Geister der Weihnacht von FreeWolf (Weihnachten 2009) ================================================================================ Kapitel 3: Lachen | Der Geist der Zukünftigen Weihnacht ------------------------------------------------------- Lachen | Der Geist der zukünftigen Weihnacht Zum Titel: ich war müde, hatte die Nerven weg und mein morbider Sinn für Humor hat sich mal wieder gemeldet. xD Man merkt langsam, dass die ganze Aktion eigentlich nicht so viel mit Weihnachten zu tun hat – außer vielleicht, dass alles am Weihnachtstag spielt. Und ja, die zukünftige Weihnacht kommt vor der Gegenwärtigen – dieselbe kommt nämlich schön an Weihnachten bzw. einem der Feiertage. Ich hoffe, ihr seid mir deshalb nicht böse? *lieb guck* *Das Russische im Text* -Sdrastvuj, moj drug » Grüß dich/Hallo, mein Freund -Dobrij wjetschir tej toshe, drug » Guten Abend auch dir, Freund Ich übernehme keine Haftung für die Richtigkeit des Russischen, weil ich vollkommene Russisch-Anfängerin den zweiten Gruß schnöde vom Deutschen heraus übersetzt habe. Wer also Fehler findet: teilt sie mir doch mit. Mein 3. Ich (die Russlandfanatin) freut sich darüber und schickt Kekse zurück.;3 Widmung: für Jeschi, weil du meinen kranken Humor teilst und ich dich (natürlich) gerne hab*drück* XD -_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_- Da stand er nun. Er hatte sein Ziel erreicht. Das Gebäude vor ihm brannte lichterloh, höher, als er es sich in seinen kühnsten Träumen hatte vorstellen können. Gleichzeitig fiel Schnee rund um ihn herum, schwarz gefärbt von Asche und Ruß, und bedeckte den Boden. Die Flammen schlugen immer höher, und erreichten nun auch die letzten Sprengladungen. Sie zündeten sich rasch nacheinander, hüllten das große Gemäuer in eine dichte Wolke aus Rauch und Asche, aus chemischem, schwarzen Qualm und zusammenbrechenden Mauern. Später würde man nichts mehr von der Brandstiftung finden. Die Flammen erreichten auch die Laboratorien in den Untergeschossen, und ein Meer bunter Lichter blitzte auf, hüllte die gesamte Umgebung in taghellen Schein. Schreie tönten über die Ebene, die nicht irdischer Wesen waren, die soeben die Freiheit gefunden hatten. Die Umgebung schien zu erbeben und über ihm im weiten, von schwarzen Wolken verhangenen Himmel wogte ein buntes Lichtermeer. Blitze aller vorstellbaren Farben tauchten die Wolken in ein Farbenmeer. Er hatte sein Ziel erreicht, auf das er sein Leben lang hin gearbeitet hatte. Ihm war nach Lachen zumute. *~* Er rannte. Es war etwas, was er schon lange und sehr gut beherrschte. Jahrelang, wenn nicht gar sein ganzes Leben hatte er nichts anderes getan, als zu fliehen. Er war gerannt, schon als kleines Kind, immer weiter, immer schneller, immer höher. Es hatte ihm nichts gebracht. Der Schnee lag noch nicht hoch, und – wie er sich mit einem kurzen Blick gen Himmel überzeugen konnte – es würde noch in dieser Nacht in absehbarer Zeit zu schneien beginnen. Die Wolken hingen grau und tief über seinem Kopf, schafften die erforderliche Dunkelheit um ihn herum, um ihn in seinem grauen Mantel nicht auffallen zu lassen. Eine ferne Turmuhr schlug. Es wäre Wachablöse. Doch sie würde nie mehr kommen. Er rannte los, doch diesmal nicht um zu flüchten. Dieses Mal wollte er sich der Herausforderung stellen und eindringen in den Ort, der so viele Schrecken und Erinnerungen für ihn barg. Er spürte die kalten, rauen Steinwände an seinem Rücken als er sich an ebendiese presste, um einen Moment zu Atem zu kommen. Sein Atem ging in winzigen, weißen Wölkchen in die Luft, als er versuchte, seinen Atem halbwegs zu beruhigen. Das Gemäuer zu seinem Rücken fühlte sich irgendwie vertraut an, als wäre er hier bereits tausende Male auf einem von unzähligen Streifzügen vorbeigekommen. Obgleich er sich wieder erinnern konnte, belog er sich noch immer selbst, sagte sich: »Hier komme ich nicht her« Er nutzte den Schatten der Mauer, tastete sich vor, huschte so leise er konnte an der Wand entlang hinein in das verdunkelte Gebäude, dessen Zugang mit Brettern verrammelt war. Die Bretter hinderten ihn nicht. Sie hatten ihn niemals gehindert, von hier fortzukommen, auch als sie noch gar nicht da gewesen waren. Er kannte einen jeden Winkel, hatte sogar noch die Wege der Wachen im Kopf, deren schemenhafte Schatten er sich im Dunkel des Gebäudes einbildete. Doch nein, da war nichts. Überhaupt nichts. Er schüttelte den Kopf. Er war hier aufgewachsen – diese tausenden Streifzüge, die er unternommen hatte. Alleine oder gemeinsam mit anderen war er zur Küche geschlichen, um noch einen Bissen abzubekommen von einem der mitleidigen Köche, die hier gearbeitet hatten. Sie hatten gemeinsam Freud und Leid hier erlebt und geteilt. Die weißen Wölkchen verloren durch seinen kontrollierten Atem an Kontrast. Es wurde Zeit, die Erinnerungen zuzulassen. Es wurde Zeit, die letzten Schleusen zu brechen. Durch den Kreuzgang kam er in einen kleineren Hof hinter der Kirche, die dem Kloster eigen war. Er blickte sich kurz um, vom hohen Zwiebelturm über den in Dunkelheit liegenden Kreuzgang zu den Kreuzen. Es war der Friedhof, völlig zerstört und überwuchert. Manchmal waren es bloß Steinplatten, über die er kurz andächtig strich. Da waren Kreuze aus Metall, Stein oder Holz, manchmal waren es sogar kleine Statuetten und manchmal war es auch bloß eine Steinplatte, die aufgestellt worden war. Nirgends war ein Name zu sehen – einzig die Gräber kündeten von der trostlosen Anwesenheit der Toten an diesem Ort. Er streifte durch die Reihen, und schließlich stand er vor einer einfachen Steinplatte. Sein Blick ging in weite Ferne, hinter der schweren Lesebrille sahen die graublauen Augen kleiner aus, als sie es waren. Nachdenklich strich der Atem über seine leicht geöffneten Lippen. Hier.. Er war sich nicht sicher, was der dumpfe Gedanke, der dumpfe Schmerz zu bedeuten hatte, welcher über ihm zuschlug und ihn fortriss wie eine Welle. Es zog ihn in die Tiefe. Hier.. Hier war er ihnen – IHM – zum ersten Mal begegnet. Hier hatte er ihn zu Grabe getragen. Hier hatte er seine Hoffnungen und Träume begraben und beinahe selber ein Ende gefunden. Hier waren sie vom Teufel höchstpersönlich entweiht und zu seinen Sklaven gemacht worden. Er fröstelte und fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Taten, Geschehnisse vergangener Tage bestürmten ihn, welche er hatte vergessen wollen. Er wollte sich noch verstecken, doch dies war ihm nicht mehr möglich. Er hatte sich so lange gewünscht, es sich vorgestellt, wie es gewesen wäre, als jemand anderes Geboren zu werden. Er hätte nie existiert. Von einem Moment auf den anderen überfiel ihn die lange verdrängte Trauer. Er fiel auf die Knie, schlug mit den Fäusten auf den weiß gepuderten Boden ein. Der Pulverschnee stob auf, bedeckte ihn, und vielleicht war es das eisig kalte, beißende Gefühl auf seiner Haut, das ihn dazu bewegte, sich wieder aufzurappeln. Tränen brannten ihm in den Augen. Hier lag jemand begraben, der ihm einmal sehr viel bedeutet hatte, der ihm hin und wieder noch immer erschien. Hier lag er, seit Jahren. Bedeckt von Stein und Staub, von Erde und Eis, von Tränen und von Blut. Nun, da die Schleuse der Erinnerungen einmal geöffnet war, konnte sie nicht mehr geschlossen werden. Er rappelte sich langsam auf, während er sich auf seinen Stock stützte. Ihm schwindelte angesichts des riesenlangen Stroms, welcher ihn fortreißen wollte, ihn ertränken wollte, nun, da diese Urgewalt einmal entfesselt war. Mühselig stolperte er weiter, immer weiter. Er lief einen jeden Gang entlang, auch die, die er niemals zuvor betreten hatte. Der Schlag des Stockes hallte bei einem jeden Schritt in den menschenleeren und vergessenen Gängen. Er würde niemandem begegnen – es waren schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergangen, seit dieser Gebäudekomplex offiziell geschlossen worden war. Das einzige, das er antraf, waren seine verstaubten, verblassten Erinnerungen, die hier warteten – kein Lebender, kein Geist, viel mehr Schatten. Er war hier, um diesen Schatten endlich ein für allemal zur Ruhe betten zu können. Er kam in einen Trakt, den er am liebsten ausgelassen hätte. Die Schlafsäle. Sie waren aufgebrochen worden, von Obdachlosen auf der Suche nach Wertsachen verwüstet, doch größtenteils intakt. In einem der Säle – dem mit den großen Fenstern, die nun alle halb vernagelt waren – hatte auch er einst genächtigt. Er war noch da. Die Fenster fehlten, und wahrscheinlich würde seine Gicht nicht besser in der Zugluft, doch er musste hier verharren, in dem Friedhof für Träume mit den rostigen, quietschenden Bettgestellen ohne Matratzen. Oh ja, sie hatten ein entbehrliches Leben geführt. Trotzdem war immer eine Decke mehr für die dagewesen, die gefroren hatten, ein Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit am Tag und eine Heimat, wo Menschen waren, die auf einen warteten. Und dann sah er auf einmal, wie der Staub um ihn herum sich verdichtete. Matratzen kamen zurück, die Fenster wurden freigelegt und Mondlicht schien herein. Eine große Schar von Kindern hatte sich um einen Jungen geschert, dessen geisterhafte Lippen aus Traumgespinst sich bewegten, jedoch ohne ein Geräusch zu verursachen. Am gebannten von allen lauschte einer der stärkeren, eines der Straßenkinder, die den Schlafsaal endgültig bezogen hatten. Er erinnerte sich gut daran, wie auch er damals zugehört hatte, gebannt von der Stimme, die erzählte und die von dem kleinen Rotschopf stammte, dessen geisterhafte Augen er heute noch immer sah, wann immer er in den Mond blickte, die immer hell in der Dunkelheit geschimmert hatten. Er schüttelte den Kopf, murmelte „Humbug“ über seine alten, senilen Gedankengänge und humpelte weiter, dieses Mal etwas hastiger als zuvor. Er war neugierig, was in dem kleineren Schlafsaal auf ihn wartete. Dort hatten sie später geschlafen, zu zweit, er und – ausgerechnet! – der kleine Geschichtenerzähler. Nichts war verschoben oder berührt worden, in all den Jahren. Der Staub lag meterdick, doch es störte ihn nicht. Er war doch selbst schon als und verstaubt. Vorsichtig humpelte er vorwärts, mitten in den Raum. Selbst die Matratzen waren noch da, und er ächzte, als er sich auf die staubige, harte Unterlage sinken ließ. Er glaubte, seine alten, morschen Knochen knarren zu hören. Es dauerte nicht lange, da zeigten sich seinen graublauen Augen die nächsten Illusionen von Erinnerung. Da war nicht viel. Es waren drei Geister – obwohl, nein. Geister waren es nicht, viel mehr waren es Schemen. Da war der introvertierte Tollpatsch, der sich mit ihrem Krümel balgte, während der Geschichtenerzähler – nun einige Jahre – sich zuerst stumm aufregte und herrisch gestikulierte, ehe er resignierend den Kopf senkte und sich neben ihm niederließ. Er blicke aus seinen halb erblindeten Augen hinab auf den schattenhaften, roten Haarschopf, der ewig jung geblieben war. Und dann war die Illusion so schnell wieder verschwunden, wie sie ihm erschienen war. Die drei Gestalten verwehten mit einem unfühlbaren Wind, wurden fortgetragen dorthin, wo sie nun weilten und vielleicht auch auf ihn harrten. Er seufzte leicht, und hörte das morsche Knarren des Bettes als er sich erhob. Seine Hüfte schmerzte, sein Kniegelenk ebenso und kündigte baldigen Schneefall an. Er musste sehen, dass er weiterkam. Und doch verharrte er noch ein wenig mitten im Raum. Vor ihm setzte sich der Staub zu einem neuerlichen Schemen des Geschichtenerzählers zusammen, vom Fuß bis hin zu den hellen Augen, die stechend waren und stetig leuchteten, das jugendliche Äußere.. alles an ihm sandte weiches, mattes Licht aus. Die Lippen bewegten sich stumm, diese schmalen, süßen Lippen, doch er verstand trotzdem. „Sdrastvuj, moj drug“, er glaubte sogar, die kehlige, leise Stimme des anderen zu hören und der er so verfallen war, damals. Er neigte sein vom Alter ergrautes und schütter gewordenes Haupt. „Dobrij wjetschir tej toshe, drug“, erwiderte er, warm lächelnd und glaubte, seine Einbildung lächele ebenfalls. Den Kopf schiefgelegt, die Lippen leicht verzogen. Er ging weiter, humpelte vorwärts, doch nun in einer Art beschwingt, die verriet, dass er bald von diesem Ort fortkonnte. Er war lange geflohen, so lange, dass es beinahe zu spät gewesen wäre. Doch er war hier. Nun. Er war an den Gräbern, er traf die Schatten und gab sich der vergangenen Liebe hin, die er bloß damals erfahren hatte. Er war so lange geflohen – immer weiter, immer höher, immer schneller, immer hektischer, ohne doch entkommen zu sein. Er hatte Berge erklommen, war durch Wälder gestreift. Er hatte gelebt wie ein Einsiedler und wie ein Pascha. Doch alles hatte nichts genutzt; das Bild des Rothaarigen hatte ihn immer verfolgt. ~*~ Er blickte zur Seite, zu seinem schemenhaften Begleiter, der ihn nicht mehr gelassen hatte. Er stand auf dem Schnee, blickte ihn unverwandt an, aus diesen wunderbaren, hellen, glitzernden, silbernen, blauen, leuchtenden Augen. Ein Lächeln spiegelte sich auf den Geisterzügen, die immer weiter verschwammen, als das Licht der unirdischen Wesen erstrahlte. Sie wurden fortgeweht vom Wind der Zeit, den er nicht fühlen oder sehen, aber umso mehr spüren konnte. Die hellen Augen strahlten endlich den Frieden aus, den er sich immer für den Freund gewünscht hatte. Da stand er nun. Sergej stützte sich müde auf seinen Stock auf, welcher bedenklich knarrte, doch es kümmerte ihn nicht. Er hatte endlich begraben, was begraben gehörte. Das Gelände der Abtei unter ihm ging in Flammen auf, wurde vollständig von der Landkarte getilgt. Endlich. Er hatte den Geist Yuriys endlich zur Ruhe gebettet, wie er es schon seit Jahrzehnten hatte tun wollen und doch nicht geschafft hatte. Sergej war nach Lachen zumute, und gleichzeitig liefen Tränen der Verzweiflung über seine runzeligen, eingefallenen Wangen. Er schnäuzte geräuschvoll in ein Taschentuch, ehe er sich abwandte von dem Inferno der Erlösung. Er ließ es hinter sich. 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