fall hatte er sie sicherlich bereits wieder in seine Burg gesperrt – oder sie zu einem seiner anderen Verstecke gebracht, vielleicht sogar eines, das Fion nicht einmal kannte – und würde sie bis zur nächsten Möglichkeit, seinen Versuch zu wiederholen, nicht wieder nach draußen lassen. Falls das wirklich so sein sollte, war für Fion alles verloren und er konnte nur hoffen, dass Dougals vorwitziger Plan erneut misslang. „Vielleicht hat Cain sie wieder mitgenommen“, erwiderte Zahra. „Er ist sicher auch sehr gut darin, Spuren zu verwischen und immerhin ist er ihr ja gefolgt, nicht wahr?“ Diese Alternative gefiel Fion wesentlich besser, weswegen er sich gedanklich lieber darauf konzentrierte. „Du hast recht. Bestimmt hat er sie erwischt und irgendwohin gebracht, damit sein Meister sich weiter amüsieren kann.“ Mit Abscheu dachte er an den Magier, der vermutlich gerade vor sich hinschmunzelnd beobachtete, wie all jene Parteien, die nach Tengaar suchten, nicht mehr so recht wussten, in welche Richtung sie sich wenden mussten. Das würde vermutlich so lange gehen, bis er sich langweilte und dann würde eine Änderung eintreten, die es der Handlung erlaubte, voranzuschreiten. Und in dem Moment, in dem er das dachte, spürte er, wie etwas regelrecht nach seiner Seele zu greifen schien. Es war die Magie einer anderen Person, die nach etwas zu suchen schien und deswegen als Energiewelle ausgesandt wurde. Aber sie war nicht kalt wie die von Cain und sie war auch nicht so melancholisch wie jene von Dougal, nein, sie war warm und gehörte eindeutig einer Person, die er kannte. „Ailis ist in Falena.“ Zahra blickte ihn überrascht an, aber ehe sie etwas sagte, konzentrierte sie sich auf ihre Rune und stieß dann einen gleichzeitig erschrockenen als auch erfreuten Schrei aus. „Und Rim auch! Sie sind beide nach Falena gekommen!“ Während sie sich offen darüber freute, verdüsterte sich Fions Laune dadurch nur weiter. Die beiden hatten nicht auf ihn gehört, also war vermutlich auch Hix bei ihnen, der ihnen allen nur ein Klotz am Bein sein würde, ganz zu schweigen davon, dass es seine Mission, Tengaar zu töten, nur unnötig erschweren würde, immerhin wollte er nicht auch noch den Kriegerlehrling umbringen müssen. Wäre er allein gewesen, hätte er das Dreiergespann daher einfach ignoriert und sich lieber auf die Suche nach Cain gemacht, aber da Zahra unbedingt darauf bestand, ihre Schwester wiederzusehen, konnte er das nicht einfach ablehnen. Also öffnete er, reichlich widerwillig, ein Portal, das sie direkt zu den anderen bringen sollte und dabei natürlich erfolgreich war. Wie er befürchtet hatte, war Hix ebenfalls anwesend, was nun aber nicht zu ändern war. Viel wichtiger war für ihn in diesem Moment etwas anderes, das er aus dem nicht weit entfernten Wald spüren konnte und ihn geradewegs zu verspotten schien – aber darum würde er sich noch kümmern. Mit langsamen Schritten näherte er sich der Gruppe. „Ich konnte Fion orten“, verkündete Ailis strahlend. „Und ich bin ziemlich sicher, dass er ebenfalls weiß, wo ich bin. Er wird bestimmt bald hier sein.“ „Bald ist ein wenig untertrieben“, warf Fion ein. Noch ehe die anderen sich ihm zuwenden konnten, stürmte Zahra auf Rim zu und umarmte sie bereits so heftig, dass ihr sichtbar die Luft wegblieb. Ailis sah glücklicherweise von einer Umarmung ab und Hix schien ohnehin fast schon ein wenig schuldbewusst, gleichzeitig war da aber auch ein trotziges Flackern in seinen Augen zu sehen. Fion konnte es nur allzugut verstehen, weswegen er eigentlich nicht weiter darauf eingehen wollte, aber... „Ailis, warum hast du nicht auf mich gehört?“ Sie lächelte entschuldigend. „Hix wollte unbedingt... und er kann sehr überzeugend sein, weißt du?“ Wenn man den Kriegerlehrling ansah, konnte man das zwar nicht so wirklich erkennen, aber Fion wusste, dass selbst Mäuse geradezu unentdeckte Kraftreserven freisetzen können, wenn sie sich in einer Notsituationen befinden und für Hix musste es genau so ausgesehen haben. „Schon gut“, sagte er daher, ehe der eigentlich Schuldige für Ailis' Vergehen das Wort ergreifen konnte, es war deutlich, dass er bereits überlegte, wo er anfangen sollte. „Du suchst nach Tengaar, das kann ich gut verstehen.“ „Weißt du, wo sie ist?“, fragte Hix hoffnungsvoll. In knappen Worten erklärte Fion, dass sie die Gesuchte aus Dougals Fängen befreit hatten und sich dafür nun in der Gewalt von Cain befand, was bei Ailis zu einem Frösteln führte, das derart intensiv war, dass sie sogar die Arme um sich schlingen musste. Hix sah sie fragend an, aber der Blick, mit dem sie antwortete, war deutlich genug, um zu sagen, dass sie es später erklären würde. Offensichtlich verstand er das tatsächlich, denn weder hakte er weiter nach, noch hielt er den Blickkontakt aufrecht und sah stattdessen lieber wieder Fion an, der nun mit der nächsten Nachricht aufwarten konnte: „Aber sie ist gar nicht so weit, wie ihr vermutlich glaubt. Ich kann Cains Magie deutlich spüren und sie kommt aus diesem Wald.“ Während Hix vor Aufregung fast die Luft anhielt, deutete Fion zum nahegelegenen Wald hinüber, so dass sich alle in diese Richtung drehten, Rim und Zahra tauschten bereits Mutmaßungen auf, wie sie am besten vorgehen sollte und eine davon war es, dass die Gruppe sich aufteilte, was Fion äußerst gelegen kam. Er wusste, es gab nur noch eine Chance, um seinen Plan durchzuführen. Er musste sich von den anderen trennen – und dann musste er Tengaar finden, bevor es Hix gelang. Tengaar hätte vor Wut am Liebsten laut geschrien und gegen den nächstbesten Baum getreten, so lange, bis entweder dieser nachgegeben oder ihr Fuß zu sehr geschmerzt hätte, auch wenn sie wusste, dass letzteres eher der Fall gewesen wäre. Allerdings war ihr keines von beidem möglich. Cain hatte ihr nicht nur die Hände auf dem Rücken festgebunden, sondern sie mit dem Oberkörper auch an einem Seil befestigt, das wiederum von dem hohen Ast eines Baumes hing, so dass sie nicht einmal den Boden unter den Füßen spürte. Und zuguterletzt hatte er – damit sie nicht nervte, wie er gesagt hatte – sie auch noch geknebelt, also musste sie sich darauf beschränken, ihn wütend anzufunkeln, was ihn allerdings nicht weiter zu stören schien. Er saß auf einem Felsen, die Beine fest auf dem Boden, den Oberkörper vornübergebeugt und wirkte angespannt, nicht so als würde ihm das alles irgendwie Spaß machen, sondern als hoffte er, dass alles bald vorbei war und er wieder dorthin gehen konnte, von wo er gekommen war. Unter anderen Umständen hätte Tengaar vielleicht Mitleid entwickelt, aber so konzentrierte sie sich viel lieber auf ihre Wut ihm gegenüber, da er sie in diese Situation, in der sie sich wie ein lebender Köder fühlte, überhaupt erst gebracht hatte. Dort, wo das Seil um ihren Körper spannte, brannte die Haut bereits, was ihren Zorn nur weiter anfachte, aber selbst ihr ersticktes Fluchen und ihr wütendes Strampeln brachten ihn nicht aus der Fassung. „Du verletzt dich noch, wenn du so weitermachst“, sagte er. „Und das wollen wir doch nicht, oder?“ Nur allzugern hätte sie ihm entgegengespien, dass er keine Ahnung hatte, was sie wollte, aber da das nicht ging, fuhr er einfach selbst fort: „Und dein Liebster will dich sicher auch nicht verletzt sehen, wenn er erst einmal hier ankommt.“ Abrupt hielt sie inne. War Hix etwa wirklich in Falena? Sagte er die Wahrheit? Oder log er sie an? Der realistische Teil ihres Gehirns sagte ihr, dass es nicht möglich war, dass Hix ebenfalls hier war, aber der andere, der romantische und verträumte Teil, entgegnete, dass es sehr wohl möglich war. Wenn sie mittels eines Zaubers hierher befördert worden war, musste das für ihn ebenfalls gegangen sein und damit war ihre Hoffnung, dass er sie retten würde, nicht vergebens gewesen. Er müsste sie nur noch finden... in einem fremden Land... während sie in einem Wald an einem Baum hing. Aber trotz der Auswegslosigkeit vertraute sie darauf, dass er kommen und sie retten würde, sogar vor diesem Cain, dessen Motivation sie nicht ganz nachvollziehen konnte und der ihr gegenüber auch kein Wort davon verlor, warum er das tat. „Ich habe gesehen, wie dieser Kerl“ – er spie das Wort aus, als würde er die gemeinte Person verabscheuen – „Dougal verletzt hat.“ Er muss Landis meinen... Tengaar runzelte ihre Stirn über dieses plötzliche Thema, von dem sie nicht wusste, wohin es führen würde. Glücklicherweise fuhr er direkt fort: „Soweit ich weiß, verfügt er über keine Heilmagie. Ich frage mich ja, was er wohl gerade deswegen tut.“ Zum ersten Mal wirkte er fast wirklich amüsiert, als bereitete ihm die Vorstellung eines verletzten Dougal, der versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, tatsächlich Vergnügen, was Abscheu in Tengaar auslöste. Wie konnte ein Mensch sich nur so sehr am Schmerz anderer erfreuen? Aber ihr blieb keine Zeit, sich in die Wut hineinzusteigern, denn der Klang eines Glöckchens verriet ihnen beiden, dass sie nicht mehr allein waren. Cain sprang sofort von seinem Felsen auf, legte eine Hand auf den Griff seines Schwertes und sah sich angespannt in alle Richtungen um. Ein leises Kichern erklang, gefolgt von einer süßlichen Stimme, die Tengaar noch nie zuvor gehört hatte: „Oh, das musst du dich nicht mehr lange fragen. Ich werde euch einfach beide zu Dougal bringen – denn wenn ich mit dir fertig bin, Eisherz, wirst du um unsere Gnade betteln!“ Obwohl Tengaar noch niemanden sehen konnte, stürmte Cain in eine bestimmte Richtung vor, zog in einer fließenden Bewegung sein Kurzschwert und griff gleichzeitig damit an. Tatsächlich ertönte ein dumpfes Geräusch und als endlich etwas sichtbar wurde, erkannte Tengaar, dass die Klinge auf ein Schild aus Licht geprallt war, erstellt von einer jung aussehenden, in Schwarz gekleideten Frau mit weißem Haar, das zu zwei Pferdeschwänzen gebunden war. Als Cain ausholte, um noch einmal anzugreifen, ließ sie das Schild verschwinden und verwandelte sich in eine schwarz-rote Fledermaus, um den Standort zu wechseln und dabei seinen wiederholten Schwertschlägen graziös auszuweichen. Tengaar hatte das Gefühl, ihr Innerstes würde gefrieren. Wieder fiel ihr die Gruft in Dougals Burg ein, die sie nicht hatte betreten wollen, nachdem sie gewusst hatte, was sich darin befand. Dougal hat sie wirklich hinter mir hergeschickt... Faolan hat nicht gelogen. Zu allem Überfluss schienen weder Cains Schwerthiebe, noch seine Magie diesen Vampir auch nur ansatzweise zu treffen. Da überraschte es Tengaar nicht weiter, dass die jung aussehende Frau mit einem siegessicheren Grinsen wieder vor ihm erschien. „Oh Eisherz, vielleicht hättest du mehr Zielübungen veranstalten sollen. Aber du hast deine Chance verpasst und die Höflichkeit gebietet es, dass ich mich vorstelle, ehe ich dich beiße: Mein Name ist Vena und du wirst mein nächster, unfreiwilliger Blutspender sein!“ Kapitel 23: Und am Ende... -------------------------- Fion hätte sicher nicht gedacht, dass seine Gelegenheit so schnell kam, aber schon nach wenigen Metern in den Wald hinein, gabelten sich die Wege, so dass es drei Möglichkeiten gab, weiterzukommen. Da keiner von ihnen wusste, welcher davon zu Tengaar führte, kam Fions Vorschlag nicht überraschend und erregte auch in niemandem Misstrauen. „Uns aufteilen klingt gut“, bekräftigte Ailis. „Damit kommen wir auf jeden Fall schneller zu Tengaar. Einer von uns muss ja den richtigen Weg nehmen.“ Ungeduldig verlagerte Hix das Gewicht von dem einen auf den anderen Fuß. „Und wie teilen wir uns auf?“ Am liebsten wäre er direkt vorausgestürmt, aber er wusste selbst, dass er das nicht allein konnte. Er brauchte jemanden bei sich, wenn auch nur als moralische Stütze. „Ich gehe mit Hix“, sagte Rim sofort, wofür er ihr äußerst dankbar war. Zahra griff nach Fions Robe, doch er schüttelte bereits den Kopf. „Ich will, dass du mit Ailis gehst. Jemand muss auf sie aufpassen.“ „Na vielen Dank“, sagte Ailis mit gespielter Empörung, widersprach allerdings nicht. Zahra erwiderte ebenfalls nichts, sondern stimmte stumm zu und begab sich an Ailis' Seite. Nachdem das besprochen war, zögerte Hix nicht mehr lange und lief los, wählte aufs Geratewohl einen Weg aus, dem er folgen könnte und überließ die restlichen Pfade den anderen. Rim schloss sich ihm direkt an. Sie schaffte es zwar nicht, mit ihm Schritt zu halten, aber ein kurzer Blick über seine Schulter versicherte ihm, dass sie ihn nicht aus den Augen verlor. Der von ihm gewählte Weg wurde offenbar kaum genutzt, immer wieder blieb er mit einem seiner Füße an einer hervorstehenden Wurzel hängen oder schlug ihm ein tief hängender Ast ins Gesicht. Doch auch die zahlreichen zurückbleibenden Kratzer schafften es nicht, ihn aufzuhalten. Er hoffte, Tengaar am Ende dieses Weges zu finden und sie endlich befreien zu können, wer auch immer dieser Cain war, der sie gerade gefangen hielt. „Bist du sicher, dass du das tun solltest?“, fragte Rim. Obwohl sie atemlos klang, schien sie immer noch genug Sauerstoff zu haben, um ihn während des Laufens anzusprechen. „Natürlich!“, antwortete er über seine Schulter hinweg. „Immerhin geht es um Tengaar!“ Und sobald es um sie ging, gab es kein Zaudern und Zögern. Über sich konnte er die Krähe sehen, als würde sie ihnen den Weg weisen wollen, Hix hoffte, dass es auch wirklich der richtige war und es nicht nur aus der Luft so aussah. Doch zu seiner unangenehmen Überraschung, endete der Weg unvermittelt auf einer Lichtung, was ihm auch erklärte, weswegen er kaum genutzt wurde. Umgeben von Bäumen, die so dicht wuchsen, dass zwischen ihnen nur noch Unkraut gedeihen konnte, das keinerlei Pfad mehr offenließ, wusste er nicht so recht, wohin er sich wenden sollte. „Das war der falsche...“, stellte er enttäuscht fest. Innerlich verfluchte er sich und sein Unglück bereits. Wenn er nicht den falschen Weg gewählt hätte, dann stünde er nun nicht an diesem Ort, sondern wäre vielleicht schon bei Tengaar. Die Krähe schwebte herab und ließ sich auf einem Ast nieder. Sie neigte den Kopf und beobachtete Hix dabei, wie er sich umsah und überlegte, ob er es schaffen könnte, das Unkraut mit seinem Schwert niederzumähen. Allerdings kam er zu dem Ergebnis, dass damit über kurz oder lang nur die Klinge stumpf werden würde, besonders wenn er dabei gegen die Bäume stieß. „Was soll ich tun?“ „Was würdest du tun, wenn Tengaar da wäre?“, fragte Rim. „Gar nichts... Tengaar hätte wahrscheinlich eine Idee. Oder wir würden einfach zurückgehen.“ Vielleicht wäre es wirklich besser, umzudrehen und einen anderen Weg zu nehmen, auch wenn er dadurch kostbare Zeit verlor. Ja, das wäre vermutlich wirklich das Beste. Augenblicklich fuhr er herum und begann, wieder in die andere Richtung zu marschieren. Er dachte gar nicht darüber nach, ob Rim ihm folgte und verfiel stattdessen nach einigen Schritten in einen Sprint. Halte durch, Tengaar! Ich bin auf dem Weg. Ailis rieb sich immer wieder die bloßen Oberarme, während sie auf dem Weg lief, den Hix und Fion ihr übrig gelassen hatten. Es war deutlich spürbar, dass im Wald Magie gewirkt wurde und das schien ihr jegliche Wärme zu nehmen. Genau wie das Verhalten von Fion. „Was ist eigentlich los mit ihm?“ Zahra, die neben ihr lief, hob fragend den Kopf. „Was soll mit ihm sein?“ „Na ja, er ist ziemlich seltsam. Als ob er irgendeinen Entschluss gefasst hätte, so ist er sonst nicht.“ Sie war schon eine Weile gemeinsam mit ihm unterwegs, deswegen schaffte sie es, seine Stimmungen zu erkennen, selbst wenn alle anderen es nicht konnten. Anscheinend nicht einmal Zahra. „Mir ist nichts aufgefallen. Er ist doch immer mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.“ „Ich hoffe, dass du recht hast.“ Ailis hielt inne, als sie etwas hörte. Es klang, als würde sich etwas mit ungeheurer Geschwindigkeit durch die Luft bewegen, gefolgt von dem signifikanten Zischen, das entstand, wenn man Windklingen zum Angriff hervorzauberte. Sie näherten sich also der Quelle der Magie. „Wahrscheinlich hat Hix ihn schon erreicht.“ Aber Ailis wollte sich gar nicht vorstellen, wie Cain mit jemandem wie ihm umspringen würde. Glücklicherweise schüttelte Zahra mit dem Kopf. „Das ist nicht Hix. Rim sagt, sie sind in einer Sackgasse gelandet und mussten umkehren.“ Ailis bemerkte das sanfte Leuchten auf Zahras rechter Hand, das von einer Rune zeugte. Die Zwillingsrune, über die sie stets miteinander in Kontakt standen, vorausgesetzt die Entfernung war nicht sonderlich groß, glühte und verriet damit wohl auch Rim gerade, dass Ailis' Weg der richtige war, so dass Hix diesen als nächstes nehmen könnte. „Dann bleibt eigentlich nur noch Fion, aber der würde sich doch nie mit Cain anlegen.“ Ailis war unentschlossen, was sie tun sollte. Sie wollte nicht in den Kampf hineingezogen werden, aber wenn Fion möglicherweise ihre Hilfe benötigte, dann musste sie ihm diese auch geben. Hix würde sich außerdem nicht aufhalten lassen, aber er könnte nicht gegen Cain bestehen, auch nicht gemeinsam mit Fion. Aber da nur in der Gegend herumstehen und Theorien spinnen ihr nicht weiterhelfen würde, beschloss sie schließlich, weiterzugehen, nur um festzustellen, ob es wirklich Fion war, der da gegen Cain antrat. Und vielleicht könnte sie einen Weg finden, Tengaar zu helfen, während ihr Entführer abgelenkt war. Je näher sie der Lichtung kam, auf der dieser Kampf stattfand, desto langsamer wurden Ailis' Schritte. Sie bückte sich, während sie vorsichtig weiter voranschlich, verborgen von Büschen, durch die sie nicht nur Cain sehen konnte, sondern auch eine Frau, die sie nicht kannte. Wieder kam ihr Zahra zur Hilfe, die ihr leise erklärte, dass es sich dabei um Vena handelte, eine vampirische Verbündete von Dougal. „Warum kann sie bei Sonnenlicht herumlaufen?“, fragte Ailis brummend. „Sie sollte in Flammen aufgehen und zu Asche zerfallen.“ „Meister Dougal hat sie mit einem Schutzzauber versehen. Sonst wäre sie doch sinnlos für ihn.“ Ailis musste zugeben, dass das wirklich Sinn machte. Wenn Cain also einen Gegenzauber kennen würde... allerdings wirkte er derart wütend, dass er nicht einmal auf diesen Gedanken kam. Sein Gesicht war vor Wut zu einer Grimasse verzerrt, seine ganze Konzentration galt nur noch Vena. Das war ein Nachteil für ihn – aber ein Vorteil für sie. „Wir werden Tengaar retten“, flüsterte Ailis. So vorsichtig wie möglich, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bewegte sie sich in Richtung der Gefangenen, die sie alsbald entdeckte. Glücklicherweise verstand sie aber offenbar selbst, dass sie nun einfach nur abwarten musste, so dass Ailis ihr kein Zeichen geben musste, sich ruhig zu verhalten. Am Baum angekommen, half sie Zahra, hinaufzusteigen, damit diese sich um die Fesseln kümmern konnte und drehte sich dann zu den Kämpfenden um. Diese waren immer noch mit sich selbst beschäftigt, was Ailis reichlich bemerkenswert fand. Keiner der beiden schien irgendwelche Ermüdungserscheinungen zu zeigen oder gar seine Konzentration zu verlieren. Lange konnte sie sich allerdings nicht damit beschäftigen, denn plötzlich landete Tengaar mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Die Befreite löste den Knebel, schwieg aber immer noch, sie wusste ganz genau, dass sie still sein musste. Ailis gab ihr zu verstehen, dass sie den Weg entlanggehen und dabei weiterhin möglichst leise sein sollte. Tengaar pumpte Luft in ihre Backen, als würde sie widersprechen wollen – und Ailis konnte es in gewisser Weise verstehen – doch dann zeigte sie sich vernünftig und folgte dem angegebenen Weg. „Oh~!“, erklang plötzlich eine amüsierte, weibliche Stimme. Ailis' Nackenhaare stellten sich mit einer unangenehmen Vorahnung auf, die sich sogleich bestätigte, als sie zu Cain und Vena blickte. Beide hatten innegehalten und starrten in ihre Richtung. Sie versuchte, unschuldig zu lächeln und hob die Hände. „H-he, schönes Wetter heute für einen Waldspaziergang, was?“ „Was hast du nur getan?“, säuselte Vena und hielt sich die Hand vor den Mund, scheinbar um ihr Lächeln zu verstecken, dabei warf sie einen Blick zu Cain, dessen Blick Ailis geradewegs aufzuspießen schien. Sie wollte zurückweichen, gleichzeitig aber auch keine Schwäche zeigen, diese Unentschlossenheit ließ sie auf der Stelle verharren und seinen Blick lediglich erwidern, während sie innerlich hoffte, dass er sich bald wieder beruhigen würde. Das tat er allerdings nicht, stattdessen setzte er sich in Bewegung, hielt jedoch gleich wieder inne, als Zahra vom Baum herabsprang und sich ihm mit ausgebreiteten Armen in den Weg stellte. „Kein Schritt weiter!“, verkündete sie entschlossen. Unschlüssig sah er auf sie hinab, offenbar nicht gewillt, ihr etwas anzutun. Vena tänzelte heran, legte ihre Arme auf Cains Schulter und blickte an ihm vorbei. „Owwww~. Will das kleine Mädchen sich als Heldin beweisen?“ Zahra warf ihr nur einen glühenden Blick zu und ignorierte sie sonst. Das entlockte Vena ein amüsiertes Schmunzeln. „Und anscheinend hat Cain eine Schwäche für kleine Mädchen.“ Diese Worte ließen ihn wieder aus seiner Starre erwachen, mit einer knappen Bewegung aus dem Ellenbogen schüttelte er die Vampirin ab. „Das reicht jetzt! Ich-“ Eine Explosion verhinderte, dass er den Satz beendete. Die Blicke aller richteten sich sofort in die Gegend, aus der das ohrenbetäubende Geräusch gekommen war. Für einen Moment waren sie alle still, nicht einmal Vena lächelte noch. Ailis fragte sich, was geschehen war, ob es noch einen weiteren Feind gab oder ob Dougal sie gar gefunden hatte und falls ja, wer nun der Leidtragende dieses Zaubers gewesen war. Zahras Rune leuchtete hell auf, dann gab das Mädchen ein erschrockenes Keuchen von sich, fuhr herum und rannte in Richtung der Explosion. Ailis zögerte keine Sekunde und folgte ihr. Nicht nur aus Sorge um die anderen, sondern auch um nicht mit den beiden Feinden allein zu bleiben und Gefahr zu laufen, dass sich deren Wut doch noch auf sie forcieren würde. Was hat Zahras Rune ihr nur gesagt?, fragte sie sich, während sie so schnell wie möglich den Pfad entlangrannte, dabei gleichzeitig versuchte, nicht zu stürzen und auch nirgends hängenzubleiben. Hoffentlich sind Fion und Rim in Ordnung... Mit leisem Grummeln rieb Tengaar sich die Oberarme, in die der Blutfluss nur langsam zurückkehrte. Am Liebsten hätte sie diesem Cain gezeigt, was sie davon hielt, derart gefesselt und dann aufgehängt zu werden – aber es war besser, wenn sie das sein ließ. Seine Kraft war der ihren ohne Zweifel überlegen und in diesem Fall war es schlichtweg dumm, sich mit ihm anzulegen. Wütend war sie dennoch und in ihrer Vorstellung tat sie Cain daher allerlei grausame Dinge an, die ihr einfielen. Erst das Knacken von Ästen ließ sie wieder innehalten. Sie wich einige Schritte zurück und starrte konzentriert ins Unterholz – nur um erleichtert aufzuatmen, als Fion heraustrat. „Ich erinnere mich an dich“, sagte sie lächelnd. „Du hast mir geholfen, aus dem Schloss zu fliehen. Fiongal, nicht wahr?“ Sie wusste, es sollte sie beunruhigen, dass er nicht lächelte, aber sie ging in diesem Moment einfach nur davon aus, dass er angespannt war. Dass er dann allerdings seinen Rapier hervorzog, sorgte doch dafür, dass sie schluckte. „Das ist richtig“, sagte er tonlos. „Aber diesmal bin ich nicht hier, um dir zu helfen.“ Tengaar wich noch weiter zurück, bis sie einen Baum in ihrem Rücken spüren konnte. „Warum tust du das jetzt?“ „Glaub mir, es ist besser, wenn du stirbst.“ Mit langsamen Schritten ging er auf sie zu. Sie stieß sich von dem Baum ab und lief zur Seite weg, doch er ließ einfach den Ast direkt vor ihr in Flammen aufgehen, worauf sie erschrocken wieder innehielt. „Solange du lebst, wirst du keine Ruhe mehr vor Dougal haben“, fuhr er fort. „Und ich kann nicht zulassen, dass er Treasa wieder aus ihrem Siegel befreit!“ Wütend stieß er den Rapier vor, doch Tengaar wich zur Seite aus. Sie versuchte, in eine andere Richtung zu entkommen, aber erneut tat sich eine Feuerwand vor ihr auf. Die sofort einsetzende Hitze ließ sie schwindelig werden und erinnerte sie unangenehm daran, wie trocken ihre Kehle war und wie sehr sie sich nach Wasser sehnte. Fion wandte sich ihr wieder zu. „Mach es mir nicht so schwer. Dann wird es auch nicht wehtun.“ Diesmal lief sie nicht weg, als er wieder den Rapier hob. Stattdessen blickte sie ihn wütend an. „Denkst du wirklich, ich lasse das einfach zu!? Denkst du, ich lasse mich einfach von dir töten?!“ „Was willst du schon tun?“, erwiderte er, hielt aber tatsächlich inne. Sie wusste nicht, was sie tun wollte, aber sie spürte, wie sich etwas in ihr aufbaute. All der Zorn auf die Umstände, die sie hierher geführt hatten, die Hoffnung, die immer wieder von der Verzweiflung zertrümmert worden war, ihre Sehnsucht nach Hix und auch ihre Müdigkeit, all diese Dinge vermengten sich in ihrem Inneren und ließen eine Energie entstehen, die sie nicht vollkommen verstand, aber die ihr in diesem Moment gerade recht kam. „Ich werde jedenfalls nicht sterben!“ Schlagartig entlud sich die aufgestaute Energie, sie spürte, wie eine immense Hitze, die schlagartig freigesetzt wurde, zu einer Explosion anwuchs. Die nahestehenden Bäume und Pflanzen brannten innerhalb nur weniger Sekunden nieder und zerfielen zu Asche, sie selbst wiederum spürte nichts von den züngelnden Flammen, für sie war nichts an der Temperatur verändert. Fion wich augenblicklich zurück, hielt sich schützend den Arm vor das Gesicht und wurde dabei von einer grünlich schimmernden Kugel, in deren Mitte er sich befand, geschützt. Kaum war das Feuer erloschen, sank Tengaar erschöpft zu Boden. Jegliche Kraft schien ihren Körper gemeinsam mit den Flammen verlassen zu haben. Deswegen glaubte sie erst, sich nur einzubilden, dass Dougal aus dem Nichts heraus neben sie trat und sie auf seine Arme hob. Erst, als sie den Boden nicht mehr unter sich spüren konnte, wusste sie, dass sie es nicht nur träumte und er sich wirklich bei ihnen befand. Fion kniete kraftlos auf dem Boden und konnte lediglich hilflos die Hand nach ihnen ausstrecken. Dougal blickte nur finster auf ihn hinab. „Wir sehen uns bald wieder, Bruder und dann werde ich siegreich sein. Trotz deiner Einmischung.“ Schritte erklangen und plötzlich konnte Tengaar weitere Personen wahrnehmen, wenn auch manche nur verschwommen. Sie sah Ailis und Zahra, Rim – und schließlich auch Hix, ein Anblick, der ihr Herz trotz der hoffnungslosen Situation leichter werden ließ. Sie wusste, er würde sie nicht retten können, dass es möglicherweise zu spät war, aber während diese verzweifelnde Erkenntnis sie erfüllte, spürte sie gleichzeitig Freude darüber, dass er gekommen war, um ihr zu helfen, trotz der Entfernung und Gefahren. Er war gekommen und das war alles, das zählte. Danke, Hix. Im selben Moment verschwand Dougal gemeinsam mit ihr, so dass sie diese Worte nicht mehr aussprechen konnte. Hix stolperte und stürzte in die Asche, als Dougal verschwand. Er war wieder so nah gewesen, nur wenige Schritte von ihr entfernt und erneut hatte er versagt. Warum geschah das nur immer ihm? Rim kniete sich vor ihn. „Alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“ „Es geht schon“, murmelte er und richtete sich langsam wieder auf. Noch war es nicht zu spät. Er hatte Tengaar mit sich genommen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er ihr nicht noch helfen könnte. Oder? Ailis und Zahra hatten sich derweil vor Fion gekniet – wobei das Mädchen doch eher stand, um auf gleicher Augenhöhe mit ihm zu sein. „Geht's?“ „Mir ist schon Schlimmeres passiert“, erwiderte er. „Aber er hat jetzt Tengaar.“ Zahra streckte den Arm aus und tätschelte ihm den Kopf. „Mach dir keine Gedanken deswegen. Du hast immerhin versucht, sie zu retten.“ Er sagte nichts darauf und erhob sich stattdessen. „Wir müssen ihn aufhalten.“ Hix' Aufmerksamkeit konzentrierte sich sofort auf ihn. „Was können wir noch tun?“ Was immer es war, würde er tun. Selbst wenn er dazu bis ans Ende der Welt reisen müsste, genau wie sein Schwur, damals in der Messingburg noch, es vorgesehen hatte. Eine Zeit, die ihm endlos viele Jahre entfernt schien. Ailis erhob sich ebenfalls und blickte Fion ebenfalls neugierig an. Offenbar kannte sie sich in diesem Bereich erstmals ebenfalls nicht aus, was dafür sorgte, dass Hix sich zumindest einmal nicht so weit außen vor fühlte. Doch Fion nahm sich Zeit für seine Antwort. Er klopfte sich die Asche von der Kleidung und ließ dabei nur Flecken entstehen, dann blickte er ernst in die Runde. „Ich weiß, wohin Dougal sie heute bringen wird und wir werden ihm folgen.“ Er machte noch einmal eine Pause und atmete tief durch, als kosteten ihn die nächsten Worte einiges an Überwindung – und Hix konnte durchaus verstehen, weswegen. „Direkt ans Ende der Welt.“ Kapitel 24: Leere Welt ---------------------- Hix fand es erstaunlich, dass Ailis sich von Fion tatsächlich überreden ließ, in ein Boot zu steigen – ein reichlich kleines sogar noch dazu. Begeistert war sie davon zwar nicht, sie saß mit gesenktem Kopf auf dem Boden und sie klammerte sich auch mit aller Macht wieder an ein kleines Fässchen, aber sie war drin. Ein nicht spürbarer Wind blähte das weiße Segel und trieb die Schaluppe über den Ozean. Aber sie fuhren langsam, viel zu langsam, wie Hix fand. „Wo befindet sich das... Ende der Welt denn?“, fragte er schließlich zögerlich. Fion antwortete nicht, er wirkte in Gedanken versunken, Ailis war zu sehr mit ihrer Furcht beschäftigt, um zu antworten und Zahra beobachtete aufmerksam das Wasser. Aber Rim, die ihm wieder einmal am Verlässlichsten erschien, antwortete: „An einem unbeachteten Ort im Ozean, westlich von Falena.“ „Ist es weit bis dorthin?“ Sie neigte den Kopf von der einen auf die andere Seite. „So ziemlich.“ Jegliche Hoffnung sank ins Bodenlose. „Dann werden wir doch nie dort ankommen, oder?“ Kaum hatte er diese Worte gesagt, kam auch noch dichter Nebel auf, als hätten sich alle Elemente gegen ihn und Tengaar verschworen. Doch während er der Verzweiflung nahe war, hörte er plötzlich ruhige Fions Stimme: „Nun mach dir keine Sorgen.“ „Ja“, stimmte Zahra sofort zu. „Du bist nicht umsonst mit Magiern unterwegs.“ Der Nebel wurde rasch immer dichter, so dass es Hix bald nicht mehr möglich war, auch nur die Hand vor Augen zu sehen. Überall um ihn herum existierte nur ein grauer Schleier und rätselhafte Schattenfiguren, er glaubte sogar, die Krähe dahingleiten zu sehen, war aber sicher, dass er sich das nur einbildete. So weit fort vom Festland würde nicht einmal eine verzauberte Krähe mit der Seele eines Magiers fliegen, sie wäre zu schwach dafür. An Bord des Bootes herrschte Schweigen, das Hix durch Mark und Bein ging und ihn für einen kurzen Moment befürchten ließ, die anderen wären allesamt verschwunden oder versteinert. Erst als Zahra ein Kopfschütteln andeutete, worauf die Schaluppe den Kurs ganz leicht zu korrigieren schien, war er wieder beruhigt. Und dann, kaum zwei Minuten, nachdem sie in den Nebel eingetreten war, lichteten die Schleier sich und Hix konnte ungehindert auf das starren, worauf sie zusteuerten. Mitten auf dem Wasser, als benötigte es keinerlei Land als Untergrund, befand sich ein Tor, das mit allerlei fremdartigen Verzierungen versehen war. Im Inneren wirbelte ein Strudel aus zahlreichen Farben, die miteinander zu Weiß verschmolzen und sich dann nach außen hin wieder schwarz färbten. Rund um das Tor herum befand sich diese Nebelwand durch die sie eben gefahren waren. Es gab einen kurzen, heftigen Ruck – dann stand das Boot still, als wäre es auf Grund gelaufen, obwohl Hix sehen konnte, dass das Wasser sich noch weiter erstreckte. „Willkommen am Ende der Welt“, sagte Fion, als er bereits auf den Rand stieg und dann die Sicherheit des Bootes verließ. Hix war überzeugt, dass der andere direkt untergehen und um Hilfe rufen würde – doch zu seiner Überraschung blieb er wenige Zentimeter oberhalb des Wassers mit den Füßen stehen, so dass seine Schuhe nicht einmal feucht werden könnten. Dort, wo er stand, schien Nebel unter ihm hervorzutreten, aber Hix konnte sich nicht lange darauf konzentrieren. Rim und Zahra folgten dem Beispiel ihres Begleiters und sogar Ailis ließ sich von ihm aus dem Boot helfen, nur um sich dann direkt danach an seinen Arm zu klammern. Er wollte sich sicher nicht nachsagen lassen, dass er ängstlicher war als sie, weswegen Hix sich schließlich auch daran machte, auf das Wasser zu steigen. Nur zögerlich setzte er einen Fuß nach draußen, während er sich weiterhin am Boot festhielt, auch als er festen Grund unter seinem Schuh spürte. Es fühlte sich nicht anders an als sonst irgendein Boden, auf dem er bislang gelaufen war, aber er fand auch keinen wirklichen Vergleich. Der Untergrund war nicht so hart wie Stein oder Asphalt, aber auch nicht so knirschend wie Sand oder Erde und schon gar nicht so nachgiebig wie Schlamm. Es war ein seltsames Gefühl, aber es vermittelte ihm Sicherheit, eine von jener Art, wie man sie eigentlich nur als Kind kannte, wenn man seinen Eltern noch bei allem vertraute, was sie einem sagten. Er wusste, es war vollkommen sicher, hier zu laufen. Da wurden ihm auch die anderen wieder bewusst und sofort nahm er den Blick von seinen Füßen, um sich nach ihnen umzusehen. „Komm“, sagte Fion. Es war nur ein Wort, aber es genügte, damit Hix ihm bis zum Tor folgte und je näher er ihm kam, desto imposanter kam es ihm vor. War es schon immer derart groß gewesen, dass er nun den Kopf in den Nacken legen musste? War es nur seine Einbildung, die ihm hier einen Streich spielte? „Ist das nicht ein etwas unsicherer Ort, um das Tor zu verstecken?“, fragte Hix. Er wusste nicht, warum ihm klar war, dass dieses Portal versteckt sein musste, es war, als ob dieser Strudel ihm Wissen einzuflößen versuchte, das ihm gar nicht zustand und ihm deswegen allerlei Details verwehrte. „Niemand, der kein Magier ist, kann diesen Ort erreichen“, erklärte Fion. „Der Nebel kann nur von jenen überwunden werden, die magisches Blut in sich tragen – oder sich in Begleitung einer solchen Person befinden.“ Wie hypnotisiert starrte Hix immer noch auf den Wirbel. „Und Tengaar ist dort drinnen?“ „Das ist sie.“ Fion trat nun direkt neben ihn. „Also lass uns ebenfalls hineingehen – und hab keine Furcht. Was auch immer du dort drinnen sehen wirst, du darfst unter keinen Umständen Angst zeigen.“ Ihr Kopf schmerzte wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Nicht einmal an diesem einen Morgen, nachdem sie sich aus Frust über Hix betrunken hatte und mit hämmernden Kopfschmerzen erwacht war, die den ganzen Tag anhielten. An diesem kam noch dazu, dass hier Kopf herabhing und sich bei jedem Schritt Dougals bewegte, was direkt in ihren Nacken zog und diesen sich anfühlen ließ, als wäre er zum Zerreißen gespannt. Sie wollte sich darüber aufregen, von seinen Armen springen und ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, aber sie war so furchtbar müde, dass selbst ihre Augen immer wieder zufielen. Sie konnte sehen, dass er durch eine Gegend lief, die ihr gänzlich unbekannt war, in der es Nebelschwaden gab, in denen es zu glitzern schien, durch die Gestalten huschten, deren Silhouetten sie nicht ausmachen konnte. „Wir sind gleich da.“ Er klang erschöpft, fast genauso sehr wie sie sich fühlte, aber dennoch lief er immer weiter. Fast schon fand sie sein Durchhaltevermögen bewundernswert. Doch schließlich sank er auf die Knie und ließ sie hinabgleiten. Sie landete auf dem Boden, über den eine dünne Schicht von Wasser floss, kaum genug um wirklich die gesamte Hand unterzutauchen. Auch der Sand im Wasser schien zu glitzern und ließ ihren Blick weiterwandern zu einem Kristall direkt vor ihr. Zuallererst stach ihr seine violette Farbe ins Auge, danach die Form, die an eine Träne erinnerte, die wiederum von zwei kristallinen Schwingen geschützt wurde. Ein helles Licht pulsierte um ihn herum, lockte allerdings keine der umherschweifenden Silhouetten an, als wüssten diese, dass es besser war, sich fern zu halten. Und dann – zuguterletzt – entdeckte Tengaar die Person im Kristall. Durch die Position der Schwingen war nur ihr Oberkörper, ab ihren Schultern aufwärts zu erkennen, aber allein schon das Gesicht und das Haar – das ganz sicher rosa sein musste –, das im Inneren des Kristalls zu flattern schien, als befände sich dort Wasser, genügten ihr, um zu wissen, dass es sich dabei um dieselbe Frau wie auf dem Porträt in Dougals Versteck handelte. „Treasa...“ „Ich habe es geschafft“, sagte Dougal erleichtert. „Gerade rechtzeitig.“ Als er, mit zitternden Beinen, wieder aufstand, erhaschte sie einen Blick auf ein klaffendes Loch in seiner Kleidung und dahinter ein notdürftiger Verband, der bereits rot gefärbt war. Doch selbst mit dieser Verletzung war es ihm möglich gewesen, sie den ganzen Weg zu tragen. Sie war wirklich überrascht. Als er sie abrupt am Oberarm wieder auf die Füße zog, leistete sie keinen Widerstand, die bleierne Müdigkeit wollte sie einfach nicht aus ihrem Griff entlassen. Ohne jedes weitere Wort warf er sie dem Kristall entgegen und kaum befand sie sich nur noch zwei Schritte von diesem entfernt, spürte sie, wie etwas die Hand nach ihr ausstreckte. Etwas, das sie nicht verstehen oder gar sehen konnte, aber kalt wie Eis war, griff nach ihr, zog sie näher, bis sie den Kristall schließlich mit beiden Händen berührte. Die Müdigkeit intensivierte sich schlagartig und zwang Tengaar, die Augen zu schließen. Doch sie wurde nicht von Dunkelheit empfangen. Stattdessen fand sie sich in einem Raum wieder, dessen Wände schwarz waren, durchzogen von zahllosen Sternen, die sich langsam bewegten, als wären sie Teil eines unaufhörlichen Wasserstroms. Die Fliesen, auf denen sie lag, waren ebenfalls schwarz, aber derart blank gewischt, dass sie sich darin spiegelte – sich und noch eine andere Person, die bei ihr war. Es war Treasa, die ihr gegenüberstand, einen Arm in die Hüfte gestemmt, den Kopf leicht geneigt. Ihr Blick hatte nichts von jener liebenswerten Anmut, die sie auf den Porträt präsentiert hatte, kein sanftes Lächeln zierte ihr Gesicht, dafür ein interessierter, aber manischer Blick, der Tengaar wünschen ließ, sich vor ihr verstecken zu können. Eine Rune, die ihr gänzlich unbekannt war, leuchtete an Treasas herabhängender Hand und gab ein bedrohlich rotes Licht von sich. „Du armes, armes Ding.“ Die Stimme erklang kalt wie klirrendes Eis und gleichzeitig spöttisch. „Ab sofort wirst du meinen Platz hier einnehmen – und ich den deinen. Deine Welt ist dem Untergang geweiht!“ Die Worte stachen in Tengaars Herz, wurden aber von der Müdigkeit gedämpft, als wäre sie plötzlich zu einem Schutzmantel geworden. Lachend legte Treasa den Kopf in den Nacken, während sie sich vor Tengaars Augen auflöste. Sie streckte noch kraftlos die Hand nach Treasa aus, aber diese war bereits fort, bis es ihr auch nur gelungen war, den Arm zu heben. Das Lachen verklang dagegen nur langsam, als wollte es Tengaar mit aller Macht daran erinnern, dass alles, was sie kannte und liebte, bald nur noch eine ferne Erinnerung sein würde – und sie war unfähig, etwas dagegen zu tun. Dieser Gedanke hätte sie normalerweise mit unbändiger Wut erfüllt, aber die Müdigkeit schritt auch hier ein, als gälte es zu verhindern, dass Tengaar ihre Kräfte mobilisieren und sich befreien könnte. Ihr blieb nur noch zu vertrauen, dass jemand erkennen würde, dass diese andere Person nicht sie war – oder dass sie zumindest aufgehalten wurde, bevor sie etwas zerstörte, egal mit welchem Mittel. Hix, bitte... du musst es schaffen! Der Gedanke an ihn war vorerst alles, was ihr blieb und so konzentrierte sie sich vollkommen auf ihn und hoffte, dass er alles wieder zum Guten wenden könnte. Kaum hatte sie das Bewusstsein wiedererlangt, wich Treasa von dem Kristall zurück, als fürchtete sie, er würde sie wieder zu sich zurückziehen, wenn sie zu lange bei ihm verharrte. Sie schenkte ihm noch einen letzten, abfälligen Blick – nie wieder würde sie sich in ein derartiges Gefängnis sperren lassen! – und wandte sich dann Dougal zu, der inzwischen in die Knie gesunken war. Was für einen erbärmlichen Eindruck er doch machte, wie er da auf dem Boden kniete, sich die Seite hielt, wo bereits dunkelrotes Blut durch die Kleidung sickerte. Es war ein Wunder, dass er es wirklich geschafft hatte, sie zu befreien – eines für das sie sich angemessen bedanken wollte. Mit ausgebreiteten Armen und einem sanften Lächeln, bewegte sie sich auf ihn zu. „Mein lieber Dougal... du bist wieder einmal gekommen, um mich zu retten.“ Erst in diesem Moment hob er den Kopf und als er in ihr Gesicht blickte, lächelte er bereits. Mit aller Hast richtete er sich auf und umarmte sie. „Treasa... ich habe es endlich geschafft.“ Seine Stimme, die so müde und erschöpft klang, wie es für einen Menschen nicht möglich sein konnte, verriet ihr, wie lange er für dieses Ziel gearbeitet und wie viel er dafür geopfert hatte. Und es berührte sie – wenn auch nicht so, wie er es sich vermutlich wünschte. Hauptsächlich füllte es sie nämlich mit Abneigung, Hass und Ekel. Sie musste diesen Schandfleck schnellstens aus der Welt schaffen, bevor er ihr, aus welchem Grund auch immer, doch noch im Weg stand. „Mein lieber Dougal“, sagte sie darum noch einmal, um ihn davon abzulenken, dass sie seinen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel hervorzog, „du hast es wirklich geschafft. Lass mich dir für all deine Mühen danken – und zwar so!“ Damit rammte sie ihm die Klinge bereits ins Herz. Er gab ein erschrockenes Keuchen von sich und entfernte sich dann mit geweiteten Augen von ihr. Sein Blick schrie Verrat und fragte nach dem Grund dafür, dem sie ihm aber nicht willens zu geben war. Mit unbewegter Miene beobachtete sie, wie er schließlich zu Boden sank und sein Brustkorb aufhörte, sich zu heben. Treasa sah keinen Grund darin, um ihn zu trauern. In ihren Augen hatte er die gerechte Strafe für all seine Taten bekommen und der Rest der Welt würde ihm nachfolgen. Um nach draußen zu kommen, müsste sie allerdings ein wenig tricksen. Also ließ sie sich neben Dougal auf die Knie nieder und tat ihr möglichstes, um so überzeugend zu weinen, wie es nur ging. Hix war der erste, der das leise Schluchzen hörte und obwohl er sich in einer vollkommen fremden Umgebung befand, in der ihn möglicherweise so ziemlich alles umzubringen gedachte, wusste er sofort, dass es sich hierbei um keine Gefahr handelte: „Das ist Tengaar!“ Fion war da allerdings weniger überzeugt: „Bist du sicher?“ Er nahm sich erst gar keine Zeit zu antworten und rannte sofort in die Richtung, aus der er das Schluchzen hören konnte. Und tatsächlich, dort fand er, nach wenigen Metern bereits, Tengaar, die neben Dougals leblosem Körper kniete und weinte. Hix kümmerte sich in diesem Moment nicht um den Entführer und auch nicht um die Tränen, stattdessen kniete er sich eilig neben die lang Vermisste und legte seine Hände auf ihre Schultern, um zu spüren, dass er sie wirklich bei sich hatte. „Tengaar!“, rief er aus, nachdem er überzeugt war. „Endlich habe ich dich gefunden!“ Es war als ob sämtliche Sorgen der letzten Zeit hinweggespült wurden, fortgetragen von der Ebbe, die sich nach der Flut zurückzog. Er war wieder mit Tengaar vereint und er würde dafür sorgen, dass es so blieb! Sie hob den Blick, um ihn anzusehen und in der Sekunde, in der er in ihre Augen blickte, wusste er, dass etwas nicht stimmte, aber er konnte absolut nicht sagen, worum es sich dabei handelte. Also schob er es einfach auf die Tatsache, dass Tengaar normalerweise nicht weinte und stellte stattdessen lieber eine andere Frage: „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Mit mir schon“, brachte sie hervor und blickte auf Dougal hinab. „Er wollte mir etwas tun, also habe ich mit ihm gekämpft... und ihn umgebracht.“ Es war wirklich nicht ihre Art, über so etwas zu weinen, nicht als Tochter von Zorak, aber diesmal schob er das einfach auf die Anspannung der letzten Tage, die endlich von ihr abfallen konnte. Für sie musste es eine mindestens ebenso schwere Zeit gewesen sein wie für ihn – nein, noch viel schlimmer! Er wollte sich gar nicht ausmalen, welche Ängste sie ausgestanden haben musste. Plötzlich nahm sie eine seiner Hände und blickte Hix wieder direkt an. „Aber du... du bist hierher gekommen, um mich zu retten. Bis in diese andere Welt.“ Etwas verlegen schlug er die Augen nieder. „N-natürlich. Du weißt, d-dass ich alles für dich tun würde, Tengaar...“ Sei es gegen einen Vampir anzutreten, gegen ein Einhorn, gegen einen Magier oder eben in eine andere Welt zu reisen, für Hix gab es da gar keine Frage, solange es um Tengaar ging. „Ich danke dir“, sagte sie leise. Ehe er darauf reagieren konnte, traten die anderen dazu und starrten auf Dougals leblosen Körper hinab. Keiner von ihnen kam nahe genug, um nach seinem Puls zu fühlen oder seinen Atem zu kontrollieren, sie waren allesamt überzeugt, dass er tot war und blickten dementsprechend auch bedrückt – besonders Fion sah auf ihn hinab, als erwartete er jeden Moment eine spontane Wiederauferstehung. Hix verspürte den irrigen Drang, sich dafür zu entschuldigen, ließ es aber sein, da Tengaar in diesem Moment bereits aufstand und ihn mit sich nach oben zog. „Seid ihr alle gekommen, um mich zu retten?“, fragte sie monoton. Zahra fand als erstes ihre Sprache wieder: „Sind wir. Aber wie es aussieht, hast du dich ja schon selbst gerettet.“ Ihre Worte klangen vielmehr nach einer Aufforderung, zu erzählen, wie es dazu gekommen war, aber Tengaar ging nicht darauf ein und schwieg. Sie bedankte sich auch nicht für die Hilfe. „Können wir dann gehen?“, fragte Ailis. „Mir ist dieser Ort nicht geheuer.“ Die anderen stimmten direkt zu, bis auf Fion, der selbst dann noch blieb, als die anderen sich langsam auf den Rückweg machten. „Er will sich nur verabschieden“, erklärte Rim auf Hix' Frage. „Er wird nachkommen.“ Damit gab er sich zufrieden und folgte schweigend Ailis, die ihn und Tengaar hinausführte und dann auch hoffentlich nach Hause zu bringen gedachte. Von Abenteuern – und da sprach er sicherlich auch für Tengaar, wie er glaubte – hatte er endgültig genug. Kapitel 25: Schutzlos --------------------- Dougal war tot. Cain spürte, wie die Magie des anderen verschwand, wie sie versuchte, sich verzweifelt an die Welt der Lebenden zu klammern, während sie unaufhörlich weiter zerrann, bis nichts mehr von ihr übrig bleiben würde. Er war mit Bedauern gestorben, ohne all seine Ziele erreicht zu haben und deswegen wollte die Magie, der mächtigste Teil seiner Seele, nicht loslassen. Er wollte beenden, was er geplant hatte, notfalls durch seine Verbündete Vena – aber Cain würde das nicht zulassen. Ohne Dougal war der Schutz seines Verstecks hinfällig, weswegen es ein Leichtes war, in die Festung einzudringen und dort im Innenhof zu warten, dass Vena zurückkehrte. Sobald der Zauber, der sie vor dem Verbrennen durch die Sonne bewahrte, ebenfalls erloschen war, würde sie hierher zurückkommen, um sich in ihrem Sarg auszuruhen und neue Kraft zu sammeln, damit sie nicht würde sterben müssen. Ihr Auftrag war immerhin noch nicht vorbei, auch wenn Cain nicht wusste, wie er nach dieser unerwarteten Planänderung lauten würde – und wer wollte außerdem schon gerne sterben? Sobald er sie aber erst einmal abgefangen hätte, wäre das alles auch vorbei. Ihr Tod würde Dougals letzte Magie aus dieser Welt tilgen – und er wäre Genugtuung für Cain. Bislang war sie seine einzige Feindin, die entkommen war, aber er würde schon dafür sorgen, dass dies nicht noch einmal geschah. Noch während er darüber nachsann, wie er das am besten und am Zufriedenstellendsten für ihn bewerkstelligen sollte, spürte er plötzlich die Aura einer weiteren Person. Als er den Blick hob, erwartete er, eine Fledermaus zu sehen, die wegen der Schmerzen durch die Luft trudelte, doch stattdessen entdeckte er einen fremdartigen Nebel, dessen weißliche Färbung ihn fast durchsichtig machte, so dass man ihn wirklich nur bemerkte, wenn man sich darauf konzentrierte. Erst im Schatten der Bäume verwandelte der Nebel sich in Vena, die torkelnd in Richtung des Grufteingangs wankte. Ich verstehe. Eine Fledermaus wäre zu anfällig gewesen, der Nebel allerdings nicht. Bevor sie die Gruft erreichen konnte, trat Cain auf den Weg, um sie aufzuhalten. Sie hob den Blick, so dass er sehen konnte, wie ihr kalter Schweiß auf der Stirn stand, was ihn mit einem ungewohnt zufriedenen Gefühl erfüllte. „Was willst du denn?“, fauchte sie. „Denkst du etwa, ich lasse dich damit davonkommen, mich aufhalten zu wollen?“ Sie runzelte wütend ihre Stirn, in ihren Augen flackerte dagegen Panik. „Das werden wir ein andermal klären. Jetzt will ich erst einmal schlafen.“ „Tja, ich bin aber hellwach.“ Kaum hatte er ausgesprochen, zog er bereits sein Kurzschwert hervor und stürmte auf sie zu. Mit einem uneleganten Fall zu Boden, wich sie diesem Angriff aus. Seinem darauf folgenden Tritt entging sie mit einer Rolle zur Seite. Als sie sich wieder aufrichtete, sah es so aus, als würde sie sich erneut verwandeln wollen – doch das Leuchten um ihren Körper erlosch sofort, ohne diesen verändert zu haben. „Dein Zauber wirkt wohl nicht mehr“, spottete Cain. „Bist du bereits derart schwach?“ Sie sah ihn wieder an, den Blick diesmal voll Zorn und Gier – er wusste, wonach sie gierte, würde das aber mit Sicherheit nicht zulassen. Mit ihrer letzten, verbliebenen Kraft, stürmte sie auf ihn zu, um ihn zu beißen, aber es erforderte nicht viel von ihm, dem zu entgehen. Ein knapper Schritt zur Seite genügte, um sie ins Leere laufen zu lassen, derart verkümmert waren ihre Reflexe bereits, stumpf geworden durch ihren immer schwächer werdenden Körper. Es amüsierte Cain auf ungeahnte Art und Weise, wie ungeschickt sie sich plötzlich anstellte. Fast schon glaubte er, endlich seinen Meister und dessen Wahl der Freizeitgestaltung verstehen zu können. Allerdings hatte sein Meister nicht mit jeder dieser Personen eine eigene Rechnung zu begleichen, im Gegensatz zu ihm an dieser Stelle. Vena stürzte zu Boden, sie keuchte leise und stieß gleich darauf ein Knurren aus. „Verdammt!“ Rauch kräuselte sich von ihrem Körper in die Luft und verriet, dass selbst der Schatten nicht mehr ausreichte, sie zu schützen. Sie wusste es ebenfalls und schleppte sich daher, mit vorgebeugtem Oberkörper, wieder in Richtung der Gruft, ungeachtet der Tatsache, dass Cain noch immer davorstand. Er könnte sie einfach abhalten, ins Innere zu kommen und dann warten, bis sie gänzlich verbrannte. Aber danach stand ihm im Moment nicht der Sinn. Also holte er mit dem Kurzschwert aus, trieb es ihr durch den Oberkörper und rammte es dann in den Boden, um sie dort festzuhalten. Nach einer größeren Anstrengung als das, stand ihm ebenfalls nicht der Sinn. Sie stieß ein erschrockenes Keuchen aus und hob den Blick, um ihn wütend anzusehen. Er hätte sich vor sie knien können, um mit ihr zu sprechen, aber statt sich derart für sie hinabzubegeben, erwiderte er ihren Blick von oben herab, damit sie auch in ihrem letzten Moment noch deutlich merkte, wie sehr er über ihr stand. „Niemand macht sich über mich lustig, auch du nicht.“ Ihre hasserfüllten Augen schienen ihn direkt zu durchbohren, aber das kümmerte ihn auch nicht weiter. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie komplett verschwunden war, er empfand dies als gerechte Strafe für ihr Verhalten. „Pff~.“ Sie begann leise zu lachen. „Ich habe nur die Tatsache ausgesprochen, dass du kleinen Mädchen nichts antun kannst – und das sieht für mich nun einmal deutlich danach aus, dass du interessiert an ihnen bist.“ Er versetzte ihr einen Tritt, der sie aufkeuchen ließ; das Schwert schnitt nach rechts, als ihr Oberkörper sich abrupt in die andere Richtung bewegte. Aber es imponierte ihm ein wenig, dass sie selbst in diesem Moment noch derart vorlaut sein konnte, statt um ihr Leben zu betteln. Andererseits wusste sie wohl auch, dass es nichts bringen würde und wollte deswegen nicht so ... untergehen. „Du wirst mich nicht betteln hören“, fauchte sie, als wären ihr seine Gedanken bekannt, weswegen er sich unwillkürlich fragte, ob sie ihn wohl so einfach durchschauen konnte. Aber natürlich ließ er sich das nicht anmerken. „Zu schade, dann muss ich mir ja nicht mal ein schlechtes Gewissen machen, dass ich dich sterben lasse. Das sollte dich doch stören, oder?“ Doch auf diese Provokation bekam er die eigenartigste Antwort, die es für ihn geben könnte:„Wenn ich erst einmal tot bin, kümmert mich das nicht mehr weiter.“ Sie war überraschend vernünftig für eine Feindin, wie er feststellte. Er bedauerte fast, dass sie keine weitere Zeit miteinander verbringen würden. Immer mehr Rauch stieg von ihr auf, kräuselte sich in den Himmel hinauf und verkündete, dass es nicht mehr lange dauern würde. Cain trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie sie sich langsam aufzulösen begann. Es war nicht so als würde man einen Menschen dabei beobachten, langsam von innen heraus zu kochen, sondern als würde Papier Feuer fangen. Ihre weiße Haut schien plötzlich von innen heraus zu glühen, brach auf, als würde Lava herauskommen wollen, aber stattdessen breitete sich die Glut nur immer weiter aus, bis ihr ganzer Körper davon vereinnahmt war. Dieser ganze Prozess ging überraschend schnell vonstatten, aber sie schrie die ganze Zeit über, wie es von jemandem zu erwarten war, der einen solchen Vorgang durchmachte. Doch nicht einmal dieser Laut schaffte es, Cains Herz zu berühren. Er beobachtete, wie sie verglühte, bis sie schließlich vollständig zu Asche verfiel und es kümmerte ihn nicht weiter. All der grimmige Respekt, den er bis eben noch für sie empfunden hatte, war hinfortgeweht, genau wie die Asche, die in diesem Moment vom Wind ergriffen und fortgetragen wurde. Er sah ihr nach, bis sie vollkommen aus seinem Blickfeld verschwunden war und zuckte dann mit den Schultern. Dabei nahm sie Dougals letzte Hoffnung mit sich und ließ auch den noch verbliebenen Rest seiner Magie sterben. Für einen kurzen Moment musste er tatsächlich freudlos lächeln, aber es erlosch sofort wieder. Stattdessen trat er wieder einen Schritt näher und zog sein Kurzschwert aus der Erde heraus, um es wieder einzustecken. Es wird langsam Zeit. Ich muss mir überlegen, wie ich weiter fortfahren soll. Damit wandte er sich bereits ab und ging mit langsamen Schritten davon, ohne noch einen weiteren Gedanken an Vena zu verschwenden. Es gab zwar keinen Sinn mehr, dass er sich weiter um Tengaar kümmern sollte, aber sein Meister hatte ihn auch noch nicht zurückbeordert, also war der Auftrag noch nicht vorbei – und er würde sich bis zum Ende darum kümmern. Ailis mochte die Atmosphäre bei ihrer Rückfahrt nicht, was sie glücklicherweise von ihrer Angst vor dem Wasser ablenkte, sie aber viel zu besorgt sein ließ, was später wieder zu Kopfschmerzen führen würde, wie sie wusste. Tengaar hatte Hix' Arm umschlungen und klammerte sich an ihn, er schien vollkommen gelöst und einfach nur entschlossen, wieder heimzugehen. Die beiden Mädchen starrten mit leerem Blick in die Entfernung, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass sie sich miteinander unterhielten und Fion war während des Navigierens vollkommen in seine eigene Welt versunken, vermutlich dachte er immer noch an Dougal. Ailis' Gedanken drehten sich allerdings bereits um etwas ganz anderes. Etwas, das sie vergessen hatte, das aber irgendwo tief in ihrem Gedächtnis immer noch vorhanden war und ihr nun etwas mitzuteilen versuchte, ohne dass sie es verstehen konnte. Es hatte etwas mit Tengaar zu tun, das war deutlich, aber worum es sich dabei genau handeln sollte, blieb ihr verschlossen. Dass ihr keiner der anderen dabei helfen konnte, dieses wichtige Thema zu erörtern, trug sie ihnen allen übel nach. Aber sie hoffte, dass die beiden Zwillinge zumindest darüber sprachen. Als Tengaar Ailis' wiederholten Blick zu bemerken schien, schmiegte sie sich noch ein wenig dichter an Hix und schmunzelte dabei. Es war ein wenig so, als wäre sie schutzlos, obwohl jeder von ihnen eigentlich wusste, dass sie das nicht einmal im Mindesten war. Schutzlos ... hum, woran erinnert mich das nur? Vielleicht wollten ihre Gedanken sie gar nicht an Tengaar erinnern, sondern an jemand anderen? Warum können sie sich dann nicht deutlicher ausdrücken? Doch mitten in diese Überlegungen hinein, erklang plötzlich Fions Stimme: „Wir sind gleich da. Dann werden wir uns ein Gasthaus suchen, um dort die Nacht zu verbringen, ehe wir euch nach Hause bringen, ist das in Ordnung?“ Tengaar nickte sofort und nach einem kurzen Moment schloss Hix sich dem an. Dabei wirkte es so, als hätte er die Worte nicht einmal wirklich mitbekommen und das brachte Ailis wieder auf einen anderen Gedanken: Vielleicht ist es auch nicht Tengaar, die hier schutzlos ist, sondern Hix ... was auch immer hier gespielt wird. Kapitel 26: Der Anfang vom Ende ------------------------------- Die Gruppe verbrachte die Nacht in einem Gasthaus für Reisende außerhalb einer Stadt. Hix war nicht nur erleichtert, endlich wieder in einem Bett liegen zu können – es kam ihm vor als wäre das letzte Mal eine Ewigkeit her – sondern auch Tengaar bei sich zu haben. Gut, sie war reichlich anhänglich, was er nicht von ihr gewohnt war, aber sie hatte in den letzten Tagen viel durchgemacht, da fand er es in gewisser Weise auch verständlich. Dass sie allerdings einfach nicht von ihm ablassen wollte und so direkt neben ihm liegen musste, irritierte ihn doch zunehmend. Das war schweigend nicht zu ertragen. „Wie fühlst du dich, Tengaar?“ Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie darauf reagierte, dann hob sie aber den Blick, um ihn anzusehen. Wieder spürte er dieses irritierende Gefühl in seinem Inneren, dass etwas nicht richtig war, als er in ihre Augen sah, aber er schob es erst einmal beiseite, besonders da sie in diesem Moment bereits antwortete: „Schon viel besser. Danke für deine Hilfe, Hix.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, konnte dort aber nicht bleiben, da er sich zu ausgelaugt dafür fühlte. „Da gibt es nichts zu danken, ich habe dir gern geholfen.“ Sie reagierte darauf, indem sie sich weiter an ihn schmiegte und ihre Finger über seinen Arm streichen ließ. Das ließ ihn weiter unruhig werden, weswegen er versuchte, von ihr fortzurutschen, was allerdings daran scheiterte, dass sie die entstehende Distanz sofort wieder ausglich. „Ich möchte dir aber angemessen danken, Hix“, sagte sie. „Willst du mir das wirklich verwehren?“ Das wollte er eigentlich nicht, aber das ungute Gefühl in seinem Inneren wollte einfach nicht schwinden. Er konnte nicht sagen, woher es rührte, aber egal wie oft er es wegschob, es kam immer wieder zurück, um sich noch ein wenig fester in seinen Nacken zu verbeißen. Er nahm den Blick von ihren Augen und sah zum Fenster hinüber, hinter dem sich die Nacht ausgebreitet hatte. Für einen kurzen Moment glaubte er, die Krähe dort zu sehen, aber im Dunkeln war nichts zu erkennen, schon gar kein schwarz gefiederter Vogel, weswegen er den Gedanken direkt verwarf und ihn auf seine Anspannung schob. Tengaar näherte sich inzwischen seinem Gesicht mit ihrem und neigte den Kopf ein wenig. „Hix, warum bist du so nervös?“ Sie flüsterte fast, es fiel ihm schwer, sie richtig zu verstehen. Er antwortete nicht, aber das störte sie nicht, sie fuhr einfach fort: „Ich will dir nur danken, nicht dich umbringen.“ Ein seltsames Lächeln umspielte dabei ihre Mundwinkel und ein Glitzern erschien in ihren blauen Augen, die ... Er stutzte sofort. Die Augen dieser Frau waren blau! Aber Tengaars Augen waren braun! Warum war ihm das bislang nicht aufgefallen? Doch als ihm diese Erkenntnis endlich gekommen war, schubste er sie sofort von sich, wobei sie beinahe vom Bett heruntergefallen wäre. So konnte sie ihn allerdings nur verwirrt ansehen. „Wer bist du?“, fragte er. Sie zog die Brauen zusammen. „Was meinst du?“ Ihre Stimme, die plötzlich vollkommen anders war, als noch zuvor – oder kam es ihm nur so vor? – klang drohend, als würde sie nicht wollen, dass er weitersprach, was allerdings ein Gefallen war, den er ihr nicht tat: „Du bist nicht Tengaar! Also, wer bist du?“ Tengaar seufzte schwer, schüttelte den Kopf und hob die Schultern. „Du bist wirklich nicht dumm, wie schade.“ Hix sah sie einfach nur schweigend an und wartete darauf, dass sie ihm erklärte, wer sie denn nun war, auch wenn er da bereits eine gewisse Ahnung verspürte. „Ich bin Treasa“, bestätigte sie schließlich. „Im Körper deiner geliebten Tengaar.“ Dabei lächelte sie warmherzig, obwohl ihre Augen kalt blieben und ihm einen Schauer über den Rücken jagten. Er erinnerte sich an die Erzählung Lokis über die junge Frau und all die Leute, die in sie verliebt gewesen waren und auch daran, dass die Rune, die sie erhalten hatte, ihren Verstand bis zum Wahnsinn zersetzte. Sein Blick wanderte zu ihren Händen hinab, aber dort war, zumindest im Moment, nichts zu sehen. „Wo ist Tengaar?“, fragte er heiser. „Dort, wo ich bis eben noch selbst war“, erwiderte sie. „Und du hast sie dort einfach zurückgelassen.“ Sein Körper begann zu zittern, aber nicht aus Furcht, sondern Tatkraft. Er schaffte es, an ihr vorbei von dem Bett aufzustehen. „Ich muss sofort zurück!“ Sie griff nach seiner Hand, um ihn davon abzuhalten. „Warte doch! Warum willst du sie zurückholen?“ Mit erstaunlich viel Kraft zog sie ihn zu sich herunter, damit er sich wieder neben sie setzte. Dann schmiegte sie sich an ihn, ohne seine Hand loszulassen. „Wir könnten zusammen so glücklich sein. Du und ich, irgendwo auf dieser Welt.“ Die Finger ihrer freien Hand strichen zärtlich über seine Wange, doch ihre Berührung jagte ihm nur einen weiteren Schauer über den Rücken und erregte furchtbare Übelkeit in seinem Inneren. Diese Frau war nicht Tengaar und das wurde ihm mit jeder Sekunde deutlicher, was seine Abneigung gegen sie nur verstärkte. Dennoch bemühte er sich, erst einmal ruhig zu bleiben, weil ihn eine bestimmte Frage mehr interessierte: „Warum?“ „Hm?“, fragte sie irritiert. „Warum möchtest du gerade mit mir leben?“, fuhr er fort. „Und warum sollte ich dir glauben, dass du plötzlich aufgibst, so bösartig zu sein, wie damals, als du eingesperrt wurdest?“ Sie schwieg, mit gesenktem Kopf, so dass er nicht einmal in ihrem Gesicht lesen konnte, was sie wohl gerade dachte oder ob sie vielleicht nur versuchte, sich auf eine Lüge vorzubereiten. „Weißt du überhaupt, weswegen ich so bösartig wurde?“ Er erinnerte sich an Lokis Geschichte zurück und neigte dann den Kopf. „Diese Rune zersetzte deinen Verstand, nicht wahr?“ „Das schaffte sie nur, weil ich einsam war.“ Sie klang bedrückt. „Alisdair, der einzige, der mich verstand und wirklich geliebt hatte, war tot.“ Hix glaubte, nicht einmal wirklich erfassen zu können, wie es ihr ergangen sein musste, mit einer vollkommen unbekannten Rune auf der Hand, ohne jemanden, der sie verstehen konnte. Eine Rune, die noch dazu versucht, seinen eigenen Wirt zur Zerstörung anzutreiben. Plötzlich wirkte sie aber wieder wesentlich zuversichtlicher, sie hob den Kopf und lächelte dabei sogar. „Aber das ist jetzt vorbei! Du und ich können wirklich glücklich zusammen werden.“ Er versuchte, vor ihr zurückzuweichen, aber ihr Griff war viel zu fest. Sie bemerkte sein Verlangen aber natürlich und reagierte darauf sofort mit einer weiterführenden Erklärung: „Ich habe gesehen, wie sehr du gekämpft hast, um Tengaar zu erreichen und das, obwohl deine Fähigkeiten nur sehr eingeschränkt sind. Dennoch hast du es am Ende geschafft, zu ihr zu kommen und nun bist du bei mir – das muss Schicksal sein.“ Eigentlich hielt er das eher für einen sehr ungünstigen, von Dougal beeinflussten Zufall, aber das konnte er ihr nicht sagen, schon allein, weil sie ihm wieder zuvorkam: „Lass uns zusammen leben, so wie du mit Tengaar gelebt hättest. Für dich kann ich Tengaar sein!“ Ihre Augen glitzerten erwartungsvoll, in ihrem Lächeln war Verzweiflung zu sehen. Er wusste, er würde ihr das Herz brechen müssen, aber er konnte nicht anders, nicht wenn er dabei an sein eigenes Herz denken wollte – und das tat er. Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein, das kannst du nicht.“ Für eine Sekunde geschah gar nichts und Hix wollte schon erleichtert aufatmen, aber dann wurde ihr Griff plötzlich geradezu schmerzhaft, so dass er einen leisen Schmerzenslaut ausstieß. „Du stößt mich also von dir?“, fragte sie drohend. „Einfach so?“ „Nicht einfach so. Ich liebe Tengaar und nicht dich. Ich möchte nur mit ihr zusammen sein. Auch wenn du wie sie aussiehst, bist du nicht sie.“ Ihre Augen schienen aufzuglühen, als er das sagte und im selben Moment spürte er, wie ein viel zu heißes Gefühl gerade seine Hand durchflutete. Hastig zog er sie zurück und blickte dabei unweigerlich auf ihre hinunter. Dort war inzwischen eine Rune erschienen, die er noch niemals zuvor gesehen hatte. Sie sah aus wie ein roter Flügel, der gerade versuchte, sich zusammenzufalten. Ein bedrohliches, blutrotes Licht ging davon aus, das Hix sofort aufstehen und zurückweichen ließ. Sie folgte seinem Beispiel und erhob sich ebenfalls. Allerdings machte sie keine Anstalten, die Distanz auszugleichen, stattdessen winkelte sie lediglich den Ellenbogen an, so dass er die glühende Rune noch besser als zuvor sehen konnte. „Dann willst du mir also auch nicht helfen.“ Ihr Gesicht war plötzlich ausdruckslos, nicht einmal Hass war darin zu sehen, auch wenn er genau das eigentlich erwartet hatte. „Ich will“, erwiderte er. „Ich will es wirklich! Aber nicht so!“ Doch sie hatte keinerlei Gehör für seine Worte. „Wenn du mir nicht helfen willst, habe ich auch keine Verwendung mehr für dich.“ Die Rune begann heller zu leuchten und fesselte Hix' Blick. Auch wenn er wusste, dass er zu fliehen versuchen sollte, gelang es ihm nicht, seine Beine schienen fest mit dem Boden verwurzelt zu sein und erlaubten es ihm nicht, auch nur einen Schritt zu machen. Während das Licht immer heller wurde, verlor er gleichzeitig mehr und mehr seines Willens, bis er fast schon selbst bereit war, sein Leben freiwillig aufzugeben. Doch bevor sie ihm daraufhin diesen Wunsch erfüllen konnte, wurde er von einem lauten Geräusch wieder aus dieser Trance geweckt. Sein Blick wanderte zum Fenster, wo nun tatsächlich eine Krähe zu sehen war, die immer wieder versuchte, mit dem Schnabel die Scheibe einzuschlagen. Offenbar störte das Treasas Konzentration, da das Leuchten der Rune wieder nachließ und sie stattdessen ebenfalls zum Fenster sah. Emotionen kehrten in ihr Gesicht zurück, auf Verstehen folgte Überraschung und diese wurde wiederum von Erleichterung abgelöst. „Alisdair ...“ Doch dieses Gefühl blieb nicht lange, als die Tür geöffnet wurde. Treasa sah, wieder vollkommen neutral, hinüber, Hix folgte ihrem Beispiel und erkannte Ailis, die sie beide fragend anblickte. „Diese Krähe ist wieder da“, sagte sie. „Warum lasst ihr sie nicht rein, bevor sie das Fenster zerstört? Ich meine, wir müssen es dann immerhin bezahlen und-“ „Sei still!“, zischte Treasa wütend. „Ich kann deine Stimme nicht mehr ertragen.“ Tatsächlich verstummte Ailis, ließ den Mund aber geöffnet, als wollte sie eigentlich weiterreden, müsste nun aber erst ihre Stimme wiederfinden. So sahen sich beide Frauen für den Moment nur schweigend an, Verwirrung in dem einen und pure Verachtung in dem anderen Gesicht. Es sah aus, als würde Treasa sie tatsächlich kennen und noch dazu keine positiven Erinnerungen mit ihr verbinden. „Das ist nicht Tengaar“, sagte Hix rasch. Ailis zog die Brauen zusammen und fand ihre Stimme wieder: „Aber wenn das nicht Tengaar ist, dann muss sie ...“ Wieder kam sie nicht dazu, den Satz zu beenden. Treasas Rune leuchtete in einem grellen Rot auf, das Hix in den Augen schmerzte. Im nächsten Moment griff Ailis sich bereits an den Hals und gab ein leises Keuchen von sich. Ein Blutschwall quoll dabei aus ihrem Mund und ergoss sich auf dem Boden. Ihr Gesicht, sonst immer voller Schalk, war schmerzverzerrt. „Hör auf damit!“, rief er. „Lass sie in Ruhe!“ Treasa deutete lediglich ein Kopfschütteln an. „Es ist ohnehin schon zu spät.“ Kaum hatte sie den Satz beendet, ertönte ein lautes Knacken, dessen Ursprung Hix nicht auszumachen wusste, aber es klang, als hätte eine schwere Waffe auf dem Schlachtfeld gerade Knochen zermalmt. Ein Geräusch, das ihm wieder einmal durch Mark und Bein ging und sein Innerstes geradezu erschütterte. Wieder einmal wurde er sich seiner Hilflosigkeit bewusst, der Tatsache, dass er nicht wusste, was er tun sollte, um anderen zu helfen und dass es möglicherweise nichts gab, was er tun konnte und er dazu verdammt war, immer nur zusehen zu können, wenn so etwas geschah. Ailis fiel leblos zu Boden, gab noch ein letztes Keuchen von sich – und rührte sich dann nicht mehr. Die gerade noch so lebhafte Frau war plötzlich nicht viel mehr als nur eine langsam kälter werdende Gestalt, die keine Rolle mehr in der Geschichte dieser Welt spielen würde, egal wie klein sie gewesen sein mochte. Und dieser Gedanke schmerzte Hix. Es war bei Weitem nicht das erste Mal, dass er jemanden sterben sah. Auch nicht das erste Mal, dass dies geschah, ohne dass eine äußere Verletzung festzustellen war, aber dennoch gab es etwas an dieser Situation, das ihn schockierte. Und er war sich sicher, dass es sich dabei um die Tatsache handelte, dass es Tengaar war, die das alles mit gefühlloser Miene tat. „W-was hast du getan?“, fragte Hix mit zitternder Stimme. „Was schon?“, erwiderte sie gleichgültig. „Ich habe diese Welt nur von einem weiteren, nutzlosen Menschen gereinigt. Und viele weitere werden ihr folgen.“ Als ihre Rune noch einmal aufleuchtete, wusste er, dass er eigentlich sein Schwert ziehen und gegen sie kämpfen müsste. Er müsste irgendetwas tun, um sein Leben zu retten, aber er konnte sein Schwert nicht gegen jemanden erheben, der aussah wie Tengaar. „Aber keine Sorge“, sagte sie versöhnlich. „Nicht jeder wird so leiden wie sie. Dir, zum Beispiel, werde ich ein schnelles Ende bescheren.“ Selbst mit dieser Ankündigung konnte er nichts dagegen tun. Sein Körper weigerte sich schlichtweg, sein Schwert zu ziehen und das Leuchten der Rune verhindert noch immer, dass er sich von der Stelle rührte, um zu fliehen. Fast war er schon bereit, sein Schicksal zu akzeptieren und sich einzugestehen, dass er ohne Tengaar nichts tun könnte, weswegen sein Leben ohnehin verwirkt war. Er wollte aufgeben – doch im selben Augenblick zerbarst die Scheibe unter den unerlässlichen Angriffen der Krähe. Der Vogel stürzte in den Raum hinein und hielt dabei genau auf Treasa zu. Das rote Licht der Rune wurde wieder blasser, als sie sich fluchend vor ihrem Angreifer zu schützen versuchte. „Lass mich in Ruhe, du verdammtes Mistvieh!“ Doch die Krähe ließ nicht locker, so dass sie schließlich zurückweichen musste. Immer wieder versuchte der Vogel, sie mit Schnabel oder Krallen an Armen oder Gesicht zu verletzen, doch sie schaffte es zumindest, zu verhindern, dass sie dabei ernsthafte Schäden erlitt – wobei sie hauptsächlich darauf zu achten schien, dass er ihre Hand mit der Rune nicht erwischte. Schließlich wischte sie den Vogel mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite, einer so heftigen Geste, dass er gegen die Wand geschleudert wurde. Hix, der das ganze gebannt beobachtet hatte, fühlte sich nun plötzlich wieder als Ziel gefährdet und beschloss, die Zeit zu nutzen, bevor die Rune wieder derart aktiv werden könnte, dass er erneut zur Untätigkeit verdammt sein würde. Also fuhr er herum und rannte aus dem Zimmer hinaus – nur um nach wenigen Schritten schon wieder innezuhalten, da Rim und Zahra vor ihm standen und ihn ansahen. Keine von ihnen fragte, was los war, es schien ihm vielmehr so, als wüssten sie es bereits, weswegen er sich fragte, warum sie überhaupt dastanden, als würden sie ihn aufhalten wollen. Treasa trat hinter ihm aus dem Raum, mit einer Ruhe, die ihm geradezu unerklärlich schien. Als sie die beiden Mädchen erblickte, verzog sie das Gesicht wieder. „Na großartig, noch mehr Störenfriede. Und dann gerade ihr beiden Hunde von Fiongal ...“ „Hunde?“, fragte Hix irritiert, ohne auf eine Antwort zu hoffen. Tatsächlich bekam er auch keine, dafür tauschten die beiden Mädchen nur einen kurzen Blick miteinander. Die Zwillingsrunen an ihren Händen glühten silbern und bildeten einen angenehm sanften Kontrast zu dem roten Leuchten von Treasa, das ihn wieder in seinen Bann zog und ihn erneut bewegungsunfähig machte. Mehr konnte sie aber offenbar nicht tun, denn sie knirschte lediglich mit den Zähnen, während sie die Mädchen betrachtete. „Wir haben wohl einen bedauerlichen Fehler gemacht“, sagte Zahra schließlich. „Aber den können wir auch schnell ungeschehen machen.“ „Was wollt ihr schon tun?“, fragte Treasa knurrend. „Ihr könnt mich nicht einsperren.“ „Das nicht“, gab Rim zurückhaltend zu. „Aber etwas anderes durchaus ...“ Damit lief Zahra bereits auf die bewegungslos verharrende Treasa zu. Ein heller Lichtblitz blendete Hix – und als er wieder etwas sehen konnte, waren die beiden verschwunden. „W-was ist passiert?“ Rim antwortete nicht, sondern rieb sich die Hand mit ihrer Rune, als würde sie schmerzen. Dafür hörte er hinter sich Fions Stimme: „Mach dir keine Gedanken. Zahra hat Treasa zurück in die Welt der Leere gebracht, damit ich sie dort später wieder einsperren kann.“ Hix fuhr herum und starrte Fion an, als wäre er eine Erscheinung. Der Magier wirkte müde, aber keineswegs traurig, was Hix nicht verstehen konnte, wenn er doch wohl bereits von Ailis' Tod wusste. Aber etwas anderes war in diesem Moment bereits wichtiger: „Was wird jetzt aus Tengaar?“ „Das weiß ich nicht.“ Selbst seine Stimme klang müde und ließ jede Kraft vermissen, die sonst eigentlich darin war. „Dann werde ich mit dir dorthin gehen“, sagte Hix sofort und erwartete Widerstand, der aber nicht kam. Stattdessen winkte Fion ein wenig ab. „Wir reden morgen darüber. Ich muss mich erst um etwas kümmern.“ Hix wollte eigentlich nicht bis morgen warten, aber er verstand auch, dass es gerade Dinge gab, die Vorrang haben mussten. Fion betrat das Zimmer, in dem Hix und Treasa hätten schlafen sollen, worauf der Krieger ihm sofort folgte. Der Magier kniete sich neben die tote Ailis, um zu trauern, wie Hix glaubte – doch plötzlich berührte er den Körper, der sich in einen rosafarbenen Kristall verwandelte, den er schließlich an sich nahm, ehe er wieder aufstand. Er fuhr herum und begegnete dabei Hix' irritiertem Blick. „Es gibt einige Geheimnisse, die selbst tote Körper von Magiern noch bergen.“ Sich in einen Kristall zu verwandeln, war für ihn ein ziemlich seltsames Geheimnis, aber er hinterfragte es nicht. Zu sehr schwirrte sein Kopf von den letzten Ereignissen, er konnte sich kaum noch konzentrieren, alles war so unwirklich. Im Moment glaubte er tatsächlich noch, dass Ailis ihn am nächsten Morgen wecken und er feststellen würde, dass sie noch nicht einmal in Falena angekommen waren. Nein, vielleicht würde er nach dem Aufwachen auch eine verärgerte Tengaar vorfinden, die sich darüber aufregte, dass er verschlafen hatte. Und dann würde er sich darüber freuen, dass alles nur ein Traum gewesen war. Doch tief in seinem Inneren wusste er natürlich, dass das eine unsinnige Hoffnung war. „Aber darüber sollten wir auch morgen sprechen“, sagte Fion. „Es wird Zeit, dass wir beide ins Bett kommen.“ Hix glaubte nicht so recht daran, dass er würde schlafen können, besonders nicht bei einem zerstörten Fenster, aber als er darauf aufmerksam machen wollte, stellte er fest, dass die Scheibe vollkommen intakt und die Krähe verschwunden war. Also sagte er nichts und nickte stattdessen nur. Fion verließ darauf schweigend den Raum wieder und ließ Hix allein, mit mehr Fragen als je zuvor, die ihn noch die ganze Nacht wachhalten würden. Kapitel 27: Zurück in die Leere ------------------------------- Rim saß, gegen Hix gelehnt, auf dem Boot, das sie erneut zurück in die Welt der Leere bringen sollte. Ihm schien, dass sie schlief, aber dafür hatte er im Moment, der voller Anspannung und Nervosität und Angst war, keine wirklichen Nerven. Seine Aufmerksamkeit galt Fion, auf dessen offener Handfläche zwei Edelsteinsplitter lagen. Der eine, der rosafarbene, war jener, der aus Ailis entstanden war, der andere war schwarz, mit einem kaum sichtbaren Schimmer von Blau. „Ist das der von Dougal?“ Es war eine reine Vermutung, von jemand anderem könnte er eigentlich gar nicht stammen – außer Fion besaß ihn schon länger. Aber warum sollte er so etwas aufbewahren? Fion nickte. „Ich habe ihn mitgenommen, nachdem ihr fort wart.“ „Aber was fängst du damit an?“ Für Hix waren das einfach nur farbige Splitter, die zwar hübsch anzusehen, aber ansonsten nutzlos waren. Fion wirkte nicht wie jemand, der sinnlosen Tand sammelte, schon allein weil er kein Heim zu besitzen schien, in dem er diesen ausbreiten konnte. Fion schloss die Hand wieder darum. „Wenn ein Magier stirbt, verweilt die Magie in seinem Körper für eine Weile, etwa einen Tag. Verwandelt man ihn in einen Kristall, ist es möglich, diese Magie weiterhin zu nutzen.“ Hix schluckte schwer. Es kam ihm falsch vor, einen Verstorbenen noch für die eigenen Zwecke zu missbrauchen, selbst wenn es sich dabei nur um seine Magie handelte. Aber bei diesen Magiern gab es wohl eigene Gesetze und in diese wollte er sich nicht einmischen. „Allerdings nicht ohne Einschränkungen“, fuhr Fion bereits fort. „Jeder Magier hat genau einen Schwerpunkt, der von Ailis war, zum Beispiel, die Heilung. Ihr Kristall ist also in der Lage, Verletzungen zu heilen.“ Es schien Hix, als glühe der rosafarbene Splitter auf, als von ihm gesprochen wurde. „Und der von Dougal?“ Fion antwortete darauf nicht, er wirkte sogar so, als hätte er die Frage nicht einmal gehört. Stattdessen steckte er die Kristalle wieder ein und lehnte sich dann ein wenig zurück. „Zu deiner Frage von gestern: Ich weiß nicht, was jetzt aus Tengaar werden wird. Natürlich werden wir versuchen, sie zu retten, aber ich kann dir nicht garantieren, dass das funktioniert. Es geht jetzt eher darum, dass die Welt vor jemandem wie Treasa sicher ist.“ „Will sie denn wirklich alles vernichten?“ Hix verstand nicht, warum die Rune sie dazu treiben sollte. Wenn die Welt zerstört wurde, nahm das immerhin auch dieser die Lebensgrundlage. Aber ... wollten Runen überhaupt leben? Besaßen sie überhaupt irgendeine Art von eigenem Willen? Er kannte sich einfach nicht gut genug mit Runen aus, schon gar nicht mit solch mächtigen – und eigentlich wollte er das auch gar nicht, es war alles viel zu kompliziert. „Ich denke, in Wirklichkeit will sie das nicht“, gab Fion nach kurzem Nachdenken zu. „Ich nehme an, dass die Rune eigentlich ein ganz anderes Ziel verfolgt, aber etwas in Treasa sie dazu antreibt, die Welt vernichten zu wollen.“ „Ist es ihr denn überhaupt möglich?“ Fions blaue Augen, die plötzlich wesentlich dunkler schienen als noch zuvor, blickten ihn ernst an. „Willst du das wirklich erst herausfinden? Ich jedenfalls nicht.“ Dem konnte Hix nicht widersprechen, darauf gab es einfach keine Erwiderung, die nicht vollkommen herzlos geklungen hätte. Viel wichtiger für Hix war aber immer noch die Frage, wie er Tengaar retten sollte. Er kannte sich nicht im Mindesten damit aus und der einzige, der Ahnung zu haben schien, war sich selbst nicht sicher, wie das funktionieren sollte. Aufzugeben kam für ihn nicht in Frage, aber bislang blieb ihm nur die Hoffnung, dass es etwas gab, das er tun könnte. In Büchern, das wusste er, gab es dank eines unnachgiebigen Helden immer einen Weg zu einem guten Ende, er hoffte, dass es diesmal auch für die Realität zutraf. Auch diesmal dauerte es, nach dem Eintreten in die Nebelwand, nur wenige Minuten, bis sie schließlich am Ende der Welt angekommen waren. Fion und die nun erwachte Rim stiegen zuerst aus, während Hix noch für einen kurzen Moment sitzenblieb, um Kraft für das Kommende zu sammeln. Eine Bewegung, die er aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte, lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Reling und ließ ihn dann überrascht blinzeln. Dort saß die Krähe, als wäre es eine absolute Selbstverständlichkeit, dass sie sich ebenfalls an einem solchen Ort befinden könnte. Statt ihn anzusehen, kümmerte der Vogel sich allerdings gerade darum, sein Gefieder zu säubern, wie ein ganz normales Tier, das nur zufällig hier gelandet war. Ein kurzer Blick zu Rim und Fion verriet ihm, dass die beiden gerade mit anderen Dingen beschäftigt waren und sich deswegen nicht um ihn oder die Krähe kümmern konnten. Also sah er den Vogel wieder an, um sich leise mit ihm zu unterhalten: „Alisdair, das ist doch dein Name, oder?“ Das Tier neigte den Kopf, als wolle es ihm das bestätigen. „Kannst du mir helfen, Tengaar zu retten?“ Wenn er sich richtig an Lokis Geschichte erinnerte, war Alisdair alles andere als ein begabter Schüler gewesen, aber vielleicht war er inzwischen ja alt genug, um mehr zu wissen. Er hatte immerhin mehr als genug Zeit zu seiner Verfügung gehabt, um sich Gedanken über derartige Dinge zu machen. Natürlich antwortete die Krähe nicht, aber es erschien Hix, als würde sie seinen Blick festhalten und es ihm unmöglich machen, den Kopf abzuwenden. Ihre Augen schienen für einen Moment zu glühen, sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt – und eine Sekunde später schwand das Gefühl wieder als wäre es nie dagewesen. Er blinzelte mehrmals und schüttelte den Kopf, ehe er selbst aus dem Boot stieg. Der Gedanke, Hilfe von einer Krähe, so magisch sie auch sein mochte, erwartet zu haben, kam ihm plötzlich unsagbar lächerlich vor. Als er sich noch einmal nach der Reling umsah, war der Vogel verschwunden, er musste sich also zumindest keine Gedanken mehr machen. Rim und Fion beendeten gerade ihre Unterhaltung und wandten sich dann Hix zu. „Wir müssen hinein“, sagte der Magier. „Bist du bereit?“ Er erkannte offenbar selbst, wie überflüssig die Frage gewesen war, denn er lächelte noch ehe Hix antworten konnte. „Natürlich bist du das. Dann lass uns reingehen.“ Als er durch die Tür, mit all ihren wirbelnden Farben, trat, kam es ihm vor, als würde er eine aus Eiswasser bestehende Wand durchschreiten. Doch jenseits davon konnte er besser atmen als jemals zuvor in seinem Leben. Etwas, was beim letzten Mal noch nicht so gewesen war. Nun fühlte er sich aber, als wäre er niemals zuvor an einem besseren Ort gewesen, als ob er eigentlich hierher gehörte und nirgendwo sonst. Selbst die seltsamen Wesen, die inmitten der Nebelschwaden umherstreiften, störten ihn nun nicht weiter, als wüsste er genau, dass sie ihm nichts tun könnten. Das muss wegen Alisdair sein! Er hat doch irgendetwas mit mir gemacht. Jedenfalls war das die wirklich naheliegendste Erklärung, die ihm in diesem Zusammenhang einfiel. Aber wenn ihm das half, Tengaar zurückzubekommen, würde er das nur allzugern in Kauf nehmen. Bislang konnte er allerdings auch noch keine negativen Effekte feststellen, also gab es nichts, worüber er sich beschweren könnte. Während sie ihren Weg zum Kristall zurücklegten, schienen plötzlich Wellen durch die gesamte Welt zu laufen. Hix wusste sofort, was das bedeutete – und Fion ebenfalls, wie er feststellte, als der Magier stehenblieb und sich umdrehte. „Jemand außer uns ist hier.“ Fast hätte Hix gefragt, was das denn nun bedeuten sollte, immerhin war es doch nur natürlich, dass sie hier nicht allein waren. Allein die Silhouetten im Nebel verrieten das – aber natürlich waren diese Schatten keine Personen ... zumindest glaubte er das. Außerdem verriet ihm eine innere Stimme, die ihm bis dahin gänzlich unbekannt gewesen war, dass die Wellen bedeuteten, dass jemand gerade eingetreten war, genau wie sie Minuten zuvor. „Wir haben keine Zeit dafür“, sagte Rim. Hix wollte nicht stehenbleiben, er wollte zu Tengaar, und Alisdair zu Treasa. „Was tun wir jetzt?“ „Ich warte hier“, sagte Fion. „Rim, du weißt, was du tun musst, oder?“ Sie nickte widerwillig, dann drängte sie Hix weiter, auch wenn das nicht viel Anstrengung erforderte, er lief bereits wieder, noch bevor der andere seinen Satz beendet hatte. Dennoch sah er nach einigen Schritten noch einmal hinter sich; Fion stand mit dem Rücken zu ihnen und blickte jener Person entgegen, die ihnen hierher gefolgt sein musste. Wenige Schritte später wurde er vom Nebel verschluckt und Hix wandte seinen Blick wieder dem zu, was vor ihm lag, um endlich Tengaar zu erreichen. Fion atmete tief durch, während er die Gestalt betrachtete, die sich ihm näherte. Es dauerte nicht lange, bis er ihn erkannte, wenngleich weniger wegen seiner Gestalt, sondern wegen seiner kompletten Ausstrahlung, die ihm selbst an diesem Ort den Atem zu rauben drohte. Allein der Gedanke, gegen diese Person zu kämpfen, erfüllte ihn mit keinem allzu guten Gefühl. Cain blieb wenige Schritte von ihm entfernt wieder stehen, ein siegessicheres Schmunzeln auf den Lippen. „Du willst mich also aufhalten? Bist du dir sicher?“ „Es geht nur darum, Zeit zu gewinnen“, erwiderte Fion. Er bezweifelte, dass er den Lehrling des Magiers Lances besiegen könnte. Gleichzeitig müsste er aber auch Treasa wieder versiegeln. Vielleicht war es daher keine sonderlich intelligente Idee gewesen, hierzubleiben, aber- „Warum liegt deinem Meister so viel daran, Hix und Tengaar voneinander getrennt zu halten?“ Die beiden dürften keine Bedrohung darstellen, sie könnten die Rune der Einheit niemals erstellen und sie hegten auch keinerlei Interesse daran. Und was sollte Lances schon von Treasa wollen? Sie war derart in ihren Hass versunken, dass sie vollkommen unberechenbar und eher eine weitere Gefahr für ihn darstellte. Keine wirklich reelle vielleicht, aber eine Gefahr nichtsdestotrotz, die nicht einmal Lances ignorieren dürfte. „Das hat mich nicht zu interessieren“, erwiderte Cain, während er bereits sein Schwert zog. Grüne Funken tanzten um die Klinge, Fion glaubte gar, einen leichten Windzug zu spüren, der für den Einsatz eines Zaubers sprach. Aber die dafür notwendige Energie fehlte vollkommen. Cain deutete mit der Spitze seines Schwertes auf ihn. „Und dich hat es auch nicht zu interessieren!“ Im nächsten Moment stürzte er in einer geschmeidigen Bewegung bereits auf Fion zu. Dieser wich aus und ließ gleichzeitig seinen Stab erscheinen. Fion kämpfte nicht gern, was man seiner vollkommen neu wirkenden Waffe, einem einfachen, braunen Holzstab, mit einer gewundenen Spitze, in deren Inneren sich ein farbloser Kristall befand, deutlich ansehen konnte. Aber wenn ihm keine andere Wahl blieb, wollte er auch nicht zurückstehen. Einen weiteren Angriff wehrte er mit dem Stab ab, die Klinge glitt daran ab, als wäre beides aus Metall. Doch noch als er sich so in Sicherheit wähnte, schleuderte Cain ihm einige Pfeilspitzen entgegen, die sich schmerzhaft in seine Schulter bohrten und sich dann sofort auflösten. Fion taumelte rückwärts, ließ den Stab aber nicht los. Wärmende Energie floss durch seinen Körper, ließ die Wunden sich wieder verschließen, und gab ihm die Gelegenheit, weiteren Angriffen auszuweichen, statt sich auf die Schmerzen zu konzentrieren. Seine Geschwindigkeit war dabei nicht sonderlich viel größer als die von Cain, aber dieser interessierte sich wohl mehr dafür, dass es einen interessanten Wettkampf gab, denn er folgte ihm wesentlich langsamer. Kaum stand Fion einige Meter von Cain entfernt, ließ er seinen Stab waagerecht vor sich schweben, konzentrierte sich dabei auf einen Zauber, den er seit ewigen Zeiten nicht mehr angewandt hatte und den er normalerweise sorgsam vermied – aber in dieser Situation blieb ihm keine andere Wahl, wenn er lebend aus diesem Kampf hervorgehen wollte. Cain schleuderte ihm grün glühende Sägeblätter aus Wind entgegen. Auf die Distanz hin verloren sie einiges an Kraft, verließen ihre Bahn, die eindeutig auf sein Herz gezielt hatte, zischten haarscharf an ihm vorbei und rissen dabei blutige Wunden an seinen Wangen und seinen Oberarmen. Fion blieb kaum Gelegenheit, den Schmerz wirklich zu registrieren, da er bereits erneut die heilende Wirkung von Ailis' Splitter spüren konnte. Sie durchflutete seinen Körper wie eine warme Woge, die sogar seinen seelischen Schmerz, dem er sich nicht einmal wirklich bewusst gewesen war, mit sich nahm und nichts mehr zurückließ. Fast lautlos murmelte er Worte, ein Mantra, das seine Konzentration verstärken sollte, damit ihn weitere Angriffe nicht aus dem Konzept bringen könnten. Er spürte, wie sich die Energien in seinem Inneren sammelten, wie jeder Funke, der bis dahin reglos und ohne jegliche Aufgabe in seinem Körper existiert hatte. Sie alle mussten nun zu einem gemeinsamen Punkt finden, damit der Zauber wirklich funktionieren könnte. Cain lachte darüber nur und sprintete auf ihn zu – nur um von etwas gerammt und zu Boden gerissen zu werden. Fion hörte, wie er schwer atmend versuchte, sich wieder aufzurichten. Aber es wäre vermessen, anzunehmen, dass dieses Keuchen von Erschöpfung rührte, mit Sicherheit war es die pure Überraschung, da Cain nicht damit gerechnet haben dürfte, von etwas anderem angegriffen zu werden. Es war ein Wesen, das an eine Mischung aus einem Menschen und einem blauen Hammerhai erinnerte, das sogar auf zwei Beinen lief. Fions Blick streifte seine eigene rechte Hand. Die dort angebrachte Nymphrune gab ein blasses weißes Leuchten von sich und lockte damit noch weitere dieser ansässigen Fischwesen an, die nur ein Ziel kannte: Cain zu vernichten und damit ihren durch die Rune signalisierten Anführer zu schützen. Cains Augen huschten zwischen den einzelnen Monstern umher, als suche er eine Möglichkeit, an diesen Monstern vorbeizukommen, um möglichst problemlos an Fion zu kommen. Dieser konzentrierte sich weiter auf seinen Zauber, der vor seinen Augen langsam eine durchführbare Gestalt annahm. Schließlich verließ Cain die Geduld, er rammte sein Schwert in den Boden und entlud eine mächtige Woge von Energie direkt in den Boden. Fion spürte das Kribbeln unter seinen Sohlen, Nadelstiche, die direkt durch seinen Schuh hindurchstoßen wollten, um ihn von unten aufzuspießen. Die Fischwesen waren weniger glücklich: Kaum wurden sie von den Energiewellen erwischt, brachen unzählige rot glühende Klingen aus ihnen hervor und zerfetzten sie mühelos. Sie lösten sich in glitzernden Staub auf, der direkt ein Teil des dichter werdenden Nebels wurde. Diesem Anblick gelang es, Fion aus dem Konzept zu bringen. Die magischen Funken in seinem Inneren zerstoben – glücklicherweise aber nicht zu weit, da er es sofort wieder schaffte, sich zu fangen und die Funken erneut zusammenzutreiben. Die Nymphrune glühte noch immer, aber dank der enormen Energiewelle, das nahm Fion jedenfalls an, dürfte es eine ganze Weile dauern, bis wieder ein Wesen nahe genug herankam, um diesen Effekt zu spüren zu bekommen. Cain wusste das wohl ebenfalls. Mit langsamen Schritten ging er auf Fion zu, den er ganz offensichtlich nicht als Bedrohung wahrnahm. Auf seinem Gesicht trug er ein siegessicheres Schmunzeln, das verriet, wie sehr er seine Überlegenheit gerade auskostete. „Wenn du jetzt aufgibst, werde ich dich nicht töten“, sagte Cain. „Wie klingt das für dich?“ Fion wollte sein Mantra eigentlich nicht unterbrechen, aber der Zauber hatte inzwischen eine derart griffige Gestalt, dass er es sich erlauben konnte. „Ich verzichte dankend. Ich bin auch nicht auf deine Gutherzigkeit angewiesen.“ „Denkst du denn, dein Zauber, was auch immer er bewirken soll, wird mich besiegen?“ „Nein“, erwiderte Fion. „Aber darum geht es auch hier gar nicht.“ Cain erlaubte sich nur einen kurzen Moment, verwundert über diese Aussage zu sein, dann ging er mit dem Schwert bereits wieder zum Angriff über. Doch im selben Moment fügte sich das letzte Teil in den Zauber ein, so dass Fion ihn loslassen konnte. Doch statt ihn direkt zu verlassen und seiner Bestimmung zu folgen, wurde er durch Dougals Splitter geleitet, der wie ein Verstärker wirkte, in der Hoffnung, dass es ausreichte. Eine grüne Welle an Energie ging von ihm aus, als der Zauber sich entlud, unzählige Funken ihn verließen und in alle Richtungen dieser Welt davonstoben. Cain hielt abwehrend einen Arm vor sein Gesicht, als die Welle auf ihn zubrauste, an ihm vorüberrauschte – und ihn unverletzt stehenließ. Cain stellte sich wieder aufrecht hin und ließ misstrauisch den Blick umherschweifen. Aber es hatte sich nichts geändert, abgesehen davon, dass die Atmosphäre sich gewandelt zu haben schien, sie war wesentlich weniger drückend als zuvor, freier. „Was hast du getan?“, fragte Cain und sah ihn wieder an. Fion ließ den Stab wieder verschwinden, da er nach wie vor nicht plante, zu kämpfen. „Das, wofür ich hergekommen bin. Ich habe Treasa versiegelt – scheinbar erfolgreich sogar.“ Jedenfalls sprach die nun erleichterte Atmosphäre durchaus dafür, dass ihr hasserfüllter Geist wieder fort war. Cains Blick wurde von einem wütenden Funkeln durchzogen, seine Stirn legte sich in geradezu finstere Falten. „Du hast was?! Bedeutet das, die beiden können sich wieder treffen?“ Fion begegnete seinem Blick möglichst ruhig, hoffend, dass sein Gegenüber sein leichtes Zittern nicht bemerkte. „Sieht ganz danach aus.“ Für einen kurzen Moment befürchtete er, dass Cain sich entschließen könnte, ihn zuerst zu töten, ehe er sich auf den Weg zu Hix und Tengaar machte – aber zu seiner Erleichterung fuhr der Magierlehrling mit einem abschätzigen Laut herum und war im nächsten Moment bereits verschwunden. Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde, bis Fion wirklich bewusst wurde, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Er atmete tief durch, Erleichterung, dass er noch am Leben war, durchflutete ihn dabei und spülte all seine Kraft hinfort, so dass er in die Knie sank. „Ich hoffe, Hix kommt nun mit seiner Aufgabe zurecht ...“ Er legte den Kopf in den Nacken und starrte in den unendlich wirkenden Nebel durch den sich kein Himmel erahnen ließ. Helft ihm bitte, Runen. Er hat es verdient, dass alles wieder gut wird. Kapitel 28: Feuer und Eis ------------------------- Hix war außer Atem, während er und Rim durch den Nebel hasteten, um zu Treasa zu kommen. Sie müssten rechtzeitig ankommen, es gab keine Wahl. Aber diesmal erschien ihm die Strecke wesentlich länger als beim letzten Mal. Jeder Schritt fühlte sich an wie eine Ewigkeit, der keine Bedeutung innewohnte. Ein blaues Leuchten lenkte Hix' Blick auf Rim hinunter. Sie sah, ohne innezuhalten, auf ihre Rune, die sanft glühte. Erst als sie erlosch, hob sie den Kopf wieder, Hix konnte erkennen, dass ihre Augenbrauen sorgenvoll zusammengezogen waren. „Was ist los?“, fragte er, stellte dabei fest, wie atemlos er sich selbst anhörte. „Zahra hat Probleme.“ Auch wenn es wie eine Feststellung klang, die ihren Gesichtsausdruck zum Lügner erklären wollte, war Hix überzeugt, dass es ihre Stimme war, die ihre Gefühle zu verschleiern versuchte. „Dann sollten wir uns lieber beeilen.“ Selbst wenn seine Lunge jetzt schon brannte und seine Beine nach einer Pause verlangten. Rim nickte nur, schien Kräfte zu mobilisieren, die unmöglich in diesem kleinen Körper versteckt sein konnten, rannte unaufhörlich weiter. Hix tat es ihr gleich, der Gedanke an Tengaar, die seine Hilfe benötigte, schien ihn zu beflügeln, ließ ihn Energien sammeln, von denen er nie etwas geahnt hatte. Aber solange es ihm und seinem Ziel zugute kam, wollte er nicht zu viel darüber nachdenken und es auch nicht hinterfragen. Entgegen seines Gefühls, das ihm sagte, sie seien eine Ewigkeit gerannt, kamen sie bald schon vor einem großen Kristall an, der wie eine geflügelte Träne anmutete, derselbe, vor dem sie Tengaars Körper das letzte Mal gefunden hatten. Und auch diesmal war ihre Suche erfolgreich: „Zahra! Tengaar!“ Für einen kurzen Moment hatte er vergessen, dass es sich bei der Gestalt, die aussah wie die von ihm geliebte Frau, nicht um diese handelte. Dabei war das bedrohliche rote Leuchten der Rune an ihrer Hand ein deutliches Zeichen, dass sie es nicht sein konnte. Sie blickte nicht auf, sondern sah weiter auf Zahra hinab. Diese lag auf dem Boden, ihre Kleidung angesengt, stellenweise zerrissen, mit Blut befleckt – sie hatten miteinander gekämpft, aber Treasa war siegreich hervorgegangen und hielt nun ihren Fuß auf Zahras Kopf. Erst als sie in unmittelbarer Nähe standen – Hix hätte nur die Hand ausstrecken müssen – wandte Treasa ihnen ihren Blick zu. Sie lächelte, aber es steckte keinerlei Wärme dahinter. „Da seid ihr ja endlich. Willkommen vor meinem Gefängnis.“ „Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte Rim, statt auf den Gruß einzugehen. „Hm?“ Treasa blickte wieder auf die bewegungslose Zahra hinab. „Oh~. Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung, nachdem wir hierherkamen. Jetzt ist die Kleine ziemlich müde.“ Sie bewegte den Fuß ein wenig, Zahras Körper reagierte darauf wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden. „Aber tot ist sie noch nicht. Dieses Spektakel habe ich mir extra für euch aufgespart.“ Bevor sie mehr Druck auf den Kopf ausüben konnte, wurde sie von einem wütenden Schrei Rims unterbrochen: „Hör auf damit!“ Dieser von Wut und Verzweiflung erfüllte Schrei hallte im Nebel wider. Einige der Silhouetten hielten furchtsam inne. Treasa zuckte nicht einmal zusammen. „Warum sollte ich?“, erwiderte sie frostig. „Euch und Fion habe ich es doch erst zu verdanken, dass ich eingesperrt wurde.“ „Du wolltest die Welt vernichten!“ Rims Stimme zitterte. Darauf ging Treasa nicht ein. Betont gelangweilt warf sie einen von Tengaars Zöpfen zurück. „Statt in der Vergangenheit zu schwelgen, wie wäre es, wenn wir jetzt in der Gegenwart die Zukunft gestalten?“ Sie hatte den Satz kaum beendet, da entsprang ihrer rot glühenden Rune eine Feuersäule, die sich mit einem wütenden Fauchen auf Rim zubewegte. Hix erkannte sofort, dass es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Feuerzauber handelte. Jene waren heiß, dafür geeignet, schwere Verbrennungen zuzufügen, aber immer noch leblos, so dass sie schnell verpufften – aber diese Säule schien von Wut und Hass geleitet zu werden, mit einem eigenen Willen, der sogar Rims Ausweichbewegungen folgte. Das Wasser, über das die Säule hinwegfegte, schien zu verdampfen, wurde aber sofort von neuer Flüssigkeit ersetzt, die dann immer noch kochend heiß war. Aber was auch immer das für eine immense Macht war, Hix konnte nicht zulassen, dass sie Rim traf und diese auch noch verletzte. Er hob seine Hand mit der Wasserrune, die ein beruhigendes, blaues Glühen von sich gab, das allerdings nicht mit dem wütenden Rot konkurrieren konnte. Treasa bemerkte es dennoch sofort. Ihr Kopf schnappte geradewegs in seine Richtung, sie rümpfte die Nase. „Pff! Denkst du, mit dieser billigen Rune kannst du irgendetwas bei mir erreichen?!“ Ehe er etwas tun konnte, leuchtete ihre Rune hell auf, das Wasser um ihn herum, bildete eine Säule mit ihm in der Mitte – und vereiste schlagartig. Er konnte sich noch bewegen, das stellte kein Problem dar, aber er war eingesperrt. Die Wände seines Gefängnisses endeten in einer Höhe, die er unmöglich erreichen konnte. Noch dazu konnte er nicht mehr sehen, was auf der anderen Seite vor sich ging. Er hörte noch immer das wütende Fauchen der Feuersäule, sah undeutlich einen orange-farbenen Schatten, der sich unablässig bewegte. Aber dieser und das Glühen von Treasas Rune, war das einzige, was er erkennen konnte. „Um dich kümmere ich mich später“, sagte sie. Von jenseits des Eises hörte er einen erschrockenen Ausruf von Rim. Er musste hier raus! Sofort! Er trat gegen die Wände seines Gefängnisses, aber die gefrorene Schicht war überraschenderweise derart dick, dass es ihm lediglich, selbst mit all seiner Kraft, gelang, winzige Splitter daraus zu lösen. Nicht genug, um ihm die Zuversicht zu geben, damit überhaupt irgendetwas ausrichten zu können. Er zog sein Schwert, schlug mit dem Knauf und der Klinge auf das Eis ein, aber es gab nicht nach. Egal wie viel Kraft er in seine Schläge steckte, sie blieben fruchtlos, nur dazu geeignet, seine Frustration anwachsen zu lassen. Dennoch hörte er nicht auf. Er schlug weiter um sich, seine eigenen Schreie erfüllten seine Ohren und verdrängten das wütende Fauchen der Feuersäule. Er verfluchte sich selbst und seine Schwäche, seine Unfähigkeit, das zu beschützen, was ihm in seinem Leben am Wichtigsten war. Wenn er nichts tat, wenn er Rim nicht half, wie könnte er da von sich selbst erwarten, Tengaar retten zu können? Schließlich holte ihn die Erschöpfung ein, er ließ die erlahmten Arme sinken. Mit müden Bewegungen steckte er das Schwert in die Scheide zurück. Ich muss ruhig bleiben ... Er verspürte keine Furcht, nichts, was ihn zittern ließ, nicht einmal bei dem Gedanken, möglicherweise gegen Treasa kämpfen zu müssen. Nein, er hatte nur Angst, Tengaar zu verlieren. Aber um das zu verhindern, musste er ruhig bleiben und nachdenken. Mit bloßer Gewalt kam er hier nicht heraus, also musste er es anders angehen. Seine Hände berührten das Eis, mit rasch taub werdenden Fingern suchte er nach Rissen, Vorsprüngen, so klein sie auch sein mochten, um daran hinaufzuklettern. Er war nicht gut darin, aber er glaubte, dies sei seine einzige Möglichkeit, etwas zu tun, sich vielleicht sogar noch rechtzeitig zu befreien, um Rim zu helfen. Dass er blutete, fiel ihm erst auf, als er die roten Spuren auf dem Eis entdeckte. Die scharfen Kanten hatten seine Finger aufgerissen, aber aufgrund der Taubheit in diesen Gelenken, bemerkte er keine Schmerzen. Deswegen hielt er auch nicht inne. Aber dann fiel ihm etwas anderes auf: Jene Stellen, an denen sein Blut klebte, schienen aufzutauen. Die restlichen Bereiche der Mauer waren noch genauso unnachgiebig wie zuvor, aber die rot verschmierten waren nass, nicht nur wegen seines Bluts, es war auch Wasser, und es gelang ihm problemlos, sie einzudrücken. Entschlossen, das auszunutzen, suchte er sich besonders scharfkantige Stellen heraus, riss sich noch mehr von seinen Fingern ein und verteilte so viel Blut wie es ihm in wenigen Sekunden möglich war. Seine Wasserrune glühte wieder ein wenig, heilte seine Verletzungen und einen Teil seiner Erschöpfung, aber er beachtete das gar nicht, während er den nun weich gewordenen Teil der Eiswand mit dem Ellenbogen zu verschieben versuchte. Sie musste allerdings derart dick sein, dass es ihn immer noch Anstrengung erforderte, so dass ihm ein leises Keuchen entkam. Doch schließlich gab das Eis endlich nach und öffnete ihm ein Fenster, groß genug, dass er hindurchklettern konnte, um nach draußen zu kommen. Die scharfen Kanten schürften dabei seine Arme auf, schufen Risse in seiner Kleidung, aber auch das war unwichtig. Das einzige, was nun zählte war, dass er sich auf der anderen Seite befand, in der Freiheit. Die Feuersäule war inzwischen verschwunden, auch Rim lag nun erschöpft auf dem Boden, ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem unregelmäßigen Rhythmus. Ihre Kleidung war angesengt, offenbar war es ihr nicht mehr gelungen, der Säule noch länger auszuweichen. Dass sie überhaupt noch lebte, erfüllte Hix mit Ehrfurcht. Treasa, die immer noch in derselben Haltung dastand wie zuvor, wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zu. Ihr Gesicht zeigte Überraschung, aber sie sagte nichts und hob nur die Hand, um ihre rot glühende Rune zu verwenden. „Diesmal nicht!“ Hix hatte bereits damit gerechnet, dass sie das versuchen würde und nutzte daher seine Schnelligkeit – die er, zugegeben, hauptsächlich deswegen besaß, damit er besser fliehen konnte – um ihr zuvorzukommen. Seine Wasserrune leuchtete hell auf und erschuf eine blaue, von innen heraus strahlende, Kugel zwischen ihm und Treasa. Ringe, auf denen Bannsprüche, so alt wie die Welt, geschrieben standen, bewegten sich in Kreisen um die Kugel als ihr Zentrum. Doch schon wenige Sekunden nach ihrer Entstehung explodierte das Gebilde lautlos in helles Licht – und gleichzeitig erloschen sowohl die Wasserrune, als auch jene auf Treasas Handrücken. Sie blickte auf das vorerst nutzlos gewordene Werkzeug hinab, dann nahm sie endlich, mit einem schweren Seufzen, den Fuß von Zahras Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass dieser einfache Zauber es schaffen könnte, meine eigenen Kräfte zu unterdrücken. Es würde nicht für immer halten, das wusste auch Hix. Vielleicht fünf Minuten, wenn er Glück hatte. Und er könnte Treasa nicht einfach töten – er müsste es schaffen, sie kampfunfähig zu machen. Innerhalb von fünf Minuten. Obwohl er verzweifeln wollte, riss er sich zusammen, besonders als Treasa eines der Wurfmesser zog, die Tengaar benutzte. „Dann lass uns sehen, ob du dem Titel eines Kriegers wirklich gerecht wirst, Hix.“ Mit diesen Worten sprintete sie bereits auf ihn zu. Er zog sein Schwert und ließ die andere Klinge auf seine treffen. Treasa legte derart viel Wucht in ihren Angriff, dass Hix einige Zentimeter nach hinten schlitterte. Sie ließ sich davon nicht entmutigen, holte stattdessen immer wieder aus, um Hix doch noch eine Wunde zu verpassen. Er folgte seiner Intuition, die nicht sonderlich ausgeprägt war, und wehrte jeden einzelnen ihrer Angriffe mit seinem Schwert ab. Ihre Bewegungen kamen dabei derart schnell, dass es ihm schwerfiel, mit ihr mitzuhalten – aber er durfte nicht aufgeben. Aber so kann ich auch nicht nachdenken. Und wie sollte er auf diese Weise Tengaar retten? Ihre Stimme kam ihm in den Sinn, ohne den lauernden, hasserfüllten Unterton Treasas, wie sie ihm sagte, dass er sich nicht wie ein Schwächling anstellen sollte – und dass es auch für einen Krieger mehr als nur Schwert und Magie gab, um zu kämpfen. Das ist es! Hix trat nach Treasas Knie, doch sie reagierte derart schnell, dass sie zurücksprang, um dem auszuweichen. Er schloss die Distanz zwischen ihnen sofort wieder, doch als er den Arm mit dem Schwert hob, duckte sie sich unter diesem hinweg. Kaum war sie hinter ihm, rammte sie ihm das Messer in die Seite. Ihm entkam ein leises Keuchen, das durch seine Adern gepumpte Adrenalin verdrängte den Schmerz jedoch sofort. Sie lachte amüsiert, ohne jedes Mitgefühl. Er wirbelte herum, den Knauf seines Schwerts erhoben – doch sie zog einfach ein neues Messer über seinen Unterarm. Mit einem lauten Schrei ließ er das Schwert fallen, Treasa kickte es fort. Hix wich zurück und hielt sich den blutenden Unterarm. Die Wunde war nicht tief, schmerzte aber genug, um ihn davon abzuhalten, etwas zu machen. Jedenfalls unter normalen Umständen. Das hält mich nicht auf. Das hält mich nicht auf! „Und?“, fragte sie dann, das Messer immer wieder in die Luft werfend. „Willst du endlich aufgeben? Du hast nur noch eine Chance, zu überleben. Ergreife sie lieber.“ Die Gedanken in Hix' Kopf rasten, die Sekunden des Stillen Sees, der die Runen unterdrückte, verstrichen. Er musste etwas tun. Jetzt! Kurzentschlossen fasste er den Griff des Messers in seiner Seite – und mit einem heftigen Ruck zog er es aus seinem Körper heraus. Er ignorierte das spritzende Blut, ignorierte Treasas erschrockenen und ungläubigen Gesichtsausdruck. Für ihn zählte jetzt nur noch eines. Mit einem einzigen Schritt überbrückte er die Distanz zwischen sich und Treasa. Ein heftiger Hieb seiner unbewaffneten Hand genügte, um ihr das Messer aus der Hand zu schlagen. Im selben Moment stieß er ihr die eigene Klinge in die Hüfte. Sie gab ein schmerzerfülltes Keuchen von sich und taumelte rückwärts. Hix ging ebenfalls einige Schritte zurück, um die Distanz zwischen sie beide zu bekommen. Ungläubig, wütend, blickte Treasa auf das Messer in ihrer Hüfte hinab. Mit Sicherheit hatte sie nicht damit gerechnet, dass er Tengaars Körper verletzen würde – und garantiert dürfte er sich von dieser noch eine wütende Tirade dazu anhören – aber es war, in seinen Augen, die einzige Möglichkeit gewesen, sie zu stoppen. Tengaars Kleid färbte sich rot, aber da die Waffe noch steckte, war es wesentlich weniger als es sollte. Außerdem hatte Hix sichergestellt, dass er eine Stelle traf, an der keine Organe – ob lebenswichtig oder nicht – saßen. Selbst theoretisches Wissen war ihm hier hilfreich. Treasa hob den Blick wieder, in ihren Augen schien ein Feuer zu leben, das mehr als bloßer Hass war. Es war eine Emotion, die Hix noch nie bei einem Menschen gesehen hatte und die mehr einem Biest zustand. Und doch wütete sie in Treasas Augen. „Du hast es wirklich gewagt!“ Ihre Stimme zitterte vor Wut. „Das wird dich teuer zu stehen kommen!“ Im selben Moment endete die Wirkung des Stillen Sees. Das rote Glühen ihrer Rune war sofort wieder derart hell, dass es den unvorbereiteten Hix fast blendete. Mit seiner Wasserrune wirkte er sofort einen Heilzauber, während er aufmerksam Treasa beobachtete. Ihre Augen schienen regelrecht Funken zu sprühen – und deswegen wunderte es ihn nicht, dass sie ihre Hand hob, um erneut einen Zauber zu wirken. Ihre Rune leuchte so hell auf, dass sie ihn diesmal wirklich blendete, weswegen er die Augen schloss. Er wusste, dass er fliehen müsste, aber mit seinem Blutverlust und dem langsam taub werdenden Gefühl seines Körpers, glaubte er nicht, dass es funktionieren könnte. Deswegen blieb ihm nur zu hoffen, dass sie zuerst einknickte oder ein Wunder geschah. Und ein Wunder trat wirklich ein. Es war starke Energie, die durch diese gesamte Welt zu fegen schien. Hix spürte sie in jeder Faser seines Körpers. Sie war nicht feindlich, jedenfalls nicht für ihn, sie war … warm, freundlich. Sie brachte ihn wieder dazu, seine Augen zu öffnen, so dass er eine grüne Welle reinster Energie sehen konnte, die Treasa plötzlich umgab. Funken erfüllten die Luft und hatten auch seine Feindin dazu gebracht, sich ratlos umzusehen. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel brachte Hix dazu, den Kopf zu drehen. Rim und Zahra standen wieder auf den Füßen – nein! Sie schienen knapp über den Boden zu schweben, ihre halb geschlossenen Augen waren leer, aber ihre Lippen bewegten sich. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, kamen sie näher, so dass Hix hören konnte, was sie von sich gaben, doch es fiel ihm schwer, zu beschreiben. Es war ein Gesang, in einer ihm unbekannten Sprache, aber er übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus, obwohl er die Worte nicht verstand. Und bei Treasa sah es ähnlich aus. Ihre Augen verloren ebenfalls jegliches Leben, ihre erhobene Hand fiel kraftlos nach unten, aber ihr Blick blieb stets auf Rim und Zahra gerichtet, während diese sich ihr näherten. Als sie bei Treasa angekommen waren, umrundeten sie diese immer wieder, wie in einem Tanz, auch der Gesang änderte sich ein wenig, ohne dass Hix genau benennen könnte, an welcher Stelle. Wie gebannt beobachtete er, wie Treasa sich in Bewegung setzte, gemeinsam mit den Mädchen zu ihrem Kristallgefängnis hinüberging. An diesem hatte ebenfalls eine Veränderung stattgefunden, die Oberfläche schien nicht mehr fest, sondern flüssig zu sein. Dort angekommen ging Treasa hindurch und die Oberfläche ließ es auch zu, sie kräuselte sich wie die Wasseroberfläche – und damit verschwand sie einfach. Rim und Zahra blieben vor dem Kristall zurück, sangen aber immer noch. Das Leben kehrte in Hix zurück, der Heilungszauber zeigte endlich genug Wirkung, dass er sich wieder bewegen konnte. Er ging auf die Mädchen zu, sie bemerkten ihn nicht, unterbrachen ihren Gesang nicht, aber er spürte, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte ihm zu, dass das Lied bald vorbei und damit alles zu spät für ihn wäre. Dennoch berührte er den Kristall nur vorsichtig, beobachtete das Kräuseln der Oberfläche, aber dahinter erstreckte sich nur bloße Schwärze, er konnte nicht sehen, was ihn erwartete. Nichtsdestotrotz holte er einen letzten tiefen Atemzug – dann schritt er durch die Oberfläche in das Innere des Kristalls hinein. Als Cain Treasas Gefängnis endlich erreichte, war niemand mehr zu sehen. Ein verlassenes Schwert lag auf dem Boden, ein Wurfmesser nicht weit entfernt, Blut hatte das Wasser verfärbt, war aber bereits in der Auflösung begriffen – aber das waren die einzigen Zeugen, dass jemand bis vor kurzem hier gewesen war. Sein Blick wanderte zu Treasas Gefängnis hinüber. Ein tropfenförmiger Kristall, flankiert von zwei Schwingen – und zwei weiteren, die sich gemeinsam an der Vorderseite trafen und diese vor neugierigen Blicken schützte. Eigentlich hätte er das nicht weiter seltsam gefunden, aber sie unterschieden sich in der Farbe von der restlichen Struktur, waren ein wenig dunkler als der Hauptkristall, weswegen er näher herantreten wollte, um es sich genauer anzusehen. Aber in diesem Moment, noch bevor er den ersten Schritt machen konnte, konnte er die Stimme seines Meisters in seinen Gedanken hören: „Das ist genug, Cain. Komm jetzt zurück.“ „Aber was ist mit dem Spiel?“ Es war eigentlich unnötig, laut zu sprechen, wenn sein Meister auf diese Weise mit ihm kommunizierte, aber er fühlte sich dann wohler. Die Antwort wurde von einem leisen, humorlosen Lachen begleitet. „Du hast die Darsteller wunderbar vorangetrieben, Cain. Aber für das glorreiche Finale benötigen sie dich nicht mehr. Jeder ist an seinem Platz. Für uns bleibt nur noch, den Ausgang zu beobachten.“ Sein Meister klang sehr zufrieden, fast schon stolz – jedenfalls wenn Cain sich das lang genug einredete – deswegen wagte er nicht, zu widersprechen. Ja, nicht einmal einzuwenden, dass er ungern so kurz vor dem Ziel einfach zurückgepfiffen wurde. Lances klang zufrieden, also war Cain auch zufrieden. So einfach war das. „In Ordnung“, sagte er daher. „Ich kehre zurück.“ „Gut. Ich werde dafür sorgen, dass Blaine dir ein besonders gutes Abendessen bereitet. Als Preis für deine Mühen.“ Cain ignorierte das in Lances' Stimme unterschwellig wahrnehmbare Amüsement – redete sich einfach ein, dass es nichts mit ihm zu tun hatte – und gab ein knappes Nicken zur Antwort. Als er schließlich verschwand, war auch die letzte Person in unmittelbarer Umgebung des Kristalls fort – und zurück blieben nur ein Schwert mit dem Namen Tengaar, ein Wurfmesser und die letzten Schwaden verschwindenden Bluts im Wasser. Kapitel 29: Treasa ------------------ Hix stand in einem Saal voller Säulen, von denen einige bereits zerstört oder zumindest umgestürzt waren. Lediglich zwei von ihnen befanden sich noch an Ort und Stelle. Boden und Wände bestanden aus einem schwarzen Material. Nein, bei genauerem Hinsehen erkannte Hix, dass es nur den Eindruck von Wänden und Boden gab. In Wirklichkeit aber sah er überall einen Nachthimmel voller Sterne, derart viele auf einen Punkt konzentriert, dass die einzelnen Lichtpunkte kaum noch als solche zu erkennen waren, sondern bunte Farbwirbel erzeugten, die ihn staunen ließen. Sein Blick traf auf eine Treppe, die nicht weit entfernt war. Genau wie der Rest des Raumes war sie lediglich ein Konstrukt, das gleichzeitig zu existieren, aber auch nicht zu existieren schien. Deswegen setzte er vorsichtig einen Fuß auf die erste Stufe und – als er merkte, dass sie wirklich hier war – begann dann den Aufstieg. Natürlich war er sich der Gefahr bewusst, in die er sich begab. Dass er möglicherweise durch eine der Stufen fallen und sterben könnte, dass die Treppe vielleicht gar nicht dorthin führte, wohin er gehen wollte. Möglich wäre auch ein Angriff, gegen den er sich nicht verteidigen könnte. Durfte er hier überhaupt irgendetwas vertrauen? Er zögerte bereits auf der zweiten Stufe. Könnte das hier, in Treasas eigenen Gefängnis, überhaupt zu etwas führen? Und wo war sie gerade? Nein! Ich habe keine Zeit dafür. Tengaar wartet auf mich. Ich muss gehen! Damit verbannte er alle negativen Gedanken so gut er konnte aus seinem Bewusstsein und lief mit entschlossenen Schritten weiter. Aber egal wie viele Stufen er hinaufstieg, es kam einfach kein Ende in Sicht, dabei fühlte es sich schon nach kurzer Zeit so an, als hätte er Hunderte von ihnen erklommen. Seine schwer gewordenen Beine verlangten nach einer Pause, aber er strebte weiter. Er konnte nicht anhalten. Nicht so kurz vor dem Ziel. Mehrere Stufen später erschienen plötzlich glitzernde Splitter in der Luft um ihn herum. Zuerst spiegelten sie nur sein Gesicht, wann immer sein Blick darauf fiel – aber kaum hatte er sich daran gewöhnt, waren auf einmal andere Bilder darin zu sehen, begleitet von Treasas Stimme, die von überall gleichzeitig zu kommen schien. In meiner Kindheit glich mein Leben mehr einem Albtraum. Als Tochter einer einfachen Familie, die nicht verstand, warum ich Magie in meinem Blut trug, war ich jahrelang Abneigung, Hass und auch Ignoranz ausgesetzt. Man verstand nicht, wie es möglich war, dass ein Mensch ohne jede Rune in der Lage war, Magie zu wirken. Wieso ich immer lachte, wenn es mir schon kurz nach der Geburt gelang, das Feuer im Kamin zu entzünden. Als ich noch ein Baby war, versuchte man, mich zu ertränken, eine Erinnerung, die ich glücklicherweise längst vergessen habe. Ich überlebte, dank meiner Magie, musste ab diesem Tag aber im Keller meines Elternhauses leben, gekleidet in Lumpen und stets damit rechnend, dass man mich vergaß und ich elend verhungern oder verdursten musste. Niemand redete mit mir, wann immer man mir Brot oder Wasser brachte, es war mir strengstens verboten, Magie einzusetzen und ich fürchtete Strafen, schlimmer als der Tod, sollte ich mich einer dieser Regeln widersetzen. Meine einzige Unterhaltung waren hin und wieder vorbeikommende Ratten, mit denen ich mein Essen teilte, und auch alte, fast schon vergilbte Bücher, denen die Nässe im Keller nicht gut getan hatte. Diese Bücher, die von mächtigen Helden und Magiern erzählten, brachten mir keine Freiheit, aber sie ließen mich davon träumen, eines Tages dieses Land zu bereisen, die Sonne auf meiner Haut zu spüren und auch meine Magie, die ein fester Teil von mir war, nicht zurückhalten zu müssen. Ich war gerade vierzehn geworden, als ein Mann in einem zerschlissenen Mantel vor unserem Haus erschien. Er stellte sich als Westcott vor und er versprach meinen Eltern, sich um mich, die Hexe, zu kümmern. Natürlich nahmen sie diese Möglichkeit dankbar an, nur um mich und die vor mir verbundene Angst endlich loszuwerden. Ich fürchtete nicht um mein Leben, das ich bislang immer in einem dunklen, feuchten Keller verbracht hatte. Stattdessen freute ich mich, endlich wieder Sonne auf meiner Haut und Gras unter meinen Füßen spüren zu können. Auch meine Gesundheit war mir egal. Ich war bereit, alles zu ertragen, was dieser seltsame Mann mir antun wollte, solange ich bis dahin in Freiheit sein durfte. Doch stattdessen kleidete er mich neu an, kaufte mir so viel zu essen, wie ich wollte – und dann erzählte er mir, dass er ein Magier sein, ein Meister gar, und er durch das Land reise, auf der Suche nach magie-begabten Kindern, die er zu seinen Schülern machen könnte. In der Stadt meiner Familie war er auf Gerüchte über mich gestoßen, die sich als wahr herausgestellt hatten, wie er mir stets mit glühendem Gesicht erzählte. Und er sagte mir noch etwas: Ich war das erste Kind, das nun zu seiner Schülerin werden sollte und fortan sei er meine Familie. Meister Westcott und ich reisten fortan gemeinsam durch das Land. In jeder Stadt erfragten wir Gerüchte um ungewöhnliche Kinder und gingen ihnen nach. Enttäuschend oft fanden wir nur noch ein totes Kind vor, weil es von abergläubischen Stadt- oder Dorfbewohnern getötet worden war, manchmal auch von der ängstlichen Familie selbst. Aber wann immer wir ein lebendes Kind vorfanden, nahm Westcott es mit sich, um die Familie wachsen zu lassen. Nachts, wenn wir rasteten, so wie an den Tagen mit entsprechender Sternenkonstellation, an denen wir nicht weiterreisten, lehrte er uns, die Magie zu kontrollieren. Wir lernten nicht, weswegen wir diese Gabe hatten, aber er sagte uns, wir seien etwas Besonderes und wir sollten stolz darauf sein. Ich war stolz. Ich bin es heute noch. Ich war Westcotts Lieblingsschülerin und gleichzeitig auch die beste. Jede seiner Aufgaben meisterte ich mit einem Elan, der seinesgleichen suchte. Deswegen teilte er mir schon früh mit, dass er mich für eine ganz besondere Aufgabe ausersehen hatte und es nur noch an dem passenden Gegenstück mangelte. Ich verstand nicht, was er damit meinte, aber fortan prüfte er jeden Jungen, den wir fanden, auf Herz und Nieren, auch Dougal und Fion, als wir sie aufnahmen. Sie waren geschickt und fähig, aber Meister Westcott sagte, sie seien noch nicht geeignet. Als ich fünfzehn geworden war, stießen wir an einem Fluss auf einen Turm, in dem wir uns fortan niederließen. Ein Zuhause zu haben war ungewohnt geworden, aber wir lebten uns schnell ein, lernten noch mehr als zuvor, weil wir endlich Zeit und auch Bücher zur Verfügung hatten. Bücher, in denen von unglaublichen Taten und Kriegen berichtet wurde. Nun da ich diese Fähigkeiten hatte und etwas Besonderes war, wollte ich mehr denn je Abenteuer erleben und vielleicht sogar eine Heldin sein – und kurz nachdem ich sechzehn wurde, traf ich das erste Mal jenen Mann, den sogar Westcott ehrfürchtig nur den Magier nannte. Der Magier war furchteinflößend. Er sprach wie ein guter Mann, aber seine Stimme war voller Spott, seine Augen eiskalt. Meister Westcott fürchtete ihn, hasste ihn, verachtete ihn – und der Magier sah in meinem Meister nur eine kleine, unbedeutende Ameise. Dass wir alle noch lebten, verdankten wir nur jener Tatsache, deswegen ertrugen wir den Spott mit einer Gelassenheit, die der von Heiligen in den Märchen gleichkamen. Nach diesem Besuch verriet der Meister mir, zu welcher Aufgabe ich erkoren war: Es gibt nur einen Weg, die Welt von dem Magier zu erlösen und dieser führt über eine Rune, die nur in der Welt existiert, wenn sie gebraucht wurde; die Rune der Einheit. Es benötigt ein Paar, das sich derart ergänzte, dass sie gemeinsam die Vollkommenheit bilden. Ich sollte ein Teil davon sein, sagte Meister Westcott, aber mein Gegenstück fehle noch, fügte er bedauernd hinzu. Erst wenn beide gefunden seien und wir das Ritual vollführten, könne die Welt von dem Magier befreit sein – und dann gäbe es nichts mehr, das uns Magier davon abhielte, den für uns bestimmten Platz in der Welt wieder einzunehmen. Das war etwas, das mich nicht interessierte, aber Meister Westcott hatte es verdient, dass seine Träume erfüllt wurden und ich wollte dem nachgehen. Und als ob das Schicksal es sich ebenfalls so wünschte, dauerte es nicht lange, bis schließlich jener zu unserem Turm kam, der mein Partner werden sollte: Alisdair. Der Tag, an dem Alisdair vor unserem Turm stand, war der schönste meines Lebens. Er sah ähnlich aus wie der Magier, doch er war nicht furchteinflößend, nicht spöttisch. Er war ein guter Mann, dessen Magiebegabung nicht sonderlich ausgeprägt war. Aber sein gutes, reines Herz, seine Naivität und auch seine Unschuld gewannen bald mein Innerstes und mein Meister erlaubte uns, das Ritual durchzuführen. Alisdair zweifelte an dem Erfolg, aber ich wusste, dass es funktionieren könnte. Deswegen legte ich, ohne zu zögern, mein Leben in seine Hände. Ich starb ohne Reue, wohl wissend, dass ich ihn wiedersehen würde, sobald ich die Augen wieder aufschlug. Doch dem war nicht so. Ich fand nicht einmal mehr mich selbst. Etwas Fremdes war in meinen Körper eingedrungen und es brachte Hass und Bitterkeit mit sich. Als ich erfuhr, dass Alisdair tot war, ich seine Leiche unweit des Orts meines Erwachens sah, getötet von einem eifersüchtigen Dougal, vereinten sich Hass und Bitterkeit zu einer rasenden Mischung aus unbändiger Wut, die ich zu zügeln versuchte. Doch das in mich eingedrungene Wesen, die fremde neue Rune, flüsterte mir Dinge ein, die ich erfüllt sehen wollte. Brennende Dörfer, überflutete Städte, sterbende Menschen. Die ganze Welt sollte an meinem Hass verbrennen und in meiner Wut ertrinken! Mein Meister war der erste, der dafür sterben musste. Er versuchte, mich aufzuhalten, als er bemerkte, wie mein Plan aussah, aber natürlich gelang es ihm nicht. Seine Ausbildung, die er mir angedeihen ließ, war zu gut gewesen und er war durch den jahrelangen Nicht-Gebrauch seiner Fähigkeiten eingerostet. Es war ein leichtes gewesen, ihn auszuschalten, gefolgt von jedem anderen Schüler, der noch an Werte wie Moral oder Liebe glaubte. Ich tötete sie alle, einen nach dem anderen, gemeinsam mit Dougal, der entschlossen war, mir zu folgen. Ich plante, ihn bei mir zu halten, solange er nützlich war – aber ich hatte nicht vergessen, dass es überhaupt erst ihm zu verdanken war, dass ich mich in dieser Situation befand. Er hatte Alisdair getötet und zu gegebener Zeit würde er meine Rache dafür spüren. Aber dann traf ich auf Fion, der es schaffte, mich zu versiegeln. Für viele, viele Jahre … „... und der Rest ist Geschichte.“ Das waren die letzten Worte, die Hix, wenngleich undeutlich, hören konnte, ehe er endlich die letzte Stufe und eine Plattform erreichte – und hier auch schlussendlich Treasa selbst gegenüberstand. Es schien ihm, sein Körper war inzwischen derart an das Treppensteigen gewöhnt, dass er im ersten Moment gar nicht wusste, wie er einfach stillstehen sollte. Als es ihm schließlich gelang, wollte er einen genaueren Blick umherwerfen, doch abgesehen von Treasa war alles in Dunkelheit getaucht. Es waren nicht einmal die Sterne zu sehen. Andererseits kam es ihm aber auch so vor, als hätten seine Augen und seine Ohren bei diesem Aufstieg gelitten. Alles war erst einmal verschwommen zu erkennen, in seinem Gehörgang schrillte noch alles. Aber je länger er tief durchatmete, desto mehr ließ das alles wieder nach, sein Blick schärfte sich langsam, das unangenehme Geräusch trat kaum noch hörbar in den Hintergrund. Dennoch war nicht viel mehr zu sehen als Treasa, der schmucklose Thron auf dem sie saß, und eine unendlich erscheinende Dunkelheit. Ihr rosa Haar fiel ihr über die Schultern, sie wickelte sich spielerisch eine ihrer Strähnen um den Finger, die Rune an der dazu gehörenden Hand glühte bereits wieder rot. Sie trug ein kaltes Lächeln zur Schau, das selbst ihre eisblauen Augen zum Glitzern brachte, ihm einen Schauer über den Rücken jagte, genau wie ihre Stimme, die er nun ohne jeden Widerhall hören konnte: „Willkommen, Hix. Du hast einen langen Weg hinter dir. Deswegen solltest du dich einfach ein wenig hinlegen.“ Die Rune leuchtete heller, Hix hielt den Atem an, konzentrierte sich auf seine eigene Rune, die ihm sicher keinerlei Schutz bieten könnte – und erwartete den Effekt des fremden Zaubers. Kapitel 30: Kristall und Feuer ------------------------------ Die Wasserrune erstellte einen Schutz aus Eis direkt vor Hix. Aber Treasas Zauber ließ diese Mauer zerplatzen. Scharfkantige Eiskristalle wurden in seine Richtung geschleudert und bohrten sich brennend in seine Haut. Doch diese Schmerzen waren nichts gegen das, was ihn erwartete, als ihn gleich danach der volle Effekt des Zaubers traf. Flammenzungen leckten schmerzhaft an seiner Haut, versengten Kleidung und Haare. Er versuchte zu atmen, doch es kam ihm vor als stünde seine Nase, sein Rachen, seine Lunge selbst in Flammen, ein Feuer, das ihn von innen heraus zu verzehren versuchte. Schließlich schwand das schlimmste Gefühl wieder. Doch die normale Luft, die ihm nun viel zu kalt vorkam, traf auf seine glühende Haut wie brennendes Eis, das sich in ihn hineinzubohren versuchte. Er ließ den Arm sinken, den er bislang erhoben hatte, um seine Augen zu schützen. Es kam ihm wie ein Wunder vor, dass er sich überhaupt noch bewegen konnte. Treasa saß immer noch auf ihrem Thron, sie wirkte fast schon amüsiert. Ihre Rune glühte schwach. Benötigte sie etwas Zeit, ehe sie diese wieder einsetzen konnte? „Gar nicht schlecht“, sagte sie. „Ich hätte eigentlich erwartet, dass du dich direkt in Asche verwandelst. Womöglich habe ich dich unterschätzt.“ „Hör endlich auf damit.“ Die Worte kamen nur undeutlich aus seinem Mund, sein Körper, sein Mund, schmerzte zu sehr. Glücklicherweise gelang es ihm in diesem Moment, seine Rune wieder zu aktivieren. Ein blaues Licht hüllte ihn ein, ein angenehm beruhigendes Gefühl legte sich wie Balsam auf seine Haut. Einen Augenblick später hatten sich seine Schmerzen wieder verbessert, er spürte nur noch ihren Nachhall wie Nadeln, die auf seiner Haut kratzten, ohne sie wirklich zu verletzen. „Ich will, dass du mir Tengaar zurückgibst!“, forderte er. Zu seiner eigenen Überraschung war seine Stimme klar und entschlossen. Er spürte aber auch keine Furcht, zitterte nicht einmal. Wogen von Sehnsucht und Entschlossenheit wechselten sich in seinem Inneren ab und erfüllten ihn derart, dass gar kein Platz für Furcht blieb. Treasa lachte. „Und wie willst du diese Forderung durchsetzen? Deine Rune wird niemals gegen meine ankommen und du hast kein Schwert mehr.“ Erst als sie das erwähnte, fiel ihm das auch auf. Seine Hand fuhr an seinen Gürtel, der sich viel zu leicht anfühlte. Tatsächlich, das Schwert war nicht da, er fand nur eine leere Scheide vor. Das Leder fühlte sich angenehm kühl unter seinen Fingern an. „Du siehst, es ist absolut hoffnungslos. Du wirst niemals gegen mich gewinnen.“ Noch einmal leuchtete ihre Rune auf. Er wappnete sich wieder gegen das Feuer, doch stattdessen schossen ihm glühende Klingen entgegen. Mit einem Sprung zur Seite wich er aus – doch die Klingen bildeten einen Bogen, folgten jeder seiner Bewegungen. Nach nur wenigen Sprüngen durchbohrte eine der Waffen sein Bein. Er schrie unwillkürlich auf. Weitere Klingen bohrten sich in seinen Körper, rissen ihn zu Boden. Er spürte, wie einer seiner Zähne abbrach, schmeckte Blut. Die glühenden Klingen verschwanden, doch seine Wunden blieben. Warmes Blut floss seine Arme und Beine hinab, aber zumindest die Schmerzen ließen nach. Treasas höhnisches Lachen erfüllte die Halle. „Du hättest nie hierher kommen dürfen, wenn dir etwas an deinem Leben liegt.“ Ihm lag wirklich etwas daran, aber- „Mir liegt viel mehr an Tengaar“, erwiderte er leise. Mühsam erhob er sich wieder, spuckte etwas Blut und seinen abgebrochenen Zahn aus. Die Wasserrune leuchtete erneut auf, um ihn wieder zu heilen. Er spürte aber, dass es das letzte Mal war, dass er die Rune bedenkenlos einsetzen konnte. Die Magie zehrte bereits an ihm. Er richtete eine mit Blut verklebte Hand in Treasas Richtung. „Und deswegen werde ich alles tun, was ich kann, um sie wiederzubekommen.“ Das Amüsement verschwand vollkommen aus ihrem Gesicht. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, deutlich verärgert. „Du weißt einfach nicht, wann du aufhören solltest, oder?“ Er wich ihrem beiläufig geworfenen Felsbrocken aus. Irgendwo hinter ihm zerplatzte er an einer Wand. Wie konnte sie das überhaupt machen? Lag das daran, weil es ihr Reich war? Egal, er durfte sich nicht ablenken lassen, er musste auf alles gefasst sein. „Ich hätte dich wieder gehen lassen“, sprach Treasa weiter. Sie erhob sich. Von irgendwo hörte er das Knacken von Kristall. Im nächsten Moment schoss eine scharfe Kristallspitze aus der Dunkelheit auf ihn zu. Er sprang zur Seite, sie zog an ihm vorbei. Dann sah er der Spitze hinterher, bis sie gegen ein Hindernis prallte und zerbrach. Die Splitter regneten auf den Boden und ließen neue lila-farbene Kristalle wachsen. Sie versperrten seinen Rückweg. Aber er hatte ohnehin nicht vor, zurückzugehen. Treasa ging langsam auf Hix zu. „Du hättest dein Leben ganz normal und friedlich weiterleben können.“ Über sich hörte er ein leises Zischen. Ein Sprung nach hinten rettete ihn vor einem herabstürzenden Speer, der sich in den Boden bohrte. Genau dort, wo er gerade eben noch gestanden hatte. „Ohne Tengaar zugegeben, aber ist das denn wirklich so wichtig?“ „Für dich war es doch auch wichtig, dass Alisdair bei dir war, oder?“ Treasa hielt augenblicklich inne. Etwas in Hix' Inneren schien sich zu regen. Wie ein Fremdkörper wand es sich in seinem Geist, seinem Gehirn, wollte einen Weg hinaus finden. Er ignorierte dieses Gefühl vorerst. Nach einem kurzen Moment des Schweigens, stieß Treasa ein wütendes Schnauben aus. Die Kristalle resonierten in einem tiefen, ohrenbetäubenden Ton. „Du hast kein Recht, von ihm zu sprechen!“ Es schien von überall gleichzeitig zu kommen. „Nicht einmal seinen Namen in den Mund zu nehmen!“ Es war so wie er es in ihren Erinnerungen gesehen hatte: Sie liebte ihn immer noch. Selbst nach all diesen Jahren – oder möglicherweise genau wegen diesen. Hix streckte eine Hand aus als hielte er ein Schwert, obwohl sie leer war. „Ich werde über ihn reden solange ich will, bis du mir Tengaar wiedergibst.“ Um Treasa herum schien Licht zu explodieren. Es sah aus als stünde ihr ganzer Körper in Flammen, ohne dass sie wirklich verbrannt wurde. Sie war der Mittelpunkt des Feuers, seine nie endende Quelle. „Das, was du und Tengaar habt, ist nicht einmal halb so stark wie das, was Alisdair und mich verbindet!“ Ihre Stimme wurde von einem eigenartigen Hall begleitet, der sie verzerrte, bis sie fast unkenntlich wurde. „Für deine Anmaßung werde ich dich zerfetzen!“ Die Flammen loderten heller, reckten sich nach Nahrung in alle Richtungen, blendeten Hix. Er spürte die Furcht in seinem Inneren wieder, die Angst davor, verletzt zu werden oder sogar zu sterben. Seine Beine zitterten ein wenig. Aber er konnte nicht zurückweichen. Nicht, wenn es um Tengaar ging. Eine ihm unbekannte Energie erfüllte ihn, verdrängte die Angst in eine Ecke, in der er mit ihr umgehen konnte. Und dann schloss sich seine Hand plötzlich um einen Schwertgriff. Von diesem Gefühl etwas überrascht, blickte er hinüber, aber ehe er etwas erkennen konnte, spürte er, wie sich Treasas Rune wieder aktivierte. Sie warf ihm einen Schwall an Energie entgegen. Ohne nachzudenken riss er die Arme vor, damit er sein Gesicht schützen könnte – doch eine gleißende Klinge schnitt direkt durch die Energie hindurch, teilte sie, so dass er nicht getroffen wurde. Er sah in Treasas erstauntes Gesicht, das in etwa so ähnlich aussehen dürfte wie seines. Aber dann fiel sein Blick wieder auf das Schwert in seiner Hand. Die Klinge glühte in einem beruhigenden blauen Licht, das einen Kontrast zu dem roten Feuer Treasas bildete. „Was ist das?“, fragte sie mit verzerrter Stimme. Das konnte Hix auch nicht beantworten, aber wenn es ihm half, Tengaar zu retten, würde er davon Gebrauch machen, ohne es zu hinterfragen. Wieder hörte er das Knirschen von Kristall. Im nächsten Moment schossen weitere Kristallspitzen auf ihn zu. Hix schwang das Schwert, es zog einen glitzernden blauen Schweif hinter sich her. Sämtliche Kristalle, die damit in Kontakt kamen, zerplatzten ohne jeden Schaden anzurichten. Energie und reine Macht prickelten in Hix' Fingerspitzen. Deswegen wurde er von neuem Mut beflügelt. Er sprang nach vorne, direkt auf Treasa zu. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung – ein Ruck riss ihn zur Seite, er landete auf seiner Schulter. Schmerz zuckte durch seinen gesamten Arm als wäre er einfach zerbrochen. Aber er hielt nicht inne. Hix sprang sofort wieder auf, wich einem Felsen aus und stürzte erneut auf Treasa zu. Fünf glühende Speere schienen aus ihrem Körper zu kommen, sie warf ihm diese entgegen – zwei von ihnen bohrten sich in seinen Arm und seinen Oberkörper, die anderen drei konnte er abwehren. Das durch seine Adern pumpende Adrenalin verdrängte den Schmerz. Kaum waren die Speere wieder verschwunden, leuchtete seine Rune auf und hüllte ihn mit einem heilenden Licht ein. Er spürte ein Ziehen in seinem Kopf, ein Schmerz als ob er sich einen Haken hineingebohrt hätte und nun damit wieder freizukommen versuchte. Er hätte nicht mehr zaubern dürfen, aber ihm blieb keine Wahl. Mit dem Schwert teilte er eine weitere Energiewelle von Treasa, wich zahllosen Kristallbruchstücken aus. Einige von ihnen bohrten sich in seine Haut, sandten ein schmerzhaftes Brennen aus, das ihn von seinem Vorhaben abzubringen versuchte. Aber er hielt nicht inne. Er rannte immer weiter, die Distanz zwischen ihnen schmolz. Treasa bewegte sich rückwärts, ließ Feuer, Kristalle, Speere und Felsen auf ihn prasseln, aber er wehrte jeden einzelnen Angriff ab, wich ihm aus, widerstand dem Schmerz. Nur noch ein paar Meter! Mit einem Sprung überwand er die letzte Distanz. Treasas flammende Aura versengte seine geheilte Haut, ließ sie derart schmerzen, dass er am liebsten geschrien hätte. Vielleicht tat er das auch. In seinen Ohren hörte er nur noch ein Rauschen, das alle anderen Geräusche erstickte. Treasa hielt abwehrend die Arme vor sich, sie wandte den Blick ab. Das Schwert traf sie schräg auf der linken Schulter. Hix' Kraft reichte nicht, um die Klinge ganz durch ihren Körper zu treiben, aber er konnte sie so weit hineinstoßen, dass sie feststeckte. Der Schwung seines Sprungs ließ ihn direkt gegen Treasa prallen und sie mit sich zu Boden reißen. Er rollte über sie hinweg, ließ das Schwert dabei los und kam schmerzhaft auf dem Rücken zum Liegen. Treasa wand sich vor Schmerzen auf dem Boden, stieß immer wieder leise Schreie aus, wenn sie nicht gerade schluchzte. Hix wollte sich aufrichten, um ihr den letzten entscheidenden Schlag zu versetzen. Aber es ging nicht. Das Adrenalin schien mit dem Aufprall aus seinem Körper gewichen zu sein, sein ganzer Körper war ein einziger großer Schmerz, wie er ihn noch nie zuvor gespürt hatte. Kein Muskel, kein Knochen, der ihm nicht mit einem stetigen Brennen oder Zerren mitteilte, dass er in Mitleidenschaft gezogen worden war. Kraftlos sank er wieder zu Boden. Die Wasserrune leuchtete zwar auf, aber er war zu ausgelaugt, um sie einzusetzen. So ähnlich musste es auch Treasa gehen. Ihre Rune pulsierte schwach in einem weiterhin bedrohlichen Rot, aber es wurde kein Zauber gewirkt. Die Flammen um sie herum existierten noch, allerdings fraßen sie nun auch Treasas Haut. Lediglich das blaue Leuchten des Schwerts verhinderte, dass Hix vollkommen vom Rot geblendet wurde. Aber was jetzt? Er war in diese andere Welt, diese Sphäre, gekommen, um Tengaar zu retten. Müsste er am Ende dafür sterben? War das wirklich in Ordnung? Natürlich. Sie ist viel wertvoller als ich. Sie muss leben. Nach und nach schwanden die Schmerzen, je länger er still dalag, und ließen nur noch ein taubes Gefühl zurück. Auch ohne es zu versuchen wusste er, dass er sich nicht mehr bewegen könnte. Treasa verstummte derweil endlich und lag sogar still. Ein kurzer Blick zu ihr hinüber zeigte ihm, dass ihr Körper inzwischen nur noch Kohle war, die Rune war erloschen, endgültig. Er müsste schockiert sein, angewidert, vielleicht wäre ihm unter anderen Umständen sogar schlecht geworden. Aber im Moment fühlte er sich vollkommen leer, desinteressiert, losgelöst. Fast spürte er so etwas wie Glück über diese Erkenntnis. Aber er konnte sich im Moment auch nicht mehr erinnern, wie sich Glück überhaupt anfühlte. Er spürte keinen Luftzug, aber plötzlich wurde die Asche, die Treasas Körper darstellte, in die Luft gehoben und verweht. Aber wie konnte es möglich sein, dass sie bereits derart verbrannt war? Seine Augen folgten der schwebenden Asche, die in der Luft ein Muster zu bilden schien, dann wurden seine Lider so schwer, dass er sie nicht mehr offen halten konnte. Er schloss die Augen, sank in die Dunkelheit hinab, bereit, sich dem Willen der Runen zu unterwerfen. Und dann lauschte er nur noch seinem langsamer werdenden Herzschlag. Bis er verstummte. Kapitel 31: Am Ende der Reise ----------------------------- Es kam ihm vor als schwebte er. Vollkommene Ruhe durchflutete ihn, erfüllte ihn mit einer wohltuenden Leere. Es gab keine Sorgen, keine Ängste, aber auch keine Freude. Alles war einfach wie es war, und er war zufrieden, denn in diesem Moment kannte er keinen anderen Zustand, und er wollte auch keinen anderen kennen. Alles war gut. „Hix.“ Die Stimme verscheuchte die Stille, die schwerer zurückzusinken schien. Er kannte dieses Wort und dessen Bedeutung nicht, also reagierte er nicht, machte nicht einmal Anstalten dazu. Alles war gut. „Hix … kannst du mich hören?“ Die Stimme kehrte zurück, nur um seine Ruhe noch mehr zu stören. Er wollte erwidern, dass er nicht wusste, wovon die Rede war und dass sie verschwinden sollte, aber er brachte keinen Ton hervor. Er wusste nicht, wie man sprach. Alles war gut. Oder? „Ah, du hörst mich also. Das ist gut.“ War doch er gemeint? Gab es außer ihm überhaupt etwas anderes oder jemand anderen? Er wusste es nicht, denn er konnte nichts spüren, abgesehen von der wohltuenden leeren Ruhe in seinem Inneren. Aber diese wurde von der fremden Stimme immer wieder aufgewühlt, sie erzeugte winzige Wellen auf der Oberfläche eines Gewässers, das seine Ruhe darstellte. War immer noch alles gut? „Willst du wirklich nicht mehr aufwachen? Tengaar wartet doch auf dich.“ Tengaar. Dieses Wort erzeugte nicht nur winzige Wellen, es zerwühlte das Wasser wie unzählige darin schwimmende Fische, die gleichzeitig nach auf der Oberfläche ruhenden Brotkrumen haschten. Die Ruhe war nun vollkommen verschwunden. Nichts war mehr gut. „Tengaar lebt, Hix. Du erinnerst dich an sie.“ In diesem aufgewühlten Gewässer glaubte er, ein Gesicht erkennen zu können, mit einem verschmitzten Grinsen, einem liebevollen Blick, einem tadelnden Stirnrunzeln; er sah langes rotes Haar, das im Wind tanzte und den Körper einer jungen Frau umspielte. Mit diesem Bild stürmten unzählige andere auf ihn ein, um erneut ein Teil von ihm zu werden. Nichts war mehr gut, aber er erinnerte sich wieder an sein gesamtes Leben – und er öffnete seine Augen. Seinem ersten Impuls folgend, schnappte er nach Luft, nur um festzustellen, dass seine Lungen sich nicht mit Sauerstoff füllten. Aber dennoch geriet er nicht in Panik, denn er benötigte keine Luft, kein Wasser füllte seine Lungen. Es sah aus, als befände er sich unter Wasser, aber seine Bewegungen wurden nicht im Mindesten behindert. Dass er aber seine Hände wieder sehen konnte, erfüllte ihn mit einer kaum gekannten Freude in seinem Inneren, als hätte er sie fast verloren. „Es ist schon gut“, hörte er plötzlich die Stimme wieder, diesmal vollkommen klar. „Wir sind nicht wirklich unter Wasser.“ Er sah nach vorne, wo er zuerst nur ein helles Licht sehen konnte. Kaum fixierte er es, wurde es schwächer, bis es sich schließlich als Mensch herausstellte. Aber diese Person ließ Hix wieder scharf einatmen. „Treasa?“ Es war dieselbe Frau, aber im Gegensatz zu ihrer letzten Begegnung war nichts Furchteinflößendes an ihr. Kein rotes Leuchten an ihrer Hand, kein verschlagenes Glitzern in ihren Augen, sie lächelte vollkommen ehrlich. „Schön, dass du wieder zurück bist, Hix.“ „Wo sind wir?“ Er sah, dass sie im Wasser schwebten, von irgendwo schien ein blaues Licht, das die Atmosphäre mit Frieden erfüllte. Aber er entdeckte nirgends Felsen, Fische oder sonst irgendetwas, das auf ein normales Gewässer hinwies. Vor allem weil es eigentlich nicht logisch war, wenn er daran dachte, wo sie vorhin noch gewesen waren. Vorhin? Was war danach geschehen? „Du hast viele Fragen“, stellte Treasa fest. Sie wandte ihren Blick von ihm ab, und sah zur Seite. Ihr Haar schwebte im Wasser nach oben und blieb dort wie eine Wolke. „Wir haben miteinander gekämpft, daran erinnerst du dich noch, oder?“ „Natürlich.“ Sie war dabei verbrannt worden, und er … er … „Sind wir tot?“ Seine Stimme klang hohler als er es je hätte annehmen können. Er spürte nicht einmal Verzweiflung, nur Sehnsucht nach Tengaar. Treasa nickte, sie sah aber immer noch zur Seite. „In gewisser Weise, ja. Aber wir sind noch nicht vollkommen über der Grenze.“ Sie deutete in ihre Blickrichtung. Dort entdeckte Hix, viele hundert Meter entfernt, den Ursprung des blauen Leuchten. Es war angenehm, einladend, fast war es als ob es ihn riefe. „Gehst du dort hinein, ist dein jetziges Leben vollkommen vorbei. Und von dem Krieger Hix wird nur ein zermarterter Körper und Erinnerungen übrig bleiben.“ Tengaar käme sicher ohne ihn zurecht. Wenn Fion sie wieder nach Hause brächte, könnte sie dort den Rest ihres Lebens verbringen, vielleicht sogar neue Liebe finden und ihn eines Tages vergessen. Nein! Der Gedanke schmerzte zu sehr. Selbst wenn sie jemand anderen fand, so wollte er doch, dass sie ihn niemals vergaß. „Wäre es nicht am besten, wenn du wieder zu ihr zurückkommst?“ Natürlich wäre es das, aber … „Ist das denn möglich?“ Hix glaubte nicht, jemals von einem Toten gehört zu haben, der wieder zurückgekommen war – abgesehen von Gremio, aber das waren besondere Umstände gewesen. „Solange du noch nicht durch das Licht gegangen bist, ja.“ Treasa sah ihn wieder an und zwinkerte ihm zu. „Das gilt aber nur, weil du unter bestimmten Umständen gestorben bist.“ Bestimmte Umstände? Er verstand nicht, wovon sie sprach, aber sie antwortete nicht, als er sie darauf ansprach. Stattdessen glaubte er, jenseits des blauen Lichts Stimmen seiner Vorfahren hören zu können, wie sie nach ihm riefen, ihn lockten und ihm versprachen, sämtlichen Schmerz abzulegen. Er verschloss seine Ohren gegenüber ihrer Rufe. „Wie geht es Tengaar?“ „Sie hat ihren Körper wieder und ist sicher. Wünscht sich dein Herz zu ihr?“ Das tat er wirklich. Aber wie sah es mit seinem eigenen Körper aus? Treasa legte ihre Hände auf ihr Herz und schloss die Augen. „Mach dir darum keine Sorgen. Wenn du stark genug glaubst und wünschst, dann wird alles gut.“ Stimmte das wirklich? Könnte es so einfach sein? Wusste sie mehr? Nein, er wollte über das alles nicht nachdenken, es bereitete ihm nur Kopfschmerzen, obwohl er im Moment nicht einmal einen Körper besaß. Um sich abzulenken, betrachtete er ihre Hände genauer. Auf keiner von ihnen befand sich auch nur noch der Hauch einer Rune. „Wo ist sie hin?“ Treasa wusste sofort, wovon er sprach: „Die Rune ist wieder an ihren Ruheplatz zurückgekehrt, wo sie mit ihrem Gegenstück vereint ist. Irgendwann einmal wird sie wieder beschworen werden – und dann wird es auch wirklich funktionieren, dessen bin ich mir sicher.“ Allerdings hoffte Hix, dass es niemals notwendig sein würde. Wenn ein einziger Fehler bereits solche Ausmaße durch die Jahre hindurch erreichen konnte, was passierte dann, wenn sich noch mehr bei der Beschwörung einstellten? Wenn die Trägerin oder der Träger einmal nicht rechtzeitig eingesperrt werden könnten? Die Welt war chaotisch genug, wie er in zwei Kriegen festgestellt hatte, da benötigte sie nicht noch mehr Unruhe. „Wirst du also zu Tengaar zurückkehren?“ Es gab absolut keinen Grund, dieser Treasa zu vertrauen, nachdem sie zuvor noch miteinander gekämpft hatten. Aber er wollte diesen Worten glauben, und er wollte wieder zurück zu Tengaar, deswegen nickte er. „Das werde ich. Auch wenn sie allein gut zurechtkommt, ich kann sie nicht einfach zurücklassen.“ „Das dachte ich mir bereits. Und das ist auch genau das, was er erwartet hat.“ „Er?“ Aus dem Nichts schälte sich plötzlich eine weitere Person, ein Mann mit schwarzem Haar und goldenen Augen. Hix erkannte ihn als Alisdair, den er in Treasas Erinnerungen gesehen hatte. „Du bist auch hier?“ Der Mann begab sich an Treasas Seite, worauf sie glücklich lächelte, und nickte. „Ich war die ganze Zeit bei dir, bis zum Finale.“ Also hatte die Krähe etwas mit ihm angestellt. Der intensive Blick und das veränderte Gefühl im Anschluss waren nicht nur Teile seiner Einbildung gewesen. War er mitgekommen, um Treasa wiederzusehen? „Es ist auch mir zu verdanken, dass du wieder in einen unbeschädigten Körper zurückkehren kannst. Ich überlasse ihn dir, repariert, gerne wieder.“ „Willst du nicht lieber selbst wieder leben?“, erwiderte Hix. Alisdair tauschte einen verliebten Blick mit Treasa, der so durchdringend wirkte, dass Hix fast schon ein wenig verlegen wurde. Glücklicherweise wandten sie sich gleich wieder ihm zu. „Ich möchte nur dort sein, wo Treasa ist. Ich bin mit so viel Reue im Herzen gestorben, die ich jetzt endlich ablegen kann. Warum sollte ich mir da noch ein Leben in einem fremden Körper wünschen?“ Er war wirklich vernünftig. Wenn doch nur er die Rune bekommen hätte, Hix war überzeugt, dass dann alles anders gekommen wäre. Aber nun war es vorbei. Alles war gut. Treasa ergriff Alisdairs Hand. „Wenn du zurückwillst, Hix, musst du nur in die dem Licht entgegengesetzte Richtung einschlagen, dann wirst du wieder aufwachen. Sieh den Ort, an dem das geschehen wird, als Geschenk von mir an. Schließlich habe ich dir sehr viele Probleme bereitet.“ Er wollte ablehnen, ihr sagen, dass es im Endeffekt nicht ihre, sondern Dougals Schuld gewesen war, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Ich bin jedenfalls froh, dir begegnet zu sein, so bin ich endlich freigekommen.“ „Ich bin auch froh“, sagte Alisdair. „So konnte ich Treasa wiedersehen. Und wir können endlich beide zusammen sein. Es ist als ob unser Treffen Schicksal gewesen wäre.“ Das war ein großes Wort. Hix war sich nicht sicher, ob es eine gute Bezeichnung für all diese Ereignisse war, aber er wollte nicht widersprechen. Die beiden nickten ihm noch einmal zu, dann schwebten sie in Richtung des Lichts. Kurz davor hielten sie noch einmal inne, um sich ihm zuzuwenden. „Leb wohl, Hix“, sagte Alisdair. „Sei immer gut zu Tengaar“, fügte Treasa hinzu. Damit wurden sie beide vom Licht verschluckt, dunkle Punkte, die sich ins Nichts auflösten und auch nicht wieder auftauchten, egal wie lange er seinen Blick darauf konzentrierte. Sie waren endgültig fort und stellten keine Bedrohung, gleich welcher Art, mehr dar. Mit einem Gefühl der Erleichterung in seinem Inneren, fuhr er herum und bewegte sich in die andere Richtung, wo das Blau immer dunkler wurde. Er konnte nicht laufen, aber das war auch nicht notwendig, sein Körper bewegte sich von allein durch das Wasser … oder jedenfalls das, was er dafür hielt. Für andere musste es genauso aussehen wie für ihn die Bewegungen von Alisdair und Treasa zuvor. Das Blau wurde bald so dunkel, dass es ins Schwarze überging, bis er sich von unendlich erscheinender Finsternis eingehüllt sah. Schon nach kurzer Zeit wusste er nicht mehr, in welche Richtung er sich eigentlich bewegte, wo vor oder zurück war – aber er hörte ihn wieder: seinen eigenen Herzschlag. Er klang klar und deutlich in seinen Ohren, er spürte ihn in seiner Brust, die für einen kurzen Moment schmerzte. Doch es war ein angenehmer Schmerz, ein leichtes Ziehen, das ihn wieder dorthin brachte, wo er hingehörte. Er spürte Wärme auf seiner Haut, etwas griff nach seinen Haaren, dann hörte er eine Stimme, die er seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört zu haben glaubte: „Hix, wach auf. Es wird langsam Zeit.“ Seine Augen waren geschlossen, ohne dass er sich daran erinnerte, wann es dazu gekommen war. Aber statt darüber nachzudenken, öffnete er sie wieder. Die Finsternis war verschwunden, er befand sich nicht mehr im Nichts, dafür saß er auf einer Ebene, gegen einen Baum gelehnt. Der Wind wehte durch sein Haar und brachte es noch mehr durcheinander als sonst. In wenigen hundert Metern Entfernung sah er Vinay del Zexay, den Ort, wo ihre Reise begonnen hatte. Das hatte Treasa also gemeint, als sie sagte, er solle sich nicht darüber wundern, wo er aufwacht. Tengaar stand ein paar Schritte entfernt von ihm, ihre Zöpfe wehten im Wind, weswegen sie diese mit einer Hand zu bändigen versuchte, um ihr Gesicht freizuhalten. Dadurch konnte ihr kritischer Blick in seine Richtung seine ganze Wirkung entfalten. Normalerweise wäre er nun derart mit Schuld erfüllt, dass er anfangen würde, sich wortreich und stotternd zu entschuldigen, aber in diesem Moment konnte er sich nur darüber freuen, dass ihre Augen braun waren, genau wie sie sein sollten. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit derart viel Glück und Freude, dass er sofort in die Höhe schoss, die Distanz überwand und die verdutzte Tengaar in seine Arme schloss. Während er sie nur festhielt, sich davon überzeugte, dass er nicht nur träumte, überwand sie ihre Überraschung genug, um ihre Sprache wiederzufinden: „Was ist denn in dich gefahren?“ „Ich bin nur so froh, dass wir wieder zusammen sind.“ „Hattest du einen Albtraum? Wir sind schon die ganze Zeit zusammen.“ Erinnerte sie sich nur nicht mehr, oder war das alles durch Treasas Einwirken nie geschehen, indem sie die Zeit zurückgedreht hatte? War vielleicht doch alles nur ein sehr langer Traum gewesen? Nein, er erinnerte sich deutlich an die Schmerzen, die Verzweiflung, die Erlebnisse und die Menschen, die ihm dabei begegnet waren. Es war alles wirklich geschehen. Aber sie musste das nicht wissen. Es war besser, wenn sie vergaß. „Ja“, sagte er deswegen, „ich hatte einen ganz furchtbaren Albtraum. Aber er ist jetzt vorbei.“ Sie waren zusammen, und er würde dafür sorgen, dass es auch dabei blieb. Für immer. Als er Tengaar wieder losließ, stellte er fest, dass sie errötet war. Geschah das bei jeder Umarmung? Warum hatte er bislang nur nie darauf geachtet? Sie setzte aber schnell wieder einen skeptisch-kritischen Blick auf. „Wir sollten jetzt weiter, wenn wir noch nach Vinay del Zexay wollen. Obwohl ich wirklich nicht verstehe, was das soll, wir könnten auch einfach-“ „Lass uns nach Hausen gehen.“ „Was?“ Sie blinzelte verdutzt. „Wie war das?“ Er ließ sie gänzlich los, dann hob er, ohne sich zu beschweren, das Gepäck auf seinen Rücken. Vor einer gefühlten Ewigkeit hatte er stets darüber geklagt, wie schwer das alles sei, aber nun war da das Gefühl, dass es vollkommen schwerelos war. „Der Weg nach Hause ist weit, deswegen sollten wir sofort los. Wir können in der Messingburg übernachten.“ Sein für sie plötzlicher Umschwung ließ sie auch weiterhin sprachlos zurück. Deswegen begann er zu erklären: „Ich bin doch bereits ein Krieger. Wir können also nach Hause gehen – und dann können wir auch gleich heiraten. Was sagst du?“ „Ah, also ...“ Sie hatte weiterhin sichtlich Mühe, sich zu sammeln, aber zumindest gelang es ihr, zu lächeln. „Ich finde das gut. Machen wir das.“ Glücklich über diese Zustimmung, nahm er ihre Hand und ging bereits in die andere Richtung davon, um sich von Vinay del Zexay zu entfernen. In Gedanken verabschiedete er sich von Zexen, das er kaum kennengelernt hatte, und von Falena, dem Königinnenreich jenseits des Meeres. Er bedankte sich innerlich bei Loki, bei Rim und Zahra, und auch bei Alisdair. Und er wünschte sich weiterhin, dass die Rune, die für all das verantwortlich gewesen war, niemals wieder in diese Welt gerufen werden müsste. Für ihn und Tengaar gab es nun nur noch die Rückkehr nach Hause und die gemeinsame Zukunft – und diese würde er für immer beschützen, da er sich nun absolut sicher war, dass er auch wirklich die notwendige Macht dafür besaß. Ein wenig weiter entfernt, auf einem Hügel, stand Fion, der die beiden beobachtete, während sie Hand in Hand in Richtung Messingburg davongingen. Alles war gut geworden für sie, genau wie er erwartet hatte, nachdem er plötzlich wieder in Zexen erwacht war. Aber nicht nur das war der Grund dafür. „Bist du bald fertig damit, andere Leute zu beobachten?“ Ailis' Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit wieder in ihre Richtung. Sie stand mit verschränkten Armen hinter ihm, bereit dazu, nach Vinay del Zexay weiterzugehen. „Seit heute morgen bist du echt seltsam, Fion.“ „Ich denke immer noch, dass er einen schlechten Traum hatte“, sagte die Person neben ihr, Dougal. „Das kommt davon, wenn er abends noch eine Koboldpastete essen muss.“ Fion erinnerte sich nicht an die Zeit, die er mit den beiden verbracht hatte. Er war sich nicht einmal sicher, ob es eine solche überhaupt gegeben hatte oder die Wechselwirkung der Zauber nur falsche Erinnerungen in den beiden erstellt hatte. Aber was auch immer der Fall war, er wusste, dass Dougal hier keine Obsession gegenüber Treasa besaß, er schien sich nicht einmal an sie zu erinnern. Deswegen konnten sie nun so gemeinsam umherreisen, als Brüder. Rim und Zahra wiederum … sie waren vermenschlichte Teile des Siegels von Treasa gewesen. Eine Vorsichtsmaßnahme, erstellt von Fion, falls Treasa freikommen sollte. So war es ihnen möglich gewesen, sie auch wieder einzusperren. Und auch, wenn er nicht wusste, was genau mit ihr geschehen sein mochte, so war ihm doch klar, dass es dank Hix keinen Grund mehr zur Besorgnis gab – und damit auch keinen Grund, dass es Rim und Zahra geben musste. „Kommst du jetzt endlich?“, fragte Dougal. „Wir würden gern heute noch in Vinay del Zexay ankommen. Wenn du draußen übernachten willst, kannst du das allein machen.“ Fion stieß ein leises Seufzen aus. Er warf einen letzten Blick zu Hix und Tengaar, die fast schon den Wald erreicht hatten, der zur Burg führte. Bei den beiden würde alles gut werden, davon war er überzeugt. Also könnte er sich nun darauf konzentrieren, dass auch bei ihm alles ein gutes Ende nahm. Deswegen schloss er sich Dougal und Ailis an, um nach Vinay del Zexay zu kommen, wo seine Reise beginnen würde – während die von Hix und Tengaar nun endete. Epilog: Düstere Aussichten -------------------------- In Falena gab es zur selben Zeit zwei Personen, die von dem Zeitzauber ebenfalls nicht betroffen waren, auch wenn man es anders meinen könnte. Lances saß wieder an seinem Tisch im ausladenden Esszimmer und betrachtete etwas in der Kristallkugel, die vor ihm lag. Cain stand neben ihm, den Rücken durchgestreckt, so wie schon damals als sie das Geschehen auf dem Meer beobachtet hatten. Zwischen ihnen herrschte Schweigen, das Cain unangenehm vorkam. Es war zwar der allgemeine Zustand, den er in Lances' Anwesenheit immer spürte, aber auch nur logisch: Wie sollte man angesichts einer solchen Macht wie der seines Meisters nicht ein unangenehmes Kribbeln im Nacken spüren, sofern man für Magie empfänglich war? Schließlich entschied er sich, das Schweigen zu brechen: „Meister, seid Ihr wirklich zufrieden damit, wie die Ereignisse ausgegangen sind?“ Lances machte eine lässige, wegwerfende Handbewegung über die Schulter. „Ich hatte meinen Spaß, alles andere ist doch nebensächlich.“ „Aber Treasa ist jetzt-“ „Fort, ja. Das kümmert mich nicht. Sie hat genug Chaos veranstaltet, das ich genießen konnte. Selbst wenn sie im Nachhinein alles wieder rückgängig gemacht hat.“ Cain sagte nichts mehr dazu. Wenn Lances dieser Meinung war, dann musste er auch nicht widersprechen, obwohl er selbst sich durch diese Zurücksetzung nicht sonderlich gut fühlte. Aber vielleicht war es wirklich besser, wenn die Welt sich erst einmal nicht an seinen Meister erinnerte, bevor dieser seinen Plan in die Tat umzusetzen gedachte. „Außerdem ...“, fuhr Lances plötzlich fort, „habe ich durch dieses Spiel auch gefunden, wonach ich immer gesucht habe. Dabei war es die ganze Zeit direkt vor meinen Augen.“ „Was habt Ihr gesucht?“ Er antwortete nicht auf diese Frage, aber der Hauch eines verschlagenen Lächelns zierte sein Gesicht. In der Kristallkugel erschien das Bild zweier Auszubildender der Drachenkavallerie, die sich nicht daran erinnerten, einer Frau namens Tengaar begegnet zu sein, weil es für sie nie geschehen war – es waren die wieder einmal in einen Streit vertieften Rina und Landis. Jene beiden, die, Jahre später, sich selbst gegen Lances auflehnen sollten. Aber in diesem Moment wusste nur Lances selbst davon – und er dachte nicht einmal im Mindesten daran, sich diesen zukünftigen Spaß entgehen zu lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)