Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 29: Treasa ------------------ Hix stand in einem Saal voller Säulen, von denen einige bereits zerstört oder zumindest umgestürzt waren. Lediglich zwei von ihnen befanden sich noch an Ort und Stelle. Boden und Wände bestanden aus einem schwarzen Material. Nein, bei genauerem Hinsehen erkannte Hix, dass es nur den Eindruck von Wänden und Boden gab. In Wirklichkeit aber sah er überall einen Nachthimmel voller Sterne, derart viele auf einen Punkt konzentriert, dass die einzelnen Lichtpunkte kaum noch als solche zu erkennen waren, sondern bunte Farbwirbel erzeugten, die ihn staunen ließen. Sein Blick traf auf eine Treppe, die nicht weit entfernt war. Genau wie der Rest des Raumes war sie lediglich ein Konstrukt, das gleichzeitig zu existieren, aber auch nicht zu existieren schien. Deswegen setzte er vorsichtig einen Fuß auf die erste Stufe und – als er merkte, dass sie wirklich hier war – begann dann den Aufstieg. Natürlich war er sich der Gefahr bewusst, in die er sich begab. Dass er möglicherweise durch eine der Stufen fallen und sterben könnte, dass die Treppe vielleicht gar nicht dorthin führte, wohin er gehen wollte. Möglich wäre auch ein Angriff, gegen den er sich nicht verteidigen könnte. Durfte er hier überhaupt irgendetwas vertrauen? Er zögerte bereits auf der zweiten Stufe. Könnte das hier, in Treasas eigenen Gefängnis, überhaupt zu etwas führen? Und wo war sie gerade? Nein! Ich habe keine Zeit dafür. Tengaar wartet auf mich. Ich muss gehen! Damit verbannte er alle negativen Gedanken so gut er konnte aus seinem Bewusstsein und lief mit entschlossenen Schritten weiter. Aber egal wie viele Stufen er hinaufstieg, es kam einfach kein Ende in Sicht, dabei fühlte es sich schon nach kurzer Zeit so an, als hätte er Hunderte von ihnen erklommen. Seine schwer gewordenen Beine verlangten nach einer Pause, aber er strebte weiter. Er konnte nicht anhalten. Nicht so kurz vor dem Ziel. Mehrere Stufen später erschienen plötzlich glitzernde Splitter in der Luft um ihn herum. Zuerst spiegelten sie nur sein Gesicht, wann immer sein Blick darauf fiel – aber kaum hatte er sich daran gewöhnt, waren auf einmal andere Bilder darin zu sehen, begleitet von Treasas Stimme, die von überall gleichzeitig zu kommen schien. In meiner Kindheit glich mein Leben mehr einem Albtraum. Als Tochter einer einfachen Familie, die nicht verstand, warum ich Magie in meinem Blut trug, war ich jahrelang Abneigung, Hass und auch Ignoranz ausgesetzt. Man verstand nicht, wie es möglich war, dass ein Mensch ohne jede Rune in der Lage war, Magie zu wirken. Wieso ich immer lachte, wenn es mir schon kurz nach der Geburt gelang, das Feuer im Kamin zu entzünden. Als ich noch ein Baby war, versuchte man, mich zu ertränken, eine Erinnerung, die ich glücklicherweise längst vergessen habe. Ich überlebte, dank meiner Magie, musste ab diesem Tag aber im Keller meines Elternhauses leben, gekleidet in Lumpen und stets damit rechnend, dass man mich vergaß und ich elend verhungern oder verdursten musste. Niemand redete mit mir, wann immer man mir Brot oder Wasser brachte, es war mir strengstens verboten, Magie einzusetzen und ich fürchtete Strafen, schlimmer als der Tod, sollte ich mich einer dieser Regeln widersetzen. Meine einzige Unterhaltung waren hin und wieder vorbeikommende Ratten, mit denen ich mein Essen teilte, und auch alte, fast schon vergilbte Bücher, denen die Nässe im Keller nicht gut getan hatte. Diese Bücher, die von mächtigen Helden und Magiern erzählten, brachten mir keine Freiheit, aber sie ließen mich davon träumen, eines Tages dieses Land zu bereisen, die Sonne auf meiner Haut zu spüren und auch meine Magie, die ein fester Teil von mir war, nicht zurückhalten zu müssen. Ich war gerade vierzehn geworden, als ein Mann in einem zerschlissenen Mantel vor unserem Haus erschien. Er stellte sich als Westcott vor und er versprach meinen Eltern, sich um mich, die Hexe, zu kümmern. Natürlich nahmen sie diese Möglichkeit dankbar an, nur um mich und die vor mir verbundene Angst endlich loszuwerden. Ich fürchtete nicht um mein Leben, das ich bislang immer in einem dunklen, feuchten Keller verbracht hatte. Stattdessen freute ich mich, endlich wieder Sonne auf meiner Haut und Gras unter meinen Füßen spüren zu können. Auch meine Gesundheit war mir egal. Ich war bereit, alles zu ertragen, was dieser seltsame Mann mir antun wollte, solange ich bis dahin in Freiheit sein durfte. Doch stattdessen kleidete er mich neu an, kaufte mir so viel zu essen, wie ich wollte – und dann erzählte er mir, dass er ein Magier sein, ein Meister gar, und er durch das Land reise, auf der Suche nach magie-begabten Kindern, die er zu seinen Schülern machen könnte. In der Stadt meiner Familie war er auf Gerüchte über mich gestoßen, die sich als wahr herausgestellt hatten, wie er mir stets mit glühendem Gesicht erzählte. Und er sagte mir noch etwas: Ich war das erste Kind, das nun zu seiner Schülerin werden sollte und fortan sei er meine Familie. Meister Westcott und ich reisten fortan gemeinsam durch das Land. In jeder Stadt erfragten wir Gerüchte um ungewöhnliche Kinder und gingen ihnen nach. Enttäuschend oft fanden wir nur noch ein totes Kind vor, weil es von abergläubischen Stadt- oder Dorfbewohnern getötet worden war, manchmal auch von der ängstlichen Familie selbst. Aber wann immer wir ein lebendes Kind vorfanden, nahm Westcott es mit sich, um die Familie wachsen zu lassen. Nachts, wenn wir rasteten, so wie an den Tagen mit entsprechender Sternenkonstellation, an denen wir nicht weiterreisten, lehrte er uns, die Magie zu kontrollieren. Wir lernten nicht, weswegen wir diese Gabe hatten, aber er sagte uns, wir seien etwas Besonderes und wir sollten stolz darauf sein. Ich war stolz. Ich bin es heute noch. Ich war Westcotts Lieblingsschülerin und gleichzeitig auch die beste. Jede seiner Aufgaben meisterte ich mit einem Elan, der seinesgleichen suchte. Deswegen teilte er mir schon früh mit, dass er mich für eine ganz besondere Aufgabe ausersehen hatte und es nur noch an dem passenden Gegenstück mangelte. Ich verstand nicht, was er damit meinte, aber fortan prüfte er jeden Jungen, den wir fanden, auf Herz und Nieren, auch Dougal und Fion, als wir sie aufnahmen. Sie waren geschickt und fähig, aber Meister Westcott sagte, sie seien noch nicht geeignet. Als ich fünfzehn geworden war, stießen wir an einem Fluss auf einen Turm, in dem wir uns fortan niederließen. Ein Zuhause zu haben war ungewohnt geworden, aber wir lebten uns schnell ein, lernten noch mehr als zuvor, weil wir endlich Zeit und auch Bücher zur Verfügung hatten. Bücher, in denen von unglaublichen Taten und Kriegen berichtet wurde. Nun da ich diese Fähigkeiten hatte und etwas Besonderes war, wollte ich mehr denn je Abenteuer erleben und vielleicht sogar eine Heldin sein – und kurz nachdem ich sechzehn wurde, traf ich das erste Mal jenen Mann, den sogar Westcott ehrfürchtig nur den Magier nannte. Der Magier war furchteinflößend. Er sprach wie ein guter Mann, aber seine Stimme war voller Spott, seine Augen eiskalt. Meister Westcott fürchtete ihn, hasste ihn, verachtete ihn – und der Magier sah in meinem Meister nur eine kleine, unbedeutende Ameise. Dass wir alle noch lebten, verdankten wir nur jener Tatsache, deswegen ertrugen wir den Spott mit einer Gelassenheit, die der von Heiligen in den Märchen gleichkamen. Nach diesem Besuch verriet der Meister mir, zu welcher Aufgabe ich erkoren war: Es gibt nur einen Weg, die Welt von dem Magier zu erlösen und dieser führt über eine Rune, die nur in der Welt existiert, wenn sie gebraucht wurde; die Rune der Einheit. Es benötigt ein Paar, das sich derart ergänzte, dass sie gemeinsam die Vollkommenheit bilden. Ich sollte ein Teil davon sein, sagte Meister Westcott, aber mein Gegenstück fehle noch, fügte er bedauernd hinzu. Erst wenn beide gefunden seien und wir das Ritual vollführten, könne die Welt von dem Magier befreit sein – und dann gäbe es nichts mehr, das uns Magier davon abhielte, den für uns bestimmten Platz in der Welt wieder einzunehmen. Das war etwas, das mich nicht interessierte, aber Meister Westcott hatte es verdient, dass seine Träume erfüllt wurden und ich wollte dem nachgehen. Und als ob das Schicksal es sich ebenfalls so wünschte, dauerte es nicht lange, bis schließlich jener zu unserem Turm kam, der mein Partner werden sollte: Alisdair. Der Tag, an dem Alisdair vor unserem Turm stand, war der schönste meines Lebens. Er sah ähnlich aus wie der Magier, doch er war nicht furchteinflößend, nicht spöttisch. Er war ein guter Mann, dessen Magiebegabung nicht sonderlich ausgeprägt war. Aber sein gutes, reines Herz, seine Naivität und auch seine Unschuld gewannen bald mein Innerstes und mein Meister erlaubte uns, das Ritual durchzuführen. Alisdair zweifelte an dem Erfolg, aber ich wusste, dass es funktionieren könnte. Deswegen legte ich, ohne zu zögern, mein Leben in seine Hände. Ich starb ohne Reue, wohl wissend, dass ich ihn wiedersehen würde, sobald ich die Augen wieder aufschlug. Doch dem war nicht so. Ich fand nicht einmal mehr mich selbst. Etwas Fremdes war in meinen Körper eingedrungen und es brachte Hass und Bitterkeit mit sich. Als ich erfuhr, dass Alisdair tot war, ich seine Leiche unweit des Orts meines Erwachens sah, getötet von einem eifersüchtigen Dougal, vereinten sich Hass und Bitterkeit zu einer rasenden Mischung aus unbändiger Wut, die ich zu zügeln versuchte. Doch das in mich eingedrungene Wesen, die fremde neue Rune, flüsterte mir Dinge ein, die ich erfüllt sehen wollte. Brennende Dörfer, überflutete Städte, sterbende Menschen. Die ganze Welt sollte an meinem Hass verbrennen und in meiner Wut ertrinken! Mein Meister war der erste, der dafür sterben musste. Er versuchte, mich aufzuhalten, als er bemerkte, wie mein Plan aussah, aber natürlich gelang es ihm nicht. Seine Ausbildung, die er mir angedeihen ließ, war zu gut gewesen und er war durch den jahrelangen Nicht-Gebrauch seiner Fähigkeiten eingerostet. Es war ein leichtes gewesen, ihn auszuschalten, gefolgt von jedem anderen Schüler, der noch an Werte wie Moral oder Liebe glaubte. Ich tötete sie alle, einen nach dem anderen, gemeinsam mit Dougal, der entschlossen war, mir zu folgen. Ich plante, ihn bei mir zu halten, solange er nützlich war – aber ich hatte nicht vergessen, dass es überhaupt erst ihm zu verdanken war, dass ich mich in dieser Situation befand. Er hatte Alisdair getötet und zu gegebener Zeit würde er meine Rache dafür spüren. Aber dann traf ich auf Fion, der es schaffte, mich zu versiegeln. Für viele, viele Jahre … „... und der Rest ist Geschichte.“ Das waren die letzten Worte, die Hix, wenngleich undeutlich, hören konnte, ehe er endlich die letzte Stufe und eine Plattform erreichte – und hier auch schlussendlich Treasa selbst gegenüberstand. Es schien ihm, sein Körper war inzwischen derart an das Treppensteigen gewöhnt, dass er im ersten Moment gar nicht wusste, wie er einfach stillstehen sollte. Als es ihm schließlich gelang, wollte er einen genaueren Blick umherwerfen, doch abgesehen von Treasa war alles in Dunkelheit getaucht. Es waren nicht einmal die Sterne zu sehen. Andererseits kam es ihm aber auch so vor, als hätten seine Augen und seine Ohren bei diesem Aufstieg gelitten. Alles war erst einmal verschwommen zu erkennen, in seinem Gehörgang schrillte noch alles. Aber je länger er tief durchatmete, desto mehr ließ das alles wieder nach, sein Blick schärfte sich langsam, das unangenehme Geräusch trat kaum noch hörbar in den Hintergrund. Dennoch war nicht viel mehr zu sehen als Treasa, der schmucklose Thron auf dem sie saß, und eine unendlich erscheinende Dunkelheit. Ihr rosa Haar fiel ihr über die Schultern, sie wickelte sich spielerisch eine ihrer Strähnen um den Finger, die Rune an der dazu gehörenden Hand glühte bereits wieder rot. Sie trug ein kaltes Lächeln zur Schau, das selbst ihre eisblauen Augen zum Glitzern brachte, ihm einen Schauer über den Rücken jagte, genau wie ihre Stimme, die er nun ohne jeden Widerhall hören konnte: „Willkommen, Hix. Du hast einen langen Weg hinter dir. Deswegen solltest du dich einfach ein wenig hinlegen.“ Die Rune leuchtete heller, Hix hielt den Atem an, konzentrierte sich auf seine eigene Rune, die ihm sicher keinerlei Schutz bieten könnte – und erwartete den Effekt des fremden Zaubers. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)