Sunday bloody sunday von Zzzonked ================================================================================ Kapitel 1: ----------- SUNDAY BLOODY SUNDAY »Ihr passt auf, ja?« »Ich hab was von Paras gehört. Meinst du, die machen das echt?« »Wer ist denn noch alles unterwegs?« »Liam, mir wäre wohler, wenn du hierbliebest.« Er dreht sich noch einmal um; legt seiner Mutter beide Hände auf die Schultern. »Das hier wird ein friedlicher Marsch, Mum. Es wird nichts passieren, mach dir keine Sorgen.« Sie seufzt. »Ich weiß.. ich weiß. Ihr werdet keine Steine schmeißen oder?« Er schüttelt den Kopf, weiß er doch, dass sie sich dadurch besser fühlt. Auch wenn er sich sicher ist, dass Steine geworfen werden. Aber das ist schließlich nichts Außergewöhnliches, alltäglich sogar. »Mum, ich bin keiner der IRA-Jungs. Gerry wird Steine schmeißen, das weiß ich. Ich nicht. Glaub mir.« Sie nickt. »Gerry war immer so ein guter Junge«, murmelt sie und Liam lächelt. »Das ist er noch immer. Er möchte nur einfach nicht bloß tatenlos zusehen.« Erneut nickt sie. »Okay. Aber komm sofort nach Hause, wenn es Unruhen gibt, ja?« Er nickt. »Natürlich.« »Dann geh. Los. Und viel Spaß.« Sie versucht sich an einem Lächeln. »Danke. Bis nachher!« Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. »Peggy, du sollst dir nicht immer so viele Gedanken machen. Die Jungs wissen, was sie tun.« Sie wendet sich um, blickt ihren Mann an, schaut jedoch irgendwie durch ihn hindurch. »Robert..«, setzt sie an, hält jedoch einen Moment inne, bevor sie erneut beginnt: »Das habe ich nie angezweifelt. Aber diese Demonstration ist illegal und schließlich ist auch Unschuldigen schon oft genug etwas passiert oder nicht?« »Du meinst echt, die schicken Paras hierher? Das können die doch nicht machen.« »Warum nicht? Das hier ist alles illeg- Hey! Mr. Cooper!« Ein Mann Ende zwanzig eilt auf sie zu. »Michael, Liam, Joseph! Schön, euch zu sehen. Das wird ein toller Tag heute!« »Mr. Cooper, was ist mit den Paras?« Für einen Moment spiegelt sich ein Ausdruck der Unsicherheit in seinen Augen wieder, dann sagt er schnell: »Michael, mach dir keine Sorgen. Das heute wird friedlich. Vorausgesetzt, ihr bleibt es auch. Alles klar?« Die drei nicken. »Sagen Sie das lieber denen da drüben.« Vage deutet Liam auf eine Gruppe Jungen, die sich lautstark über die 'Scheißbriten' unterhalten. Ivan Cooper seufzt. »Recht hast du. Also noch mal: Bleibt ihr ruhig, bleibt das Ganze ruhig. Haltet euch einfach an den Verlauf des Zuges. Wir sehen uns.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht schnellen Schrittes auf die anderen zu. »Irgendwie bin ich ganz schön aufgeregt.« Josephs Augen strahlen und seine Wangen haben den Farbton reifer Tomaten angenommen. Michael und Liam nicken bloß. Natürlich ist das Ganze hier aufregend. Natürlich. Schon jetzt sind unheimlich viele Menschen versammelt und es scheinen immer mehr zu werden. »Liam.« Er fährt herum. Dann beginnt er zu strahlen. »Gerry! Wie geht’s?« Der andere nickt bloß, seine Augen funkeln. »Das wird ein großer Tag heute«, meint er. Auch Liam nickt. Das wird ein großer Tag werden. »Wer ist noch alles unterwegs?«, erkundigt er sich und Gerald zuckt mit den Schultern. »Ich bin mit Kevin und Peter da. Jackie haben wir schon gesehen, er meinte, er geht noch bei Kieran vorbei. Sonst weiß ich es nicht. Habt ihr schon wen getroffen?« Liam schüttelt den Kopf. »Mr. Cooper«, wirft Michael ein. Gerald grinst breit. »Der Kerl ist dein großes Vorbild, was, Mike?« Er spart sich eine Antwort. Natürlich, irgendwie schon. Er ist Brite und trotzdem setzt er sich für ihre Rechte ein. Hat den ganzen Marsch hier organisiert. »Na ja, dann.. wir sehen uns.« Gerald wendet sich zum Gehen, als Liam plötzlich fragt: »Macht ihr heute irgendwas?« Er dreht sich um. »Meinst du im Sinne von Steinen? Da gehe ich von aus. Die Britenschweine müssen raus. Das seht ihr doch genauso oder nicht? Sie sind ja selbst schuld. Außerdem bringen die paar Steine sie nicht um.« Liam verzieht bloß sorgenvoll das Gesicht. »Aber euch vielleicht.« »Wie?« Gerald wirkt überrascht. »Was meinst du jetzt damit?« Er räuspert sich. »Der Marsch soll friedlich bleiben, Gerry.« »Das ist friedlich. Und ja auch nichts Neues. Und da bisher nichts passiert ist, gehe ich einfach davon aus, dass es auch so bleiben wird, okay? Liam, sei nicht so ein elender Pessimist.« Er grinst. »Auf jeden Fall wird es aufregend. Habt ihr gesehen, wie viele Leute da sind?« Nun grinst auch Michael. »Viele. Enorm viele.« Gerald bestätigt: »Es ist der Wahnsinn. Aber ich hau mal wieder ab, ich glaube, Kevin sucht mich schon. Bis dann. Vielleicht sieht man sich ja nachher noch.« Wortlos nickt Liam. Irgendwie hat er ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Sein Optimismus vom Morgen ist verschwunden. Ob das nun direkt an den Paras liegt oder nicht... irgendetwas wird schieflaufen. Ganz gewaltig schieflaufen. »We shall overcome. We shall overcome. We shall overcome some day. For deep in my heart, I do believe: We shall overcome one day.« Es ist 14:50, der 30. Januar 1972. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Fast 20000 Menschen nehmen daran teil, trotz des einjährigen Demonstrationsverbotes, das vor einiger Zeit ausgesprochen wurde. Sie singen. Und es scheint wirklich friedlich zu bleiben. Zumindest anfangs. »An alle: wir biegen hier rechts ab. Hier rechts.« »An der Ecke biegen wir rechts ab.« -»Bleibt hinter uns, Leute!« »Bleibt hinter uns!« »Leute, wir biegen hier rechts ab. Lasst den Guildhall Square und geht nach rechts!« -»Nicht da lang, wir gehen nach rechts, kommt zurück!« »Alle nach rechts, ihr geht falsch! Da geht es nicht weiter, wir biegen hier ab!« »Liam...« Michael ist nervös. »Liam, wir folgen einfach dem Weg, ja?« Liam dreht sich um und deutet fast ein wenig hilflos auf die Hand, die ihn am Ärmel mitzieht. Nach links zieht. »Jetzt kommt schon!«, ertönt plötzlich die dazugehörige Stimme. »Wir zeigen's denen!« »Scheiße, Joseph!« Michael schließt nun zu ihm auf. »Wir wollen nicht zum Rathaus!« Joseph nickt. »Richtig«, gibt er zurück, »wir wollen an die Barrieren.« »Joseph.« Liam reißt sich los. »Wir wollen marschieren. Wir wollen durch diesen Marsch etwas bewirken. Nicht dadurch, dass wir Soldaten mit Steinen bewerfen.« Joseph fährt herum. »Und du meinst wirklich, so ein simpler Marsch bringt irgendwem etwas?! das Ganze hier ist verboten, Liam. Sie dürfen theoretisch jeden einzelnen Teilnehmer einsperren. Und wenn sie mich drankriegen, will ich's ihnen vorher noch gezeigt haben.« Michael wird blass. »Aber... du hast doch gesagt... wir hatten Mr. Cooper doch-« »Hör mir auf mit Ivan Cooper! Er ist auch nur ein Brite! Und er kann verdammt nochmal nicht verstehen, warum wir uns so wehren müssen, wie wir es tun. Ein einzelner Marsch bringt nichts! Hast du die Soldaten da oben auf den Mauern gesehen? Diese Dreckschweine wollen das alles hier im Griff haben. Und ich möchte, wir alle möchten, dass sie das nicht können. Weil nicht immer alles nur nach ihrer Pfeife tanzen soll!« Er wendet sich wieder ab, gesellt sich zu den anderen Ausbrechern, die nun damit beginnen, die britischen Soldaten mit dem zu bewerfen, was sie gerade auf dem Boden finden. Dazu der immer wiederkehrende Ruf: »Brits out! Brits out! Brits out!« »Was meinst du, was tun sie, wenn das hier wirklich außer Kontrolle gerät?«, fragt Michael, ein wenig weiß im Gesicht. Liam zuckt hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht gar nichts.« Michael nickt. »Ja. Vielleicht.« »Jackie, hey!« Der dunkelhaarige Junge fährt herum. »Liam! Mike! Gut, dass ich euch treffe, habt ihr Kieran gesehen?« Michael runzelt die Stirn. »Seid ihr nicht zusammen hier?« John Duddy, genannt Jackie, verdreht die Augen. »Waren, ja. Deshalb frag ich ja. Ich hab ihn verloren und ihr kennt ja Kierans Talent, sich immer in unmögliche Situationen zu begeben...« Liam nickt bloß. Er kennt nicht einmal Kieran. »Also, ihr habt ihn nicht gesehen?« »Nein.« Jackie flucht, als plötzlich ein Aufschrei durch die nunmehr spärliche Menge geht. »Sie schießen! Verdammt, sie schießen!« Wie betäubt starrt Liam die Straße hinunter. Sie schießen mit scharfer Munition? Fast wie in Trance schließt er sich den anderen an. Sie laufen. Er schaut kurz um sich. Michael scheint verschwunden zu sein, doch er ist sich sicher, dass er einfach nur bereits vorgelaufen ist. Jackie joggt eher gemächlich hinter ihm her, er verzieht das Gesicht zu einer Andeutung eines Lächelns, als ein dicklicher Mann an ihm vorbeihastet und ihm dabei zuruft, er solle sich beeilen. Er nimmt das Ganze nicht so ernst. Wahrscheinlich war es nur ein Warnschuss ins Nichts. Als ob sie wirklich- Liam dreht sich in genau dem Moment um, als die Kugel Jackie trifft. Wie in Zeitlupe sieht Liam ihn die Augen aufreißen. Dann liegt er am Boden. Der dicke Mann von vorhin dreht sich auf der Stelle um und läuft zurück, einige Männer folgen ihm. Mit einer Handbewegung bedeutet er Liam, der stehengeblieben ist, weiterzulaufen. Hilflos starrt dieser auf seinen Freund, der nun langsam hochgehoben wird. Blut tropft auf den Boden. Er hat die Augen geschlossen. Der dicke Mann zieht ein Taschentuch aus der Tasche, hält es hoch, schwenkt es. Es ist ein weißes Taschentuch. Der kleine Zug setzt sich in Bewegung. Ein weiterer Schuss knallt und mit einem Mal erwacht Liam aus seiner Starre. Er dreht sich um. Rennt. »Michael..« Liam hockt bei seinem Freund hinter der Trümmerbarrikade auf der Mitte der Rossville Street, »Mike, die Schweine haben-« Michael dreht sich zu ihm um. Seine Stimme klingt heiser, als er sagt: »Damien angeschossen. Ich weiß.« Liam wird blass. »Was?«, fragt er. »Damien Donaghy? Gerrys Cousin?« Michael nickt. »Diese Arschlöcher«, zischt er. Wut zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Ein krasser Gegensatz zu seinem sonst immer recht unsichereren Gesichtsausdruck. Den Sorgenfalten auf der Stirn, sobald er auch nur das Wort 'Steine' hört. »Aber das meinte ich nicht.« Liam schluckt. Er hat Angst, es Michael zu sagen. Er hat Angst, es auszusprechen. Er sieht auf. »Nein? Was denn dann?« »Die Schweine haben nicht nur Damien erwischt. Auch...« Er schluckt. »Auch... Jackie. Ich glaube...- ich glaube, er ist tot.« Michaels Augen blicken ihn kalt an. Keine Reaktion. »Dein Humor war auch schon einmal besser«, meint er leise. Liam weiß, dass er das nicht so meint. Dass er erkannt hat, dass er es ernst meint. Er möchte sich selbst bloß einreden, dass es nicht stimmt. »Nein«, sagt er trotzdem leise, »nein, Michael, das war kein Witz.« Michael starrt ihn an. An ihm vorbei. Ins Nichts. Langsam füllen sich seine Augen mit Tränen. »Jackie«, flüstert er. Dann steht er auf, bewegt sich auf die Wohnhäuser zu. »FUCK!« Seine Stimme ist laut. Hallt sogar ein wenig nach. »IHR VERDAMMTEN BRITISCHEN SCHWEINE!« Entsetzt starrt Liam ihm hinterher. Sein Herz rast. Er möchte ihm hinterherlaufen, ihn zurückzerren, doch seine Beine bewegen sich nicht. Er kann nicht einmal aufstehen. Er sieht die britischen Soldaten. Er sieht Michael. Und dann sieht er einen der Soldaten zielen. Schießen. Und Michael in die Knie gehen. Zu Boden sinken. Den kleinen, ängstlichen Michael, der am liebsten zu Hause geblieben wäre. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ "I just want to say this to the British Government... You know what you've just done, don't you? You've destroyed the civil rights movement, and you've given the IRA the biggest victory it will ever have. All over this city tonight, young men... boys will be joining the IRA, and you will reap a whirlwind." ○●○●○●○●○●○●○●○●○●○●○● xx Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)