Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 25: Vom Regen in die Traufe ----------------------------------- Sie marschierten zielstrebig ins Lager hinein und fanden sich sofort inmitten unzähliger Highland-Soldaten wieder. Es war wirklich ein Wunder, dass niemand beobachtet hatte, wie sie durch den Zaun gekommen waren… Aber andererseits hatten die Männer im Camp eindeutig andere Sorgen als dass jemand sich in ihre Mitte schleichen konnte – sie wirkten müde, abgekämpft und lustlos. In kleinen Gruppen saßen die Männer vor ihren Zelten und unterhielten sich leise, während andere durch die Gegend liefen, vielleicht, um sich vor einem nächsten Unwetter in das sichere und vor allem trockene Innere ihres Zeltes zu begeben. Jowy setzte sein gleichgültigstes Gesicht auf und marschierte zielstrebig drauflos, durch die zahlreichen Pfützen und über den matschigen und vom Regen aufgeweichten Waldboden. „Wir sollten versuchen, das Zelt mit dem Proviant so schnell es geht ausfindig zu machen“, wisperte er Riou zu, während die beiden Jungen an einem Grüppchen Soldaten vorbeigingen, die vor einem aufgeschichteten Haufen Holz hockten und offensichtlich gerade versuchten, ein Lagerfeuer zu entzünden, um sich etwas aufzuwärmen. „Es wird wahrscheinlich irgendwo zentral sein, wo es alle gut erreichen können und keiner unbeaufsichtigt hinkommt“, nickte Riou und sah aus den Augenwinkeln zu einem älteren Highlander, der bei ihrem Näherkommen den Kopf hob. Doch der Mann machte keine Anstalten, sie anzuhalten oder zurückzurufen, also setzten die Jungen ihren Weg zur Mitte des Camps zielstrebig fort. Jowy schlug das Herz bis zum Hals. Er hatte nicht nur Angst, er hatte Panik. Jeden Augenblick erwartete er, dass ihn jemand am Arm ergriff, dass ihn jemand erkannte, dass ihm jemand ohne zu zögern den Kopf von den Schultern schlug. Aber niemand reagierte auf die zwei Mitglieder der Jugendbrigade, die sich den Weg durch die Unmengen von Männern bahnten, die sich im Lager befanden, und Jowy war sich nicht sicher, ob nicht die Erwartung des schlimmsten Falls unangenehmer war als die Erfahrung desselbigen. Weiter im Zentrum des Camps – das viel, viel zu groß war, wann hatten die Highlander es geschafft, so viele Männer herzubeordern?! – standen größere Zelte, wahrscheinlich gehörten sie den ranghöheren Offizieren. In diesem Teil des Lagers liefen weniger Männer umher, nur vereinzelte, grimmig dreinblickende Soldaten eilten zwischen den Zelten hin und her. „Verdammt, wo ist es…?“, brummte Jowy nervös in seinen nicht vorhandenen Bart, ehe er sich zögernd umsah und unsicher stehen blieb. Riou schüttelte ebenso ratlos den Kopf, aber bevor sie sich für eine Richtung entscheiden konnten, ertönte hinter ihnen plötzlich eine Stimme: „Hey, ihr da! Wer seid ihr?!“ Jowy zuckte zusammen und alle möglichen Schreckensszenarien blitzten vor seinem inneren Auge auf. Das war es. Sie waren tot. „Äh, S-Sir?“ Zögernd drehte sich Riou nun zu dem Mann um, der sie angehalten hatte, und salutierte langsam. Jowy tat es ihm gleich und sah den bärtigen Soldaten panisch an. „Das sind doch Uniformen der Jugendbrigade…“, knurrte der Mann misstrauisch. Er trug die Rüstung der Highland-Soldaten, doch auf seinen Schultern prangte das Abzeichen eines Generalleutnants. Na klasse. Sie hatten mit traumwandlerischer Sicherheit einen der ranghöchsten Offiziere des gesamten Lagers ausfindig gemacht… „Was macht ihr hier?“, fragte der Generalleutnant und kniff die Augen zusammen. Jowy biss sich kurz auf die Lippen, dann stammelte er: „Äh, Sir, wir… ähm… Wir waren in der Einhornbrigade.“ Vielleicht konnten sie doch noch eine Lösung finden… jedenfalls wenn er eine glaubwürdige Lüge würde auftischen können. Wenn doch nur seine Panik nicht gewesen wäre, er war ein grauenhafter Schauspieler, das würde alles den Bach runtergehen, sie würden Nanami und Pilika nie wieder wiedersehen…! „Die Armee des Staates hat uns überraschend angegriffen und alle anderen…“ Sprach er selbst da? Waren das seine Worte? Er schluckte. „Wir haben es irgendwie geschafft, zu überleben, aber der Rest der Truppe…“ Jowy spürte Rious Blick auf sich, doch er sah mit blankem Gesicht auf zu dem Generalleutnant, in dessen blauen Augen ein Sturm tobte. „So ist das also“, sagte der Mann langsam und betrachtete die Gesichter der beiden Jungen. Mitleid schlich sich in seine harten Züge. „Ihr Jungs seid verdammt mutig, dass ihr noch hier seid. Dieser Staats-Abschaum!“ Er ballte die Hände zu Fäusten und spuckte abfällig zu Boden. „Sie sind das personifizierte Böse!“ „Das stimmt“, flüsterte Riou und neigte den Kopf, wahrscheinlich um zu verbergen, dass sein Gesicht ihn Lügen strafte. „Sie sind furchtbar…“ „Verdammt richtig!“ Das Mitleid mit den gefallenen Mitgliedern der Jugendbrigade wechselte zu Zorn; der Generalleutnant bebte regelrecht vor Wut. „Wie können sie es wagen, unschuldige Kinder abzuschlachten! Ihr Jungs habt ihnen nichts getan… Wir werden sie bluten lassen für ihre Verbrechen, verlasst euch drauf!“ Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen und fuhr sich fahrig durchs Haar. „Keine Sorge, Jungs. Wir werden uns für das, was sie euch angetan haben, rächen.“ „D-Danke…“ Jowy schluckte erneut hart, während die Präsenz der Rune des Schwarzen Schwerts in seinem Inneren Amok zu laufen schien, als sie seine Wut spürte, die langsam in ihm hochstieg. Es war nicht die Armee des Staates gewesen, die die Jugendbrigade wie Vieh abgeschlachtet hatte, es war nicht Anabelle gewesen, die den Befehl dazu gegeben hatte, es gab keine Verbrechen heimzuzahlen… Nicht, ohne sich gegen Luca Blight höchstpersönlich zu stellen. Benutze mich!, flüsterte die Rune eindringlich in seinen Gedanken, doch er unterdrückte den Drang, ihr zu gehorchen und sagte schnell: „Unser… unser Captain hat uns befohlen, ihm etwas Butter zu bringen, aber wir… wir sind erst seit kurzem hier und…“ Er brach ab und sah hoch in die blauen Augen des Generalleutnants, der sich langsam wieder beruhigte. „Butter, hm?“, wiederholte der Mann und Riou nickte. „Okay, Jungs, dann folgt mir. Ich bringe euch zum Proviantzelt.“ Ein Stein von der Größe des gesamten Tenzaan-Gebirges fiel Jowy in diesem Moment vom Herzen. Konnte es sein? Hatten sie sich tatsächlich aus dieser prekären Situation herausgewunden, ohne Verdacht zu erregen? Oh, bei den Runen, das musste ein Wunder sein! Sie beeilten sich, dem Generalleutnant durch das Camp zu folgen, bis sie an einem Zelt ankamen, das größer war als alle anderen. Mehrere Kisten stapelten sich vor dem Eingang und ein etwas verloren dreinblickender junger Mann mit halblangem, blonden Haar hielt davor Wache. Jowy hätte schwören können, dass er den Mann schon irgendwo gesehen hatte, aber er konnte nicht sagen wo. Vielleicht bildete er sich das auch einfach nur ein, aber die graugrünen Augen des Mannes schienen sich um einige Millimeter zu weiten, als sie sich ihm näherten. Doch wahrscheinlich galt es nur dem Generalleutnant. „Sir!“, rief der Mann aus und salutierte steif. Ein Blick auf die Abzeichen an seinen Schultern verriet dem jungen Aristokraten, dass der Soldat lediglich ein einfacher Gefreiter war. „Rühren“, entgegnete der Generalleutnant, nachdem er den Gruß erwidert hatte. „Diese Jungs sind hier, um ein bisschen Butter zu holen, also lasst sie rein, Soldat.“ „Ja, Sir“, nickte der Gefreite und trat zur Seite, um den Eingang ins Proviantzelt freizugeben. Dann fügte er an die beiden Jungen gewandt hinzu: „Aber beeilt euch, meine Schicht ist fast vorbei…“ Riou nickte und setzte sich als erster in Bewegung, Jowy folgte ihm schnell. Sie waren gerade auf Höhe des Gefreiten, der selbst nur einige Jahre älter aussah als die beiden Freunde, als der Generalleutnant plötzlich rief: „Hey… wartet mal!“ „Huh?!“ Jowy fuhr zu dem Offizier herum und registrierte nur beiläufig, dass auch der Soldat neben ihm seinen Befehlshaber erschrocken anstarrte. „Sir?“, erwiderte Riou vorsichtig. Für jemanden, der ihn nicht gut kannte, klang er völlig ruhig und selbstsicher, aber Jowy hörte ihm die Nervosität an. Oh, hoffentlich tat es der Generalleutnant nicht auch! „… War wohl nur Einbildung“, brummte der Mann jedoch. „Mit euren Gesichtern könnt ihr unmöglich Spione sein.“ Irrte Jowy sich oder atmete der Gefreite neben ihm auch erleichtert aus? „Lasst die Köpfe nicht sinken, Jungs“, sagte der Generalleutnant aufmunternd. „Es wird alles gut werden.“ Er salutierte und sie taten es ihm gleich, dann wandte sich der Mann ab und verschwand wieder zwischen den Zelten. „… Los, beeilt euch“, seufzte der Gefreite seltsam erleichtert auf, nachdem sie dem Offizier einen Moment lang noch nachgeblickt hatten. „Wie gesagt, meine Schicht ist fast vorüber und ich muss noch etwas erledigen.“ „Äh. Ja. Sofort!“ Riou nickte eilig und ergriff Jowy am Arm, ehe er das Stück Leinen, das den Zelteingang verdeckte, zur Seite schob und vorbeischlüpfte. Sie fanden sich im Halbdunkel des Zeltinneren wieder; um sie herum standen viele Kisten und Fässer, Säcke und Bündel lagen auf den freien Plätzen – außer ein paar schmalen Durchgängen war das Zelt voll. „Das war knapp“, wisperte Riou und atmete durch, nach dem er sich vergewissert hatte, dass der Gefreite vor dem Zelteingang sie nicht beobachtete. „Das war verdammt gefährlich“, stimmte Jowy ihm ebenso leise zu, dann wischte er sich mit dem Handrücken einen Schweißtropfen von der Stirn und sah sich im Halbdunkel um. „Beeilen wir uns, bevor er doch noch nach uns schaut.“ Mit einem letzten Blick auf den Stoffstreifen, der sie vor Blicken verbarg, setzte sich der Aristokrat in Bewegung und beugte sich über eine Kiste. Etwa zehn Minuten später hatten sie alles genau in Augenschein genommen und Jowy erwartete bereits, dass der Gefreite sich genervt danach erkundigen würde, was im Namen aller Runen sie so lange im Proviantzelt trieben, doch draußen war es absolut ruhig. Die einzigen Geräusche, die an seine Ohren drangen, waren die weit entfernten Stimmen der versammelten Highlander, die sich im äußeren Ring des Camps aufhielten. Auf den ersten Blick hatte es nach viel ausgesehen, was die Highland-Armee da an Proviant mit sich herumschleppte, aber dann rief sich Jowy die Größe der Ersten Kompanie in Erinnerung – die Armee des Königreiches Highland bestand aus vier Kompanien, wovon die erste ganze 10.000 Mann zählte und der Rest je etwa 5.000, wobei die Zahlen der Rekruten wahrscheinlich stetig stiegen. „Es ist genug für etwa zwei Wochen“, murmelte Riou, nachdem er einen Sack mit Kartoffeln wieder fest verschnürt hatte. „Sie planen wohl, das ganze schnell zu beenden…“, nickte Jowy düster. „Lass uns abhauen, bevor sie uns schnappen.“ Riou sagte nichts, sondern spähte nur vorsichtig am Leinenstreifen vorbei nach draußen. „Der Wachmann ist weg“, flüsterte er erstaunt und runzelte die Stirn. „… Beeilen wir uns. Ich traue der Sache nicht.“ „Hmm…“ Sie verließen das Zelt und vergewisserten sich, dass niemand in der Nähe war, dann eilten sie schnellen Schrittes in die Richtung, aus der sie zuvor gekommen waren. Wieder spürte Jowy, wie das Adrenalin durch seine Blutbahnen peitschte, wie sein Herz vor Panik zu zerspringen drohte. Sie mussten hier weg, hier raus, möglichst viel Entfernung zwischen sich und die Highlander bringen, bevor irgendjemand sie erwischte… „Wenn das nicht Riou und Jowy sind!“ Wenn es möglich war, vor Schreck zu sterben, dann war Jowy in diesem Moment so kurz davor wie noch nie in seinem Leben. Er hatte fast vergessen, wie diese Stimme klang, hatte sie verdrängt, genau wie alles, was mit seiner Vergangenheit als Highlander zusammenhing. Aber er hatte nicht vergessen, wem sie gehörte oder was dieser Mann ihm angetan hatte. Er fuhr herum und starrte Rowd an, hin- und hergerissen zwischen Panik und Wut, die in ihm aufflammte und sich gleich einem Lauffeuer in seinem ganzen Körper auszubreiten schien. „Captain…“ Das Wort entkam ihm, bevor er es aufhalten konnte. Dieser Mann war nicht mehr sein befehlshabender Offizier, nicht mehr für ihn verantwortlich, niemand mehr, den er respektierte. Und dennoch… „Nun seid ihr also wirklich Spione des Staates geworden?“, zischte Rowd mit verengten Augen, die Hand auf dem Heft des Schwerts, das an seinem Gürtel hing. „Das muss Vorsehung sein! Aber diesmal entkommt ihr nicht. Eindringl-!!“ Ein Knacken ertönte, als aus dem Nichts Rious Faust hervorschoss und auf Rowds Nase traf. Ihr ehemaliger Captain gab ein schmerzerfülltes Ächzen von sich und ging in die Knie, dann ergriff Jowy auch schon das Handgelenk seines besten Freundes und rief: „Lass uns abhauen!“ Sie waren zwischen den Zelten verschwunden, noch bevor Rowd sich wieder aufgerappelt und nach Verstärkung gerufen hatte. Ab jetzt war diese Mission ein Kampf um Leben und Tod. Sie rannten so schnell sie konnten, weg, nur weg von dem Mann, der sie und alle anderen verraten hatte, der ihre Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um auf der Karriereleiter eine Stufe aufzusteigen, weg von ihm und den anderen Soldaten, die sie ohne zu zögern umbringen würden, wenn sie sie jemals in die Finger bekamen. Ein großes Zelt kam in Sicht, das prunkvoller als die anderen aussah. Hinter sich konnte Jowy ihre Verfolger hören, ihre Schreie, ihre Schritte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das ganze Camp ihnen auf den Fersen sein würde, nur eine Frage der Zeit, bis… „Riou! Hierher!“ Ohne weiter darüber nachzudenken, ergriff er Riou am Arm und zog ihn hinein in das prunkvolle Zelt, das sich so sehr von den anderen um es herum unterschied. Jowy brauchte einen Moment, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen, doch da ertönte bereits eine Stimme, die ihm vage bekannt vorkam. „Wer… seid ihr? … Das ist das Zelt der Königlichen Familie.“ Er blinzelte und starrte die junge Frau – eher noch ein Mädchen – erstaunt an. Oh, Runen. Was tat sie hier…? Große, blaue Augen sahen überrascht zwischen den beiden Jungen hin und her, das schwarze Haar fiel in einer fließenden Kaskade elegant ihren Rücken hinab. Das schulterfreie, rote Kleid mit der grün-blauen Korsage darüber betonte ihre schlanke Figur und sie passte so überhaupt nicht in das Bild des Militär-Camps, dass er völlig überrumpelt war. Er wusste nicht, wie viel Zeit er damit verbracht hatte, Jillia Blight anzustarren, doch er kehrte mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück, als die Schreie von draußen plötzlich viel zu nahe waren. „Wer seid ihr?“, wiederholte die Prinzessin und hob dezent ihre linke Augenbraue. Jowy warf einen nervösen Blick über seine Schulter und sagte dann sehr, sehr leise: „Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.“ Er hielt den Atem an, als er die schweren Schritte hörte, spürte, wie ein einzelner Schweißtropfen seine Schläfe herunterrann. Ihm war unangenehm heiß und dennoch fühlte er, wie ein kalter Schauer seinen Rücken hinunterlief. Das Mal der Rune des Schwarzes Schwerts prickelte auf seiner Haut… „Verzeiht mein Eindringen, Prinzessin – mein Name ist Rowd, ich bin zu Eurem Schutz eingeteilt worden. Zwei Spione des Staates haben sich hier im Camp Zutritt verschafft. Vergebt meine Dreistigkeit, aber wenn Ihr mir erlauben würdet, Euer Zelt zu durchsuchen, nur zur Sicherheit…?“ Er näselte. War seine Nase gebrochen? „Das ist nicht nötig. Bitte geht.“ „Ich versichere Euch, es wird nur einen kurzen Moment…“ „Ich sagte doch, es ist nicht nötig. Danke für Eure Sorge… Aber ich möchte nun allein sein.“ „A-Aber… was, wenn… auf irgendeine Weise…?“ „Ich habe Euch gebeten zu gehen! Oder habt Ihr vor, Euch dem ausdrücklichen Willen einer Lady – und Eurer Prinzessin – zu widersetzen und meine privaten Schlafgemächer zu durchsuchen?“ „N-Nein, Mylady… Natürlich nicht… B-Bitte vergebt mir, Prinzessin.“ Schritte, ein paar gerufene Befehle. Dann… „War das in Ordnung so… Herr Spion?“ Jowy öffnete die Augen und stieß den angehaltenen Atem aus, dann kam er langsam hinter der riesigen Truhe hervor, hinter der er sich verborgen gehalten hatte, zwischen der Zeltwand und dem Lager der Prinzessin. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Riou ihm folgte, dann richtete sich sein Blick auf Jillia, welche die beiden Jungen mit ernstem Gesichtsausdruck beobachtete. Einen Moment lang sagte keiner etwas und die Stille schien unerträglich laut, dann räusperte Jowy sich und sagte: „Vergebt uns… Wir haben Euch überrascht.“ Und bedroht, fügte er in Gedanken hinzu. An der Art, wie sie wieder nur ganz leicht ihre linke Augenbraue hob, erkannte er, dass sie das gleiche gedacht hatte. „Oh, das macht nichts“, erwiderte sie jedoch nach einigem Zögern und schenkte ihnen ein Lächeln. Riou runzelte die Stirn. „Was… meint Ihr?“ Das hätte Jowy auch gern gewusst. Was war hier los? Erst hatte Jillia Rowd hinauskomplimentiert, um ihn und Riou zu decken, nun nahm sie es ihnen nicht einmal übel? „Habt keine Angst“, sagte die Prinzessin mit einem freundlichen Lächeln, ehe sie zu einer kleinen Truhe hinüberging, sie öffnete und ein Teeservice hervorholte. Unter den verblüfften Blicken der beiden Jungen schritt sie dann zu einer Kanne hinüber, die auf dem Tisch in der Mitte des Zeltes stand, und sah zu ihnen herüber. „Ich dachte, ich serviere euch etwas Tee… Immerhin sieht es ganz so aus, als müsstet ihr eine Weile hier bleiben.“ „T-Tee…?“ „Nach Highlander Art gebrüht“, bestätigte Jillia, die seelenruhig die drei Porzellantassen auf den Tisch stellte und die Teekanne in die Hand nahm. „Es ist bei uns üblich, dass man Gästen Tee serviert. Und außerdem…“ Sie warf Jowy einen fast schon kühlen Blick zu. „Würdet Ihr bitte das Messer in Eurer Hand weglegen? Oder ist es in Jowston ein akzeptables Verhalten, dass man seinen Gastgeber bedroht?“ Der Aristokrat zuckte zusammen und starrte das Messer an, das er noch immer fest umklammert hielt. Die Situation fühlte sich absurd, fast schon lächerlich an. Das hier war die Prinzessin von Highland, die Schwester von Luca Blight, und er war… was war er denn? Ein Spion. Ein Landes- und Blutsverräter. Und dennoch servierte ihm dieses Mädchen gerade Tee?! Langsam steckte er das Messer zurück in seinen Stiefel und sah langsam wieder auf in die blauen Augen der Prinzessin. Diese lächelte zufrieden und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, näher zu kommen. „Bitte setzt euch.“ Zögernd tat Jowy wie ihm geheißen und nahm Platz, Riou tat es ihm gleich. Sie vermieden es, sich anzuschauen – beiden war klar, wie abstrus das alles war. Und entweder sie beide waren nun endgültig übergeschnappt, dass sie hier saßen und sich Tee servieren ließen… oder die Prinzessin war es. Nachdem Jillia ihnen die Teetassen zugeschoben hatte, setzte sie sich ebenfalls, ihnen gegenüber mit dem Rücken zum Zelteingang. Wieder sagte keiner etwas. Jowy sah hinunter in seine Tasse, betrachtete die dunkle Flüssigkeit und fragte sich insgeheim, ob Rowd sie vielleicht doch erwischt hatte und das alles nicht lediglich ein Traum war. „Wir haben uns doch schon einmal gesehen, nicht wahr?“, drang dann plötzlich Jillias Stimme an seine Ohren und er hob verwirrt den Kopf. Sie… erinnerte sich? „In Kyaro.“ „Ja…“ Riou räusperte sich und trank einen Schluck Tee. „Ihr erinnert Euch daran?“ „Natürlich“, entgegnete die Prinzessin fast schon ein bisschen empört, wurde aber sofort wieder ernst und sah Jowy an. „Ihr habt etwas gesagt, das mich zum Nachdenken gebracht habt. … Dieses Land hat uns verraten. Ich werde das nie verzeihen. Oder etwas in der Art. Richtig?“ Er sagte nichts, sondern senkte den Kopf. Was sollte er dazu auch sagen? Er wollte nicht einmal mehr daran denken… „Ich…“, begann er, brach jedoch ab und beließ es dabei. „Das letzte Mal, als wir uns trafen, wart Ihr gesprächiger“, bemerkte Jillia nach einer Weile und er sah gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie sie ihm über den Rand ihrer Teetasse hinweg einen eigenartigen Blick zuwarf. Erneut breitete sich Schweigen aus und Jowy rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Er hasste diese Art von Stille! Immerzu hatte er das Gefühl, er müsste irgendetwas sagen. Als die Ruhe unerträglich wurde, räusperte er sich. „Jillia…“ Ah, nein. Das konnte er nicht sagen. „Ich meine – Prinzessin. Was tut Ihr an einem Ort wie diesem?“ Das interessierte ihn wirklich. Allein schon, dass sie sich hier ganz allein aufhielt, in einem Camp voller Soldaten, ohne irgendwelche Hofdamen oder… „Mein Bruder…“, durchdrang Jillias Stimme seine Gedanken. „Luca. Kennt ihr ihn?“ „Er ist ein Monster“, brummte Riou undeutlich und sah demonstrativ nicht in die Richtung der Prinzessin. Entsetzt wandte sich Jowy ihm zu und zischte: „Riou!“ Es war nicht so, dass er nicht derselben Meinung war, ganz im Gegenteil, aber das konnte man doch Jillia Blight nicht ins Gesicht sagen! Sein Freund schnaubte, doch bevor er etwas sagen konnte, erwiderte die Prinzessin: „Nein… Ihr habt wahrscheinlich Recht.“ Sie blickte hinab in ihre Teetasse, die sie mit beiden Händen fest umklammert hielt. „Ich bin seine jüngere Schwester und sogar ich denke manchmal so von ihm. Ich verstehe ihn einfach nicht… Niemand tut es.“ Sie seufzte schwer und schüttelte den Kopf. „Mein Bruder versucht, den Krieg auszuweiten. Am liebsten würde er wahrscheinlich die ganze Welt darin verwickelt sehen… und das, obwohl ein Großteil des Volkes von Highland schon so erschöpft von diesem endlosen Kampf ist…“ Jowy betrachtete sie mitleidig, unschlüssig, was er sagen konnte, um sie aufzumuntern. Sie sah traurig aus und er fragte sich zwangsläufig, wie schwer es die Prinzessin haben musste, ausgerechnet mit Luca Blight verwandt zu sein. Und dann waren da noch die Gerüchte um die Umstände ihrer Geburt… Von seinem Stiefvater hatte er nicht selten ein schlechtes Wort über Jillia Blight gehört. Und es hatte so viele Gespräche im Haus gegeben, darüber, dass sie ein uneheliches Kind der Königin war, dass sie in Schande empfangen worden war… Natürlich war das alles hinter vorgehaltener Hand gesprochen worden, aber dennoch… Wie viel hatte diese junge Frau in ihrem Leben schon ertragen müssen? „Ich glaube langsam, dass er etwas wirklich Böses plant…“, fuhr die Prinzessin mit unsteter Stimme fort. „Bis jetzt habe ich eigentlich immer gedacht, dass ich ihn irgendwie aufhalten könnte, dass ich ihn zur Vernunft bringen könnte, aber… ich glaube nicht, dass das überhaupt möglich ist. Nicht, nachdem ich dieses Armeelager gesehen habe. Er würde mir niemals zuhören…“ Sie schluckte. „Für meinen Bruder bin ich nur ein weiterer Feind, fürchte ich.“ Vielleicht… war ja doch etwas Wahres an den Gerüchten… „Als Prinzessin – und vor allem als Frau – bin ich in meinen Möglichkeiten sehr eingeschränkt“, murmelte Jillia. „Das ist…“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Dann zuckte sie zusammen und sah nervös zwischen den Jungen hin und her. „Oh, bitte verzeiht mir – ich… hätte nicht so viel sagen dürfen. D-Der Tee ist bestimmt schon ganz kalt…“ Riou reagierte schneller als Jowy und versicherte der völlig aufgelösten Prinzessin, die scheinbar angestrengt die Tränen wegblinzelte, dass der Tee noch völlig in Ordnung war, während der Aristokrat ihre Worte noch verarbeiten musste. Sein Mitleid für sie regte sich wieder. Es konnte doch nicht sein, dass sie niemanden hatte, der ihr zuhörte… und sie dazu gezwungen war, sich zwei völlig Fremden anzuvertrauen. „Es scheint, als hätte sich der Tumult draußen fürs Erste gelegt“, sagte Jillia irgendwann zögerlich. „Vielleicht solltet ihr jetzt gehen…?“ „Oh“, machte Jowy etwas perplex. „Ja.“ Er hatte fast vergessen, dass sie ja eigentlich auf der Flucht waren. „Danke für den Tee.“ Riou erhob sich und lächelte die Prinzessin aufmunternd an. „Und… tut uns leid, dass wir Euch gestört haben.“ „Es war… angenehm“, entgegnete Jillia und lächelte ebenfalls etwas, ehe der Blick ihrer blauen Augen sich Jowy zuwandte. „Lebt wohl. Ich denke nicht, dass wir uns wiedersehen werden…“ „Passt auf Euch auf“, erwiderte der Aristokrat und neigte den Kopf in einer Art Verbeugung. Es fühlte sich seltsam und unwirklich an, jetzt zu gehen, sie hier zu lassen, bei ihrem wahnsinnigen Bruder und all den Männern, die ihm folgten… Während Riou vorsichtig nach draußen spähte, um sich zu vergewissern, dass ihnen keiner auflauerte, warf Jowy einen letzten Blick zurück zur Prinzessin, die irgendwie verloren in dem großen Zelt zurückblieb. Er hoffte inständig, dass ihr nichts geschehen würde. Als sie nach draußen traten, stellten sie fest, dass es wieder zu regnen begonnen hatte. Sie sahen ein paar Männer hin- und herlaufen und Jowy atmete tief durch. „Lass uns abhauen“, raunte er Riou zu. Dieser nickte und sie setzten sich in Bewegung, zielstrebig, nur weg von diesem Ort. Sie mussten es schaffen, sie mussten einfach. So weit war es gar nicht und außerdem… „Ich wusste es… die Prinzessin hat also doch gelogen.“ Rowd. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)