Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 40: Das Ende des Wegs ----------------------------- „Onkel Jowy? Was ist los?“ Bei den Runen, musste das wirklich sein? Gab es denn keinen anderen Weg? Musste das alles so enden…? Ihm war schlecht, so furchtbar schlecht. Er zitterte am ganzen Leib und wusste genau, dass er die Nacht nicht überleben würde. Sein einziger Trost war, dass Pilika und Jillia es nie erfahren würden… Er drehte sich zu ihr um und betrachtete die Zöpfe in ihrem Haar, das inzwischen bis zu ihrem Kinn nachgewachsen war. „… Pilika…“ Das kleine Mädchen sah mit fragendem Blick zu ihm auf und er machte einen Schritt auf sie zu, während er sich zwang, sich die Schwäche nicht anmerken zu lassen. Oder die Tatsache, dass er kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. „Pilika, Süße… Wir… müssen uns jetzt voneinander verabschieden.“ Er hatte erwartet, dass sie laut protestieren würde, dass sie ihn umarmen und ihn anflehen würde, es nicht zu tun, aber sie überraschte ihn, indem sie nur den Kopf neigte und sehr, sehr leise sagte: „Ja.“ Runen, wie erwachsen sie geworden war. Viel zu erwachsen für ihr Alter, viel zu reif, viel zu verständnisvoll… und er war Schuld. „Aber du kommst bald zurück“, fuhr Pilika dann unerwartet fort. „So wie du es immer tust, nicht wahr?“ In den riesigen braunen Augen stand so viel Hoffnung, dass es ihm die Luft abschnürte. Er konnte nicht atmen, nicht reden. Und dennoch hörte er sich selbst sagen: „Das hier ist wahrscheinlich das letzte Mal, das wir uns sehen. Das ist… ein Abschied für immer, Pilika.“ Zuerst sah sie ihn nur an, dann entwich ihr doch ein Schluchzen. „… Nein…“ In diesem Moment schossen ihr die Tränen in die Augen und sie schrie: „Nein! Nein, nein, nein! Ich will nicht, dass du gehst! Ich will nicht alleine sein!!“ Sie weinte so herzzerreißend, dass er sich selbst dafür verabscheute, was er diesem unschuldigen Kind immer wieder angetan hatte. „Pilika… hör mir bitte zu“, bat er und ging leicht in die Knie, um ihr in die Augen sehen zu können. „Du wirst aufwachsen und eine Menge Leute kennen lernen. Und… du wirst auch viele Menschen verlieren. Also genieße die Zeit mit ihnen, denn nichts… nichts währt ewig. Vergiss das nicht, Pilika.“ Nichts währte ewig. Nicht seine Freundschaft mit Riou, nicht die Liebe seiner Mutter, nicht sein eigenes Leben. Und dennoch… Pilika sagte nichts, sondern weinte nur weiter, die Finger jetzt in seinen Mantel gekrallt, haltlos schluchzend. Oh, bei den Runen, wie er es hasste, wenn sie weinte! Er hatte so viel gesehen, so viel durchgestanden und noch immer war er der hilflose Junge, der nichts tun konnte, um dieses arme, kleine Mädchen zu trösten. Er konnte sie nicht einmal in den Arm nehmen, weil er fürchtete, dass sie seinen rasenden Herzschlag bemerkte, sein Zittern, die ungleichmäßige Atmung… und die fiebrige Hitze, die sein Körper ausstrahlte, der sich mit letzten Kräften gegen eine Macht wehrte, die seit so langer Zeit von ihm zehrte. Schließlich drang wie durch einen Schleier Pilikas verweinte Stimme zu ihm hindurch: „… Ich verstehe…“ Er sah sie an, wartete auf den nächsten Ausbruch, doch er kam nicht. Stattdessen fragte sie: „Aber, aber… Kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Natürlich“, antwortete er sofort. Wenigstens konnte er etwas tun… „Was ist es?“ „… Kannst du mich hochnehmen und mich ganz, ganz fest halten? So wie Papa es gemacht hat? … Nur… nur einmal. Bitte.“ Er schauderte. Aber abschlagen konnte er ihr diesen einen, letzten Wunsch nicht… als wenn er es überhaupt irgendwann gekonnt hätte. Seine Befürchtungen waren zweitrangig. „… Natürlich.“ Er erhob sich und appellierte innerlich an all seine Kraftreserven, dass sie ihn nicht jetzt verlassen würden, dann ergriff er sie unter den Armen und hob sie hoch. Er drückte sie an sich, so fest er konnte, ohne ihr weh zu tun, ihr schlagendes Herz dicht an seinem. „Papa hat mich auch so festgehalten“, murmelte Pilika an seinem Ohr. „Ganz… genau so…“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der Stich in seinem Herzen war diesmal so stark, dass er sie fast fallen ließ. Doch er riss sich zusammen, schloss die Augen und flüsterte: „Danke… Pilika.“ Wofür er sich bedankte, wusste er selbst nicht genau. Aber wahrscheinlich dafür, dass sie ihm nach all dem immer noch so bedingungslos vertraute. Dass sie ihn liebgewonnen hatte… „Du hast mich rufen lassen?“ Jillia. Jowy öffnete die Augen wieder, ließ vorsichtig Pilika zurück auf den Boden und sagte: „Komm rein.“ Die Absätze von Jillias Schuhen klickten leise auf dem Marmorfußboden, bis sie schließlich vom dicken Teppich gedämpft wurden. Er sah noch einmal kurz zu Pilika hinunter, dann drehte er sich zu der jungen Königin um. Sie wirkte gefasst, obwohl sie wahrscheinlich längst wusste, was vor sich ging. Plötzlich fragte er sich, warum er sie eigentlich so unterschätzt hatte… Aber es war zu spät, um jetzt noch etwas daran zu ändern. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Jillia“, sagte er. „Worum geht es?“ Er wollte das nicht vor Pilika sagen, aber er konnte sie einfach nicht fortschicken. Noch nicht. „Seed und Culgan werden uns etwas Zeit verschaffen können“, erklärte er. „Aber früher oder später wird dieses Schloss fallen.“ Nach allem, was er wusste, war die Allianz-Armee bereits in der Stadt. Seine Rune prickelte, wahrscheinlich, weil sie die Rune des Hellen Schilds ganz in der Nähe spürte. Riou war hier. Bald würde es vorbei sein. Bald… „Wenn das passiert, wird das Königreich Highland verschwinden“, fuhr er leise fort. „Ich möchte, dass du Pilika mit dir nimmst und nach Harmonia fliehst. Ich habe alles vorbereitet… Dort ist ein schönes Haus für euch beide. Ich möchte, dass ihr dort lebt, aber nicht als Mitglieder der Blight-Familie, sondern unter einem neuen Namen. Damit ihr beiden noch einmal ganz neu anfangen könnt…“ Jillia sagte lange Zeit gar nichts. Er ertrug es nicht länger, ihr in die Augen zu sehen, und drehte sich lieber wieder zu Pilika um, die nun wenigstens nicht mehr weinte. Dann flüsterte die junge Königin: „… Wie Ihr wünscht, mein Lord. Also… ist es wirklich vorbei?“ „So ist es.“ „Dann… Lebwohl…“ Beinahe fuhr er zu ihr herum. Das war es? Das war der Abschied von Jillia, der Frau, die beinahe ihr Leben gegeben hätte dafür, damit er seine Truppen bei Laune halten konnte? Aber er tat es nicht. Er schloss nur die Augen und betete zu den Wahren Runen, dass sie endlich gehen würde. Er konnte einfach nicht mehr in ihrer Nähe sein… „Pilika, Schätzchen… Komm mit“, ertönte hinter ihm Jillias Stimme sanft. Jowy öffnete die Augen wieder und versuchte ein Lächeln, doch seine Mundwinkel zuckten nur schwach, als er zu dem kleinen Mädchen hinuntersah. „Ich hab dich lieb, Onkel Jowy…“ Und dann ging Pilika, mit nassen Wangen, ohne einen Blick zu ihm zurückzuwerfen. Das war wahrscheinlich auch besser so… Sonst würde er derjenige sein, der in Tränen ausbrach und getröstet werden musste. Er wartete, bis Pilikas Schritte verklungen waren, dann sagte er: „Jillia… Vergib mir.“ Er wusste, dass sie noch immer hinter ihm stand. „Warum sagst du so etwas? Warum entschuldigst du dich?“ Verblüfft drehte er sich zu ihr um und starrte in ihre traurigen, blauen Augen. „Jillia…?“ „Denkst du noch immer, ich hätte keine Ahnung? Dass du mich nur benutzt hast, was du meinem Vater und meinem Bruder angetan hast?“ Sie schluchzte leise, während ihre Stimme immer brüchiger wurde. „Ich wusste es doch die ganze Zeit! Und trotzdem, trotzdem habe ich dich geliebt für deine Träume, deine Ideale und deine Ziele!“ Nun weinte sie wirklich. „Warum entschuldigst du dich jetzt? Du brauchst das nicht zu tun. Du bist mein Ehemann und der eine Mann, den ich immer lieben werde!“ Er starrte sie an, mit offenem Mund. Sein Körper erzitterte unkontrolliert, der Kloß in seinem Hals war so riesig, dass er glaubte, er würde jeden Moment ohnmächtig umfallen, weil er nicht mehr atmen konnte. Sie sahen einander an und keiner sagte ein Wort. Dann wischte sich Jillia endlich die Tränen weg und atmete tief durch. Anschließend wandte sie sich ab und machte ein paar Schritte auf die Tür zu, hielt jedoch inne und fragte leise: „Wenn ich sterben würde… würdest du für mich weinen?“ Natürlich würde er das. Lange und laut und das, obwohl er noch immer nichts weiter für sie empfand als tiefstes, ehrliches Mitleid und unendliche Dankbarkeit für all ihre Güte. „Bitte lebe“, erwiderte er mit bebender Stimme, wandte den Blick von ihrem schmalen Rücken ab und ihr damit den seinen zu. Einen Moment lang geschah nichts, dann hörte er ihre schnellen Schritte und fuhr herum, gerade noch rechtzeitig, als sie ihn in eine Umarmung schloss. Und dann küsste sie ihn, verzweifelt, tieftraurig, während erneut Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Und er – erwiderte diesen ersten, letzten Kuss, weil er gar nicht anders konnte. Weil das alles war, was er ihr geben konnte… weil er sie nicht lieben konnte. Als sie sich wieder voneinander lösten, barg Jillia das Gesicht an seiner Schulter und flüsterte: „Das ist… dann das Lebewohl.“ „Ja…“ Seine Stimme vernachlässigte ihren Dienst und so behielt er Jillia einfach weiter im Arm, bis sie sich vorsichtig aus seiner Umarmung löste. „Lebewohl… Jowy.“ Sie sah ihm ein letztes Mal in die Augen und er sah wieder all die Liebe, die sie für ihn verspürte. Und… dieses eine Mal konnte er es ertragen und begegnete ihrem Blick. „Lebwohl… Jillia.“ Dann ließ sie ihn los, lächelte ihn ein allerletztes Mal an und lief hinaus, Pilika hinterher, um hoffentlich in Harmonia ein friedliches Leben zu führen. Jowy blieb allein zurück, lehnte sich schwer an den Bettpfosten seines Himmelbetts und bedeckte sein Gesicht mit einer Hand. Nur dieses eine Mal erlaubte er es sich, seiner Schwäche nachzugeben… Eine dicke, verlorene Träne rann seine Wange hinunter, gefolgt von einer zweiten, dritten und vierten – und dann weinte er, geräuschlos, allein in dem Zimmer, das gerade zum Schauplatz des nicht unbedingt heldenhaften Untergang von Jowy Atreides-Blight wurde. Es war vorbei. Und er konnte endlich, endlich an den Ort zurückkehren, an dem er vor all der Zeit ein Versprechen gegeben hatte. An den Ort, wo sie sich wiederfinden würden… nachdem sie einander verloren hatten. Wie er die Reise hierher überlebt hatte, wusste er nicht. Wie er sich noch immer aufrecht halten konnte, obwohl er bestimmt schon stundenlang hier stand, war ihm auch schleierhaft. Aber jetzt war er hier… Wie viel Zeit war vergangen, seit seine Kameraden aus der Jugendbrigade wie Vieh abgeschlachtet worden war? Wie lange, seit er ein kleines, unscheinbares Messer genommen und ein Versprechen verlangt hatte? Wie lange, seit Riou ihm eben dieses Versprechen gegeben, seine Hand ergriffen hatte und mit ihm zusammen gesprungen war? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er hier auf seinen besten Freund warten würde. Und dann… dann würde das Schicksal entscheiden, wie Jowy Atreides-Blight aus dieser Welt scheiden würde. Die Sonne ging unter. Sie stand in einem seltsamen Winkel genau über den Bergspitzen des Tenzaan-Gebirges und blendete ihn ein wenig, aber das war nicht schlimm. Nach all dem, was passiert war… Wenigstens musste er die Biest-Rune nicht mehr unter Kontrolle behalten – er hatte gespürt, wie ihre Macht schlagartig erloschen war. Also hatte Riou sie besiegt und das Königreich Highland war endgültig gefallen… Jowy war furchtbar müde. Er mochte nicht mehr gezwungen sein, seine Lebenskraft dazu aufzubrauchen, eine wildgewordene Wahre Rune zu bändigen, aber dennoch hatte ihn diese Anstrengung einfach zu viel gekostet. Er stand hier, an dem Ort, an dem vor all der Zeit alles angefangen hatte, und spürte, wie jeden Moment ein kleines Bisschen seiner Energie ihn verließ. Dennoch zweifelte er keinen Augenblick daran, dass Riou kommen würde. Dieses letzte Mal rief das Schwert nach dem Schild und sie würden dort wieder aufeinandertreffen, wo ihr Schicksal einen neuen Weg eingeschlagen hatte. In der linken Hand hielt er seinen Stab, den er monatelang nicht mehr angerührt hatte, und der sich so fremd anfühlte, als gehöre er zu einem anderen Leben. Einem Leben, in dem alles so ganz anders gewesen war… Die Schritte, die auf dem felsigen Boden ertönten, wurden fast vom Tosen des Wasserfalls neben ihnen verschluckt, aber dennoch hörte er sie. Vielleicht spürte er auch einfach nur, wie die Präsenz des Hellen Schilds immer näher kam, bis sie plötzlich genau hinter ihm Halt machte. Jowy warf einen Blick über die Schulter zurück und musste lächeln, als er Rious vertrautes Gesicht hinter sich erkannte. Wie lange sie sich nicht mehr so von Angesicht zu Angesicht begegnet waren… „Riou… Du bist gekommen.“ Er drehte sich ganz zu seinem alten Freund um und suchte dessen Augen nach etwas ab, von dem er selbst nicht genau wusste, was es war. „Ich habe es dir doch versprochen“, erwiderte Riou leise und hielt Jowys Blick stand. Er wirkte seltsam ruhig, fast schon erleichtert… Vielleicht war er das auch. Nun hatte er ja die Möglichkeit, Jowy endlich alles heimzuzahlen. Obwohl… das hier war Riou – wahrscheinlich trieb ihn etwas ganz Anderes hierher. „Ja, wie du es versprochen hast“, stimmte ihm Jowy zu, der plötzlich das irrationale Bedürfnis verspürte, laut aufzulachen, obwohl die Situation nicht im Geringsten komisch war. „Und hier sind wir… Nach all der Zeit…“ Er schwieg einen Moment und betrachtete seinen Freund erst jetzt genau. Riou hatte seine Tonfa zwar dabei, aber nicht kampfbereit gezogen. Er schien gewachsen zu sein… und wirkte irgendwie viel älter als beim letzten Mal, als sie sich gesehen hatten. „Hier hat unsere Reise angefangen“, sinnierte Jowy weiter, dem irgendwie sehr melancholisch zumute war. Jetzt, so kurz vor seinem so sicheren Tod, hatte er plötzlich den dringenden Wunsch, sich alles von der Seele zu sprechen, was er so lange verschwiegen hatte. „Wir gingen so lange den gleichen Weg entlang und hier hat er sich dann gespalten…“ Er vermisste Nanami. Auf einmal wünschte er sich, sie hier zu haben… Irgendwie hatte sie es immer wieder geschafft, ihn zum Lachen zu bringen. Und für ein ehrliches Lachen hätte er gerade sehr viel gegeben. „Aber ich bereue nichts“, fuhr er fort und wunderte sich, dass Riou noch immer nichts gesagt hatte, sondern ihm einfach nur schweigend zuhörte. Vielleicht war das die größte Lüge, die er je erzählt hatte. Aber vielleicht war es auch die Wahrheit… Ehrlich gesagt hatte Jowy keine Ahnung. Er dachte nicht mehr darüber nach, was er hier sagte – wenn das seine letzten Worte an die Welt waren, dann wollte er nicht mehr darüber nachdenken und alles anzweifeln. Er war so, so müde. „Aber wenn ich es täte, dann, dass ich den Staatenbund verraten und Lady Anabelle töten musste.“ Lady Anabelle… Wie lange hatte sie ihn in seinen Albträumen heimgesucht, ihn immer und immer wieder gefragt, warum er sie umgebracht hatte… Riou sah ihn schweigend und ein bisschen traurig an. Langsam war Jowy diese Blicke leid – aber andererseits würde er sie nicht mehr lange ertragen müssen, da konnte er diese paar Augenblicke noch warten. Und außerdem war es Riou… „Du und ich sind uns eigentlich sehr ähnlich.“ Was für eine überflüssige Feststellung. „Wir hatten beide das gleiche Ziel. Aber ich bin einfach…“ Er brach wieder ab. Das führte zu nichts… Es gab andere, viel wichtigere Dinge, die er loswerden musste. Dinge, die er keinem bisher gesagt hatte… die er sich selbst nicht gern eingestand. „Damals, im Highland-Camp, als ich euch die Flucht ermöglicht habe… da wurde ich gefangen genommen und bin wieder Luca Blight begegnet.“ Kaum zu glauben, wie lange das inzwischen her war. Kaum zu glauben, dass er noch nicht die Gelegenheit gehabt hatte, Riou das alles zu erzählen… Aber nun, er hatte damals ganz andere Sorgen gehabt. Und jetzt, wo er sowieso sterben würde, konnte er Riou auch die Wahrheit sagen. „Natürlich habe ich ihn von Anfang an gehasst, aber ich glaube, ich habe ihn auch ein wenig für seine Stärke bewundert…“ Da, jetzt war es raus. Ob ihm das noch etwas brachte, war eine andere Frage. „Ich dachte, wenn ich auch so stark wäre, könnte ich alle beschützen und eine Welt erschaffen, in der niemand mehr verletzt wird.“ Er lachte, leise und bitter. „Aber…“ Riou hatte nicht einen Augenblick lang den Blick abgewandt. Jowy bemerkte eine kleine Narbe an seiner Schläfe und fragte sich, was dort passiert war. Und waren das halb verheilte Striemen an seinem Hals? „Nein, vergiss das wieder.“ Er schüttelte den Kopf und Riou ächzte leise. War das Mitleid oder wollte er es einfach endlich hinter sich bringen? Ein bisschen lächerlich fühlte Jowy sich hier schon, wie sie hier standen und er einen Monolog über all seine Fehler hielt. Aber er konnte einfach nicht anders. „Das hier ist ein Kampf zwischen dem König von Highland und dem Anführer der Allianz-Armee“, sagte er dennoch. „Das ist wirklich… der letzte Kampf.“ Und dann würde dieser elende Krieg wirklich, wahrhaftig vorbei sein und er würde endlich, endlich sterben können. Nach all dem, was er angerichtet hatte, wollte er einfach nur noch schlafen. Er war so müde… „Wir müssen nicht kämpfen“, entgegnete Riou leise und sehr, sehr sanft, als würde er mit einem bockigen Kind sprechen. Auch er sah auf einmal müde aus. „Wir müssen… unbedingt kämpfen, Riou“, widersprach Jowy und hob seinen Stab in Verteidigungsposition. Runen, wie ungewohnt das war! Aber es war fast vorbei, er musste nur noch ein wenig durchhalten… Riou rührte sich nicht. Er zog seine Tonfa nicht und machte auch sonst keine Bewegung, sondern sah ihn nur unverwandt an, mit diesem seltsamen Blick, diesen Augen, die so viel sagten, obwohl er schwieg. Aber Jowy wollte nicht darauf achten. Er musste es unbedingt zu Ende bringen, weil er einfach nicht mehr konnte. Er wartete noch einen Moment lang, ob sein Freund nicht doch Anstalten machte, seine Waffen zu zücken, doch als nichts dergleichen geschah, beschwor er die allerletzten Kraftreserven hinauf, die er noch hatte. Wenn Riou nicht von sich aus angriff, würde er ihn eben provozieren müssen. So lange, bis er den finalen Schlag ausführte… Jowy bewegte sich zwar viel langsamer, als er es von sich selbst gewohnt war, aber dennoch schnell genug, um zuzuschlagen. Das Ende seines Stabs traf Riou heftig an der Seite und er hörte den Jüngeren nach Luft schnappen – das musste ohne Zweifel weh getan haben – doch ansonsten reagierte er nicht. „Warum…“ Jowys Stimme bebte, teils vor Wut, teils vor Enttäuschung, teils vor unendlicher Erschöpfung. „Warum bist du den ganzen Weg hierher gekommen, nur um jetzt zu entscheiden, dass du nicht kämpfen willst?“ „Ich habe keinerlei Grund, gegen dich zu kämpfen“, erklärte Riou und der Aristokrat hörte ihm an, dass er Schmerzen hatte. Natürlich… „Es gibt einen Grund“, beharrte Jowy. „Jegliche Spur des Königreichs Highland vom Angesicht dieser Welt zu entfernen. Agares und Luca Blight sind schon tot und ich habe Jillia mit meinen eigenen Händen zur Ruhe gebettet…“ Niemand musste erfahren, dass Jillia und Pilika in Harmonia waren. Es war ihr Recht, ein neues Leben anfangen zu können, ohne von ihrer Vergangenheit beherrscht zu werden. „Ich bin der letzte lebende Blight.“ Aber auch das nicht mehr lange… wie lange hatte er noch, ein paar klägliche Minuten? „Lösche die Blutlinie der Blights hier und jetzt aus, Riou, oder es wird immer wieder Fanatiker geben, die versuchen werden, Highland auferstehen zu lassen.“ Warum konnte ihm Riou nicht einfach den Gefallen tun und einfach zuschlagen? Warum konnte er ihn nicht einfach hier und jetzt umbringen, bevor die Rune des Schwarzen Schwerts auch den letzten Rest seiner Lebenskraft aus ihm herausgesaugt hatte…? „Hoffnung kann wahnsinnig machen“, sagte Jowy gepresst. „Also lass es uns hier beenden und diesen Krieg zum letzten machen, der dieses Land geplagt hat.“ Diesmal wartete er nicht darauf, dass Riou seine Waffen zog, sondern griff direkt an, immer und immer wieder. Doch auch, als er den Jüngeren an der Schläfe traf und dieser mit einem leisen Stöhnen zur Seite taumelte, während er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf griff, verzog sich die Miene seines Freundes nicht zu einer wütenden Grimasse. Warum wurde er nicht wütend? Warum griff er nicht an? Warum setzte er diesem Wahnsinn kein Ende, jetzt, wo er es konnte?! „Warum kämpfst du nicht?!“, schrie er verzweifelt auf und schlug wieder zu. Er wollte Riou nicht weh tun, nicht wirklich, aber warum kämpfte er denn nicht?! Bei jedem Schlag ächzte der Jüngere und schließlich fiel er zu Boden, während er aus der Wunde an seiner Schläfe tatsächlich zu bluten begann. Heftig atmend und verdammt noch mal hilflos blieb Jowy über ihm stehen und starrte ihn an; trotz der Schmerzen sah Riou zurück. In den braunen Augen stand noch immer der Trotz und seine eiserne Entschlossenheit, keinen Finger zu krümmen, was diesen Kampf anging. Aber Jowy konnte schlichtweg nicht mehr. Er wusste, dass er jeden Moment zusammenbrechen würde… Ihm stiegen Tränen in die Augen, er konnte nichts dagegen tun und hasste sich selbst dafür. „Ich habe dich immer beneidet“, gab er mit zitternder Stimme zu. „Du bist etwas Besonderes… immer stark und freundlich… Das ist alles, was ich jemals wollte! Von den Menschen um mich herum geliebt zu werden. Und nur deshalb…“ Er brach ab. Seine tauben Finger ließen den Stab fallen und er knallte mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Nur wenige Augenblicke später gaben Jowys Beine unter ihm nach. „Jowy!!“ Er wurde von Riou aufgefangen, der ihn so vorsichtig hielt, als würde er jeden Moment auseinanderfallen. Aber das würde nicht passieren… Er würde schlicht und ergreifend sterben, so einfach war das. „Bei den Runen, Jowy, was ist denn nur los…?“ Riou klang ängstlich, fast panisch. Und so, so unglaublich traurig! Warum? Womit hatte er es verdient, dass dieser Mensch um ihn trauerte? „Ich… ich habe zu viel Kraft verbraucht“, flüsterte Jowy kraftlos, der sich nicht einmal mehr gegen Rious sanften Griff wehren konnte. „Die Biest-Rune, die Luca befreien wollte… Ich musste meine Rune benutzen… um sie aufzuhalten…“ Er hustete. „Unsere beiden Runen… sie bilden gemeinsam eine Wahre Rune… Aber wenn du sie allein benutzt, dann… ernährt sie sich von deiner Lebenskraft.“ Er war müde. Er wollte schlafen, nichts als schlafen…! Schmerzen breiteten sich in seinem Körper aus, er spürte, wie sich auf einmal alte Wunden wieder öffneten und zu bluten begannen. Er bemerkte auch Rious entsetzten Blick, als dieser ihn vorsichtig zu Boden gleiten ließ, da Jowy ihn mit seinem Gewicht beinahe mit nach unten riss. Dennoch ließ er den blonden Aristokraten nicht los… „Riou“, krächzte Jowy mit einer Stimme, die nicht seine war. „Ich sterbe sowieso, also… also gebe ich dir mein Leben, um die beiden wieder ganz zu machen. Gib mir… deine rechte Hand…“ Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde er schwächer. Aber er musste, musste es zu Ende bringen! „Ich kann das nicht tun“, entgegnete Riou tonlos. Jowy schloss erschöpft die Augen. „Ich kann nicht mehr“, hauchte er und spürte, wie eine Träne sich unter seinen geschlossenen Augenlidern hervorstahl und seine Wange benetzte. „All die Leben, die ich auf dem Gewissen habe… All die Menschen, denen ich weh getan habe…“ „Ich kann das nicht tun“, wiederholte Riou, nun eindeutig eine Spur verzweifelter. „Bitte. Ich flehe dich an… Lass das alles nicht umsonst gewesen sein, Riou…“ Jowy spürte seine Beine nicht mehr. Hatte er überhaupt noch welche? Er fühlte sich, als ob er sich langsam auflöste… „Ich kann das nicht tun.“ Jowy spürte, wie sehr Riou zitterte. Weinte er? Oh, warum konnte es nicht einfach endlich vorbei sein… „Keine Zeit mehr“, ächzte er mit einer letzten Anstrengung. „Ich sterbe, Riou…“ „Trotzdem“, flüsterte Riou und er weinte wirklich. „Ich kann das nicht…“ „Riou…“ Jowy atmete aus und sein Herzschlag setzte aus. Es war plötzlich sehr, sehr still. Er hörte weder Rious leises Schluchzen, noch das Tosen des Wasserfalls. Er sah allerdings auch nichts mehr… War es das? War er tot? Es war ja beinahe friedlich… immerhin tat es nicht mehr weh. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)