Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 17: Jäger des verlorenen Schatzes ----------------------------------------- Selbst nachdem Jowy Alex durch den kleinen Wald hinter dem Gasthaus folgte, wollte sich bei ihm kein gutes Gefühl einstellen, was diese Schatzsuche anging. Beim Betrachten seiner Gefährten jedoch fiel ihm auf, dass nur Riou und Hanna leichte Zweifel ob ihrer Mission zu haben schienen. Riou hatte die braunen Augen leicht verengt, er schien sich zu konzentrieren; Hannas Gesichtszüge waren düster und nicht zu lesen. Ziemlich bald erhoben sich Ruinen aus dem Boden, eingestürzte Säulen, ein paar zerfallene Hütten. Und dann war da ein riesiges, nur leicht vom Zahn der Zeit betroffenes Gebäude, dessen gewaltige Steintür voller Schriftzeichen und eigentümlicher Malereien war. „Das ist es“, sagte Alex und blieb stehen. „Ist es nicht wunderschön? Schaut euch mal dieses Relief an!“ Er deutete vage auf die Inschriften an der Tür und Jowy sah genauer hin. Irgendwie kamen ihm diese Schriftzeichen seltsam bekannt vor… „Ist das Sindarin?“, fragte er erstaunt, als ihm einfiel, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Überrascht sah Alex ihn an und nickte dann: „Ja. Diese Ruinen wurden vom verlorenen Volk der Sindar zurückgelassen.“ Jowy sah hoch zu den kunstvoll ausgearbeiteten Reliefen auf der Steintür und fühlte sich plötzlich sehr, sehr klein. Nicht viel war über die Sindar bekannt. Man wusste nur, dass sie die Hüter der Rune des Wandels waren, ewig dazu verdammt, die Welt zu bereisen und sich niemals zur Ruhe setzen zu können. Jowy hatte viel über die verschiedenen Ruinen gelesen, die von diesem Volk zurückgelassen worden waren, und viele von ihnen waren Schätzungen zufolge älter als ganze Länder. Und doch wusste niemand Genaueres über die Sindar; es war fast so, als seien sie ein Volk von Geistern, unsichtbar für den Rest der Welt, die lediglich ihre Spuren in Form von uralten Tempeln hinterließen… „Wow, Jowy!“, drang Nanamis Stimme durch seine Gedanken und er musste blinzeln, als er in die Wirklichkeit zurückkehrte. „Du bist so schlau! Woher wusstest du das?“ Er spürte ihren bewundernden Blick auf sich, schüttelte jedoch schnell den Kopf und stellte klar: „So schlau bin ich gar nicht… Ich habe es nur einmal im Büro meines Vaters gesehen, das ist alles.“ „Oh.“ Er hatte halb erwartet, dass Nanami weiterbohren würde, doch sie bewies überraschendes Taktgefühl und ließ es dabei bewenden. Dafür warf er ihr einen dankbaren Blick zu. „Ich habe jahrelang an diesen Ruinen herumgeforscht!“, erzählte Alex, während er ein paar Stufen zur der großen Tür hinaufstieg. „Zeitweise hab ich schon geglaubt, das wäre alles nur Einbildung, aber…“ Sie sahen ihm dabei zu, wie er aufmerksam über die Inschriften strich und einzelne der Schriftzeichen zu drücken schien. Und dann spürte Jowy plötzlich, wie der Boden unter seinen Füßen zu vibrieren begann. Alarmiert starrte er die Steintür an, die mit lautem Grollen und Knirschen langsam aufglitt, bis sie schließlich den Durchgang ins Innere der Ruinen freigab. „Das ist es“, flüsterte Alex aufgeregt. „Ich wusste, dass das keine gewöhnlichen Ruinen sind!“ Er atmete tief durch und drehte sich dann zum Rest der Gruppe um. „Hört mal… Da drin könnte es vielleicht Monster geben, also… sollten wir vorsichtig dort reingehen.“ „Hast du nicht gesagt, dass es sicher ist?“, fragte Jowy stirnrunzelnd und der Wirt grinste. „Ich habe gesagt, dass es kein Problem für euch sein wird. Da gibt es Unterschiede.“ Der Aristokrat seufzte ergeben und folgte Alex hinein ins Innere des gewaltigen Gebäudes. Zum Umkehren war es jetzt ohnehin zu spät. Die Sindar-Ruinen waren der eigenartigste Ort, an dem sich Jowy jemals befunden hatte. Da gab es eingestürzte Gänge, Sackgassen und Wege, die ins Nirgendwo führten, und eine Zeit lang waren sie sogar gezwungen, durch das kniehohe Wasser eines Kanals zu waten, da der eigentliche Weg von wuchernden Schlingpflanzen versperrt wurde. Und die ganze Zeit hatte Jowy das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Dies war allerdings schwer nachzuprüfen, da Zamza ununterbrochen darüber jammerte, dass seine Kleidung zu teuer gewesen war, um sie durch Dreck, Schlamm und Pflanzen zu schleppen, dass er sich wohl lieber gleich einen Kartoffelsack hätte anziehen sollen und warum im Namen aller Runen ihn eigentlich niemand vorgewarnt hatte. Doch Jowy beruhigte die Tatsache, dass auch Riou, Hanna und Gengen sich ebenfalls beobachtet fühlten. „Böse Dinge hier“, knurrte Gengen, als sie den Kanal endlich verlassen und auf den gepflasterten Weg zurückkehren konnten. „Gengen nicht gefällt dieser Ort!“ „Er hat Recht“, nickte Riou nachdenklich. „Es ist zu ruhig.“ „Was redet ihr denn da?“, widersprach Alex ihnen. „Es ist so ruhig, weil hier keiner ist, das ist doch offensichtlich! Diese Ruinen sind uralt, das einzige, was ihr hier noch findet, ist Staub.“ „Tu mir einen Gefallen“, brummte Hanna plötzlich düster und ergriff den aufgeregten Wirt am Oberarm. Dieser sah erschrocken zu der viel größeren Kriegerin auf und stammelte: „Ä-Äh, ja?“ „Bleib, wo ich dich sehen kann.“ Sie standen an einer von unzähligen Kreuzungen und Jowy war eigentlich ganz froh, dass Hanna von Zeit zu Zeit Markierungen in die Wände des Labyrinths schlug, durch das sie wanderten; er war sich sicher, dass er allein den Weg zurück nicht mehr gefunden hätte. „Warum?“, fragte Alex verwirrt. „Hab ich etwas Falsches gemacht? Es ist ja nicht so, als-“ Er unterbrach sich, als plötzlich etwas Dunkles und Unförmiges auf ihn zuschoss. Es ging viel zu schnell, als dass Jowy noch hätte reagieren können, da hatte Hanna den Wirt auch schon unsanft zur Seite gestoßen und in der gleichen Bewegung ihr Schwert gezogen, um den Angreifer mit einem kräftigen Hieb in zwei Teile zu trennen. Dunkles Blut traf die Kriegerin dabei im Gesicht, benetzte ihre Kleidung, ihre Waffe und den Boden, doch sie verzog keine Miene, sondern drehte sich nur zu dem verschreckten Alex um und knurrte: „Deshalb.“ „Oh“, machte dieser und schluckte schwer, heftig atmend noch einen halben Schritt zurückweichend. „Okay, verstanden.“ Während sich Riou, Gengen und Jowy über das seltsame Wesen beugten, dass da aus den Schatten gesprungen war, reichte Nanami Hanna ein Tuch, damit die Kriegerin wenigstens den Großteil des Blutes im Kanalwasser abwaschen konnte. „Wie das stinkt!“, hörte er Hanna noch sagen, ehe sich seine Aufmerksamkeit vollständig dem in zwei Hälften geteilten Wesen zuwandte. Auf den ersten Blick hielt er es für eine humanoide Echse, deren abartig pink-geschuppte Haut matt in der Sonne glänzte, die das Labyrinth erhellte, dann jedoch fiel ihm auf, dass es außer der schuppigen Haut nichts mit einer Echse gemein hatte. Das Wesen hatte drei dünne, fast lianenartige Füße, die aus einem einzigen Bein herauswuchsen und sah zumindest untenherum einer Schlingpflanze verdächtig ähnlich. Die obere Körperhälfte bestand aus zwei krallenbesetzten Händen mit je drei Fingern, einem langen, langen Hals und… einem Auge. Jowy rümpfte die Nase, als der Gestank des dunkelroten Blutes ihn erreichte, beugte sich jedoch noch weiter vor, um sich zu vergewissern, dass er wirklich ganz richtig sah. Aber tatsächlich. Das Wesen hatte keinen Kopf… jedenfalls keinen, den er als solches identifizieren konnte. Prompt schauderte der Aristokrat etwas. „Das gefällt mir ganz und gar nicht“, bemerkte Riou kopfschüttelnd. Gengen legte die Ohren an, schnupperte an dem zweigeteilten Leichnam und knurrte leise. „Mir auch nicht“, bestätigte Jowy und sah dann zurück zu Nanami und Hanna, die gerade wieder zu ihnen stießen. „Ich bin an Blut gewöhnt“, sagte die Kriegerin düster, „aber dieser Gestank macht mich wahnsinnig…“ „Lasst uns hier verschwinden“, schlug Zamza vor, dessen Mecker-Lust plötzlich verschwunden zu sein schien. „Bevor noch mehr von den Biestern auftauchen.“ Das ließen sich die anderen nicht zwei Mal sagen, also setzten sie sich schnell in Bewegung. Doch je weiter sie ins Innere der Ruinen vordrangen, desto mehr hatte Jowy das Gefühl, dass sie verfolgt wurden. Es wurde immer extremer und irgendwann hätte er schwören können, aus den Augenwinkeln heraus Bewegungen wahrzunehmen, doch wann immer er sich umdrehte, um sicherzugehen, dass dort keiner war, begegnete er nur Nanamis überraschtem Blick, die hinter ihm ging. „Stimmt etwas nicht, Jowy?“, fragte sie schließlich und er zuckte die Achseln. „Ich hab einfach ein mieses Gefühl…“ Kaum hatte er das gesagt, blieben Riou und Alex, die die Gruppe anführten, auch schon stehen. Sie hatten erneut eine Kreuzung erreicht und aus allen drei Abzweigungen vor ihnen waren einäugige Wesen aufgetaucht. Es war mindestens ein Dutzend und alle Exemplare sahen besorgniserregend blutrünstig aus… „Hanna“, sagte Nanami alarmiert und zückte ihren Nunchaku, „ich glaube nicht, dass sie über den Tod ihres kleinen Freundes sonderlich erfreut sind.“ „Hab ich mir gedacht“, erwiderte Hanna, während sie ihr Schwert zog. Jowy umklammerte seinen Stab und spürte, wie Adrenalin durch seine Adern peitschte. Mit einem Kampf hatte er zwar nicht gerechnet, doch plötzlich war er unglaublich froh, dass sie Pilika bei Hilda und ihrem kleinen Sohn Pete gelassen hatten. „Du“, kommandierte Zamza, ergriff Alex am Kragen und zog ihn aus der ersten Reihe zurück, „bleib hinter mir, verstanden?“ „S-Sicher“, nickte Alex und Jowy vergewisserte sich, dass der Wirt sich tatsächlich aus der Gefahrenzone begeben hatte. Dann tauschte er einen Blick mit Riou, der seine Tonfa bereit hielt und sich auf einen Angriff der wütenden Wesen gefasst zu machen schien. Er spürte, wie seine rechte Hand zitterte. Spürte, wie die Rune des Schwarzen Schwertes in seinen Gedanken zu flüstern schien, wie sie ihn fast schon dazu aufforderte die Macht zu nutzen, die sie ihm verlieh. Aber es war zu früh, das wusste Jowy einfach. Er konnte die Rune noch nicht benutzen… nicht, wenn sein Stab noch genug war, um den Angriff abzuwehren, der da kommen würde. Und er kam. So plötzlich, wie die schuppigen, einäugigen Wesen aufgetaucht waren, griffen sie auch an – die Hälfte von ihnen bewegte sich blitzschnell auf die kleine Gruppe zu, die langen Hälse mit dem Auge daran wie Morgensterne schwingend, während die andere Hälfte an Ort und Stelle blieb und die Gefährten mit sechs aufgerissenen Augen anstarrte. Jowy stieß mit dem Stab eher zufällig in eines der Augen, die in seine Richtung schwangen, und das getroffene Monster erzitterte am ganzen Leib, ehe es plötzlich hoch sprang und mit seinen Krallen nach ihm schlug. Geistesgegenwärtig hielt er den Stab waagerecht, sodass das Wesen dagegen prallte und wieder zurück zu Boden fiel. Sofort stieß er in das weit aufgerissene, blutunterlaufene Auge und wandte sich instinktiv ab, als es plötzlich wie eine überreife Frucht aufplatzte und alles um ihn herum – inklusive ihm selbst – mit dunkelroten Blut bekleckerte, das beim Aristokraten einen gewaltigen Würgereiz auslöste. Doch er hielt sich nicht lange mit dem getöteten Monster auf, da bereits das nächste auf ihn zusprang. Jowy fuhr herum und ergriff seinen Stab mit einer Hand am unteren Ende, während er ihn herumschwang; damit erfasste er gleich zwei der Biester, die etwa einen Meter zurückgeschleudert wurden, wo Gengen und Hanna die Chance nutzten, um ihnen den Garaus zu machen. Nanami stieß einen Schrei aus und trat nach dem Wesen, das sie angriff, wonach sie ihm den Nunchaku mit voller Wucht über den Kopf zog. Auch sein Auge zerplatzte und das Mädchen wich mit einem erschrockenen Laut zurück, als das stinkende Blut in ihre Richtung spritzte. Derweil hatte Riou seinen Gegner mit einem der Tonfa an die Wand gedrängt, dann schlug er ihm mit dem anderen gegen den Hals; der Schlag war so kräftig, dass der dünne Hals tatsächlich durchtrennt wurde und eine dunkle Fontäne die Wand rot färbte. „Die Hälfte hätten wir“, bemerkte Hanna, die ihr Schwert umklammert hielt und abwartete, ehe sie den nächsten Schritt machte. „Aber was hat der Rest vor?“ Das fragte sich Jowy allerdings auch. Die restlichen sechs Zyklopen standen nur da und starrten die sechs Menschen und den Kobold an; ihre Augen schienen immer rötlicher zu werden. Seine Anspannung wuchs mit jedem Moment, der verging. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Einerseits wollte er angreifen und so schnell es ging hier verschwinden, aber andererseits wusste er nicht, ob nicht jede seiner Bewegungen womöglich seine letzte war. Und so verharrten alle, wo sie waren, während die Spannung in der Luft fast greifbar wurde… Bis aus den Augen der Zyklopen plötzlich dunkelrote Strahlen gebündelten Lichts schossen. Einer der Strahlen streifte Jowys rechte Seite und einen Augenblicklang hatte er das Gefühl, dass seine Haut von der Hitze Blasen schlug. Dann breitete sich ein jäher, brennender Schmerz in seiner rechten Torso-Hälfte aus und er wurde von der Wucht des Strahls auf den Rücken geschleudert. „Argh!“ Er hörte Nanami kreischen und Gengen winseln, doch er konnte nichts von alledem sehen, weil die Schmerzen ihm kurzzeitig die Sicht nahmen. Und als er endlich wieder etwas sehen konnte, waren die Monster bereits auf dem Weg zu ihnen. Das Flüstern der Rune in seinem Kopf wurde lauter, stärker und fast gab er nach und nutzte die Macht, die in seinem Inneren pulsierte, doch dann spürte er eine andere Kraft, so ganz anders als seine, aber sie war ihm nicht unbekannt. Es war die stille Präsenz der Rune des Hellen Schilds. Riou. Mühsam hob er seinen schmerzenden Oberkörper an und sah seinen besten Freund auf dem Boden knien, mit schmerzverzerrtem Gesicht, die rechte Hand in die Luft gestreckt. Das Mal der Rune glühte in einem geheimnisvollen, hellgrünen Licht über ihrem Träger und umgab Rious Hand. Im nächsten Moment wurde Jowy von dem hellgrünen Licht geblendet, doch er fühlte, wie die Kraft der Rune des Hellen Schilds jäh in seinen Körper fuhr. Die Präsenz der Rune des Schwarzen Schwerts tobte plötzlich in seinem Inneren, seine Hand erzitterte unter der Wut der Rune plötzlich unkontrolliert, aber schon einen Augenblick später war alles vorbei. Die Macht von Rious Rune zog sich überraschend sanft aus seinem Bewusstein zurück und das erste, was Jowy spürte, war, wie seine eigene Rune sich wieder beruhigte. Dann merkte er, dass er keine Schmerzen mehr hatte, und als er an die Stelle sah, an welcher der Strahl, der ihn getroffen hatte, sein Oberteil angesengt hatte, stellte er fest, dass die schwere Verbrennung, die sich nur kurz vorher noch dort befunden hatte, verschwunden war. Hanna und Zamza erholten sich am schnellsten von der Überraschung; sie sprangen auf und stürzten sich auf die verbleibenden Zyklopen, die orientierungslos und schwankend auf einer Stelle standen… offensichtlich hatte das grelle Licht der Rune den Monstern schwer zugesetzt. „Nehmt das, ihr Mistviecher!“, schrie der Feuermagier wütend und sandte einen Schwall Flammen auf die wehrlosen Biester. „Ihr habt genug von meiner Kleidung zerstört!“ Jowy war sich sicher, dass die Zyklopen geschrieen hätten, wenn sie Münder gehabt hätten, als das Feuer sie traf, denn der Schmerz spiegelte sich nur allzu deutlich in deren Augen. Doch er empfand kein Mitleid – eher Genugtuung, als Gengen dem letzten Biest entschieden den Kopf abschlug. Während der Kobold, Hanna und Zamza erst einmal tief Luft holten, richtete sich Jowy überraschend schnell auf und sah wieder zu Riou. Dieser lehnte verdächtig blass an einer Wand und atmete schwer. Er wirkte erschöpft. „Riou“, rief der Aristokrat alarmiert, „ist alles in Ordnung?“ „Ja“, beruhigte sein bester Freund ihn und grinste schief. „Ich kann die Rune nur noch nicht ganz kontrollieren…“ Tatsächlich kehrte die Farbe bereits in Rious Gesicht zurück. „Wisst ihr“, hauchte Alex irgendwo hinter ihm, „ich bin richtig froh, dass ich euch mitgenommen habe…“ Er lachte nervös und Jowy seufzte leise. Fürs Erste war die Gefahr gebannt… aber das Flüstern der Rune in seinen Gedanken warnte ihn eindringlich davor, dass dies erst der Anfang gewesen war. Nachdem sie das Blut der Zyklopen so gut es ging im Kanal abgewaschen hatten, der sich glücklicherweise ganz in der Nähe befand, setzten sie sich wieder in Bewegung. Doch sie waren gar nicht weit gekommen, da ergriff Nanami Jowy und Riou auch schon am Kragen und hielt sie zurück, bis sie das Schlusslicht der Gruppe bildeten. „Was war das?“, verlangte sie zu wissen und warf ihrem Bruder wieder diesen Blick zu, mit dem sie immer sämtliche Informationen aus ihm geholt hatte, die sie hatte haben wollen. „Was war was?“, versuchte sich Riou halbherzig herauszureden, doch Nanami ging nicht darauf an. „Du weißt ganz genau, was ich meine! Ich will wissen, was für eine Rune das war und woher du sie hast, Riou!“ Dann wandte sie ihren forschenden Blick Jowy zu und ergriff ihn an dem Handgelenk, das sie gestern erst verbunden hatte. „Und du hast auch eine!“ Erst, als Nanami nicht gerade sanft sein vermeintlich geprelltes Handgelenk ergriff, wurde ihm klar, dass der Schmerz darin gemeinsam mit der Verbrennung verschwunden war. Also hatte die Rune des Hellen Schilds heilende Kräfte…? Kurz war Jowy versucht, mit der Sprache herauszurücken, entschied sich dann jedoch dagegen. Es war zwar nicht so, dass er Hanna, Zamza und Gengen nicht vertraute – Alex gar nicht erst mitgerechnet – aber irgendwie erschien ihm die Herkunftsgeschichte der Rune auf seiner rechten Hand zu intim, als dass er sie jetzt erzählen wollte. Riou schien ähnlich darüber zu denken: „Ich erzähle es dir, sobald wir einen ruhigen Moment haben. Versprochen.“ „Ich will es aber jetzt wissen!“ „Nanami, bitte.“ Jowy sah sie flehend an und nachdem sie seinen Blick einen Moment lang wütend erwidert hatte, seufzte sie und brummte: „Na gut. Aber glaubt ja nicht, ich würde es vergessen!“ „Keine Sorge“, entgegnete der Aristokrat und grinste. „Du hast das Gedächtnis eines Griffons…“ Nanami sagte daraufhin nichts, sondern beschleunigte nur ihren Schritt, um die anderen einzuholen und den Abstand nicht allzu groß werden zu lassen. Riou und Jowy wechselten einen Blick und taten es ihr gleich. Schließlich erreichte die kleine Gruppe das Ende des Gangs, dem sie gefolgt waren. Vor ihnen befand sich eine große Steintür, zu der Alex augenblicklich eilte, um sie zu öffnen, während Jowy sicherging, dass ihnen niemand mehr folgte. Als er sich wieder umdrehte, bemerkte er eine seltsame Statue, die fast direkt vor der Tür stand und halb von Hanna verdeckt wurde. Es war die kunstvoll gearbeitete Steinfigur einer zweiköpfigen Schlange, die eins ihrer Mäuler weit geöffnet hatte, und ihn bedrohlich anzustarren schien. Jowy schauderte. Eine Schlange. Musste es denn ausgerechnet eine Schlange sein?! Er hatte kein Problem mit Spinnen, Käfern, engen Räumen oder der Dunkelheit, aber Schlangen… Er erinnerte sich mit Schrecken daran, wie er als Kind einmal von einer kleinen Schlange gebissen worden war, als er Riou hatte besuchen wollen. Die Angst vor diesen Reptilien war nie ganz verschwunden und dementsprechend mulmig war ihm, als er die Statue betrachtete. „Habt ihr die Statue gesehen?“, fragte er und riss sich stark zusammen, damit seine Stimme nicht allzu panisch klang. „Wird wohl irgendeine Gottheit sein“, winkte Zamza ab. „Es ist immerhin ein altes Volk“, stimmte Nanami ihm zu, doch Jowy schüttelte den Kopf: „Die Sindar hatten keine Gottheiten… Sie haben ihre Existenz ganz der Rune des Wandels verschrieben.“ „Dann ist es eine Warnung“, sagte Hanna und klang dabei nicht gerade begeistert. „Die sie vielleicht hätten früher aufstellen sollen, jetzt, wo wir hier sind…“ In diesem Moment schaffte Alex es, die Tür zu öffnen, und sie blickte in einen langen Gang hinein, der mitten in den Fels vor ihnen zu führen schien. „Na also“, sagte der Wirt zufrieden. „Wir sind fast da!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)