Lumiél von Voidwalker (Königreich der Monde) ================================================================================ Kapitel 19: Wenn die Maus der Katze bester Freund wird ------------------------------------------------------ Die Sommer in Ulthwe hatten immer schon so ihre Eigenarten. Gestern noch wusste Alistair nicht, wo er sich am besten in Sicherheit bringen konnte, hatte es doch wolkenbruchartig geregnet, ja regelrecht 'aus allen Eimern geschüttet', dazu die stattlichen Blitze, die überall einschlugen. Und heute? Heute erfüllte eine etwas schiefe Melodie den Wald, den er durchstreifte, weil er sich von Sonnenschein wach gekitzelt und von einem guten Mahl gesättigt darin bestätigt sah, dass dieser Tag nur wundervoll werden konnte. Warum er nach Ulthwe gekommen war, daran konnte er sich nicht mehr so richtig erinnern. Es hatte bestimmt etwas mit Schätzen und Reichtum zutun, und mit Ruhm und Ehre und... solchem Zeug. Einen kurzen Moment riss der stetige Schritt ab, tippte sich der schmächtige Nordmann gegen die Schläfe, als könne er die Erinnerungen wachrütteln, ehe er lächelnd mit den Schultern zuckte. Nun, bis es ihm wieder einfallen würde, könnte er sich ja ein wenig umsehen und umhören. Bestimmt gab es hier auch genug, dass zu 'sehen' sich lohnen würde. Nach Meinung des blassen, gebürtigen Lumiél-Exilanten gab es mehrere Arten dessen, was der gemeine Pöbel einfach so in völliger Ahnungslosigkeit um die Klasse dieser Kunst als 'Dieb' bezeichnete. Es gab da die Trickser. Sie waren gerade in seiner Heimat in Sundergrad sehr beliebte Gesellen, immer lustig, immer ein paar freche, flappsige Sprüche auf den Lippen und niemals um eine Ausrede oder ein Spielchen verlegen. Sie kannten und konnten einfach schier alles – Federstich, Poker, Würfelspiele. Und für jedes Spiel hatte jeder Trickser so seine eigenen Taktiken entwickelt, um sich und seinem Glück ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Sie waren gutlaunige Unterhalter und in aller Regel nicht gefährlicher als eine um ihr Geld geprellte Hure, die wütend eine Vase warf und leere Drohungen über die Stadtwache ausstieß. Dann gab es da natürlich die Barden. Eigentlich sollte man sie wohl als eigenständig betrachten, aber Alistair hatte einfach schon zu oft erlebt, was die sehr geschätzten Herrschaften tatsächlich taten. Nicht nur mit Gesang und Gespiel das Volk unterhalten, in Tavernen hausieren und den Ertrag des Abends in der Kasse des Wirtes verdreifachen. Sie hörten zu, und bei Lenikki, das konnten sie verdammt gut! Gerüchte aus Bettlermäulern, brisante Informationen von den Lippen betrunkener Adliger und Wachmänner, sie hörten einfach alles. Wer zu einem Barden kam und genug Geld dabei hatte, der konnte sich sicher sein, dass er erfahren würde, was zu wissen er wünschte. Nur wenigen war diese Doppelnatur des Berufes jedoch völlig bewusst. Barden waren die Informationshändler dieser Welt. Die dritte Gruppe waren die Beutelschneider. Sie waren schon ein ganzes Stück gefährlicher. Während Barden sich in der Regel mit scheinheiliger Gutmütigkeit, Offenherzigkeit und notfalls subtil verabreichtem Gift halfen, waren Beutelschneider weit weniger... subtil. Generell waren sie in allem ein bisschen bösartiger als ihre Kollegen. Das Messer, mit dem sie die Stricke der Geldkatzen vom Gürtel trennten, landeten hin und wieder auch mal im Körper des Trägers oder an dessen Kehle, falls er den versuchten Diebstahl bemerkte und sich gar zu wehren versuchte. Sie besaßen nur selten Ehre – das konnten sie sich einfach nicht leisten – und von einem Kodex oder ähnlichen brauchte man da gar nicht anfangen. Sie waren die Art von Dieben, die die Gilden nicht in ihren Reihen sehen wollten, durch die sie aber leider mit am meisten verdienten – denn begabte Barden und nennenswert erfolgreiche Trickser gab es nur selten. Alistair selbst dagegen zählte sich eher zu einer vierten Gruppe. Er hatte viele Namen dafür. Unauffällige. Schattenschreiter – das klang fast schon episch. In Sundergrad hatte man sie einfach 'Schatten' genannt, aber das führte mit der Zeit doch eindeutig zu zu vielen Verwirrungen. Er war ein Bürger wie jeder andere, manchmal auch ein Reisender oder, wenn seine Laune ein solches Theaterspiel zuließ, ein Händler. Er zog umher, beglückte die Märkte mit seiner Aufmerksamkeit und wenn er ging, nun, dann fehlte hier und da etwas. Ein Leib Brot, ein paar Äpfel, eine Halskette, ein Ballen Stoff. Niemand verdächtigte ihn, weil niemand mitbekam, dass er es gewesen sein könnte. Er war unscheinbar, wirkte viel zu unauffällig. Keine großen Messer am Körper, keine Beutel auf dem Rücken, keine paranoiden Blicke, keine Kartenspiele, keine Lauten und Flöten. Seinesgleichen war das 'starke Rückgrat' der Diebesgilden, ganz egal, in welchem Land man sich umsah. Und Alistair, bei der Geldbörse der Götter, war der Beste unter ihnen allen! Zugegeben, das würde sich noch irgendwie beweisen müssen. Er hoffte auf einen großen Coup. Etwas, das ihn in der ganzen Welt berühmt machen würde. Natürlich nicht 'berühmt' wie 'berühmt', sondern berühmt wie 'da war etwas und niemand weiß wirklich, wer schuld ist'. Denn der beste Ruf, den ein Dieb haben kann ist, völlig unbekannt zu sein. Als Zeugnis, dass man ihn noch nie erwischt hatte. Alistairs Lebensmotto. Wobei er auch davon eine ganze Hand voll hatte und sie nach Belieben austauschte, sollte eine Situation es gerade erfordern. Sein leichter, gern mal etwas kopfloser Lebensstil hatte ihm hin und wieder ebenso Probleme eingebracht wie seine Neugier. Selbst wenn er in das Anwesen eines Adligen einbrach, mit unzähligen Schlössern und Türen gesichert, diverse Fallen auf dem ganzen Gelände, dann kam er nie umhin, diese Werke der Schmieden und Konstrukteure zu prüfen. War ihm ein Schloss neu? Kannte er diesen Aufbau einer Falle schon? Wenn ja, welche Stärken hatte sie, wo waren ihre Schwächen, wie konnte man sie ausschalten? Er lernte. Und seiner Vermutung nach würde er das sein ganzes Leben lang tun. Die Reichen dieser Welt wurden nie müde, gewaltige Geldsummen dafür auszugeben, dass man ihre gewaltigen Geldsummen irgendwie beschützte. Und so lange den Mechanikern neue Fallen und Schlösser einfielen, so lange hatten die Diebe zu lernen. „Ach verflixt!“ murmelte der Langfinger und starrte auf die Pfütze nieder, in deren schlammigem Grund sein Stiefel gerade versenkt worden war. Ein unachtsamer Tritt und nun spürte er, wie das Wasser des Miniaturpfuhls in seine Schuhe eindrang. Er hätte natürlich gar nichts spüren sollen – sollen. Leider waren die Schuhe ein wenig ramponiert von seinem letzten Ausflug. Er hatte ein Waffenlager der Stadtwache überfallen, um eine besondere Schriftrolle daraus zu stehlen. Eine der Fallen besaß die Eigenschaft, flache, geschliffene Klingenblätter zu verschießen wie eine Armbrust es mit Bolzen tat. Keine sonderlich raffinierte Falle, aber sie war schnell genug, ihn für einen Wimpernschlag in Bedrängnis zu bringen. Alistair hatte keinen Schaden genommen, aber seither besaßen seine Stiefel ein paar... Luftlöcher. „Jaja, lach du nur.“ nuschelte er dem kleinen Affenkopfanhänger entgegen, der ihm unter dem Leinenhemd hervor rutschte, kaum dass er sich herab beugte, um seinen Schuh zu befreien. Tatsächlich schien der Schlamm eine stattliche Saugkraft entwickelt zu haben und wollte das Leder nicht frei geben, bis der Dieb es mit einem kräftigeren Ruck versuchte und beinahe umkippte. Als er sich wieder aufrichtete und den Blick von seinem sauberen Stiefel zum Triefenden wandern ließ, lachte er leise auf. Lenikki mochte jene, die an ihn glaubten – aber das hieß noch lange nicht, dass er immer und allzeit schützend die Hand über sie hielt. Ganz im Gegenteil, der Gott der Händler, Diebe und Reisenden war ein gewitztes Kerlchen, das sich oftmals auf die Kosten anderer seine Späße erlaubte, ohne großartig über deren mögliche Konsequenzen nachzudenken und eigentlich fortwährend nur Dummheiten im Kopf hat. Vielleicht mochte Alistair ihn deshalb so sehr – sie waren einander in gewisser Weise ähnlich. Völlig unbekümmert von jenem schmatzenden Geräusch, das bei jedem Schritt entstand, setzte der Langfinger seinen Weg fort. Zu beiden Seiten lichtete sich langsam aber sicher der Wald, der Duft frischen Grases aber blieb haften und wurde von leichten, warmen Windstößen gelegentlich wieder neu belebt. Es war einfach ein wundervoller Tag! Und weiter den Weg herauf, da konnte er auch schon die Tore der Stadt sehen. Wegezoll war eine lästige Angelegenheit, aber irgendwie auch immer spaßig. Er hatte gelernt, daraus ein Spiel zu machen. Die Stadtwache nahm ihm Geld ab und seine Aufgabe war es, das und mehr unbemerkt zurück zu bekommen. Er hatte bisher immer gewonnen. „He da, Freund!“ rief plötzlich jemand von der Seite. Überrascht hielt der Dieb inne und sah zu, wie sich hinter ein paar im Wald verstreuten Findlingen drei Männer hervor bequemten. Sein geübtes Auge erfasste sofort alles, was zu wissen nötig war. Lumpen und Leinen, keine Rüstungen. Erde und Dreck im Gesicht, unrasiert, alte, rissige Gürtel und Schuhe, eine leicht rostige Schwertscheide an zwei der besagten Gürtel, ein Dolch am Dritten. Wegelagerer. „Hier wird Zoll erhoben, hörst du? Drei Silber!“ erklärte der Mittlere der Drei. Offenbar war er der Anführer der Bande und so, wie Alistair sich das zusammen reimte, verwunderte das auch keinesfalls. Seine Spießgesellen sahen nicht unbedingt sonderlich intelligent aus. Sonst wäre ihnen möglicherweise aufgefallen, dass die Stadtwache bereits ein Auge auf sie hatte und kaum dreihundert Meter entfernt am Tor der Siedlung stand. Natürlich gaffte sie nur – noch. Das hieße aber ebenso, dass er es nur bis zum Tor würde schaffen müssen, um diese Idioten zu lehren, dass sie ihre Überfälle besser tiefer im Wald ansiedelten. „Drei Silber?“ echote Alistair, „Meine Güte, die Zeiten werden auch immer teurer, was?“ Von seiner Antwort sichtlich irritiert, blickten die zwei Schwertträger zu ihrem Boss. Der hingegen fing diese Blicke auf und schien nicht minder aus dem Konzept gebracht. Normalerweise hätte dieser Fremde jetzt um Gnade betteln oder herrisch herum blöken müssen. Stattdessen klang es fast so, als würde er ihre zugegeben schlechte Show ernst nehmen – war er vielleicht ein wenig... dumm? „Tja, so ist das eben. Ulthwe lebt auch von der Hand im Mund.“ ließ ihn sein Gegenüber wissen. Soso. Die Hand im Mund. Alistair kam nicht umhin, zu vermuten, dass es sich bei diesem Narren vor ihm um ein Mitglied seiner Profession handelte. Entweder aber war dieser Dieb noch sehr jung oder sehr dumm... oder sehr betrunken. „Nun, dann denke ich, gehe ich wieder zurück. Wird sich sicher eine Stadt finden, die weniger verlangt.“ teilte Alistair ihnen freundlich lächelnd mit und verneigte sich sogar höflich, ehe er auf der Hacke Kehrt machte und ein paar Schritte weit ging. „H-H-hee!“ stammelte der Anführer des Trios hinter ihm, „H-Halt mal!“ Die Empörung in seiner Stimme ließ Alistair leise kichern. Was für ein Anfänger, einfach herrlich! Langsam drehte er sich wieder um und bemerkte, dass seine zwei Kumpane inzwischen ihre Schwerter gezogen hatten. Sie waren nicht wirklich in besserem Zustand als ihre Scheiden und mehr noch – daran, wie sie sie hielten, erkannte er, dass er es mit völlig ungelernten, untrainierten Kämpfern zutun hatte. Alistair war nicht erst seit zwei Tagen Dieb. Wäre dem so, hätte er es nicht geschafft, sich einen signierten Dolch des Anführers der Sundergrader Diebesgilde zu verschaffen. Er hatte schon gegen Krieger gekämpft, gegen 'echte' Krieger. Sie waren unangenehme Gesellen und in der Regel nicht sehr zu Späßen aufgelegt, wenn man ihnen ihr kostbar mit Blut und Tod und Gewalt erstrittenes Geld wegnahm. In der Regel waren die meisten von ihnen aber auch etwas... schlicht und... langsam im Kopf. Muskelmasse schien soetwas zwangsläufig nach sich zu ziehen. Aber sie konnten mit ihren Waffen umgehen. In gewissem Sinne machte das diese zwei Idioten nicht weniger gefährlich – sie waren aufgrund ihrer mangelnden Ausbildung unberechenbar. Allein daran, wie jemand ein Schwert hielt, konnte man meist schon grobe Aussagen über seinen Kampfstil treffen. Hier gab es aber keinen Stil, nur ein wirres 'wie halte ich das Ding richtig?'. „Bist du dir sicher, dass du mit den beiden da arbeiten willst? Die waren nicht mal klug genug, dich darauf hinzuweisen, dass dieser Ort für einen Überfall wirklich furchtbar schlecht gelegen ist...! Und außerdem bekommst du doch von mir sowieso nichts. Wenn du jetzt darauf bestehst, dann werden wir kämpfen, du landest am Boden und verbringst die Nacht in einer Zelle. Willst du das wirklich?“ Alistairs recht selbstsichere Warnung, gepaart mit seinem breiten, vergnügten Grinsen brachte die wackelige Fassade ihres Schauspiels erneut zum Einsturz. Doch diesmal fing sich der Grünschnabel schneller als zuvor. Geradezu empört richtete er sich zur vollen, wenig beeindruckende Größe auf und blaffte, wie er sich erdreisten könne, so zu reden, war er doch hier in der Unterzahl! Für den Nordmann nur ein weiterer Beweis, dass dieser Bengel einfach nicht wusste, wie ein guter Dieb agierte. Ein guter Dieb konnte sich in eine dicht gedrängte Menge aus Stadtwachen stellen, ohne aufzufallen und dabei in wenigen Minuten ein stattliches Vermögen erlangen. Zahlenverhältnisse waren dabei nicht relevant. Tatsächlich wurde es jetzt aber ernst. Das Lächeln auf Alistairs Lippen wich einem Seufzen, als die zwei Schwertträger vor stürmten. Der Erste lief schneller, versuchte den Dieb mit einem Horizontalhieb an Hals oder Schultern zu treffen. Menschen zu töten, war nicht Alistairs Art. Nicht nur, dass es zu viel Dreck machte und damit zu viele Spuren hinterließ. Es war auch noch ziemlich schwierig, jawohl! Er hatte vor langer Zeit ein einziges Mal versucht, einen Mann zu töten. Selbst nach drei Stichen, bei denen er den Dolch bis zum Heft in dessen Torso versenkt hatte, war dieser davon lediglich nur noch wütender geworden. Er hatte geblutet wie ein abgestochenes Schwein, wurde immer langsamer und langsamer, er war schließlich auch tatsächlich gestorben – aber bis dahin hatte er Alistair zu packen bekommen und ihm eine sehr lehrreiche Tracht Prügel verpasst. Töten war nicht so leicht, wie man glaubte. Selbst mit einem abgeschlagenen Arm blieb jemand am Leben, selbst von einer Lanze durchbohrt konnte jemand weiterkämpfen. Köpfen war natürlich eine andere Sache. Aber der Langfinger bezweifelte, dass diese Idioten genug Kraft und Schwung hatten, um ihm sein Hauptwerkzeug direkt zu entreißen. Um es aber nicht unnötig darauf ankommen zu lassen, duckte sich der Dieb unter der Klinge hindurch, vollführte eine ansehnliche Rolle auf dem aufgeweichten Boden und 'kugelte' direkt gegen die Beine des zweiten Angreifers. Der stolperte schlichtweg, verlor jegliches Gleichgewicht und machte sich auf dem matschigen Grund ordentlich lang. Alistair dagegen sprang wieder auf die Beine, grinste den Anführer des Trios an, ehe er seinen Schritt beschleunigte und auf ihn zu rannte. Unschlüssig, wie er damit umgehen sollte, sprang der Grünschnabel im letzten Moment zur Seite, nur um zu sehen, wie Alistair völlig ungerührt einfach weiter stürmte – einem Dreihundertmeterlauf der Stadtwache am Tor entgegen. „Schnell! Hinterher! Haltet ihn auf!“ blaffte der Anführer seinen zwei Kumpanen zu. Der Nordmann jedoch hatte immer schon flinke Beine gehabt und hielt seinen Vorsprung konstant. Die zwei Schwertträger, so bekam er es bei einem Seitenblick mit, bekamen es kurz vor der Schlusslinie mit der Angst zu tun und stoben zu beiden Seiten in den Wald hinein. Nur der Dieb blieb ihm auf den Fersen. Als er wieder nach vorne sah, bemerkte er zwar noch den Stein, konnte aber nicht mehr reagieren. Ein stolpern, ein hilfloses Rudern mit den Armen, ehe er stürzte. Es gelang ihm noch, sich im Fall zu drehen, sodass er auf dem Rücken aufkam. Mit Überraschung gewahrte er, wie zügig sein Gegner das genutzt hatte, um aufzuschließen. Ein kleines Stück weit rutschte der Langfinger über den Boden, sah seinen Gegner die Arme nach seinem Hals ausgestreckt näher kommen – bis die Szenerie einfach so kurios wurde, dass der Nordmann aus vollster Kehle zu lachen begann. Als seine Rutschpartie endete, fand er seinen Kopf zwischen zwei stämmigen Beinen wieder, die in schwer gepanzerte Stiefel mündeten. Über ihm stand der Torwächter, die Hellebarde erhoben, deren Klinge wiederum an der Kehle des anderen Diebes anlag – der in seiner Bewegung erstarrt noch immer zu versuchen schien, Alistair zu packen. „Na gut, ich geb's zu,“ setzte der Langfinger schelmisch grinsend an, „Ich bin am Boden gelandet. Aber nur, weil du geschummelt hast und weggesprungen bist. Die Nacht in der Zelle bekommst du trotzdem, wetten?“ „Und ob!“ mischte sich nun der Wächter ein und erteilte Kommandos, den Dolch abzulegen und zu folgen. Sein Kollege – eine Wache, die Alistair bis dato gar nicht bemerkt hatte – half ihm auf die Beine, während der Erste den Grünschnabel in Ketten legte und in Richtung der Wache abtransportierte. Damit verblieb der gebürtige Sohn Lairuinens allein mit dem zweiten Soldaten zurück. Drei Kupferstücke betrug der echte Wegezoll. Alistair bezahlte ihn mit einem freimütigen Lächeln. Der Tag war so gut gewesen, hatte ihm solchen Spaß beschert, da durfte er sich eigentlich nicht beschweren und auch nicht geizig sein. Als die Wache sich dann aber umdrehte und ein prall gefüllter Beutel einfach viel zu verlockend an seinem Gürtel herum klimperte, da konnte sich Alistair auch nicht helfen. Sowas grenzte an Fahrlässigkeit, das war ja regelrecht geschenkt! Einfach nur unverantwortlich. Er sollte ihn an sich nehmen, um ihn zu hüten und zu verwahren. Besser er als irgendwer sonst, nicht wahr? Und so schritt der Dieb seines Weges die Straße der Stadt entlang, grinste zufrieden und wog in seiner Hand das neue Gewicht, schätzend, wie viel sich darin wohl befinden mochte. Der Wachmann hatte ihm sogar noch einen schönen Tag gewünscht. Freundlicher Mensch, manierlich, wirklich lobenswert, traf man sowas unter Soldaten doch leider nur viel zu selten. Sein Blick indes versuchte, die neue Szenerie einzufangen. Die kleinen Fachwerkshäuschen wagten nur selten, sich höher als zwei Stockwerke zu erheben. Das Stadtbild wurde dafür geprägt von der Brauerei mit ihren drei Stockwerken, dem Tempel, der schier alles überragte und der Wache, die mit nur einem Stockwerk auf Bodenhöhe verhältnismäßig flach blieb. Eine ungewohnte Bauweise, wie Alistair sie so aus Lumiél nicht kannte. Überhaupt schien viel mehr wert auf Ästhetik gesetzt worden zu sein. Geschwungene Formen statt starrer Linien, Kreise und Ovale statt Rechtecke und Quader. Selbst die Fenster waren rund. Irgendwie ein lustiger Anblick, er sollte bei Gelegenheit einem der städtischen Zeichner ein Portrait des Stadtbildes stehlen. Ob es hier überhaupt Leute gab, die so etwas zeichneten? Vielleicht sollte er sich erstmal danach erkundigen, ehe er beschloss, Leute zu schröpfen, die es möglicherweise gar nicht gab. Sein Weg führte ihn tiefer in die Siedlung hinein, vorbei an all den Häusern, die seinen bewundernden, geradezu euphorischen Blick einfingen. Ulthwe war nicht das erste Land außerhalb Lumiéls, das Alistair besuchte, dennoch hatte er in keiner anderen Nation bisher solche Vielfalt in der Baukunst erleben dürfen. Das war einfach schier beeindruckend. Lange jedoch hielt seine Bewunderung auch nicht – wie so oft. Alistair war sehr leicht zu fesseln, aber man verlor seine Aufmerksamkeit auch recht zügig wieder. Als ihm erst einmal klar wurde, dass alle Häuser mehr oder minder im gleichen Stil errichtet worden waren, schien es einer gedanklichen Notiz gleich zu kommen, dass die Faszination des Stadtbildes sich damit zur Gänze erschöpft hätte. Daraufhin fragte er sich bei ein paar Einwohnern, die ihm hier und da entgegen kamen, bis zum Tempel durch. Der Bau war gewaltig und es schien tatsächlich, dass man den alten Gottheiten hier huldigen wollte. Kein leeres Gemurmel und eine soziale Pflicht, sondern tatsächlicher Glaube. Bemerkenswert. Ebenso wie der Umstand, dass der Tempel keiner speziellen Gottheit gewidmet war. Viel mehr handelte es sich um eine Schmelze, in der unzählige Kammern und Säle Möglichkeiten für alle Anhänger boten. Es gab für jeden Gott Priester in diesem Haus, die hier lebten, meditierten, ihre Schäfchen empfingen. Nun, außer natürlich für den alten Ceteus. Keiner mochte Spielverderber. In der verhältnismäßig kleinen Kammer, die Lenikki gewidmet war, gab es einen Springbrunnen. Natürlich wusste Alistair, was hier vor sich ging. Irgendwelche Händler kamen her, beteten um sichere Passage zum nächsten Marktplatz und warfen zum Dank für die hoffentlich erbrachte Leistung ein paar Münzen in den Brunnen, die dann der hiesige 'Priester' voller Wonne und Dankbarkeit wieder heraus fischen würde, um davon seine allabendliche Flasche Wein zu bezahlen. So oder zumindest so ähnlich würde das ablaufen. Doch Alistair hatte damit kein Problem. Er hatte heute einen guten Tag und war schon jetzt mehr als zufrieden mit den Chancen und Gelegenheiten, die Lenikki ihm beschert hatte. Da könnte er auch einem seiner Priester ein paar Münzen in den Rachen werfen. Entsprechend kniete er sich vor den Brunnen nieder, grinste breit in das Wasser und konnte es sich nicht verkneifen, ein paar Fratzen zu schneiden. In einer Kammer des Mermerus war sowas völlig undenkbar, eine Entwürdigung und Respektlosigkeit sondergleichen – glücklicherweise, so befand Alistair, war Lenikki eine umgängliche Gottheit und nicht so ein miesmuffeliger Spießer. Er ließ ein drei Silbermünzen – eben jene, die der Grünschnabel verlangt hatte – in den Brunnen fallen. Schließlich wollte er ja auch nicht wagen, gegenüber dem Affenkopf knausrig zu wirken. Das gehörte sich irgendwie auch nicht, Dasein als Langfinger hin oder her. Alistair erhob sich daraufhin, warf einen letzten Blick um sich, ob er den Priester vielleicht irgendwo sehen konnte und ging dann. Zweifellos behielt der nämlich den ganzen Tag den Brunnen im Auge und fischte das Geld heraus, sobald der Gast weg war – damit kein anderer auf diese dreiste Idee käme. Doch wer sein ganzes Leben ausschließlich Lenikki verschrieb, der war fast unsichtbar. Vom Priester fehlte jede Spur und der Nordmann nahm es hin. Er schritt wieder über den schwarzweiß gefliesten Marmorboden und bestaunte mit dergleichen, fast kindlich-unvoreingenommenen Begeisterung die zahllosen Skulpturen, die sich vor den Eingängen der Kammern erhoben. In Lumiéls Tempeln fand man nur sehr selten Abbildungen der Gottheiten. Hier jedoch markierte eine eindeutige Statue jeden Torbogen und gab damit Auskunft darüber, zu wem man hinter diesem Tor beten konnte. Natürlich waren die Männer alle stattlich gebaute, imposante Figuren und die Frauen rank und schlank. Ein wenig bezweifelte Alistair dieses Bild ja. Es gehörte sich nicht, über solche Sachen nachzudenken – sagten die Alten zumindest. Aber es kam ihm seltsam vor, das Damaste wie ein kleines Schulmädchen wirkte. Sie, die sie mit ihrer Macht die Familien beschützte. Sie sollte nicht aussehen, als würde sie sich an Mermerus Flanke klammern und gleich 'Beschütz mich!' quieken. Eher eine erhabene Frau voller Würde und Stolz, einer Königin vielleicht ähnlich. Und Phylia? Seit wann trug die bitte Kleider? Zweifellos hatte der Bildhauer zu viel Scheu oder hatte es gar so als Auftrag erhalten, sie zu verhüllen. Doch die Dryaden, die in ihrem Namen die Wälder und Ländereien der Welt bewachten, die neigten auch nicht gerade dazu, sich zu bedecken. Vermutlich schien es nicht geziemlich, eine splitternackte Frau in einer altehrwürdigen Halle aufzustellen. Das Arimasper dagegen einen Hammer trug und kein Schwert, war wohl eine Auslegungssache. Ulthwe besaß die weltbesten Hammerschmiede – zweifellos war es aus ihrer Warte völlig in Ordnung, dieses eher unwichtige Detail etwas zu verfälschen, um darin ihren Nationalstolz zum Ausdruck zu bringen. Während er so durch die nur leicht belebte Halle schritt und die Statuen studierte, bemerkte er mit einem leisen Rumoren erstmals, dass es wirklich langsam Zeit wurde, etwas zu essen. Er hatte zwar gut gefrühstückt, aber inzwischen ging es schon straff auf den Nachmittag zu und er hatte nichts zum Mittag bekommen. Schweinerei eigentlich! Der Langfinger beschleunigte seinen Schritt etwas und streifte schon kurze Zeit später wieder durch die Gassen, hier und da mit einem charmanten Lächeln einen Herrn nach dem Weg fragend. Er hätte natürlich auch die Damen ansprechen können. Aber mit den fetten Walküren und Waschweibern wollte er eigentlich nicht viel zu tun haben und im Gespräch mit den hübschen Maiden bekam er nur sehr selten ein paar anständige, vernünftige Sätze heraus. Eine leidige Sache, die ihm schon seit Jahren zu schaffen machte. Auf dem Markt angelangt, stellte er rasch fest, dass hier nicht unbedingt das gehandelt wurde, was er sich erwünschte. Pfannen, Hämmer, Schwerter, Rüstungen, Hufbeschläge, der ganze Markt war voller Stände für Eisenwaren. Natürlich, hin und wieder mischte sich ein Juwelier oder ein Schmuckhändler ein, gelegentlich verstreut fand man auch Stände, die etwas entfernt Essbares anboten, doch der Anblick dessen und der stetige Geruch von Metall, der in der Luft lag, raubten ihm irgendwie den Appetit. Das hier war eindeutig kein Ort, an dem er länger als nötig verbleiben wollte. Dementsprechend begann das Spiel von Neuem und dieses Mal fragte er sich lieber gleich zum Gasthaus durch. Sein Plan war sowieso der Alte – er würde sich einquartieren, würde mit sicherem Auftreten und freundlicher Miene aushandeln, im Nachhinein bezahlen zu dürfen und sich dann über die Dächer davon machen. Das hatte bisher immer geklappt. Warum auch für ein Zimmer zahlen, wenn man es mehr oder minder kostenlos bekommen konnte? Er fragte sich bis zu seinem Ziel ein weiteres Mal quer durch die halbe Stadt, ehe er vor dem richtigen Gebäude zum stehen kam. Das 'zum grünen Bullen' war angeblich ein Gasthaus gehobener Mittelklasse. Im Grunde hieße das, dass man die Bettler und Gauner weitestgehend draußen zu halten versuchte, anständige Mahlzeiten und brauchbares Bier servierte, Adlige und Reiche darin jedoch trotzdem kaum finden würde. Alistair war das relativ gleich – er war schließlich nicht hier, um sich eine weitere Gelegenheit auszusuchen, sondern, um für ein Dach über dem Kopf zu sorgen. In einer Stadt zu sein und draußen schlafen zu müssen war mehr als nur lästig. Er erinnerte sich noch an eine solche Nacht, in der er Unterschlupf in einer Scheune gefunden hatte. Dann war durch einen Streit zwischen dem betrunkenen Hausbesitzer und dem herum hurenden Eheweib Feuer ausgebrochen und er musste umziehen. Aber auch der Dachboden eines Hauses am anderen Ende der Stadt bot kaum Möglichkeiten, ruhig zu schlafen – in dieser Nacht hatte er mehr Meter gelaufen als Minuten geruht. Einfach schrecklich. Als er die Tür zum Schankraum aufstieß, bemerkte er mit einem zufriedenen Lächeln, dass sich manche Dinge einfach in allen Ländern bewährten. Die Pforte führte direkt zu einem Saal voller Tische und Stühle, in dessen Zentrum ein ausgefallener Kamin stand, der zu allen vier Seiten offen lag und heizte. Natürlich gab es auch einen Tresen mit ordentlich hohen Barhockern, hinter dem ein breiter, kräftig gebauter Wirt mit kahlem Schädel und breitem Geschäftslächeln an einem Fass den nächsten Krug abzapfte. Was natürlich auch nicht fehlen durfte, war die ansehnliche Magd, die mit drallem, aufgeschnürtem Busen mehr Augenweide bot als mancher der Anwesenden zu verkraften schien. Alistair hatte das nie in einem nennenswerten Maß beeindruckt – weder diese überborderte Weiblichkeit, noch deren schamlose Zurschaustellung. Er schloss die Tür hinter sich und sprach den Wirt leise, aber freundlich an. Wie immer schaffte er es mit Geschick und dem Eindruck eines harmlosen Bürgers, sich ein Quartier zu ergaunern, dass er erst am Tag seiner Abreise würde zahlen müssen. Einziger Haken: Das Essen und Trinken musste er wie alle anderen sofort ableisten. Nun gut, damit konnte er leben. Ulthwe war zwar vergleichsweise etwas teurer, was Lebensmittel anbelangte, aber dafür lag die Qualität auch entsprechend höher. Glückliche Kühne und Schweine oder irgendwie so etwas hatte ihm mal ein Betrunkener zu erzählen versucht. Noch während der Dieb auf seinen Krug mit Traubensaft und den Zimmerschlüssel wartete, ließ er seinen Blick durch die Runde schweifen. Trinker, gute Esser, ein Trickser drüben in der Ecke, der gerade eine kleine Bande Halbwüchsiger nach Strich und Faden ausnahm. Ein oder zwei Leute sahen aus, als könnten sie Beutelschneider sein, aber da wollte sich Alistair nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Tavernen waren, das stimmte durchaus, ein Sammelplatz für seinesgleichen. Viele Händler, hin und wieder Adlige – es gab immer eine Chance und hier fand man sie am leichtesten. Aber die Händler und Wirte wussten das natürlich ebenso. Vermutlich lag es daran, dass der Besitzer dieses Hauses so missmutig drein sah, als er dem Nordmann beides übergab und derweil etwas unaufmerksam zu dem Kartenspieler herüber schaute. Dem Langfinger war es indes egal, er hatte etwas viel Spannenderes bemerkt. Da saß eine Elbe im Raum. Seine Faszination für dieses Volk war eines der wenigen Dinge, die in all den Jahren keinen nicht unerheblichen Schwankungen unterworfen worden war. Stetig und konstant hatte ihn diese Rasse wieder und wieder angezogen. Ihre Kunst, ihre Musik, ihre Kampffertigkeiten, ihre Magie – ihr elegantes Aussehen. Doch diese Elbe, das sah er auf den ersten Blick, war anders. Deutlich anders! Sie trug eine Rüstung. An sich nicht verwunderlich, doch Elben waren nie sonderlich kräftig gebaut und bevorzugten daher leichte Kettenhemden oder Lederpanzer. Diese aber saß dort in einer schweren Plattenrüstung, eine Armbrust auf dem Rücken statt des üblichen Bogens und ein beeindruckendes Schwert an der Flanke. Sie trank mit einer Runde von Männern um die Wette, den sechs leeren Krügen vor ihr nach zu urteilen, und scheute sich nicht, zu rülpsen, wenn ihr das notwendig schien. Wann traf man schon in einem von Menschen dominierten und regierten Land auf eine schwer gepanzerte Elbe, die mit anderen Menschen völlig bar aller Manieren um die Wette trank? Alistair war mit einem Schlag völlig fasziniert von ihr. Zumal sie ein reichlich exotisches Aussehen hatte. Die langen, silberfarbenen Haare, die zwar schlanken, für eine Elbe aber dennoch kräftigen Konturen – sie imponierte ihm. Der Dieb nahm sich seines Kruges und Schlüssels an, ehe er sich einen Platz suchte, der seiner würdig war: In der Ecke des Raumes. Eine Wand sicherte ihm den Rücken, er hatte Blick auf die Tür und die gesamte Schenke, durch das Fenster auf der zweiten Wand konnte er hinaus sehen – und notfalls auch hinaus flüchten. Dennoch galt sein ganzes Interesse dieser Elbe. Wie fast alle, die in ihrem Leben noch nie bestohlen worden waren, trug auch sie töricht wie sie war, ihren Beutel an einer kleinen, ledernen Schnur direkt an ihrem Gürtel. Sieht voll aus... ging es dem Nordmann durch den Kopf, während er das kleine Ledersäckchen begutachtete. Er wandte neugierig den Blick, als die Tür sich erneut öffnete. Ein Bursche trat ein, etwas breiter als die Tagelöhner, gut zurecht gemacht. Sicherlich der Lehrling eines Schmiedes oder Handwerkers. Vor sich trug er einen Strauß Blumen einher, in sanftem Violett gehalten. Interessiert beobachtete der Langfinger, wie der Bursche sich durch die Tische schlängelte und direkt auf die Elbe zuhielt. Es war merkwürdig, zu sehen, wie eine Frau nicht vor Begeisterung aufsprang, sondern ihre Statur sich zunehmend verhärtete, so als sei sie... wütend? Der Jüngling begann etwas von der Schönheit ihrer Augen zu faseln – und nur Sekunden später schreckte sogar Alistair kurz zusammen, als ihre Faust sich völlig gnadenlos in seinen Bauch bohrte. Er ging keuchend auf die Knie, hielt mit zitternder Hand noch immer den Strauß fest, bis sie seinen Hemdkragen packte und ihn ruppig herab zerrte. Seine Stirn kollidierte mit der Bank und erst, als er ächzend zur Seite umkippte, verteilte sich der sich auflösende Strauß am Boden. Ei, was hatte die doch für Feuer! Völlig fasziniert, wenngleich auch mit gehörigem Respekt, beobachtete der Langfinger, wie das Opfer sich langsam kriechend davon machte, wieder aufrichtete und schließlich sichtlich gedemütigt durch die Tür wieder entschwand. Die Elbe hingegen orderte den nächsten Krug, warf noch einen letzten, abfälligen Blick auf die Blumen, ehe sie sogar darauf spukte. Das war eine unorthodoxe Reaktion, die Merkwürdigste gar, der er je hatte Zeuge werden dürfen! Normalerweise begannen die Weiber an dieser Stelle doch, dahin zu schmelzen und den Liebeshymnen ihrer Verehrer voller Begeisterung und verklärten Blickes zu lauschen... oder nicht? Als der neue Krug ankam, leerte sie ihn scheinbar bis zur Hälfte in nur einem Zug. Eindeutig – sie war wirklich und wahrhaftig anders als alle Elben, denen er bisher begegnet war. Alistair wurde sich nicht einmal bewusst, dass seine Neugier keinen Schwung verlor. Erst als die Magd mit einem breiten Lächeln das bestellte Essen vor ihm ablud, riss er seine Aufmerksamkeit notgedrungen los. „Ah, habt Dank, meine Dame.“ ließ der Dieb ihr lächelnd zuteil werden. „Kann eure Dame denn sonst noch etwas für euch tun?“ erwiderte die Magd mehrdeutig lächelnd. Allein, wie sie kurz bei 'eure Dame' gekichert hatte und die Art, wie sie ihn nun ansah, sorgten ohne jede Mühe dafür, dass Alistair sich mit einem Schlag mehr als unwohl fühlte. Nicht, dass er Vorurteile gegen leichte Mädchen hatte – keineswegs. Sie waren gerade in Sundergrad der Diebe beste Freunde gewesen. Wenn man kein Quartier für die Nacht fand, ging man in das Bordell. Nicht der Mädchen wegen, sondern, weil die Diebe dort gern gesehen waren. Es gab... Absprachen. Manche Gäste fanden ihre Geldbörsen einfach nicht wieder, aber die Weiber konnten daran unmöglich Schuld sein. Und im Gegenzug für Quartier und – sollte die Wache tatsächlich mal ihrem Dienst nachkommen – Versteck, wurde den Mädchen eben hin und wieder ebenso geholfen. Wenn ein Freier mal ungemütlich wurde, wenn ein Konkurrent frech wurde, oder sie bekamen ihre Dienste einfach von der Gilde ausbezahlt. Doch dieses Weib war eine Magd, keine Hure, und das hier war nicht Sundergrad. Demgemäß war ihm durchaus bewusst, worauf das Ganze hinauslaufen sollte. „Ich... ähm... also... wisst ihr... ich äh... ich...“ stammelte der Dieb vor sich hin. Er wollte nicht unhöflich scheinen, bei den Göttern, aber wie sollte er sie los werden, ohne sie vor den Kopf zu stoßen? Frauen waren bei soetwas... nun ja... empfindlich. Gerettet wurde er schließlich, als der Wirt nach ihr rief, gab es doch noch weitere Kunden, die bedient werden wollten. Mochte sich, so hoffte Alistair, ein anderer erbarmen und ihr diese Nacht Wärme und einen Grund zum aufschreien bieten. Allein von dem Gedanken fröstelte er einen Moment, ehe er Messer und Gabel packte und im Braten versenkte. Das Wundervolle an Ulthwe waren also glückliche Schweine. Nun ja, wie maß man denn, ob ein Schwein glücklich war? So ganz kam er dabei nicht zu einem stichhaltigen Ergebnis, aber der Braten war einfach wunderbar. Das Fleisch zerfiel auf der Zunge in seine Fasern und die Soße war würzig, ohne schwer oder fettig zu sein. Ein wahrer Genuss. Selbst dem Saft schmeckte man an, dass er nicht aus jahrelang abgestandenen Fässern stammte. Als der Abend sich nahte, empfand Alistair es langsam als angemessen, den Tag zu beenden. Er war gesättigt, draußen zog die Nacht auf und der Tag hatte ihn etwas träge werden lassen. Vorsichtig erhob er seinen Teller samt des Kruges. Er würde ihn selbst abgeben – Hauptsache, er musste nicht wieder mit dieser Magd reden. Entsprechend buxierte er ihn an den Tischen vorbei, die sich im Laufe der letzten Stunden doch ein wenig mehr gefüllt hatten und stellte beides auf dem Tresen ab. Das dargebotene Geld nahm der Wirt dankend entgegen, das Geschirr ließ er noch stehen. Auf seinem Weg dorthin jedoch war Alistair der frei baumelnde Geldbeutel der Börse wieder aufgefallen, hatte sein Weg ihn doch unweigerlich an ihr vorbei geführt. Inzwischen standen auf dem Tisch auch so viele Krüge, dass sie sich zweifellos restlos abgeschossen hatte. Ihre 'Gegenstreiter' tranken nicht mehr, die lagen teilweise schon auf oder unter dem Tisch und schliefen ihren Rausch aus. Die Gelegenheit war einfach perfekt. Es würde den Abend gut abrunden... und man sollte ja einem geschenkten Gaul bekanntlich nicht ins Maul schauen. Entsprechend tat er, als würde er seinen Tisch wieder aufsuchen wollen. Einen langsamen Schritt vorgebend, hatte er es ja nicht eilig, fand sich auch zügig ein Plan ein. Vorbei gehen, mit der kleinen Fingerklinge das Lederband durchtrennen, den Sack geräuschlos abfangen, weiterlaufen, Klinge und Säckchen vor seiner Flanke halten, sodass sie beides nicht zu Gesicht bekäme. In der Theorie ein guter Plan, geschah schließlich das, was Alistair nie erwartet hätte, das, was er für schlicht unmöglich gehalten hatte. Er griff soeben nach ihrem Geldbeutel, hatte schon eine kleine, aus leichten Metallen gefertigte Fingerkuppe auf dem Zeigefinger aufgesetzt, die einen scharfen Dorn als Schneidewerkzeug trug, als die Elbe plötzlich herum fuhr. „Unmöglich...“ brachte Alistair noch völlig überrascht hervor, ehe ihn die Kopfnuss der Elbe traf. Ein Schmerzblitz, er fühlte sich geblendet, sein Schädel dröhnte und nur mit Mühe fand er das Gleichgewicht, nach dem Zurücktaumeln nicht zu stürzen. Die Elbe aber war mit einer einzigen, fließenden Bewegung auf den Beinen. Wie in Lenikkis Namen konnte dieses Weib überhaupt noch stehen? Sie hatte praktisch fast ein ganzes Fass allein getrunken! Die Frage beschäftigte ihn selbst dann noch, als ihn ein Leberhaken übel traf und auf die Knie schickte. Ihr Tritt hingegen verfehlte sein Ziel. Alistair hatte seine Gedanken und Überlegungen bei Seite geschoben – es galt nun, erstmals zu entkommen. Eine Lektion, in der er sich schon lange nicht mehr hatte üben und beweisen müssen. Drei wuchtigen Schlägen und einem weiteren Tritt konnte er mühelos ausweichen. Er war flink und geschickt, trotz der beengten Verhältnisse. Das Problem war jedoch, dass jedes Mal, wenn er ihr entging, ihre Wut angefacht zu werden schien, was ihre Attacken nur noch verstärkte. Stille herrschte außerhalb des Gasthauses, die Stadt hatte sich langsam aber sicher zu Bett begeben. Die Märkte waren verwaist, die Wächter an den drei Stadttoren hielten still die erste Schicht ab und die meisten braven Bürger schliefen schon. Dann jedoch durchdrang das Geräusch des zerklirrenden Glases die Ruhe – und Alistair log in ansehnlichem Bogen durch das Fenster der Schenke nach draußen. Nach einer überaus unsanften Landung blickte er zu den Sternen auf. Ein schöner Anblick. Sie wirkten so nah und doch so fern, so friedlich. Fast hätte es ihn verlockt, darin ein paar Figuren zu suchen, so wie die Kinder immer irgendetwas in die Wolken hinein deuteten. Dann jedoch erinnerte er sich seiner Situation. Nun ja, die Elbe hatte ihn auf seinen Platz verwiesen und rausgeworfen. Damit war die Sache wohl erledigt. Schade eigentlich, nun müsste er wieder improvisieren, was seinen Schlafplatz anging. Langsam stützte Alistair sich mit den Ellbogen vom Boden ab. Ob es wohl noch ein anderes Gasthaus in der Stadt gab? Plötzlich wurde die Tür scheppernd aufgeworfen. Mit harschen, schweren Schritten kam die Elbe auf ihn zu und der Dieb begann zu begreifen, dass die Sache eben nicht erledigt war – zumindest nicht für sie. Sie packte den Kragen seines Hemdes, verdrehte ihre Faust und damit den Stoff und zog ihn ein Stück vom Boden hoch, nur um mit der freien Faust auszuholen. Oh das wird wehtun...! waren seine letzten Gedanken, ehe er das Bewusstsein verlor. „Verdammt, tut das weh!“ waren seine ersten Worte, kaum, dass er wieder zu sich kam. Schon als sein Bewusstsein vorsichtig die Fühler ausgestreckt hatte, war er fast schreckhaft aufgefahren und hatte es sofort bereut. Die Kopfschmerzen waren enorm und sein Schädel dröhnte noch weit schlimmer als nach ihrer Kopfnuss. Er versuchte sich einen klaren Verstand zu verschaffen, massierte über seine Schläfen, ehe er die Beine vom Bett herab schwang und dabei erstmals bemerkte, dass er in einem Bett gelegen hatte. Wo war er? Vorsichtig sah er sich um und der Schleier klarte langsam auf. Steinboden, Steinwand, Steinwand, Steinwand, Steindecke, Gitterstäbe, Bettgestell, Schreibtisch, Stuhl, Ei- Gitterstäbe? Langsam und ohne jede Hast erhob sich Alistair auf die Füße und blickte sich um. Nun, ganz offenkundig hatte ihn irgendjemand bei der Wache abgeliefert. „Oh das ist gut.“ merkte der Langfinger an und lächelte zufrieden. Immerhin besser, als hätte sie ihn ausgeraubt und liegen lassen. Obwohl er nicht zweifelte, dass die Wachen sehr aufmerksam seinen Besitz 'studiert' hatten, als man ihn hierher brachte. Wehe, wenn die seinen Dolch eingekreist hätten! Der gehörte ihm. Vorsichtig näherte er sich der ersten Wand, hinter der er den Himmel sehen konnte. Tatsächlich stellte er sich auf die Bank und just in diesem Moment grollte der Himmel, während die ersten Tropfen zu fallen begannen. Irgendwann am Abend musste es also begonnen haben, sich stetig zuzuziehen. Aber halt – hatte er nicht vorhin noch Sterne gesehen? Herrje, wie lange war er nur weggetreten? Zumindest hatte er nun einen Grund mehr, dankbar zu sein. Hier drinnen war es relativ warm und er war vor dem einsetzenden Regen geschützt. Außerdem hatte er einen schönen Blickwinkel auf das Gasthaus. Offenbar hatte man das zersprungene Fenster mit einer Reihe nicht perfekt abschließender Holzbretter vernagelt. Zwischen den Schlitzen drang noch immer das Licht heraus. Langsam wandte er sich der Zellentür zu und begutachtete diese. Das Schloss kannte er. „Ist da jemand?“ fragte er frei heraus und tatsächlich antwortete ihm jemand. Eine wohlbekannte Stimme. „Ja, du Idiot. Dank dir ist hier jemand.“ Ah ja, der Grünschnabel von heute Mittag. Wie schön, dass sie ihm noch nicht die Hand abgehackt hatten. Das war in Ulthwe die reguläre Strafe für Diebe und Wegelagerer. Natürlich verband man die Wunde sorgfältig, es sollte ja kein Todesurteil werden. Aber zumindest sollten die Leute leiden für ihre Taten. Leider verhinderte jede noch so gute Versorgung nur selten, dass die Wunde sich infizierte und Zeit ihres Lebens schrecklich schmerzen würde. Alistair war das Schicksal, das ihn erwartete, für den Moment jedoch egal. Die Elbe beherrschte seinen Kopf – und das nicht nur durch den Schmerz, der darin noch immer pochte. Wie hatte sie das geschafft? Niemand, bei Lenikkis grinsender Visage, niemand hatte ihn je erwischt! Er hatte alles beklaut. Elben, Zwerge, Menschen, Gnome, Goblins, sogar mal einen Ork, er hatte Bettler beklaut, Adlige, Huren, Wächter, Soldaten, alles und jeden. Und sie? Vollgesoffen bis unter den Scheitel, aber so zielsicher wie ein Pfeil von elbischer Sehne und so wuchtig wie der Hieb eines Ork. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen, oder? War sie eine Hellseherin? Hatte sie seinen Versuch erkannt? Hm nein, Hellseherei war Humbug. Oder vielleicht war sie ja... nein auch nicht. Zumindest ließ ihm das einfach keine Ruhe. Er musste einfach herausbekommen, wie sie das angestellt hatte. Ein dumpfes, entferntes Geräusch riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Zum 'Fenster' zurück gesprungen, sah er eben diese Elbe das Gasthaus verlassen und in Richtung des Stadttores davon ziehen. Nun ergriff ihn doch die Hektik und er bekam es plötzlich mit der Eile zu tun. Sie durfte nicht einfach so gehen, er musste doch vorher noch herausfinden, wie sie das angestellt hatte! „Glaubst du, Lenikki mag dich?“ erkundigte sich der Langfinger bei seinem Landsmann, während er aus einer eingenähten Stelle seiner Kleider eine Nadel hervor zog und damit im Schloss herum zu puhlen begann. „Heute vielleicht nicht. Falls ich es hier raus schaffe, dann morgen vielleicht wieder.“ erwiderte der Grünschnabel und entlockte dem Nordmann ein zufriedenes, schelmisches Grinsen. So war's Recht – nie auf die Sympathie des Affenkopfes spekulieren, nie sich darauf verlassen, dass er wohlwollend war. Aus diesem Dummkopf könnte noch etwas werden... aber dazu würde er seine zwei Hände behalten müssen. Alistair knackte ohne große Mühe das Schloss und verschwand unter den sichtlich irritierten Blicken seines 'Kameraden' im Vorraum, wo die Wache ihren Dienst verrichtete. Als er mit dem Schlüsselbund zurückkehrte, offensichtlich auch mit all seiner Habe, wuchs das Erstaunen des einstigen Anführers nur noch mehr. „Die Wache war kein Problem, der schläft.“ winkte Alistair ab, ehe man ihm hier irgendwelche Kräfte oder Fähigkeiten zuzuschreiben begann, „Du solltest dir fähigere Mitarbeiter suchen. Oder besser noch, versuche es zunächst allein. Übe da, wo du schnell entkommen kannst. Auf Märkten oder als Mitglied von Karawanen.“ Eigentlich wusste er auch nicht so ganz, warum er diesem Narren Tipps gab. Ob er sie nutzen könnte, war sowieso mehr als fraglich, aber... vielleicht hatte er ja eine zweite Chance verdient. Mochten die Götter das beurteilen! Zu zweit schlichen sie aus dem Haus der Wache heraus, unbemerkt und ungestört. Während sie sich still und einvernehmlich trennten – ganz ohne Dank – zog der Grünschnabel in Richtung eines ihm bekannten geheimen Schwachpunktes in der Stadtmauer davon, während Alistair völlig unbekümmert seinen Wegezoll am Tor entrichtete, sich einen letzten Lohnsack einer Wache vereinnahmte und dann so rasch wie möglich dem Pfad folgte. Es dauerte fast eine Stunde, und das bei diesem fürchterlichen Regen, bis er die Elbe eingeholt hatte. Sie bemerkte ihn, dessen war er sich völlig sicher, aber lange Zeit ignorierte sie einfach, dass er wie ein Schatten gut zwanzig Meter hinter ihr klebte. Als ihr das tief in der Nacht schließlich zu viel werden schien, hielt sie abrupt, kehrte um und baute sich vor ihm auf. Alistair war dieses Mal nicht zurück gewichen und obwohl sie erneut zuschlug und ihr Hieb ihn abermals auf die Knie schickte und nach Luft schnappen ließ, waren dies doch die ersten Worte, die sie wechselten, und damit ein Erfolg in seinen Augen. „Was muss ich tun, um dich wieder los zu werden?“ blaffte sie ihm sichtlich wenig erfreut über seine Gegenwart an. Natürlich wäre es dumm gewesen, ihr nun zu sagen, was sie dafür tun musste. Deshalb entschied er sich, etwas zu tun, das er nur sehr selten pflegte: Sich vorzustellen. „Mein Name ist Alistair.“ brachte er noch immer etwas keuchend hervor und wagte nicht, wieder aufzustehen. „Und warum sollte mich das interessieren?“ fuhr sie ihn abermals an. Doch als er weiterhin schwieg, schnaubte sie verächtlich, kehrte sich ab und hastete weiter des Weges. In den zahlreichen Tagen darauf versuchte sie mit allen Mitteln, ihn los zu werden. Sie marschierte wie ein Ork, der die rote Legion hinter sich vermutete. Sie schlief kaum, sie aß kaum, aber sie konnte ihn nicht abschütteln. Sie kreuzte durch Dörfer, versuchte es mit Winkelgassen, mit dem Gedränge auf Märkten, aber Alistair blieb ihr immer dicht auf den Fersen. Fast wunderte es ihn, dass sie ihn nicht einfach umbrachte. Oh natürlich hatte sie es ein paar Mal versucht. Drei oder vier Mal war sie umgekehrt, doch sie hatte ihn nicht zu packen bekommen. Irgendwie, angesichts der Dinge, die er in diesen Tagen von ihr sah, an ihr beobachtete, wirkten ihre Versuche, ihn zu fassen zu bekommen, auch recht lustlos und halbherzig. Er folgte ihr, gewiss, aber er kostete sie nichts, er verlangte nichts, sie musste nicht mit ihm reden und er mischte sich nicht ein. Ein lästiger Schatten vielleicht, aber am Ende doch nur ein Schatten. Das änderte sich jedoch, als sie ihrem Handwerk wieder nachzugehen begann. Sie war Söldnerin, wie er sich das so zusammen reimte. Menschen sprachen sie an, sie bekam manchmal einen Vorschuss, erledigte etwas – oder jemanden – und bekam den Lohn dafür. Die Leute, für die sie arbeiteten, sahen nicht unbedingt koscher aus, aber selbst wenn man sie zu betrügen versuchte, was durchaus einmal vorkam, wusste sie schon, wie sie an ihr Geld kam. Auf die gleiche Weise, so vermutete Alistair, hatte auch er 'fliegen gelernt'. Und dann, nach fast zwei Monaten, kam ein großer Auftrag. Was sie auf dem Anwesen dieses Kunstmäzens wollte, war dem Langfinger nicht ganz klar, doch er kannte sich mit solchem Gelände aus. Ohne ein Problem darin zu sehen, folgte er ihr über die hohe Mauer, schlich über den gut gepflegten Rasen und blieb immer außer Sichtweite der Wachen, die mit Bögen das Gelände patrouillierten. Natürlich fand er immer wieder Zeugnisse ihrer Gegenwart: Niedergeschlagene Wachen, breit getrampeltes Gras, tiefe Spuren ihrer Plattenstiefel. Sie war so unauffällig wie ein Troll, der sich zwischen Kendern zu verstecken versuchte. Er holte sie ein, als sie gerade die Eingangstür auftreten wollte. „Pssst, lass das!“ flüsterte er leise. Die Elbe senkte tatsächlich den Stiefel wieder, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn mehr als nur zornig an. „Was?“ keifte sie ungeduldig. Alistair schritt um die Ecke, hinter der er sich versteckt hatte und trat in den dämmrigen Schein einer kaum nützlichen Lampe, die über der Eingangstür baumelte. „Nicht bewegen, du stehst auf einem Auslöser.“ merkte er leise an und näherte sich vorsichtig. Die Elbe schien kein Wort zu verstehen, doch sie ließ ihn gewähren. Er näherte sich, kniete auf den Boden nieder und begann mit den Fingern vorsichtig ein paar feine Linien im Grund freizulegen. Erst da erkannte die Söldnerin das feine Gespinst von Drähten und Metallen. Mit je zwei Fingern drückte er bestimmte Stellen in den Boden und nickte ihr zu. „Jetzt weg.“ wies er sie leise an. Allein ihre Frage, ob er sich sicher sei – die zweifellos einzig ihrem eigenen Wohl galt – zeigte, dass sie noch nie mit Fallen in Berührung gekommen war. Zumindest nicht mit solchen. Allein um ihr zu beweisen, worauf sie da gestanden hatte, zog Alistair ein kleines Stück Holz herbei, richtete es so aus, wie er den Winkel vermutete – und ließ los. Ein kurzes Klicken, ein Zischen – und als er sich erhob, präsentierte er der Elbe das Holz, mit einem darin steckenden Metalldorn. „Die Spitze ist vergiftet. Mit viel Glück nur lähmend... mit Pech... naja...“ nuschelte er grinsend. „Glaub ja nicht, dass ich dir dafür was schulde!“ blaffte die Elbe ihn an und wollte ihn gerade sichtlich genervt von seiner Gegenwart zur Seite schieben, ehe Alistair ihrem Griff einmal mehr geschickt entkam – und sich wieder zwischen ihr und der Tür postierte. „Ich kann sie öffnen. Lautlos. Und spurlos.“ bot er ihr an. Zwar kam es ihm so vor, als würde sein schelmisches Lächeln sie nur noch mehr provozieren, aber vielleicht war es auch die Tatsache, dass er ihr subtiles Vorgehen anbot, obwohl sie direktes Ausüben von Gewalt gewohnt war. Immerhin mischte er sich gerade in ihre Belange ein. Etwas, das er zuvor peinlichst vermieden und damit diesen wackeligen Waffenstillstand hervorgerufen hatte. Doch er konnte einfach nicht zulassen, dass sie starb. Schon gar nicht durch eine Falle, die so trivial war, dass man sie mit zwei Fingern und ohne Werkzeug aushebeln konnte. Erst musste er herausfinden, wie sie es geschafft hatte, ihn zu erwischen. Die Situation mit der Falle zeigte ihm zumindest, dass sie hellseherisch so begabt war wie ein Stein im eigenständigen Fliegen. Mit einem abfälligen Schnauben und einer jovialen Geste lud sie ihn ein, sich am Schloss zu versuchen und wenige Augenblicke, nachdem Alistair sich vor den Mechanismus gekniet hatte, kapitulierte das Schloss vor ihm und die Tür sprang auf. Natürlich war die Elbe nicht begeistert, nicht überrascht, nicht dankbar. Aber allein dieses leichte Verziehen ihrer linken Augenbraue genügte ihm für den Anfang völlig. Der Langfinger war stolz auf sich, so stolz, wie er beim knacken eines so leichten Schlosses schon lange nicht mehr war. Ihr Blick wanderte vom Schloss zu der Falle am Boden und dann wieder zu ihm und dem Schloss. Sie spähte hinein, in einen langen Gang mit rotem Samtteppich, edlen Gemälden an den Wänden und Skulpturen. Es war fast, als könne er ihre Gedanken lesen, nur anhand des Blickes ihrer exotischen, violetten Augen. Sie überlegte, ob es noch mehr solcher Fallen hier geben könnte. Das Haus sah aus, als gehörte es einem Reichen. Und wo viel Geld war, war auch viel Bedürfnis nach Schutz. Dieses schmächtige, lästige Männlein hatte sich jedoch für den Anfang, trotz seiner fürchterlich enervierenden Eigenheiten, als nützlich erwiesen... „Alistair, hm?“ brummte ihre Stimme sichtlich unzufrieden. Der Dieb hingegen nickte breit grinsend. „Ashes.“ ließ sie ihn ihren Namen wissen, ehe ihre Hand ihn an der Schulter packte, umdrehte und in den Gang hinein stieß. „Gewöhn' dir dieses dämliche Grinsen ab.“ maulte sie noch leise, bevor die Tür ins Schloss fiel. In dieser Nacht rettete der schmächtige, lästige und fürchterlich nervige Bursche ihr mehr als nur ein Mal das Leben, ebenso, wie sie ihm die Haut rettete. Beiden war es mehr als unangenehm, doch als sie mitsamt der Beute das Gelände unbehelligt verließen, kein Alarm ausgelöst, keine Wachen auf ihren Fersen, da begannen sie einzusehen, dass sie sich als überraschend gutes Team bewiesen hatten – ein Umstand, der beiden noch viel weniger passte. Sie waren Einzelspieler. Ashes hatte immer allein ihre Kämpfe bestritten. Und Alistair hatte immer allein seine Kämpfe... zu vermeiden gewusst. Die Elbe löste ihren Auftrag ein, empfing ihre Bezahlung und behielt alles für sich. Der Dieb blieb an ihr kleben wie ein Schatten, nur lief er jetzt keine zwanzig Meter mehr hinter ihr... sondern nur noch fünf. Schon den dritten Auftrag danach nahmen sie gemeinsam an und teilten den Lohn drei zu eins auf – ein Verhältnis, das Alistair zwar nicht passte, aber anders als die Elbe brauchte er nur durch eine Gasse voller Menschen laufen, um reich am anderen Ende anzukommen. Das dämliche Grinsen jedoch gewöhnte er sich nie ab... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)