Adolescence von Bitsubachi (RinxLen) ================================================================================ Kapitel 3: 3 ------------ „Oh man! Der war aber richtig schwer! Wer hat bitte geahnt, dass wir Stilmittel, Charakterisierung und eine Astreine Nacherzählung liefern sollen?!“, bestürzt, ja genervt lehnte sich Len mit seinem Stuhl nach hinten an den anderen Tisch. Der Test über die Lektüre war gerade vorbei. „Ich hab die ganze Nacht nicht schlafen können! Dabei hab ich so viel gelernt, sogar fast das ganze Buch gelesen! Bis auf den Schluss und dann kommt ausgerechnet dieser am detailliertesten dran!“ Neru unterhielt sich mit Len und bestärkte ihm, dass der Test wirklich eine Frechheit war. Dabei erging es ihr von allen am besten darin. Literatur war ihr Fach, da konnte niemand aus unserer Klasse mithalten. Len hatte also nicht geschlafen? Schlecht. So wie er es beschreibt, hat er sich bei dem Test, genauso wenig wie ich, mit Ruhm bekleckert. Warum Len wohl nicht schlafen konnte? Gedanklich kehrte ich zum gestrigen Abend zurück. Ich bin von Neru heim, gleich auf mein Zimmer, dort wollte ich mich umziehen, als ich Len mit Kaito telefonieren hörte und habe stattdessen mein Skizzenbuch geholt und angefangen ihn zu zeichnen. Das lag nun auf meinem Schreibtisch. Jedoch weiß ich noch ziemlich genau, dass ich nicht ins Bett bin. Wie also, konnte es sein, dass ich heute Morgen in eben genanntem aufgewacht bin? Sogar noch mit meinen Freizeitklamotten! Irgendwer musste mich ins Bett getragen haben, aber Len war es nicht. Nur ein Traum, in Folge auf den Besuch bei Neru. Ja, das wird es wohl gewesen sein. „Hey, wie ist es bei dir gelaufen?“, richtete meine beste Freundin das Wort an mich. Zur Antwort bekam sie allerdings nur ein unverständliches, gereiztes murmeln, das ihr bedeutete, nicht weiter nachzuhaken. Mein Blick wanderte nach rechts, wo mein Bruder saß. Und ich weiß nicht, ob ich mir das nur einbildete. Wenn nicht, dann schaute er mich auf beunruhigende Weise tief besorgt an. Sah ich immer noch so verheult aus? Tage vergingen, ohne auch nur ein erwähnenswertes Ereignis. Die Pausen verbrachten Neru und ich damit, unseren Len-Rettungsplan auszuarbeiten und ehe ich mich versah, war es auch schon wieder Donnerstag und das Wochenende nah. Donnerstag war einer der schönsten Schultage. Doppelstunde Kunst. Unser Lehrer saß immer vorne an seinem Pult, gab uns eine Aufgabe und kümmerte sich dann nicht weiter darum, außer jemand fragte ihn um Hilfe. So malten wir diesmal auf einer Leinwand unsere Partner, die ausgelost wurden. Schon wieder landete ich dabei, Len zu malen. Im Gegenzug war dann ich sein Modell. Entspannt, mit einem Buch in der Hand und einer Brille auf der Nase, saß er auf dem Stuhl, wie ein Intellektueller. Zugegeben, diese Aufmachung stand ihm. Kurz vor Ende der zweiten Stunde hielt er es allerdings nicht mehr aus und kam rüber, um mein Ergebnis soweit in Augenschein zu nehmen. Währenddessen unterhielt er sich mit einem aus unserer Klasse. „Sicher sieht das nicht im Geringsten nach dir aus Len! Rin tut mir jetzt schon leid von dir gemalt werden zu müssen.“ „Als ob du malen könntest! Bei dir wird das Gesamtbild allerhöchstens aussehen, als wärst du ausgerutscht und hättest einen Farbeimer drüber geschüttet!“, scherzten sie. Auch wenn sie es nicht ernst meinten, so versetzte spürte ich doch einen Stich in der Brust. Dann hörte ich nichts mehr. Beide standen hinter mir und betrachteten das Bild. Langsam wurde mir das unangenehm und ich wollte mich gerade umdrehen und schauen, ob sie überhaupt da waren, als ich ein „Wow“ hörte. Von beiden. „Len…seit wann kann deine Schwester so gut malen?“ „Ich weiß es nicht…den Moment muss ich verpasst haben“, meinte Len. Beide sahen sie das Bild mit offenem Mund an und kurz darauf tummelte sich die ganze Klasse um ihr Bild. Dann läutete die Schulglocke zum Unterrichtsende. „Hey Rin! Warte doch!“ „Ja, warten wir auf Len!“, meinte Neru. Hastig packte Len seine Sachen zusammen und holte uns schließlich ein. „Hast du noch mehr Bilder? Ich mein daheim. Oder in deinem Skizzenbuch oder wo auch immer?“, er klang interessiert, Neru machte große Augen. Ich wusste, dass sie an mein altes Skizzenbuch dachte und wie viele Bilder von ihm da drinnen waren. Auch die ein oder andere ausgedachte Szene von ihr und mir, wie ein Date zwischen ihnen aussehen könnte. Vielleicht ein Kuss und mehr. Unter keinen Umständen! „Ehm…ja…nein…also…vielleicht, aber das sind so alte Zeichnungen, dass ich sie dir ganz sicher nicht zeige! Viel zu peinlich!“, blockte ich. „Genau! Was bist du eigentlich für ein Bruder? Ihr seid immer zusammen und wisst nicht, was der andere gut kann? Schämt euch!“ „Doch, Rin kann gut nerven“, grinste Len daraufhin. „Aha! Und was ist mit dem verehrten Herrn, der einem, selbst wenn er schweigt, das Ohr abkaut?“, witzelte ich, erleichtert über den Themenwechsel. Wir drei scherzten und stritten sogar ein wenig, bis wir uns an der großen Kreuzung trennten. Danach wurde zwischen uns wieder still. „Also…zeigst du mir nun ein paar? Ich würde wirklich sehr, sehr gern ein paar Bilder sehen. Bitte~“, Len flehte schon fast. Trotzdem blieb ich stur und ging nicht weiter darauf ein, bis er schließlich aufgab. Allerdings murmelte er noch etwas vor sich hin und es hatte ganz den Anschein, dass er sich damit nicht zufrieden geben würde. Dann kam der Tag auf den wir alle gewartet hatten. Weltuntergang. Rückgabe des Tests. Nach der Verbesserung, Ende der zweiten Schulstunde, Frühling. Ausgelöst durch Teenager im Alter zwischen 15 und 17. Wenn es noch ein Morgen gibt, wird das mit Sicherheit die Titelseiten der Zeitungen zieren. Oder jedenfalls bei uns zuhause. Sowohl Len, als auch ich waren unteres Mittelmaß. Besser, als wir erwartet hatten, aber schlechter, als wir sollten. Beinahe zeitgleich sprachen wir jeweils den anderen an. „…meinst du, das wird ordentlich Ärger geben?“, worauf wir losprusteten. Neru hingegen starrte uns nur ungläubig an. „Wie könnt ihr jetzt nur lachen?! Am Ende müsst ihr noch in die Nachprüfung!“, sichtlich sauer stauchte sie uns zusammen, bis sie wieder in ihren üblichen Rausch des Glücks verfiel. „Hach~ der Test war so toll, so einfach! Ich dachte schon ich habe die 2. Aufgabe falsch beantwortet, aber dabei hab ich sie sogar mit voller Punktzahl richtig! Hoffentlich werden wir noch eine so schöne, untypische Herzschmerzgeschichte durchnehmen. Hach, das Buch war so toll, ich könnte es immer wieder lesen! Das muss ich gleich meiner Mutter mitteilen“, mit diesem Satz holte sie ihr Handy raus und tippe wie in Lichtgeschwindigkeit eine zwei Seiten lange SMS. Daheim bekamen wir wie erwartet Ärger von unserer Mutter. Für unseren Vater war Schule nur das halbe Leben, er meinte, am meisten lernt man sowieso im Alltag und der Arbeit. Bis Sonntag bekamen wir Hausarrest und Telefonverbot. Aber dafür gibt’s immer noch Handys. Am nächsten Abend rief ich also meine Freundin vom Handy aus an. Von Len wusste ich, dass das Treffen morgen Mittag stattfinden würde. Eine Stunde vorher wollten wir uns treffen und unseren Plan vorbereiten. Alles war perfekt. Pünktlich saßen wir bereits eine halbe Stunde vor dem Treffen in einem Gebüsch, von wo aus, wir den Treffpunkt im Auge hatten. Len war bereits dort, aber von dem Mädchen war keine Spur. Gestern hatte er von unserem Vater ein Bild von ihr bekommen. Sie hatte lange, sehr lange, Haare, die sie zu Rattenschwänzen zusammengetan, trug. Ein nettes Gesicht, eine schlanke, feminine Gestalt und ein bezauberndes Lächeln, das einen jeden verzauberte. Sie schien zu perfekt auf dem Bild. Wahrscheinlich war sie ein richtiger Hausdrachen und das alles nur Fassade! So einer konnte ich, ähm, ich meine wir, Len nicht überlassen. Neru neben mir brannte vor Eifersucht und Tatendrang. Plötzlich erhielt ich einen Anruf. Len. Gerade noch so konnte meine Freundin verhindern, dass ich aus dem Gebüsch hochschreckte und unser Versteck preisgab. Vorsichtig schlich ich mich also davon und hinter den Essensstand daneben, dann nahm ich den Anruf entgegen. Mein Bruder wollte wissen, ob ich nicht doch dabei sein möchte, er allein würde sich nicht so ganz trauen. Da machte mein Herz einen Satz. Mir wurde das Gesicht heiß. Spontane Planänderung dachte ich. „Tut mir Leid, es geht nicht. Ich…habe gerade ein Problem, da sind so Typen und…NEIN, Lasst mich in Ruhe!“, ich spielte Len eine Szene am Handy vor, dass ich belästigt würde. Er sprang darauf an, fragte, wo ich sei und verließ, wie ich sehen konnte, den Treffpunkt. Auch wenn ich mich nicht ganz wohl dabei fühlte. Schnell schrieb ich Neru eine SMS, dass ich ihn weglenkte. Nicht weit entfernt stürzte ich mich in Lens Arme und erzählte ihm eine Geschichte, was angeblich passiert war. Er tröstete mich, nahm mich in den Arm und diesen Schutz, den er mir bot, diese Wärme, ließ mir echte Tränen über die Wangen laufen. Neru unterdessen wartete im Gebüsch auf das Mädchen. Sie würde es etwas unfair finden, wenn sie da stehen und auf ihren Zukünftigen warten würde. Plötzlich vernahm sie ein Rascheln und dann wurde ihr von hinten der Mund zugehalten. So konnte sie nicht schreien. Versuchte man etwa, sie zu entführen? Aber nicht mit ihr! Mit voller Kraft rammte sie ihren Ellbogen in den Bauch der Person hinter ihr. Mit Vergnügen hörte sie einen Aufschrei und wie er sich unter Schmerzen krümmte. Doch als sie sich umdrehte, war sie mehr als erstaunt. „Kaito!“, entfuhr es ihr, „wa-was machst du hier? Wieso…? Und was sollte das eben!“ Sauer half sie ihm, sich aufzurichten. „Das würde ich auch gerne wissen. Was machen ein älterer Junge und ein viel zu junges Mädchen, die beide noch zur Schule gehen im Gebüsch?“, sie blickten in das Gesicht von Meiko Sakine, „ich hoffe, ihr habt dafür eine gute Erklärung!“ Dann begutachtete sie Kaito. Mit festem Griff packte sie ihn am Schal, den er fast immer trug, und schleifte ihn hinter sich her. „Das fällt unter Exhibitionismus, sich in der Öffentlichkeit auszuziehen!“ „Aber ich hab doch gar nichts getan!“, verteidigte sich Kaito. „Dann Vergewaltigung! Noch schlimmer!“ „Aber ich hab doch gar nichts-„, sie versetzte ihm einen Schlag und er wurde benommen von ihr weggeführt. Neru fragte sich nur, was für ein Theater das sein soll und folgte nach, um zu verhindern, dass Kaito wirklich noch eingesperrt wurde. Keiner bemerkte das hübsche Mädchen, das am Treffpunkt stand und alles beobachtete. Sie ging kurz darauf nach einem Blick auf ihr Handy. „Geht’s wieder?“, besorgt, wischte Len mir mit einem Taschentuch die letzten Tränen aus dem Gesicht. „Ja…danke“, versuchte ich mit einem Lächeln zu erwidern. „Sicher?“ Heftig nickend versuchte ich meine Aussage zu unterstreichen, doch er sah mich noch immer leicht ungläubig an, darum stand ich auf, und schlug vor aufs Frühlingsfest in der Nähe zu gehen. Bald gab er klein bei und wir stürzten uns ins Vergnügen. Auf die kleine Achterbahn folgte Zuckerwatte, dann Kettenkarussell, Budenschießen, Lose ziehen, wir hatten viel Spaß. Die Sonne begann unterzugehen und die Lichter wurden eingeschalten. Alles wurde in ein prächtiges, goldenes Licht getaucht, passend zu dem Abendrot. „Es wird schon dunkel. Sollten wir nicht besser nach Hause?“, bemerkte Len. „Nur noch ein bisschen! Schau, schau, da ist ein Purikura! Los, los, lass uns noch ein paar Fotosticker machen!“, ich zerrte ihn leicht am Ärmel in Richtung des bunten Fotoautomaten. Die Auswahl des Motives und der Bilderanzahl überließ er mir, was auch gut so war. Das Endergebnis konnte sich sehen lassen. Jeder von uns bekam die Hälfte der kleinen Sticker. „Sieht tatsächlich ganz nett aus“, er holte sein Handy raus und klebte den Sticker vorne drauf, mit einem süßen Lächeln im Gesicht. Ich tat es ihm gleich, nur klebte ich einen in meine Kette rein. Eine hübsche, kleine Kette in Gestalt eines Panda, die man öffnen konnte. Die Kette hatte ich letztes Jahr von unseren Eltern geschenkt bekommen. Schließlich begaben wir uns, trotz meines Quengelns heim. Nun war es bereits dunkel und um schneller wieder daheim zu sein, nahmen wir eine Abkürzung. Allerdings sind diese Gassen kaum beleuchtet. Früher haben wir sie öfter genutzt und kannten uns daher aus, trotzdem machten sie einen gefährlichen, furchteinflößenden Eindruck. Doch zu zweit war das nie ein Problem. Hand in Hand sind wir immer heil angekommen. Aber jetzt war das anders. Wir waren älter. Hand in Hand. Unvorstellbar. Ein wenig traurig gestimmt, sah ich die dunkle Gasse entlang, meine Hände wurden kälter. Ich schaute auf Lens Hand, dann in sein Gesicht. Unsere Blicke begegneten sich. Schnell blickte ich wieder weg. Warum auch immer, es war mir peinlich an damals zu denken. Jetzt daran zu denken und herbeizusehnen, dass wir wieder Kinder sein könnten, bei denen das noch nichts sagte. Gerade wollte ich Anstalten machen, meine Hand in die Jackentasche zu stecken, als er sie nahm. Meine kalte Hand in seiner warmen. Doch als ich mit großen Augen aufschaute, blickte er verschämt weg. Keiner von uns sagte was. Langsam gingen wir die Gasse hinab. Ohne Angst. Mit leichtem aber beruhigendem Herzklopfen. Das, das man auch bekommt, wenn man sich jeder Regel wiedersetzt. Rin war bei Neru. Sie mussten irgendetwas besprechen. Frauensache haben sie gesagt. Gumi war beim Arzt und sein Vater musste etwas geschäftlich abklären. Seine Mutter war gerade Einkaufen. Das Haus war also leer, nur er noch hier. Genau zur rechten Zeit. Len hatte nicht vorgehabt sich von Rin mit einem solch laschem Argument wie „Die Bilder sind viel zu alt, das ist mir peinlich“, abspeisen zu lassen. Er würde seine Chance nutzen. Auch wenn es sich eigentlich nicht gehörte in anderer Leute Zimmern zu stöbern, er wollte ja bloß die Bilder sehen. Dann hatte er endlich das alte Skizzenbuch gefunden. Das hatte Rin immer und überall mit hingenommen, daran konnte er sich noch zu gut erinnern. Aber schon damals durfte er nie auch nur einen Blick hinein werfen. Er freute sich schon darauf, was sie alles gezeichnet haben konnte. Blumen? Frau Sakine? Oder Frau Yowane, die stellvertretende Schulleiterin? Kaito oder Neru? Vielleicht Gumi bei der Arbeit oder Essen? Vielleicht sogar Szenen aus ihrem Lieblingsmanga? Doch auf der ersten Seite war nichts von allem, an das er gedacht hatte. Auf der ersten Seite war ein Bild von ihr und…ihm! Das Foto von ihrem gemeinsamen zehnten Geburtstag. Und dann konnte er es nicht mehr glauben, was er sah. Jede Seite, die nicht beschrieben sondern auf die gezeichnet war, war ein und dasselbe Motiv. Immer und immer wieder. Unter manchen stand „Für Neru“. Aber bei den ganzen anderen waren keine Bemerkungen. Dafür waren sie mit viel Gefühl, viel ausführlicher gezeichnet worden. Von der ersten zur letzten Seite sah man eine unglaubliche Verbesserung. Obwohl es immer dasselbe Motiv war, war es doch nie gleich. Nie hatte er gewusst, dass ein Mensch so viele unterschiedliche Seiten zeigen konnte. Nie war ihm das bewusst gewesen. Nie hatte er etwas davon gemerkt. Nun kam ihm der Gedanke. Konnte es sein? Hatten ihre Augen nie ein anderes Motiv gekannt? Lagen ihre Augen tatsächlich die ganze Zeit auf…ihm? Jetzt musste er sich erst mal setzen. Immer wieder blätterte er die Bilder durch. Es waren Scherzhaft gemeinte dabei. Wie Neru und er sich küssten. War sie vielleicht in ihn verliebt? Aber die anderen Bilder zeigten ihn und nur ihn. Die, die nicht für Neru waren. Wie er lachte, weinte, abwesend aus dem Fenster schaute. Am Strand, beim Essen, wie er schlief. Wann hatte sie das alles gezeichnet? Warum hat er nichts davon gemerkt? Er kann sich nicht mal an die Momente erinnern. Schließlich schaute er abwesend das letzte Bild an. Und er schaffte es nicht, den Blick abzuwenden, denn ausnahmsweise stand darunter eine Anmerkung. Kein „Für Neru“ oder sonst was in der Richtung. Sondern ein „Ich wünschte, dieses Lächeln gälte mir“. Immer und immer wieder glitten seine Augen über diesen Satz. Über diese feine, säuberliche Handschrift seiner Schwester. Er sah zwei, drei eingetrocknete Wasserflecken. Oder waren das Tränen? Sein Gesicht wurde heiß, er fühlte sich aufgeregt und fing kaum merklich an zu Zittern. Besser er legt das Buch zurück, bevor sie ihn doch noch überraschte. Just in diesem Moment, hörte er die Eingangstür unten aufgehen und eine fröhliche Begrüßung in das leere Haus rufen. Rin war zurück. Jetzt musste es schnell gehen, nur das Buch zurücklegen und dann...aber da fiel es ihm herunter. Erstarrt blieb Len stehen. Er hörte die Schritte auf der Treppe, riss sich zusammen und hob das Skizzenbuch auf. Gerade als er sich wieder aufrichtete, trat Rin ins Zimmer. Versteinert blieb Len stehen. „Oh…hi. Wolltest du etwas?“, fragte ihn Rin. Doch ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig von angenehm überrascht zu einem Entsetzen, als sie sah, was er in den Händen hielt. „Das…“ „Es tut mir leid!“, er wich einen Schritt nach hinten zurück. „Was…“, ungläubig schaute ich ihn an, doch er wich meinem Blick aus. Dass er nichts gesehen hat, konnte er nicht sagen. Er konnte seine Zwillingsschwester nicht belügen. „Warum?!“, sagte ich, so verletzt, worauf Len zusammenzuckte. „Hast du…?“ Schwach nickte er, „Ja.“ „Aber…warum?“, ich war den Tränen nahe. „Wie konntest du!“, ich riss ihm das Buch aus der Hand in meine Arme, versuchte es zu verstecken und stand hinter ihm da. Nun liefen mir die Tränen doch übers Gesicht. Ich war so tief verletzt. Als hätte er mich verraten. Konnte er meine Gefühle aus den Bildern herauslesen? Endlich war mir klar geworden, was mich antrieb, ihn immer wieder zu zeichnen. Ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken, alles zu verzeihen. Keine als gut genug für ihn zu empfinden. Über die Jahre habe ich ihn so lieb gewonnen, mein ganzes Herz geschenkt. „Ich…wollte eigentlich bloß mehr Zeichnungen sehen…aber ich wusste nicht…Rin…diese Bilder…? Das bin doch…immer ich?“ Stumm, unter Tränen, nickte ich, wissend, dass er es nicht sehen konnte. Aber er wusste die Antwort auch, ohne hinzusehen. Ich spürte ihn hinter mir. Er machte Anstalten etwas zu machen. Irgendetwas, ihr Trost zu spenden. Er konnte nicht bereuen das Skizzenbuch angeschaut zu haben. Aber er bereute entsetzlich, sie dadurch verletzt zu haben. Für ihn war das unentschuldbar. Sie war doch fast sein zweites Ich. Die ihm nächste Person. Und er war schuld, dass sie hinter ihm stand, zitterte, weinte, schluchzte, litt. Er sah über seine Schulter, sah, wie verloren sie da stand, wie verletzt, wie hilflos. Er nahm seinen Mut zusammen. In einer Bewegung drehte er sich um und legte die Arme um mich. Warum?! Wie konnte er! Er hatte doch die Bilder gesehen! Meine Gefühle gesehen! Was dachte er sich hierbei? Vorsichtig, aber kräftig genug, befreite ich mich, nun heftiger zitternd. „Hör…hör auf damit!“, protestierte ich schwach. Unverständlich, nun als wäre er verletzt schaute er mich an. In seinem Blick lag Schmerz. „Bitte…ich bin schon verwirrt genug…ich…mach mir keine Hoffnungen, bitte.“, flüsterte ich durch meine Tränen, „es…es ist nicht so, dass ich dich nicht mehr mag oder so…bitte deute das nicht falsch…aber…du hast doch die Bilder gesehen! Mir wurde das erst vor kurzem bewusst! Neru wollte immer, dass ich dich zeichne und das habe ich getan! Doch dann zeichnete ich dich selbst dann, als sie mich nicht mehr danach fragte. Ich stellte fest, dass ich nur noch deinen Blick suchte, mich nach deiner Nähe sehnte, deine Berührungen begehrte. Ich wollte nicht zulassen, dass dich eine andere bekam, nicht verstehen, dass dich jemand außer mir verdiente. Das gestern mit den Typen war gelogen. Als du mich angerufen hast, sah ich meine Chance das Treffen zu verhindern, dich für mich zu haben. Auch wenn ich weiß, dass es falsch ist, ich kann nicht anders. Ich kenne dich am besten, am längsten! Der Tag gestern war so schön, ich wünschte, es würde immer so sein. Nur wir beide. Dann gestern in der dunklen Gasse. Ich war so glücklich! Dass du dieses Mädchen nicht treffen wolltest hatte mich zu hoffen gelehrt und mir bewusst gemacht, warum ich mich in deiner Gegenwart anders fühle. Warum sich mein Herz nach dir verzehrt, meine Gedanken sich nur um dich drehen. Warum ich mir wünschte, dass jedes Lächeln von dir nur mir gilt. Und du mich, wenn du traurig bist, einsam, unglücklich, du dich nach mir verzehrst. Warum ich mir wünsche, von dir begehrt zu werden! Ich…Ich…“, jetzt hatte ich schon alles gesagt, was in mir vorging, was ich dachte, was ich noch nie sagen konnte. Niemandem. Da dürften drei Worte doch nicht schwer sein? Täglich werden sie gesagt. Aber ich habe Angst. Drei Worte. Aber drei Worte, die nicht rückgängig gemacht werden können. Drei Worte, die endgültig sind. Ich musste schlucken, schaute ins sein Gesicht und dann presste ich sie hervor. Die drei Worte. „Ich liebe dich“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)