Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 39: Fragmente --------------------- A/N: Es gibt mich noch! Aber inzwischen ist fast ein Jahr rum seit dem letzten Kapitel und um ehrlich zu sein, denke ich nicht, dass ich dieses Monsterprojekt jemals beenden werde. Es war in erster Linie eine Schreibübung - ich wollte schauen, ob ich die Ereignisse, die wir eigentlich alle schon kennen, glaubhaft aus der Sicht des Antagonisten rüberbringen kann. Wenn ich mir die bisherigen Kommentare zu dieser Fanfiction anschaue, denke ich, dass es mir gelungen ist. Aber an dieser Stelle ist wohl leider Schluss; ich habe genug eigene Projekte, an denen ich arbeite (gar nicht zu sprechen von meinem Studium, über dessen Bachelorarbeit ich zur Zeit sitze und verabscheue) und derart langwierige Fanfictions sind einfach zu umfassend und sprengen den Rahmen meines Pensums. Ich liebe Suikoden 2 immer noch, genau so wie ich Jowy als Anti-Held noch immer sehr gern hab. Deshalb hab ich gedacht (auch aus persönlichen OCD-Gründen), dass ich wenigstens den Rest der Kapitel und Fragmente hochladen kann, die ich in den letzten drei Jahren zu "Another Side, Another Story" geschrieben habe. Außerdem existieren das allerletzte Kapitel und der Epilog bereits. Ich habe sie schon vor gut anderthalb Jahren geschrieben, sie warten seitdem darauf hochgeladen zu werden. Dazu gibt es auch noch einen One-Shot aus Nanamis Sicht, der noch einmal einiges erklären/weiter ausbauen sollte. Ich möchte mich bei denjenigen bedanken, die mitgelesen und kommentiert haben, es war mir eine Ehre, für euch zu schreiben!! Eure Kima ------ Es waren keine drei Wochen vergangen, seit Greenhill kapituliert hatte. Bisher hatte Jowy es tunlichst gemieden, die Stadt selbst zu betreten. Er wusste, dass ihn dort bittere Blicke voller Hass erwarteten, Eltern, die ihre Kinder schützend an ihre Seite ziehen würden, wenn er an ihnen vorbeiging, junge Leute, die mit geballten Fäusten mit ansehen würden, wie er ihre geliebte Stadt durchschritt. Er verstand nur zu gut, was die Bewohner von Greenhill fühlten – er hatte das alles selbst verspürt, damals, als er nur Jowy gewesen war, als er hilflos daneben hatte stehen müssen, als Pilika ihre Eltern verloren hatte, als Ryube vor seinen Augen bis auf die Grundmauern abgebrannt war, als sie das Söldnerfort verloren hatten. Und nun war er das Ziel dieses Hasses, nun war er das Monster, das Leben zerstörte. Kollateralschaden, rief er sich immer wieder in Erinnerung, während er nachts auf seinem Feldbett lag, von Albträumen wachgehalten und Schuldgefühlen geplagt. All das war nötig, um Luca Blight zu Fall zu bringen. Und danach, danach würde er sich bereitwillig dem gerechten Zorn all derer stellen, die er verletzt hatte. Vielleicht hätte er damit rechnen müssen, dass Teresa sich nicht freiwillig ergeben würde. Sie hatte ihm zwar die Stadt überlassen, doch sie selbst war untergetaucht. Natürlich war sie es, immerhin hatte er ihr unverblümt verkündet, er würde sie zu Luca Blight bringen, damit der sie hinrichten konnte, nicht wahr? Und nun musste er sie suchen lassen. Wessen grandiose Idee es gewesen war, Rowd an die Spitze dieser Suche nach Teresa zu setzen, wusste Jowy nicht, er selbst war es jedenfalls nicht gewesen, denn er erfuhr erst nach gut zwei Wochen davon. Es war letztendlich auch egal, wessen Schuld es war, denn nach mehreren Vorfällen in der Stadt – unter anderem hatte Rowd tatsächlich versucht, einige Häuser in Brand zu stecken, als deren Besitzer ihm nicht hatten verraten können, wo sich die Bürgermeisterin versteckt hielt – hatte der Aristokrat genug von dem Theater. Er verzichtete großzügig auf eine erneute öffentliche Bloßstellung seines ehemaligen Captains und ließ verkünden, dass er selbst in der Stadt nach dem Rechten sehen würde. Wenn er schon zwischen Pest und Cholera wählen durfte – entweder ließ er Rowd die Städter weiter quälen oder er ertrug den Hass der Bewohner von Greenhill – dann biss er lieber selbst in den sauren Apfel. Er würde es schon überleben. Und wenn nicht… nun, dann würde er sich wenigstens keine Sorgen mehr machen müssen. ------ „Sobald wir zurück in Muse sind, wird dich Luca Blight zu sich rufen“, sagte Leon plötzlich. Jowy unterdrückte ein nervöses Zusammenzucken nur mühsam; er wollte nicht daran erinnert werden. Sein Appetit war mit einem Mal verschwunden und er schob missmutig den Teller von sich. „Ich weiß“, erwiderte er düster, nicht im Geringsten darauf erpicht, dem verrückten Kronprinzen wieder gegenübertreten zu müssen. „Ich habe schon Albträume davon.“ Silverberg schnaubte, teils amüsiert, teils abfällig. „Mach dir keinen unnötigen Stress, Junge“, brummte der Stratege dann. „Er mag ein Wolf sein, aber er belohnt diejenigen, die für ihn von Nutzen sind. Du hast wie versprochen Greenhill eingenommen ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, das wird er zu schätzen wissen.“ Jowy hob skeptisch beide Brauen. „Meint Ihr das wirklich?“ Der Aristokrat schüttelte den Kopf. „Irgendwie kann ich mir das schlecht vorstellen…“ „Glaub mir“, entgegnete Leon, „er wird dir eine Belohnung anbieten, weil er dich nun als nützlich erachtet. Und wenn du dreist genug bist, wird er dir wahrscheinlich den Kopf abschlagen, bevor du auch nur mit der Wimper zucken kannst.“ „Das sind ja… rosige Aussichten.“ Der Stratege ignorierte Jowys zynischen Einwurf und fuhr fort: „Allerdings könnte ein wenig Dreistigkeit dich in seinen Augen interessant machen, sodass du näher an ihn herankommst.“ Der Aristokrat verschränkte die Arme vor der Brust, runzelte die Stirn. „Und was soll ich deiner Meinung nach von ihm verlangen? Er wird wohl kaum einfach so aufgeben und den Krieg freiwillig beenden…“ „Prinzessin Jillias Hand.“ „Das ist ein Scherz.“ „Ich mache keine Scherze, das liegt nicht in meiner Natur.“ Leon bedachte ihn mit einem kritischen Blick, unter dem sich Jowy ganz klein fühlte. „Du wirst Luca Blight um die Hand seiner Schwester bitten und er wird sie dir geben, weil diese Bitte dreist genug ist, um ihn zu interessieren.“ Jowy schauderte es so sehr, dass sein ganzer Körper zu zittern begann. Nur mühsam bekam er dieses Zittern wieder unter Kontrolle, doch seine Stimme klang immer noch unnatürlich hoch, als er widersprach: „Jillia… Ich meine, die Prinzessin wird dem niemals zustimmen. Sie sollte es auch gar nicht tun müssen“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, „sie ist unschuldig, ich möchte sie nicht in diese Sache hineinziehen!“ „Du musst nah genug an Luca Blight herankommen, damit du dein Ziel erreichst. Er wird dir niemals vertrauen, aber als sein Schwager wirst du oft genug in seiner Nähe sein, um an die Informationen, die du brauchst, zu kommen“, erklärte Leon kühl. „Die Prinzessin ist ein notwendiges Opfer.“ „Nein“, sagte Jowy sofort und erhob sich abrupt von seinem Stuhl. „Das werde ich nicht tun. Ich werde niemand zu etwas zwingen, dadurch bin ich nicht besser als er!“ Silverberg wirkte jedoch nicht sonderlich erstaunt, sondern nickte nur. „Was wirst du also tun?“, erkundigte sich der Stratege milde interessiert. Der Aristokrat biss sich auf die Lippe, wandte sich von dem Mann ab und starrte angestrengt zur Zeltwand als stünden darauf alle Antworten auf seine Frage. Widerwillig gestand er sich ein, dass Leons Plan – natürlich – brillant war. Jowy kannte sich gut genug im Adelssystem von Highland aus, um zu wissen, dass jeder Adlige sich als Ritter dem König zu verpflichten hatte und ihm Treue schwören musste; das machte sie zu wertvollen Generälen im Krieg. Ein Ritterschlag würde ihn nicht nur in den Rängen der Highlander nach oben befördern, eine Heirat mit Jillia würde ihn auch noch zu Luca Blights Schwager machen und dem nächsthöchsten Anwärter auf den Thron, da die Prinzessin als Frau keinerlei Recht darauf hatte. Zwangsläufig bedeutete das, dass sich Jowy sehr oft in der Nähe des Kronprinzen aufhalten würde, sodass es womöglich leichter war, eine Gelegenheit abzupassen, dieses Monster umzubringen… „Ich möchte zuerst mit der Prinzessin sprechen“, beschloss er schließlich leise. „Ich… ich versuche sie zu überzeugen, mir zu helfen. Wenn sie es nicht aus freien Stücken tut, werden wir einen anderen Weg finden müssen.“ Leons Gesichtsausdruck sagte, dass er mit dieser Entscheidung nicht zwangsläufig glücklich war und für einen kurzen Moment verabscheute Jowy den Strategen; Menschen und ihren freien Willen fürs allgemeine Wohl zu opfern, das war einfach nicht richtig. Ihm war jedoch auch bewusst, dass es wohl nicht anders ging – wenn er den Krieg beenden und Luca Blight vernichten wollte, dann mussten Opfer gebracht werden… Doch das hieß nicht, dass Jowy nicht nach seinen eigenen Regeln spielen durfte. ------ „Jowy.” Jowy fuhr aus dem Schlaf, im ersten Moment orientierungslos. Wo war er? Was war passiert? Dann jedoch erkannte er das Innere seines Zelts im Highlandcamp, das von einem eigenartigen, bläulichen Licht erleuchtet wurde. Wurde er jetzt komplett verrückt…? Hatte ihn nicht jemand gerufen? Aber hier war doch außer ihm niemand, also was…? „Um dich herum toben die Stürme des Schicksals… Du musst ihnen standhalten, Jowy. Weiche nicht von deinem Pfad ab.“ Er zuckte zusammen, blickte sich hektisch um. Das war doch…! Das bläuliche Leuchten intensivierte sich kurz, wurde heller, blendete ihn – und dann stand Leknaat in der Mitte des Zeltes, noch immer atemberaubend schön, noch immer umgeben von einer Aura von Macht, noch immer mit diesem traurigen Lächeln, mit dem sie ihn schon bei ihrem ersten Treffen bedacht hatte. „Leknaat?“, rutschte es Jowy ungläubig heraus und er schwang eilig die Beine aus dem Bett, ehe er innehielt und die Stirn runzelte. „Bist das wirklich du?“ „Was ist Wirklichkeit?“, erwiderte Leknaat. „Wenn es das ist, was du siehst, dann ja, ich bin es wirklich.” „Ich meine – ist das ein Traum oder…?“ „Und wenn es einer wäre, Jowy? Wenn es nur in deinem Kopf geschieht, ist es dann nicht real?“ Der Aristokrat ächzte etwas frustriert. Es war zu spät in der Nacht für philosophische Fragen. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und beschloss, das Thema zu wechseln. „Du hast von Stürmen des Schicksals gesprochen und dass ich nicht von meinem Pfad abweichen soll… Wie meinst du das?“ Er spürte ihren Blick auf sich und sah auf; wie sie ihn noch immer so durchdringend anschauen konnte, obwohl sie blind war, war ihm ein Rätsel. „Du, als Träger der Rune des Schwarzen Schwertes, hast den für dich vorgesehenen Pfad eingeschlagen“, sagte Leknaat, ihre Stimme leise und beinahe ein wenig bedauernd. „Du wandelst den Pfad hinab und weißt, dass du dich nicht umdrehen darfst – aber dennoch fragst du dich, was geschehen würde, wenn du es tätest.“ Einen Augenblick lang starrte Jowy sie an. Woher wusste sie…? „Ich bin die Hüterin des Gleichgewichts“, fügte Leknaat hinzu, als hätte sie seine Gedanken gelesen – und wahrscheinlich hatte sie genau das getan, „es ist meine Aufgabe, solche Dinge zu wissen.“ Jowy biss sich kurz auf die Lippe und nickte schließlich langsam. „Ich bereue meine Entscheidung nicht“, erklärte er. „Aber… aber was, wenn… wenn ich Rious Angebot angenommen hätte? Wenn ich mit ihm gegangen wäre? Was, wenn wir diesen Krieg gemeinsam beenden können, Seite an Seite?“ Leknaat legte den Kopf ein wenig schief, sodass eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares von ihrer Schulter rutschte. Ihre blinden Augen schimmerten im Licht ihrer bläulichen Aura. „Ich sehe viele Dinge“, sagte sie, „und viele möglich Pfade, die du hättest einschlagen können.“ „Dann… dann hast du es gesehen? Was geschehen wäre, wenn ich zugesagt hätte? Kannst du es mir sagen?!“ Seine Stimme war immer lauter geworden, bis er ihr die letzten Worte beinahe entgegen schrie. Leknaat hob überrascht über seinen Ausbruch die Brauen. Er merkte plötzlich, dass er vor ihr stand, drauf und dran, sie an der Hand zu ergreifen. Wann war er aufgestanden? Eilig trat er einen Schritt zurück; ihm selbst war die Nähe zur Seherin plötzlich immens unangenehm, vor allem nachdem er sie angeschrien hatte. „Ich kann es dir zeigen“, bot sie schließlich nach einem kurzen Augenblick an; sie sah nicht aus, als wäre sie glücklich über dieses Angebot. „Aber ich muss dich warnen – dies ist nur einer der möglichen Pfade. Du kannst gegen das Schicksal nicht ankämpfen.“ Jowy öffnete den Mund, um zu fragen, was das heißen sollte, doch in diesem Moment berührte Leknaat bereits mit den Fingerspitzen seine Stirn und glühend heißer Schmerz schoss durch seinen gesamten Körper. ------ „P-Prinzessin!“ Jowy erstarrte noch im Eingang des Zelts. Er hatte noch nicht mit ihr gerechnet, sich nicht überlegt, was er sagen wollte. Er war noch nicht bereit für dieses Gespräch!! Doch es war wohl unvermeidlich, denn Jillia hob den Kopf und starrte ihn beinahe entsetzt an. „Ihr“, flüsterte sie ungläubig. „Ich dachte, Ihr seid entkommen… Was tut Ihr hier?“ Jowy rührte sich noch immer nicht, in seinem Kopf herrschte absolute Leere. Allerdings konnte er die Prinzessin nicht ewig wie ein hypnotisiertes Kaninchen anstarren, also stammelte er ein wenig unbeholfen: „I-Ihr – ähm – erinnert… Euch an mich?“ Jillia blinzelte ein, zweimal und erwiderte dann: „Natürlich! Ich wollte Euch helfen zu entkommen, aber…“ Sie schien sein Gesicht aufmerksam zu studieren, ehe ein Schatten von Schmerz über das ihre huschte. „Aber ich schätze, ich habe letztendlich nichts ausrichten können, nicht wahr? Wenn Ihr hier seid, dann… dann ist Lady Anabelle…“ Sie biss sich auf die Lippe und senkte den Blick. „Ich… ich wollte, es wäre anders“, erwiderte Jowy, dem es plötzlich die Kehle zuschnürte. „Ich hätte das nicht tun dürfen, egal wie sehr… wie sehr ich damals in Panik war. Es hat sich… herausgestellt, dass Euer Bruder nur eine leere Drohung ausgestoßen hat, der ich… der ich nichts entgegenzusetzen hatte.“ „Mein Bruder… er ist ein Meister darin, andere zu manipulieren“, entgegnete Jillia kopfschüttelnd. „Wahrscheinlich war ich naiv zu glauben, Ihr hättet eine andere Wahl… Es tut mir leid, wenn ich Euch falsche Hoffnungen mit meinem dummen Flehen bereitet habe.“ „Bitte“, sagte Jowy, „gebt Euch nicht die Schuld, für das, was geschehen ist. Es ist nicht Eure Schuld, Prinzessin. Es war meine Hand, die…“ Er stockte, dachte wieder daran zurück, wie unnatürlich heiß Anabelles Blut auf seiner Haut gewesen war, wie sich die Lippen der Bürgermeisterin stumm bewegt hatten. Einen langen, unangenehmen Augenblick war es still, dann bemerkte Jillia leise: „Ihr habt meine Frage nicht beantwortet. Was tut Ihr hier?“ Ihre Augen glitten über die Abzeichen an seiner Brust. „Nach all dem, was geschehen ist, kehrt Ihr ausgerechnet hierher zurück und dient in der Armee? Arbeitet Ihr wieder für den Staat, seid Ihr ein Spion?“ Sie klang überraschend ruhig dafür, dass sie sich augenscheinlich die Schuld für den Fall von Muse gab. Dabei… dabei war sie doch unschuldig… „Ich…“, begann Jowy, unsicher was er eigentlich sagen wollte. Dann aber riss er sich zusammen, trat ein paar Schritte auf sie zu und erklärte: „Es stimmt, dieses Land hat mich hintergangen, mehrmals und sehr grausam. Aber… aber ich möchte diesen Krieg aufhalten… Das Volk von Highland ist größtenteils unschuldig und ich darf nicht von den Fehlern und Grausamkeiten einiger weniger auf den Rest der Menschen schließen. Ich habe begriffen, dass ich nichts tun kann, wenn ich nur ein stummer Beobachter bleibe. Ich muss selbst etwas tun, damit sich etwas ändert. Egal, wie sehr es weh tut, egal, wie sehr ich über meinen eigenen Schatten springen muss.“ Jillia betrachtete ihn mitleidig und bot ihm mit einer Handbewegung an, sich ihr gegenüber am Tisch niederzulassen. Jowy schluckte leise und kam ihrer Aufforderung nach; ihm fiel beim Hinsetzen erneut auf, wie schön sie eigentlich war. Schön und traurig. „Dann ist dies also das kleinere Übel“, vermutete sie. Er nickte langsam. „Ich muss über meine persönlichen… Probleme hinwegblicken, wenn ich diesen Krieg beenden und den Menschen von Highland helfen will. Also… ja, dies hier ist das kleinere Übel.“ Jowy schluckte den bitteren Kloß in seiner Kehle mühsam hinunter. Nur, weil er das kleinere Übel gewählt hatte, hieß das nicht, dass er es mochte. „Aber woher wisst Ihr, dass Ihr auf der richtigen Seite steht? Ich meine, woher wisst Ihr, dass die Gerüchte nicht wahr sind? Dass es Highland war, das den Krieg von Neuem entfacht hat, meine ich.“ Er zuckte zusammen und sah ihr forschend ins Gesicht. Was zum…? Hatte er sie unterschätzt? Wie viel wusste Jillia von dem, was vor sich ging? „Das sind natürlich alles nur Spekulationen“, ruderte die Prinzessin in diesem Moment eilig zurück, da sie seinen entsetzten Ausdruck wohl falsch interpretierte. „Ich möchte meinem Land nicht unterstellen, etwas derart Niederträchtiges getan zu haben – einen Angriff an der eigenen Jugendbrigade als Überraschungsangriff des Staates zu tarnen, das wäre furchtbar. Aber wenn… wenn es so wäre… Woher wisst Ihr, dass Ihr nicht den Falschen helft?“ Dem Aristokraten wurde plötzlich klar, dass diese junge Frau viel intelligenter war, als es den Anschein hatte; hinter dem schönen Antlitz verbarg sich ein messerscharfer Verstand, den Luca Blight unterschätzte. Sie war wahrscheinlich der wertvollste und gefährlichste potentielle Verbündete, den er sich hätte aussuchen können. „Ich weiß es nicht“, sagte er und war nicht einmal erstaunt darüber, dass er ehrlich war. Wie schaffte sie es, dass sie so ganz anders als Leon die Wahrheit aus ihm herausholte, so viel freundlicher und subtiler? „Ich kann nur hoffen, dass ich das Richtige tue… Aber so ist wohl das Leben. Nur die Runen wissen, was das Richtige ist. Ich weiß nur, dass ich die Unschuldigen vor diesem furchtbaren Krieg bewahren will.“ Jillia betrachtete ihn erneut, aufmerksamer diesmal, als sehe sie sein Gesicht zum ersten Mal. Dann fragte sie: „Ihr spracht davon, dass ihr diesen Krieg beenden wollt?“ Er nickte. „Ich habe… einen Plan“, bestätigte er. „Allerdings weiß ich nicht, ob er Früchte tragen wird… und ob diese Früchte so aussehen, wie ich es mir wünsche. Und ich werde Eure Hilfe brauchen.“ Jetzt war es raus. Jillia hob überrascht die Brauen. „Meine Hilfe?“, wiederholte sie, offenkundig verwirrt. „Aber wozu? Ich bin nur eine Frau, mein Titel wird Euch in keinster Weise von Nutzen sein. Ich mag die Prinzessin sein, aber das räumt mir keinerlei Rechte ein.“ Jowy zögerte; jetzt wurde es ernst. Grundsätzlich schien Jillia auf seiner Seite zu stehen, aber das, was er von ihr verlangen würde, war kein geringer Preis. Nach einem Blick in ihre Augen wünschte er sich jedoch sehr, sie überzeugen zu können. Er sehnte sich danach, jemanden an seiner Seite zu haben, der an seine menschliche Seite appellierte; für Leon gab es nur die Strategie, den nächsten Schritt, den nächsten Plan – was Jowy dabei fühlte, interessierte Silverberg nicht. „Als einfacher Soldat kann ich nicht viel ausrichten“, erklärte er vorsichtig, jedes Wort mit Bedacht wählend, „selbst, wenn ich in den Rängen der Armee aufsteige. Aber… sollte ich zum Ritter geschlagen werden, würde die Sache anders aussehen. Ich hätte die nötige Macht, die ich brauche, damit die Menschen auf mich hören. Damit ich… damit ich den Krieg aufhalten kann.“ Jillia runzelte die Stirn. „Aber ein gewöhnlicher Mann kann kein Ritter werden“, gab sie zu bedenken. „Nur ein Adliger kann…“ Sie hielt inne und starrte ihn an. In ihren Augen blitzte Verstehen auf; sie hatte begriffen, worum es ging. „Ihr wollt, dass ich Euch heirate“, sagte sie tonlos. „Ich möchte Euch zu nichts zwingen, Prinzessin“, sagte Jowy sofort und hob beide Hände. „Wenn Ihr das nicht tun wollt, verstehe ich das, ich meine, wir kennen uns eigentlich gar nicht… Ich werde mir etwas Anderes überlegen, härter arbeiten… Es gibt andere Wege und Ihr seid mir zu nichts verpflichtet.“ Jillia studierte sein Gesicht sehr, sehr genau. Der Aristokrat bereitete sich bereits innerlich darauf vor, zu weit gegangen zu sein, doch dann, völlig unerwartet, erhob sich die Prinzessin, reckte das Kinn nach vorn und sprach, mit vor Entschlossenheit beinahe flammenden Augen: „Ich tue es.“ „Ihr…?“ „Ich werde Euch heiraten“, stellte sie klar und klang dabei bemerkenswert ruhig. „Wenn es das einzige ist, wozu mein Blut gut ist, dann… dann möchte ich es einsetzen, um Euch zu helfen. Um den Krieg zu beenden.“ Jowy vergaß seine guten Manieren und sprang auf, ergriff über den Tisch hinweg die verkrampften Hände Jillias und rief: „Euer Blut macht Euch nicht aus! Ihr seid ein guter Mensch, Prinzessin, lasst Euch niemals etwas anderes erzählen – Ihr seid ein guter Mensch und Eure Hilfe ist mehr als ich verdiene.“ Der Blick der Prinzessin, zunächst überrascht, wurde schnell mild. Sie lächelte sogar ein wenig, als sie leise bemerkte: „Mein zukünftiger Verlobter ist ebenfalls ein guter Mann… und dabei kenne ich noch nicht einmal seinen Namen.“ Sie sah hinunter auf ihre Hände, die Jowy noch immer zwischen seinen hielt. Er folgte ihrem Blick und wurde rot, ließ sie eilig los und trat einen Schritt zurück. Ihm wurde bewusst, dass er sie überzeugt hatte. Jillia war auf seiner Seite und würde ihm helfen, würde ihn heiraten. Er wünschte, er hätte sich darüber freuen können – stattdessen bedauerte er zutiefst, dass er diese beeindruckende, mutige junge Frau benutzen musste; sie war, trotz all seiner Worte, nichts weiter als ein Werkzeug. Er war nicht besser als Leon. Er war ihr sehr vieles schuldig… da war sein Name das Mindeste, was er ihr geben konnte. „Jowy“, sagte er deshalb und zwang sich zu seinem Lächeln. „Mein Name ist Jowy.“ ------ Die Gärten des Schlosses von L’Renouille gehörten eindeutig zu den wenigen Orten, die Jowy wirklich schätzte, seit er sich in der Hauptstadt aufhielt. Wer auch immer in mühevoller Kleinarbeit die Blumen zu kunstvollen Kompositionen angeordnet hatte, verdiente seiner Meinung nach eine Auszeichnung und einen Orden. Nur hier war es ihm möglich, in Ruhe nachzudenken, fernab von dem Stress, der immerzu im Schloss zu herrschen schien, ganz zu schweigen von Luca Blights wachsamem, bösartigen Blick, fast wie der eines Wolfes, der ein Kaninchen beobachtete. Und Jowy war nicht besonders wohl dabei, das Kaninchen in diesem Vergleich zu sein. Er schauderte und hoffte, dass das hohle Gefühl in seinem Magen nicht von dem Gift rührte, das er nun schon seit einer Woche zu sich nahm. Noch ging es ihm zwar gut, aber er wusste genau, dass das nicht mehr lange anhalten würde. Spätestens in ein paar Tagen würde er Unmengen an Gegengift schlucken müssen, damit er auch wirklich nur Agares Blight tötete und nicht sich selbst gleich mit dazu. Je länger er darüber nachdachte, desto unwohler war ihm bei diesem Plan. Agares mochte nichts getan haben, um den Krieg aufzuhalten, nachdem sein Sohn ihn wieder angefacht hatte, aber immerhin hatte er sich davor bemüht, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen… Jedenfalls hatte Han das gesagt. Aber andererseits war der alte Ritter vielleicht nicht unbedingt die beste Quelle auf der Suche nach eher unangenehmen Informationen über den König. Sein Blick fiel auf eine besonders prächtige Blüte eines Rosenstrauchs und er betrachtete die Blume nachdenklich. Was, wenn all das furchtbar nach hinten losging…? „Jowy!“ Er zuckte überrascht zusammen, richtete sich auf und drehte sich um. Es war Jillia, die da auf ihn zugelaufen kam, und schließlich ganz außer Atem vor ihm zum Stehen kam. „Guten Morgen“, begrüßte er sie etwas verlegen. Er wusste noch immer nicht recht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, nachdem er ihr erklärt hatte, warum er sie heiraten wollte. Doch die Prinzessin schien damit nicht das geringste Problem zu haben. „Du musst unbedingt mitkommen!“, rief sie aufgeregt, ohne auf den Gruß einzugehen. „Ich muss dir etwas zeigen!“ Er hob eine Augenbraue und wollte bereits nachfragen, da ergriff ihn Jillia auch schon am Arm und sah ihn mit großen Augen an. „Es ist wirklich dringend!“, sagte sie drängend und zog ihn schließlich an seiner Hand mit sich, ohne seine Antwort abzuwarten. Überrumpelt folgte Jowy ihr, bis sie an einer großen, weißen Gartenlaube ankamen. „Jillia, was…?“ „Schau!“ Sie wies strahlend zu ein paar großen Rhododendrenbüschen und er tat wie ihm geheißen – nur, um vor Schreck völlig zu erstarren. Zwischen den Büschen saß ein kleines Mädchen, das selbstvergessen mit einem kleinen, weißen Kätzchen spielte. Das an sich wäre nicht unbedingt ein Grund für seinen Schockzustand gewesen – die Tatsache, dass es sich bei dem Mädchen um Pilika handelte, jedoch schon. „P-Pilika…?“ Das Kind drehte sich zu ihm um und lachte, dann rief es: „Onkel Jowy! Ich habe dich vermisst!“ Sie sprang auf und lief auf ihn zu, um ihn fest zu umarmen. „Pilika, was…?“ Wie kam sie hierher? Hätte sie nicht bei Riou und Nanami sein müssen? Was war passiert? Ging es den beiden gut? Tausende Fragen explodierten in seinem Kopf, während er Pilika an sich drückte und nicht wusste, was er tun oder sagen sollte. „Ich habe dich vermisst, Onkel Jowy!“, sagte Pilika ernst und lächelte ihn dann an. „Aber du gehst nicht mehr weg, nicht wahr?“ „Nein, ich…“ Er brach hilflos ab und sah zu Jillia hinüber, welche die Szene lächelnd betrachtete. Was ging hier vor? Wie war Pilika nach L’Renouille gekommen, wenn doch eigentlich Riou und Nanami auf sie aufpassten? „Liebster Schwager“, ertönte in diesem Moment hinter ihm die Stimme von Luca Blight. „Wie schön, dass du uns Gesellschaft leistest.“ Jowy fuhr herum und starrte den Kronprinzen verwirrt an; er stand mit einem besonders blutrünstigen Grinsen hinter ihm und schien etwas hinter seinem Rücken zu verbergen. „Mylord?“ Das ergab keinen Sinn. Luca hatte Pilika töten wollen. Er würde niemals zufrieden neben ihr stehen, während sie mit einer Katze spielte! „Ich dachte, ich bringe dir ein Souvenir aus den Stadt-Staaten mit. Du hast dir das doch so sehnlich gewünscht!“, erwiderte Luca Blight und holte ruckartig die Hand hinter dem Rücken hervor, die bisher verdeckt gewesen war – und Jowy schrie. In der Hand hielt der Prinz einen abgetrennten und noch immer blutenden Kopf… Er gehörte Riou. Mit einem Schrei fuhr Jowy schweißgebadet aus dem Schlaf und realisierte erschrocken, dass er weinte. Ungehindert rannen die Tränen seine Wangen hinunter, während er aufrecht in seinem Bett saß und verzweifelt versuchte, seinen Atem zu normalisieren, aber das war schlichtweg unmöglich. Sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen seine Rippen und er schnappte heftig nach Luft, doch es gelang ihm nur schlecht, sich zu beruhigen. „Nur ein Traum“, murmelte er. „Es war alles nur ein dummer Traum…“ Ob das nur eine erleichterte Feststellung war oder ob er versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, wusste er nicht. ------ „Wenn wir noch länger hier bleiben, werden sie uns entdecken.“ Leons Stimme klang drängend. „Worauf wartest du?“ „Er ist nicht tot“, flüsterte Jowy. Er spürte es an der Art, wie seine Rune die regungslose Gestalt abtastete… „Sie haben ihn nicht getötet, Leon.“ „Sie haben ihn lebensgefährlich verletzt“, versetzte der Stratege mit einer hochgezogenen Augenbraue, „und er wird die Nacht nicht überleben. Du hast dein Ziel erreicht, Junge, lass gut sein.“ Es wäre einfach gewesen, Leons Ratschlag Folge zu leisten, sich abzuwenden und einfach zu gehen. So, so einfach und einen kurzen Augenblick war Jowy versucht, es einfach zu tun. Aber dann erinnerte er sich an Blut und Verzweiflung und das stete Tropfen von Wasser, irgendwo in den Tiefen der Verliese von Muse. Er erinnerte sich an furchtbare, eisige Kälte und Dunkelheit, wo auch immer er hingeblickt hatte… Aber nicht länger. Er hatte sich damals etwas geschworen und diesen Schwur würde er nicht brechen, auf keinen Fall. „Es tut mir leid, Leon, das kann ich nicht“, sagte er leise und ließ seinen Blick über die letzten Soldaten der Allianz gleiten, die an ihrem Versteck vorbeigingen; Riou und die oberen Befehlshaber waren längst in den Tiefen des Waldes verschwunden. „Da gibt es etwas, das ich erledigen muss.“ Leon machte ein seltsames, undefinierbares Geräusch – vielleicht war es ein abfälliges Schnauben, vielleicht war es auch ein zustimmendes Brummen – sagte jedoch nichts und blieb wo er war, auch, wenn sein Gesichtsausdruck sich in der Dunkelheit zusehends verdüsterte. Jowy wusste nicht, wie lange sie sich noch verborgen hielten, aber irgendwann traute er sich doch, die Lichtung zu betreten. Der weiche Waldboden war platt getreten von vielen Dutzend Paaren Stiefel und fühlte sich eigenartig unter seinen Sohlen an, aber der Aristokrat ging trotzdem unbeirrt weiter, bis er bei dem leblosen Körper Luca Blights ankam. Aus der Nähe sah der Mann noch übler aus – er lag auf dem Bauch, das schwarze Haar war verfilzt und um ihn herum breitete sich stetig eine immer größer werdende Blutlache aus. Die Rüstung, die einst bis zur Perfektion poliert gewesen war, war nun zerkratzt und dreckig und plötzlich wirkte der Mann, der sie trug, gar nicht mehr so groß und mächtig. Eher klein, dünn und sehr, sehr schwach. Von der monströsen Erscheinung des Luca Blight, des Mörders unzähliger Unschuldiger, war nicht mehr viel übrig. Einen Augenblick blieb Jowy nur schweigend vor dem König stehen, dann ging er in die Knie, packte den älteren Mann an den Haaren und zog ihn unsanft hoch. Er war schwer, schwerer als erwartet, aber Luca entwich ein leises Stöhnen, das Jowys Verdacht bestätigte – der Prinz lebte. Gerade eben noch. Lucas Augenlider flatterten und öffneten sich quälend langsam, bis der unfokussierte Blick fast schwarzer Augen auf Jowys graue traf. „Du…“, ächzte der König und im Licht der vereinzelten Glühwürmchen, die noch um ihn herumschwebten, verzogen sich seine rissigen, blassen Lippen zu einem Grinsen. „Gekommen, um… mich zu retten?“ Er lachte heiser, doch angesichts seiner durch die Pfeile wahrscheinlich völlig zerstörten Lungen hörte es sich mehr nach einem gurgelnden Husten an. Emotionslos sah Jowy auf den Mann hinab. Nicht einmal Ekel rief die Erscheinung des sterbenden Mannes in ihm aus. Nur beiläufig registrierte er, wie Leon mit einer Fackel neben ihn trat; wenigstens besaß der Stratege genug Taktgefühl, um nichts zu sagen. Das rechnete Jowy ihm hoch an. Im Licht der Fackel sah der gefallene König noch schlimmer aus; unter seinen Augen waren tiefe Schatten und er wirkte mehr wie eine groteske Karikatur seiner Selbst. In Jowys Innerem versteifte sich alles, als er dieses jammervolle Bild betrachtete. „Du bist an allem Schuld“, sagte er tonlos und blickte in die dunklen Augen, die jeden Moment wieder zuzufallen drohten. „Deinetwegen habe ich alles verloren, musste alles verraten, was mir lieb und teuer war…“ Einen Augenblick lang starrte Luca Blight ihn an, dann wurde das Grinsen plötzlich blutrünstig, grausam. „Meine Schuld?“, echote der König mit diesem furchtbaren, höhnischen Unterton in der Stimme. „Oh nein… Das hast du dir alles selbst… zuzuschreiben!“ Er lachte und in seinen Lungen blubberte etwas. „Du bist mir… viel, viel ähnlicher… als du glaubst!“ Ein Rinnsal Blut rann aus Lucas Mundwinkel. Vielleicht war es die Tatsache, dass er seit mehreren Monaten seinen Hass auf diesen Mann unterdrückt hatte, vielleicht lag es auch daran, dass die Worte mehr Wahrheit enthielten, als Jowy eigentlich lieb war. Aber mit einem Mal explodierte die Wut in seinem Inneren, heftiger als je zuvor, verzehrender, schärfer. Runen, wie er diesen Mann hasste! Schneller als er selbst es verstand, hatte Jowy den Dolch aus seinem linken Stiefel gezogen und ihn mit aller Kraft, die er aufbieten konnte, in Luca Blights Hals gerammt. Blut spritzte hervor und mit einem letzten, widerlichen Röcheln, das nur allzu schnell zu einem Gurgeln wurde, wich der letzte Rest Leben aus dem ehemaligen König von Highland. Im Geist des Aristokraten frohlockte die Rune des Schwarzen Schwerts; er hatte seinen Schwur erfüllt. Ein Ächzen entwich ihm, als ihm im vollem Umfang bewusst wurde, was er da gerade getan hatte, und er zog seine Hand angewidert zurück. In seinen Ohren klangen Luca Blights letzte Worte unangenehm real nach. „Ich bin nicht wie du“, flüsterte Jowy erschüttert und stand ruckartig auf. Das Blut an seinen Fingern fühlte sich unnatürlich heiß an, heiß und eklig. Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich zu waschen – oder weit, weit fortzulaufen und sich niemals wieder umzudrehen. „Das war unnötig“, bemerkte Leon nach einer Weile leise und seufzte. „Ich habe es mir selbst geschworen“, erwiderte Jowy dumpf und fragte sich, ob seine Stimme nur in seinen eigenen Ohren zitterte. Sein Stratege sagte nichts dazu, sondern wandte sich nur schweigend von dem Leichnam ab und sagte: „Lass uns gehen – wir haben schon zu viel Zeit hier verbracht. Beeilen wir uns, das hier ist immer noch Feindesland…“ „Ja…“ Er folgte Leon durchs Unterholz und versuchte verzweifelt, den wahnsinnigen Blick Luca Blights aus seinen Gedanken zu verbannen, der sich dort festgebrannt zu haben schien. Er war nicht wie Luca Blight. Er war womöglich viel, viel schlimmer. ------ „Jowy!“ Er sah auf und sah Jillia die Treppe hinuntereilen, die zu ihren Gemächern führte. Ihre schwarzen Haare wehten hinter ihr her, den Saum des langen, dunkelblauen Kleides, das sie trug, hatte sie angehoben, um sich beim Laufen nicht darin zu verheddern. „Willkommen zurück“, begrüßte die Königin ihn erleichtert lächelnd. „Ich habe mir Sorgen gemacht… Es heißt, es hätte Kämpfe gegeben.“ „Es ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie mit einem schwachen Lächeln. „Aber ich fürchte, dass der Krieg noch eine Weile weitergehen wird… Wir konnten keine Einigung mit der Allianz-Armee erzielen.“ Dass es eine erzwungene Einigung gewesen wäre, hatte er ihr nicht erzählt. Natürlich nicht. Jillia brauchte von alldem nichts zu wissen… Es war nicht ihre Sorge. „Wir müssen es weiter versuchen“, sagte sie ernst. „Dieser Krieg muss enden und das bald.“ „Ich weiß…“ Jillia schien noch etwas sagen zu wollen, als sie plötzlich Pilika bemerkte, die sich mittlerweile an Jowys Hosenbein klammerte und mit großen Augen zu ihr aufsah. „Du hast jemanden mitgebracht?“ Er sah von Pilika zu Jillia und nickte, dann nahm er das kleine Mädchen an die Hand und sagte: „Das ist Pilika. Pilika, das ist Jillia.“ Die Königin ging ohne viel Umschweife in die Knie, um mit dem Mädchen auf einer Augenhöhe zu sein, und lächelte es an. „Hallo, Pilika.“ „Ist das eine Freundin von dir, Onkel Jowy?“ Er sah zu Pilika hinunter und wusste einen Moment lang nicht, was er darauf erwidern sollte. Waren er und Jillia befreundet? Sie arbeiteten zusammen und waren sich beide über ihre Zweck-Heirat bewusst, aber… „Ich bin sogar mehr als seine Freundin“, antwortete Jillia an seiner Stelle. „Ich bin seine Ehefrau.“ Pilika sah erstaunt zu Jowy auf, dann schüttelte sie die dargebotene Hand der jungen Königin. „Dann magst du Tante Jillia?“ Pilikas braune Augen blickten ihn erwartungsvoll an und Jowy nickte langsam und zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, natürlich.“ Ganz gelogen war das nicht. Jillia war ihm sympathisch genug, dass er freiwillig und sogar recht gerne Zeit mit ihr verbrachte, wenn es möglich war. Und dennoch… „Magst du Onkel Jowy auch?“, fragte Pilika weiter und sah Jillia an. Diese nickte und entgegnete: „Aber sicher, Pilika.“ Einen Moment lang schwieg das kleine Mädchen, dann sah sie wieder zu Jowy auf und fragte: „Habt ihr euch lieb?“ Jowy zuckte zusammen und war unheimlich froh, dass er Pilikas Hand nicht mehr hielt. Seine Hände waren vor Nervosität feucht geworden. Er sah hilfesuchend zu Jillia hinunter, die zögernd zu ihm aufsah. Was sollte er sagen? Was konnte er sagen? Er wollte Pilika nicht anlügen, nicht schon wieder, nicht nach all den Lügen, die er in den letzten Monaten erzählt hatte… „Natürlich!“, sagte Jillia schließlich. „Immerhin sind wir verheiratet!“ Beide wussten, dass es eine gewaltige Lüge war, wenn nicht die größte überhaupt. Doch Jowy konnte nur nicken und bestätigen: „Genau.“ Zuerst sagte Pilika gar nichts mehr, dann zog sie einen Schmollmund und rief: „Das ist gemein! Ich wollte Onkel Jowy heiraten!“ Jetzt verlor er völlig den Faden und starrte das Mädchen verwirrt an. Was…? Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und wusste immer noch nicht, was er darauf antworten konnte. Aber Jillia wusste es offenbar ganz genau. Sie lachte und zwinkerte Pilika zu: „Nun, vielleicht kann ich ihn dir dreimal die Woche ausleihen?“ „Nein!“, entgegnete sie entschieden. Jillia machte ein nachdenkliches Gesicht und schlug dann vor: „Was hältst du davon, wenn wir das besprechen, während ich dir dein Zimmer zeige?“ „Ich bekomme ein eigenes Zimmer?“ Pilikas Augen hatten zu leuchten begonnen und die Königin nickte. „Aber natürlich. Komm mit, kleine Lady.“ Sie hielt dem Mädchen eine Hand hin, die diese mit Freuden ergriff, und erhob sich dann. Zuletzt drehte sie sich noch einmal zu Jowy um und sagte: „Ich möchte, dass du heute in meinen Gemächern mit mir zu Abend isst.“ Kurz zögerte er. Wollte er das wirklich? Eigentlich war ihm mehr danach zumute, sich hinzulegen und eine Weile lang niemanden mehr zu sehen, doch ihm war bewusst, dass er sich das nicht erlauben konnte. „Natürlich“, sagte er daher und sah den beiden nach, wie sie die Treppe zu Jillias Gemächern wieder hinaufstiegen. Pilika winkte ihm über die Schulter hinweg zu und er winkte mechanisch zurück, dann wandte er sich ab und marschierte schnurstracks zurück in seine eigenen Gemächer, um wenigstens ein paar Stunden lang allein zu sein. Die Sonne ging unter, als er an die Tür zu Jillias Räumen klopfte. Das sah er durch die großen Fenster des langen Flurs, in dem er stand. Hunger hatte er keinen, schon seit der Abreise aus Muse nicht mehr. Aber er wusste, wie viel er Jillia schuldig war… Ein kleines Abendessen zu zweit war nicht viel verlangt. Jillia selbst öffnete ihm die Tür und führte ihn an einen Tisch, den sie wahrscheinlich hatte decken lassen. Er fühlte sich unwohl; das letzte Mal war er hier gewesen, um sie davon zu überzeugen, dass sie ihn heiratete. Und obwohl das noch gar nicht so lange her war, fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Jowy registrierte nicht wirklich, was er aß, und hätte man ihn später gefragt, was es gegeben hatte, hätte er nicht antworten können. Er wusste nur, dass er die ganze Zeit über Jillias aufmerksamen Blick auf sich spürte. „Wir sind schon fast einen Monat verheiratet“, sagte sie plötzlich und er sah sie an. „Ja.“ „Weißt du…“, fuhr sie fort und nahm einen Schluck Wein, der viel zu rot für seinen Geschmack war. Seit der Zeremonie, in der er Agares Blight seine Treue geschworen und ihn unmittelbar danach verraten hatte, konnte er keinen Rotwein mehr sehen; Jillia ahnte das offenbar – sein eigenes Glas enthielt kristallklaren Weißwein. „Als kleines Kind habe ich davon geträumt, dass mich eines Tages ein stattlicher Ritter auf seinem weißen Ross von hier wegholen und weit, weit weg bringen würde. Vater war anderer Meinung… Er sagte immer, ich würde irgendwann einen Bürger erster Klasse aus Harmonia heiraten.“ Sie hielt kurz inne und lächelte dann. „Ich bin froh, dass es nicht so gekommen ist.“ „Aber ich bin kein Ritter, Jillia.“ Er war es vielleicht auf dem Papier, aber nicht im Herzen. Ein Ritter stellte die Treue zu seinem Herrn über alles Andere – Jowy tat das nicht. Er hatte seine letzten beiden Herren wissentlich und willentlich in den Tod laufen lassen. „Das nicht“, räumte die junge Königin ein, „aber ich stelle es mir trotzdem gerne vor.“ ------ Nur ein paar Kerzen brannten noch im Thronsaal, als er ihn betrat. Durch die großen, nach oben hin spitz zulaufenden Buntglasfenster fiel Mondlicht herein, das den gesamten Saal in ein gespenstisches Licht tauchte – aber vielleicht kam es ihm auch nur so vor, weil er wieder von Albträumen aus dem Schlaf gerissen worden war und seither nicht mehr einschlafen konnte. Seine Ruhelosigkeit hatte ihn schließlich hierher getrieben. Auf den blanken Marmorfliesen sah er vor dem Thron das Mal der Biest-Rune schwach im Dunkeln glimmen und er spürte ihren rücksichtslosen Zugriff auf seine Seele. Seine rechte Hand erzitterte unter der Anstrengung, die Rune des Schwarzes Schwerts unter Kontrolle zu behalten, als diese ihre eigene Macht aussandte, um die Biest-Rune in ihre Schranken zu verweisen. Er atmete erleichtert durch, als er fühlte, wie sich die Klauen der Biest-Rune aus seinem Inneren zurückzogen, und fragte sich abermals, warum er überhaupt noch herkam, wenn es sich vermeiden ließ. Er wusste, dass der Thronsaal in seinem Zustand nicht der beste Aufenthaltsort war, da er nie ganz sicher sein konnte, dass er der Last, beide Runen zu zähmen, standhalten würde, aber dennoch zog es ihn immer wieder her. Möglicherweise war es die gleiche Faszination des Abartigen, die ihn dazu getrieben hatte, unter Luca Blight zu arbeiten und alle zu verraten, die er geliebt hatte… „Jowy…?“ Er fuhr herum und erkannte im unheimlichen, blauen Licht, das den Thronsaal ausfüllte, Jillia am anderen Ende des Raumes unschlüssig in der Tür stehen. Sie trug ihr Nachtgewand und darüber eine Seidenrobe und wirkte verletzlicher denn je. Was wollte sie hier? „Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte Jillia besorgt und trat näher. Er schwieg, weil sie die Antwort wahrscheinlich ohnehin wusste. Wäre alles in Ordnung gewesen, wären sie beide nicht hier… Als sie ihn erreichte, blieb sie einen Moment unsicher stehen, dann berührte sie ihn vorsichtig am Arm. Jowy zuckte zurück und bereute es sofort; sie sah ihn traurig und enttäuscht an. „Wir… verlieren den Krieg, nicht wahr?“, fragte sie schließlich leise. Er seufzte. „Ja“, antwortete er ehrlich. „Die Allianz-Armee hat uns hinter die Grenze zurück getrieben und wird wohl bald nach L’Renouille aufbrechen.“ „Jowy, wenn… wenn wir den Krieg ohnehin verlieren, dann… Wäre es nicht besser, einfach aufzugeben?“ „Nein!“ Sie fuhr zusammen und sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an, dabei war er selbst nicht minder erschrocken über seinen Ausbruch. „Ich kann nicht einfach aufgeben“, fügte er sehr viel leiser und vor allem ruhiger hinzu. „Es… gibt zu viel, das…“ „Aber du kannst keinen aussichtslosen Krieg kämpfen“, sagte Jillia überraschend sanft. „Du verstehst das nicht…“ „Nein“, gab sie zu, „nein, ich verstehe es nicht. Deshalb möchte ich, dass du es mir erklärst.“ „Das…“ „Das geht mich nichts an?“ Sie lächelte bitter. „Vielleicht hast du Recht und es geht mich wirklich nichts an. Aber… du kannst das allein nicht durchstehen, Jowy. Ich sehe doch, dass du leidest! Und… es ist mir nicht egal!“ Sie schüttelte den Kopf und er sah mit einigem Schrecken Tränen in ihren Augen glitzern. „Lass mich dir bitte helfen.“ Jowy zögerte und das ziemlich lange. Er war überrascht, gerührt und erschrocken zugleich über Jillias Worte und doch wollte er es tunlichst vermeiden, sie in all das hineinzuziehen. Sie hatte all das nicht verdient und… „Oder vertraust du mir nicht?“ Er starrte sie an. „Ich…“ „Du bist nicht wie er“, murmelte Jillia und schlang die Arme um ihren Oberkörper, als wäre ihr kalt. „Ich flehe dich an, versuch nicht, es zu sein, und alles für dich zu behalten, um schlussendlich wie er wahnsinnig zu werden.“ Er musste nicht erst nachfragen, wen sie meinte. Jowy seufzte. Er hob den Blick auf das Wappen der Blights, das auf einem riesigen Wandteppich aufgestickt war, der hinter dem Thron hing, und sagte langsam: „Wenn ich jetzt aufgebe, wird vielleicht Frieden herrschen. Highland und der Staatenbund werden erneut einen Vertrag unterschreiben und dann werden wir vielleicht die nächsten zehn Jahre friedlich leben. Aber irgendwann wird wieder jemand wie Luca Blight kommen, der dem Königreich Highland einen höheren Wert zumisst als allen anderen… und wir werden wieder in einem Krieg gefangen sein. Der Staatenbund und Highland werden niemals miteinander koexistieren können, weil Hass und Misstrauen zu tief verankert sind. Wir werden niemals aufhören zu kämpfen, bis nicht eines dieser Länder in Schutt und Asche liegt.“ „Aber…“, begann Jillia, doch er wusste, was sie sagen würde. Er hatte die gleichen Proteste geäußert, als Leon Silverberg ihm eingebläut hatte, warum dieser Krieg für die Ewigkeit war, wenn er ihn nicht selbst beendete. „Es hat keinen Sinn“, unterbrach er sie sanft. „Nur er und ich können diesen Krieg endgültig beenden.“ „Woher weißt du das so genau? Wie kannst du dir da so sicher sein, Jowy?“ Weil seine Rune es ihm täglich einflüsterte. Weil Schwert und Schild immer gegeneinander kämpfen würden. Weil die Rune des Anfangs zwei Seiten hatte. Weil nur er die Biest-Rune noch davon abhielt, über Highland herzufallen und die Leben der Menschen hier auszulöschen… Doch all das sagte er nicht. Stattdessen flüsterte er ein einziges Wort: „Schicksal.“ Jillia stieß Luft aus ihren Lungen, doch er konnte nicht interpretieren, was ihre Absicht dahinter war. Sie standen nebeneinander in diesem riesigen, kalten Saal, fröstelten in der kühlen Nachtluft des herannahenden Herbsts und schwiegen. Als er es nicht mehr aushielt, erzählte er leise, einfach, um etwas zu sagen: „Die Moral der Truppen ist niedrig… Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sie spüren den nahenden Untergang, ich weiß es. Aber ich kann nicht aufgeben… Ich darf nicht…“ Jowy spürte Jillias mitleidigen Blick auf sich, dann erwiderte sie leise: „Die Männer, die unter meinem Bruder gedient haben, sind ihm sehr ähnlich, weißt du? Es dürstet sie nach Blut. Es geht schon lange nicht mehr darum, die Leben der Jugendbrigade zu rächen… Es ist blanke Gier, mehr Blut, mehr Zerstörung und mehr Tod zu sehen.“ Jowy schauderte bei diesen Worten. Es war ihm eigentlich bewusst gewesen, aber er hatte es nicht wahrhaben wollen. Immerhin besaßen diese Männer zu Hause eine Familie – Frauen, Kinder, Eltern. Er hatte in ihnen Menschen gesehen und keine Monster wie in Luca Blight. „Und sie würden das Kostbarste geben, was sie haben, um das zu erreichen“, fuhr Jillia betrübt fort, „ihre Leben.“ Sie strich sich eine Strähne ihres langes, schwarzen Haares, das in diesem Licht einen blauen Schein hatte, hinters Ohr. „Und als ihr König musst du es ihnen gleich tun.“ Jowy starrte sie an und fühlte sich, als habe man ihm mit etwas Schwerem auf den Kopf geschlagen. „Ich… Ich soll – Selbstmord?“ Jillia hob den Blick und sah dabei furchtbar entsetzt aus. „Nein!“, erwiderte sie gepresst und so laut, dass ihre Stimme von den Wänden des leeren Saals zurückgeworfen wurde und in einem unheimlichen Echo nachklang. „Nein, natürlich nicht!“ Sie atmete durch, wie um sich von dem Schreck zu erholen, dann schüttelte sie den Kopf und lächelte sehr, sehr seltsam, in einer Art, die ihn mehr an Leknaat als an sie selbst erinnerte. „Hast du schon einmal Schach gespielt, Jowy?“ Der plötzliche Themenwechsel überrumpelte ihn so sehr, dass er einen Moment lang nichts sagen konnte, ehe er sich dazu durchrang, es doch zu tun. „Ja, habe ich. Früher, als…“ Als noch alles in Ordnung gewesen war. Als er mit Meister Genkaku noch hatte hinter dessen Haus sitzen und Schach spielen können, während die gelangweilte Nanami herumgejammert und Riou ihnen fasziniert zugesehen hatte… „Dann weißt du, welche Figur neben dem König am wichtigsten ist.“ „Die Königin, aber was…?“ Und dann begriff er. „Nein! Jillia, das kannst du nicht tun!“ Sie schüttelte nur stumm den Kopf. „Ich kann und ich werde, wenn es das ist, was nötig ist“, sagte sie leise und er erschrak darüber, wie sehr ihre Stimme zitterte. „Es ist mein Volk und ich bin ihre Königin. Ich verstehe vielleicht nichts von Politik, nichts von Kriegen, Strategien und Intrigen… aber ich bin immer noch eine Königin.“ Sie hob den Kopf und sah ihm genau in die Augen. Würdevoll, anmutig – und dennoch mit so viel Angst. „Wenn es das ist, was getan werden muss, damit dieser furchtbare Krieg endlich ein Ende findet, Jowy, dann werde ich es tun.“ „Das werde ich nicht zulassen“, widersprach er und ergriff sie an den Schultern. „Verstehst du nicht, dass dein Bruder genau das gewollt hätte? Zuzusehen, wie du dich diesen Wölfen vor die Füße wirfst? Ich werde dich nicht opfern, Jillia, egal, was passiert!“ Zuerst starrte sie ihn nur wortlos an, dann fiel sie ihm um den Hals und drückte sich ganz fest an ihn. „Danke“, hörte er sie flüstern. „Dafür, dass ich dich nicht umbringen werde?“ Er lachte hohl auf. „Dass du trotz allem nicht wie er bist.“ Er spürte ihre Lippen in einem flüchtigen, federleichten Kuss an seiner Wange, dann löste sie sich auch schon von ihm und trat einen Schritt zurück, als müsse sie sich arg zusammenreißen. Und er stand nur da, sah sie an und konnte nicht fassen, dass er für diese wunderschöne, mutige junge Frau nur Mitleid empfand. Mitleid, weil sie bereit war, in den Tod zu gehen, obwohl das seine Aufgabe war. Weil sie ihn so sehr liebte. Und vor allem, weil er diese Liebe nicht erwidern konnte, nicht einmal ein winziges Bisschen. „Ich werde mir etwas überlegen“, sagte er schnell, weil er es nicht ertragen konnte, die Liebe in ihren Augen länger mit anzusehen. „Etwas, das… niemandes Tod verlangt.“ Außer seinem eigenen vielleicht, denn er war sich sicher, dass er die Biest-Rune unmöglich noch viel länger im Zaum halten konnte, wenn Riou nicht bald hierher kam und all dem ein Ende setzte. „Geh wieder ins Bett…“ Jillia blieb einen endlosen Augenblick stehen, in diesem unnatürlichen Licht, ihrem Nachtgewand und der dünnen Seidenrobe darüber – dann nickte sie und warf ihm ein schwaches Lächeln zu. „Gute Nacht, Jowy.“ „Gute Nacht… Jillia.“ Sie ging und er blieb allein zurück, fröstelnd und irgendwie verloren, aber dennoch hatte er bereits jetzt eine Entscheidung getroffen. Er hatte beim Schachspiel noch nie seine Königin opfern müssen, egal, ob er nun verloren oder gewonnen hatte… und er würde jetzt nicht damit anfangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)