Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 34: Spiel mir das Lied vom Tod -------------------------------------- Schaudernd schlug Jowy den Kragen seines Mantels hoch und ließ seinen Blick über den Dunan-See schweifen. Das Wasser war unruhig, die Luft eisig; wenn er nicht gewusst hätte, dass inzwischen fast vier Wochen seit dem Fall von Muse vergangen waren, hätte er nicht geglaubt, dass inzwischen der Sommer angebrochen war. Jedenfalls hätte er es getan haben sollen – aber hier im Staat war das Klima ohnehin ganz anders als Zuhause in Highland. Es hatte nicht lange gedauert, bis die highlandischen Truppen die Dörfer und Kleinstädte um Muse herum eingenommen hatten. Er selbst hatte einige von ihnen zu highlandischem Boden erklärt und versucht, nicht in die Gesichter der Menschen zu schauen, die ihn mit dieser Mischung aus Hilflosigkeit und Wut angesehen hatten, die er selbst nur zu gut kannte. Aber es war besser, wenn er derjenige war, der diese Dörfer für Highland beanspruchte, als wenn Luca Blight selbst wütete und tobte. Natürlich tat der Kronprinz das trotzdem und Jowy wurde übel bei dem Gedanken an all die Unschuldigen, die schon wieder hatten sterben müssen. Doch er würde all dem ein Ende setzen… und wenn es das Letzte war, was er tat. „Sir!“ Er zuckte zusammen und drehte sich um; noch immer hatte er sich nicht daran gewöhnt, dass man ihn nun so ansprach. Dennoch bemühte er sich um eine möglichst neutrale Miene, als er der jungen Frau ins Gesicht sah, die hinter ihm aufgetaucht war. Frauen waren eine Seltenheit in der Armee von Highland; Jowy konnte an einer Hand abzählen, wie viele weibliche Soldaten er bisher gesehen hatte. Aber die wenigen standen ihre männlichen Kollegen in nichts nach, wie der junge Leutnant vor ihm bewies. Lexa war älter als er, etwa Mitte 20, und er fühlte sich unter dem kühlen Blick ihrer grauen Augen immer ein bisschen unwohl; an ihrer Hüfte hing ein Breitschwert, sie trug die typische Uniform der Highlander und die rotblonden Haare hatte sie für eine Frau relativ kurz geschnitten. „Was gibt es, Lexa?“, erkundigte er sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Die junge Frau salutierte und antwortete: „Wir werden in einer halben Stunde in der Hafenstadt Kuskus anlegen. Ich soll Euch von Oberst Russell mitteilen, dass Lord Jhee eine Versammlung angeordnet hat, sobald die Stadt unter unserer Kontrolle ist.“ „Es wird nicht viel Gegenwehr geben“, murmelte Jowy abwesend. „Kuskus verfügt über keine eigene Streitmacht. Das einzige, auf das wir uns gefasst machen müssen, sind ein paar kleinere Straßenkämpfe…“ „Nicht, dass wir bisher viel Gegenwehr gesehen haben“, erwiderte Lexa stirnrunzelnd. „Die Staatler machen es uns ja fast zu einfach. Manchmal frage ich mich, was mit den sogenannten Monstern des Staates passiert ist, seit sie diese armen Jungen abgeschlachtet haben!“ Jowy verzichtete darauf, ihr zu sagen, dass mit den wahren Mördern der Jugendbrigade überhaupt nichts geschehen war und sie fröhlich weiter mordeten, sondern zuckte nur die Achseln und entgegnete: „Das frage ich mich auch…“ Eine weitere Lüge, aber eine mehr oder weniger machte auch nichts mehr aus. „Gebt den Männern den Befehl, sich bereit zu halten“, seufzte er schließlich und warf einen Blick auf die unruhig wirkenden Soldaten, die sich an Deck des kleinen Schiffes tummelten. „Ich will keine Überraschungen erleben.“ „Ja, Sir!“ Wieder salutierte Lexa, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und marschierte davon. Jowy sah ihr nach und hörte nur mit halbem Ohr zu, während ihre Befehle zu ihm herüberschallten. Schließlich wandte er sich wieder ab und blickte wieder hinaus auf den kalten, abweisend wirkenden Dunan-See. Nicht zum ersten Mal seit vielen Wochen fragte er sich, wo Riou, Nanami und Pilika waren. Ob sie es geschafft hatten, aus der gefallenen Stadt zu fliehen. Ob sie zu den Glücklichen gehörten, die sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten, bevor die Highlander das ganze Fürstentum Muse in ihre Gewalt gebracht hatten. Die meiste Zeit versuchte er, nicht daran zu denken, was er getan hatte. Aber noch immer fuhr er mitten in der Nacht aus dem Schlaf, weil er glaubte, Anabelles Blut auf sich zu spüren, weil er ihre weit aufgerissenen Augen sah, das stumme Flehen… Und auch die Rune tat ihr Übriges, um ihn mehr schlecht als recht schlafen zu lassen. Gesichter und Bilder, Stimmen und Kampfgeräusche dominierten Nacht für Nacht seine Träume und nicht nur einmal sah er sich selbst Riou gegenüber stehen, mit gezogener Waffe und der Absicht, ihn zu töten. Diese Träume waren die schlimmsten. Seinen besten Freund blutüberströmt und halbtot zu sehen, gehörte eindeutig nicht zu den Dingen, von denen Jowy träumen wollte. Und außerdem führte es ihm nur allzu deutlich vor Augen, was er getan hatte… „Sir!“ Irgendwann würde er sicher noch einen Herzinfarkt bekommen vor Schreck. Unsanft aus seinen Gedanken gerissen, drehte sich Jowy zu dem Mann um, der salutierend vor ihm zum Stehen gekommen war. Er trug die typische Uniform der Highlander und die Abzeichen auf seiner Brust wiesen ihn als Leutnant aus; sein offenes, freundliches Gesicht mit den braunen Augen und den dunkelblonden Haaren, die ihm in die Stirn fielen, ließen nicht darauf schließen, dass er Soldat war. „Wir haben angelegt, Sir“, informierte der Mann ihn und runzelte die Stirn. „Oberst Russell wartet auf Euch.“ Runen, wie lange war er in Gedanken gewesen? Und dabei hatte er sich doch vorgenommen, sich das abzugewöhnen! „Danke“, nickte Jowy abwesend und blinzelte, um vollends zurück in die Wirklichkeit zu kehren. Zu allem Übel bekam er jetzt auch noch Kopfschmerzen… „Was wisst Ihr über die Situation in der Stadt, Jakob?“, erkundigte er sich, während er herumfuhr und übers Deck des Schiffes schritt, um es über die Rampe zu verlassen. Der Leutnant, der ihm auf dem Fuße folgte, warf dem Hafen, der vor Soldaten förmlich troff, einen schnellen Blick zu und erwiderte: „Soweit ich weiß, gehört bereits ein Viertel der Stadt uns. Lord Jhee persönlich führt eine Einheit gegen die Bürgerwehr von Kuskus an, also wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis die Stadt unter unserer Kontrolle ist.“ „Und wie sieht es mit der Verstärkung durch South Window aus, wissen wir schon etwas darüber?“ „Nicht, dass ich wüsste, Sir“, antwortete Jakob und kratzte sich am Hinterkopf. „Aber der Oberst kann Euch bestimmt mehr darüber sagen.“ „Wo ist er?“ „Er und seine Männer haben wohl auf die Schnelle ein Lager aufgeschlagen, ganz in der Nähe des Hafens. Ich bringe Euch hin!“ Jowy nickte dankbar und folgte seinem Untergebenen durch die Menschenmenge, die sich im Hafen tummelte. Die meisten Soldaten schienen weiter in Richtung Innenstadt zu streben, um sich an den Kämpfen zu beteiligen… Zu seinem großen Erstaunen akzeptierten die ihm unterstellten Männer – und in Lexas Fall auch Frauen – seine Autorität, obwohl er jünger war als sie und wahrscheinlich weitaus weniger geleistet hatte. Natürlich gab es durchaus Soldaten, die nichts von einem Jungen als Kommandant hielten, aber er hatte wohl gerade genug Glück, um diesen Leuten nicht zu begegnen. Nun, auch ein blindes Huhn fand wohl mal ein Korn. Als sie das eindeutig halbherzig errichtete Lager erreichten, war der Oberst gerade in ein Gespräch mit einem ranghöheren Offizier vertieft. Jedoch schien letzterer es eilig zu haben, denn er unterbrach Russell und wies in Richtung Stadt, ehe er ihm zunickte und wehendem Umhang zwischen den restlichen Soldaten verschwand. „Oberst!“ Jowy blieb neben seinem Vorgesetzten stehen und salutierte; noch immer fühlte er sich nicht gut dabei, doch nun musste er sich wohl daran gewöhnen, da er nicht plante, allzu bald das Militär zu verlassen. „Da bist du ja, Junge.“ Russell akzeptierte den Gruß mit einem Nicken und lächelte zufrieden. „Du kommst gerade rechtzeitig – der Bürgermeister von Kuskus hat soeben verkündet, dass sie aufgeben.“ „Oh“, machte Jowy und zwang sich, ebenfalls zu lächeln. „Das ist gut.“ Das Pferd, das man ihm gegeben hatte, tänzelte unruhig und Jowy hatte seine Müh und Not, im Sattel sitzen zu bleiben. Er war kein Reiter und das Tier, auf dessen Rücken er saß, schien das nur allzu deutlich zu spüren – aber vielleicht trug auch der Zug von Hunderten anderen Soldaten hoch zu Ross dazu bei, dass sich das Pferd nicht wirklich wohl fühlte. Sie hatten nicht viel Zeit in Kuskus verbracht, keine zwei Tage hatte Solon Jhee seine Männer ausruhen lassen, ehe er einige Tausend von ihnen abkommandiert hatte, ihn nach South Window zu begleiten, um die Stadt ebenfalls unter seine Kontrolle zu bringen. Der Großteil der 4. Kompanie blieb zurück in Kuskus, um sicher zu gehen, dass Jhees Einheit nicht von den Flanken attackiert werden würde. Hier im Fürstentum South Window würde die Highland-Armee leichtes Spiel haben, fand Jowy. Nicht nur, dass lediglich die Hauptstadt über eine nennenswerte Streitmacht verfügte – die sich nach dem Fall von Muse schneller von deren Ländereien zurückgezogen hatte, als Jowy schauen konnte – sie hatten auch keinerlei Angriffe zu befürchten. Im Osten des Fürstentums lagen nur ein paar kleine Dörfer und die Händlerstadt Radat und im Westen gab es ein paar Ruinen, die letzten Überreste der Burgstadt North Window, die wohl schon seit über zwanzig Jahren verlassen war. Es war fast zu einfach und mit jedem Schritt, den der Apfelschimmel unter ihm tat, tat es Jowy mehr leid, dass der Staat keine Chance gegen Highland hatte. Eigentlich war dieser Krieg schon längst entschieden… Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Verteidiger von Jowston das verstanden. Die Dächer und Mauern von South Window waren schon aus weiter Ferne erkennbar, da zwischen Kuskus und dem Herzen des Fürstentums nichts lag außer einer grasüberwucherten Ebene. Hier, wo weder Bäume noch Häuser ihn behinderten, blies der Wind kräftig und Jowy strich sich nicht zum ersten Mal genervt ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die zu kurz für seinen Zopf waren und sich ständig daraus lösten. Glücklicher-weise war es wenigstens nicht mehr so kalt, die Schafskälte war vorbei und nun brach auch hier im Staat endlich der Sommer an, weshalb der Wind sogar recht willkommen war. „Ich traue der Sache nicht“, brummte einer der Generäle um Jowy missmutig. „Keine Vorhut, keine Späher… Was führen diese Staatler im Schilde?“ Der Aristokrat hob den Blick von seinen leicht verkrampften Händen, die die Zügel seines Pferdes hielten, und blickte gen Süden, wo sich die Stadt South Window klar gegen den Horizont abhob. Hinter der Stadt deutete ein dunkler Schatten auf einen dichten Wald hin und irgendwo dahinter erkannte man sogar Berge. „Vielleicht rechnen sie mit einem Angriff“, überlegte ein anderer Offizier, „und verbarrikadieren sich in der Stadt?“ „Solange sie keinen Hinterhalt planen…“ „Die verdammten Staatler hätten sowieso keine Chance!“, entgegnete ein dritter und lachte. „Wir haben die Schlacht um Muse gewonnen, dem Sieg steht nichts mehr im Wege!“ Sein Optimismus steckte die anderen Männer an, doch Jowy blieb stumm. So, wie er Granmeyer kennen gelernt hatte, planten die Verteidiger von South Window nicht besonders viel. Der Bürgermeister war zu alt, um selbst in den Krieg zu reiten, und auch die seltsame Bemerkung Lord Gustavs machte den Aristokraten ein bisschen stutzig. Der Fürst von Tinto hatte etwas darüber gesagt, dass die Armeen von South Window im Krieg gegen das Reich des Scharlachroten Mondes beim ersten Anzeichen von Blut geflohen waren… Aber er behielt seine Gedanken für sich und lauschte nur schweigend den Gesprächen um ihn herum. „Du bist so schweigsam heute“, bemerkte plötzlich jemand neben ihm. Jowy wandte den Blick von der näherkommenden Stadt ab und sah Russell ins Gesicht, der ihn seinerseits aus den Augenwinkeln beobachtete. „Nicht schweigsamer als sonst, Oberst“, erwiderte der Aristokrat dann kopfschüttelnd und lächelte etwas. Er mochte den Mann. „Ich habe über die Schlacht nachgedacht.“ Oder eher darüber, dass es wahrscheinlich gar keine geben würde. „Die Schlacht also“, brummte Russell und zog die linke Augenbraue hoch. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass es eine geben wird?“ „Wie… meint Ihr das?“ „Ich bin lange genug in der Armee, um zu wissen, wann Kämpfe bevorstehen und wann nicht. Was ist mir dir, Junge?“ Einen Augenblick zögerte Jowy noch, dann befeuchtete er seine durch Wind und Hitze leicht angetrockneten Lippen und gab zu: „Um ehrlich zu sein… nein. Ich glaube nicht, dass es zu einer Schlacht kommen wird. Granmeyer ist nicht der Typ Mensch, der-“ „Noch grün hinter den Ohren, aber über die Schlacht reden“, unterbrach einer der Offiziere neben ihm scharf. „Du solltest nicht über Dinge sprechen, von denen du keine Ahnung hast, Junge!“ Jowy biss sich auf die Lippe und hob den Blick in kalte, stahlgraue Augen. Das Gesicht dazu war kantig und unfreundlich, unangenehm blass, dazu ein Schopf rotblonder Haare, die unter dem Helm hervorblitzten. Die Abzeichen auf der Brust des Mannes wiesen ihn ebenfalls als Oberst aus. „Gemach, Jonas“, mischte Russell sich stirnrunzelnd ein. „Ich habe Jowy nach seiner Meinung gefragt, er hat nichts Anderes getan, als sie mir kundzutun. Ihr solltet ihn dafür nicht verurteilen.“ Der andere Oberst schnaubte, murmelte etwas Abfälliges und beschleunigte sein Pferd etwas, wodurch er außer Hörweite geriet. Jowy sah ihm bestürzt nach und Russell seufzte. „Nicht jeder ist glücklich über deinen allzu schnellen Aufstieg“, erklärte er schließlich und schüttelte den Kopf. „Wenn du dich nicht vorsiehst, wirst du bald in unseren Reihen mehr Gegner haben als bei unseren Feinden.“ „Hm…“ Das war Jowy selbst nur zu bewusst. Glücklicher machte ihn dieses Wissen aber auch nicht unbedingt. Früher einmal musste South Window eine blühende und beeindruckende Stadt gewesen sein, immerhin war sie das Handelszentrum des Staats. Es war wahrscheinlich noch gar nicht lange her, dass sich Händler durch die Straßen gedrängt hatten, beladen mit Waren und begleitet von ihren Gefolgsleuten samt Karren, doch an diesem Tag lag South Window wie ausgestorben da. Wie Jowy erwartet hatte, hatte Granmeyer bedingungslos kapituliert und die Tore der Stadt für die erste Kompanie von Highland öffnen lassen. Vielleicht war es besser so, überlegte der Aristokrat, während er Oberst Russell durch die leeren Straßen folgte. Es würde weniger unschuldige Opfer geben… allein schon, weil Luca Blight in Muse zurückgeblieben war. Jowy schauderte beim Gedanken an den Kronprinz und verdrängte die Erinnerung an ihn lieber schnell. Im Nacken spürte er die Blicke der Bewohner von South Window, die sich gegen die Fensterscheiben ihrer Häuser zu pressen und ihn zu beobachten schienen. Der Zug der wenigen Soldaten, die mit Solon Jhee mit in die Stadt gekommen waren, hielt an, als sie den Platz vor dem großen Rathaus erreichten. Das Gebäude an sich schien dem Rathaus aus Muse in nichts nachzustehen, der gepflasterte Weg zu der Steintreppe, die ins Innere führte, war gesäumt von sorgfältig angelegten Blumenbeeten und gepflegten Rasenflächen. Wie lange das noch so bleiben würde, war jedoch fragwürdig, da die ersten Highlander schon die Blumen zertrampelten und mit ihren schweren Stiefeln tiefe Spuren im Gras hinterließen. Solon Jhee stand in seiner glänzend weißen Rüstung im strahlenden Sonnenschein, oben vor der Doppeltür, die ins Innere des Rathauses führte. Ihm gegenüber, halb im Schatten des Vordachs, stand ein auf den ersten Blick überraschend gefasst wirkender Granmeyer, doch an der Art, wie den Rücken nicht wie gewohnt durchdrückte, sondern gebeugt hielt, erkannte Jowy, dass der alte Mann alles Andere als ruhig war. Ganz im Gegenteil, aber er hatte wohl keinen Sinn darin gesehen, seine Armeen in eine aussichtslose Schlacht zu schicken. „Ich erkläre diese Stadt zu Grundbesitz von Highland!“, donnerte Jhees Stimme über den Platz und das leise Gemurmel seiner Soldaten hinweg, das augenblicklich erstarb. „Nach highlandischem Gesetz wird jeder, der sich gegen das Königreich auflehnt, zu Tode verurteilt!“ Zwangsläufig fragte sich der Aristokrat, für wen der General diese Ansprache eigentlich hielt. Von den wenigen Hundert Soldaten, die anwesend waren, würde es wohl keiner wagen, sich gegen Highland zu stellen, und sonst… Er drehte den Kopf, um sich ein wenig umzusehen, und stellte überrascht fest, dass auch vereinzelte Zivilisten sich unter den Soldaten befanden – als ob Jhee Zeugen brauchte, die seine Botschaft weiter tragen würden. „Als amtierender Bürgermeister der Stadt South Window erkenne ich die Herrschaft des Königreichs Highland an“, erwiderte Granmeyer und selbst aus der Entfernung sah Jowy den Schmerz im Gesicht des alten Mannes. „Ich bitte Euch nur darum, die Bewohner zu verschonen.“ „Wir wollen ja nicht grausam sein“, entgegnete Solon Jhee, auch wenn sein Gesichtsausdruck etwas ganz Anderes versprach und dem Aristokraten unten auf dem Platz unwohl wurde. „Die Bewohner werden in Ruhe gelassen, wenn sie keinen Ärger machen. Mit dir, alter Mann, sieht es anders aus.“ Entsetzen breitete sich auf Granmeyers Gesicht aus und auch Jowy starrte ungläubig hoch zum General der 1. Kompanie. Bitte was? Granmeyer hatte kapituliert, er hatte nichts getan, um Solon Jhees Zorn auf sich zu ziehen! … Oder? „W-Wie meint Ihr das?“, fragte der alte Bürgermeister kaum hörbar, doch in der auf dem Platz entstandenen Stille hätte man wohl selbst eine Stecknadel fallen hören. „Wir haben kapituliert, Ihr könnt nicht…“ „Ich kann und ich werde, alter Mann!“, unterbrach Jhee ihn kalt. „Ich weiß, was in den Köpfen deiner Bürger vorgeht – sie warten nur auf den Augenblick, in dem ihr Widerstand stark genug sein wird, durch unsere Reihen zu brechen. Lasst mich euch etwas sagen, ihr Gewürm des Stadt-Staates!“ Er drehte sich zu den auf dem Platz versammelten Menschen um und blickte herablassend auf sie hinunter; auch seine eigenen Soldaten blieben nicht verschont vor der Betrachtung. „Ihr habt keine Chance gegen Highland. Aber das werdet ihr mir nicht glauben, nicht wahr? In euren Herzen wird weiter die Hoffnung keimen und der verzweifelte Wunsch, das Joch der Besatzung abzuschütteln.“ Während er gesprochen hatte, waren zwei Männer die steinerne Treppe hinaufgeeilt, die Granmeyers Berater zur Seite gestoßen und den Bürgermeister unsanft ergriffen hatten. Sie zerrten ihn aus dem Schatten ins Licht und drückten ihn mit Gewalt auf die Knie, sodass der alte Mann zu dem jüngeren aufsehen musste. „Ich werde euch eine Lektion erteilen“, fuhr Solon fort und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, das Jowy unangenehm an Luca Blight erinnerte. „Eine Lektion, die ihr niemals vergessen werdet, weil sie euch immer daran erinnern wird, dass mit Highland nicht zu spaßen ist.“ Mit einem furchtbar lauten, metallischen Geräusch zog der General sein Breitschwert aus der Scheide und drehte sich zu Granmeyer. Ein Raunen ging durch die Menge, auch die Highland-Soldaten hatten so etwas nicht erwartet. „Er wird doch nicht…!“, entfuhr es Jowy und er hatte bereits einen halben Schritt nach vorn gemacht, als Russells Arm aus dem Nichts hervorschoss und ihn am Weitergehen hinderte. „Bleib, wo du bist!“, zischte der Oberst ohne ihn anzusehen. „Aber er wird…!“ „Ja, das wird er. Aber es ist notwendig, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken – andernfalls werden wir immer mit Rebellionen zu kämpfen haben.“ „Aber es ist grausam!“, beharrte Jowy und starrte seinen Befehlshaber ungläubig an. „Ihr könnt nicht einfach zulassen, dass er diesen Mann umbringt!“ „Es muss sein“, entgegnete Russell mit fester Stimme. „Dies ist der Weg des geringeren Übels, Jowy.“ Dem Aristokraten entwich ein verzweifeltes Ächzen und er hob den Blick wieder zu den Geschehnissen oben vor dem Rathaus. Solon Jhee hielt sein Schwert hoch erhoben, es glänzte matt im Sonnenschein. „Lasst euch das ein Beispiel sein – ein Beispiel dessen, was jedem widerfährt, der es auch nur wagt, aufzubegehren!“ Die Worte waren noch nicht in der fassungslosen Stille verklungen, da fuhr das Schwert auch schon nieder – und Jowy wandte den Blick ab. Er konnte das nicht mit ansehen. Durch die Reihen der Zuschauer gellte ein Schrei, doch auch er schaffte es nicht, das widerliche Geräusch zu übertönten, das ertönte, als Stahl auf Fleisch traf und Blut auf die steinernen Fliesen vor den Doppeltüren des Rathauses spritzte. Der Bürgermeister von South Window war tot – nichts, als ein weiteres Opfer in diesem furchtbar sinnlosen Krieg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)