Asancur von Vandra ================================================================================ Kapitel 2: …hart ist jede Realität - Teil 2 ------------------------------------------- „Ist da jemand?“ Erschreckt sprang Bel bei den Worten hoch, verlor das Gleichgeweicht auf den rutschigen Wurzeln und prallte mit dem Rücken gegen einen Baum. Dabei ruderte sein Arm in die andere Richtung und wirbelte den Stachel durch die Luft, den er fest in der Hand hielt. Er brüllte. Seine Schulter fühlte sich an, als ob etwas sie in zwei Teile zerreißen würde und sein ganzes Bewusstsein bestand nur noch aus Schmerz – aus Ziehen, aus Stechen und Brennen. Tränen strömten seine Wangen hinunter. „Warte…Warten Sie, ich kann helfen, ich bin Arzt!“, hallte es aufgeregt durch den ganzen Wald. Mühsam richtete er sich daraufhin langsam wieder auf, während er sich beinahe wie ertappt umsah. Er ergriff sein Hemd und zerrte es über die riesige Beule, die noch immer auf seiner Schulter prangte. Als er darüber streifte, gab die immense Ausstülpung kaum nach, sondern machte nur ein eigenartiges Geräusch und erzeugte ein unangenehmes Kribbeln, das ihn schnell von jeder weiteren Berührung abhielt. Bel biss schnell noch einmal die Zähne zusammen, bevor er los schwankte, weg von seinem Verfolger, und seinen schweren Atem etwas zu beruhigen versuchte. Fast hatte er Erfolg, hörte nur noch seinen eigenen lauten Herzschlag, der in seiner Schulter widerhallte. Doch die Stimme folgte ihm und kam immer näher, während er nicht schneller konnte. Immer wieder tastete er dabei mit den Fingern auf die große Blase und fühlte jedes Mal erneut dieses furchtbare Kribbeln. Plötzlich spürte er einen Ruck. „Halt!“, hallte es von ganz nah und etwas schnürte sich um seinen Hals, würgte ihn und schnitt ihm den Atem ab. Er japste, worauf der Druck mit einem „Entschuldigung“ wich und er sich mit der Hand über die Kehle rieb. Dann versicherte er sich noch schnell, dass die Beule verdeckt war, bevor er sich schnaufend umdrehte. Die Lippen fest aufeinander gepresst und die Lider tief gesenkt, starrte er die neue Figur vor ihm an. Fast so groß und massiv wie die Wesen dieser Welt, wirkte dieser Mann am Ende doch nur wie ein Gewichtheber mit kurzen, stehenden Haaren in derselben Farbe wie die Dunkelheit. „DU…“, regte sich Bel auf, der Name dieses ‚Begleiters‘ vergessen, „lass mich einfach in Ruhe, anstatt mir mit Erwürgen helfen zu wollen!“ „Finron von Lanver, nicht ‚du‘. Und ich denke ich kenne als Mediziner einen Schmerzschrei und die Widerwilligkeit von Patienten nur zu gut, also machen wir es kurz: Hallo Bel. Was fehlt dir und wieso bist du hier draußen und nicht am Schlafen?“, entgegnete ihm Finron mit einem gelassenen Tonfall, der etwas leicht überhebliches hatte – ganz wie bei Ärzten üblich. Bel schüttelte nur den Kopf und drehte seine verletzte Schulter etwas nach hinten. Gleich darauf fing er an, seinen Gesprächspartner zu imitieren, verdeckte mit Sarkasmus das Schwanken seiner Stimme: „Und was machst du hier, Finron? Fehlt dir etwas?“ Ein Seufzen war die erste Antwort. „Also bitte, ich bin auch für die Gesundheit auf dieser Reise verantwortlich und wenn du mir nicht sagen willst, was dir fehlt, dann werde ich dich eben bei unserer Rückkehr in die Quarantäne stecken lassen – damit dir wenigstens dort geholfen wird.“ Erschreckt riss Bel die Augen auf, zuckte zusammen und presste ob des Schmerzes in der Schulter die Zähne aufeinander. Schnell fingen seine Gedanken an zu rasen, ohne dass er ihnen folgen konnte, bis sie etwas ausspuckten. „Ich bin gerade erst aufgewacht und…“ Den Rest ließ er ungesagt und versuchte einen eingeschüchterten Eindruck zu machen, was ihn nicht sehr viel Mühe kostete. Ein Klopfen auf seine gesunde Schulter und ein erleuchtetes „Aaaaah“, waren sein Lohn. „Das ist das Problem. Die Nachwirkungen unserer Reise machen dir zu schaffen.“ Finron schüttelte nur den Kopf und bemerkte zu Bels Erstaunen offenbar die um ihn herum schwirrenden Leuchtkäfer nicht. „Keine Sorge, wenn wir die Rückreise antreten, sind bereits drei Monate vergangen – genug Inkubationszeit für alles. So erpicht bin ich nicht auf Quarantäne, dass ich einen und damit alle dieser harschen Maßnahme aussetzen will. Ich glaube das Thema vergessen wir lieber. Viel interessanter ist etwas anderes. Nora hatte auch ein paar nette Theorien und Ideen bei unserer Zusammenarbeit, die mich zu einer kleinen Diagnose verführt haben. Schließlich habe ich schon eine Anamnese erstellt, was den wahrscheinlichsten Grund ebenfalls offenbarte.“ „Und das wäre…“, rutschte es Bel heraus, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte. „Oh, nach den Symptomen der Dehydration und des Nährstoffmangels in Verbindung mit akutem Hunger und starkem Gewichtsverlust zu urteilen, deutet alles auf eine klassische Fastenkur mit zu geringer Flüssigkeitszufuhr hin. Und der einzige unserer Gruppe, dem Haare auf diversen Körperstellen wachsen können“, dabei wirkte Finron beinahe als ob er Mitleid hatte und murmelte etwas unhörbares, „hatte noch keine besonders langen Auswüchse davon. Damit haben wir ein gutes Indiz dafür, dass wir nicht lange unterwegs waren. Da aber niemand aufwachte, waren wir mit Garantie alle unter dem Einfluss von bewusstseinsblockierenden Mitteln und gelähmt. Was natürlich die Zeiteinschätzung wieder relativieren könnte…“ Hier machte Finron eine bedeutungsschwangere Pause, die Bel dazu nutzte, die Blase auf seiner Schulter noch einmal heimlich abzutasten. Zu seinem Erstaunen und zu seiner Erleichterung, wirkte sie kleiner. „Nora hatte die waghalsige Theorie, dass das Wesen – sie ist sich sicher, dass dieses Gefährt irgendetwas halb-lebendiges ist - während der Reise einfach unsere Ausdünstungen aufgefangen hätte. Naja, und ein ist scheinbar ein wenig tiefer…weiter vorgedrungen …naja, ich glaube das vertiefe ich nicht.“ Finron stoppte seine Ausführungen plötzlich, genau in dem Moment, in dem Bel das Schlucken schwerer fiel und eine dumpfe Erinnerung an etwas in seinem Hals hoch kroch. Sein Gesprächspartner starrte ihn eingehend an, beugte sich vor und tastete dann schließlich auf seine Stirn. Dabei widerstand Bel dem Reflex, zurückzuzucken und ließ es über sich ergehen, bis Finron zufrieden schien. „Du hast eindeutig Fieber und gehörst noch für die nächsten paar Stunden in ein Bett. Das sind alles ganz normale Nebenwirkungen, die jeder von uns stärker oder schwächer hatte, also ab ins Dorf“, drängte ihn der ‚Arzt‘ und stupste ihn in Richtung Licht. Dieses eine Mal ließ Bel sich die Behandlung gefallen, da er inzwischen die Müdigkeit fühlte. Es war wie eine Wolke, die sich in seinem Kopf breit machte. Noch einmal tastete er seine Schulter ab, die er dazu vorsichtig aus dem Blickfeld gedreht hatte. Sobald er die Haut berührte, stoppte er, konnte es nicht fassen. „Was ist denn?“ Von hinten kam die Frage, ein sanftes Stupsen zur gleichen Zeit. Unfähig es zu fassen, blieb er stehen. Er spürte keine Erhebung mehr, sondern nur noch eine glühende Hitze, die von seinem Fieber kommen musste. Dann riss ihn Finron aus seinem Erstaunen. „Ist sonst noch…?“ Das riss ihn aus seiner Verwunderung. Schnell schüttelte Bel den Kopf und schwankte weiter, bedacht keinen Baum zu berühren. Das Licht näherte sich schnell. Die Entfernungen waren nicht so weit, wie er gedacht hatte und das Strahlen wurde durch das immer durchlässigere Blätterwerk hindurch immer stärker und mit rasender Geschwindigkeit zugleich undeutlicher. Die Farben verschwammen, die Welt wogte sanft hin und her. Bel blinzelte immer mehr, um etwas Klarheit in seinen Blick zu bringen. Trotzdem schwankte er hin und her, unfähig allen Wurzeln auszuweichen. Doch immer in den letzten Augenblicken fühlte er eine Hand seinen Kurs korrigieren und ihn mit einem harten Ruck vor einem Sturz bewahren. Grummelnd ließ er sich die Behandlung gefallen und griff sich auf die Stirn, um sich an der Kühle seiner Hand zu erfreuen. Froh über die Stille, war er wenig begeistert, als Finron gerade in dem Moment wieder anfing zu reden, als sie auf die Lichtung traten. „Faszinierend, nicht wahr? Ich hätte nie gedacht, jemals auf einer anderen Welt zu landen – geschweige denn einem Planeten, aber…“ Irgendetwas klickte in Bels Kopf und förderte ein merkwürdiges Drücken zutage. Irgendetwas war ihm entgangen, etwas, das jetzt mit voller Wucht an die Oberfläche trat. Er blinzelte, blinzelte immer schneller, während sich die Welt ganz langsam anfing zu drehen. „Halt…“, verlangte er, stolperte ein paar Schritte vorwärts, um sich an einer Hauswand abzustützen, die seltsam glitschig wirkte. „Halt…wir sind hier nicht in einem fremden Land? Die Sonne, die merkwürdigen Wesen, was Tello sagte und das…oh nein, das ist nicht möglich!“ Jedes seiner Worte machte ihm mehr bewusst, bis er schließlich Finron mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. Immer wieder wanderten seine Augen ganz kurz nach oben zu dieser Sonne hinter dem grauen Schleier. Finron schaute besorgt und ergriff einen seiner Arme, um sanft daran zu ziehen. „Ich glaube wir verlagern das Gespräch in die Hütte oder auf spä…“ „Nein! Wir sind nicht auf einem anderen Planten, oder?“, flehte Bel beinahe, als ihm die Implikationen klar wurden. Sein Magen rebellierte im gleichen Moment, war nur noch mit ständigem Schlucken von einem Ausbruch abzuhalten. Ein Seufzen versetzte seinen Hoffnungen einen Schlag, Finrons nächste Worte zerbrachen sie endgültig. „Sind wir. Ich konnte es selbst nicht fassen, bis Buro nicht nur die Sonne, sondern auch noch die seltsame Dichte der Erde erwähnte und damit argumentierte. Aber dafür ist es eine einmalige Möglichkeit, mehr als unsere Welt zu sehen. Wer denkt noch an die Schwierigkeiten, wenn wir Pioniere sind und hier vielleicht Heilmittel für die großen Krankheiten finden können?“ „Ich?“, murrte Bel, löste sich von der Wand und schwankte auf das Gebäude zu, aus dem er gekommen war. Es war unschwer an dem seltsamen Dach und dem leisen Schnarchen erkennbar. Kurz rieb er sich über die Schulter. „Woher wissen wir, dass die Welt nicht gefährlich ist? Hier könnten riesige Bestien lauern oder Krankheiten, die uns zu Tode quälen könnten. Und hat nicht die Anreise schon bewiesen, dass etwas nicht stimmt?“ Kaum zu Ende gesprochen, war er schon an seinem Ziel angekommen, drehte sich um und stützte sich am Haus ab. Sein Gegenüber schien in Gedanken versunken, der Blick in die Ferne gerichtet. Gerade als Bel aufgeben wollte und sich abstieß, fing Finron an zu sprechen: „Ein guter Einwand, und kein Wunder, dass du trotz deiner Herkunft und deines Alters ausgewählt wurdest. Also ja, hier lauern Gefahren, die ich mir wahrscheinlich nicht einmal vorstellen kann – und auch nicht will. Es wird nichts passieren, wenn wir vorsichtig sind und auf den Rat von Hara vertrauen, die sehr bereitwillig Auskunft erteilt…naja, zumindest jedem, der sie nicht gefährdet.“ Plötzlich hielt Finron inne und trat dann einen Schritt zurück. „Ich glaube du gehst lieber schnell in das Haus. Glasige Augen treffen es nicht mehr ganz – auch wenn sie so außergewöhnlich sind, wie Nora meinte.“ Als er sich nicht bewegte und etwas einwenden wollte, streckte sein Gegenüber nur seinen Arm aus und deutete mit dem Finger auf die Hütte. Mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, befahl Finron schließlich: „Jetzt, sonst gibt es Quarantäne!“ Die Drohung wirkte, auch wenn Bel murrte. Er schwankte um die Hausecke und starrte sofort in den Raum, in dem noch immer Gerso und Tanila selig ruhten, während die Welt sich drehte. Ein paar Schritte weiter direkt über seiner Bettstatt, schloss Bel die Augen und erkannte sofort seinen Fehler. Seine Beine gaben einfach nach. Er verlor das Gleichgewicht und sackte in sich zusammen. Kraftlos schleppte er sich noch irgendwie in die Nähe des seltsamen Polsters, ergriff ihn mit zitternden Händen und versuchte das Schütteln zu unterdrücken, das ihn ergriff. Schwarz engte sein Blickfeld rapide ein und weiß verrauschte seine Welt, bis er sich nicht mehr halten konnte. Bel sackte auf den Polster und driftete in einen unruhigen Schlaf ab - aus dem ihn ein Schrei weckte. Müde kämpfte er mit seinen Lidern gegen die Schwerkraft an, bis er schließlich wieder in die von Grau verdeckte Sonne starrte. Dabei versuchte er die Wolke, die sich in seinem Gehirn eingenistete hatte, zu vertreiben, etwas Ruhe zu finden. Doch ein Geräusch hielt ihn davon ab, versetzte seinen ganzen Körper in helle Aufregung. Langsam drehte er sich um, nur um als erstes die viel zu bekannten gelbe Tropfen auf dem Boden nahe der Wand zu sehen. Und mit jeder Sekunde wurden es mehr. Bei den würgenden Geräuschen, die dabei an sein Ohr drangen, musste er sich zwingen, seine Augen auch nur einen Millimeter weiter wandern zu lassen. Als er es dann tat, schluckte er. Gersos Mitte hing über Finrons Arm gebeugt, die Beine und Hände dabei zitternd auf dem Boden abgestützt. Der ganze Körper bebte, zuckte immer wieder zusammen, bevor der Kopf plötzlich nach hinten beschleunigte und in den Nacken krachte. Gleich darauf tropfte diese gelbe Flüssigkeit aus dem Mund, rann über das Kinn, bis Gerso kurz um Luft rang, bevor alles wieder von neuem begann. Bel schluckte, suchte in seiner Verzweiflung nach Ablenkung. In dem Moment, in dem ihn Finron bemerkte, ergriff er einfach den Krug neben sich. Hastig führte er ihn zu seinem Mund, zitterte, schüttete dabei das halbe Wasser über sein Hemd, während ein kümmerlicher Rest seinen trockenen Mund erreichte. Mühevoll schluckte er das Bisschen hinunter, musste bei der Geräuschkulisse gleich noch mehr würgen. „Du musst nicht hierbleiben…“, erklärte Finron plötzlich. Bel schreckte hoch, zuckte zusammen und hörte im nächsten Moment ein lautes Klirren. Ängstlich und mit zitternden Händen schaute er hinunter, nur um den Scherbenhaufen zu sehen, der unter ihm ruhte. „Ich glaube du solltest eindeutig kurz an die frische Luft – und wenn nur, um dich zu erleichtern und die Krüge zu schonen.“Dabei klopfte Finron Gerso auf den Rücken, als dieser den nächsten Anfall hatte und wieder wild zu würgen begann. Gerade als Bel blinzelte und die Augen zusammenknifft, schien sich sein Gesprächspartner zu besinnen und ergänzte noch etwas: „Oh, ich meine natürlich gewisse ganz primitive Vorgänge wie: Was oben hinein kommt, muss irgendwann unten heraus – also nichts anderes, als deinen Urin abzulassen. Aber wenn du es tust: Tu es hier IMMER am Waldrand, am besten so, dass dich jeder dabei sieht. Wir wollen ja weiterhin gut mit den Einwohnern dieses Planeten zurechtkommen.“ „Was?“ Im Moment war er noch verwirrter als zuvor und griff an seinen Hals. „Sicher nicht“, erklärte schnell und versuchte dabei das Zittern in seiner Stimme und in seinen Händen zu verbergen. Er fühlte eine Eiseskälte, doch als seine Finger seine linke Schulter berührten, glühte sie einem Feuer gleich. Angst kroch in ihm hoch. „Ich gehe nicht wieder in diesen verfluchten Wald…“ „Du hast in der Beziehung wohl keine Wahl. Nora hat dich schon angefordert – Nora, die Botanikerin, die Pflanzen erforschen will - und außerdem ist das Dorf hier von Wald umgeben. Irgendwann müssen wir wohl von hier weg, wenn wir wieder nach Hause wollen.“ Finron widmete ihm in den wenigen Sekunden seine Aufmerksamkeit, bevor er den Fokus verlor und sich wieder dem hustenden, sich übergebenden Gerso zuwandte. „Ah ja, geh auf keinen Fall kurz nach Verzehr der roten Früchte in den Wald. Mich hätten sie dafür fast erwürgt...“ Als Bel das hörte, wurde sein Mund trocken. In seiner Brust zog sich etwas zusammen und der Griff zu seiner rechten Seite wurde noch drängender, suchte nach dem Dolch, der dort sein sollte – und nicht da war. „Wo ist meine Waffe?“, fragte, verlangte er eher und richtete sich schwankend auf. „Und wieso sollte ich…“ „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, besonders da du ein Asar bist. Ihr dürft doch keine...“, unterbrach ihn Finron, stoppte und hatte dann offenbar einen Geistesblitz, „oh, stimmt ja. Auf der Reise wurde dir eine Waffe gestattet. Aber ich habe keine gesehen und gefunden wurden wir von Sammlern oder etwas in der Art. Frag Hara – Haus mit der liegenden Acht an der Front.“ Am Ende wurde sein Gesprächspartner immer abgelenkter und starrte auf eine andere, sich langsam regende Gestalt am Boden – Tanila. „Und sag dem ersten Bescheid, den du von uns triffst. Ich bin keine Krankenschwester und ich brauche Unterstützung…jetzt!“, befahl Finron ihm und deutete rasch mit der Hand in Richtung Ausgang. Erst wollte Bel etwas darauf einwenden, doch als er die nächsten Tropfen auf den Boden fallen, gelbe Flüssigkeit aus Tanilas Mund rinnen sah, sprang er fast aus dem Haus. Jeder Schritt kostete ihn unglaubliche Müde, seine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Blei – und doch rannte er förmlich vor den Geräuschen davon, bis er mitten auf dem freien Platz stand. Der große Baum direkt vor ihm erinnerte ihn dumpf an etwas, das Finron gesagt hatte. „Rote Früchte…nicht in den Wald?“, wiederholte er leise und fing an zu zittern, schluckte. Mit Mühe ignorierte er sein Herzklopfen, das seltsame Ziehen in seiner Schulter und griff wie zur Versicherung an sein rechtes Bein. Wieder fand er nichts. Bel schüttelte den Kopf und schlürfte weiter, weg vom Haus und von dem unheimlichen Baum, der sein Blickfeld einnahm. Langsam ging er die Gebäude ab, die die Acht umringten und schaute sich dabei immer wieder um, suchte mit seinen Augen jede Hütte nach dem Symbol ab. Die seltsamen Zeichen, die jede Tür zierten und die Zeichnungen, die ihn wieder und wieder erschreckten, registrierte er das erste Mal seit seiner Ankunft. Manchmal schienen die Türknäufe mehr Phallussymbole zu sein, dann wieder Hauer, die nach unten gerichtet fast harmlos wirkten. An den braunen Wänden erkannte er Schimmern und ein sanftes Leuchten, das in unregelmäßigen Wirbeln aufgetragen war. Nach einer halben Ewigkeit, in der seine Blase langsam zum Leben erwachte, sah er endlich jemanden Bekannten. Da saß jemand mit blauen Strähnen, tief über ein Buch gebeugt. Vera – denn jemand anders konnte es nicht sein – fuhr sich immer wieder durch die Haare, verkrallte ihre Finger darin und zog. Flüche kamen eins ums andere Mal aus ihrem Mund, unterbrochen von Wörtern, die verdächtig viele „k“ enthielten. Als er neben ihr ankam, räusperte sich Bel. „Hallo, ich…“ „Stör mich nicht, Asar! Ich habe Wichtiges zu tun, auch wenn das für jemanden wie dich wohl schwer fassbar ist und du nie verstehen würdest, was ich hier mache“, fauchte sie ihn an und bedachte ihn mit keinem Blick. Bel versank fast im Boden. Gleichzeitig brodelte etwas in ihm auf, worauf er zwanghaft auf die grau-braune Erde starrte, bemüht sich zurückzuhalten. Doch eine ausfallende Geste und das von Ekel verzerrte Gesicht, waren zu viel für ihn. „Das bei deinem eingeschränkten Horizont, der dir nur schwarz und weiß zeigt? Kein Wunder... Ich dagegen bin vielleicht ein Asar, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich unfähig bin. Schließlich bin ich hier, du dumme Krani!“, entgegnete er in scharfem Ton, in dem sich seine Stimme immer weiter senkte. Mit fest aufeinander gepressten Zähnen, die Arme verschränkt, blieb er noch einen Moment stehen, bevor er sich wütend umdrehte. Genau als sie mit einem „Du wertloser Asa…“, anfing, fuhr er ihr trocken ins Wort. „Finron hat Hilfe verlangt und da es dringend ist, von dem ersten den ich treffe. Viel Spaß bei der Krankenbetreuung…“ Ohne Veras Gezeter, ihre wutentbrannten Tiraden weiter zu beachten, stapfte er davon. Kurz schaute er in Richtung Wald und fühlte im gleichen Moment ein sanftes Ziehen. Etwas drückte in seinem Bauch. Es war das untrügliche Zeichen, dass etwas hinauswollte. Der Drang sich zu erleichtern war groß, während ein angstvolles Zittern ihn erfasste und seine Hand zur fehlenden Waffe wanderte. So hielt er das Bedürfnis zurück. Jeder Schritt war mehr ein Einprügeln auf den Boden, bis er ein Kribbeln in seinem Nacken fühlte. Im gleichen Moment legte sich etwas auf seine Schulter. Erschreckt fuhr er herum. Sofort sah er eine ältere Frau, die ihn eingehend studierte und immer wieder mit etwas rasselte. Ihre Haare hingen in tausenden Zöpfen von ihrem Kopf, während ihre Hörner mit roten Mustern bemalt waren. Bei jeder ihrer Bewegungen schwankte ihre riesige Kette mit Formen, die ihn an Pilze – oder etwas, das ihm Röte ins Gesicht trieb - erinnerten, hin und her. Ihr zu großes Kleid wogte im gleichen Takt wie die überschüssige Haut, die von ihren Oberarmen herab hing. Es wirkte, als hätte sie Flügel, an denen noch kleine Kügelchen wie Gewichte hingen und die bei jedem Stoß gegeneinander rasselten. Bel musste sich auf die Lippen beißen, als sie mitten auf seine Schulter drückte. Es scherzte, Schwindel erfasste ihn. Schnell trat er einen Schritt zurück, doch sie folgte ihm, wirkte wie hypnotisiert. „Akash…Akash…“, murmelte sie wie in Trance, während sich ihre Augen nach hinten drehten, bis nur noch das Weiß zu sehen war. Worte flossen ohne jede Pause aus ihren zerfurchten Lippen, Worte, die er nicht verstand. Wieder versuchte er sich loszureißen, zerrte an ihrem Arm. Gerade als der Griff sich lockerte, tauchte er nach unten, sog erleichtert Luft ein und schwang seinen Oberkörper nach hinten, nur um gleich eine Drehung zu machen, bereit zu rennen. Doch etwas stoppte ihn. „Ba’kana, saka!“, schrie eine weibliche Stimme. Die Alte antwortete nur mit einem Grummeln darauf. Als er sich umdrehte, konnte er seine Gegnerin gerade davonschleichen sehen, immer wieder einen fast sehnsüchtigen Blick in seine Richtung werfend. „Und was macht ein Asar, nein, ein Spion, hier draußen?“, fragte ihn Hara in einem scharfen Tonfall, die Arme so verschränkt, dass ihre freie Brust halb verdeckt war. Sie war allein. „Nichts…“, erklärte er leise und rieb sich dabei die Schulter mit einer Hand. Mit der anderen Griff er auf seinen Schenkel, an dem wieder etwas fehlte. „Ich bin kein Spion und ich würde meine Waffe gerne wieder haben, auch wenn ich ein Asar bin. Sie gehört mir und ich habe die Erlaubnis…“ Wieder und wieder mit einer schwer zu leugnenden Tatsache konfrontiert, fehlten ihm die Geduld und die Kraft, weiter zuzuhören. Hara hob ihre rechte Augenbraue, bis sie schon auf halbem Weg zu ihrem Haaransatz war. „Ganz schön vorlaut für einen Asar. Aber jetzt wird mir alles klar – der Dolch, dann der unfähige Professor, der mir deinen Namen nicht verriet und deine Augenfarbe sind zu deutlich. Sie lassen keinen anderen Schluss als einen zu, nicht wahr, mein wehrter Auros?“ Bel stand wie versteinert da, sein Mund offen, gerade noch fähig: „Mein Dolch?“, zu sagen. Überrascht bemerkte er das ehrliche Lächeln in Haras Gesicht und den Humor, der gänzlich ohne Spott auskam. „Überrascht? Ich hoffe nicht. Nicht jeder denkt, wie unsere Gesellschaft es fordert. Ich habe genug von anderen Welten gesehen, um diese hier unserer bei weitem vorzuziehen – und auch einigen anderen. Und ja, ich habe deinen Dolch“, erklärte sie zufrieden und streckte ihm im gleichen Moment seine Waffe mit dem runden Griff entgegen. Ungläubig starrte er erst noch ein paar Sekunden, bevor er zugriff und den Dolch fast fallen ließ. Gerade gefangen, begutachtete er das wertvolle Stück, das ihm sein Onkel geschenkt hatte, lieber schnell. Er wackelte ein wenig an dem runden Knauf, der dem Griff ein pilzartiges Aussehen gab. Der Knauf saß noch fest auf dem Gewinde, das ein Teil der Klinge war und eine ganz besondere Vorrichtung. Die Steine, die auf dem Handschutz über der Klinge prangten, waren noch da, genauso wie der Dorn, der sich dort nach außen wandte und in einem Bogen weg von dem Griff. Als er schließlich auf der Klinge die verschiedenen Schichten und die Zeichnung des Auros-Auges in einer Adlerklaue erblickte, war er sich sicher: Alles war unversehrt. Zufrieden schob er den Talas mit seinem Ellbogen etwas zur Seite, ließ seinen Dolch in die Scheide gleiten und seufzte zufrieden. Es fühlte sich gut an. „Etwas Dankbarkeit hätte ich für die Aufbewahrung deiner Waffe schon erwartet.“ Hara klang fast gekränkt und erweckte in Bel merkwürdige Schuldgefühle. Ohne lange zu überlegen, presste er ein: „Ähm…danke?“, heraus. „Ich denke wir sollten lieber in mein Haus wechseln. Es wird wohl länger dauern, dir die Sagen und die Gesellschaftsstruktur näherzubringen…“ Sofort nachdem sie das gesagt hatte, deutete sie auf das Haus direkt neben ihr. Zu seiner Überraschung sah er auf der Tür eine große, liegende Acht, die mit ihrem tiefen Schwarz das glitzernde Muster des Hauses zu bestimmen schien. Doch bevor er in die Richtung gehen konnte, meldete sich sein Körper bei der Aussicht auf lange Stunden wieder. Er schrie förmlich nach etwas Erleichterung von diesem Drücken. Unsicher schaute er in Richtung Wald, legte seine Finger um den Griff der Waffe und schluckte dann. „Ich werde kurz…“ Hara verstand offenbar sofort. „Oh, natürlich. Aber bleib am Rand des Waldes, wenn du gute Beziehungen schaffen willst. Und eines noch: Iss niemals ‚Akashs Segen‘“, dabei zeigte sie auf den Baum in der Mitte des freien Platzes in Form einer Acht, „ kurz bevor du in den Wald gehst – niemals. Ich hatte meine Mühe, die anderen davon zu überzeugen, dass du nur die wertvollen Früchte zertrampelt und nicht gegessen hast…“ Sie ermahnte ihn mit ernstem Blick und verschränkte gleichzeitig die Arme vor der Brust. Bel hatte das Gefühl, dass man sein Schlucken und sein pochendes Herz deutlich hören konnte, während er sich schnell umdrehte. Kurz murmelte er noch ein „Natürlich“, bevor er in Richtung Wald rannte, um schließlich genau davor zu stoppen. Seine Hand verirrte sich noch einmal zu seinem Dolch – der da war, in seiner Scheide ruhte. Zufrieden kämpfte er seine Beine hoch und quälte sich ein paar Schritte in die gefährliche Gegend, bemüht ein Versteck hinter einem der Stämme zu finden und aus dem Blickfeld der wenigen Fremden zu verschwinden, die jetzt in seine Richtung starrten. Sie beobachteten ihn, doch weiter als ein paar Schritte wollte, konnte er nicht hinein. Sein Herz raste schon in dem Augenblick, schien in seinem Hals gefangen, seine Schulter pochte mit dem Rauschen in seinen Ohren mit. Immer wieder schaute er sich um, halb panisch und erwartete gleich einen Angriff. Das Drücken wurde immer stärker, bis er nicht mehr konnte. Er schüttelte den Kopf und riss seine Hose hastig die Beine hinunter, sorgte sich nicht darum, dass der Talas sich gerade in einer Lacke mit Flüssigkeit vollsog. Er ging in die Knie. Im nächsten Moment durchflutete ihn Leichtigkeit. Der Druck wich in einem steten Strom. Es war so befreiend, dass er seufzte. Für einen kurzen Moment vergaß er alles, konzentrierte sich nur darauf, seine Kleidung zumindest halbwegs aus dem Weg zu halten, bis er ein Zirpen hörte. Blut schoss in seinen Kopf. Der Instinkt zu fliehen, der Instinkt sich zu schützen, wurde übermächtig. Ohne auf irgendetwas zu achten und so schnell er konnte, zerrte er seine Hose wieder hoch. Im nächsten Moment hielt er schon seinen Dolch in der Hand, ließ ihn durch die Luft sausen. Er fuchtelte wild damit herum, während er einen Schritt zur Flucht setzte. Mit beiden Armen vor der Brust wich er nach hinten, stieß gegen etwas und drehte sich panisch um. Schreck wurde zu Erleichterung. Es war nur ein Stamm. Doch er war nicht völlig beruhigt, sah jetzt in der Tiefe des Waldes leuchtende Insekten, pochende Köpfe. Vorsichtig, einen Schritt nach dem anderen setzend, schlich er rückwärts hinaus. Gebeugt, den Blick fest der Gefahr zugewandt, atmete er so leise wie möglich, bis er endlich Licht sah. In dem Moment schaute er hoch, erkannte den grauen Himmel, den Wald wie eine Mauer vor sich und drehte sich um. Schnell, gerade nicht im Laufschritt, rannte er in Richtung Dorf. Atemlos kam er schließlich bei der Tür mit der liegenden Acht an und stieß sie auf. Sie entglitt ihm, krachte zitternd gegen die Wand und drehte dann ihren Weg um, kam auf ihn zu. Gerade als er eintrat und mitten in einem kleinen Zimmer zu stehen kam, prallte sie wieder in ihre Verankerung zurück. „Wahrhaft kongenial, nicht wahr?“ Haras Stimme schreckte ihn hoch, ihre gehobene Augenbraue und der Blick in Richtung Brust, erinnerte ihn an etwas. Schnell senkte er den Dolch, ließ ihn wieder in die Scheide gleiten und bemerkte dabei zu seiner Schande, dass seine Kleidung über und über mit Flecken in den strahlendsten Farben übersät war. Er fuhr mit seinen Fingern darüber, doch nach ein paar gescheiterten Versuchen gab er es auf und schaute sich um. Hara saß inzwischen auf einem Blätterhaufen auf dem Boden, der den halben Raum füllte und auf beiden Seiten schmale Streifen frei ließ. Umgeben war sie wie eine Gelehrte von Schriftrollen und Steintafeln. Ein Turm aus Büchern wankte hinter ihr und rahmte eine von einem Tuch bedeckte Öffnung ein. Sie deutete auf den Blätterhaufen, der direkt vor seinen Füssen begann. Als er weiter unsicher wartete, rollte sie schließlich mit den Augen. „Setz dich doch bitte…jetzt.“ Ohne große Lust, stützte er seine Hände an seiner Seite ab. „Wieso und wozu?“ „Weil ich den Weg kenne, wie ihr wieder nach Hause kommt und dich vor der Angst der Sansara bewahrte? Weil du hier als Generalist das Mädchen für alles bist und alle Informationen sammeln musst, die keinen der anderen Bereiche direkt tangiert?“, entgegnete sie kühl. Die Ungeduld zeichnete sich bei jeder Bewegung ihrer Augenbrauen ab. „Ansonsten erzähle ich all deinen Mitreisenden zur allgemeinen Belustigung, was die Einheimischen inzwischen von dir denken – dank Dolch.“ Die Drohung fügte sie mit einem eiskalten Lächeln an, das schnell in purer Freude zerschmolz, als er sich fallen ließ. Der Haufen Blätter war seltsam weich. Geschlagen rutschte ihm die Frage heraus: „Und was…?“ „So schnell? Aber so schnell bin ICH wiederum nicht, wenn ich schon in meiner Heimatsprache mit einem willigen Zuhörer reden kann. Also, mein lieber Bel Auros“, bei seinem Namen zuckte er zusammen und beobachtete die blaue Kugel, die Hara in seine Richtung rollte, „zuallererst von Anfang an: Dein Dolch hat euch das Leben gerettet.“ Völlig überrascht hielt er seinen Atem an. Sein Genick knackte bei der ruckartigen Bewegung nach oben, sein Kopf pochte. Trockenheit breitete sich rasend schnell in seinem geöffneten Mund aus. „Wunderbar. Damit dürfte ich deine Aufmerksamkeit haben und ich hoffe das bleibt so. Es dürften ein paar lange Tage werden.“ Ohne zu warten, schob sie ihm eine dieser Phallus-artigen Krüge hin und brachte noch eine der blauen Kugeln auf den Weg. Dabei erklärte sie noch knapp: „Etwas zu Essen und zu trinken…garantiert ungiftig.“ Vorsichtig und seine noch immer ziehende Schulter ignorierend, ergriff er mit der linken Hand die Frucht, wog sie und versuchte die wirklichen Gefahren abzuschätzen. Am Ende machte ihr gespannter Blick all seinen Bemühungen dieses Wagnis hinauszuzögern, ein Ende. Er schloss seine Lider und biss schnell ab – nur um die Augen überrascht zu öffnen und gleich noch einmal hineinzubeißen. Seltsam kühl rann der Saft seine Kehle hinunter, besänftigte alle Knoten. Im nächsten Moment entfaltete sich etwas zwischen Süße und Säure auf seiner Zunge, rutschte mit dem Stück Fruchtfleisch hinunter und hinterließ einen Nachgeschmack von Erdbeeren und Kirschen. „Mik’ska heißen die Früchte und sind im Gegensatz zu Akashs Segen harmlos. Besonders, da du auch nur von Akashs Segen gekostet hast, bevor du in den Wald gegangen bist...“ Bei ihren Worten verschluckte er sich, hustete, um den Brocken mitten in seinem Hals hinauszubefördern. Hara sprach ungeachtet seiner Anfälle weiter: „Ja, ich weiß davon, besonders da Ba’kana trotz ihrer wirren Äußerungen keinen Zweifel daran gelassen hat. Aber dazu gleich mehr…“ „Wa…“ Mehr brachte er dank der Hustenanfälle nicht heraus. Hara wechselte in dem Moment das Thema brutal. „Der Jäger der euch am Rand zur weißen Wüste fand, hätte euch wohl eure Vorräte genommen und dort liegen lassen, wenn da nicht dein Dolch gewesen wäre. Man muss es verstehen: Ihr hättet genauso gut feindlich gesinnt sein, eine Gefahr sein können – ein völlig unberechenbares Risiko. Aber als er sich wohl an die schnelle Inspektion machte, sah er deinen Dolch. Er dürfte wohl halb umgefallen sein, als er in dem Griff das Symbol Akashs erkannte. Und da wart ihr gerettet. Man kann doch keine Gläubigen, die sogar Metall bei sich tragen um Akash zu ehren, liegen lassen.“ Sie lachte, während er das letzte Stück Frucht hinunter kämpfte. Gerade als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, fuhr sie gekonnt zwischen seine ersten zwei Buchstaben. „Es wird sich alles zusammenfügen und Sinn machen, Bel. Denn Akash ist der Gott, die Göttin, nein, die Gottheit der Fruchtbarkeit und auch des Todes. Akashs Zeichen ist der Phallus – ja, ein männlicher Penis – und genau den hat unser lieber Jäger an deinem Dolch…“ „Abe…“, protestierte er, wollte es zumindest, nur um doch nicht zu Wort zu kommen. Nahtlos sprach Hara weiter. „…gesehen. Also kam er mit dir im Schlepptau zurück und sorgte dafür, dass ihr alle - samt Gepäck - hierher gebracht und gepflegt wurdet. Den Dolch wollte er behalten und weigerte sich ihn herzugeben – naja, bis ich ihm erklärte, dass es eine Erinnerung an eine Liebe wäre. Tja, ich glaube du bist damit offiziell mit einem Mann liiert und sehnst dich nach seinem…“ „Wa…was? Das ist nicht wah…“, stotterte Bel und vergrub sein Gesicht kurz in seinen Händen. „Wieso immer mir?“ „Aber keine Sorge. Hier ist es völlig normal die Götter mit ‚Reinheit‘ zu ehren – was seltsamerweise gleichgeschlechtliche Beziehungen darstellen. Also bist du jetzt jemand, der Akash auf die Art und Weise ehrt…und der Dolch zeugt nur noch mehr von deiner Ehrerbietung.“ Bel war wenig begeistert und zeigte es mit seinen Zähneknirschen deutlich, bis er es nicht mehr aushielt. „Und wenn einer meiner Mitreisenden das hört und glaubt, darf ich mich im besten Fall auf ein paar Peitschenhiebe freuen inklusive der öffentlichen Verlautbarung meines ‚Verbrechens‘. Danke für…“ „Das wird niemand erfahren, weil ich die einzige bin, die mit den Leuten hier reden kann. Eure Mitreisende hat offenbar gewisse Schwierigkeiten mit der Sprache…das kommt davon, wenn man keinen Spezialisten nimmt und so eine seltsame Frau.“ Dieses eine Mal stimmte er mit Hara überein und vergaß darüber fast seinen Zorn. „Aber wo war ich? Ah ja, am Ende läuft alles auf Akash hinaus. Euer Professor Seraf Tello will Akashs Hein sehen, den heiligsten Ort dieser Gottheit. Aber jetzt wird er ihn sicher länger nicht sehen. Jetzt ist die Zeit der Ruhe, in der niemand den Hein betreten darf. Und zumindest bis ich mir sicher bin, dass dich nicht die verfluchte Krankheit erfasst hat, wird niemand dorthin kommen.“ Anfangs noch gelassen, änderte sich Haras Tonfall rapide. Sein Gegenüber lehnte sich dabei immer weiter nach vorne, die Augen starr auf ihn gerichtet. Es wirkte beängstigend. Dabei reichte die versteckte Drohung hinter ihren Worten aus, um ihn zum Zittern zu bringen. Zu allem Überfluss pochte seine Schulter als Antwort auf ihren prüfenden Blick. „Du musst wissen: Die Regel gibt es nicht umsonst, denn hier sind Fruchtbarkeit und Tod nur Teile einer ewigen Spirale. Fruchtbarkeit ermöglicht Leben. Leben endet und der Tod ebnet den Weg für Fruchtbarkeit – womit der Anfang wieder da ist, ohne dem vorigen ganz zu entsprechen. Und Akash ist der Herr über all das: Er nimmt die Toten auf in sein Reich, wenn man sie zu ihrem Heinen bringt, und gibt uns dafür Fruchtbarkeit, gibt uns dafür Erde, auf der alles gedeiht – Erde, die wir aus seinen Heinen für unser Dorf nehmen. Und ‚Akashs Segen‘ ist genau wie alles nicht eindeutig. Isst du davon, wirst du satt und bringst der Frucht den Tod. Begibst du dich danach aber in den Wald, dann wird er dich vielleicht für sein Reich zeichnen – und am Ende wird dein Tod neue Fruchtbarkeit bringen. Aber niemals darf ein Gesegneter lebend zum Hein gelangen, während Akash ruht…zumindest soll dann ein großes Unglück passieren. Die Toten würden auferstehen…“ Bel schluckte nur noch. Kopfschüttelnd ignorierte er das Stechen in seiner Brust, das Gefühl, als würde sich alles zusammenschnüren. Unfähig sich zu bewegen und mit zitternder Stimme brachte er: „Und wie…wie…wird man gezeichnet?“, heraus. Mit gehobener Augenbraue und einem zu genauen Blick antwortete sie: „Oh, lass mich Ba’kana zitieren: ‚In Dunkelheit wird er kommen, wird dich mit Farben und Düften locken, bis seine Ranken dich umschlingen. Dorn, Narben, Stiche – er wird dich zeichnen und dann wirst du eingehen in sein Reich und in seine Herrlichkeit. Doch wehe wenn du als Lebender betrittst sein Reich, trittst vor seinen Thron! Wutentflammt wird er den Kreislauf brechen und sich nehmen, was er gegeben…‘. Wirklich erstaunlich diese Sagen…“ Bel atmete erleichtert auf und sank halb in sich zusammen. Sein Herzrasen ging von Stechen in reines Pochen über, während er nach der Flasche griff und seine trockene Kehle befeuchtete. „Tja, kurze Erklärung zu Akash. Wenn ich schon bei den Göttern bin, dann kann ich gleich dort mit der Einführung weitermachen.“ Eine kurze Pause folgte, während der Bel nach etwas zum Schreiben suchte. Dann hörte er ein Rascheln und sah ein halb angefressenes Buch vor sich sah. Ein Stück Kohle gesellte sich gleich dazu. Als er das Buch aufschlug und die leeren Seiten sah, ergriff er den Stift und seufzte. „Ich glaube du wirst dir nicht alles merken. Also...fangen wir mit den Göttern an: Suras…“ Die nächste Ewigkeit war mit einer Aufzählung aller Gottheiten und ihrer seltsamen Eigenarten gefüllt, die zu seinem Erstaunen oft aus gegensätzlichen Eigenschaften bestanden. In einer kurzen Pause betrachtete er rasch seine in Schnellschrift verfassten Einträge, blätterte die vielen Seiten zurück und landete bei Suras – dem Gott der Sonne und der Pflanzen. Nach Hara waren die hohen Temperaturen nur einem Schutz vor der glühenden Hitze zu verdanken, die Suras den Gläubigen gewährte. Genau so ließ er auch die Pflanzen nur unter seinem Schutz sprießen, war aber dabei Abhängig von der Gunst Akashs. Scheinbar war die weiße Wüste entstanden, als die Ungläubigen vor Ewigkeiten mit einer Feuersbrunst bestraft wurden und in den Flammen verbrannten. Es schien ein ewiges Mahnmal für die Bewohner des Planeten zu sein. Bel schüttelte den Kopf. „Wie sollen wir je durch die Hitze kommen, wenn es da draußen…“ Haras Stimme unterbrach seine Frage. „Indem ihr seeehr schnell seid und die Dunkelheit abwartet. Dabei solltet ihr aber wirklich schnell sein, denn Stillstand bedeutet in der Eiseskälte den Tod. Es gibt einen Berg in Sichtweite des großen Waldes, der der einzige andere mir bekannte lebende Fleck ist. Genau dort landen die Fähren…“ Bei dem Blick aus der Tür offenbarte sich die Dunkelheit, die inzwischen aufgezogen war – und eine mit reichlich Ästen verzierte Gestalt. Mit ihren in die Seite gestemmten Armen schaffte es die leicht rot angelaufene und mit zahlreichen Schrammen übersäte Nora, gerade noch ihre Haltung zu wahren. Sie sah wütend aus. Für einen Augenblick hob und senkte sich ihre Brust in wildem Takt, bevor sie anfing ihn anzubrüllen: „BEL, verdammt, wo warst du faules Aas? Ich hätte deine Hilfe gut gebrauchen können!“ Bel biss sich bei dem Anblick in die Backen, um das Lachen zurückzuhalten. Halb um sich abzulenken, dehnte er seine Beine und stand dann auf. „Ich...“, erklärte er mit periodisch länger werdenden Lippen, „war beschäftigt. Oder hätte ich mich zweiteilen sollen und…“ Plötzlich fing seine Welt an sich zu drehen und etwas kitzelte in seiner Nase. Es war, als ob sein Verstand sich auflöste. Schwankend griff er nach oben, wollte sich kratzen. Doch etwas tropfte nach unten. Verwirrt schaute er hinunter, erkannte einen roten Fleck, dann noch einen und murmelte in Erkenntnis: „Blut?“ Er fiel in sich zusammen, unfähig die Beine weiter aufrecht zu halten, griff zitternd nach seinem Talas, den er sich auf die Nase presste. Dumpf bemerkte er, wie sein Kopf nach hinten gezogen wurde und Nora ihn mit Summen beruhigen wollte. „Hör bitte auf…es geht schon wieder“, murmelte er schließlich genervt, nur um bei dem Klang seiner Stimme sofort wieder zu verstummen. Es klang fürchterlich rau. Er schüttelte vorsichtig den Kopf, senkte ihn dann wieder und fühlte nur noch ein leichtes Kitzeln. Als er den blutbeschmierten Talas hob, fielen noch ein paar rote Tropfen darauf. „Bitte kein Summen mehr“, bat er und ignorierte dabei gekonnt Noras beleidigten Blick. „Dabei ist mein Summen so schön…“, nörgelte Nora. Gleichzeitig zog sie an seinem Ärmel, während Hara belustigt schaute. Eine Sekunde lang wollte er etwas sagen, doch dann schwankte er lieber Richtung Ausgang – gerade rechtzeitig, bevor sein Körper merkwürdig leicht wurde. Hara rief ihm: „Dann bis morgen…“, hinterher, während Nora gleich: „Nein, morgen habe ich ihn“, dazwischenrief. Weiter gezogen von der resoluten Botanikerin, hob er nur kurz den Arm und wedelte etwas mit der Hand herum, bevor er selbst das Ruder übernahm. Er schwankte wie ein Betrunkener hin und her und fand irgendwie die Kraft, den richtigen Weg zu finden. Seine Welt rotierte die ganze Zeit, drehte sich sanft im Kreis und war merkwürdig gedämpft. Ein paar Mal hustete er, fühlte dabei einen seltsam eisernen Geschmack und musste an seine Nase denken. Irgendwann stieß er plötzlich gegen etwas Hartes und schaute auf. Er stand vor der Hütte, drehte sich um und schüttelte Noras Hand ab. „Danke…kann alleine gehen…“ Seine Worte kamen leise, halb genuschelt. Bel wollte nur noch seinen Kopf niederlegen und das Drehen loswerden. Er wollte nur noch schlafen. Nora stemmte ihre Hände wieder gegen ihre Hüften. „Jetzt den Starken markieren. Aber reg dich nicht auf, wenn es dir schlecht geht und du wie fast alle Männer wegen einem leichten Fieber deinen nahenden Tod siehst und ich dir dann nicht helfe.“ Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause, bevor sie dann amüsiert fortfuhr: „Aber hübsches Kunstwerk auf deiner Kleidung…“ Bel quittierte das nur mit einem Augenrollen und stolperte über die Schwelle zur Hütte, taumelte ein paar Schritte weiter und prallte schließlich unsanft mit dem Knie auf den Boden. Sekundenlang versuchte er das weiße Flimmern aus seinem Blick zu vertreiben, bis er in der leeren Hütte seinen Rucksack direkt vor sich erblickte. Erstaunt zog er ihn wie einen Schatz zu sich und kramte ein wenig darin herum. Sofort fand er eine Zahnpflege und zog die beiden kleinen Holzstücke hervor. Bei dem Anblick wurde ihm wieder das seltsam pelzige Gefühl bewusst, dass sich in seinem Mund ausbreitete, das sich bei jeder Zungenbewegung wie eine raue Oberfläche anfühlte. Während einer neuerlichen Inneninspektion seiner Zähne, entfernte er das Band um die beiden Holzteile und nahm das Stück mit dem aufgebürsteten Ende, ließ das andere fallen. Sekunden später putze er sich damit die Zähne, stand auf und suchte nach einem der Krüge. Mit dem Wasser spülte er sich immer wieder zwischendurch den Mund aus, bis das Gefühl immer besser wurde. Am Ende fuhr er über die blitzblanken Kauwerkzeuge und nahm das zweite Stückchen, um daran zu kauen. Sofort strömte der erfrischende Geschmack daraus hervor und vertrieb die letzten Reste des Gestanks. Gleichzeitig mit der Endzahnpflege suchte er mit der anderen Hand seine Tasche ab, murmelte jedes Mal zufrieden, wenn er ein neues Teil fand und zerrte schließlich ein Stück Kleidung heraus – nicht ohne dabei den halben Inhalt mitzuziehen. Am Ende entkleidete er sich schnell, verzog die Nase bei dem seltsamen Geruch, der ihm von seinen ausgezogenen Gewändern entgegen strömte und streifte das mit grünen Ranken verzierte Ensemble schnell über. Schnell stopfte er danach seine Habseligkeiten wieder in die Tasche und behielt nur die lange Kette bei sich, an deren Enden je eine kleine Kugel hing, an einem davon mit einem Dorn. Dann ließ er sich auf sein Kissen fallen. Kaum dass er sich niedergelegt hatte und eingedöst war, zerrte ihn jemand, der wie Tello wirkte, aus seinem Schlaf. „…faul. Hara wartet seit Stunden!“, hörte er wie durch eine dicke Wand hindurch und versuchte die Watte aus seinem Kopf zu vertreiben. Doch all die Versuche waren vergebens. Mühsam kämpfte er sich hoch und schwankte unter den Drohungen von ‚Meldung‘ und den ‚verdienten Peitschenhieben‘ irgendeinen Weg entlang. Die Welt wirkte dabei seltsam unwirklich und ihn fröstelte mehr als einmal. Sein Verstand war benebelt, schlich dahin. Bevor er es bemerkte, saß er schon vor Hara, ein Stift in der Hand. Irgendwie notierte er die Wörter, deren Sinn ihm entging. Sein Kopf pochte stetig, seine Ohren wirkten halb verschlossen. Kein Mittel half dagegen. Immer wieder hustete er, schluckte den eisenhaltigen Geschmack hinunter und strich sich über die schmerzende Schulter. Hitze strömte dabei wie Feuer in seine Finger und brachte ihn dazu, schnell wieder damit aufzuhören und Wasser zu suchen. „Ist etwas?“ Hara unterbrach mit ihrer Frage seine Monotonie aus Watte und Hitze, brachte ihn aus dem Konzept. Einige Augenblicke überlegte er, um schließlich nur: „Nein, alles in Ordnung. Nur ein wenig…müde“, zu sagen. Eine unbekannte Angst, ein plötzlicher Knoten im Hals, hielt ihn davon ab, Hilfe zu suchen. „Na dann – wir haben jetzt inzwischen schon bis zum Abend gearbeitet und…“, führte Hara in mildem Ton aus, nur um von einem „…morgen bekomme ich ihn endlich!“, unterbrochen zu werden. Inzwischen dröhnte sein Kopf nur noch, die Stimmen stachen in seinen Ohren. Reflexartig hob Bel seine Hände, versuchte die Geräusche von seinem Gehör abzuschirmen, doch ohne Erfolg. Stattdessen fühlte er bei der ersten Berührung etwas Feuchtes auf den Fingern, spürte es seine Haut entlang kriechen und konnte nicht anders. Er fuhr über die juckende Stelle und schaute dann auf das, was auf seiner Hand hängen geblieben war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)