Eragon - Kind des Mondes von Lawlya (Murtagh x OC) ================================================================================ Kapitel 10: Ablenkung --------------------- Araya erwachte in Murtaghs Armen. Nachdem sie gestern noch lange zusammengeblieben waren, hatte Murtagh spät abends beschlossen, dass er sie nicht alleinlassen würde und hatte hier genächtigt. Da Araya ihm jedoch nicht den harten Boden zumuten wollte, obwohl er versicherte, schon unbequemer geschlafen zu haben, hatten sie sich ihr Lager geteilt. So fror Araya auch nicht sehr, als sie aus ihrem Traum wie üblich erwachte. Dorn hatte sich, als er endlich in den Drachenhort zurückkehrte – sie wurde das Gefühl nicht los, dass er absichtlich fortgeblieben war – neben ihr Lager gelegt und wachte ein wenig über die beiden. Als Araya ihm einen Blick zuwarf, bemerkte sie jedoch, dass auch der Drache dem Schlaf erlegen war. Durch die Bewegung in seinen Armen verstärkte Murtagh unbewusst seinen Griff und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sein Gesicht. Eigentlich wollte sie nur schauen, ob er erwacht war, doch dann kam Araya nicht umhin zu bemerken, wie friedlich sein Gesicht erschien. Wenn man bedachte, wie viele Schicksalsschläge er wohl hatte ertragen müssen, verwunderte es sie ein wenig, dass der sonst so ernste Ausdruck auf seinem Gesicht im Schlaf wich. Sanfte Träume hatte auch sie gehabt. Wenn man bedachte, mit was ihr Geist sie sonst hätte heimsuchen können. Doch Araya bedauerte es, keine Erinnerungen von Saliha im Schlaf gesehen – so schmerzhaft sie auch sein mochten – oder wenigstens die letzten Erlebnisse wiedererlebt zu haben. Es wäre zwar weitaus verstörender gewesen als unter einer Eisschicht eingesperrt zu sein, an was sie sich erschreckenderweise langsam gewöhnte, doch sie hätte wenigstens an Saliha gedacht. Araya fühlte sich schrecklich bei dem Gedanken, dass ihre beste Freundin ihr scheinbar nicht einmal wichtig genug gewesen war, um nach ihrem Tod von ihr zu träumen. Aus dem gleichbleibenden Rhythmus ihrer Träume schloss sie sogar, dass ihre Psyche anscheinend einfach wie bisher weiterlebte. Araya schloss die Augen, um die Tränen, die ihr bei der Erinnerung und diesen Gedanken in die Augen stiegen, einzusperren. Genug geweint. Sie verbot sich nicht zu trauern, denn das bewies, dass sie Salihas Tod wenigstens bedauerte, aber sie konnte es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen. Nicht vor Galbatorix. Das Geräusch der Pforte ließ sie aufschrecken. Araya verdrehte sich ihren Hals, um zum großen Torbogen des Hortes zu schauen, doch lange konnte sie so nicht liegen. Vorsichtig versuchte sie, Murtaghs Arme zu lockern. Als sie genug Freiraum geschaffen hatte, um sich bewegen zu können, kroch sie an dem Drachenreiter herunter und entfernte sich schließlich von ihm. Leise, immer drauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen, die ihn hätten aufwecken können, erhob sich Araya. Sie bezweifelte, dass er oft so friedlich und erholsam schlief. Araya trat aus den Schatten. Genau in diesem Augenblick betrat der junge Diener den Hort und sie vernahm hinter sich das Knirschen von kleinen Steinen. Dorn musste erwacht sein und den Kopf gehoben haben. Sie wusste, der Drache konnte im Dunkeln hervorragend sehen und beobachtete den Mann mit scharfem Blick. Allein schon, um Gefahren von seinem Reiter fernzuhalten. Der Neuankömmling schien von alledem nichts bemerkt zu haben, denn er setzte ein zugleich freundliches und triumphierendes Lächeln auf. Sie bemerkte, dass er abermals einen Korb mitbrachte, doch dieses Mal fiel der deutlich kleiner aus als noch vor ein paar Tagen. „Du bist ein unartiges Mädchen, weißt du das? Wo hast du nur den Korb gelassen, den ich dir brachte? Ich konnte leider keinen größeren finden“, verkündete er mit einer Stimme, die man verwendete, wenn mit kleinen Kindern gesprochen wurde, und kam weiter auf sie zu. Araya holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Sie bemerkte, wie leicht die Wut und der Hass zurückkehrten und stellte sich ihre Gefühle wie ein tobendes Meer vor, zurückgehalten von einer dünnen Glasschicht, die schon einmal stärker gewesen war. Sie vermutete, dass sie sich erst wieder aufbauen musste, nachdem ein Schicksalsschlag sie zerbrochen hatte. „Euer Name ist Cohen, nicht wahr?“, erwiderte sie, ohne auf seinen Spott einzugehen, und hoffte gleichzeitig, durch ihre höfliche Anrede eine Distanz zwischen ihnen zu schaffen. Der fröhliche Ausdruck auf seinem Gesicht verflüchtigte sich so schnell, wie er erschienen war, als er gewahr wurde, dass sie allein zu sein schien. Im Moment dankte sie Murtagh mit voller Inbrunst, dass er ihr den Namen des Dieners verraten hatte. Dieser schien darüber nämlich nicht sehr erfreut, denn anscheinend fürchtete er um seine Anonymität. Dann verdunkelte sich sein Gesicht plötzlich. „Dieser Unbrauchbare von Drachenreiter hat dir das verraten! Wagt es, davon Gebrauch zu machen und –“, zischte er, doch Araya unterbrach ihn unwirsch. „Und was?“, fragte sie kühner, als sie sich fühlte. Und ihr Mut schwand zusätzlich, als der Mann ihr einen aufgebrachten Blick zuwarf. Doch bevor sie wieder in ihr altes Schema zurückfallen konnte, erinnerte sie sich an das, was sie heute Morgen beschlossen hatte: Keine Schwäche mehr zu zeigen. Sie hob den Kopf waagemutig an und schob das Kinn störrisch ein wenig nach vorne. „Ihr könnt mir nicht drohen!“, fuhr Araya beinahe angriffslustig fort und schaute ihn so überheblich, wie es ihr nur möglich war, an. Woraufhin Cohen einen weiteren, drohenden Schritt in ihre Richtung ging. Augenblicklich vernahm sie hinter sich das leise Rauschen von zerschnittener Luft. Sie wagte es nicht, einen Blick nach hinten zu werfen, weil sie dem Diener keinen unachtsamen Moment lassen wollte, doch Araya vermutete stark, dass Dorns Schweif in der Luft hin und her peitschte. Sie erwartete einen Angriff, doch zu ihrer Verwunderung lächelte Cohen plötzlich und trat mehrere Schritte zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen. Er öffnete den Mund: „Weißt du, ich werde dem einfach König alles erzählen, was hier vorgefallen ist. Jedes einzelne Detail. Deine Geheimnisse liegen offen, während deine Mauern einstürzen.“ Er trug ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen. Doch Araya fragte sich, was er Galbatorix eigentlich verraten wollte. Er wusste nichts von ihrem Alltag, und die wenigen Begegnungen, die sie hatten, würden eher ihn als sie selbst belasten. Hielt er sie für so dumm, allein bei der Erwähnung des Königs in Panik zu geraten? Oder um zu glauben, er wüsste etwas wirklich Wichtiges über sie? Sie antwortete ihm nicht, und der Diener interpretierte ihr Schweigen wohl als Starre, denn er wandte sich demonstrativ – als wolle er, dass sie ihn zurückhielt – zum Ausgang um und schlenderte darauf zu. Als weiterhin keine Reaktion folgte und die Stille hinter ihr Araya beunruhigte, blickte er noch einmal über die Schulter. „Und wenn ich es mir recht überlege, erwähne ich vielleicht noch deine Beziehung zu diesem Drachenreiter.“ Araya öffnete den Mund, als Cohen sich lachend wieder dem Ausgang zuwenden wollte, doch beide wurden unterbrochen. Sie vernahm ein ohrenbetäubendes Brüllen, dass nicht nur in ihren Ohren schmerzte, sondern auch ihren Geist zum Erschüttern brachte, und bemerkte durch einen Luftzug über ihr, dass Dorn beschlossen hatte, dem ein Ende zu setzen. Er landete geschmeidig vor dem zu Stein erstarrten Diener und riss das Maul auf. Als Araya begriff, was er im Begriff war zu tun, versucht sie, den Drachen zu übertönen: „Dorn, hör auf!“ Dorn schien sie nicht zu hören, dafür aber Cohen, der ihn bisher nur in Todesangst angesehen hatte. Der Diener wich gerade noch rechtzeitig aus, um nicht zwischen Dorns Fängen zermalmt zu werden. Hastig trat Araya näher an das Tier heran, doch Dorn verhinderte mit seinem Schweif, dass sie Cohen auch nur nahe kam. „Dorn, lass ihn! Das hat doch keinen Sinn!“, rief sie, doch Araya befürchtete, dass Dorn genug Lärm verursachte, um sie nicht hören zu können. Verzweifelt versuchte sie, irgendwie in die Nähe des Drachen oder des Diener zu gelangen, doch er sah ihre Bewegungen voraus und hinderte sie geschickt am Vorankommen, während er weiterhin nach dem Diener biss. Kurz warf Araya einen Blick zurück – bei dem Geräuschpegel konnte Murtagh unmöglich noch schlafen –, doch dann wandte sie sich wieder um, als sie einen menschlichen Schrei vernahm. Blut tropfte auf den Boden, als Cohen zurückstolperte und sich die rechte Schulter hielt. Der Arm fehlte. Ihr Grauen war so stark, dass Araya völlig vergaß, dass Dorns Schweif sie ebenso gut erschlagen könnte. Kopflos sprang sie über den muskelbewehrten Körperteil und lief zu dem sich vor Schmerzen krümmenden Diener. Sie stellte sich vor ihm auf, hob abwehrend beide Hände Dorn entgegen und schrie so laut sie konnte: „Stopp! Du darfst ihn nicht töten.“ Dorn brachte seinen Kopf nahe an ihre Hände und für einen Moment fürchtete sie, er würde auch sie in seiner Raserei, Murtagh zu beschützen, angreifen, doch er atmete nur gegen ihre Handflächen und sah ihr in die Augen. Er wird dich an den König verraten. Er hat den Tod verdient!, grollte ihr seine Stimme entgegen. Araya sah ihn verwundert an. Es ging hierbei um sie? Natürlich war ihr klar, dass Dorn nicht wissen konnte, dass Cohen rein gar nichts wusste, was er gegen sie verwenden könnte, doch bisher hatte sie ihn doch auch nicht interessiert. Arayas Gedanken stoppten, als Cohen hinter ihr ein ängstliches Geräusch hervorstieß. Um Dorn nicht zu lange aus den Augen zu lassen, drehte sie ihren Kopf nur minimal, um ihn ansehen zu können. Cohens Blick war noch weiter nach hinten gerichtet und somit zwang er auch sie, ihren Kopf weiter zu wenden. Dort, an der Grenze zwischen dem Licht des Hortes und den Schatten, stand Murtagh. Seine Augen waren hart und kalt, soweit sie das von ihrer Position aus erkennen konnte, und Araya wusste auch, dass sie wieder dieselbe Brutalität in ihnen erkennen würde, die ihn schon einmal dazu gebracht hatte, drei Menschen umzubringen, hätte sie nur genauer hingesehen. Doch Cohen verhinderte dies, als er panisch hinter ihr hervorkam und versuchte, an Dorn vorbei den Ausgang zu erreichen. Ganz davon abgesehen, dass er viel zu viel Blut verloren hatte, war es Wahnsinn, an einem Drachen vorbei flüchten zu wollen, wenn dieser ihn mit Vergnügen töten wollte. Dorn bleckte bereits die Fänge und schob angriffsbereit den Kopf vor, als Araya begriff, dass Murtagh nicht einschreiten würde, und der Diener kraftlos stolperte und fiel. Gerade, als Dorn den Menschen unter einer seiner Klauen begrub, durchströmte Araya die Wut über die von einem dummen Lügner ausgelöste grausame Kettenreaktion. „For god’s sake, let him go! Get off him!!“, schrie sie. Ihr Ärger ließ sie die Unkenntnisse der anderen in ihrer Sprache vergessen, vor allem, als Dorn richtig reagierte und den Diener losließ. Sie warf ihm einen Seitenblick zu und registrierte, dass er es nicht wagte, sich zu bewegen. Er hatte anscheinend aus seinen Fehlern gelernt, doch dieses Mal brachte es ihm einen schneidenden Befehl ein: „Beat it!“ Obwohl er nicht verstand, was sie ihm sagte, brachte ihn schon allein Arayas Tonfall dazu, den Hort, so schnell es sein geschwächter Körper zuließ, zu verlassen. Sie sah, wie Murtagh Cohen nachblickte, kümmerte sich aber nicht darum, als Dorn das Wort ergriff. Er bedroht dich. Dieser einfache Mensch könnte dem König Informationen über dich geben, die er besser nicht wissen sollte. Der sachliche Tonfall des Drachen regte ihre Wut nur noch mehr an. Eigentlich konnte sie Dorn keinen Vorwurf machen, er hatte sie beschützen wollen, ohne zu wissen, dass Cohen gar nichts wusste. Und trotzdem … „No reason to kill somebody, even if he’d known something! And you …” Als Araya sich erinnerte, dass Murtagh trotz der offensichtlichen Raserei seines Drachens nicht eingeschritten war, auch als sie selbst es versucht hatte, wandte sie sich ihm stürmisch zu. „You didn’t even react!“, hielt sie ihm mit Empörung in der Stimme vor. Vollkommen außer Atem versuchte Araya, bei Murtagh allein mit ihrem Blick ein schlechtes Gewissen zu verursachen. Allerdings schien das nicht der Fall zu sein, denn anstatt sich bei ihr zu entschuldigen, bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen. „Du weißt schon, dass wir kein Wort von dem verstehen, was du da sagst, ja?“, antwortete er neckend und erhielt dafür von Araya einen todbringenden Blick. Sie versuchte ihm klarzumachen, dass sein Handeln unrecht gewesen war, und er wagte es, sich über die Sprachbarriere zu retten?! Bevor sie ihm alles jedoch noch einmal in seiner Sprache vorwerfen konnte, redete Murtagh eilig weiter: „Aber du hast mich damit auf eine Idee gebracht!“ Mit ausholenden Schritten kam er auf sie zu und setzte dabei eine versöhnende Miene auf. Araya beruhigte sich etwas. Wenigstens war es ihr gelungen, ihre Wut zu vermitteln, wenn schon nicht den Inhalt ihrer Worte. Und sie war außerdem neugierig, auf welchen Gedanken sie Murtagh gebracht hatte. „Immer, wenn du wütend wirst, redest du dieses Nonsens …“, entrüstet öffnete sie den Mund, um Murtagh ihre Meinung über seine Bezeichnung ihrer Muttersprache zu vermitteln, doch er hob die Hand und fuhr fort. „Wir verstehen es nicht. Also ergibt es für uns auch keinen Sinn. Aber du könntest es mir beibringen.“ Das schien seine Idee zu sein. Als Araya sich die Worte noch einmal durch den Kopf gehen ließ, fragte sie: „Was?“ Murtaghs tiefer Seufzer lenkte ihren Blick auf sein Gesicht. „Deine seltsame Sprache, was sonst?“, stellte er die Gegenfrage. Araya starrte ihn verwundert an und ging aus Großzügigkeit über das »seltsam« in seinem Satz hinweg. „Du willst meine Sprache lernen? Ich dachte immer, du kannst sie nicht besonders gut leiden?“ „Weil ich sie nicht verstanden habe, damit hattest du schon Recht.“ Was Araya endgültig besänftigte. Denn sie hatte das Gefühl, dass Murtagh nicht oft zugab, dass andere, was ihn betraf, Recht gehabt hatten. Allerdings wusste sie nicht recht, ob sie diese Idee wirklich gut fand. Ihre Sprache war eine Art Rückzugsgebiet in einer Situation, in der sie das räumlich nicht umsetzen konnte. Niemand in diesem Schloss verstand mehr die Sprache Drakon-Ryuus. Die einzige, die diese Fähigkeit besessen hatte, war tot. Murtagh schien zu spüren, dass sie mit Unbehagen über seine Bitte nachdachte. Eine Weile schwieg er auch und sah ihr zu, dann fügte er hinzu: „Ich würde mich darüber freuen.“ Genau in diesem Augenblick verschaffte sich ihr Hunger Gehör. Die Aufregung mit Dorn und Cohen hatte sie das Morgenmahl ganz vergessen lassen, doch ihr Körper forderte die Energie und der Appetit kehrte mit neuer Stärke zurück. Murtagh wandte sich unvermittelt ab. Erschrocken schaute sie ihm nach und erkannte, dass er auf den Ausgang zuhielt. „Ich gehe etwas holen. In der Zwischenzeit kannst du ja darüber nachdenken.“ Bevor er in dem großen Torbogen verschwand, hob Murtagh zum Abschied die rechte Hand. Und obwohl sie wusste, dass er es nicht sehen würde, erwiderte sie die Geste. Eine Weile sah sie Murtagh gedankenverloren nach, während sie sich langsam auf dem Boden niederließ, doch als Dorn sich mit einem deutlichen Laut direkt neben ihr auf dem Boden niederließ, schreckte er sie aus ihren Gedanken auf. Verwirrt warf sie dem Drachen einen Blick zu. Ihr kam wieder in den Sinn, dass er sie hatte beschützen wollen, und nun erschreckte er sie auf diese Weise. Aus Dorn wurde sie einfach nicht schlau. Aber es war vielleicht auch nicht die Aufgabe eines Menschen, das Gemüt der Drachen zu verstehen. Dafür waren sie viel zu geheimnisvolle Wesen. Araya wollte ihren Blick schon wieder auf den Ausgang des Horts richten, da bewegte Dorn seinen Kopf in ihre Richtung. Warum zögerst du?, fragte er in einem ärgerlichen Tonfall. Jetzt verstand sie; es missfiel ihm, dass sie darüber nachdenken musste, ob sie Murtagh ihre Sprache lehren sollte. „Es ist ein kindischer Grund“, erwiderte sie schlicht. Dorn würde sicher verstehen, dass er es nicht fassen könnte, selbst, wenn sie es ihm erklärte. Dann fügte sie hinzu: „Danke, dass du mich beschützt hast.“ Augenblicklich wandte der Drache seinen Blick von ihr ab. Bilde dir ja nichts darauf ein. Murtagh hätte genauso Schaden genommen. Ob dieser Wurm Galbatorix etwas über ihn erzählt hätte oder ob ich ihn dich bedrohen ließe. Beides hätte ihn auf die eine oder andere Weise verletzt. Sie entschloss sich, es so zu verstehen, dass beides nicht förderlich für sein Verhältnis zu dem König gewesen wäre. Wenn Galbatorix erführe, dass Murtagh ihm Details über sie verschwieg, würde er sie trennen und an seiner derzeitigen Ergebenheit zweifeln. Seufzend wandte sie sich wieder dem schwarzen Loch in der Mauer zu, das Murtagh verschlungen und auch wieder ausspeien würde. Sollte sie ihm nun Drakon-Ryuus Sprache lehren oder nicht? Ja, sie hatte Vorbehalte, doch sie glaubte, dass es ihr sicher auch Freude bereiten würde, Murtagh ihre Heimatsprache beizubringen. Ihm einmal in ihrem Leben etwas beizubringen; nicht, um ihn unwissend zu erleben, sondern um ihm etwas Gutes zurückzugeben für alles, was er bereits für sie auf sich genommen hatte. Vielleicht war das hier die beste Möglichkeit, sich erkenntlich zu zeigen. Und sie könnte wieder frei und unbeschwert reden. Indem sie ihm alles erklärte, sprach sie selbst. Und sie vermisste den Klang der Worte. Es war selbstsüchtig, aus solchen Gründen wie Sehnsucht nach ihrer Heimat zu entscheiden, aber sie konnte nicht anders. Als ihr klar wurde, was das Lehren zwangsläufig mit sich bringen würde, konnte sie gar nicht mehr ablehnen. Sie stellte sich vor, wie Murtagh ihre Sprache erlernen und sie sprechen würde, und tief in ihrem Inneren spürte Araya, dass es richtig war. Ein warmes Gefühl in ihrem Herzen brachte ihre Freude in ihr Bewusstsein. Verwundert über diesen plötzlichen Gefühlsrausch legte sie beide Hände oberhalb ihrer linken Brust auf die Stelle, an der sie ihren eigenen Herzschlag fühlen konnte. In diesem Moment vernahm sie das Geräusch der sich öffnenden Pforte. Nicht einen Moment hatte Araya Zweifel daran, dass Murtagh zurückgekehrt war, und sprang euphorisch mit einem Lächeln im Gesicht auf die Füße. Dorn warf ihr einen verwunderten Blick zu, was sie ihm nicht einmal verübeln konnte, doch trotzdem ließ ihre gute Stimmung nicht nach. Murtagh trat durch den Torbogen und balancierte ein großes Tablett mit einer Hand vor sich her, auf dem allerlei Köstlichkeiten verteilt waren. So, wie sie ihn kannte, war der Drachenreiter direkt in die Küche gegangen und hatte für sein Morgenmahl nur das Beste verlangt. Als das silberne Geschirr gefährlich schwankte, schritt Araya ein und nahm es ihm ohne zu zögern ab. Murtagh achtete viel zu sehr darauf, nicht über die kleinen, aber tückischen Steine zu stolpern. Araya selbst hatte mehr Erfahrung damit, empfindliche Ware sicher über unebenen Boden an ihren Bestimmungsort zu bringen. Gerade hatte sie das silberne Meisterwerk auf den Boden gestellt, als Murtagh Teller, Schüsseln, Messer und Löffel aus einem braunen Stofftuch auswickelte. Sie ging zu ihm, um auch diese Sachen auf der Erde mangels eines Tisches zu arrangieren, als sie statt des Geschirrs das hellbraune Tuch in Händen hielt. Verwundert sah sie Murtagh, dann das Stoffbündeln in ihren Armen an. Als sie es an zwei Enden von sich fort hielt, erkannte sie ein Kleid darin. „Ich dachte mir, du würdest dich über neue Kleidung freuen. Dein jetziges Kleid ist ja schon ziemlich abgetragen, nicht wahr?“ Sie brachte vor Überraschung nur ein Nicken zustande. „Durch die braune Farbe sieht man den Schmutz nicht sofort.“ Murtaghs Stimme wurde unsicherer, doch dazu hatte er überhaupt keinen Grund. Sie wusste, dass er es nicht beleidigend meinte. „Danke sehr“, antwortete Araya, der durch den Anblick des Kleides auch wieder die Decken einfielen, die vor zwei Tagen plötzlich dagewesen waren. „Vielen Dank.“ Er wollte sich gerade setzen, doch als er ihren wiederholten Dank vernahm, stockte er in seiner Bewegung. „Weswegen?“ Araya konnte ein Lächeln nicht verhindern. Sie hatte schon vorher festgestellt, dass Murtagh nie zu bemerken schien, welche Gefälligkeiten er ihr durch seine Taten leistete*. „Für die Decken“, antwortete sie daher schlicht. Es war ja keine schlechte Eigenschaft, Menschen Gutes zu tun, ohne zu bemerken, wie sehr man ihnen wirklich half. Das verstärkte nur das Gefühl der Aufrichtigkeit. Doch Murtagh schien das anders zu sehen. Er verzog das Gesicht zu einer Miene, die Araya nur mit Mühe und Not als zerknirscht erkennen konnte. Anscheinend hatte sie einen wunden Punkt getroffen. „Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken. Ich müsste mich eher bei dir entschuldigen.“ Ihr fragender Blick genügte, um ihn zu einer Erklärung aufzufordern. Er seufzte. „Ich hätte sofort daran denken sollen, dass du hier unten Unterlagen für dein Lager brauchst, immerhin bist du kein …“ Er brach abrupt, als schämte er sich für das, was er eben hatte sagen wollen. Räuspernd nahm er den Faden wieder auf. „Selbst im Kerker hattest du eine Art Bett. Ich habe das Gefühl, dass es dir dort besser ergangen ist.“ Araya traute ihren Ohren nicht. In dieser glatten, undurchdringlichen Dunkelheit, die ihr ihre Einsamkeit nur noch mehr verdeutlicht hatte, sollte es ihr besser ergangen sein als an diesen Ort, der für sie durch die Anwesenheit dieser beiden Wesen wenigstens teilweise ein Ort der Wärme geworden war? Wie konnte er nur auf solch einen Gedanken kommen? Um ihm das klarzumachen, erwiderte sie hastig: „Nein nein, selbst ohne Decken, hier ist es tausendmal besser als in dieser Zelle.“ Er lächelte sie beinahe dankbar an, und Araya war froh, dass sie ihm helfen konnte. Gerade öffnete sie den Mund, um ihm ihre Entscheidung bezüglich seiner Bitte mitzuteilen, da erhob er selbst unvermittelt die Stimme. „Wahrscheinlich war die absolute Dunkelheit deiner Zelle dafür verantwortlich, dass du dieses Gespür für den Geist anderer Menschen ausgebildet hast.“ Sie stockte. Wie kam er jetzt darauf? „Meinst du?“, fragte sie unsicher nach. Murtagh nickte zur Bestätigung und fuhr dann fort: „Weil du dich weder auf deine Augen noch auf deine Ohren verlassen konntest – dir also ein vollkommenes Unvermögen, dich in deiner Umgebung zu orientieren, aufgezwungen wurde –, musstest du andere Sinne verwenden, um deine Umwelt zu erschließen. Die Isolation hat deinen Körper wahrscheinlich dazu getrieben, diese Fähigkeiten auszubilden.“ Alles, was sie tun konnte, war, Murtagh zu versichern, dass sich das gesamte Konzept recht schlüssig anhörte. Sie hatte keine Ahnung davon, welche Auswirkungen beschriebenes Szenario auf ihren eigenen Körper gehabt hatte, mit Ausnahme der Berührungsängste und der Verzweiflung ob dieser undurchdringlichen Dunkelheit. Er schien zu spüren, dass sie an diese Zeit dachte, denn kaum hatten ihre Gedanken einen düstereren Pfad eingeschlagen, schlug Murtagh vor, mit dem Essen zu beginnen. Wie auf ein geheimes Zeichen tat auch ihr Magen lautstark seinen Hunger kund. Araya konnte gar nicht anders, als darüber zu lachen. Murtagh hatte ihr zuliebe wieder Joghurt, Früchte, Milch und Haferflocken mitgebracht. Wieder so eine Aufmerksamkeit, von der er gar nicht wusste, wie viel es über ihn aussagte. Doch Araya entdeckte auch Brot und getrockneten Fisch sowie gepökeltes Fleisch. Sie entschloss sich dazu, beides zu versuchen und stellte fest, dass sie Fisch gern aß. In der Heimat hatten sie nie das Geld gehabt, sich etwas von den Meerestieren zu kaufen. Zwischen zwei von Murtaghs Bissen erklärte sie ihm, dass sie sich freuen würde, ihm ein wenig ihre eigene Sprache näherzubringen. Er nahm vor Überraschung den Brocken im Mund zu schnell zu sich und hustete schwer, während er sich selbst auf die Brust klopfte. Araya fürchtete schon, er würde ersticken, als er sich endlich beruhigte. „Wirklich?“, brachte er schwer atmend und keuchend hervor. Als er ihr Nicken sah, grinste er und fragte: „Wann fangen wir an?“ Sie ließ sich von seiner Vorfreude anstecken. „Ich werde mir etwas zu morgen überlegen.“ Am nächsten Tag, nachdem sie gerade zu Mittag gegessen hatten, begannen sie mit dem Unterricht. Obwohl Murtagh den Beginn schon auf den nächsten Tag verschieben wollte, weil Araya über Kopfschmerzen geklagt hatte, war sie hartnäckig geblieben. Mittlerweile verspürte sie auch nur noch gelegentlich die Nachwehen. Sie verlagerte ihr Gewicht in eine angenehme Sitzposition und sah Murtagh an, bis er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. „Ich habe mir gedacht, wir beginnen mit Sätzen, die man auch oft im Alltag anwenden würde. Vielleicht bleiben sie dir so besser in Erinnerung.“ Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu und überließ ihm das Wort. Murtagh brauchte nicht lange, um zu verstehen, dass sie Initiative von ihm erwartete. Er dachte einen Moment nach, dann nannte er ihr einen Satz. „Wie wäre es mit … »Ich komme in friedlicher Absicht und möchte niemanden verletzen«?“ Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Alltäglicher Satz? Was glaubte er, in welcher Situation er ihn würde anwenden können? Trotzdem, sie tat ihm den Gefallen. „I come in peaceful faith and do not want to harm anyone”, übersetzte sie langsam und gemächlich, Betonungen auf wichtige Merkmale der Aussprache setzend. „Fangen wir mit der ersten Hälfte an: »I come in peaceful faith«. Die Worte sind in derselben Reihenfolge angeordnet wie in eurer Sprache.“ Murtagh blickte eine Weile an die steinerne Decke, dann wandte er seinen Blick wieder ihr zu und nickte. „Willst du es einmal wiederholen? Es gehört schließlich nicht nur verstehen zu einer Sprache.“ Widerwillig verzog er das Gesicht. Er schien sich noch genau daran zu erinnern, was geschehen war, als er das erste Mal versucht hatte, ihre Sprache nachzuahmen. „Ich lache auch nicht!“, versprach Araya und hielt wie zum Schwur eine Hand – mit der Handfläche in Murtaghs Richtung – in die Höhe. Er schien beruhigt und versuchte, die erste Hälfte des für einen Anfänger ziemlich langen Satzes zu sprechen. Wie versprochen verbot Araya sich, zu lachen, so seltsam Murtaghs Akzent auch war. Sie versuchte, ihn so freundlich und aufmunternd wie möglich zu korrigieren und ihn schließlich zu einem weiteren Versuch zu animieren, während sie seine Fortschritte außergewöhnlich deutlich lobte. Sie wusste, dass ihr Verfahren dem beim Umgang mit einem Kind glich, doch was gekränkten Stolz betraf, waren wohl alle Männer Kinder. Außerdem schien es Murtagh gutzutun. Er behielt die richtige Aussprache bei und feilte an den Worten, die ihm noch nicht gelingen wollte. Als er den Satzteil einigermaßen verständlich zustande brachte, wiederholte Araya den zweiten Teil und wollte mit der Übersetzung beginnen, doch er unterbrach sie. „Darf ich es versuchen?“ Ermunternd nickte sie. „Natürlich.“ Den ersten Teil übersetzte er vollkommen richtig, schlussfolgerte sogar aus Erinnerungen, dass »do not« und »don’t« identische Bedeutungen hatten und eine Verneinung darstellten, doch die letzten paar Worte brachen ihm metaphorisch den Hals. „»Harm« müsste dann »niemanden« und »anyone« »verletzen« bedeuten, nicht?“ Sie lächelte und überlegte sich derweil, wie sie es ihm am besten erklären sollte. Sie hatte über ein halbes Jahr Zeit gehabt, seine Sprache zu lernen, und war selbst erst auf derlei grammatikalische Stolperfallen hereingefallen. „Leider nicht. Es ist genau andersherum.“ Wie sie erwartet hatte, nahm Murtagh das nicht einfach hin. Er wollte verstehen, warum. Wirklich neugierig und wissensdurstig hatte Araya ihn bis zu diesem Tag noch nie erlebt. „Ich denke … Tätigkeitswörter werden – anders als in deiner Sprache – nicht getrennt. Sie bleiben zusammen und bilden eine Gruppe. Wie … wie der Schuppenpanzer eines Drachen. Alles andere wird arrangiert.“ Nachdem der vollständige Satz, der Murtagh vielleicht bei passender Gelegenheit das Leben würde retten können, von ihm in einem schwer akzentuierten Sprachgebrauch gemeistert worden war, beschäftigten sie sich weiter mit einfacheren Sätzen. Sie brachte ihm bei, wie er seine Person vorstellte, über sich erzählte, den Namen und Gemütszustand seines Gegenübers in Erfahrung bringen konnte und sich wieder verabschiedete. Den darauffolgenden Tag verbrachten sie vorwiegend damit, Murtaghs neue Sprachkenntnisse zu trainieren. Immer wieder fing Araya ein Gespräch mit ihm an, in dem sie jeweils andere Situationen nachstellte. Sie musste feststellen, dass der junge Drachenreiter sehr aufnahmefähig und lernbereit war, sodass es ihm nach ein paar Ansätzen nicht mehr allzu schwerfiel, Araya Ausführungen zu folgen und selbst zwar noch etwas stockend, aber verständlich zu reden. Am Abend lehrte sie ihn noch ein paar neue, oft gebrauchte Worte, bevor Murtagh sich verabschiedete und sie sich von ihren andauernden Schmerzen hinter ihrer Stirn erholen konnte. Araya hatte sie ihm verschwiegen, aus Angst, er würde sie den gesamten Tag allein im Hort zurücklassen. Auch, wenn sie vermutete, dass Cohen keinen Fuß mehr in den Hort setzen würde, selbst wenn sein Leben davon abhänge, war sie sich doch nicht sicher, wozu die Rache Menschen treiben konnte. Sie zweifelte nicht daran, dass er ihr die Schuld an seinen Verletzungen gab. Doch Murtagh zu unterrichten war anstrengend genug, um sie in einen ausreichend tiefen Schlaf zu versetzen, der selbst die Schmerzen in ihrem Schädel ausblendete. Allerdings kehrte dieser mit neuer Schärfe und Heftigkeit am nächsten Morgen zurück und wurde auch nicht durch Wasser oder das Morgenmahl abgemildert. Als Murtagh sie an diesem Tag besuchen kam, waren die Schmerzen so heftig geworden, dass sie sie nicht mehr verbergen konnte. Als Murtagh sie erblickte, zeichnete sich sofort Besorgnis auf seinem Gesicht ab. Sie sah, wie er einen flüchtigen Blick auf Dorn warf, der schon den ganzen Morgen über bei ihr geblieben war – was Araya nicht ohne Verwunderung über sich hatte ergehen lassen –, und sich seine Miene sofort weiter verdunkelte. Der Drache hatte ihn wohl darüber in Kenntnis gesetzt, dass es ihr schon seit dem Morgen schlecht ging. Als er zu ihr kam, warf er Dorn flüchtig im Vorübergehen einen wütenden Blick zu, bevor er sich ihr voll und ganz widmete. „Die Schmerzen sind schlimmer geworden“, stellte er mit einem Blick fest und sein Tonfall vermittelte ihr, dass es keinen Sinn hatte, es zu leugnen. Das hatte sie aber auch nicht erwartet. Langsam und vorsichtig nickte sie, doch die Bewegung brachte Araya dazu, durch die entstandenen Schmerzen zusammenzusinken. „Dorn erzählte mir, dir ginge es schon seit heute früh nicht gut. Seit wann spürst du sie schon?“, fragte er weiter, weil von ihr keine weitere Reaktion gefolgt war. Sie hatte viel zu viel Angst gehabt, durch erneute Bewegungen nochmals die Empfindungen zu steigern. Gequält lächelte Araya. Ihr blieb wohl nichts Anderes übrig, als das ganze Ausmaß ihrer dieses Leids hinter ihrer Stirn zu enthüllen. „Seit vorgestern“, antwortete sie knapp und wappnete sich vor Murtaghs Reaktion, wenn er begreifen würde. Sie wusste schon jetzt, dass er es ihr nachtragen würde, dass sie ihm etwas verschwiegen hatte. „Ich meinte eigentlich, seit wann die Schmerzen heute –“ Er brach abrupt ab. Araya sah vorsichtig zu ihm auf, als keine weiteren Worte folgten, und musste erkennen, dass er sie wütend anstarrte. Was nicht anders zu erwarten gewesen war. Murtaghs Gesicht wirkte wie versteinert, als er anscheinend seine Sprache wiederfand. „Du hast seit zwei Tagen ununterbrochen Kopfschmerzen und sagst mir nichts davon?“, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Kiefermuskeln traten überdeutlich hervor. Wahrscheinlich musste er sich zurückhalten, sie nicht anzuschreien, was ihm höchstwahrscheinlich nur gelang, weil er ihr Unbehagen nicht noch verstärken wollte. Sie versuchte, ihn beruhigend anzulächeln und zu fragen, ob er glaube, etwas stimme nicht mit ihr, aber sie wurde von einer heftigen Schmerzwelle unvorhergesehen unterbrochen. Sie wurde so stark, dass Araya gar nicht anders konnte, als die Hände in ihren Haaren zu vergraben, die Augen krampfhaft zu schließen und den Schmerz herauszuschreien. Ihr gesamtes Blickfeld war rot. Schließlich ebbte ihr Schrei zu einem leisen Wimmern ab, als die Pein endlich ein wenig nachließ. Und obwohl Murtagh nicht einmal den gesamten Satz gehört hatte, antwortete er ihr auf ihre Frage. „Nein, mit dir ist alles in Ordnung.“ Sie blickte angesichts seines nüchternen Tonfalls auf. Er starrte mit verbissenem Blick gegen die Decke des Hortes. Araya folgte dem langsam, doch sie konnte nichts entdecken. Ob das, was ihre Schmerzen verursachte, dort oben war? Aber sie konnte beim besten Willen nichts finden; selbst, als sie schon eine Weile konzentriert das Gestein ansah. Erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass sie dort auch gar nichts hätte sehen können und Murtagh wahrscheinlich symbolisch durch die Steinwand geschaut hatte. Verzweifelt stellte Araya fest, dass das anhaltende, quälende Pochen in ihrem Kopf anscheinend schon ihren Verstand beeinflusste. Es machte sie konfus und verhinderte klare Gedanken. „Gibt es etwas, womit ich dir helfen kann?“, fragte Murtagh unvermittelt. Sie sah ihn verwirrt an. Ihr helfen? Wie sollte er? Als er begriff, dass sie nicht verstand, wurde sein Blick weicher. Der junge Drachenreiter konnte sich wahrscheinlich vorstellen, wie sich die zwei ruhelosen Tage auf ihre Psyche ausgewirkt hatten. „Um die Schmerzen zu lindern. Ich weiß, du hast Kenntnisse über Heilkräuter.“ Eine kurze Zeit lang schwirrte Araya der Kopf, als sie sich zu erinnern versuchte, was bei Schmerzen am besten helfen würde. Dann kam es ihr unvermittelt in den Sinn. „Weide“, murmelte sie. An Murtaghs verständnislosem Blick konnte sie erkennen, dass er sie nicht verstanden hatte. Araya sog einen langen Atemzug durch die Nase ein, bevor sie lauter wiederholte: „Weidenrinde. Ungefähr …“, sie hielt sich ihre Hände als Maßvorgabe vor das Gesicht und verglich sie mit Murtaghs, „zwei Handvoll davon auf einen Liter Wasser. Du übergießt sie mit kochendem und lässt es dann –“ Araya musste abbrechen, als eine erneute Welle des zerreißenden Gefühls in ihrem Kopf aufwallte. „Sechs Stunden kalt ziehen“, keuchte sie erschöpft und den Tränen nahe. Aber sie wollte es ertragen. „Der Tee wird noch einmal kurz aufgekocht und dann kann man ihn trinken.“ Sie war froh, die Ausführungen beendet zu haben. Ihre Stimme hallte in ihrem Kopf wider und verursachte ein zusätzliches Stechen. Kaum hatte sie geendet, sprang Murtagh auf die Füße. „ich bin in fünf Minuten zurück!“, versicherte er ihr und hatte den Hort schneller verlassen, als Cohen vor ein paar Tagen geflüchtet war. Kurz fragte Araya sich, ob er ihr nicht zugehört hatte. Wie wollte Murtagh einen Tee, der sechs Stunden ziehen musste, in fünf Minuten zustande bringen? Doch dann entschied sie, dass ihre Gedanken ihr viel zu zähflüssig anmuteten, um ein Urteil über sein Handeln fällen zu können. Erschöpft ließ sie sich auf dem Boden zusammensinken und schirmte ihr Gesicht mit ihren Beinen vor dem künstlichen Licht ab. Araya schloss die Augen, um sich ein wenig auszuruhen, doch sie bemerkte selbst, dass sie bisweilen vor Schmerz heftig zuckte. Hoffentlich würde Murtagh sich wirklich derart beeilen. Araya vernahm es sofort, als Murtagh in den Hort zurückkehrte. Der verborgene, steinerne Eingang schlug mit einer nie gekannten Kraft und Geschwindigkeit in den für ihn eingelassenen Hohlraum. Ein unbeschreiblicher Lärm schallte durch die helle Höhle, der sie dazu brachte, die Hände auf beide Ohren zu pressen. Kaum war das ohrenbetäubende Geräusch abgeklungen, stand Murtagh vor ihr. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte er sich wirklich beeilt. Es war vor Anstrengung leicht gerötet und Murtagh selbst war außer Atem. Als Araya sich langsam und vorsichtig aufsetzte, bemerkte sie eine tönerne Tasse und eine wunderhübsche Kanne in seinen Händen. Als spüre er ihre Blicke darauf, goss er eine wohlriechende Flüssigkeit in den Becher und reichte ihn ihr. Araya roch rein aus Gewohnheit daran und stellte mit Erstaunen fest, dass es tatsächlich der Weidentee war. Aber es waren doch niemals sechs Stunden vergangen! Sie hob verwundert den Blick zu Murtagh und sah, dass er sie aufmerksam beobachtete. Schon ihm zuliebe trank sie die Tasse in wenigen Zügen leer, woraufhin der Drachenreiter ihr übereifrig gleich nachgoss. Trotz der Schmerzen in ihrem Kopf konnte Araya nicht anders, als zu lachen, was auch Murtaghs Stimmung ein wenig zu heben schien. Nach der dreifachen Dosis des Getränks – eigentlich sollte immer nur ein Glas getrunken werden – ließen die Schmerzen langsam nach und Araya konnte sich wieder einigermaßen konzentrieren. Erst jetzt wurde ihr klar, dass Murtagh den Übergang der Ingredienzien der Weidenrinde in den Tee mit Magie beschleunigt haben musste. Sie war unendlich dankbar dafür, keine sechs Stunden ausharren zu müssen. Das war ihm nur möglich gewesen, weil er ein Drachenreiter war. Diese Menschen, die eine Verbindung zu einem Drachen eingingen, waren schon außergewöhnlich, das musste sie zugeben. Und außerordentlich mächtig … * Das hört sich seltsamer an, als es klingen soll … Wenn euch was Besseres einfällt: Immer her damit >_> [böse ihr Synonyme-Billig-Wörterbuch anstarr] Ich brauche das von DUDEN!!!! Glaub, ich wünsch es mir zu Ostern xD Ach so, und: Habt Nachsicht mit mir, wie ich die englische Sprache erkläre. Ich wollte nicht mit Worten wie Verben, Prädikat, Subjekt und Objekt um mich werfen. Die wären auch völlig fehl am Platz gewesen. Wem trotzdem ein Fehler auffällt, kann ihn mir gern melden :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)