Papierherz von Ur (Bleistiftspuren bleiben) ================================================================================ Kapitel 26: Mit Gefühl ---------------------- Noch ein Reha- Überbrückungskapitel mit viel Freundschaftsfluff und öhm... anderen Dingen, für die ich keinen Namen habe. Ich hoffe, dass ihr es mir nicht allzu übel nehmt, dass ich die komplette Reha einfach ganz kurz zusammenraffe. Viel Spaß beim Lesen wünsche ich :) Liebe Grüße :) _______________________ »Wieso beeilst du dich eigentlich so mit deiner Bachelorarbeit? Du hast noch bis Ende des sechsten Semesters Zeit«, fragte Marek mit großen Augen, als Jannis ihn bat, die zweiunddreißig Seiten, die er bisher geschafft hatte, Korrektur zu lesen. »Ich habe gerade Zeit und je früher ich damit fertig bin, desto weniger Stress habe ich«, sagte Jannis und räusperte sich. Marek schmunzelte und tippte Jannis mit dem Zeigefinger gegen die Wange. »Nach all den Jahren versuchst du immer noch mich anzulügen«, meinte Marek und schüttelte den Kopf. »Ja, ok. Ich rackere mir den Arsch ab, damit ich zu Kolja fahren kann, ohne die blöde Arbeit im Hinterkopf zu haben. Hast ja Recht«, brummte Jannis und verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber wenn du es weißt, wieso fragst du dann noch?« Marek kicherte und wandte sich wieder dem Dokument zu. Es war ein Wunder, dass er nicht schon nach der zweiten Seite aufgegeben hatte. »Du musst lernen, diese Dinge auszusprechen, Jannis«, belehrte ihn sein bester Freund abwesend. Dazu fiel Jannis weiß Gott nichts zu sagen ein. »Hast du mittlerweile raus gefunden, wieso deine Ma Jess deine Nummer gegeben hat?«, erkundigte sich Marek, während er zwei Kommatafehler verbesserte und weiter nach unten scrollte. Jannis hätte dieses Thema gerne verdrängt, doch es half ja nichts. »Du kannst ja mal raten«, sagte er missmutig und verschränkte die Arme vor der Brust. Marek tippte sich gespielt nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen sein Kinn und wiegte den Kopf ein wenig hin und her. »Sie sind empört darüber, dass ihr Sohn sie so unschicklich behandelt hat und sie sind der Meinung, dass es absolut unakzeptabel ist, dass die Verwandtschaft erfährt, dass du nichts mehr von ihnen wissen willst. Also denken sie, dass Jess dich vielleicht dazu bringen kann, wieder vernünftig zu werden?« Jannis seufzte leise, dann nickte er. Marek schüttelte den Kopf, kommentierte diesen Umstand allerdings nicht, sondern wandte sich wieder dem Worddokument zu. Jannis verschlang einige Zeit seine Finger ineinander. Sollte er…? Marek würde sicherlich lachen. Andererseits waren sie beste Freunde und mit wem sollte er sonst darüber reden? »Marek?« »Hm?« Marek verbesserte einen weiteren Kommafehler – Jannis war immer schon schlecht in Kommasetzung gewesen. »Hast du mit… Hattest du schon… mit Sebastian…?« Marek richtete sich so schnell auf, dass Jannis eindeutig beunruhigt war. Glitzernde, dunkle Augen richteten sich auf ihn und Jannis hatte unweigerlich das Bedürfnis zurückzuweichen. »Jannis? Bist du es?«, wollte Marek wissen, beugte sich vor und besah sich seinen besten Freund aus der Nähe, wobei er mit der linken Hand Jannis’ Stirn fühlte. Jannis schüttelte ihn ungehalten ab und grummelte. »Sehr witzig! Ich hätte nicht fragen sollen«, meinte er missmutig und verschränkte die Arme vor der Brust und sah zur Seite. Er spürte deutlich, wie Marek ihn musterte. »Letzte Woche«, sagte Marek dann und Jannis blickte auf. Mareks Augen leuchteten ihm entgegen und er hatte den Kopf immer noch schief gelegt, sodass ihm einige seiner dunklen Haarsträhnen ins Gesicht fielen. »Du hast es mir nicht erzählt«, gab Jannis verblüfft zurück. Marek lächelte leicht. »Du redest ja auch nicht gern drüber. Wenn ich angefangen hätte, davon zu reden, dann hätte ich alle möglichen Details ausgespuckt, die du sowieso nicht hören willst«, erklärte Marek freiweg. Jannis bekam beinahe ein schlechtes Gewissen. »Vielleicht… vielleicht könntest du das jetzt ja… nachholen?«, schlug er vor und Mareks Lächeln wurde ein wenig breiter, doch es sah nicht so als, als würde er sich über Jannis amüsieren. »Lass uns einen heißen Kakao kochen. Ich les später weiter«, meinte Marek beschwingt, erhob sich von Jannis’ Schreibtischstuhl und huschte ihm voran in Richtung Küche. Jannis folgte ihm und er fühlte sich merkwürdigerweise ziemlich aufgeregt. Sie kochten sich Kakao, verkrochen sich auf Jannis’ breites Bett und teilten sich den Platz mit Lana und Hermes, die sich prompt zwischen sie quetschten, als wollten sie sicher gehen, dass sie eine Streicheleinheit abbekamen. Jannis pustete in seine Tasse, während Marek scheinbar geistesabwesend darin herumrührte. Dann begann er seinen Kakao zu löffeln. »Du hast mich noch nie nach Sex gefragt«, stellte Marek fest, den Löffel noch im Mund. Jannis zuckte die Schultern und spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. »Es ist halt nicht unbedingt mein Lieblingsthema…«, gab er murmelnd zurück und kraulte mit der kakaofreien Hand Hermes’ Kopf. »Aber? Jetzt ist es aktuell geworden?« Wieso musste ihm dieses Thema so peinlich sein? Es war schrecklich. »Nicht direkt… ich hab nur letztens mal… drüber nachgedacht«, entgegnete er unsicher. Marek lächelte seiner Tasse entgegen und schob sich noch einen Löffel Kakao in den Mund. »Kolja hatte schon, was?« Jannis nickte zerknirscht. Natürlich hatte Kolja schon. Jannis ertappte sich bei dem Gedanken daran, dass er sich keinen schwulen oder bisexuellen Mann vorstellen konnte, der nicht mit Kolja schlafen wollen würde. Offensichtlich war er ein wenig geblendet und besessen von Kolja. Das war eindeutig gruselig. »Mit Robert. Ich weiß nicht, ob er vorher auch schon… Hab nicht nachgefragt«, gab Jannis zurück. Daran hatte er bisher noch gar nicht gedacht. Vielleicht hatte Kolja ja schon vor Robert Freunde gehabt? Oder einfach nur Sex? Was hatte Jannis die letzten Jahre eigentlich gemacht? Ach ja, er war in Marek verliebt gewesen und hatte alle anderen Menschen gehasst… das erklärte, wieso er von Sex keine Ahnung hatte und jetzt so aufgeschmissen war. »Also willst du mit Kolja schlafen?« Jannis blinzelte, starrte Marek an und wollte schon vehement ›Nein‹ antworten… aber das war nur der erste Impuls gewesen. »Ähm… ich hab ihm gesagt, dass ich gern mit ihm zusammen sein will, wenn er wieder von der Reha kommt. Und… dann irgendwann… ja?« Marek kicherte leise auf seine marekhafte Weise. Manchmal musste Jannis an Rumpelstilzchen denken, der bösartige Pläne ausheckte, aber Marek war eindeutig so wenig boshaft wie ein Wattebausch. »Ich hatte das erste Mal Sex mit fünfzehn«, sagte Marek nachdenklich und rührte in seiner Tasse herum. Jannis wusste das natürlich, aber er unterbrach Marek nicht. »Ich war überhaupt nicht aufgeregt. Es war absolut nichts Besonderes. Ich wollt’s einfach nur ausprobieren. Und ich war beruhigt, wenn Kerle nur Sex von mir wollten, weil Sex nichts Besonderes war. War es noch nie für mich. Vielleicht hab ich irgendwo gewusst, dass es das sein sollte, aber na ja… du weißt ja, wie das ist, wenn man nicht scharf auf Gefühle ist…« Marek brach ab und schien über etwas nachzudenken. Dann hob er den Kopf und schaute Jannis aus seinen dunklen Augen an. »Als ich dich kennen gelernt habe, hab ich mir vorgenommen, meinen ersten Sex mit dir zu haben.« Jannis starrte ihn an. Sie waren dreizehn gewesen. Er hatte keine Ahnung, was er darüber denken sollte. »Ich hab dann aber festgestellt, dass das wahrscheinlich unsere Freundschaft ruiniert hätte. Also hab ich nichts gemacht. Und als ich dann dieses erste Mal Sex hatte und es so belanglos war, da dachte ich, es wäre mit dir vielleicht doch besser gewesen, weil du der einzige warst, der mir was bedeutet hat. Und dann hab ich dich geküsst…« Die Bilder huschten unweigerlich durch Jannis’ Kopf. Regen. Der Balkon. Fingerspitzen und Lippen und Hitze. »Es war der absolut beste Kuss, den ich je hatte«, meinte Marek lächelnd. Jannis spürte, wie er schon wieder rot anlief. »Jahrelang hab ich nie wieder so einen Kuss bekommen. Bis ich dann irgendwann Sebastian getroffen habe und mir klar geworden ist, dass der Kuss einfach nur so toll war, weil Gefühl dabei war. Ich hab so viele Typen geküsst und irgendwie drauf gewartet, dass einer kommt, bei dem es sich anfühlt wie bei dir. Ich hab es einfach nicht verstanden. Und als dann Sebastian kam und es sich genauso gut angefühlt hat, da hab ich kapiert, wonach ich eigentlich gesucht habe und das hat mir Angst gemacht… und als ich zu dir kam… ich dachte, vielleicht kann ich seine Küsse wieder mit deinen überdecken. Ich wollte das alles abstellen. Und ich dachte, wenn bei uns so viel Gefühl dazwischen steckt, dann könnte ich mit dir schlafen und die Gefühle für Sebastian betäuben…« Marek hatte lange nicht mehr so mit ihm geredet. Jannis hielt beinahe die Luft an, weil er ihn auf keinen Fall unterbrechen wollte. Sein Herz klopfte ziemlich doll. »Es tut mir immer noch Leid, dass ich… ich hätte das wirklich gemacht, wenn Kolja nicht geklingelt hätte. Wahrscheinlich hätte ich mir das nie verziehen«, sagte Marek und nahm noch einen Löffel Kakao. Jannis hatte eine dunkle Vorahnung, was als nächstes kam. »Jannis? Weißt du… immer, wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, dann glaube ich, dass ich all die Jahre irgendwie verliebt in dich war. Ich hab’s einfach nicht begriffen.« Einen Moment lang hatte Jannis das Gefühl, er müsste sterben. »Oh…«, krächzte er und nahm einen Schluck Kakao. Dann beschloss er, dass er es Marek vielleicht auch sagen könnte…? »Dann waren wir ja zu zweit«, nuschelte er. Marek lächelte kaum merklich. »Wir wären ein schreckliches Paar gewesen. Mit unserer Angst vor Gefühlen und Schwäche«, flüsterte Marek. Jannis nickte ein wenig benommen. Es kam ihm unwirklich vor, dass sie hier nebeneinander lagen und sich gerade gestanden hatten, ihre halbe Jugend ineinander verliebt gewesen zu sein. Marek rutschte ein Stück zu ihm herüber und beugte sich vor und hauchte Jannis einen sanften Kuss auf den Mund. Er schmeckte nach Kakao und bester Freundschaft. Und Jannis stellte erleichtert fest, dass sein Herz nicht mehr wie verrückt hämmerte. Da war nichts mehr. Nur noch eine Erinnerung. Eine Weile lang schwiegen sie, kraulten die beiden Katzen zwischen sich und tranken ihren Kakao leer. Dann drehte sich Marek auf den Rücken und lächelte versonnen der Decke entgegen. »Jedenfalls hatte ich letzte Woche das erste Mal in meinem Leben Sex mit Gefühl«, meinte er geradeheraus und Jannis wurde unweigerlich wieder nervös. Dieses Thema machte ihn fertig. Unweigerlich huschten Bilder durch seinen Kopf. Er und Kolja. Wahrscheinlich starb er gleich an übermäßig hoher Körpertemperatur. »Und ich war so nervös… ich glaube, ich war noch nie nervös in meinem Leben. Aber da… da war ich total aufgeregt. Und ich war das allererste Mal beim Sex nicht der aktive Part.« Jannis runzelte ein wenig die Stirn, während er versuchte gedanklich mitzuhalten. Aber er erinnerte sich daran, wie dominant Marek gewesen war, als sie auf Jannis’ Couch miteinander geknutscht hatten und beinahe… Worüber man sich Gedanken machen musste! Das war doch zum Verrücktwerden! Kolja kam ihm vor wie der aktive Typ. Jannis verbarg sein Gesicht im Kissen und stöhnte entnervt auf. »Hey, es wird sicher toll mit dir und Kolja«, hörte er Mareks dumpfe Stimme durchs Kissen dringen, »er scheint mir doch sehr einfühlsam zu sein, was dich angeht.« Jannis machte ein undefinierbares Geräusch zwischen einem Grummeln und einem Wimmern. Marek tätschelte ihm den Rücken. »Ich gebe dir gern eine Anleitung, wenn du willst.« »Oh Gott, bloß nicht«, sagte Jannis und hob seinen Kopf. Marek lachte. »War nur ein nett gemeintes Angebot«, sagte er und streckte Jannis die Zunge heraus. Am nächsten Mittag rief er bei Kolja an. Als dieser abhob, klang er ganz außer Atem. »Was hast du gemacht?«, fragte Jannis verwirrt. »Ich bin im Trainingsraum«, entgegnete Kolja keuchend. Jannis warf einen Blick auf die Uhr. »Aber meintest du nicht letztens, du hast immer nur nachmittags zwei Stunden Übungen?« Kolja lachte. »Dachtest du, dass ich mich daran halte?«, gab er amüsiert zurück und Jannis hörte etwas klappern. »So, jetzt sitze ich wieder in dem elenden Ding. Wusstest du, dass man damit sogar tanzen kann? Ich hab letztens ein Mädchen kennen gelernt, die hier auch ihren Aufenthalt absitzt. Sie heißt Nina und ist zwölf…« Jannis musste lächeln, als er Koljas Bericht lauschte, wie er und ein zwölfjähriges Mädchen, beide in Rollstühlen, durch die Kantine wirbelten und alle Schwestern erschreckte. »Ich muss dir was erzählen«, sagte er schließlich. »Oh, du klingst so ernst. Was ist los?« Jannis holte tief Luft. »Marek hat mir gestern gesagt, dass er ganz lange in mich verliebt war ohne es wirklich zu registrieren.« Stille folgte auf diese kurze Zusammenfassung des gestrigen Gesprächs zwischen ihm und Marek. »Oh«, sagte Kolja. Klang er nervös, oder bildete sich Jannis das nur ein? »Dann… tja. Und jetzt?« Jannis blinzelte. »Was soll jetzt sein? Wir haben festgestellt, dass wir ein schreckliches Pärchen gewesen wären. Er ist in seinen Sebastian verliebt und ich bin–« Jannis brach ab, entsetzt darüber, was er beinahe einfach so am Telefon gesagt hätte. Sein Herz überschlug sich wieder einmal. Wenn er Kolja nicht bald sehen konnte, dann drehte er durch. »Und du bist…?«, fragte Kolja sehr leise und seine Stimme jagte Jannis Schauer den Rücken hinunter. »Ich… ich komm dich besuchen. Nächstes Wochenende. Bis dahin hab ich die Arbeit fertig.« Das war ein feiger Ablenkungsversuch und Kolja wusste es garantiert. Aber er ließ Jannis seinen Ausweg. »Was? So schnell?«, fragte er erstaunt. »Ich mache momentan eigentlich nichts anderes, als daran zu schreiben. Ist das denn ok… dass ich… vorbeikomme?« »Was dachtest du denn? Ich sterbe hier sowieso jeden Tag, weil ich dich nicht sehen kann! Wann kommst du? Wie lange bleibst du? Ich werde mal fragen, ob Besucher hier irgendwo übernachten können!« Kolja klang ziemlich aufgeregt. Jannis musste schon wieder lächeln. Nach einigen Monaten mit Kolja gewöhnte man sich daran, dauernd zu lächeln. Das Limit, was er sich gerade gesetzt hatte, war mörderisch. Aber ein paar Nachtschichten und Verzicht auf seine Bücher würden sicherlich helfen. »Ich würde auch ein Hotel nehmen. Genug Geld hab ich ja«, sagte Jannis schmunzelnd. »Aber du sollst nicht so viel Geld ausgeben, nur um mich zu besuchen. Der Zug kostet sicher auch nicht gerade wenig!« Jannis verkniff sich ein Lachen. »Mach dir keine Gedanken über mein Geld. Und übertreib’s nicht mit deiner Eigeninitiative beim Trainieren«, fügte er hinzu. »Keine Sorge. Ich hab alles im Griff«, versprach Kolja amüsiert. Anderthalb Wochen. Dann konnte er seinen Kolja- Akku wieder ein wenig aufladen. Wer wusste schon, wie viele Monate er danach noch darauf verzichten musste? Hosted by Animexx e.V. 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