Eragon - Kind des Mondes von Lawlya (Murtagh x OC) ================================================================================ Kapitel 1: Dunkelheit --------------------- Der Fremde musterte sie unverhohlen und hob eine Augenbraue. „Ich denke nicht, dass es dir zusteht, mich das zu fragen. Sag mir, wie du heißt!“, verlangte er wie selbstverständlich und stellte die Kerze auf den Boden, um beide Hände freizuhaben. Araya heftete ihre dunkelgrünen Augen auf sein Gesicht und schnitt eine spöttische Grimasse. „Jemandem, der in Ketten liegt, wird nicht gerade unbedingte Autorität zuteil. Wenn du fragst, sag ich dir meinen Namen vielleicht“, erwiderte sie. Was sie verschwieg, war, dass sie durchaus auch noch etwas anderes sah. Ein schmales, aber doch starkes Band, über das die Ketten zusätzlich auf ein anderes Wesen übertragen wurden. Doch wer oder was ging mit einem Menschen eine derart innige Bindung ein? Wütend verzog der junge Mann das Gesicht und trat drohend einen Schritt näher. Sein ganzer Körper war angespannt und selbst durch seine Kleidung, die aus Stiefeln, einer Hose, einem Oberteil und einem darüber gezogenen Wams bestand, sah man jeden Muskel. „Du verweigerst dich mir?“ Araya funkelte ihn an, ob seines abermals so befehlenden Ton, und nickte trotzig. Ohne jegliche Vorwarnung sprang der Mann vor und versuchte, sie am Arm zu packen. Einzig ihre geschulten Reflexe und ihre Panik vor seiner Berührung ermöglichten es ihr, seinem Griff auszuweichen und in die nächste Ecke ihrer Zelle zu sprinten. Allerdings hatte Araya dabei nicht bedacht, dass sie so unwillkürlich in der Falle saß. Schnell näherte sich der Fremde, presste sie schließlich an die Wand und hielt sie dort gefangen, indem er ihre Oberarme unbarmherzig festhielt. Augenblicklich sträubte sich jede Faser ihres Körpers gegen die Berührung und seine Nähe und sie begann, sich panisch, wenn nicht sogar verzweifelt zu wehren. Doch es nützte nichts, der Scherge des Königs ließ sie nicht frei. Nachdem die Information, dass ihre Gegenwehr ihr nichts als Kratzer und Blutergüsse einbrachte, in ihrem Kopf angekommen war, stellte sie ihre Bemühungen mit laut pochendem Herzen ein und ertrug den sich langsam zu körperlichen Schmerzen ausweitenden Widerwillen ihres Körpers. „Sagst du mir jetzt deinen Namen?“, knurrte er. Araya sah ihm in vor Wut funkelnden Augen und erwiderte: „Das war ja schon wenigstens eine Frage. Jetzt noch etwas freundlicher und du erfährst vielleicht wirklich, wie ich heiße!“ Ihre Worte schienen ihn nur noch wütender zu machen und langsam fragte sie sich, ob ein Mensch nicht vor Wut platzen konnte. Wenn ja, dann war dieser hier auf jeden Fall ein potenzieller Kandidat. „Warum sollte ich einem Diener des Königs eine Frage beantworten. Ich könnte dir ja vielleicht sogar helfen, deine Ketten, die dich an ihn binden, abzulegen, aber du könntest keine Information für dich behalten. Zuerst müsstest du lernen, einen Teil deines Geistes zu verbergen, und das lernt sich nicht von heute auf morgen!!!“ Sie versuchte, ihn zu beruhigen, und es schien auch etwas zu bewirken, denn er knurrte gleich viel weniger aggressiv: „Wie sollte ich bitteschön irgendetwas vor einem so mächtigen Magier verheimlichen? Er kennt meinen wahren Namen!!“ Sie wusste nicht, was ein »wahrer Name« war, aber trotzdem konnte sie ihm auf seine Frage antworten. „Wenn man etwas um jeden Preis für sich behalten will und bereit ist, alles andere einem verzehrenden Feuer hinzugeben, dann kann jeder Geheimnisse bewahren. Doch zuallererst müsstest du natürlich diesen unbändigen Willen aufbringen. Ich weiß nicht, was es bewirkt, den »wahren Namen« eines Menschen zu kennen, aber den Willen kann man niemanden unter keinen Um-ständen wegnehmen!“ „Du würdest mir also helfen?!!“, spottete er mit einem höhnischen Unterton. „Damit würdest du dein Leben aufs Spiel setzen?!!! Niemand nimmt so ein Opfer ohne Gegenleistung auf sich!!!“ Er schien wieder wütender zu werden, doch dieses Mal konnte sie ihm leicht den Wind aus den Segeln nehmen. Sie hatte ihre Familie verloren, ihre Freunde, ihre Heimat. Sie hatte nichts mehr, was sie gefährden könnte und ihr Leben war nichts mehr wert. Was sollte sie also aufhalten? „Jederzeit.“ Er starrte sie verdutzt an, als könnte er nicht glauben, was er gehört hatte. Als würde er sich fragen, ob sie ihn anlog. Sie spürte ein dumpfes Pochen in ihrem Kopf, doch es war bei Weitem nicht so unangenehm wie das, was Galbatorix in ihr verursachte. Er seufzte und fragte schließlich: „Wie heißt du?“ Wenn seine Stimme nicht gerade von Ärger verzehrt wurde, klang sie dunkel und sehr überlegt. Und eine ungekannte Sanftheit schwang in ihr mit. Es zerriss Araya fast das Herz, dass ausgerechnet ein so guter Mensch in Ketten lag. „Ich heiße Araya und komme aus einem fernen Land jenseits des Meeres.“ „Mein Name ist Murtagh. Und ich werde versuchen, den König zu überreden, dich hier rauszulassen!“ Mit diesen Worten ließ er sie schließlich los, hob die Kerze auf und löschte sie, bevor er die Tür der Zelle öffnete und hindurchtrat. Nun blieb ihr nur noch, zu warten und auf die Erfüllung seines Versprechens zu hoffen. Araya schloss die Augen und versuchte, ihre Umgebung auszublenden. Dann suchte sie nach dem Geist Murtaghs. Das Wissen um seinen Namen half ihr, ihn in dem großen Schloss zu finden. Das Einzige, um was sie sich Sorgen machen musste, war, dass sie sich soweit entfernten, dass sie Murtagh nicht mehr erreichen konnte. Wieder sah sie eine Mauer vor sich, er hatte sie also entweder bereits bemerkt oder er behielt sie immer aufrecht. Zaghaft klopfte sie gegen die Steine, doch sie rührten sich nicht einen Millimeter. Sie ging einmal komplett darum herum, suchte kleine Schwachstellen, durch die sie ihm verständlich machen konnte, dass sie keineswegs etwas Schlechtes im Schilde führte, sondern nur wissen wollte, was um sie herum geschah. Doch die Mauer war durchgehend einheitlich, also versuchte sie es abermals mit einem Klopfen, dieses Mal etwas kräftiger. Gleichzeitig verstärkte sie den Druck, den sie damit in seinem Kopf ausü-ben musste, mit ihrem Geist. Vielleicht erkannte er sie auf diese Weise … Tatsächlich bildete sich ein kleiner Eingang, jederzeit wieder verschließbar, durch den sie schlüpfen konnte. Was machst du hier?!!, fuhr er sie zornig an und die Welle, die er dabei auslöste, vertrieb sie beinahe wieder aus seinen Gedanken. Ich dachte, ich höre mal mit an, was ihr so beredet. Ich wollte einfach mal aus der Zelle rauskommen … Du hast ja keine Ahnung, wie wenig von der Außenwelt hier unten ankommt!, verteidigte Araya sich. Murtagh schien sich ein wenig zu beruhigen, doch nun machte er sich Sorgen. Was, wenn Galbatorix dich bemerkt? Murtagh berichtete dem König gerade mündlich, was in der Zelle passiert war. Doch bemerkte sie, dass er einiges ausließ. Erzähl ihm alles, was passiert ist!, befahl sie ihm und Murtagh folgte, ohne zu zögern. Erst danach fragte er nach dem Warum. Wie fühlt es sich an, wenn jemand in deinen Geist eindringt?, stellte Araya die Gegenfrage. Es ist, als würde eine fremde Kraft in deinen Kopf eindringen. Wenn es mit Gewalt passiert, schmerzt es. Warum? Dann war Galbatorix noch nie in meinem Geist. Aber ich bin sicher, er kontrolliert, was du ihm schilderst. Er hat dich zum Gehorsam gezwungen, also muss er sich vor Verrat in acht nehmen. Er wird unserer Unterhaltung eine größere Bedeutung zumessen, wenn er herausfindet, dass du ihm etwas verschwiegen hast. Du hast doch sicher die Angewohnheit, das, was du vor ihm verheimlichen willst, verbergen zu wollen, oder? Als sie nur eine zustimmende Emotion auffing, sprach sie weiter, während sie dabei dem lauschte, was Murtagh dem König erzählte. Wenn du es also gar nicht erst versuchst, machst du ihn auf den genauen Wortlaut vielleicht gar nicht aufmerksam. Er wird dich bemerken, gab Murtagh völlig zusammenhangslos zurück. Wenn er in meinen Geist eindringt, bemerkt er dich. Dann werde ich nicht mehr bei dir sein. Im Moment kannst weder du dir selbst helfen, noch kann ich etwas für dich tun. Tut mir leid. Kummer schwang in ihren Gedanken mit und sie hoffte, er würde verstehen, dass sie wirklich meinte, was sie sagte. Eine tröstende Welle kam ihr entgegen. Jedoch kam sie nicht von Murtagh. Bevor sie der Verbindung folgen konnte, verlöschte das Gefühl wieder. Es war anscheinend nicht für sie gedacht gewesen. Dann spürte sie plötzlich, wie eine andere Präsenz sich gewaltsam Zutritt in Murtaghs Geist verschaffte. Hastig zog sie sich zurück, war nunmehr ein von ihrem Körper losgelöster Geist, nicht fähig, zu sehen oder zu hören. Doch sie spürte den Nachhall von Murtaghs Schmerzen. Langsam begab sie sich zurück in ihren Körper, ließ den Schmerz vorher noch in ihre Umgebung strömen. So würde ihr eigener Leib ihn nicht ertragen müssen. All dies tat Araya völlig instinktiv, ohne dass sie es je gelernt hätte. Ab jetzt blieb ihr wirklich nur noch das Warten. Sie hatte sich ja während ihrer Zeit hier genügend in Geduld üben können. Eigentlich hatte sie Untätigkeit immer gehasst, doch sie hatte gelernt, ihren Tatendrang zu beherrschen und die Dinge geschehen zu lassen, wie sie bestimmt waren. Eine kleine Hoffnung regte sich in ihr, seitdem Murtagh in ihrer Zelle gewesen war. Wenn er es wirklich schaffte, den König zu überzeugen, dass er ihm bei seiner Suche, wonach auch immer er suchen mochte, helfen konnte, würde dieser ihr vielleicht mehr Freiheiten lassen. Dann würde sie auch aus diesem Ge-fängnis kommen. Alles in ihr sträubte sich, länger hier auszuharren, hilflos und unwissend, doch gerade jetzt, wo Erlösung nähergerückt war, durfte sie sich keinen Fehler erlauben. Bald würde sie vielleicht wieder der Sonne ins Antlitz sehen. Und was noch viel wichtiger war: Das Gesicht des Mondes wäre nicht mehr vor ihr verborgen. Sie würde wieder wissen, wann sie ihre Gebete halten musste, und konnte die rituellen Kräuter verbrennen. Doch an diesem Tag empfing sie keinen weiteren Besuch. Irgendwann wurde ihr so langweilig, dass sie einfach einschlief. Wieder verfolgten sie Bilder von dem Tag, an dem Galbatorix in Drakon-Ryuu einmarschiert war und ihr ihre Familie genommen hatte. Sie sah die Schiffe schon vom Weiten. Oft saß sie einfach nur auf der Klippe und starrte aufs Meer, doch es war das erste Mal, dass sie sah, dass etwas vom Wasser aus auf sie zuhielt. „Was siehst du?“, fragte Saliha, ihre beste Freundin. Ihr Name war eine einzige Farce. Ein großer Witz, denn sie tat nie etwas, was Gott gefallen würde. Im Gegenteil, sie stellte dauernd nur Unsinn an. „Seltsame Dinge aus Holz“, antwortete sie nach kurzem Zögern. Warum nur überkam sie das Gefühl, dass sie schleunigst weglaufen sollte? Diese kuriosen, schwimmenden Teile schienen nicht gefährlich zu sein. Jedenfalls nicht gefährlicher, als die vielen magischen Wesen, die durch das Land streifen. Sie hörte ein schabendes metallisches Geräusch und schaute zu Saliha. Sie hatte ihr Fernrohr aus ihrer Tasche gezogen. „Da sind Menschen drauf!!“, rief sie aufgeregt und hüpfte auf und ab. „Mir gefällt das nicht!“, erwiderte sie, doch Saliha beachtete sie gar nicht. „Komm, gehen wir zur Küste und war-ten, bis sie bei uns ankommen!!“, entgegnete sie stattdessen und zog sie hoch. Kaum stand sie auf ihren Füßen, zog ihre Freundin sie mit sich. Seufzend verwarf sie all ihre Bedenken und rannte mit Feuereifer ihrer Freundin hinterher. Doch schon bald sollte ein anderes Feuer brennen. Ein Feuer, das ihr schönes und friedliches Dorf verschlingen und sie allein und ausgelaugt zurücklassen würde. Wenn sie doch nur auf ihren Instinkt gehört hätte!! Araya erwachte durch das Klicken des Türschlosses. Sofort saß sie kerzengerade auf ihrer Pritsche und sah neugierig und erwartungsvoll in Richtung Tür. Vielleicht würde man sie nun hier rausholen! Doch als kein Soldat mit Licht durch die Tür trat, sondern wieder Murtagh, schwand ihre Hoffnung. Galbatorix hätte niemals ihn geschickt, um sie in eine neue Unterkunft zu bringen. Als er ihren ent-täuschten Blick registrierte, strich er sich die braunen Locken zurück. „Der König überlegt noch. Aber ich bringe dir etwas zu essen. Das ist besser, als das lausige Gefang-enenfutter.“ Er reichte ihr einen Teller und einen Krug. Als sie das Fleisch darauf roch, lief Araya das Wasser im Mund zusammen. Nur mit Mühe konnte sie an ihren Manieren festhalten und sich nicht auf das Essen stürzen. „Dankeschön“, bedankte sie sich und machte sich ans Essen. „Wie spät ist es?“, fragte sie zwischen zwei Bissen. Sie würde gerne wissen, ob gerade die Sonne schien oder der Mond über den Sternenhimmel wanderte. „Es ist noch ziemlich früh. Die Sonne ist erst vor Kurzem aufgegangen. Es weiß also niemand, dass ich hier bin.“ „Wann, denkst du, wird sich der König entscheiden?“, löcherte sie ihn weiter, was er nur mit einem amüsierten Blick quittierte. „Ich habe keine Ahnung. In den Kopf seiner Majestät kann niemand schauen“, amüsierte er sich über sie. Hastig stürzte Araya den köstlichen Saft hinunter, dann faltete sie die Hände über Teller und Krug und dankte der Göttin für diese besondere Speise. „Es wird schon gut gehen!“, meinte sie schließlich enthusiastisch. „So schnell gebe ich meine Hoffnung nicht auf, da kann er lange warten!!“ Murtagh nickte. „Und wenn ich solange auf ihn einreden muss, bis er dich von Fanfaren begleitet in den Palast lässt“, versprach er. Sie sah ihn an. „Du bist echt ziemlich egoistisch!“, warf Araya ihm vor, woraufhin er sie nur verwirrt anschaute. „Hätte ich dir meine Hilfe nicht angeboten, würdest du mich ohne zu zögern hier verrotten lassen! Aber jetzt bin ich für dich wichtig! Das ist der einzige Grund, warum du dafür kämpfst, dass ich hier rauskomme!!!“, warf sie ihm vor. Allerdings war sie froh, dass er sich überhaupt dafür einsetzte, aus welchen Gründen auch immer. Freiheit war Freiheit, egal, durch welche Taten sie erlangt wurde. „Vergiss es einfach!“, setzte sie nach einer Weile hinzu, als Murtagh seinen Blick immer noch nicht von ihr abgewandt hatte. Verdutzt schüttelte er den Kopf: „Für einen Moment habe ich wirklich in Betracht gezogen, dass du dich in meinen Geist geschlichen haben könntest. Ich empfand deine Worte als erschreckend wahr, auch wenn es nicht wirklich so ist.“ Empört schnaubte Araya. Als wenn sie es nötig hätte, sich anderer Leute Geist zu ermächtigen. „Ich gebe dir Bescheid, sobald der König sich entschieden hat!“ Mit diesen Worten erhob sich Arayas Besucher, löschte die Laterne und ließ sie in der Dunkelheit zurück. Und Araya fragte sich ernsthaft, was sie tun würde, wenn Galbatorix sie hier weiter gefangen hielt. Tage vergingen und es war noch keine Entscheidung gefallen. Araya hatte das Gefühl, der König ließe sich extra viel Zeit, um sie in der Dunkelheit zu quälen. Ab und zu wurde der Alltag durch einen Besuch Murtaghs durchbrochen, doch meistens wusste sie nichts mit ihrer Zeit anzufangen. Sie lang-weilte sich wie jeden Tag und beschäftigte sich damit, sich ein besseres und freies Leben auszumalen. Oder sie schlief den ganzen Tag hindurch, da Galbatorix seine Besuche bei ihr eingestellt hatte. Leider war das fast unmöglich, da regelmäßig Wasser und Essen gebracht wurden, wobei peinlichst genau darauf geachtet wurde, dass sie es auch wirklich aß. Ihr ging die ganze Prozedur auf die Nerven, doch der König schien schon mit anderen Bürgern Cyriannas Erfahrungen gesammelt zu haben, denn anscheinend hatte er Angst, sie würde sich tothungern. Das war bei ihr Zuhause ein beliebtes Übergehen in die Anderswelt, während man in Gefangenschaft war. Seine Würde war für jeden aus Drakon-Ryuu das Letzte, was man noch um jeden Preis retten musste. Und da fragte Araya sich, ob die so sorg- und traditionslose Saliha wohl auch schon einen Meter achtzig tief unter der Erde schlummerte oder ob sie wie sie selbst der ewigen Dunkelheit ausgeliefert war. Aber eigentlich, dachte Araya ironisch, hat sie das Verhungern am meisten an unserer Kultur gehasst. Ich glaube, sie wandelt hier irgendwo im Schloss herum. Diese Gedanken waren mehr als nur egoistisch. Immerhin würde es bedeuten, nicht völlig allein in diesem fremden Land mit den seltsamen Gebräuchen zu sein. Über das viele Nachdenken schlief Araya unbemerkt ein. Es war seltsam. Das erste Mal, seit sie aus ihrem Land verschleppt worden war, sah sie nicht die großen Dinge aus Holz, die sie hier »Schiffe« nannten, sah nicht die Neuankömmlinge, die Leichen oder das verbrannte Cyrianna. Nein, sie sah absolute Dunkelheit. Ihr war schrecklich kalt. So kalt, dass sie zitterte. Vorsichtig streckte sie die Arme aus und stieß an eine kalte und glatte Oberfläche. Jetzt ist mir der Himmel auf den Kopf gefallen!, dachte sie und wollte nach Luft schnappen. Doch alles, was in ihre Lungen flutete, war Wasser. Erschrocken stellte sie fest, dass sie völlig von dem nassen Element umgeben war. Der einzige Ausweg aus diesen teuflisch kalten Massen schien die Fläche über ihr zu sein. Verzweifelt schlug sie mit ihren Fäusten auf die Oberfläche, doch sie rührte sich nicht. Die Schläge wurden durch das Wasser abgebremst und hörten sich seltsam gedämpft an, doch auf der anderen Seite der Oberfläche bewegte sich etwas. Aus der samtschwarzen Farbe wurde ein dunkles Blau, das aussah wie der Nachthimmel. Tatsächlich konnte sie Sterne erkennen. Und erkannte auch, dass es Schnee war, der ihr die Sicht auf das Universum verwehrt hatte. Mit Schrecken wurde ihr klar, dass sie sich unter einer meterdicken Eisschicht befand. Durch diese Erkenntnis angestachelt, versuchte sie, noch kräftiger zuzuschlagen, doch es half nichts. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er schon seit Jahren taub und sie konnte ihre Hände nicht mehr krümmen, um nach irgendetwas greifen oder sich irgendwo festhalten zu können. Sie würde haltlos durch das Wasser treiben! Dann hörte sie dumpfe Schritte auf der Oberfläche. Hoffnungsvoll hämmerte sie weiter, verbrauchte ihre letzten Kraftreserven, um denjenigen zu sich zu lotsen. Er konnte das Eis sicher aufbrechen und sie befreien. Eine behandschuhte Hand schob weiteren Schnee weg und legte ihr Gesicht unter dem Eis völlig frei. Dunkle, fast schwarze Augen sahen sie an, durchdringend und als würden sie sie schon Ewigkeiten kennen. Verzweifelt schlug sie ein letztes Mal gegen das Eis. Als der Mann sich langsam hinunterbeugte, verschwamm alles vor ihren Augen … Araya sah Murtaghs Gesicht vor sich und erschrak. Er war ihr viel zu nahe! Doch schon hatte sie etwas Abstand zwischen sich und ihn gebracht und musterte ihn nun genauer. Ihr eigenes Herz flatterte noch aufgrund des Albtraums, doch langsam beruhigte es sich wieder. Und sie sah in Murtaghs Gesicht eine eigentümliche Zufriedenheit aufblitzen. Anscheinend hatte er entweder gute Laune oder gute Neuigkeiten. „Du zitterst“, merkte er an und Araya schaute erschrocken auf sich hinunter. Er hatte recht, sie zitterte immer noch, als wäre ihr furchtbar kalt. Schnell versuchte sie, es zu verdrängen, was ihr nur mäßig gelang. „Warum so guter Dinge?“, fragte sie mit zittriger Stimme, um von sich selbst abzulenken. „Du darfst umziehen. Galbatorix hat sich endlich entschieden. Allerdings weiß ich nicht, ob du nicht doch lieber hierbleiben möchtest …“, erklärte er und zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Nein nein“, erwiderte Araya schnell, „Es ist überall besser als hier!“ „Wie du meinst.“ Mit diesen Worten half er ihr auf die Beine und führte sie aus der Zelle. „Warum wurdest du eigentlich geschickt, mich zu führen? Du bekleidest doch eine viel zu hohe Position.“ Arayas Stimme zitterte immer noch wie vor dem Erfrieren, doch langsam konnte sie sich wieder unter Kontrolle bringen. „Der König hat Angst, du könntest bei einer weniger mächtigen Person Ärger verursachen“, antwortete Murtagh neutral, dann wurde sein Blick abwesend, als wäre sein Geist an einem völlig anderen Ort. Sie gingen Treppen rauf und runter, durch verschiedene Räume und immer wieder an kunstvoll verzierten Wänden vorbei, die Geschichten erzählten, die Araya von den Bildern her zu erkennen meinte. Doch was darunter stand, konnte sie nicht lesen. Sie konnte zwar die gängige Sprache Alagaësias sprechen, jedoch nicht lesen. Schließlich blieb Murtagh vor einer großen Flügeltür aus edlem Holz stehen. Es sah aus wie Ebenholz, doch so genau kannte Araya sich nicht mit Schreinerarbeiten aus. Ihr fielen jedoch die aufwendigen Runen, die im Holz verborgen waren, auf. Sie waren mit Plattgold verziert und sorgfältig mit Zinnober nachgezeichnet worden. Eine teure Arbeit. Kaum hatte sie all diese Eindrücke in sich aufgenommen, schwang das Tor wie von Geisterhand geführt auf und gab den Blick auf einen prunkvollen Thronsaal frei. Nervös schluckte Araya. Dies war Galbatorix Raum. Warum mussten sie ausgerechnet hier durch? Trotz ihrer Abneigung gegenüber diesem Mann konnte sie nicht leugnen, dass der Saal durchaus eindrucksvoll und voller Überraschungen war. Beim Bau war ganz offensichtlich nicht gespart worden, denn überall waren Verzierungen aus Lapislazuli und Gold. Auch mit Silber wurde nicht gespart. In die Vorhänge waren Fäden aus Gold verwoben und überall, wo man hinsah, erblickte man das königliche Purpur. Der Thron an sich war aus reinem Gold und mit unzähligen kleinen Edel- und Halbedelsteinen besetzt. Und er war leer. Erleichtertes Aufatmen war neben ihr zu hören. Murtagh mochte diesen Raum anscheinend genauso wenig wie Araya diese unverschämte Zurschaustellung von Macht und Wohlstand, der sicherlich nur durch überhöhte Steuern bei den Bürgern möglich war. Aber so war es überall: Den Reichen ging es prächtig und die Armen mussten hungern, während sie gleichzeitig noch von blutsaugenden Steuereintreibern verfolgt und genötigt wurden. „Komm!“, hallte es durch den Raum und Araya richtete ihren Blick wieder auf Murtagh. Dieser hatte schon den halben Thronsaal durchquert. Hastig folgte sie ihm, immerhin war auch sie nicht erpicht darauf, den König wiederzusehen. „Entschuldige“, murmelte sie und sah ihn erwartungsvoll an. Sie hatte keinen Ausgang gesehen, dieser Raum war eine Sackgasse. Doch Murtagh hielt unbeirrt auf ein mit Seide und Teppichen behängtes Stück Wand zu und blieb stehen, um darauf zu warten, dass Araya ihn einholte. Er machte viel zu lange Schritte für sie. Kaum war sie neben ihm zum Stehen gekommen, hob er einen der Teppiche an und legte seine Hand auf eine verborgene Vertiefung, während er ein paar seltsame Worte murmelte. Ohne ein Geräusch zu verursachen, glitt die Wand zur Seite und ließ sie passieren. Eine ganze Weile gingen sie eine Treppe runter und Araya dämmerte, dass ihr neues Zuhause wohl auch unter der Erde liegen würde. Ihre Hoffnung, die Sonne oder den Mond wiederzusehen, schwand zusehends. Sie würde wohl Murtagh fragen müssen, wann Vollmond war. Vielleicht konnte sie so trotzdem die Opferkräuter verbrennen, wenn sie sie fände. Am Ende der Treppe breitete sich ein großer Raum aus. Auch die Treppe war schon ungewöhnlich breit gewesen, doch diese unterirdische Höhle sprengte Arayas Vorstellungskraft. Sie war noch nie in einem so riesigen Raum gewesen. Es war, als stünde man mitten in der Nacht im Freien. Nicht einmal das Ende der Höhle konnte sie erspähen, dabei war es hier nicht halb so dunkel, wie Araya angenommen hatte. Eine seltsame Lichtquelle spendete ein sonnenähnliches Licht. Allerdings fragte sie sich, wie man bei solchem Licht schlafen konnte. Durch die Helligkeit bildeten sich düstere Ecken, in denen sich alles Mögliche verstecken konnte. Auch sie beide warfen deutliche Schatten. „Hier werde ich untergebracht?“, fragte Araya ungläubig. Wieso wurde ihr ein so großer Raum zur Verfügung gestellt? Immerhin war sie immer noch eine Gefangene. „Du wohnst hier nicht allein. Dorn und Shruikan werden dir Gesellschaft leisten“, erwiderte Murtagh ruhig und sah sich suchend um. Er starrte konzentriert in die Schatten und versuchte offensichtlich, Genaueres zu erkennen. „Shruikan wird allerdings nicht sooft hier sein …“, setzte er dazu, während er weiterhin den Raum mit seinem Blick untersuchte. Schließlich seufzte er ergeben und rief: „Dorn, wo bist du?!“ „Wer sind denn -“, setzte Araya an, wurde jedoch von einem gewaltigen Beben der Erde und ohrenbetäubenden Krach unterbrochen. Direkt vor ihren Füßen war ein roter Drache geschmeidig und extra laut gelandet und starrte nun zu den beiden Menschen runter. Murtagh musterte ihn tadelnd und verärgert, während er etwas in seinen nichtvorhandenen Bart brummte. Araya selbst stockte der Atem. Die Schuppen des Drachen leuchteten wie Rubine im Licht und brachten seine glühend roten Augen noch besser zur Geltung. Sie war vollkommen sprachlos. „Lass den Unsinn und benimm dich endlich wie ein erwachsener Drache und nicht wie ein verspieltes Kätzchen!“, tadelte Murtagh ihn und Araya fragte sich, ob er den Verstand verloren hatte. Mit einem Drachen durfte man nicht auf diese Weise reden! Doch der zog nur ergeben den Kopf ob dieser Zurechtweisung ein und sah nun zu Araya. Knurrend legte er die Ohren an. „Dorn, das ist Araya. Araya, ich stelle dir Dorn vor!“, versuchte Murtagh die Situation zu retten, doch der Drache namens Dorn dachte gar nicht daran, mit dem bedrohlichen Gebaren aufzuhören. Im Gegenteil, augenblicklich zog er seine Lefzen noch mehr nach oben und gab damit den Blick auf seine weißen Fänge frei. „Benimm dich, sie wird hier mit dir wohnen!“, rief Murtagh über das Dröhnen hinweg und stemmte die Hände in die Seiten. Ich mag sie nicht!, hallte es durch die Höhle und das Knurren wurde wenn möglich noch lauter. Dorn trat einen Schritt vor und duckte sich wie zum Sprung. Er ignorierte Murtagh, der anscheinend eine Art Autorität gegenüber Dorn hatte. „Das kannst du nicht beurteilen“, erwiderte er laut und verzog das Gesicht. Doch Dorn schien sich nicht beruhigen zu wollen. Araya beschloss, selbst für ihr Wohlergehen zu sorgen. Murtagh versuchte zwar, sie aufzuhalten, als sie mit sicheren Schritten auf den Drachen zuging, doch sie schüttelte seine Hand mit Leichtigkeit ab. Dann kniete sie vor ihm nieder, senkte ihr Haupt, wodurch Arayas schwarze Haare ihr Gesicht fast vollständig verbargen, und sprach mit klarer Stimme: „Ehrenwerter Drache Dorn, ich verstehe Deine Verärgerung darüber, dass ich ohne Deine Erlaubnis in Dein Reich eingedrungen bin. Ich hatte weder die Absicht, Dich zu stören noch Dir etwas streitig zu machen. Hiermit erbitte ich Asyl in Deinen Hallen, einen Schlafplatz und Verpflegung. Mehr brauche ich nicht. Ich hoffe, Du wirst die Güte und Weisheit besitzen, meine Absichten zu erkennen und mir meinen Wunsch zu erfüllen. Die Entscheidung liegt bei Dir.“ Liegt sie nicht!, drang die tiefe Stimme des Drachen in ihren Kopf. Der König befahl, dich hier unterzubringen und so soll es sein. Trotzdem muss ich zugeben, dass du sehr wohl weißt, wie man mit jemandem meiner Herkunft umzugehen hat. Mit diesen Worten wandte sich der rubinrote Dorn ab und verschwand in den Schatten der Höhle. Sie sah ihm noch eine Weile nach, dann erhob sie sich. Murtagh trat neben sie. „Wo hast du das gelernt?“, fragte er verwirrt. Ein Lächeln stahl sich auf Arayas Lippen, eine seltene Geste, seit Cyrianna überfallen worden war. Dann antwortete sie belustigt: „Ich lese.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)