Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 1: Besucher aus Toran ----------------------------- Es war das erste Mal im Leben der beiden, dass sie das Meer sehen konnten. So eindrucksvoll bislang der Toran-See für sie gewesen war, so sehr faszinierte sie das Funkeln der Sonne auf dem Ozean, der sich in endlose Weite zu erstrecken schien. Das Ufer jenseits des Horizonts ließ sich lediglich erahnen; es war sogar gut möglich, zu glauben, dass es gar nicht existierte und dieser Kontinent das einzige Stück Land auf der ganzen weiten Welt wäre. Es half, sich nicht mehr ganz so klein und unbedeutend zu fühlen, wie Hix es sonst tat. Trotz seiner Beteiligung an zwei Kriegen fühlte er sich nicht als Held, nicht einmal als Krieger, obwohl er diese Reise doch deswegen überhaupt erst angetreten hatte. Solange er kein Krieger war, könnte er nicht heimkehren und auch nicht seine große Liebe Tengaar heiraten, was aber ihr größter Wunsch war. Eine Heimkehr war also erst zu diesem Zeitpunkt möglich. Mit einem genervten Seufzen wandte die junge Frau sich von dem Anblick des Meers ab. Sie strich einen ihrer langen roten Zöpfe wieder über ihre Schulter. „Hix~ Warum sind wir hier?“ Überrascht über diese Frage sah er sie an. „Was?“ „Es gibt keinen Grund, hier zu sein“, sagte sie. „Deine Reise hat lange genug gedauert, wir können heimkehren, verstehst du das nicht?“ Er wagte nicht, ihr zu widersprechen oder sie auf einen Fehler in ihrer Logik hinzuweisen, stattdessen lächelte er schüchtern. „Aber hier ist es doch sehr schön, nicht?“ Hix deutete auf das verheißungsvoll glitzernde Meer, dann machte er eine ausholende Handbewegung, die den Rest der Stadt, in der sie sich befanden, einschloss. Vinay del Zexay, die Hauptstadt des Zexen Staatenbundes, eine belebte Metropole direkt am Meer, deren Hafen jeden Tag von unzähligen Schiffen angefahren wurde. Auf dem Marktplatz herrschte reges Treiben von Händlern und Kunden, Musiker stellten ihre Talente zur Schau, um damit Geld zu verdienen. So viele Menschen auf einen Fleck hatte Hix noch nie zuvor gesehen. Er war fast schon froh gewesen, den Platz wieder zu verlassen und den ruhigen Bereich vor dem Ratshaus zu betreten. Ein Brunnen lud zum Ausruhen ein, dahinter stand das imposante Gebäude, in dem der Zexen-Rat tagte und schwer bewacht wurde. Einlass bekam man sicherlich nur, wenn man einen hören Rang innehatte oder dort arbeitete. Auf der Nordseite waren prächtige Villen zu bewundern, deren farbenfrohe Gärten zum Verweilen und erstauntem Betrachten einluden. Doch die eisernen Tore davor, schreckten zumindest ihn davon ab und ließen ihn eilig weitergehen. All die anderen Städte in Zexen, an denen sie auf ihrer Herreise vorbeigekommen waren, waren nur kleine Dörfer gewesen, solche wie er sie bereits dutzendfach in anderen Ländern gesehen hatte. Umso erstaunter war er von Vinay del Zexay gewesen. Doch als Metropole des Handelns und geistiger Mittelpunkt von Zexen musste es wohl so groß und lebhaft sein. Ein Besuch in dieser Stadt war fast noch aufregender als die Besuche in Muse und Gregminster zusammen und ließ Hix, der in einem kleinen Dorf aufgewachsen war, fast schwindelig werden. Doch Tengaar zeigte keinerlei Interesse daran, sie wirkte tatsächlich wütend, dass sie dort gelandet waren, dabei... Plötzlich fuhr sie herum und ging mit bestimmten Schritten in Richtung des Objektladens davon. Hix wusste bereits warum. Wenn sie in dieser Stimmung war, war sie oft nur mit Einkaufen zu besänftigen. Dabei erwarb sie allerdings keine Kleider oder Tand, der für andere Frauen in ihrem Alter interessant war, sondern nur Dinge, die sie unterwegs gebrauchen konnten. Auf dem Weg nach Vinay waren ihnen die Vorräte ausgegangen und auch ihre Schuhe waren langsam zerschlissen. Der Zustand ihrer Waffen spottete jeder Beschreibung, es wurde wirklich Zeit, sich um all das zu kümmern. Sie hatten zwar oft Händler getroffen, doch diese waren selbst gerade auf dem Weg gewesen, ihre vollständig ausverkauften Vorräte wieder aufzufrischen. Wenigstens mussten sie beide sich keine Gedanken um das Geld machen. Ihre Reise führte sie an genug Monstern vorbei, die ihnen die nötigen Potch als Beute hinterließen. In ihrem Dorf würden sie wohl inzwischen als reiche Leute gelten – aber nach dem Besuch beim Schmied würde es sicherlich wieder ganz anders aussehen. Hastig folgte er Tengaar, bevor er sie aus den Augen verlor. Der Einkauf kam Hix länger vor, als sonst. Schweigend und stundenlang wählte die junge Frau Waren aus dem reichhaltigen Sortiment, bei dem ihm fast schon die Augen übergingen. Das Angebot überstieg seinen Verstand, viele Dinge, die in der Auslage waren, kannte er nicht einmal. Zu fragen traute er sich allerdings auch nicht. Tengaar wirkte geladen – und kannte wohl selbst auch nur einen Bruchteil von all diesen Waren –, der Verkäufer selbst musterte sie beide misstrauisch, die Hand stets unter dem Tresen. Hix zweifelte nicht daran, dass er dort eine Waffe versteckt hielt, nur für den Fall der Fälle. Er wollte damit allerdings keine Bekanntschaft machen, also blieb er bewegungslos in der Ecke stehen, den Kopf stets gesenkt. Wirkten sie wirklich so verdächtig? Immerhin war Zexen eine Handelsstadt, die Händler müssten es doch gewohnt sein, Fremde als Kunden zu empfangen. Doch dieser schien sie eher als Feind denn als zahlende Kundschaft zu sehen, was Hix bislang noch nie erlebt hatte. Als sie den Laden schließlich verließen – mit deutlich weniger neuem Besitz als sonst – und ihre Waffen beim Schmied abgegeben hatten – was ihre Barschaft wie erwartet auf eine übersichtliche Summe schrumpfen ließ – , ging die Sonne bereits unter. Der rotglühende Feuerball, der am Horizont versank, tauchte das Wasser in einen vollkommen neuen Farbton, als ob Himmel und Ozean in Flammen stehen würden. Genau wie Hix blieb Tengaar an der Kaimauer wieder stehen und starrte auf das Meer hinaus. Schon nach kurzer Zeit wandte er den Blick ab, um sie anzusehen. Ihre Gesichtszüge waren ungewohnt hart und passten damit zu ihrem veränderten Verhalten der letzten Zeit. Hix konnte es sich nicht erklären. Gab es irgendeinen Grund, warum sie sich so anders verhalten sollte? Hatte er irgendwann etwas Falsches gesagt? Oder war ihm etwas anderes entgangen? In solchen Momenten betrübte es ihn, dass es in seinem Leben niemanden gab, den er nach so etwas fragen konnte. Seine Eltern waren schon seit einigen Jahren tot, Tengaars Vater Zorak würde ihm höchstwahrscheinlich nur wieder eine ewiglange Geschichte irgendwelcher Vorfahren erzählen, die aber keine Fragen beantwortete und auch die anderen Erwachsenen in seinem Dorf konnte er nicht fragen, niemand würde ihm eine Antwort geben, da war er sich sicher. Die anderen in den Armeen, in denen er gewesen war? Nun, die meisten schienen selbst keinen sehr erfolgreichem Umgang mit Frauen zu pflegen. Und die, bei denen es anders war... Lepant hatte Hix mit einem einzigen Blick einschüchtern können und Freeds stetige Übereifrigkeit hatte ihn ebenfalls abgeschreckt. Das Gespräch mit Alex hatte ihm jedoch auch nicht weitergeholfen. Hilda war wesentlich einfacher als Tengaar – und Hix fiel es schwer, sich vorzustellen, dass der rothaarige Wildfang eines Tages auch so werden könnte oder Hilda gar einmal so gewesen war. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen über das Meer. Seufzend wandte Tengaar sich ihm zu. Hix' Herz machte einen Sprung, als sie ihm zulächelte. „Lass uns ins Gasthaus gehen, ja? Ich bin ziemlich müde.“ Es brauchte keine Entschuldigung von ihr, ihre sanft gewordene Stimme war ihm eine solche genug. Wenn sie diesen Ton anschlug, würde er ihr sogar verzeihen, falls sie ihm jemals das Herz brechen würde – obwohl er hoffte, dass dies nie eintreten würde. Er nickte und begab sich gemeinsam mit ihr an der Kaimauer entlang in Richtung Gasthaus. Auf dem Marktplatz vor dem Gebäude waren die Händler inzwischen damit beschäftigt ihre Stände abzubauen. Dabei plauderten sie mit ihren Kollegen über den Tag, der offensichtlich gut gelaufen war. Manchmal fragte Hix sich, ob das Leben als Händler zu ihm passen würde. Als Krieger war er wohl eindeutig nicht geeignet. Zwei Kriege und er war immer noch ein schlechter Schwertkämpfer, der Angst vor einem Kampf hatte, solange er diesen nicht für Tengaar ausfochte. Das war mit Sicherheit nicht die Definition eines Kriegers, zumindest nicht die seines Dorfes. In Dunan hatte er an der Prüfung des Einhorns teilgenommen, angeblich eine Tradition im Dorf der Krieger, wenn es keinen anderen Weg gab, seine Männlichkeit zu beweisen. Hix war siegreich gewesen, aber dennoch... er fühlte sich noch nicht bereit, wieder in sein Dorf zurückzukehren. Er wollte erst ohne Hilfe eine solche Prüfung bestehen, bei dieser jedoch hatte ihm Riou von Anfang bis Ende beigestanden, wofür Hix zu diesem Zeitpunkt auch dankbar gewesen war. Doch langsam wurde es Zeit für ihn, selbstständig zu werden. Tengaar schien das ebenfalls zu denken. Seit ihrem Aufbruch von Dunan war sie derart wortkarg und oft so schlecht gelaunt, dass Hix glaubte, sie wäre böse auf ihn. Außer, dass es so lange dauerte, bis er seine Reise der Männlichkeit abschließen konnte, fiel ihm allerdings kein Grund ein. Doch auch seine Überlegungen, ob er Händler werden könnte, endeten damit, dass ihm auffiel, dass ihm die nötige Entschlossenheit und Selbstsicherheit fehlte, um wirklich erfolgreich werden zu können – außerdem war es Tengaars Traum, dass er ein Krieger werden würde und er wollte ihr diesen erfüllen. Zigarettenrauch umfing die beiden, als sie das Gasthaus betraten. Eine Treppe führte nach oben zu den Zimmern, im Erdgeschoss gab es eine Bar. Die kleinen Tische vor dem Tresen waren allesamt von den verschiedensten Leuten besetzt, deren Gesichter für Hix im Moment alle gleich aussahen. Der Gedanke, dass möglicherweise alle Zimmer belegt waren, gefolgt von der Frage, wo sie dann hingehen sollten, durchfuhr ihn. Doch wie so oft handelte Tengaar bereits. Sie begab sich an den Tresen, wo sie einige rasche Worte mit dem Mann dahinter wechselte. Schon nach wenigen Sekunden kehrte sie lächelnd wieder zu ihm zurück. „Wir können nach oben.“ „A-aber diese Leute hier...“ Er warf einen Blick auf die anderen Besucher, doch sie winkte ab. „Das sind anscheinend Bewohner dieser Stadt, sie kommen nur zum Trinken hierher. Kommst du jetzt?“ Der letzte Satz klang keineswegs ungeduldig, was Hix erleichterte. Er nickte hastig. „Ja, natürlich.“ Gemeinsam gingen sie nach oben. Im Vergleich zum Rest des Hauses war das Zimmer überraschend hell, Kerzen brannten in einem gläsernen Halter, das Fenster zeigte direkt auf das Meer. Tagsüber konnte man bestimmt Schiffe beobachten, bis sie am Horizont verschwanden, um diese Zeit jedoch ankerte lediglich ein Schiff im Hafen. Während Hix das Gepäck verstaute, stellte Tengaar sich ans Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Als er schließlich neben sie trat, hörte er, wie sie leise vor sich hinsummte. Das Lied kam ihm nicht im Geringsten bekannt vor, doch wenn es von Zorak war, müsste es das eigentlich – also woher kannte sie es? Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie bemerkte, dass er neben ihr stand. Lächelnd sah sie ihn an. „Fertig?“ Er nickte zur Antwort nur. „Was war das für ein Lied?“ Fragend sah sie ihn an. „Welches denn? Das, von den Musikern heute Mittag?“ „Nein“, erwiderte er verwundert. „Das, das du gerade gesummt hast?“ In einer Geste der Besorgnis legte sie eine Hand auf seine Stirn, um seine Temperatur zu prüfen. Da damit allerdings alles stimmte, seufzte sie, bevor sie ihn in einem vorwurfsvollen Ton fragte: „Hast du etwa Meerwasser getrunken? Du musst Wahnvorstellungen haben.“ „N-nein“, verteidigte er sich kläglich. „Ich habe es doch genau gehört.“ Ihr entfuhr noch ein Seufzen, bevor sie an ihm vorbeiging. „Ich bin müde, lass uns morgen darüber reden, ja?“ Damit war das Thema für sie beendet und Hix war sich sicher, dass sie es auch nicht mehr aufnehmen würde – genausowenig wie er. Wortlos gingen beide zu Bett, löschten das Licht und schliefen bald darauf ein. Geschmeidiger als es für Personen in Rüstungen möglich sein sollte, stürzten die beiden Wachen am Stadttor zu Boden. Die blauen Augen des Mannes, der dafür verantwortlich war, musterten die Gefallenen ohne Mitgefühl. „Vielen Dank für den Einlass“, sagte er mit kalter Stimme. Sein Blick schweifte über die Dächer der schlafenden Stadt, kein Licht brannte mehr hinter den Fensterscheiben. Vollkommene Stille lastete auf seinen Ohren, niemand war mehr auf den Straßen unterwegs. Genau richtig also für seinen Plan, für den er keine Zuschauer gebrauchen konnte. Auf einen Wink seiner Hand erschien aus dem Nichts eine Wolke aus schwarzem Rauch in der Luft. Sie zerteilte sich in fünf gleichgroße Teile und nahm langsam die immer selbe Form an. Ein geschmeidiger Körper, vier kräftige Beine, ein buschiger Schweif und ein Paar aufmerksamer spitzer Ohren. Die spitze Schnauze öffnete sich zu einem lauten Heulen gen Himmel. Fünf Wölfe standen vor ihm, die roten Augen glühten wie eingelassene Feuersteine. Artig versammelten sich die Wesen um ihren Herrn, gespannt auf ihren Auftrag wartend, wegen dem sie überhaupt in diese Welt gerufen worden waren. Er breitete die Arme aus, so dass er sowohl nach links auf den Weg zum Marktplatz, als auch nach rechts, auf den Weg zum Hafen zeigen konnte. „Nun geht und findet sie. Aber vergesst nicht: Ihr sollt sie nicht zu sehr verletzen. Nur so viel, dass sie Angst vor euch bekommt.“ Die Wölfe gaben ein zustimmendes Jaulen von sich, dann flitzten sie bereits auseinander. Ihr Herr blieb allein zurück, den Blick nach wie vor auf die Stadt gerichtet. Irgendwo hier ist sie also... und ich werde sie finden, ganz sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)