Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2 von Izaya-kun (Zwischen Gott und Teufel) ================================================================================ Prolog: Einleitung ------------------ Es war Ende Sommer und Anfang Herbst, als Nevar mich fort gebracht hatte. Die Trauer über Mary-Ann hatte mir sämtliche Kraft genommen, denn mir war bewusst geworden, wie schwach ich ohne die Hilfe anderer Menschen war. Es war meine Schuld gewesen, ganz allein meine. Und das wusste ich. Der Schmerz brannte sich bis in mein Innerstes und verfolgte mich in jedem Traum. Nevar nutzte dies aus, auf viele Weisen. Anfangs sträubte ich mich dagegen. Ich fühlte mich in Nevars Obhut wie ein Gefangener und auch wenn ich in den ersten Wochen nichts dazu sagte, weil mir die Kraft fehlte und ich es als Buße sah, so zermürbte mich diese Tatsache irgendwann doch. Ich wollte kein Mörder mehr sein und auch nie mehr etwas mit der Inquisition zu tun haben. Hätte ich das Angebot bekommen, zurück ins Kloster zu gehen und dort ein neues, einfaches Leben zu führen, hätte ich es angenommen. Aber dafür war es zu spät. Himmel oder Hölle, Sullivan? Ich hatte mich für die Hölle entschieden. Nun gab es kein Zurück mehr und das verstand auch ich irgendwann. Es gab Zeiten, an denen saß ich in meinem Kellerzimmer und bekam den Mann tagelang nicht zu Gesicht. Er hatte mir alles dagelassen, was ich brauchte: Essen, Decken und Trinken. Das alles verstaute er in einer großen Holztruhe, die in meinem Zimmer stand, verschloss sie – ebenso wie die Tür – und als letztes gab er mir eine ledernde Tasche. Darin befanden sich Werkzeuge, die ich nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte, die ich aber nutzen lernen sollte, als hinge mein Leben davon ab. Bei den ersten Malen weigerte ich mich, die Dietriche zu verwenden und saß schweigend in eine der Ecken. Mehrmals fand Nevar mich nach vielen Tagen geschwächt oder fiebrig vor. Dann gab er mir etwas zur Stärkung und verstaute den Rest erneut. Ich war stur, ich war trotzig, doch es war zu kalt und ich war irgendwann zu hungrig, um das durchhalten zu können. Zudem wusste ich nicht, wann er wiederkommen würde. Ich müsste verhungern oder erfrieren. So lernte ich, Stück für Stück, ob ich wollte oder nicht. Und ich gebe zu, wenn ich die Truhe aufbrechen konnte, war ich nicht wenig stolz. Irgendwann kam der Winter. Ich wusste nur jenes, was Nevar mir erzählte. Der Schnee nahm kein Ende und alles war in weiß gehüllt: Berge, Täler und auch der Himmel selbst. Ich dachte, der Winter würde nie mehr enden und der blaue Himmel bliebe auf ewig verschluckt. Die weißen Schneemassen bedeckten die Felder und keiner konnte sie mehr überqueren, ohne bis zu den Waden darin zu versinken. Ich dachte oft an Annonce und teilweise war ich froh, nicht in der Stadt leben zu müssen. Der einst munter plätschernde Fluss, der sich schlängelnd durch die Stadt zog, war ohne Frage eingefroren und weigerte sich, die Exkremente fort ins Meer zu spülen. Und so sammelten sich die Ausscheidungen, schmolzen die weißen Massen und verwandelten sie in stinkenden, braunen Matsch. Die Menschen versuchten dem auszuweichen, aber besonders im Armenviertel war das nicht annähernd möglich. Krankheiten wie Erkältungen rafften etliche dahin und die Schornsteine warfen riesige, graue Nebelschwaden in die Luft. Ich selbst bekam davon kaum etwas mit und wäre ich wirklich in die Stadt zurückgekehrt, dann wäre ich einer der Erfrorenen oder Kranken gewesen. Dennoch sehnte ich mich nach Freiheit. Ich wollte raus, mich in den Schnee stürzen, frische Luft atmen und mich sinnlos freuen, über die kleinsten Dinge des Lebens. Stattdessen war ich eingesperrt, wochenlang, wenn nicht gar Monate und konnte lediglich aus einem winzigen Fenster nach draußen sehen. Anfangs hatte ich alles nur widerspenstig gelernt, jedoch später voller Ehrgeiz. Ich wollte besser werden, als Nevar ihm beweisen, dass ich kein Idiot war. Wie ein kleiner Junge nahm ich jede Herausforderung an und versagte ich, dann versuchte ich es so lange wieder, bis es klappte. Ich hatte gelernt, besser mit den Geräten zu arbeiten und bekam irgendwann sogar die Tür geöffnet. Freiheit! Zu meiner Enttäuschung waren wir nicht mehr in Annonce. Wo genau wir waren, wusste ich nicht, aber ich glaubte zu wissen, dass der Ort sich weit südlich der Stadt befinden musste. Der Keller befand sich unter einem leer stehenden Bauernhaus, umgeben von großen, verschneiten Feldern und im Westen erkannte ich die riesigen Berge. Das Meer war nirgendwo zu sehen. Ich erblickte es erst, als ich einen riesigen Baum erklomm und auch dort war es für meine Augen so winzig, dass ich mich auch hätte geirrt haben können. Es wurde zum Alltäglichen, dass ich mir hohe Bäume suchte und sie hinaufkletterte, nur um einen Blick auf das glitzernde Gewässer weit, weit weg zu werfen. Allerdings hatte ich keine Wahl, als in mein Gefängnis zurückkehren, sonst wäre ich früher oder später erfroren. Aber ich möchte nicht behaupten, dass Nevar mich als Gefangenen angesehen hätte. Er suchte mich nicht und selbst, wenn ich nach meinen stundenlangen Spaziergängen nicht zurückkam, sagte er kein Wort. Weder demütigte er mich, noch lachte er mich aus. Wäre ich nicht zu ihm zurückgekehrt, hätte er mich gewähren lassen und dieses Wissen machte die Zeit bei ihm etwas angenehmer. Dennoch machte es mich wütend und verletzte meinen Stolz, auf diese ungerechte Art leben zu müssen, denn kaum war ich zurückgekehrt, wurde die Tür zum Keller wieder verschlossen und ich blieb allein. Ich wurde aggressiv und wütend auf ihn, weil er mich in diese Lage gebracht hatte. In meinen Gedanken fühlte ich mich wie ein Hund, der ohne die fütternde Hand nicht mehr leben konnte. Bekam ich die Tür auf, konnte ich das Weite suchen – aber ich musste zurück, jedes Mal. Und mit dem weiteren Schnee kam auch meine von Nevar erhoffte Kälte. Er lehrte mich die verschiedensten Dinge, aber vor allem, kalt zu sein. Jedes Gefühl, das ich ihm entgegen brachte, ließ er unbeachtet zu. Er zeigte mir, dass er mir überlegen war, denn er hasste nicht. Er fühlte nicht. Und ich sollte es ihm gleich tun, das war meine zweite Lektion. Wenn ich wütend war, weil ich mich ungerecht behandelt fühlte, dann tobte ich und verlangte meine Freiheit. Ich schrie ihn an, er wäre es gewesen, der mich zu diesem Mord getrieben hätte und dass es nicht rechtens war, mich einzusperren und mit Essen zu erpressen. Er wäre schuld daran, dass all diese Dinge passiert waren und er hätte mir mehr helfen müssen. Das war meine Art, meine Demütigung zu verarbeiten und er wusste das. Das einzige, was Nevar jedes Mal mit einem amüsierten Schmunzeln sagte, war: „Wenn es Euch hilft, so besser damit klar zu kommen, Sullivan, dann redet Euch das ein. Mich stört es nicht.“ Dann starrte ich ihn an und schwieg. Ich wusste darauf nichts zu antworten, stattdessen fühlte ich mich nur noch gedemütigter und wie ein Trottel. Also schwor ich mir, ich würde ihm nie wieder den Gefallen tun, ihm meine Gefühle zu zeigen. Ganz gleich, ob Wut, Freude oder Hass. Nie mehr würde ich ihm das Gefühl geben, er stünde über mir. So wenig, wie ich über ihn wusste, so wenig sollte er auch über mich wissen. Zwar funktionierte das niemals wirklich, aber für kurze Zeitspannen schaffte ich es zumindest ein wenig, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Nevar baute den Unterricht aus, indem er begann auch die Tür des Hauses zu verschließen, so wie die Fenster und die dortigen Schränke. Mir fiel auf, dass er selbst so gut wie nie da war, außer dann, wenn er in den Keller hinunter kam. Wo er wohnte, wusste ich nicht. Jedenfalls arbeitete ich mich stückweise vor und genoss jeden kleinen Triumph. Ich glaube, er hatte Kenntnis davon, aber ich redete mir ein, dem wäre nicht so. Das Innere des Hauses wurde von Ausbruch zu Ausbruch vertrauter und an Tagen, an denen nach meinen Ausflügen neue Schlösser an meiner Tür waren, wurde ich fast wahnsinnig, da ich ins obere Stockwerk wollte. Wenn ich es hinaus schaffte, dann machte ich lange, ausschweifende Spaziergänge und verwischte meine Spuren, damit er nichts merkte. Ich öffnete sämtliche Gegenstände, schaute überall hinein, stahl den einen oder anderen Dolch oder aß hier und davon, ohne ein Zeichen dafür zu hinterlassen. Ich testete es aus, was er bemerkte und was nicht. Wenn ich meinte, er wäre irgendwo im Haus, dann schlich ich umher, erforschte seine Bücher und Karten oder sammelte Holz für kleine Schnitzereien. Ich wusste, dass es nichts gab, von dem er nicht ausging, dass ich es finden würde, dennoch: Es begann mir Spaß zu machen, auf meinem Lager zu sitzen und hölzerne Figuren zu haben, mit dem Gedanken, er würde sich wundern woher ich Messer und Scheit hätte. Auch mochte ich die Werke, die in seinen Regalen standen. Jene, die ich von der Sprache her verstehen konnte, handelten über die verrücktesten Dinge und ich las sie sicher hunderte Male. An seltenen Abenden trafen wir uns durch Zufall und wenn er sah, was ich gelesen hatte, sprach er mich darauf an. Er wollte wissen, was ich von den Büchern hielt und was ich darüber denken würde. Zwar waren wir uns nicht immer einig, aber mit ihm konnte man jeden Gedankengang dennoch bereden. Es faszinierte mich. Vor allem, wenn man bedachte, über was wir sprachen. Ketzerswerke, so wie Logbücher, Berichte über Tiere und ihr Verhalten. Bücher, die die Inquisition mit dem Tod bestrafte. Außerdem begann ich, eine Faszination für Raben zu entwickeln. Überall gab es Bilder oder waren diese mysteriösen, schwarzen Vögel zu finden. Ausgestopft über seinem Kamin, als Brosche an seinem Umhang, als Verzierung auf seinem Bogen. Sie wurden eine Art Sinnbild für Nevar. Als meine Erfolge, das obere Stockwerk zu erreichen, alltäglich wurden, fand ich nicht nur seine Dinge vor, sondern Stoffe, Nadeln, und Fäden. Da es gut eine Woche niemand anrührte versuchte ich mich im Nähen. Misslang es mir, fand ich neue Utensilien vor. Und so entstand stückweise meine eigene, kleine Ausrüstung und mein eigenes, kleines Hab und Gut. Nevar wusste nicht, was ich damit anfing. Er wusste nur, wann ich wütend das Bündel ins Feuer geworfen hatte und meistens lag dann einen Tag darauf das Gebrauchte bereit, für einen erneuten Versuch. Ich erprobte mich darin, Schuhe anzufertigen, Hosen und Hemden, aber es dauerte Wochen, bis ich wirklich etwas zustande brachte. Manchmal war ich so voller Frust, dass ich für mehrere Tage aufgab, aber dann versuchte ich es doch wieder. Alles in allem, war es eine bittere Zeit, da ich mich stark eingeschränkt fühlte, aber auf der anderen Seite war ich frei. Ich hatte, was ich wollte und brauchte und wenn ich mich anstrengende, konnte ich hingehen, wohin ich wollte. Dennoch erwachte in mir der Drang nach Veränderung. Umso dankbarer war ich, als sie endlich kam. Als der Winter sich dem Ende neigte, stand Nevar plötzlich mitten im Haus. Sein Blick war wie immer und auch so gab es keinerlei Anzeichen. Das einzige, was mir sagte, dass nun etwas passieren würde, war jenes, was er von sich gab. Langsam und ruhig, so wie er immer war, sah er mich an und verkündete leise: „Die Zeit ist gekommen, Sullivan O’Neil. Es ist so weit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)